08 MIT DREI KLICKS BIST DU DABEI! Die politischen Parteien leiden unter dem Ausbleiben von Jungmitgliedern. Der Beginn dieser fatalen Entwicklung lässt sich bis in die siebziger Jahre zurückverfolgen. WARUM FÜR DIE POLITIK AUS DER OPTION DER DIGITALEN BÜRGERBETEILIGUNG EINE VERPFLICHTUNG WURDE Vielleicht hatte dann das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen doch noch etwas Gutes – für die bundesdeutsche Parteienlandschaft? SPD, Grüne und Linke verzeichnen seit November 2016 einen überproportional hohen Eintritt von Neumitgliedern. Es heißt, der „Trump-Effekt“ komme bei diesen drei Parteien an. CDU/CSU und AfD warten allerdings, so berichtet Spiegel Online, vergeblich auf zusätzliche neue Mitglieder. Für sie gilt, was eigentlich auch bei den anderen 1 STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt Parteien mittlerweile Standard ist: Immer weniger Menschen haben Lust, sich in Parteien zu engagieren. Das ist keine neue Erkenntnis. Der Parteienforscher Prof. Elmar Wiesendahl stellte schon im Jahr 2002 ernüchternd fest: „Die politischen Parteien leiden unter dem Ausbleiben von Jungmitgliedern. Der Beginn dieser fatalen Entwicklung lässt sich bis in die siebziger Jahre zurückverfolgen.“1 Und dieser Zustand dauert bis heute an, so muss man hinzufügen. http://www.bpb.de/apuz/26416/keine-lust-mehr-auf-parteien-zur-abwendung-jugendlicher-vonden-parteien?p=all, Stand: 19.12.2016. MIT DREI KLICKS BIST DU DABEI! 09 Das Klagelied ist groß und laut. Die Konsequenzen bisher eher klein und leise! In den Parteien kann man immer noch viel zu oft nur nach „Ochsentour“ und in den althergebrachten Versammlungsformen Verantwortung übernehmen. Seit Jahren suchen die Parteien nach Wegen, wie sie aus den Hinterzimmern herauskommen. „Das Fundament stärken“2 wollen die NRW-Sozialdemokraten und verstehen sich als „Mitmach-Partei“. Aber als es vergangenes Jahr um die Nominierung und sicheren Listenplätze der sozialdemokratischen Landtagskandidatinnen und -kandidaten ging, zählten dann doch oft, wie bei den anderen Parteien auch, die altherkömmlichen Kriterien, wie Mitgliedschaft, Ochsentour, Beziehungsgeflecht oder auch der Proporz. Die Parteien experimentieren mit „Schnupper“-Mitgliedschaft oder „sicherer Listenplatz für junge Kandidat*innen“. Auf der Suche nach dem richtigen Weg werden sie von Wissenschaftler*innen, Stiftungen und Denkfabriken unterstützt. In Projekten suchen alle nach Wegen, wie die Partei der Zukunft attraktiv für das Engagement, innovativ in seinen Präsentationsformen und am Ende mitgliederstark aussehen sollte. Im April 2016 wurden zuletzt in Berlin die Ergebnisse der Studie „Die Partei 2015 – Impulse für zukunftsfähige politische Parteien“3 vorgestellt. Der Problemdruck lastet auf allen Parteien. So hatten das „Progressive Zentrum“4 und die „Stiftung Neue Verantwortung“5 in Berlin zu der Studie eine auch für Berliner Verhältnisse seltene Runde zusammengebracht. Die Parteimanager*innen – Katarina Barley (SPD), Nicola Beer (FDP), Matthias Höhn (DIE LINKE), Michael Kellner (Bündnis 90/DIE GRÜ- NEN) und Peter Tauber (CDU) – diskutierten, wie sie ihre Parteien wieder attraktiv machen wollen. Hanno Burmester6, Projektleiter der Studie, unterstrich dabei die Rolle der Parteien, als er hervorhob, dass keine Institution „die Orientierungsfunktion“ in unserer Gesellschaft so sehr übernehme wie die Parteien. Spürbar sei „die Sehnsucht nach vitalen und starken Parteien, auf der Höhe der Zeit.“ Burmester plädierte für ein Umdenken: für eine neue Innovationskultur der Parteien. Statt den mühsamen Weg des Fortschritts über die Gremien zu gehen, einfach mal den Mut haben, neue Wege auszuprobieren und zu schauen, was dann wächst. Für die Parteifunktionäre sei ein neues Führungsverständnis notwendig, nämlich das der „Befähiger“ statt das der „Gatekeeper“. Aber trotz der guten Analyse und realistischer Beschreibung der Anforderungen hatten auch die Parteimanager*innen keine wirklich befriedigende Antwort auf diese Herausforderungen. Das ist vielleicht auch zu viel verlangt, denn die Studien zeigen, dass es nicht die Lösung gibt. Die Förderung von unterschiedlichsten Formen der Partizipation wird aber immer als einer der notwendigen Schlüssel zur Attraktivitätssteigerung genannt. Die Förderung von unterschiedlichsten Formen der Partizipation wird aber immer als einer der notwendigen Schlüssel zur Attraktivitätssteigerung genannt. So war man sich bei den Parteimanager*innen einig, wenn es um den Einsatz von „Online-Befragungen“, „Skype-Konferenzen“ und sogenannten „digital tools“ ging. Tatsächlich gibt es ja mehr und mehr Möglichkeiten, sich online einzumischen. Denn was für die Parteien gilt, gilt für die Politik generell. