VSP-Resolution zur internationalen Organisierung

Werbung
■ Internationalismus und internationale Organisierung
Auszug aus:
Die Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) und die Perspektive des Aufbaus einer internationalen revolutionär-sozialistischen Organisation.
Die Resolution wurde auf der außerordentlichen Delegiertenkonferenz der VSP im Oktober 1988 verabschiedet.
Anhang (geschichtlicher Teil)
Daraufhin organisieren Pariser Arbeiter eine Geldsammlung, um eine Delegation zu finanzieren, und am
28. 9. 1864 findet in St. Martin’s Hall ein internationales
Treffen statt, das ein Komitee aus Engländern, Franzosen,
Deutschen, Italienern, Polen und Schweizern bildet (50
Mitglieder) und es beauftragt, „Programm und Statut einer internationalen Arbeitergesellschaft“ zu entwerfen. Bekanntlich schrieb Marx diese Texte, und inhaltlich wie von
ihrem internationalen Charakter her ist die „Internationale
Arbeiterassoziation“ Erbin des „Bundes der Kommunisten“. Der Charakter der IAA als „Standarte“ ist von Marx
und Engels mehrmals betont worden – sie konnte sich
nicht unmittelbar den revolutionären Sturz des Kapitalismus vornehmen: „… eine … Arbeiterassoziation zu gründen, die den internationalen Charakter der sozialistischen
Bewegung sowohl den Arbeitern selbst, wie den Bourgeois
und den Regierungen sozusagen leiblich vorführen sollte –
dem Proletariat zur Ermutigung und Stärkung, seinen
Feinden zum Schrecken.“ (Engels.)
Trotzdem war die Funktion der IAA praktischer als der
einer ausschließlichen Propagandagesellschaft, sie befasste
sich vorwiegend mit der Organisierung internationaler Solidarität bei Streikkämpfen. Ihr theoretisches Hauptverdienst war ihre Verarbeitung der Erfahrungen der Pariser
Kommune. Sie zerbrach an den inneren Kämpfen mit der
anarchistischen Strömung. Sie bleibt Vorbild und Ausgangspunkt aller späteren Bemühungen um internationale
revolutionär-sozialistische Organisierung. Ihr Massencharakter war im übrigen sehr relativ. In Großbritannien umfasste sie die Führer der bedeutenden proletarischen Organisationen diversesten Charakters (politisch, gewerkschaftlich, Genossenschaften…), in Deutschland verfügte sie nie
über mehr als tausend Mitglieder.
Die klassische Internationale der Massenparteien war
die II. Internationale, die 1889 gegründet wurde, obwohl
sie erst 1900 Namen und Adresse (Büro mit Hauptamtlichen) und ein Statut erhielt. Vorausgegangen waren langwierige Verhandlungen der deutschen und der französischen späteren Sektionen, und Vereinbarungen und Übereinkünfte auf Leitungsebene regelten auch ihr späteres Leben, waren bestimmend für die Ausrichtung ihrer Kongresse.
Das Hauptverdienst der II. „Sozialistischen“ Internationale war die Förderung des Aufbaus proletarischer Massenparteien. Lange Zeit mussten ihre Sektionen sich täglich gegen die bürgerliche Repression wehren, obwohl sie
durchaus keine unmittelbare Perspektive der Machteroberung verfolgten, sondern den Akzent auf die Tageskämpfe
um unmittelbare Interessen und später den Kampf um
Stimmen bei Wahlen, um Stärkung der parlamentarischen
Repräsentanz, legten.
Der Zusammenbruch der II. Internationale am Vorabend des Ersten Weltkriegs kann aus verschiedenen, auch
jeweils nationalen Faktoren erklärt werden. Doch die politische Entartung wurde jedenfalls begünstigt durch den
Charakter der II. Internationale als einer Föderation von
nationalen Parteien, deren Umgang miteinander der Diplomatie der bürgerlichen Staaten ähnelte. Dieser Erfahrung gegenüber formulierte Rosa Luxemburg den
Die bisherigen Erfahrungen des Aufbaus internationaler
revolutionärer Organisationen sind einerseits der Schatz,
aus den wir für die Zukunft schöpfen können, andererseits
lasten sie auch – durch ihre Misserfolge und Fehlentwicklungen – auf der heutigen Wirklichkeit. In der westdeutschen Arbeiterbewegung, aber auch weltweit, ist die Idee
des Aufbaus einer internationalen revolutionär-sozialistischen Organisation weitgehend verschüttet. Die VSP ihrerseits hat sich bislang nicht systematisch mit den historischen Erfahrungen auf diesem Gebiet beschäftigt. Wir halten es für notwendig, in den kommenden zwei bis drei Jahren die Diskussion um diese Erfahrungen aufzunehmen
und damit die theoretische Grundlage zu erweitern, auf
der wir als VSP gemeinsam handeln können.
