Elektronische Masterarbeiten Hinweis zum Urheberrecht: Für Dokumente, die in elektronischer Form über Datennetze angeboten werden, gilt uneingeschränkt das Urheberrechtsgesetz (UrhG). Nach § 53 des Urheberrechtsgesetzes dürfen von geschützten Werken einzelne Vervielfältigungen (z.B. Kopien, Downloads) nur zum privaten, eigenen wissenschaftlichen oder – mit Einschränkungen – sonstigen eigenen Gebrauch hergestellt werden, d.h. die Vervielfältigungen dürfen nicht an Dritte weitergegeben werden. Jede weitergehende Nutzung bedarf der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Genehmigung der Urheberin/des Urhebers bzw. der Autorin/des Autors. Die Benutzerin/Der Benutzer ist für die Einhaltung der Rechtsvorschriften selbst verantwortlich. Sie/Er kann bei Missbrauch haftbar gemacht werden. Gefahrenkognition: Anwendbarkeit für die Fortbildung der Polizei ? Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ von Tanja Veljovic Erstgutachterin Frau PR`in Katja Kruse Deutsche Hochschule Gründung Zweitgutachter Herr POR Udo Tönjann LAFP NRW Münster, 30. Juli 2008 der Polizei in Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ..............................................................................................................3 Aufbau der Arbeit..............................................................................................4 1. Begriffe und Erklärungen..............................................................................5 2. Kategorisierung der Masterarbeit in den wissenschaftlichen Kontext ........9 3. Aussagen der Literatur ................................................................................12 3.1 Gefahrenkognition..................................................................................12 3.2 Wahrnehmung........................................................................................14 3.3 Ordnungskategorien...............................................................................15 3.3.1. Repräsentativitäts- Heuristik .............................................................16 3.3.2 Verfügbarkeits- Heuristik ..................................................................17 3.4 Stress .......................................................................................................18 3.5 Lernen.....................................................................................................22 3.6 Gefahrenradar........................................................................................26 4. Das Experteninterview.................................................................................31 4.1 Methodik.................................................................................................31 4.2 Interview- Leitfaden ...............................................................................33 4.3 Aufbau des Interview- Leitfadens..........................................................35 5. Interviews .....................................................................................................39 5.1 Auswertung der Interviews....................................................................39 5.2 „Tit- for- Tat“- Strategie........................................................................66 6. Fazit ..............................................................................................................69 Literaturverzeichnis.........................................................................................73 Internetquellen .................................................................................................76 Anlage 1 ............................................................................................................77 Anlage 2 .......................................................................................................... 139 Erklärung ....................................................................................................... 149 2 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Vorwort Genauso lange wie es Angriffe gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gibt, versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Polizistinnen und Polizisten diese Angriffe zu untersuchen und auf ihre Vermeidbarkeit hin zu analysieren. Dadurch kam es immer wieder zu Neuerungen in der Aus- und Fortbildung: In Nordrhein- Westfalen werden seit 2002 die sog. „Neuen Eingriffstechniken“ trainiert, die die Beamtinnen und Beamten in die Lage versetzen, schneller und effektiver auf körperliche Angriffe zu reagieren. Erst im Jahr 2006 wurde im Land Nordrhein- Westfalen die „Integrierte Fortbildung“ in das „Einsatztraining 24“ überführt, welches zum Ziel hat, die Zielgruppen ganzheitlich (Taktik, Eingriffstechniken, Schießen/Nichtschießen, Kommunikation) und damit realitätsnah zu trainieren. Weiterhin wurde die Ausrüstung ständig verbessert: So wurden persönlich zugewiesene Schutzwesten in NRW flächendeckend für den Wach- und Wechseldienst beschafft, die Vollmantelmunition für die Dienstwaffen wurden durch die Munition „Action 4“ ersetzt, das Pfefferspray hat das alte „Tränengas“ abgelöst und an die Stelle der veralteten Dienstpistole P 6 von Sig Sauer trat eine zeitgemäße Waffe mit höherer Schusskapazität. In der Literatur gibt es viele Ansätze, die sich mit dem Verhalten von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in „gefährlichen“ Situationen auseinandersetzen und dadurch versuchen, Einwirkungsmöglichkeiten zu finden, das polizeiliche Einschreiten sicherer zu machen. In dieser Arbeit sollen die verschiedenen Aspekte, die für die polizeiliche Fortbildung wichtig sind, zusammengetragen werden. So ergeben sich in der Disziplin Psychologie Ansätze in den Bereichen der Gefahrenkognition, des Wahrnehmens sowie des Lernens; im Bereich der Sicherheitswissenschaft als fächerübergreifende Disziplin sind die Stresstheorien von besonderer Bedeutung. 3 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben, aber dennoch versuche ich in der Masterarbeit, weitere Ansatzpunkte zur Verbesserung der „Eigensicherung“ für den Wach- und Wechseldienst und die Spezialeinsatzkommandos zu finden und zu beschreiben. Die Angaben in der Arbeit beziehen sich ausschließlich auf das Bundesland Nordrhein- Westfalen. In den verschiedenen Länderpolizeien und der Bundespolizei existieren verschiedene Ausbildungswege (mittlerer/ gehobener Dienst) sowie unterschiedlich strukturierte Fortbildungsorganisationen und – konzepte. Dadurch sind die Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit nur bedingt auf andere Bundesländer und den Bund übertragbar. Wenn ich in dieser Arbeit immer wieder von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten spreche, die die Eigensicherung nicht ernst nehmen oder die sich nicht nach allen Kräften bemühen, das Bestmögliche aus sich heraus zu holen, ist mir klar, dass es sich dabei nicht um alle oder den überwiegenden Teil derer handelt, die in den verschiedenen Sparten der Polizei wirklich gute Arbeit verrichten. Ich möchte keineswegs diejenigen angreifen, die mit ihrer Sensibilisierung für die Eigensicherung sich selbst und andere im täglichen Dienst vor Schaden bewahren. Doch selbst bei diesen besteht die Gefahr, durch alltägliche Routine und ein gewisses Sicherheitsempfinden, Nachlässigkeiten und Unaufmerksamkeiten zu erliegen. Die Ausführungen der Arbeit erklären auch die Menschlichkeit und Normalität dieser Unaufmerksamkeiten. Aufbau der Arbeit Mir ist wichtig, zunächst die Begrifflichkeiten zu erläutern (Kapitel 1), die in dieser Arbeit häufig vorkommen, aber teilweise unterschiedlich benutzt werden. Das Kapitel 2 erklärt, in welche wissenschaftliche Disziplin diese Arbeit einzuordnen ist, bzw. welche Fachbereiche betroffen sind. In Kapitel 3 werde ich einen Teil der bisherigen Literatur zu den Thematiken „Wahrnehmung“, „Stress“ und „Lernen“ zusammenführen und diskutieren und 4 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ dabei insbesondere auf den Begriff der Gefahrenkognition von Prof. Dr. HansPeter Musahl, Universität Duisburg- Essen, eingehen. Musahl beschreibt, dass Menschen in den meisten Fällen, zu 70 Prozent, eine Situation richtig einschätzen. In 15 Prozent der Fälle werden Situationen als gefährlich wahrgenommen, obwohl sie es objektiv nicht sind. In den verbleibenden 15 Prozent wird eine objektive Gefahrenlage als subjektiv ungefährlich erlebt.1 Dem Gesetz der Logik folgend, ist die Wahrscheinlichkeit von Unfällen erhöht. Die Arbeiten von Prof. Dr. Musahl beziehen sich dabei nicht spezifisch auf die Polizei, sondern in der Hauptsache auf den Bergbau sowie auf metallverarbeitende Industriebetriebe. Eine Frage der Masterarbeit ist, wie sich die polizeiliche Fortbildung das Wissen um Gefahrenkognition nutzbar machen kann, und ob sich daraus Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung der Eigensicherung ergeben. In Kapitel 4 erläutere ich, warum ich mich für Experteninterviews als Methode zur wissenschaftlichen Beantwortung der Fragestellungen dieser Arbeit entschieden habe. Ich stelle den Interview-Leitfaden vor und begründe abschließend die Notwendigkeit der einzelnen Fragenkomplexe. Im weiteren Verlauf der Arbeit, in Kapitel 5, fasse ich die Antworten aus fünf Experteninterviews zusammen. Die vollständigen Abschriften befinden sich als Anlage 1 im Anhang. 1. Begriffe und Erklärungen Die nachfolgenden einführenden Erläuterungen dienen zum ersten Verständnis über häufig gebrauchte Begriffe. Einige werden in späteren Kapiteln ausführlicher betrachtet. 1 Musahl, H.-P./ Bahners, Fritz, 2007, S. 4 5 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Was hat Eigensicherung mit Arbeitssicherheit zu tun? „Arbeitssicherheit“ bedeutet unfallfreie Arbeit und ist das Ziel aller Bemühungen in der Unfallverhütung. Diese bestehen darin, Gefahren bei der Arbeit weitgehend auszuschalten durch Gestaltung der Arbeitsmittel, des Arbeitsablaufs, Beherrschung der Tätigkeit und schließlich auch durch Wecken des Willens der Arbeitenden, selbst ständig auf sicheres Arbeiten bedacht zu sein.