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, Objekt der Entscheidungen zu sein, an denen man nicht beteiligt ist. Das spüren vor allem die http://www.nrwspd.de/html/42880/welcome/Fundament-staerken.html, Stand: 19.12.2016. http://parteireform.org/2015/09/17/die-partei-2025-impulse-fuer-zukunftsfaehige-politischeparteien/, Stand: 19.12.2016. 4 http://www.progressives-zentrum.org/, Stand: 19.12.2016. 5 http://www.stiftung-nv.de/, Stand: 19.12.2016. 6 http://www.dasresultat.de/, Stand: 19.12.2016. 2 3 Dezember ‘16 AUSGABE 1/2016 10 MIT DREI KLICKS BIST DU DABEI! Inzwischen sind es oft genug nicht mehr die Parteien, die die Willensbildung in einer Entscheidungsfrage voranbringen, sondern Bürger*innen, die sich in einer Initiative zusammenschließen und dabei auch online die Unterstützung für ihr Anliegen schneller und effektiver mobilisieren, als dies den Parteien bislang gelingt. Kommunalpolitiker*innen. Der Bürgermeister der baden-württembergischen Stadt Tengen, Marian Schreier, zeigt in dieser Ausgabe der Streitkultur, wie Bürgerbeteiligung im Lokalen beginnt. Eine Studie der Willi-Eichler-Akademie in Kooperation mit der Agentur pollytix7 belegt, wie Jana Faus und Matthias Hartl ebenfalls in dieser Streitkultur darlegen, welches Potenzial für Parteien eher ungenutzt bleibt, weil gerade die Jüngeren deutlich interessierter an Online-Formaten und der Nutzung von Social-Media-Kanälen sind. Das eröffnet Chancen. Inzwischen sind es oft genug nicht mehr die Parteien, die die Willensbildung in einer Entscheidungsfrage voranbringen, sondern Bürger*innen, die sich in einer Initiative zusammenschließen und dabei auch online die Unterstützung für ihr Anliegen schneller und effektiver mobilisieren, als dies den Parteien bislang gelingt. Über Social-Media–Kanäle wird mobilisiert und politischer Handlungsdruck aufgebaut. Bundespolitisch werden Online-Kampagnen angestoßen, durch die enorme Reichweiten erzielt werden. Bestes Beispiel waren die Online-Aktivitäten zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP8. Aber auch im Bereich der kommunalen Entscheidungen wird online immer häufiger auch ohne Parteienunterstützung erfolgreich mobilisiert, wie gegen ein innerstädtisches Bauvorhaben einer „shopping mall“ in Bonn9 oder gegen die Wohnungsbaupläne des Berliner Senats am Rande des Tempelhofer Felds10. Dass sich immer weniger Menschen an politischen Entscheidungen beteiligt fühlen und auch immer weniger beteiligen, ist für die politischen Akteure also längst eine Binsenweisheit. Bei allen Entscheidern sollten aber die Alarmglocken allerspätestens nach den Erfolgen der AfD im vergangenen Jahr auf Sturmgeläut eingerichtet sein. Aus dieser Entwicklung erwächst ganz automatisch eine Verpflichtung, die allen Entscheidungsträgern klar sein sollte: Parteien, Fraktionen, aber auch Kommunalverwaltungen, Landes- und Bundespolitik müssen, noch viel stärker als bisher, alle kommunikativen Wege zu nutzen, um Menschen wieder näher an die Entscheidungsprozesse heranzuführen, sie zu inspirieren, zu beteiligen und auch von deren Expertise und Erfahrungen zu profitieren. Einer der wichtigen und zugleich auch arbeitsintensiven Wege dies zu erreichen, ist die digitale Beteiligung. In einer ganzen Reihe von Kommunen wird heute die Beteiligung der Stadtgesellschaft schon praktisch umgesetzt. Die sogenannten Bürgerhaushalte sind Beispiel für eine Online-Beteiligung, in denen sich die Bürgerschaft aktiv an der Verteilung der Mittel im Kommunalhaushalt durch konkrete Vorschläge beteiligt. Auch wenn der Stadt- oder Gemeinderat letztlich über den Haushalt entscheidet, kann sich so die Bürgerschaft einbringen. Das funktioniert allerdings nicht mit einer „als - ob“-Beteiligung, sondern mit der Prüfung der Vorschläge auf konkrete Realisation. In https://pollytix.de/, Stand: 19.12.2016. https://stop-ttip.org/de/ https://www.campact.de/ttip/appell/teilnehmen/, Stand: 19.12.2016. 