Als im Sommer 1847 der „Bund der Kommunisten“ gegründet wurde, der nur wenige Mitglieder umfasste, handelte es sich um eine internationale Propagandagesellschaft, die hauptsächlich Bildungsabende organisierte.
Deutsche Emigranten spielten in der Organisation eine
entscheidende Rolle. Im Auftrag dieses „Bundes“ schrieb
Marx das „Kommunistische Manifest“. Als Organisation,
die sich auf den Marxismus, den wissenschaftlichen Sozialismus, beruft, knüpfen wir an die internationalistische
Sichtweise von Marx an, der sich immer wieder um den internationalen Aufbau bemühte, ob mit größeren oder mit
geringeren Kräften, die diesen Aufbau unterstützten. Das
„Manifest“ als Dokument einer nur nationalen Strömung
wäre undenkbar gewesen.
Als Marx zusammen mit französischen, britischen und
deutschen Genossen (und Genossinnen… ?) im April 1850
in London die „Weltgesellschaft der revolutionären Kommunisten“ gründete, handelte es sich ebenfalls um eine
sehr kleine internationale Organisation. Was sie nicht hinderte, ihre himmelsstürmenden Ziele mit bündiger Verve
so zu formulieren:
„Das Ziel der Assoziation ist der Sturz aller privilegierten Klassen, ihre Unterwerfung unter die Diktatur des Proletariats, in welcher die Revolution in Permanenz gehalten
wird bis zur Verwirklichung des Kommunismus, der die
letzte Organisationsform der menschlichen Familie sein
wird.“ (Aus Artikel 1 der Statuten.)
Doch die eigentliche Vorgeschichte der „Internationale“
ist das „Fest der internationalen Verbrüderung“ im August
1862 in London, bei dem französische Arbeiterdelegierte
und englische Arbeiterführer zusammenwirkten. Als der
polnische Aufstand auf scharfe Repression stieß, organisierten diese Kräfte am 22. Juli 1863 ein Polen-Meeting in
London zur Unterstützung der Aufständischen. Im Aufruf
des Ausschusses ist im ersten Teil von dieser Unterstützung die Rede, im zweiten Teil wird das Problem dargestellt, wie die Proletarier der verschiedenen Länder vom
Kapital gegeneinander ausgespielt werden: sobald in England Arbeitszeitverkürzungen und Lohnsteigerungen gefordert werden, droht die Bourgeoisie mit der Einfuhr billiger Arbeitskräfte aus dem Kontinent. Hiergegen ist es
notwendig, dass das Proletariat internationale Verbindungen schafft…
1
Eine neue Internationale wird nicht umhinkommen, die
bisherigen Erfahrungen internationaler Organisierung auszuwerten, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.
Gerade die III. Internationale, in deren Erbe sich die beiden Komponenten der Vereinigung zur VSP gesehen haben, das jüngste Beispiel einer internationalen revolutionären Organisation mit realem internationalen Masseneinfluss, steht auch uns heute geschichtlich nahe als erster
Versuch einer umfassenden internationalistischen Antwort
auf die Perspektive der sozialistischen Revolution im imperialistischen Zeitalter. In den nächsten Jahren sollte die
VSP in ihrer theoretischen Arbeit und Diskussion der Aufarbeitung der Erfahrung der III. Internationale besondere
Aufmerksamkeit widmen, konzentriert zuerst auf die Bedingungen und die Politik ihrer Gründungsphase und ihre
Entwicklung nach der enttäuschten Hoffnung auf einen raschen Sieg der Revolution in Europa, sodann auf die Bedingungen und Gründe ihres Zerfalls.
Die weitere Beschäftigung mit der IV. Internationale
kann sich bereits auf Gemeinsamkeiten stützen, die in weiten Teilen der VSP geteilt werden. Die IV. Internationale
ist in der Tat eine revolutionäre Organisation, ein internationaler revolutionärer Zusammenschluss. Doch keine ihrer Sektionen – mit Ausnahme der ceylonesischen, die jedoch entartete und heute nicht besser ist als eine beliebige
sozialdemokratische Partei (LSSP, aus der IV. Internationale ausgeschlossen) – erlangte jemals wirklichen Masseneinfluss, führte Revolutionen zum Sieg oder bedeutende
Massenbewegungen zu Erfolgen. Die Tatsache, als so kleine Organisation internationale Kontinuität zu wahren,
über den langen Zeitraum von 50 Jahren hinweg, ist eine
unbestreitbare Errungenschaft – die auch ihre Kehrseite
hat: Die mögliche geschichtliche Rolle einer solchen Organisation muss sich daran erweisen, ob es ihr gelingt, einen
Beitrag zum Aufbau revolutionärer Parteien zu leisten, die
im Klassenkampf ihrer Länder wurzeln, einen Beitrag zum
Zusammenschluss der revolutionären, internationalistischen Kräfte weltweit, einen Beitrag – wenn nicht zur Masseninternationale, die ohne revolutionäre Durchbrüche in
Teilen der Welt kaum denkbar ist – so doch zu einer Internationale, die nicht lediglich als Ausdruck einer bestimmten Strömung im Marxismus erscheint.