“2 Polizeiliche Eigensicherung ist ein Teil der Arbeitssicherheit.3 Auch andere Berufsgruppen kennen berufsspezifische Eigensicherungen. Diese Masterarbeit befasst sich aber mit der polizeilichen Eigensicherung, die im Folgenden schlicht als Eigensicherung bezeichnet wird. Die Polizeibeamtin und der Polizeibeamte unterliegen, wie andere Arbeitnehmer auch, den verschiedensten Gefahren. So können sie im Dienst einen Unfall erleiden, weil sie ohne Fremdeinwirkung stürzen. Oder sie verletzen sich, weil jemand anderes ihnen durch Zuschlagen einer Tür im Wachraum die Finger einklemmt. Alles dies wären Fälle von Arbeitsunfällen, nicht aber von Unfällen durch Vernachlässigung der Eigensicherung. Bei der polizeilichen Eigensicherung geht es darum, den Eintritt eines Schadens, unter anderem durch den Angriff eines oder mehrerer anderer Menschen, zu verhindern. Eigensicherung beinhaltet auch technische Aspekte: So kann eine Schutzweste das sonst möglicherweise tödlich wirkende Geschoss auf eine schwere Rippenprellung reduzieren. Säurefestes Schuhwerk verhindert Verletzungen an den Füßen. Ein Schutzschild kann den Wurf eines Pflastersteines nicht verhindern, aber die Folgen verringern. Ein anderer Aspekt von Eigensicherung befasst sich mit dem Verhalten der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Ein eigensicherndes Verhalten ist 2 Volkmann, Paul, 1980, S. 9 3 Meier- Welser, C. / Jäger, Joachim, 1983, S. 7 6 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ beispielsweise zu erkennen, wenn eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter einen bestimmten Abstand zu einer aggressiven Person einhält. Eigensicherung kann sich auch dadurch äußern, dass eine aggressive Person (rechtmäßig) gefesselt wird. Eigensicherung ist ferner dann feststellbar, wenn die Polizeibeamtin oder der Polizeibeamte ein brennendes, stark verqualmtes Haus verlässt, bevor sie oder er zu Schaden kommt. Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Der Begriff „Eigensicherung“ wirkt auf den ersten Blick begrenzend auf die Person, die sich selber, also die eigene Person sichert. Gleichwohl bezieht sich Eigensicherung im allgemeinen Sprachgebrauch der Polizei aber auch auf die Sicherung, die die Polizeibeamtin A für den Polizeibeamten B im Einsatz übernimmt. Man würde A Vernachlässigung der Eigensicherung für B vorwerfen, wenn sie ihren Kollegen nicht z.B. durch aufmerksame Bereitschaft zum Einschreiten sicherte. Oder hat die Bezeichnung ihren Ursprung darin, dass eine Person eigene Maßnahmen zur Sicherung ergreift, also selbst aktiv handelt? Der Begriff bleibt verschwommen, und da eine Definition nicht zu finden ist, soll für diese Arbeit festgestellt werden, dass Eigensicherung das Verhalten einer Polizeibeamtin oder eines Polizeibeamten ist, das sie oder ihn selbst und andere vor Gefahren schützt. Der Schwerpunkt liegt in meiner Arbeit auf Gefahren, die durch andere Menschen, durch Angriffe, hervorgerufen werden. So schließt sich die Frage nach dem Gefahrenbegriff an, der aus polizeilicher Sicht kein Problem darstellen sollte, ist doch immer wieder von Gefahrenabwehr, der konkreten oder abstrakten Gefahr oder der Gefahr für Leib oder Leben die Rede. Gefahr wird beschrieben als Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden irgendeiner Art eintritt. 4 4 Spoerer, Edgar, 1983, S. 77 7 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Hier wird bereits deutlich, dass es sich nicht um eine allgemein gültige Definition handeln kann, denn eine Person kann etwas als Schaden empfinden, während eine weitere Person den gleichen Umstand nicht als Schaden bestimmt. Ebenso kann die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Der Gefahrenbegriff hat also eine subjektive Komponente, die bei dieser Arbeit im Fokus steht. Gefahren existieren aber auch in objektiver Hinsicht: Wenn ein Lebenssachverhalt den gemeinsamen Erfahrungen nach zu einem schädigenden Ereignis führt, obliegt die Einstufung als „gefährlich“ nicht mehr allein dem subjektiven Urteil einer Person. Der objektive Gefahrenbegriff ist schwer fassbar, wissenschaftlich kaum gültig und von sehr begrenzter Zuverlässigkeit. Denn rein theoretisch kann sich aus nahezu jedem Lebenssachverhalt eine Gefahr entwickeln. Es besteht demnach immer eine Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes. Wie groß ist aber die objektive, messbare Gefahr? Messen kann man die Zahl der Unfälle, also die Zahl der Schadenseintritte für einen definierten Bereich. Beim ordnungsgemäßen Kassieren an einer Registrierkasse kann man für eine definierte Anzahl von Arbeitsstunden zählen, wie oft es zu Schäden im Zusammenhang mit der Tätigkeit Kassieren gekommen ist. Erhebt man zum Vergleich für dieselbe Anzahl von Arbeitsstunden, wie oft es zu Schäden im Zusammenhang mit der Tätigkeit „Nagel in die Wand schlagen“ kommt, wird vermutlich die Anzahl der Schädigungen oder Unfälle höher sein. Folglich ist das Hämmern objektiv gefährlicher als das Kassieren, aber völlig ungefährlich ist das Kassieren auch nicht, lediglich in der nachträglich erfolgenden Betrachtung für den gemessenen Zeitraum. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Schadenseintritt kommt, ist auf eine unbegrenzte Zeit in der Zukunft nicht auszuschließen. somit nicht gleich Null. Laut Fremdwörterlexikon handelt es sich bei Kognitionen um Erkenntnisse und / oder Wahrnehmungen.5 In der Psychologie bezeichnet der Begriff die mentalen 5 http://services.langenscheidt.de/fremdwb/fremdwb.html, Recherchedatum: 08.06.2008 8 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Prozesse und Strukturen. Ebenso werden Kognitionen als Informationsverarbeitungsprozesse verstanden. 6 Mit einem Beispiel Musahls ist der Begriff verständlich: Fragt man jemanden danach, für wie gefährlich er das fiktive Ereignis X hält, so wird dieser eine Vorstellung von der Situation entwickeln und diese danach einschätzen. Dieses „interne Bild“ entspricht seiner (Ereignis-) Kognition.7 Durch die Frage wird ein Reiz gesetzt, der mit dem, was genau diese Person bisher kognitiv wahrgenommen und gespeichert hat, abgeglichen, eingeordnet und zugeordnet wird. Diese Ein- und Zuordnungsprozesse werden in Kapitel 3.3 anhand der Heuristiken erläutert. Gefahrenkognition wird in der psychologischen Unfallforschung als das individuelle „Wahrnehmen und Erkennen von Gefahren und Risiken“ verstanden.8 Wahrnehmung ist der komplexe Vorgang von der Informationsaufnahme und -verarbeitung bis zum Wahrnehmungsurteil als dem Ergebnis dieses Prozesses.9 2. Kategorisierung der Masterarbeit in den wissenschaftlichen Kontext Die Unfallpsychologie, mittlerweile zur Freude der Forscherinnen und Forscher häufiger als Sicherheitspsychologie bezeichnet, steht nicht isoliert als von der u.a. die eigenständige wissenschaftliche Disziplin da. Zunächst unterscheidet „Angewandten man Psychologie die im „Allgemeine engeren Psychologie“ Sinne“, worunter Ingenieurspsychologie mit ihrer Teildisziplin „Sicherheitspsychologie“ zu fassen ist. Die Sicherheitspsychologie bedient sich der Allgemeinen Psychologie mit ihren grundsätzlichen Erkenntnissen aus den Bereichen der Wahrnehmung, des Lernens und der Motivation, sowie der Arbeitspsychologie, welche sich mit Fragen des 6 http://de.wikipedia.org/wiki/Kognition, Recherchedatum: 08.06.2008 7 Musahl, 1997, S. 51 8 Musahl, 1997, S. 102 9 Musahl, 1997, S. 103 9 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Arbeitsverhaltens, der Arbeitsanalyse und den Belastungen und Motivationen der Arbeitnehmer befasst.10 Die Ingenieurspsychologie, die darüber hinaus als Psychologie der „MenschMaschine- Systeme“ bezeichnet wird, bildet den Überbau für die Sicherheitspsychologie. Der Mensch, dessen Verhalten später im Mittelpunkt der Betrachtung steht, ist demnach ein Teil eines komplexen Systems „Mensch- Maschine- Organisation“, das miteinander in Wechselwirkung steht, was aus Abb. 111 schematisch und verstehbar zu entnehmen ist. Maschine Organisation Mensch Abbildung 1 Das Schema ist passend für die Industrie und Bereiche, in denen mit Maschinen umgegangen wird. Die Unfälle in diesen Arbeitszweigen entstehen vielfach durch die direkte Wechselwirkung zwischen Mensch und Maschine. Die Organisation Polizei ist bisher nicht in diesem Sinne betrachtet und untersucht worden, so dass die Abbildung gedanklich erweitert und angepasst werden muss. Unter Organisation ist dann das „Unternehmen Polizei“ als Arbeitgeber zu verstehen. Hier werden z.B. Vorgesetzte jeder Ebene erfasst, wenn sie für die Organisation auftreten. Aus- und Fortbildung sowie selbst Verfügungen und Erlasse werden ebenfalls eingeschlossen. 10 Musahl, 1997, S. 21 11 Musahl, 1997. S. 23 10 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Zu den Maschinen gehören die Arbeitsgeräte, mit denen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte umzugehen haben; vom Atemalkoholmessgerät über eine Ramme bis hin zur Dienstwaffe ist alles enthalten. Das Feld „Mensch“ beinhaltet alle Menschen innerhalb der Organisation mit ihren vielfältigen spezifischen Merkmalen, individuellen Leistungen, Fähigkeiten, Lernprozessen und Erfahrungen. 12 Wenn nun eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter in Wechselwirkung mit der Dienstwaffe einen Schaden/ einen Unfall erleidet, ist die Schnittmenge Mensch- Maschine das erforderliche Untersuchungsfeld. Thema dieser Arbeit sind aber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die durch den Angriff eines anderen Menschen beeinträchtigt werden. Diese Art „Unfall“ scheint man nicht auf den ersten Blick in das Schema einordnen zu können. Die Gefahrenkognition sowie der Prozess der Wahrnehmung von Gefahren, die für die einzelne Person individuell sind, stellen einen Schwerpunkt der Untersuchung dar. Die mögliche Gefahrenunterschätzung kann zu einem Angriff auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte führen. Damit liegt dieser Komplex ohne Wechselwirkung im Feld „Mensch“. Für eine Untersuchung der Wechselwirkung zwischen den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit den Angreifern müsste das Schema um einen weiteren Kreis ergänzt werden, nämlich den, der Personen außerhalb der Organisation beinhaltete. Bei der Auswertung der Interviews in Kapitel 5 werden weiterhin Aussagen getroffen, die die Wechselwirkungen Mensch- Organisation betreffen, z.B. im Bereich der Aus- und Fortbildung. Seit ca. 30 Jahren gibt es die noch junge Disziplin der „Sicherheitswissenschaft“. Laut der Gesellschaft für Sicherheitswissenschaft (GfS), die 1978 gegründet wurde, handelt es sich dabei um „die Forschung und Lehre von der methodischen und systematischen Analyse und Kontrolle der Risiken speziell der MenschTechnik-Umwelt-Systeme zum Zwecke der Verringerung der Häufigkeit und Schwere von Schäden und Verlusten mit risikologischen Strategien.