Stellungnahme zu Repaglinid - Deutsche Diabetes Gesellschaft

Werbung
1
Stellungnahme zu Repaglinid:
Den Beschluss des G-BA Glinide ab 01.07.2016 eine drastische
Verordnungseinschränkung für Glinide durchzusetzen (Anlage 1), hatte zur Folge,
dass Entscheidungsträger der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), der
Deutschen Diabetes Hilfe (DDH-M), der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG),
von diabetesDE, dem Berufsverband der Niedergelassenen Diabetologen (BVND),
dem Wissenschaftlichen Institut der Niedergelassenen Diabetologen (winDiab), dem
Berufsverband Niedergelassener Diabetologen in Bayern (bndb) und der Deutschen
Diabetes Stiftung DDS) am 26.01.2016 eine ausführliche Stellungnahme an Prof.
Josef Hecken, Vorsitzender des G-BA geschickt haben, mit der Bitte den Beschluss
des G-BA („Verordnungseinschränkung für Glinide“) zu revidieren (Anlage 2).
Leider wurde der Brief nicht beantwortet.
Daher möchten wir in ausführlicher wissenschaftlich begründeter Form
unserer Forderung nochmals Nachdruck verleihen.
Die vom G-BA angeführten Argumente ein aus dem Bestandsmarkt bewährtes Antidiabetikum
nämlich Repaglinid mit einer für den Patienten mit Typ-2-Diabetes wesentlichen
Verordnungseinschränkung zu versehen, können absolut nicht vollzogen werden.
Die Verordnungseinschränkung sieht wie folgt aus:
„ Ausgenommen ist die Behandlung von niereninsuffizienten Patienten mit einer
Kreatinin-Clearance < 25 ml / min mit Repaglinid, soweit keine anderen oralen
Antidiabetika in Frage kommen und eine Insulintherapie nicht angezeigt ist.“
In diesem Stadium einer chronischen Niereninsuffizienz kommt aber außer einer
Repaglinid-Therapie nur noch eine Insulinbehandlung in Betracht. Alle anderen
Antidiabetika sind bei einer eGFR von <25 ml/min. kontraindiziert.
Unterzuckerungen:
Ein wesentliches Argument für den Einsatz von Repaglinid ist die Vermeidung
schwerer und protrahierter Unterzuckerungen, die bei den üblichen
Sulfonylharnstoffen wie Glibenclamid und Glimepirid häufig beobachtet werden und
zu schwerwiegenden Komplikationen führen können.
2
Das Problem von Unterzuckerungen (Hypoglykämien) bei Menschen mit Typ-2Diabetes wurde in früheren Jahren deutlich unterschätzt. Mit den großen
randomisierten prospektiven kontrollierten Studien wie UKPDS, ADVANCE, ORIGIN,
VADT und vor allem ACCORD sind Hypoglykämien nicht nur systematisch erfasst,
sondern die möglichen Konsequenzen in den Mittelpunkt vieler Studien gerückt
worden. Kurzfristige und langfristige z.T. schwerwiegende medizinische und
psychosoziale Konsequenzen sind wissenschaftlich gut belegt und hier summarisch
aufgelistet:
Neben Insulinen führen vor allem die langwirkenden über die Niere ausgeschiedenen
Sulfonylharnstoffe in Mono-oder Kombinationstherapien zu schweren Hypoglykämien.
Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz sind Patienten daher besonders gefährdet
schwere, lebensgefährliche Unterzuckerungen zu erleiden, nicht nur bei allen Formen
der Insulintherapie, sondern eben besonders auch unter den üblichen langwirkenden
schlecht steuerbaren Sulfonylharnstoffen (Glibenclamid und Glimepirid), die bei
progredienter Niereninsuffizienz häufig nicht abgesetzt oder in der Dosierung nicht
drastisch reduziert werden [Holstein].
Es zeigt sich, dass bei Diabetikern Hypoglykämien in mehr als 50% nicht erkannt
oder falsch interpretiert werden [Elliott]. Dies liegt z.T. an den Ko-Medikationen wie
Psychopharmaka, Antihypertensiva und an der Multimorbidität dieser Patienten.