9 https://www.viva-viktoria.de/, Stand: 19.12.2016. 10 http://www.thf100.de/start.html, Stand: 19.12.2016. 7 8 STREITKULTUR Wofür es sich zu streiten lohnt 435 Kommunen wurde in den vergangenen Jahren über eine Form des Bürgerhaushaltes diskutiert oder dieser umgesetzt. Ob in Freiburg, Köln, BerlinLichtenberg oder Hilden – mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen wurde versucht, für aktuelle Probleme in der Kommune Lösungen zu finden oder die Akzeptanz von Entscheidungen zu erhöhen. Unter Nutzung des Erfahrungswissens der Bürgerschaft können so auch die Interessen derjenigen berücksichtigt werden, die üblicherweise zur „schweigenden Mehrheit“ gezählt werden. Im Ergebnis werden so Akzeptanz und Verständnis für die politischen Entscheidungen erhöht und das notwendige Vertrauen in die Politik wieder zurückgewonnen und gestärkt. Gleichzeitig ist aber diese Form der Beteiligung auch gut geeignet, die Einbindung der Bürgerschaft zu diskreditieren. Denn auch das ist ein zu beobachtender Trend bei Parteipolitikern und selbst in den sozialen Netzwerken: Bürgerbeteiligung wird immer noch, so hat man den Eindruck, als störend empfunden. Es wird kritisiert, dass die Beteiligungsprozesse zu lange dauern. Ein Lokalzeitungschefredakteur dazu lapidar: „Wie lange wollen Sie denn diskutieren, ehe sich die Kräne drehen?“ Auch die Verwertbarkeit der Ergebnisse von Bürgerbeteiligung wird in Zweifel gezogen. Der Sachverstand der Bürger*innen wird eher abqualifiziert. Wenn ein Oberbürgermeister parallel zur Online-Beteiligungsaktion seiner Verwaltung lautstark tönt, er sei „ An- MIT DREI KLICKS BIST DU DABEI! 11 Wer sich an Bürgerentscheiden oder -dialogen beteiligt, so die Untersuchung, geht mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zur Wahl und umgekehrt. hänger der repräsentativen Demokratie“, markiert er deutlich, was er von der Einbeziehung der Stadtgesellschaft in die Entscheidungen seiner Verwaltung hält: nämlich gar nichts. Dass sich politische Entscheider mit dieser Haltung auf dem Holzweg befinden, zeigt nicht nur die Entwicklung von beispielhaften Bürgerbeteiligungsprojekten, sondern auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die 2014 erstmals deutschlandweit die Auswirkungen von Bürgerbeteiligung auf die Demokratie untersucht hat11. So wurde deutlich, dass alle kommunikativen Kanäle genutzt werden müssen, um Menschen aller Altersgruppen zu erreichen. Die Untersuchung zeigte, dass sich die 11 verschiedenen Möglichkeiten politischer Mitwirkung nicht gegenseitig ausschließen, sondern einander ergänzen und stützen. Wer sich an Bürgerentscheiden oder -dialogen beteiligt, so die Untersuchung, geht mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zur Wahl und umgekehrt. Die repräsentative Demokratie wird durch neue Wege der Bürgerbeteiligung nicht geschwächt, sondern aufgewertet. Es ist also ein Mix von Ansprache und Beteiligungsmöglichkeiten, der heute für Parteien, Verwaltungen und politisch Handelnde notwendige Voraussetzung für die Akzeptanz ihrer Entscheidungen geworden ist. // https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/ buergerbeteiligung-staerkt-die-repraesentative-demokratie/, Stand: 19.12.2016. // Von Peter Ruhenstroth-Bauer Rechtsanwalt in der Kommunikations- und Strategieberatung in Berlin und Bonn (www.KommunikationundStartegie.de) Dezember ‘16 AUSGABE 1/2016 FATOUMATA DIAWARA 22.03.2017 – BEETHOVENHAUS QUADRO NUEVO & CAIRO STEPS 24.03.2017 – TELEKOM FORUM BUKAHARA & LABRASSBANDA 25.03.2017 – TELEKOM FORUM LA CARAVANE PASSE 29.03.2017 – HARMONIE SAM GEMEIN GEGEN & MUS RASSIS G ENZUN AUSGR AKUA NARU 30.03.2017 – HARMONIE IIRO RANTALA 31.03.2017 – PAULUSKIRCHE INNA MODJA & AWA-LY 01.04.2017 – PANTHEON LOCAL AMBASSADORS 02.04.2017 – HARMONIE WWW.OVER-THE-BORDER-FESTIVAL.DE Peter Wild Immobilien COSMO United Nations Convention to Combat Desertification