“13 12 Musahl, 1997, S. 24 13 http://www.gfs-aktuell.de/Wir_ueber_uns.html, Recherchedatum: 10.06.2008 11 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Diese Wissenschaft begreift sich als fächerübergreifende Disziplin und hat es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, Fragestellungen zu entwickeln, welche die Vermeidung und Abwehr von Gefahren und Schäden fördern, und Prozesse im Hinblick auf diese Fragestellung zu untersuchen. Ein weiterer Anspruch der GfS ist es, die sicherheitsrelevanten Erkenntnisse und Erfahrungen zu verbreiten und auszutauschen. Damit lässt sich diese Arbeit der Sicherheitswissenschaft zuordnen. Eine Schwierigkeit der Ingenieurspsychologie und Sicherheitswissenschaft ergibt sich daraus, dass es einen erheblichen Mangel an Daten gibt. Damit ist nicht gemeint, dass Daten über Unfälle grundsätzlich nicht erfasst würden, sondern, dass es, statistisch gesehen, wenige Unfälle gibt, die man erfassen und auswerten kann. Nimmt man an, dass Sicherheitsarbeit mit all ihren unfallverhütenden Maßnahmen erfolgreich ist, müsste die empirische Datenbasis immer geringer werden.14 Fehlende Datenbasen sind auch eine Problemstellung dieser Arbeit, denn bei der Polizei gibt es derzeit kein einheitliches, behörden- oder gar länderübergreifendes Meldewesen, welches Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte systematisch, valide und auswertbar erfasst.15 3. Aussagen der Literatur 3.1 Gefahrenkognition Die kurze Erläuterung aus Kapitel 2, (Gefahrenkognition wird in der psychologischen Unfallforschung als das individuelle „Wahrnehmen und Erkennen von Gefahren und Risiken“ verstanden.16 ) soll hier vertieft werden. 14 Musahl, 1997, S. 29 15 Vgl. , Kapitel 4/ Methodik dieser Arbeit 16 Musahl, 1997, S. 102 12 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Fest steht, dass Menschen die meisten Situationen richtigerweise als gefährlich oder eben ungefährlich einstufen. In diesen Fällen stimmt die objektive Gefahrenlage mit der subjektiven Einschätzung überein. 17 Die Abbildung 218 verdeutlicht dies: objektive Gefahr subjektiv „gefährlich“ A B C Abbildung 2 Schwierigkeiten gibt es sodann nicht in der gemeinsamen Schnittmenge B, sondern in den abweichenden Bereichen. Relativ unproblematisch aus sicherheitswissenschaftlicher Sicht ist die subjektive Überschätzung der Gefährlichkeit einer Situation, Teilmenge A. Zwar kommt es in diesem Fall auch zu erhöhter Aufmerksamkeit, ggfls. zu Stress, die Unfallwahrscheinlichkeit ist aber nicht erhöht. Die negativen Auswirkungen von Stress führe ich in Kapitel 3.4 aus. Für die Sicherheitsarbeit relevant ist der Bereich C, wo Gefahren subjektiv negiert werden, obwohl sie objektiv vorhanden sind.19 Gleichwohl geht es bei der subjektiven Gefahreneinschätzung nicht ausschließlich um die Verarbeitung von Kenntnissen über objektiv ermittelte Sachverhalte. Irrationale Momente wie beispielsweise Angst spielen ebenso eine Rolle.20 17 Musahl, H.-P./ Bahners, Fritz, 2007, S. 2 18 Musahl, 1997, S. 30 19 Musahl, 1997, S. 30 f 13 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Das Wissen darum, dass etwas nicht wirklich gefährlich ist, verringert die dazugehörigen Ängste nicht. Obwohl objektiv betrachtet die Gefahr, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen sehr gering ist, hindert Flugangst trotzdem an der Reise mit dem Flugzeug. Gefahrenlagen werden durch die Gefahrenkognition interpretiert. Lernprozesse beeinflussen die Gefahrenkognition und können damit auch Einfluss auf die Eigensicherung nehmen.21 Wie kommen Menschen zu richtigen oder falschen Einschätzungen? Wie haben sie diese Kognitionen, diese internen Bilder ausgebildet? Und vor allem, wie kann man korrigierend auf Fehleinschätzungen Einfluss nehmen? 3.2 Wahrnehmung Ein neuer Reiz, eine Information, muss erst einmal wahrgenommen werden, um danach i. S. der Gefahrenkognition eingeordnet werden zu können. Das, was einer Person zum bewussten und unbewussten kognitiven Abgleich zur Verfügung steht, muss sie irgendwann vorher einmal wahrgenommen haben. Die Möglichkeit, Informationen zu verarbeiten ist begrenzt. Der Mensch ist in der Lage, pro Sekunde drei bis fünf Objekte zu sehen (visueller Kanal), bis zu drei Wörter zu hören (auditiver Kanal) und taktil drei Einzelinformationen zu erfassen.22 Im „Arbeitsspeicher“ des menschlichen Gehirns können diese ankommenden Informationen weiter verarbeitet werden. Drei Verknüpfungen pro Sekunde sind möglich, die auf das weitere Verhalten Einfluss nehmen. Die Abgabe der Informationen äußert sich nach dem Verknüpfen in z.B. drei Handgriffen oder drei Wörtern pro Sekunde. Dieser Vorgang vom Aufnehmen der ankommenden Informationen über das interne Verknüpfen und die anschließende Informationsabgabe dauert etwa fünf Sekunden. Dieser Zeitraum wird als Gegenwartsdauer beschrieben.23 20 Spoerer, Edgar, 1983, S. 78 21 Musahl, / Bahners, 2007, S. 2 22 Ungerer, / Morgenroth, 2001, S. 89 23 Ungerer, 1999, S. 28 14 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Die eingehenden Einzelinformationen Informationsgruppierungen werden zusammengefasst. Das zu Bild, übergeordneten die kognitive Repräsentation eines Ereignisses, ergibt sich also aus der Wahrnehmung und der internen, individuellen Verarbeitung des Wahrnehmenden. 24 Aufgrund der Vielzahl dessen, was ein Mensch bereits an angelegten Ordnungskategorien mitbringt, erscheint es erklärbar, warum zwei Menschen die objektiv gleiche Situation unterschiedlich beschreiben, bewerten und Schlüsse ziehen. 3.3 Ordnungskategorien Die wichtigsten Prinzipien, nach denen Menschen interne Ordnungskategorien anlegen, die zu einer Bewertung der Wahrnehmungen führen, unterliegen der naiven Logik, den als Heuristiken bezeichneten Problemlösungsmodellen. Vereinfacht kann man sich unter Heuristik eine simple Faustregel vorstellen, nach der komplexe Vorgänge beurteilt werden. Aufgrund ihrer kognitiven Begrenzung neigen Menschen dazu, Dinge so weit wie möglich zu vereinfachen, um sie überhaupt erst für sich erfassbar zu mache Solche Heuristiken laufen teilweise vollkommen unbewusst ab, teilweise werden sie aber auch mehr oder weniger überlegt angewendet. Gerade durch die unbewussten Vereinfachungen unterliegen Heuristiken aber vielen Fehlerquellen. Mit dem Wissen um diese Fehlerquellen ist es möglich, das Verhalten eines Menschen, das zunächst nicht nachvollziehbar erscheint, wieder verstehbar zu machen. Das Wissen um diese Heuristiken ist für den Sicherheitswissenschaftler von großer Bedeutung. Die zwei wichtigsten Heuristiken mit ihren Fehlerquellen werden hier aus diesem Grund kurz vorgestellt. 24 Musahl, 1997, S. 52 15 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 3.3.1. Repräsentativitäts- Heuristik Diese Heuristik wird auch als Ähnlichkeits- Klassifikation bezeichnet. Als Basis nimmt man den geschätzten Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen einer Stichprobe und einer Grundgesamtheit an.25 Sie ist eine Strategie, bei der die Häufigkeit von Ereignissen anhand ihrer vorhandenen oder nicht vorhandenen Ähnlichkeit mit anderen Ereignissen betrachtet wird. Dies führt zu systematischen Verzerrungen bei Schätzurteilen.26 Beispiel: Eine weibliche Person wird mit folgenden verschiedenen Charaktereigenschaften beschrieben: Einfühlsam, hilfsbereit, durchsetzungsstark und zuverlässig. Welchen Beruf hat diese Frau? Busfahrerin, Krankenschwester, Bibliothekarin oder Verwaltungsbeamtin,…? Die Zuordnung erfolgt anhand der Vorstellungen, die man sich von den verschiedenen Berufsgruppen aufgrund seiner Erfahrungen gemacht hat. Die meisten würden die genannten Eigenschaften der Krankenschwester zuordnen, weil dort die Übereinstimmungen mit den eigenen Erfahrungen und Kognitionen am größten sind. Fehlerquellen der Repräsentativitätsheuristik27 - Überschätzung der Vorhersagemöglichkeit: Soll man eine Vorhersage machen, ob im kommenden Studienjahr die Studierenden alle den Abschluss schaffen, so wird man sich an den vorherigen Jahren orientieren und davon ausgehen, dass es zu einem ähnlichen Ergebnis kommen wird. Statistisch wahrscheinliche Abweichungen werden ausgeblendet. - Halo- Effekt: Ein Merkmal überstrahlt die anderen so sehr, dass man sich nur noch daran orientiert. 25 http://www.finanzpsychologie.com/03354799d00ded101/index.html, Recherchedatum: 20.06.2008 26 http://www.ph-heidelberg.de/wp/grabowsk/lehre/heidelberg/ss03/vlkognition/Logik.PDF, Recherchedatum: 20.06.2008 27 Musahl, 1997, S. 63 16 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ - Gültigkeits- Illusion: Selbst, wenn man weiß, dass eine Aufzählung von vier Eigenschaften nicht ausreicht, um einen Menschen auf einen Beruf festzulegen (siehe Beispiel), bleibt die Überzeugung, dass die eigene Zuordnung trotzdem zutreffend ist. 3.3.2 Verfügbarkeits- Heuristik Urteile werden danach getroffen, wie leicht oder schwierig es ist, Gedächtnisinhalte abzurufen.28 So kennt jeder den Effekt, dass bestimmte Sachverhalte, die wochenlang in den Medien eine große Rolle gespielt haben, auf einmal sehr präsent bis überpräsent erscheinen. Nach etlichen Berichten über „Kampfhunde“, welche kleine Kinder angreifen, entsteht der Eindruck, dass es unglaubliche Massen dieser gefährlichen Hunde gibt, die nichts anderes tun als Menschen zu beißen. Die Ereignisse sind leicht verfügbar. Fehlerquellen der Verfügbarkeits- Heuristik 29 - Erinnerbarkeit von Beispielen: Die Aussage, „der X ist ein Choleriker, ein typischer Widder", zeigt, dass dem Mitteiler die Erinnerung daran fehlt, dass er schon hunderte "untypische Widder" getroffen hat, die nicht cholerisch veranlagt waren, und darum glaubt er an die angebliche Verbindung zwischen dem Charakter und dem Tierkreiszeichen. - Nachrichten- Seltenheit oder Nachrichten- Selektion: Beispiel Kampfhund, siehe oben. - Vorstellbarkeit: Kann man sich etwas kaum oder nicht vorstellen, weil es in der eigenen Gedankenwelt noch nie eine Rolle gespielt hat, so wird es eher ausgeblendet. 28 http://www.finanzpsychologie.com/03354799d00ded101/index.html, Recherchedatum: 19.06.2008 29 Musahl, 1997, S. 65 17 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Diese Heuristik spielt für die Gefahrenkognition eine besondere Rolle, denn Gefahren, die nur schwer oder gar nicht vorstellbar sind, werden schnell für nicht vorhanden oder nur selten auftretend gehalten. 