Dabei unterscheidet sich die Prävalenz von schweren Hypoglykämien wesentlich
zwischen RCTs und Real World Studien (RWD) [Elliot]:
3
Nicht-schwere Hypoglykämien sind wohl bei Typ-1- und Typ-2-Diabetikern wesentlich
häufiger und unterliegen einer hohen Dunkelziffer, da diese in einem großen
Prozentsatz vom Patienten nicht erkannt werden. [Kulzer, Schloot].
In einer Beobachtungsstudie bei mehr als 900.000 Patienten lag die Rate an
schweren Hypoglykämien im Mittel bei 1,5 pro 100 Patientenjahren, sie war doppelt
so hoch bei Diabetikern mit Depressionen, 5x höher bei niereninsuffizienten
Diabetikern und 7x höher bei Herzinsuffizienz. Die Rate an Hypoglykämien war am
höchsten bei Insulin-behandelten Diabetikern, gefolgt von den langwirkenden
Sulfonylharnstoffen [Pathak].
In großen aktuellen deutschen Analysen zu Hypoglykämien (DPV – wiss Datenbank;
großer Diabeteszentren), zeigten sich schwere Hypoglykämien unter SH-Therapie
(nicht aufgeschlüsselt nach dem Wirkstoff) in 2,8% der Patienten (826/29.485
Patienten). Davon hatten 1,8% (n=531) ein Koma und 1,7% (n=501) mindestens
eine Hospitalisierung. Die Ereignis-Raten für schwere Hypoglykämien betrugen für
Insulin+SH 6,7/100 Patientenjahre, für SH+Insulin+andere orale Antidiabetika 4,9
und für SHs allein 3,8 [Schloot]. Leider wurden die Daten nicht getrennt nach den
SHs und Repaglinid ausgewertet.
Auch in dem Qualitätsbericht der KV Nordrhein finden sich keine Daten zu schweren
Hypoglykämien und der Aufschlüsselung nach einzelnen SHs und Repaglinid. Wenn
für Repaglinid auffällig häufiger schwere Hypoglykämien beobachtet worden wären,
wäre dies sicherlich aufgefallen und berichtet worden.
4
In einer kürzlich erschienenen Publikation aus Dänemark wurden schwere
Hypoglykämien bei Typ-2-Diabetikern unter verschiedenen Sulfonylharnstoffen und
unter Repaglinid analysiert [Pilemann-Lyberg]. Die Inzidenz betrug 0,48 Episoden
(Krankenhausaufenthalte) pro 100 Patientenjahre. Wesentliche Risikofaktoren
waren alte Patienten mit verminderter Nahrungszufuhr, Alkoholkonsum,
Begleitinfektionen, Niereninsuffizienz und Polypharmazie. Die überwiegende Anzahl
schwerer Hypoglykämien war mit der Einnahme von Glibenclamid und Glimepirid
assoziiert. Repaglinid spielte eine untergeordnete Rolle.
5
In einer großen retrospektiven Kohorten-Analyse von 1999-2010 vom Medical
Expenditure Panel Survey erfolgte bei 13,5 Millionen Diabetikern eine Diabetesbedingte Krankenhauseinweisung. Während bei 23,2% (n=746.579 Patienten) in der
Monotherapie-Kohorte mit Sulfonylhanrnstoffen (SU) eine Wiederaufnahme notwendig
wurde, war dies bei den Diabetikern mit einer Monotherapie ohne Sulfonylharnstoffe
(n=881.984) nur bei 16,1% der Fall. Die geschätzte Hazard Ratio einer
Wiedereinweisung betrug für die SU-Kohorte 1,29 (95 % CI: 1.01–1.65; p= 0.04).
Die Ausgaben betrugen bei Patienten mit SU $11.148 ± 1.558 verglichen mit Nicht-SUPatienten $7.673±763. Unter SU-Therapie war das Risiko einer Krankeneinweisung um
ca. 30% höher und um ca. 45% teurer [Heaton PC et al].
Fazit:
Hypoglykämien sind auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes nicht selten. Sie
können zu erheblichen medizinischen, psychosozialen und gesundheitsökonomischen Konsequenzen führen und sind wesentlicher Grund für NotfallHospitalisierungen älterer Menschen mit Diabetes [Budnitz, Holstein].