Nach den Texten und Resolutionen der IV. Internationale ist sie sich dieses Problems bewusst und beansprucht
nicht „die Internationale“ zu sein. Doch ob sie in der Realität diesen Beitrag leisten kann ist nicht von Erklärungen
abhängig, sondern muss die Zukunft praktisch zeigen. Die
VSP, im Bewusstsein ihres Charakters als Zusammenschluss verschiedener Strömungen, den sie weiter vorantreiben will, wird die Zusammenarbeit und Debatte auch
international mit verschiedenen Strömungen vorantreiben,
um ihren – sei es noch so bescheidenen – Beitrag zum Aufbau einer neuen, revolutionär-sozialistischen Internationale zu leisten.
Dieser Anhang zur Resolution wurde von der aoZDK der VSP
zur Veröffentlichung gebilligt.
Schlachtruf „In der Internationale liegt der Schwerpunkt
der Organisation des Proletariats“, denn die lockere, wenig
verbindliche Assoziation der nationalen Parteien zerstob
unter dem Druck des Chauvinismus und der Kriegshetze
der jeweiligen Bourgeoisien. Burgfrieden im Innern zwecks
Aggression nach außen, das Aufeinanderhetzen der Arbeiterinnen, Arbeiter, Ausgebeuteten und Unterdrückten gegeneinander im Bündnis mit der jeweils „eigenen“ Bourgeoisie wurde zur Quintessenz der sozialdemokratisch-bürgerlichen Politik in der Arbeiterbewegung.
Der Bankrott der II. Internationale blieb nicht unbeantwortet. Eine Internationale Sozialistische Frauenkonferenz
im März und eine Internationale Sozialistische Jugendkonferenz im April 1915 (beide in Bern) stemmten sich gegen
den Sozialpatriotismus und den Zerfall internationalistischer Praxis, die allein den revolutionären Charakter sozialistischer Politik wahren konnte. Dem folgten die Konferenzen von Zimmerwald (September 1915) und Kienthal
(April 1916), auf denen eine „Internationale Sozialistische
Kommission“ geschaffen wurde. In diesem – im Vergleich
mit den Kräften der II. Internationale – winzigen Häuflein
internationalistischer Genossinnen und Genossen musste
zudem der Kampf zwischen denen ausgetragen werden,
die auf eine Regeneration der II. Internationale hofften,
und denjenigen (wie insbesondere Lenin), die ihren Bankrott als endgültig erkannt hatten und die Gründung einer
neuen, der III. Internationale ansteuerten.
Diese Idee wurde vor allem von der bolschewistischen
Partei vorangetrieben. Lenin formulierte sie in Punkt 10
der „Aprilthesen“: „Initiative zur Gründung einer revolutionären Internationale…“ Lenin betont die Notwendigkeit der Gründung, „auch wenn die Zahl klein ist“. Doch
gestützt auf die Ausstrahlung der Oktoberrevolution und
die ihr folgende Welle revolutionärer Krisen und Massenerhebungen in Europa beinhaltet die Gründung der Kommunistischen Internationale im März 1919 eine wirkliche
und existenzielle Herausforderung der Trümmer der II. Internationale – und des kapitalistischen Weltsystems. Zum
ersten Mal wird eine Internationale gegründet, die sich unmittelbar die Aufgabe der Eroberung der politischen
Macht durch die Arbeiterklasse, die weltweite Revolution
als Kette nahe beieinanderliegender nationaler Machteroberungen zum Ziel setzt. Sie versteht sich nicht als Föderation, sondern als internationale Kampforganisation.
Auch die III. Internationale hat ihre Ziele nicht erreicht
und ist zerfallen. Die beiden verschiedenen Strömungen,
aus denen die VSP entstanden ist, haben unterschiedliche
Erklärungen und Interpretationen der Geschichte der
Kommunistischen Internationale und ihres Zerfalls. Tatsache ist: In breiten Teilen der Arbeiterbewegung wird – soweit überhaupt eine Vorstellung damit verbunden wird –
die Kommunistische Internationale als ein Gebilde gesehen, das von einer Partei und ihrer Führung, aus einem
Land, aus Moskau beherrscht worden war und sieht hierin
die negative Seite ihres Zentralismus (der seinerseits eine
Antwort auf den Zerfall der II. Internationale war).
2
Herunterladen