30 Zum Beispiel fällt es Soldaten schwerer, rechtzeitig auf eine gutaussehende Frau um 23 Jahre zu schießen, selbst wenn sie wissen, dass es sich um eine Selbstmordattentäterin handelt.31 3.4 Stress Die verschiedenen Stresstheorien aufzuzählen und zu erläutern, würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Hier soll es vielmehr um eine übersichtliche Darstellung gehen, wie der Mensch auf Stress reagiert, vor allem aber, wie sich seine Wahrnehmung im Zustand von Hochstress verändert. Im Augenblick der Konfrontation mit physischen oder psychischen Belastungen kommt es zu einer Mobilisierung des gesamten Organismus: - Ausschüttung der Hormone Adrenalin, Noradrenalin, Serotonin - Erhöhung der Herzfrequenz und des Muskeltonus - Verbesserung der Sauerstoffversorgung des Körpers - Verbesserung der Blutversorgung von Gehirn und Muskeln 32 Der Organismus wird dadurch auf „Flucht“ oder „Angriff“ vorbereitet. Diese Mechanismen laufen selbst dann ab, wenn der Stressor, die auslösende Situation, gar nicht lebensbedrohend ist und Flucht oder Angriff erfolgen müsste. Menschen reagieren unterschiedlich auf Stress, d. h. die Auswirkungen der o.g. Mobilisierungen sind verschieden stark und können sich auf mehrere Ebenen ausdehnen. Die nachfolgenden Symptome stellen die negativen Auswirkungen von Stress (dem so genannten Disstress oder auch dysfunktionalem Stress) oder einem Übermaß an Stress dar. Die positiven Auswirkungen, dass Stress (positiver Stress wird auch als Eustress bezeichnet) auch erst leistungsfähig, aufmerksam, 30 Musahl, 1997, S. 68 31 Ungerer, 2003, S. 49 32 Ungerer/Morgenroth, 2001, S. 85f 18 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ wach macht, werden damit nicht negiert. Sie spielen lediglich eine untergeordnete Rolle für diese Arbeit. Kognitive Ebene: - Gedanken wie „Pass auf“, Das schaffe ich nie“, „Auch das noch“ - Blackout (Leere im Kopf) - Denkblockaden - Gedankenkreisel - Konzentrationsstörungen - Gedächtnisstörungen - Leistungseinbußen - Realitätsflucht - Wahrnehmungsverschiebungen Emotionale Ebene: - Panik, Ärger, Wut - Aggression, Angst - Nervosität, Gereiztheit - Unausgeglichenheit Muskuläre Ebene: - starre Mimik - Fingertrommeln und Muskelzittern - Leichte Ermüdbarkeit - Zähneknirschen - Spannungskopfschmerz, allgemeine Verspannungen Vegetativ- hormonelle Ebene: - trockener Mund, weiche Knie, hervortretende Adern - Engegefühl in der Brust - Herz- Kreislaufbeschwerden, Herzrasen, Herzstolpern - Hoher oder labiler Blutdruck - Schlafstörungen, chronische Müdigkeit - Übermäßiges Schwitzen, Hautveränderungen 19 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ - Schwindelanfälle, Atembeschwerden33 Die Auswirkungen auf der kognitiven Ebene zeigen, dass unter Stress die Denkabläufe zum Teil nur noch eingeschränkt ablaufen, das bedeutet, dass weitere eintreffende Informationen nicht oder nur noch bedingt verarbeitet werden können. Unter Stress ist der Mensch folglich weniger aufnahmefähig. Wenn eine Information, beispielsweise das Messer in der Hand eines Festzunehmenden, in den Arbeitsspeicher (Kapitel 3.2) der Einsatzkraft dringt, muss diese Information verarbeitet und bewertet werden. Zeitgleich werden aber auch die Größe und Statur der Person erkannt, die Handbewegung und die Bewegungsrichtung der Person müssen ebenfalls visuell wahrgenommen werden. Damit sind die drei bis fünf möglichen visuellen Sinneseindrücke, die der Mensch zugleich wahrnehmen kann, erschöpft. Die gestikulierende Frau oder gar eine zweite bewaffnete Personen werden nicht gesehen. Die zusätzlichen Sinneseindrücke wie Schreien, Ansprache des Kollegen, werden über den auditiven Kanal aufgenommen. Wie oben erläutert, werden alle diese Informationen mit denen abgeglichen, die bereits im Gedächtnis gespeichert sind. Die nun erfolgende Bewertung lautet „tödliche Gefahr“ und löst bestimmte Handlungen wie die unmissverständliche Täteransprache bis hin zur Bedrohung mit der Schusswaffe und der Schussabgabe aus. Stress verringert aber die Informationskapazität und somit kann es geschehen, dass die Einsatzkraft nicht wahrnehmen kann, dass die Person mit erhobenem Messer auf sie zuläuft, weil eine andere Information den Arbeitsspeicher bereits ausgefüllt hat. Eine Wahrnehmung und Bearbeitung ist erst zeitversetzt möglich. Stress führt folglich dazu, dass nicht mehr alles wahrgenommen werden kann, was nötig ist, um eine Situation vollständig zu erfassen. Bekannt ist der Terminus “Tunnelblick“ aus dem Bereich der Wahrnehmungsverzerrung unter Alkoholeinfluss. Auch bei erheblichem Stress kann es zu diesem Phänomen kommen. Die betroffene Einsatzkraft fokussiert ihre gesamte Wahrnehmung auf einen bestimmten Bereich, zum Beispiel die Person mit dem Gegenstand in der 33 http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/STRESS/Stress1.shtml#Typische%20Stressmerkmale, Recherchedatum: 11.06.2008 20 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Hand, weil dort die Gefahr am größten scheint. Die peripheren Randbereiche werden nicht mehr gesehen, auch wenn dort gegebenenfalls ein zweiter Angreifer auftaucht. Die Informationskapazität kann nicht erhöht werden, demzufolge muss der dysfunktionale Stress verringert werden, damit mindestens die normale Verarbeitungskapazität vorhanden bleibt. Dieses Ziel kann erreicht werden, in dem man Personen stressresistester / stressfester macht. Die meisten Menschen reagieren auf unbekannte Situationen mit Stress, so dass eine Möglichkeit, die Stressresistenz zu erhöhen, darin zu finden ist, möglichst viele Situationen bekannt zu machen. Untersuchungen haben ergeben, dass Personen, die über spezifische Kenntnisse verfügten, die für eine Gefahrensituation von Bedeutung waren, mit deutlich weniger Stress reagierten als andere. 34 Der erfahrene Bombenentschärfer, der gelernt hat, Zündmechanismen zu erkennen und um die Beschaffenheit bestimmter Sprengstoffe weiß, der gelernt hat, dass er in der Lage ist, eine Bombe zu entschärfen, reagiert mit weniger Anspannung und Stress auf eine zu entschärfende Bombe als der Berufsanfänger oder gar ein Laie. Der Profi wurde während seiner Ausbildung und danach in seinem Berufsleben mit gleichen oder ähnlichen Situationen vertraut gemacht und weiß, dass er sie bewältigen kann. Seine Informationsverarbeitungskapazität wird nicht verringert. In geübten Standardsituationen kommt es durch die Bekanntheit der Gefahren zu weniger stressbedingten Ausfällen.35 Zudem sind durch Drill erworbene Funktionen weniger stressanfällig als andere.36 Durch vielfache Wiederholung eines Ablaufs, z.B. des Nachladens einer Waffe, wird dieser Vorgang Bearbeitungskapazität im automatisiert Gehirn. Es abrufbar; werden er beansprucht dadurch keine Ressourcen im Arbeitsspeicher freigehalten. Handlungen werden erst dann automatisiert, wenn sie mehrere hundert Mal, je nach individueller Konstitution, abgelaufen sind. 34 Füllgrabe, 2002, S. 143 35 Ungerer, 2007. S. 88 36 Ungerer, in: Eigensicherung in der polizeilichen Praxis, 2001, S. 31 21 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 3.5 Lernen Wenn Menschen sich ihre verschiedenen Ordnungskriterien schaffen, dann tun sie dieses auch aufgrund ihrer spezifischen Sozialisation und Erfahrungen. Bilder von Erfahrungen werden zusammen mit den dazugehörigen Empfindungen im Gedächtnis gespeichert und bei Bedarf wieder zur Verfügung gestellt. In der Psychologie geht man davon aus, dass Verhalten nicht zufällig geschieht, sondern dass es das Resultat einer individuellen Lerngeschichte sowie aktuell vorliegenden Bedingungen ist.37 Unter den aktuell vorliegenden Bedingungen sind neben den äußeren Umständen einer Situation auch die individuellen Merkmale der handelnden Person wie zum Beispiel ihr persönlicher Stresslevel, die Tagesform etc zu verstehen. Mit einem lerntheoretischen Ansatz ist es möglich, das Verhalten der Polizeibeamtinnen und der Polizeibeamten so zu modifizieren, dass sie weniger sicherheitswidriges und mehr sicherheitsförderndes Verhalten zeigen. Musahl erwähnt, dass Sicherheitspsychologie nur wenige miteinander Autoren verknüpft bisher haben. 38 Lerntheorien Um sich und der Zusammenhänge bewusst zu werden, müssen einige Grundbegriffe der Lerntheorien klar sein. Ich werde hier nur die gängigen Prinzipien erläutern, die für das weitere Verständnis relevant sind. Eine ausführliche Vertiefung aller Lerntheorien ist für diese Arbeit weder zielführend noch erforderlich. Am Bekanntesten dürften die Theorien der klassischen Konditionierung von Ivan Petrowitsch Pawlow, die der operanten Konditionierung nach Burrhus Frederic Skinner und das Lernen am Erfolg nach Edward Lee Thorndike sein. Das klassische Konditionieren wird von vielen direkt mit dem „Pawlowschen Hund“ verbunden. Anhand dieser Versuchsanordnung ist die klassische Konditionierung gut nachvollziehbar: 37 Undeutsch, 1983, S. 95 38 Musahl, 1997, S. 165 22 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1. Ein Hund verbindet nichts mit dem Läuten einer Glocke, die Glocke ist ein neutraler Reiz. 2. Ein Hund zeigt bei einer Futtergabe als natürliche Reaktion Speichelfluss. 3. Bei jeder Futtergabe hört der Hund die Glocke läuten. 4. Der Hund lernt, das Klingeln mit der Futtergabe zu verbinden. 5. Der Hund zeigt deutlichen Speichelfluss auch ohne Futtergabe, wenn er das Läuten der Glocke hört. 6. Aus dem Speichelfluss ist eine bedingte Reaktion geworden. Die klassische Konditionierung liefert wenig Beschreibungen zum kognitiven/ schulischen Lernen, spielt aber indirekt eine Rolle, wenn man beispielshalber an Emotionen denkt, die durch klassische Konditionierung entstanden sind. Die von Pawlow entwickelte Lerntheorie ist nicht in der Lage, die Entstehung neuer Verhaltensweisen zu erklären, die bisher nicht im Verhaltensrepertoire eines Individuums waren. Mittels der klassischen Konditionierung ist es lediglich möglich, ein bereits vorhandenes Verhalten zu steuern, in dem es bei Reizen gezeigt wird, auf das es zuvor nicht gezeigt wurde. Skinner entwickelte die Theorie des operanten Konditionierens, wobei insbesondere das Reaktionslernen von Bedeutung ist. Hier geht es um das Entstehen und Verändern von freiwillig ausgelöstem Verhalten aufgrund von Reizen, die dem Verhalten folgen. Das operante Konditionieren Auftretenswahrscheinlichkeit besteht von in Verhalten der Beeinflussung durch der bestimmte Verhaltenskonsequenzen. Damit etwas als Verstärkung wirkt, muss der Lernende sein Verhalten direkt mit der Verstärkung verbinden. Bei einer Verstärkung kommt es immer zu einer Häufung des Verhaltens, egal ob die Verstärkung positiv oder negativ ist. (Positive und negative Verstärkung: siehe unten) Bei der Bestrafung geht es umgekehrt darum, dass ein gezeigtes Verhalten nach der Reizgebung weniger häufig gezeigt wird. 23 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Von Belang ist das Wissen, dass auch soziale Anerkennung als Verstärkung gilt wie auch im Bereich der Bestrafung soziale Ablehnung einsetzbar ist. Positive Verstärkung Beispiel: Ein Kind räumt sein Zimmer auf und erfährt durch Lob eine positive Konsequenz. Das Kind verbindet das Lob oder auch eine Belohnung mit dem Aufräumen und wird es in der Folge öfter tun. Einem gezeigten Verhalten folgt eine positive Konsequenz, die der Lernende auch unmittelbar mit dem Verhalten in Korrelation setzen kann. Das Verhalten „Zimmer aufräumen“ wurde positiv verstärkt. Negative Verstärkung Speziell die negative Verstärkung ist für das Sicherheitsverhalten von Bedeutung. Hier wird ein Verhalten dadurch verstärkt, also seine Auftretenswahrscheinlichkeit erhöht, weil ein erwarteter aversiver Reiz, die erwartete negative Konsequenz, ausbleibt. Beispiel: Studentinnen und Studenten wissen, dass Gespräche untereinander im Unterricht zu einer negativen Ansprache durch die Dozentin oder Dozenten führen. Wird nun dieses Verhalten gezeigt, der erwartete Tadel bleibt aber aus, kommt es in der Folge dazu, dass die Studentinnen und Studenten dieses Verhalten häufiger zeigen. Das Verhalten „im Unterricht reden“ wurde negativ verstärkt. Man fühlt sich durch die