Individualisierte Therapie des Menschen mit Typ-2Diabetes
Eine individualisierte Therapie wird seit Jahren von der Deutschen Diabetes
Gesellschaft, in strukturierten Behandlungsprogrammen (DMPs), in der Nationalen
VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes (www.versorgungsleitlinien.de)
und in den internationalen Leitlinien immer wieder betont. Die Individualisierung
spielt bei den Insulintherapie-Strategien seit Jahren eine bedeutsame Rolle, um die
Therapie an die Lebensgestaltung, Bedürfnisse, Wünsche (Patientenpräferenzen!)
und Erfordernisse der Menschen mit Diabetes anzupassen. Damit ist nach einer
entsprechenden Schulung des Patienten und seines sozialen Umfeldes eine
flexiblere Lebensgestaltung im Beruf, der Freizeit, in Schule, Betrieb, im Urlaub, in
Alten- und Pflegeheim etc. möglich. Bei der oralen antidiabetischen Therapie (OAD)
wird die Behandlung zwar auch an Erfordernisse angepasst wie Multimorbidität,
Kontraindikationen einzelner Wirkprinzipien berücksichtigt, aber eine größere
Flexibiltät ist aus pharmakokinetischen und -dynamischen Gründen der vorrangig
einzusetzenden Sulfonylharnstoffe (laut DMP) nicht möglich. Dies gilt insbesondere
6
für die bis zu 72 Stunden wirkenden Sulfonylharnstoffe Glibenclamid und Glimepirid.
Repaglind dagegen ist ein sehr kurz wirkender [Landgraf] gut verträglicher(!)
Insulinsekretionsförderer, der fast ausschließlich über die Galle eliminiert wird und
daher bei jedem Grad einer Niereninsuffizienz eingesetzt werden kann
[Hasslacher,Landgraf]. Seine blutzuckersenkende Potenz ist der der
Sulfonylharnstoffe nicht unterlegen [Landgraf, Woerle].
Mit zunehmendem Alter nimmt die Nierenfunktion kontinuierlich ab, wie DMP-Daten
aus Nordrhein 2015 zeigen:
Daher sind ältere Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion besonders
Hypoglykämie-gefährdet, weil sich die Nierenfunktion innerhalb kurzer Zeit aus
hämodynamischen Gründen, durch Röntgenkontrastmittel, durch eine Vielzahl von
Pharmaka (Analgetika, Antibiotika etc) und anderen Gründen wie Exsikkose
drastisch verschlechtern kann ohne dass die antidiabetische Therapie adäquat
angepasst wird oder adaptiert werden kann.
Lebensqualität
Mit Repaglinid ist eine flexible orale Therapie möglich, die nach entsprechender
Schulung von vielen Patienten hoch geschätzt wird [Lauritzen, Landgraf]. Repaglinid
wird jeweils zu einer Hauptmahlzeit eingenommen, wobei sich die Dosis nach der
Größe und Zusammensetzung der Mahlzeit richtet. Wird eine Mahlzeit ausgelassen,
nimmt der Patient kein Repaglinid zu diesem Zeitpunkt. Das zur vorausgegangenen
Mahlzeit eingenommene Repaglinid ist dann bereits eliminiert und kann somit keine
Unterzuckerung provozieren. Somit besteht kaum die Gefahr einer schweren
Hypoglykämie wie dies gerade bei schlecht planbarem Tagesablauf unter den
üblichen SHs immer wieder beobachtet wird [Landgraf, Nattrass]. Mit Repaglinid ist
im Gegensatz zu den Sulfonylharnstoffen somit eine individualisierte den
7
Bedürfnissen und Wünschen des Menschen anpassbare Behandlung möglich.
Bei der Bedeutung, die Hypoglykämien medizinisch, psychosozial, gesundheitsökonomisch und volkswirtschaftlich spielen, ist jede Vermeidung von schweren aber
auch leichten Unterzuckerungen mit einer gesteigerten Lebensqualität und
Arbeitsfähigkeit des Betroffenen und seines sozialen Umfeldes verbunden, wie die
kürzlich publizierte DAWN Studie der IDF zeigen konnte [Kulzer]. Die flexible OADBehandlung mit Repaglinid hat im Gegensatz zu der Therapie mit Glibenclamid und
Glimepirid den weiteren Vorteil, dass Menschen mit grenzwertiger Nierenfunktion
unter Bedingungen einer akuten oder subakuten Verschlechterung ihrer
Nierenfunktion (s.o.) gefahrlos ihre Repaglinidtherapie fortführen können
[Hasslacher].
Klinische Endpunkte
Der Einsatz der etablierten Substanzgruppen Metformin und Sulfonylharnstoffe wird
immer begründet mit dem Vorhandensein von Nachweisen positiver klinischer
Endpunkte. Dies war auch der Grund diese Substanzen für die vorrangige Therapie
bei den strukturierten Behandlungsprogrammen vorzuschreiben. Bei den meisten
anderen Antidiabetika einschließlich Repaglinid sollen entsprechende Nachweise für
einen positiven Effekt auf harte klinische Endpunkte fehlen. Die Aussagen zu
Metformin und Glibenclamid beziehen sich aber ausschließlich auf Daten der
UKPDS. In der UKPDS wurde der Effekt einer „intensivierten“ im Vergleich zu einer
„konventionellen“ Therapie des Typ-2-Diabetes mellitus untersucht. Die Patienten
wurden in eine der beiden Untersuchungsgruppen, aber nicht in verschiedene
Medikamentengruppen randomisiert. In der Nationalen VersorgungsLeitlinie zur
Therapie des Typ-2-Diabetes wird ausführlich auf die mangelnde wissenschaftliche
Belastbarkeit der UKPDS im Sinne evidenz-basierter Medizin hinsichtlich der
positiven Aussagen zu den harten Endpunkten von Metformin und den
Sulfonylharnstoffen Stellung genommen (www.leitlinien.de).
Bereits in der Navigator Studie einer RCT bei prädiabetischen Menschen (n=9.306)
fand sich unter Nateglinide kein negativer Effekt auf kardiovaskuläre Endpunkte in
dem Beobachtungszeitraum von 5 Jahren.
In einer großen dänischen Registerstudie [Schramm] zwischen 1997 und 2006
wurden 107.806 Personen mit Diabetes im Mittel über 3,3 Jahre verfolgt. Im
Vergleich zu Menschen unter Metformintherapie war die Hazard Ratio (CI: 95%) für
8
Glimepirid 1.32 (1.24-1.40), Glibenclamid 1.19 (1.11-1.28) und Glipizid 1.27 (1.171.38) für Gesamtmortalität bei Menschen ohne früherem Herzinfarkt signifikant
erhöht. Die korrespondierenden Ergebnisse für Patienten mit vorausgegangenem
Myokardinfarkt waren wie folgt: Glimepirid: 1.30 (1.11-1.44), Glibenclamid: 1.47
(1.22-1.76), und Glipizid: 1.53 (1.23-1.89). Die Ergebnisse für Gliclazid: 1.05 (0.941.16) und 0.90 (0.68-1.20)], sowie für Repaglinid: 0.97 (0.81-1.15) und 1.29 (0.861.94) waren statistisch nicht signifikant unterschiedlich von Metformin. Die
Ergebnisse waren für kardiovaskuläre Mortalität und den Composite Endpunkt
(Myokardinfarkt, Schlaganfall, und kardiovaskuläre Mortalität) ähnlich.
In einer nationalen Dänischen Registerstudie mit 56.827 Patienten ohne Schlaganfall oder
Myokardinfarkt wurde die Rate von Gesamtmortalität, kardiovaskulärer Mortalität oder die
Kombination aus Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärer Mortalität bei
Kombinationstherapien von Metformin mit verschiedenen Sulfonylharnstoffen getestet
[Mogensen]. Die Inzidenzraten für Mortalität waren wie folgt: Metformin plus: 15.4
(Repaglinid), 28.1 (Glipizide), 23.7 (Glibenclamid), 21.1 (Gliclazid), 20.7 (Glimepirid)
Tode pro 1000 Personenjahre. In einer adjustierten Analyse war das Mortalitäts-Risiko
für Nutzer von Gliclazid + Metformin (RR = 1.01 [0.88–1.15]), Repaglinid + Metformin
(RR = 0.81 [0.62–1.05]), Glibenclamid + Metformin (RR = 0.98 [0.87–1.10]).