Folgenlosigkeit der Handlungsweise bestätigt. Bei Ängsten spielt negative Verstärkung ebenfalls eine große Rolle. Bei Flugangst wird das Fliegen vermieden. In der Folge kommt es nicht zu der erwarteten Panikattacke. Das Vermeidungsverhalten wird negativ verstärkt, in seinem Auftreten gestützt. Bestrafung durch aversive Reize Dem aufgetretenen Verhalten folgt eine Bestrafung durch einen aversiven Reiz, der dem Lernenden unangenehm sein muss. 24 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Beispiel: Eine Schülerin oder Schüler stören den Unterricht, die Lehrerin oder der Lehrer reagieren mit der Erteilung einer zusätzlichen Hausaufgabe oder dem Umsetzen des Störenfriedes. Das gezeigte Verhalten „Unterricht stören“ wird in der Folge der Bestrafung zukünftig vermieden, die Verhaltenshäufigkeit wird gesenkt. Bestrafung durch Verlust / indirekte Bestrafung Dem aufgetretenen, unerwünschten Verhalten folgt die Entziehung eines positiven Reizes. Das gezeigte Verhalten wird seltener. Beispiel: Ein Kind benutzt Schimpfworte, dafür darf es seine allabendlich ausgestrahlte Lieblingssendung im Fernsehen nicht anschauen. Auch „Liebesentzug“ gilt als indirekte Bestrafung, wenn dadurch ein Verhalten vermindert werden soll. Thorndike fügte den Konditionierungstheorien im Laufe seiner Arbeiten den Begriff des „Lernens am Erfolg“ hinzu. Dadurch brachte er die Lernenden mit ihrer subjektiven Wahrnehmung wieder stärker in den Mittelpunkt der Theorien. Das heißt, die Lernenden erfahren nach ihrem Verhalten auch ohne äußerlichen Einfluss eine Befriedigung/Verstärkung. Der Verstärker/ die Bestrafung von außen bleibt aus, stattdessen beurteilen die Lernenden, oft unbewusst, anhand ihrer Wertvorstellungen ihr Handeln selbst und entscheiden autonom, ob sie ihr Verhalten als Erfolg bewerten oder nicht. Diese drei Ansätze decken einen großen Teil dessen ab, wie der Mensch lernt und wie sich sein Verhalten verfestigt. Nicht außer acht gelassen werden darf aber, dass der Mensch auch ein Wesen der Vernunft ist, welches durch Einsicht lernen kann. Zum Abschluss dieser Übersicht über einige Prinzipien der Lerntheorien möchte ich kurz auf die Problematik des „situativen Lernens“ hinweisen. Dieser Ansatz stützt sich auf die Beobachtung, dass etwas, das in einer bestimmten Situation (Schule oder Seminar) erlernt und dort auch angewandt wurde, in einem anderen Kontext nicht angewendet werden kann. 25 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Es kommt nicht zu einem Transfer des schulisch Erlernten in den Alltag. Eine Frage zur Fortbildung der Polizei liegt an dieser Stelle auf der Hand: Können die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Handlungen, die sie in der Fortbildung erlernt und auch gezeigt haben, im täglichen Dienst anwenden? Kommt es zu einem Transfer des Wissens aus dem Trainingsgeschehen in die Echtlage? Dieser Problematik wird in der Fortbildung entgegengewirkt, indem die Trainings möglichst praxisgerecht und realitätsnah konzipiert und durchgeführt werden (siehe dazu Kapitel 5, Auswertung der Interviews) 3.6 Gefahrenradar Füllgrabe hat den Begriff des Gefahrenradars genutzt, um damit einen Zustand der Wachsamkeit und Aufmerksamkeit zu beschreiben, welcher einen Menschen in die Lage versetzt, Gefahren in seinem Umfeld wahrzunehmen.39 Sind Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wachsam und aufmerksam, beobachten sie die Umgebung. Stehen sie einer Person gegenüber, wird diese visuell in jeder Bewegung verfolgt. Über den auditiven Kanal werden in dieser Wachsamkeit Geräusche wahrgenommen und gegebenenfalls in einen Kontext gebracht, der „Gefahr“ bedeutet. So kann der Ruf eines Männernamens in der dunklen Umgebung einer Person, die gerade kontrolliert wird, auch bedeuten, dass eine weitere Person sich der Kontrolle nähert und den Festgehaltenen mit Namen kennt. Spätestens jetzt müsste sich der Gefahrenradar der einschreitenden Kräfte auch auf das weitere Umfeld der Kontrollörtlichkeit ausweiten. Der Gefahrenradar wird als die Fähigkeit beschrieben, mit entspannter Aufmerksamkeit alle Reize (optisch, akustisch, olfaktorisch,…) wahrzunehmen und diese sehr schnell hinsichtlich möglicher Gefährlichkeit zu bewerten. Dabei wird aber gleichzeitig erwähnt, dass es keine voreilige subjektive Deutung geben darf. Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die diesen Gefahrenradar in einer Einsatzsituation einsetzen, müssen zwei konträre Fehler vermeiden: 39 Füllgrabe, 2002, S. 109 ff 26 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Weder darf permanent mit Anspannung oder Angst reagiert werden noch dürfen Informationen zu früh als belanglos ausgeblendet werden. 40 Das Wissen um die Relevanz eines Gefahrenradars führt nicht dazu, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in die Lage versetzt werden, einen solchen zu entwickeln. Füllgrabe schildert eher abstrakt, was den Gefahrenradar ausmacht. Er spricht vom Einnehmen bestimmter Geisteshaltungen, die eine klare, umfassende und unvoreingenommene Sichtweise auf die Situation und Personen ermöglichen sollen. So einleuchtend die Beschreibungen auch sind, einen konkreten Hinweis zur Umsetzung gibt es nicht.41 In den Aussagen zur Wahrnehmung (Kapitel 3.2) habe ich geschildert, dass der Mensch mit seinen begrenzten kognitiven Fähigkeiten lediglich einen Teil seiner Umwelt überhaupt wahrnehmen kann. Füllgrabe fordert nun, dass alle Reize erfasst werden müssen, um sie danach schnell auf Gefährlichkeit zu überprüfen. Hier stoßen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte auf eine nicht erfüllbare Aufgabe. Zum einen ist es ihnen nicht möglich, alle Reize aufzunehmen. Weiterhin unterliegt die erwünschte objektive, aber sofort stattfindende Bewertung ebenfalls den menschlichen Grenzen. Je schneller die Bewertung erfolgen muss, desto eher ist sie belastet von eigenen Erfahrungen und wird nach den geschilderten Heuristiken (Kapitel 3.3) eingeordnet. Um eine schnelle Deutung der aufgenommenen Reize zu ermöglichen, schaltet sich das Unterbewusstsein ein, das Reize blitzschnell mit dem Gedächtnisspeicher auf Bekanntheit oder Ähnlichkeit abgleicht. Je objektiver die Einschätzung also werden soll, desto mehr Zeit kann sie kosten. Je länger die Einschätzung dauert, desto länger hat auch eine Situation Zeit, sich weiter zu entwickeln, möglicherweise auch in Richtung erhöhter Gefährlichkeit. Füllgrabes Forderungen sind in dieser Beschreibung nur bedingt anwendbar. Polizeiliche Einsatzlagen sind oftmals geprägt von dem Anspruch, dass prompte Entscheidungen gefällt werden. Gerade deswegen wird Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Aus- und Fortbildung eine große Vielfalt von Trainingssituationen angeboten.42 So kann eine Fülle von erlebten Situationen mit 40 Füllgrabe, 2002, S. 109 ff 41 Füllgrabe, 2002, S. 111 ff 42 Siehe dazu Kapitel 5, Auswertung der Interviews 27 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ den dazugehörigen Handlungsmöglichkeiten im Gedächtnis gespeichert und abrufbar gemacht werden. In den weiteren Beschreibungen zum Gefahrenradar macht Füllgrabe deutlich, dass es in erster Linie darum geht, eine gesunde Aufmerksamkeit zu entwickeln und auch scheinbar harmlose Situationen, Personen, Gegenstände genau zu beobachten. Ein so beschriebener Gefahrenradar ist notwendig und wünschenswert, wenn auch offenbar nur individuell vorhanden. Wie aber kann man Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die diesen Gefahrenradar erkennbar nicht haben, helfen und konkrete Anleitungen geben, einen solchen zu entwickeln? Diejenigen, die keinen unbewussten, automatisch ablaufenden Gefahrenradar haben, sollten in Trainings die Möglichkeit bekommen, dieses Defizit selber festzustellen. Erst bei Erkennen des Defizits können die Betroffenen versuchen, sich in bestimmten Situationen bewusst auf das genaue Beobachten ihrer Umgebung zu konzentrieren. Das Prinzip des Gefahrenradars wird in der Literatur auch von Schmalzl und Jedamczik aufgegriffen; hier finden sich auch konkrete Anleitungen zur Umsetzung.43 Sie beschreiben, dass es keinesfalls reiche, einige Hinweise zu beachten, um einen ausreichenden Gefahrenradar zu entwickeln. Vielmehr stellen sie die Bereitschaft der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den Vordergrund, lebenslang aus Erfahrungen, insbesondere negativen, zu lernen. Eigenes Handeln sowie persönliche Einstellungen, die zu einem bestimmten Verhalten führen, müssten immer wieder überprüft werden. Im weiteren Verlauf werden Eigenschaften Selbstgefälligkeit wie aufgezählt, Unaufmerksamkeit, die diesem Gleichgültigkeit professionellen und Verhalten entgegenstehen. Diese Eigenschaften werden zwar nicht expressis verbis, aber durchaus zwischen den Zeilen auch in den Experteninterviews, insbesondere der Experten K. und W., genannt. Schmalzl und Jedamczik beschreiben konkrete Übungen, die die gelassene Wachsamkeit ausprägen sollen, beispielsweise das „flexible Beobachten“, d.h. 43 Schmalzl / Jedamczik, 2003, S. 42 28 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ man fixiere bewusst eine Person oder einen Gegenstand nur kurz, um danach den Fokus der Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. 44 Weiterhin stellen sie dar, dass feste Denkmuster unabdingbar und wichtig seien, aber nicht dazu führen dürften, neben diesen Mustern keine Situation zuzulassen, die sich außerhalb dieser „Schubladen“ bewegt. Die einzelne Polizeibeamtin, der einzelne Polizeibeamte wird in die Pflicht genommen, sich selber immer wieder zu zwingen, genau darauf zu achten, ob etwas abweichend zu den bekannten Mustern ist. Wenn die Autoren den Perspektivwechsel erwähnen, setzen sie wiederum die Eigeninitiative der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten voraus. Wenn man sich der Lage des Anderen, des potentiellen Angreifers, bewusst ist, und erkennt, dass dieser vielleicht existentielle Ängste mit der Preisgabe seiner Identität an die Polizei vermutet, fällt es zum einen leichter, mit dieser Person umzugehen. Zum anderen kann man sich aber auch eher einen Angriff vorstellen und im Vorfeld geeignete Maßnahmen treffen, diesen zu verhindern. In einem Aufsatz zu „Gefahrenbewußtsein und Gefahrenerkennung“ schreibt Spoerer45 im Zusammenhang mit den Gefahren des Straßenverkehrs ebenfalls, dass es nicht reiche, allgemein vor Gefahren zu warnen und zu fordern, man solle einen Gefahrenradar ausbilden. Vielmehr müssten konkrete Hinweise ergehen, wie beispielsweise auf die Hände des Gegenübers zu achten. Erst das Gefahrenbewusstsein macht Gefahrenabwendung möglich. Um auf Gefahren hinzuweisen, sei es besser, gegenständliche Erklärungen zu geben, statt allgemein „Vorsicht“ zu fordern. Sein Beispiel bezieht sich auf den Straßenverkehr: Effektiver sei es, bei starkem Regen darauf hinzuweisen, dass ab Tempo 80 km/ h