Eine kürzlich publizierte Analyse hat gezeigt, dass Glimepirid mit einem geringeren
Risiko für kardiovaskuläre und Gesamtmortalität verbunden ist als mit Glibenclamid
[Simpson].
Zahlreiche Meta-Analysen der letzten Jahre weisen darauf hin, dass
Sulfonylharnstoffe ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Endpunkte einschließlich
Mortalität zeigen [Forst, Monami, Phung]. Alle Meta-Analysen sind in ihren
Aussagen jedoch wegen der großen Heterogenität der meist nicht-randomisierten
Studien begrenzt.
Selbst in der publizierten Cochrane Analyse [Hemmingsen] kamen die Autoren zu dem
Schluss, dass die verfügbaren Daten zu gering und inkonsistent sind um eine
belastbare Evidenz für Nutzen oder Schaden einer Sulfonylharnstoff-Therapie in Bezug
patienten-relevanter Endpunkte zu ziehen.
Die Schlussfolgerung aus allen Studien ist, dass RCTs notwendig wären um definitiv
den Nutzen der SHs auf klinisch relevante Endpunkte zu beweisen. Diese RCTs wird es
weder für SHs noch für Repaglinid geben, so dass auf die bestverfügbare Evidenz
zurückgegriffen werden muss!
9
In einer großen Kohortenstudie zeigte die Kombination von Sulfonylharnstoffen mit
Metformin eine höheres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse [Evans] und in der
Meta-Analyse [Rao] über die Kombination von Metformin und Sulfonylharnstoffen
war für die Gesamtmortalität das relative Risiko (RR) bei 1,19 (0,88-1,62), für die
kardiovaskuläre Mortalität 1,29 (0,73-2,27) und 1,43 (1,10-1,85) für Composite
Endpunkt (kardiovaskuläre Hospitalisierung oder Mortalität). Auch die Kombination
von Sulfonylharnstoffen mit Insulin zeigte eine höhere Mortalitätsrate als die
Kombination Metformin und Insulin [Mogensen]. Eine Kombination von Metformin
mit einem DPP-4-Inhibitor dagegen war mit einem deutlich geringeren Risiko für
kardiovaskuläre Ereignisse und Gesamtmortalität verbunden als die Kombination mit
einem Sulfonylharnstoff [Azoulay, Morgan].
Fazit:
Für die derzeit in Deutschland meist verwendeten und vorrangig einzusetzenden
Sulfonylharnstoffe Glibenclamid und Glimepirid (DMPs) gibt es keine belastbaren
Belege in Hinblick auf günstige Einflüsse auf klinisch relevante Endpunkte. Die meisten
Analysen zeigen eher das Gegenteil nämlich ungünstige kardiovaskuläre Endpunkte
unter SH-Therapie. Für Repaglinid fehlen ebenfalls RCTs mit relevanten klinischen
Endpunkten, aber die verfügbare Evidenz zeigt keine negativen Daten zu
kardiovaskulären Endpunkten.
Gesundökonomische Aspekte
Die Tagestherapiekosten betragen für Glibenclamid (2x3,5 mg; 120 Tabl. Packung)
0,22 €, für Glimeprid (1x3 mg; 120 Tabl.Packung) 0,19 € und für Repaglinid (3x2 mg;
120 Tabl. Packung) 0,78 €.
Die Rate von schweren Unterzuckerungen ist insbesondere bei älteren Menschen mit
Niereninsuffizienz (ab CKD Stadium 3: eGFR <60 ml/min.) bei den langwirkenden
Sulfonylharnstoffen hoch (s.o.). Für Repaglinid sind diese bei entsprechender Schulung
einer flexiblen oralen Antidiabetika-Therapie deutlich niedriger. Die Kosten für eine
Hypoglykämie sind beträchtlich [Hammer et al]:
10
Plädoyer für Repaglinid
1. Repaglinid ist ein hochpotentes blutzuckersenkendes Medikament mit
einem geringen Nebenwirkungsprofil.
2. Weder für die Sulfonylharnstoffe (SHs) noch für Repaglinid gibt es
belastbare Outcome-Studien. Daher Repaglinid weitgehend aus dem
Repertoire der OADs zu streichen, entbehrt jeder Evidenz. Die für
Repaglinid geforderten RCTs gibt es auch nicht für einen
Sulfonylharnstoff!
3. Meta-Analysen lassen vermuten, dass SHs eher ungünstige, Repaglinid
eher günstige/neutrale Einflüsse auf kardiovaskuläre Endpunkte
aufweisen.
4. Repaglinid hat pharmakokinetische- und dynamische Eigenschaften, die
es erlauben diese Substanz bei jedem Grad einer Nierenfunktionsstörung einzusetzen. Keine Dosisadaptierung oder Kontraindikationen
ab einer bestimmten eGFR. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum
eine Repaglinid-Therapie nur noch auf Patienten mit einer eGFR <25
ml/min. beschränkt sein soll. Dieser Beschluss ist ebenfalls nicht
begründbar, zumal kein Argument vorliegt, warum gerade eine eGFR
von <25 ml/min. festgelegt wurde.
5. Eine flexible orale Therapie die Insulinsekretionsförderer beinhaltet, ist
nur mit Repaglinid möglich. Bei vielen Patienten mit einem Typ-2Diabetes ist diese Möglichkeit daher eine echte Bereicherung der
11
Therapieoptionen nicht nur für jüngere Menschen mit der Notwendigkeit
nicht planbarer Tätigkeiten und Aufgaben im Beruf und der Freizeit,
sondern insbesondere auch für ältere Menschen mit unvorhersehbaren
psychosozialen und medizinischen Problemen und der damit
verbundenen hochgradigen Gefahr schwerer Unterzuckerungen
(insbesondere unter den langwirkenden SHs!) und teurer
Krankenhauseinweisungen.
6. Daten und langjährige Erfahrungen von Patienten und Therapeuten
zeigen, dass unter Repaglinid eine hohe Therapiezufriedenheit und –
sicherheit, sowie -adhärenz besteht.
7. Die Tagestherapiekosten sind für Repaglinid etwas höher, bewegen sich
aber in einem Bereich deutlich unter einem Euro. Bei den genannten
Vorteilen besteht daher eine hohe Nutzen-Kosten-Relation.
8. Der Patient sollte im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen und
Patientenpräferenzen berücksichtigt werden. Das ist nicht nur
Richtschnur aus medizinischerund ethischer, sondern auch aus
politischer Sicht!
9. Die Verordnungseinschränkung von Repaglinid ist daher
völlig unbegründet und soll revidiert werden.
Literatur
1. Azoulay L et al. Combination therapy with sulfonylureas and metformin and
the prevention of death in type 2 diabetes: a nested case-control study.