Aquaplaning möglich sei, statt allgemein zu bleiben und zu vorsichtigem Fahren aufzufordern. Insgesamt ist festzustellen, dass ein Gefahrenradar immens (überlebens-) wichtig ist. Dieser beruht jedoch auf individuellen Fähigkeiten und der Motivation zur 44 Schmalzl / Jedamczik, 2003, S. 43 45 Spoerer, 1983, S. 80 29 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Eigensicherung der einzelnen Polizeibeamtin und des einzelnen Polizeibeamten. In der Aus- und Fortbildung ist es möglich, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Bedeutung und Wichtigkeit nahe zu bringen, so dass eine persönliche Bereitschaft entsteht, die Trainings auch zur Ausbildung, Ausprägung und Weiterentwicklung eines Gefahrenradars zu nutzen. Die persönliche Einschätzung, dass ein Gefahrenradar notwendig ist, obliegt jedoch in letzter Konsequenz der einzelnen Polizeibeamtin und dem einzelnen Polizeibeamten. Ausbilder, Trainer und Führungskräfte sind bei entgegenstehendem Willen trotz angewandten psychologischen Prinzipien und Erwachsenenpädagogik nur bedingt in der Lage, die innere Überzeugung zur Entfaltung eines Gefahrenradars zu schaffen. Ergänzend dazu ist festzustellen, dass der Grundsatz „Erst Gefahrenbewusstsein macht Gefahrenabwendung möglich“ bei der Konzeption von Ausbildungsmodulen und Trainings oberste Priorität genießen muss. Dadurch kann Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor Augen geführt werden, wie verletzbar sie ohne Gefahrenradar sind. Das Prinzip „ Vom Konkreten zum Abstrakten“ bedeutet für die Erstellung von Seminaren, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst auf konkrete mögliche Gefahrenmomente (z.B. bei einer PKW-Kontrolle ein abrupter Griff des Fahrzeugführers ins Handschuhfach) hingewiesen werden. Im weiteren Seminarverlauf sollten sie durch aufbauende Trainings in die Lage versetzt werden, gemäß des situativen Lernens (siehe Kapitel 3.5) auch dann ein Gefahrenmoment zu erkennen, wenn der Griff unter den Sitz erfolgt bzw. der Beifahrer ins Handschuhfach greift. Es ist Aufgabe der einzelnen Polizeibeamtin und Polizeibeamten, eigeninitiativ dafür Sorge zu tragen, einem Angriff rechtzeitig und angemessen begegnen zu können. Es handelt sich quasi um eine „Bringschuld“ der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, nicht um eine Bringschuld der Trainerinnen und Trainer, der Vorgesetzten oder der Organisation. 30 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 4. Das Experteninterview 4.1 Methodik Experteninterviews bieten eine konkurrenzlos dichte Datengewinnung gegenüber zeitaufwendigeren Beobachtungsstudien und quantitativen Untersuchungen wie Fragebögen. Experten können stellvertretend für eine Vielzahl zu befragender Akteure interviewt werden.46 Im konkreten Fall bestand keine Möglichkeit, einen repräsentativen Teil der eigentlichen Zielgruppe, nämlich Angehörige des Wach- und Wechseldienstes als Teilnehmerinnen oder Teilnehmer der Fortbildung in den Behörden bzw. Angehörige der SEK- Kommandos als Teilnehmer der SEK- spezifischen Fortbildung per Fragebogen zu interviewen, so dass auf Experteninterviews zurückgegriffen wurde. Wer ist überhaupt Experte? In der Literatur werden diesbezüglich widersprüchliche Meinungen vertreten. So variieren die Aussagen von der Annahme, dass nur Akademikerinnen und Akademiker als Expertinnen und Experten bezeichnet werden dürfen 47 bis hin zu der Möglichkeit, jeden Menschen als Expertin und Experten für sein eigenes Leben zu bezeichnen.48 Die Auflösung dieser Frage ist für meine Arbeit insofern relevant, als dass ich Trainerinnen und Trainer der polizeilichen Fortbildung als Experten bezeichne. Zur Klärung tragen Bogner und Menz bei: „Die Frage, wer als Experte in methodischer Hinsicht zu gelten hat, muss also immer in Relation zum konkreten Handlungsfeld, in dem der Experte agiert, und 46 Bogner / Menz, 2005, S. 7 47 Pfadenhauer, 2005, S. 122 48 Flick, 2007, S. 215 31 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ in Hinsicht auf das Untersuchungsspektrum der empirischen Erhebung beantwortet werden.“49 Folgerichtig sind Trainerinnen und Trainer der polizeilichen Fortbildung durch ihre mehrere Wochen andauernde Zusatzausbildung zu Themenbereichen wie „Methodik und Didaktik“, „Kommunikation“, „Taktik“, Eingriffstechniken“, „Schießen / Nichtschießen“ und vielen mehr als Expertinnen und Experten für ihr Handlungsfeld anzuerkennen. Sie verfügen über Spezialwissen, was sie von anderen Mitgliedern ihrer Berufsgruppe in dieser Hinsicht deutlich abhebt. Des Weiteren sind Trainerinnen und Trainer selbst vor ihrer Trainertätigkeit in der Zielgruppe gewesen und können daher auch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Sie nehmen täglich durch Mitteilungen der Teilnehmerinnen oder Teilnehmer zur Kenntnis, in wie weit es zu Gefahrensituationen im Dienst gekommen ist und haben daher zusätzlich einen guten Überblick über die Erfahrungen der Teilnehmerinnen oder Teilnehmer. Durch ihre Zusatzausbildung werden einige spezifische Fragen überhaupt erst möglich. So geht es bei einigen Interviewfragen um lerntheoretische und wahrnehmungspsychologische Theorien, die mit Nicht- Fachleuten nur eingeschränkt erörtert werden könnten. Ich habe mich entschieden, zwei Trainer eines Spezialeinsatzkommandos (SEK), zwei Trainer der Fortbildungsstelle einer Kreispolizeibehörde und einen Trainer eines Ausbildungsinstitutes zu befragen. Dieser Entscheidung liegt zum einen das Wissen zugrunde, dass in Spezialeinsatzkommandos die Anzahl der Trainings und die Trainingsintensität höher sind als bei den übrigen „Zielgruppen“. Zum anderen habe ich die Hypothese aufgestellt, dass Einsatzlagen von Kräften der Spezialeinsatzkommandos im Gegensatz zur „normalen Polizei“ kaum bis gar nicht unterschätzt werden. Zum Aufgabenkatalog der Spezialeinheiten gehören genau die Einsatzanlässe, für die aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit speziell ausgebildete und ausgerüstete Polizeieinheiten zur Bewältigung erscheinen müssen. Es gäbe in diesem Fall keine Lage, in der es aufgrund einer Unterschätzung der Gefährlichkeit zu einem Angriff gegen SEK- Beamte kommen könnte. 49 Bogner / Menz, 2005, S. 46 32 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Durch die unterschiedlichen Aufgabenbereiche der Zielgruppen der Trainer und deren Zugehörigkeit zu den verschiedenen Zielgruppen, erwarte ich in Teilbereichen der Antworten auch entsprechend verschiedenartige Aussagen. 4.2 Interview- Leitfaden 1. Vorstellung der eigenen Person 2. Vorstellung des Themas 3. Erklärung, warum die Trainerin/ der Trainer Experte zu diesem Thema ist 4. Daten zur Person Name (wird nicht bekannt gegeben, nur zur Nachvollziehbarkeit) Alter Dienstalter Werdegang (wichtige Stationen), jetzige Dienststelle Trainerin/ Trainer seit wann? Für welche Zielgruppe? (SEK, Wach- und Wechseldienst) Mit welcher Ausbildung? (IF- Trainer, ET 24- Trainer, fachdidaktische Ausbildung?) 5. Einführende Leitfragen: 5.1. In welchen Lagen (Anhalten von Pkw, Festnahme, Familienstreit, etc.) kommt es Ihrer Erfahrung nach zu Gefahrensituationen für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte? (bezogen auf die zu trainierende Zielgruppe) 5.2. Sind es die Lagen oder immer wiederkehrende gleiche Rahmenbedingungen in unterschiedlichen Lagen, die gefährlich sind? 5.3. Wie werden diese Lagen von den Kolleginnen und Kollegen eingeschätzt? Werden die Gefahrenmomente überhaupt als solche erkannt? 5.4. Handelt es sich dabei um Situationen, die die Kolleginnen und Kollegen als „plötzlich“ , „überraschend“, „wie aus dem Nichts“ erleben? 33 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 6. Trainingsorientierte Leitfragen: 6.1. Handelt es sich dabei um Situationen, die so oder so ähnlich schon Bestandteil der Trainings waren? (komplexe Lagentrainings, Sequenztrainings,…) 6.2. Was wird wie oft in welcher Form trainiert? (ET 24 für WuW) 6.3. Wie wird auf sicherheitswidriges Verhalten reagiert? 6.4. Wie wird auf sicherheitsförderndes Verhalten reagiert? (positive Verstärkung/ negative Verstärkung/ Bestrafung) 6.5. Theorieanteile/ Praxisanteile 7. Sonstige Fragen: 7.1. Wird im Training auf die Problematik „Wahrnehmung unter Stress“ eingegangen? 7.2. Wie kann man Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ihrer Meinung nach stressresistenter machen? 7.3. Was verstehen Sie unter dem Begriff „Angst“? 7.4. Welche Auswirkungen kann Angst auf die Kolleginnen und Kollegen haben? (im Training/ in der Echtlage) 7.5.Macht Angst aufmerksam/ lähmt sie / treibt sie zu Höchstleistungen an? 8. Gefahrenkognition 8.1. Über Beinahe- Angriffe/ „Glück- gehabt“- Situationen sollte umfassend berichtet werden. So nimmt man wahr, dass auch 08/ 15- Situationen Gefahren bergen und kann im Sinne der Verfügbarkeitsheuristik in eigenen Erlebenssituationen darauf zurückgreifen. 8.2.Wird das in Ihrer Dienststelle so gemacht? 8.3. Erfahren alle von solchen Situationen oder nur die engsten Kolleginnen und Kollegen? 8.4. Erfährt man etwas aus anderen Dienststellen? 8.5. Wie könnten Sie sich einen anonymisierten Austausch über solche Situationen vorstellen? 8.6. Wie wichtig schätzen Sie einen solchen Austausch ein? 8.7. Wie ist Ihre Einschätzung, dass Kollegen ein solches Angebot annähmen? 34 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 4.3 Aufbau des Interview- Leitfadens Mit den Interviews soll ein Überblick darüber gewonnen werden, inwieweit die polizeiliche Fortbildung bereits mit dem Thema „Gefahrenkognition“ vertraut ist, möglicherweise ohne es zu wissen. Der wissenschaftliche Anspruch, hier: der psychologisch- sozialwissenschaftliche Anspruch, wird bei der Fortbildung, meiner Annahme nach, nur zum Teil erfüllt. Insbesondere deswegen ist es interessant zu erfragen, inwieweit trotz fehlenden theoretischen Wissens nach Prinzipien der Gefahrenkognition gearbeitet wird, d.h. inwieweit das Erfahrungswissen einen ähnlichen Stellenwert einnimmt wie die wissenschaftlichen Befunde und damit zur Professionalisierung der polizeilichen Aus- und Fortbildung beigetragen wird. Ein weiteres Ziel besteht darin, herauszufinden, ob es auch bei der Polizei die von Musahl beschriebenen unterschätzten Situationen gibt, in denen es in letzter Konsequenz tatsächlich gefährlich wird. Die Interviews wurden offen mittels Diktiergerät aufgezeichnet. Im Anhang finden sich die vollständigen Sinnabschriften. Persönliche Daten, die einen Rückschluss auf die Person ermöglichen, liegen der Arbeit nicht bei. Sie spielen für die Fragestellung keine Rolle. Sofern persönliche Daten wie Dienstalter / Alter / Werdegang wichtig erscheinen, werden sie anonymisiert wiedergegeben. Die Ziffern 1- 3 dienen der Einstimmung auf das Interview. Der Experte (nachfolgend E) und die Interviewerin (nachfolgend I) sollen sich gegenseitig kennen lernen. Bei der Vorstellung des Themas (Ziffer 2) werde ich nur mit wenigen Worten erläutern, welches Ziel das Interview hat. Bei einer zu weit gestreuten Information über Inhalte der Gefahrenkognition wäre eine Beeinflussung der Experten nicht ausgeschlossen. Dies wird den Interviewten aber aus Gründen der Fairness transparent gemacht. Dieser Teil ist für die Auswertung uninteressant und ist nicht Bestandteil der Sinnabschriften. Die Warm- up- Phase endet mit den persönlichen Angaben zur Person des E (Ziffer 4). 