Pharmacoepidemiol Drug Saf 2010;19(4):335-42
2. Budnitz DS et al. Emergency hospitalizations for adverse drug events in
older Americans.N Engl J Med. 2011;365(21):2002-12
3. Elliott L et al. Hypoglycemia Event Rates: A Comparison Between Real-World
Data and Randomized Controlled Trial Populations in Insulin-Treated
Diabetes. Diabetes Ther. 2016 Feb 17. [Epub ahead of print]
4. Evans JM et al. Risk of mortality and adverse cardiovascular outcomes in
type 2 diabetes: a comparison of patients treated with sulfonylureas and
metformin. Diabetologia 2006;49(5):930-6
12
5. Forst T et al. Association of sulphonylurea treatment with all-cause and
cardiovascular mortality: a systematic review and meta-analysis of
observational studies. Diab Vasc Dis Res. 2013 Jul;10(4):302-14
6. Hammer et al. Costs of managing severe hypoglycaemia in three European
countries.J Med Econ. 2009;12(4):281-90
7. Hasslacher C for the Multinational Repaglinide Renal Study Group. Safety
and efficacy of repaglinide in type 2 diabetic patients with and without
impaired renal function. Diabetes Care 2003;26:886–891
8. Heaton PC et al. Sulfonylurea use and the risk of hospital readmission in
patients with type 2 diabetesBMC Endocrine Disorders (2016) 16:4
9. Hemmingsen B et al. Sulphonylurea monotherapy for patients with type 2
diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Apr 30;4:CD009008
10. Hemmingsen B et al. Sulfonylurea versus metformin monotherapy in patients
with type 2 diabetes: a Cochrane systematic review and meta-analysis of
randomized clinical trials and trial sequential analysis. CMAJ Open
2014.DOI:10.9778/cmajo.20130073
11. Holman RR for the Navigator Study Group. Effect of nateglinide on the
incidence of diabetes and cardiovascular events. N Engl J Med
2010;362:1463-76
12. Holstein A et al. Incidence and costs of severe hypoglycemia. Diabetes Care
2002;25(11):2109-10
13. Kulzer B et al . Diabetesbezogene Belastungen, Wohlbefinden und
Einstellung von Menschen mit Diabetes. Deutsche Ergebnisse der
DAWN2™-Studie. Diabetologe 2015;11:211–218
14. Kulzer B, Seitz L, Kern W. Real-world patient- reported rates of non-severe
hypoglycemic events in Germany. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2014;
122:167-172
15. Landgraf R et al. A comparison of repaglinide and glibenclamide in the
treatment of type 2 diabetic patients previously treated with sulphonylureas.
Eur J Clin Pharmacol 1999; 55:165-171
16. Landgraf R. Meglitinide analogues in the treatment of type 2 diabetes
mellitus. Drugs & Aging 2000;17(5): 411-425
17. Landgraf R et al. Prandial glucose regulation with repaglinide: its clinical and
lifestyle impact in a large cohort of patients with Type 2 diabetes. Int J Obes
2000;24 (Suppl 3): S38-S44
18. Mogensen UM et al. Sulfonylurea in combination with insulin is associated
with increased mortality compared with a combination of insulin and
metformin in a retrospective Danish nationwide study. Diabetologia
2015;58:50–58
19. Mogensen UM et al. Metformin in combination with various insulin
secretagogues in type 2 diabetes and associated risk of cardiovascular
morbidity and mortality--a retrospective nationwide study. Diabetes Res Clin
Pract. 2015;107(1):104-12
20. Monami M et al. Are sulphonylureas all the same? A cohort study on
cardiovascular and cancer-related mortality. Diabetes Metab Res Rev
2007;23(6):479-84
21. Monami M et al. Cardiovascular safety of sulfonylureas: a meta-analysis of
randomized clinical trials. Diabetes Obes Metab. 2013;15(10):938-53
22. Morgan CL et al. Combination therapy with metformin plus sulphonylureas
versus metformin plus DPP-4 inhibitors: association with major adverse
cardiovascular events and all-cause mortality. Diabetes Obes Metab.
13
2014;16(10):977-83
23. Nattrass M et al. Review of prandial glucose regulation with repaglinide: a
solution to the problem of hypoglycaemia in the treatment of type 2 diabetes?
Int J Obes Relat Metab Disord. 2000;24 (Suppl 3): S21-31
24. Pathak RD et al. Severe Hypoglycemia Requiring Medical Intervention in a
Large Cohort of Adults With Diabetes Receiving Care in U.S. Integrated
Health Care Delivery Systems: 2005–2011. Diabetes Care 2016;39:363–370
25. Pilemann-Lyberg S et al. Severe hypoglycaemia during treatment with
sulphonylureas in patients with type 2 diabetes in the Capital Region of
Denmark. Diabetes Res Clin Pract 2015;110 (2):202-207
26. Phung OJ et al. Sulphonylureas and risk of cardiovascular disease:
systematic review and meta-analysis. Diabet Med. 2013;30(10):1160-71
27. Rao AD et al. Is the combination of sulfonylureas and metformin associated
with an increased risk of cardiovascular Disease or all-aause mortality? A
meta-analysis of observational studies. Diabetes Care 2008;31:1672–1678
28. Schloot NC et al. Risk of severe hypoglycemia in sulfonylurea-treated
patients from diabetes centers in Germany/Austria: How big is the problem?