35 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Bei den einführenden Leitfragen unter Ziffer 5 erfrage ich, inwieweit die persönlichen Erfahrungen mit Angriffen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte mit objektivem Datenmaterial übereinstimmen. Hier ergibt sich die Schwierigkeit, dass das zugrunde liegende Datenmaterial zum Teil 16 Jahre alt ist. So hat Jäger letztmalig 1992 Daten nach einem einheitlichen Kriteriumskatalog erfasst und ausgewertet.50 Einem Auswahlkriterium zufolge wurden nur die Angriffe erfasst, die zu einer mehr als siebentägigen Dienstunfähigkeit führten. Nach dieser Studie der Polizei- Führungsakademie von Jäger, kommt es mit Abstand am häufigsten auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen zu Angriffen auf Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte. Die offenbar „gefährlichste“ Situation, d.h. die polizeiliche Maßnahme, bei der die Angriffe am häufigsten erfolgten, ist der Studie nach die (vorläufige) Festnahme.51 Mit der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens „Gewalt gegen Polizeibeamte und -beamtinnen“ 52 in den Jahren 2000 bis 2003 sollte das Defizit der Nichterfassung seit 1992 kurzfristig behoben werden. Allerdings wurde die Datensammlung mit Abschluss der Studie ebenfalls eingestellt. Demnach gibt es in Deutschland keine einheitlich erhobenen, aktuellen Daten zu Angriffen auf Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte. Das Erfahrungswissen der Expertinnen oder Experten erfährt durch diesen Umstand eine besondere Aufwertung. Die Trainerinnen und Trainer der Behörden bekommen regelmäßig Durchschriften von Strafanzeigen wegen „§ 113 StGBWiderstand gegen Vollstreckungsbeamte“ zugeleitet und erfahren über Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Angriffen. Stimmen heute noch Datenmaterial und Erfahrungswissen überein? Gibt es Abweichungen? In einer weiteren Untersuchung müssten zunächst aktuelle Daten erhoben werden, um dann abgleichen zu können, inwieweit Veränderungen vorliegen. 50 Jäger, 1994 51 Jäger, 1994, S. 10 f 52 http://www.kfn.de/Forschungsbereiche_und_Projekte/Abgeschlossene_Projekte/Gewalt_gegen_ Polizeibeamte_und_-beamtinnen.htm, Recherchedatum: 04.06.2008 36 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Die Frage 5.2 folgt dem Wunsch, Rahmenbedingungen zu erfahren, die offenbar „angriffsunterstützend“ sind. Zu denken wäre beispielsweise an Alkoholisierung des Angreifers, oder ähnliches. Mit der Fragestellung in 5.3 sollen Hinweise darauf erlangt werden, ob, wie Musahl in seinem Buch beschreibt53, auch bei der Polizei die Unfälle im Sinne von Angriffen dort geschehen, wo die Gefahr nicht erkannt oder unterschätzt wird. Laut der Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsens erleben 80 % der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten den Angriff als überraschend.54 Die letzte Frage unter Punkt 5 soll den Experten Gelegenheit geben, ihre stellvertretenden Erfahrungen mitzuteilen und, wenn möglich, auch Erklärungsansätze aufzuzeigen. Mit der ersten Frage des Komplexes Nr. 6 „trainingsorientierte Leitfragen“ wird der Übergang von Erfahrungen bei Echtlagen zum Training/ der Fortbildung deutlich. Wie nah ist die polizeiliche Fortbildung dem polizeilichen Alltag gekommen? Ebenso hier wie mit der zweiten Fragestellung möchte ich einen Überblick über die Trainingsmöglichkeiten/ -arten und der praktischen Umsetzung gewinnen. Die nächsten beiden Punkte verlangen konkrete Aussagen zum Rückmeldeverhalten bei guten und/ oder „schlechten“ Trainings. Wie wird mit fehlerhaftem Verhalten umgegangen? Gemäß der Annahme Musahls, dass negative Verstärkung sicherheitswidriges Verhalten fördert 55, wird mit der Beantwortung der Fragen deutlich, in wie weit Trainings im schlimmsten Fall durch Verzicht auf negative Rückmeldung sogar sicherheitswidriges (= eigengefährdendes) Verhalten fördern können. Wie hoch sind die Anteile der theoretisch vermittelten Lerninhalte? Wie oft wird praktisch geübt? 53 Musahl, 1997, S. 216 54 Ohlemacher/ Rüger/ Schacht, 2001, S. 28 55 Musahl, 1997, S. 164 ff 37 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Die sonstigen Fragen unter Ziffer 7 beschäftigen sich im Schwerpunkt mit der Thematik „Stress“. Trainerinnen und Trainer erfahren in ihren Ausbildungen theoretisch und praktisch, wie Stress auf den Menschen wirkt. Die biochemischen Prozesse sind zunächst bei jedem Menschen gleich, die Auswirkungen jedoch unterschiedlich. Im Extremfall führt hoher Stress zu Erscheinungen von Wahrnehmungsstörungen bis zur Handlungsunfähigkeit. Wie werden die Teilnehmerinnen oder Teilnehmer auf solche Situationen vorbereitet? Der Begriff „Angst“ ist offenbar stark negativ gefärbt. Füllgrabe widmet ein ganzes Kapitel der Überschrift „Die Vermeidung von Angst“.56 Er beschreibt Angst als das Gefühl der Hilflosigkeit, welches dazu führt, sich von der Situation überwältigen zu lassen. Allerdings ist der Begriff Angst nicht allgemeingültig definiert. Laut Meyers Lexikon handelt es sich in der allgemeinen Psychologie um einen: „Affekt oder Gefühlszustand, der im Unterschied zur Furcht einer unbestimmten Lebensbedrohung entspricht. Angst steht oft in Zusammenhang mit körperlichen Erscheinungen, besonders an den Atmungsorganen und am Herzen, auch an den Verdauungs- und Harnorganen. Als Krankheitszeichen ohne erkennbare körperliche Krankheit kommt Angst u. a. bei neurotischen Störungen, z. B. Phobie, vor.“57 Bei dieser Beschreibung fällt die Nähe zu Stress deutlich auf. Wie also beschreiben Trainerinnen oder Trainer diesen Begriff, was verstehen sie darunter? Folgen sie Füllgrabe in der Ansicht, dass Angst vermieden werden muss, oder kann Angst auch „gesund“ sein, in dem man durch das Angstgefühl eine Gefahrensituation erkennt, als solche einschätzt und angemessen handelt? Auch Flucht ist im konkreten Einzelfall eine angemessene, bewusste Handlung. Das Interview führt im letzten Fragenkomplex zur Untersuchungsfragestellung hinsichtlich der Gefahrenkognition zurück. Musahl hat in Untersuchungen 56 Füllgrabe, 2002, S.136 ff 57 http://lexikon.meyers.de/meyers/Angst, Recherchedatum: 04.06.2008 38 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ festgestellt, dass die Arbeitssicherheit erheblich gesteigert werden konnte, wenn Arbeiter über die objektive Gefährlichkeit ihrer Tätigkeit informiert wurden. Dazu gehörte es auch, über „Beinahe- Unfälle“ aufzuklären, so dass den Arbeitern deutlich wurde, dass es oft nur von Glück, Zufall oder rechtzeitigem Eingreifen abhing, dass es zu keiner Unfallfolge kam. Die richtige Einschätzung der Gefährlichkeit einer Tätigkeit trägt also zum sicherheitsfördernden Verhalten bei. 58 Mit den Fragestellungen soll erschlossen werden, inwieweit dieser Informationsfluss auch bei der Polizei dazu führen könnte, der Eigensicherung im Alltag größere Beachtung zu schenken. 5. Interviews 5.1 Auswertung der Interviews59 Die Interviews 160 und 261 wurden mit Trainern geführt, die der Führungsstelle eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) in NRW angehören. Beide waren vorher Mitglieder im Kommando, kennen also auch Interna der Zielgruppe. Die Interviews 362 und 463 wurden mit Trainern der Fortbildungsstelle einer Landratsbehörde in NRW geführt. Diese waren zuvor beide im Wach- und Wechseldienst tätig, bevor sie über eine mehrwöchige Ausbildung zu Trainern geschult wurden. Das fünfte Interview64 wurde mit einem Kursleiter geführt, der in der Hauptaufgabe für die Ausbildung der Kommissaranwärterinnen 58 Musahl, 1997, S. 93 f 59 Alle folgenden Zeilenangaben beziehen sich auf die Interviewabschriften in Anlage 1. 60 Zeile 1 - 307 61 Zeile 308 – 666 62 Zeile 667 – 1105 63 Zeile 1106 – 1503 39 und Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Kommissaranwärter verantwortlich ist. Vorher gehörte es zu seinem Bereich, die regionale Fortbildung für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aus den Behörden zu konzipieren und durchzuführen. Vor seiner Verwendung bei dem Ausbildungsinstitut war er als Kriminalbeamter tätig. Zu den einführenden Fragen 5.1 bis 5.4: Mit der Frage 5.1 sollte festgestellt werden, inwiefern sich die Erfahrungen der Experten mit dem objektiven, aber veralteten Zahlenmaterial decken. Die SEK- Trainer gaben an, dass sie grundsätzlich immer Einsätze wahrzunehmen haben, in denen mit einer hohen Gefährlichkeit gerechnet werden muss.65 Dennoch konnte hier festgestellt werden, dass es Situationen gibt, die durch ihre Plötzlichkeit eine höhere Brisanz zeigen als Einsätze, die lange vorbereitet werden können.66 Interessant war die Einschätzung der SEK-Trainer für den Wach- und Wechseldienst, der offenbar gerne Messertäter unterschätze und sich dadurch in Situationen begebe, die von großer Gefährlichkeit seien.67 Bei den Trainern der Behörde wurde auf diese Frage eher mit der eigenen Einstellung als mit einem rückblickenden Erfahrungswert geantwortet. Hiernach dürften keinerlei Einsätze als ungefährlich eingestuft werden. Die Eigensicherung sollte immer, unabhängig vom Einsatzanlass, mit oberster Priorität wahrgenommen werden.68 Dass es sich hierbei eher um persönliche Ansprüche und um Wunschdenken handelt als um die Realität, wird in den Interviews 3 und 4 insgesamt deutlich. Die Diskrepanz wurde in Interview 3 auch in Worte gefasst. 69 So würden Kollegen in vielen Fällen Gefahren von vorn herein nicht mit ins Kalkül ziehen. 