Which patients are at risk? Diabetes Metab Res Rev 2016; 32: 316–324
29. Schramm TK et al. Mortality and cardiovascular risk associated with different
insulin secretagogues compared with metformin in type 2 diabetes, with or
without a previous myocardial infarction: a nationwide study. Eur Heart J
2011; 32:1900–1908
30. Simpson SH et al. Mortality risk among sulfonylureas: a systematic review
and network meta-analysis. Lancet Diabetes Endocrinol 2015;3(1):43-51
31. Woerle HJ et al. Impact of fasting and postprandial glycemia on overall
glycemic control in type 2 diabetes: Importance of postprandial glycemia to
achieve target HbA1c levels. Diabetes Res Clin Pract 2007;77(2):280-285
14
Anlage 1
G-BA: Verordnungseinschränkung für Glinide
Pressemitteilung
„Berlin, 18. Februar 2016 – Glinide zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2
(„Zuckerkrankheit“) können nur noch in medizinisch begründeten Einzelfällen zulasten
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden. Der Gemeinsame
Bundesausschuss (G-BA) entschied am Donnerstag in Berlin, die bereits im Jahr 2010
beschlossene, zunächst jedoch vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
beanstandete Verordnungseinschränkung durch Veröffentlichung des Beschlusses im
Bundesanzeiger zum 1. Juli 2016 in Kraft zu setzen.
Glinide sind orale Antidiabetika, die zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2
verordnet werden. Der G-BA hatte am 17. Juni 2010 eine Verordnungs-einschränkung
beschlossen, da der therapeutische Nutzen dieser Wirkstoffgruppe nach dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht als nachgewiesen angesehen
werden konnte. Das BMG beanstandete den Beschluss, wogegen der G-BA klagte. Das
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg stellte in seinem inzwischen rechtskräftigen
Urteil vom 27. Mai 2015 fest, dass die vom BMG verfügte Beanstandung rechtswidrig
war und hob diese auf. Somit kann der G-BA-Beschluss im Bundesanzeiger
veröffentlicht werden und zum 1. Juli 2016 in Kraft treten.
„An der Daten- und Erkenntnislage hat sich seit dem Beschluss im Jahr 2010 nichts
geändert. Bis heute liegen dem G-BA keine wissenschaftlich einwandfrei geführten
klinischen Studien mit patientenrelevanten Endpunkten vor, anhand derer der
therapeutische Nutzen beziehungsweise die Zweckmäßigkeit dieser – immerhin seit
nun 15 Jahren auf dem Markt befindlichen – Wirkstoffgruppe hätte nachgewiesen
werden können,“ sagte der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Prof. Josef Hecken.
„Für die Glinide liegen zu den patientenrelevanten Endpunkten wie Mortalität,
diabetische Folgekomplikationen und gesundheitsbezogene Lebensqualität keine
relevanten Studien vor. Es sind ausschließlich Kurzzeitstudien vorhanden.
Zudem ist keine der bisher vorliegenden Studien darauf ausgelegt, einen Nutzen
der Glinide bei der Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachzuweisen
oder das Schadenspotenzial hinsichtlich kardiovaskulärer Risiken zu
untersuchen“,
15
so Hecken weiter.
Nach einer Änderung der gesetzlichen Grundlage zum 1. Januar 2011 hatte der G-BA
im Januar 2014 ein weiteres Verfahren zur Bewertung der Zweckmäßigkeit der Glinide
eröffnet und von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ergänzende versorgungsrelevante
Studien für die Wirkstoffe Nateglinid und Repaglinid einzufordern. Nach Ablauf der Frist
von einem Jahr hatte kein pharmazeutischer Unternehmer nachgewiesen, dass mit
einer Studie begonnen wurde. Auch in dem daraufhin im März 2015 eingeleiteten
Stellungnahmeverfahren zur Verordnungseinschränkung der Glinide wurden keine
Studien zu patientenrelevanten Endpunkten vorgelegt.“
16
Anlage 2
Brief an Prof. Josef Hecken vom 26.01.2016
Herunterladen