64 Zeile 1504 - 1913 65 Zeile 4-8 66 Zeile 312 - 317 67 Zeile 329 f 68 Zeilen 670, 671/ 676- 677 und Zeilen 1109- 1113 69 Zeile 684 ff 40 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Im fünften Interview wurde auf die Frage eine konkrete Antwort gegeben. Danach komme es in Fällen von Streitigkeiten und in Einsätzen, bei denen Alkohol eine Rolle spiele, eher zu gefährlichen Situationen als in anderen.70 Die Frage, ob es Einsatzanlässe mit besonders hohem Gefahrenpotential gebe, konnte nicht, bzw. nur unzureichend beantwortet werden. Bei allen Antworten spielte die Verfügbarkeitsheuristik eine beachtliche Rolle: Einsätze, in denen es bekanntlich eher zu Gewalttätigkeiten kommt, werden eher benannt als selten vorkommende Einsätze, in denen Gewalt nicht regelmäßig eine Rolle spielt. In der anknüpfenden Frage 5.2 ging es darum, ob es Rahmenbedingungen gebe, die einen Einsatz gefährlich machen. Alle Befragten hatten Schwierigkeiten, sich solche vorzustellen. Teilweise wurden mögliche Rahmenbedingungen wie Alkoholisierung, Dunkelheit, etc. vorgegeben, um darzustellen, was man sich darunter vorstellen könnte. Insbesondere Alkohol wurde entweder initiativ oder auf Nachfrage genannt.71 In einem Fall wurden besonders gefährliche Gegenstände wie Brandbeschleuniger oder Handgranaten aufgezählt.72 Dunkelheit wurde als verstärkende Rahmenbedingung eher abgelehnt.73 Weder ein Wochentag noch bestimmte Uhrzeiten waren für die Experten als Rahmenbedingung für erhöhte Gefährlichkeit vorstellbar, obwohl ihnen Aussagen zu Untersuchungen mitgeteilt wurden, die dieses belegen.74 In den Interviews 4 und 5 wurde das Verhalten der Einsatzkraft als Rahmenbedingung genannt.75 In beiden Fällen herrschte Übereinstimmung, dass die Einstellung, die Einsatzphilosophie, der Polizeibeamtin/ des Polizeibeamten ein wichtiger Faktor ist. 70 Zeile 1507 f 71 Zeilen 1119 f / 1524 72 Zeile 339 73 Zeilen 710 ff 74 Zeile 725 75 Zeile 1138 f und 1558 41 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Mit den Fragen 5.1. und 5.2 konnte insgesamt nicht festgestellt werden, ob es Übereinstimmungen oder Veränderungen mit den Daten von Jäger oder der KFNStudie gibt. Die Antworten der Experten erfolgten nicht im Überblick über die Zielgruppe, sondern eher aus eigenen Erfahrungen heraus. Erinnerungen an gesichtete Anzeigen oder andere Fremdansichten spielten eine zu geringe Rolle, als dass sie bemerkbar mit einbezogen worden wären. Um auf diese Fragen Auskunft geben zu können, sind also weitere Erhebungen über Fragebögen oder ein spezifisches Meldewesen von Nöten. In Kapitel 3 wurde mit der Abbildung 2 die Problematik verdeutlicht, dass objektive Gefahren nicht immer mit der subjektiven Einschätzung übereinstimmen. Die Frage 5.3 sollte ergründen, in wie weit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte des „normalen“ Dienstes sich der Gefahrensituationen bewusst sind. Die gleiche Frage wurde den Trainern des SEK gestellt, weil ich hier eine Ungleichheit vermutete. Die Hypothese „Beim SEK werden Lagen seltener in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt“ sollte mit den Antworten erhärtet werden. Bei allen Antworten wurde „Erfahrung“ als Faktor genannt, der zur Einschätzung einer Situation beiträgt. Ein SEK- Trainer schilderte, dass die stattfindenden Einsatzbesprechungen dazu beitrügen, alle am Einsatz beteiligten Kräfte auf die Gefahrenlage einzustimmen. Zusätzlich würde sich aber jeder einzelne ein persönliches Bild von dem Einsatz machen, der ihn erwartete. Diese Einschätzung träfe jeder aufgrund seiner persönlichen Erfahrung. 76 Die persönlichen Erfahrungen entstehen durch die individuellen Wahrnehmungen und Lernprozesse. Die Heuristiken als Ordnungskategorien helfen dabei, den neuen, noch unbekannten Sachverhalt einzuordnen und greifbar zu machen. Zu einer Unterschätzung käme es aber nicht, da grundsätzlich alle Lagen, zu denen ein SEK hinzugerufen würde, gefährlich seien. Im zweiten Interview wurde eine Unterschätzung deutlich verneint.77 Diese beiden Aussagen untermauern die aufgestellte Hypothese. 76 Zeile 34 - 39 77 Zeile 367 f 42 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Die Trainer der Landratsbehörden erleben ihre Zielgruppe anders: Hier würden Lagen unterschätzt, und selbst in brisanten Einsätzen glaubten die Einsatzkräfte, dass ihnen schon nichts geschehen werde.78 Auch hier wurde geschildert, dass die Einschätzung der Gefährlichkeit schon mit dem Bekanntgeben des Einsatzstichwortes erfolge. Mit dem Stichwort „Randalierer“ verknüpften die meisten eher eine Gefahr, so dass sie in der Folge diesen Einsatz weniger unterschätzten. Zu Unterschätzungen komme es eher bei harmlosen Anlässen wie der Routinekontrolle einer Person.79 Aufschlussreich war die Antwort im Interview Nr. 5: Herr W. unterschied zwischen den Auszubildenden und den Angehörigen der Behörden. Die Anwärterinnen und Anwärter hätten noch keinerlei Erfahrungen, die sie in einer Situation dazu verleiteten, diese zu unterschätzen. Sie wüssten um ihre Defizite im Umgang auch mit alltäglichen Situationen, alles sei erstmal neu. Bei der Zielgruppe der Angehörigen der Behörden, die zur regionalen Fortbildung kämen, sei das ganz anders. Hier decken sich die Aussagen mit den Erfahrungen der Experten in den Interviews 3 und 4. Als Erkenntnis ergibt sich, dass Angehörige einer Organisationseinheit, die ausschließlich zu dem Zweck existiert, gefährliche Einsätze wahrzunehmen, Gefahren nicht unterschätzen. Angehörige der „normalen Polizei“ (hier können Aussagen für den Wach- und Wechseldienst, den Beamtinnen und Beamten der Kriminaldienststellen und der Verkehrsdienste getroffen werden) neigen dazu, Einsätze zu unterschätzen, wenn nicht von Beginn an durch ein Einsatzstichwort oder eigene Erfahrungen eine besondere Brisanz anzunehmen ist. Auszubildende haben keinerlei oder kaum praktische Diensterfahrung und haben kaum eigene Vorstellungen, auf die sie zurückgreifen können. Für sie ist jede Trainingslage neu und unbekannt, eine Unterschätzung findet hier eher nicht statt. 78 Zeile 748 ff 79 Zeile 1148 ff 43 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Die Beantwortung der letzten Frage aus diesem Themenkomplex war überraschenderweise nicht einheitlich. Als konsequente Folge der oben bestätigten und gefestigten Hypothese bestand die Erwartung, dass SEK- Beamte nicht von Geschehnissen überrascht würden oder Angriffe als unvermittelt und plötzlich erlebten. Beide SEK- Trainer gaben aber an, dass es sehr wohl Momente gebe, in denen sich Kräfte von einem Geschehen überraschen ließen.80 Aber diese Überraschung wirke sich nur minimal aus und führe in keinem Fall dazu, dass Kollegen handlungsunfähig würden.81 Die drei übrigen Experten bestätigten in diesem Fall die Aussage der KFNStudie: Kolleginnen und Kollegen würden vielfach überrascht und zum Teil derart geschockt, dass es zu einer Handlungsunfähigkeit komme.82 In Interview 3 schilderte der Experte Herr K. das „too- late- Syndrom“. Er bezeichnete damit eine verspätete Bewertung, die Zeit koste und in letzter Konsequenz zu einer Verletzung oder Tötung führen könne. Das Beispiel des Herrn K. erscheint einleuchtend und wird aus diesem Grunde hier wiedergegeben: „Jemand geht mit dem recht starren Bild, es könne schon nichts passieren, in eine Situation. Der Täter zieht eine Waffe. Der Kollege sieht das zwar, aber es passt überhaupt nicht zu dem, was er im Kopf hat. Wenn er dann endlich zu der neuen Bewertung kommt, dass er hier primär bedroht wird, hat er schon wertvolle Zeit verschenkt, er ist in seiner Reaktion blockiert gewesen und in der Folge kassiert er den ersten Treffer.“ Das Auseinandersetzen mit der Situation in der Situation führt zum „too- lateSyndrom“.83 Bei Ungerer wird das „too- late- Syndrom“ als amerikanischer Begriff für eine fehlende Vorauskalkulation genannt.84 Jede Kultur hat ihre bestimmten Vorstellungen und Tabus, wodurch es zu mentalen Barrieren kommt. So passiert es auch in deutschen Krisenstäben, dass Tod und gewollte Vernichtung eher 80 Zeilen 50 und 380 81 Zeile 385 82 Zeile 745 ff; Zeile 1171 ff; Zeile 1587 ff 83 Zeile 757 – 764 84 Ungerer, 2003, S. 48 f 44 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ schlecht vorstellbar sind. Dieses gedankliche Hindernis ist mit der Verfügbarkeitsheuristik zu erklären. Wir können uns noch immer, trotz der terroristischen Anschläge seit dem 11.09.2001, nicht gut vorstellen, dass Menschen bewusst und gewollt die Vernichtung anderen Lebens planen. Diese Denkweise gehört nicht in die demokratische westeuropäische Welt. Mittlerweile werden diese fremden Muster nicht mehr negiert, und die außergewöhnlichen Lagen werden in den Stäben der Polizei sehr wohl vorgedacht. Hier wird dem „too- late- Syndrom“ bewusst entgegengesteuert, und es werden Checklisten für den Einsatz bei terroristischen Anschlägen erstellt. Es bleiben aber auch unterhalb der Schwelle eines terroristischen Angriffes Beispiele, wo die mentale Barriere, bedingt durch das Leben und Erleben der eigenen Kultur, so hoch ist, dass bestimmte Situationen zu spät als Gefahr bewertet werden. Das bekannte Verhaltensmuster „Ich schlage keine Frau, weil sie sowieso schwächer als ich und damit keine Gefahr ist“ kann zu erheblichen Verzögerungen in der Reaktion führen, wenn Angriffe auf einmal von Frauen ausgehen. Mit dem Begriff „too- late- Syndrom“ wird anschaulich erklärt, was durch eine falsche Gefahrenkognition geschehen kann. Die gedankliche Vorarbeit, das rechtzeitige Auseinandersetzen mit der Situation, wurde in Interview 5 in einem anderen Zusammenhang erwähnt und auch hier als von erheblicher Bedeutung hervorgehoben. 85 Herr W. schilderte eindrucksvoll, dass er seinen Studenten mit auf den Weg gebe, sich frühzeitig damit auseinander zu setzen, lebensbedrohlichen Situation verhalten wollten. wie sie sich in einer 86 Zu den trainingsorientierten Fragen 6.1 bis 6.5: Bei den trainingsorientierten Leitfragen 6.1 und 6.2 ging es darum, zu erfragen, welche Zielgruppe wie trainiert wird und wie die Trainings auf die Echteinsätze vorbereiten. 85 Zeile 1742- 1752 und 1614 ff 86 Zeile 1742- 1746 45 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Die Antworten sind erwartungsgemäß weit gefächert. Das Konzept des Einsatztraining 24 (nachfolgend ET 24) für die Behörden, welches im Jahr 2006 eingeführt wurde, werde ich an dieser Stelle ausführen. 87 Der entsprechende Erlass des Landes Nordrhein - Westfalen ist in Anlage 2 zu finden. Gemäß der überholten Erlasslage mussten alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in jedem Kalenderjahr dreimal zum Schießtraining. Die Trainings unterschieden sich dabei in Art und Umfang für die verschiedenen Zielgruppen. Weiterhin galt die Verpflichtung, einmal in drei Jahren an mindestens 24 Stunden Grundtraining teilzunehmen. In den „Grundtrainings“, welche in jeder Behörde anders gestaltet waren, mussten taktische Komponenten ebenso wie Einsatzkommunikation als Bestandteile auftauchen. Das ET 24 hingegen sieht 24 Stunden Training pro Jahr für die Beamtinnen und Beamten der Basis- Organisationseinheiten (BOE) vor. Diese 24 Stunden werden auf vier Module mit jeweils sechs Stunden verteilt. Diese Module werden von den BOE`en gemeinsam als Gruppe durchlaufen, während vorher Beamtinnen und Beamte aus verschiedenen Dienststellen und unterschiedlichen Arbeitsbereichen zusammen Seminare besuchten. Vor dem ersten Modul treffen sich Trainer und Leiter der BOE, und der L/ BOE trägt vor, welche Ziele er für seine BOE in diesem Jahr verfolgt. In den meisten Fällen teilt er mit, dass es in einer bestimmten Situation zu bestimmten Defiziten gekommen ist, die er im ET 24 trainiert wissen will. Anhand der formulierten Ziele werden die Trainingsmodule konzipiert. Im ersten Modul werden die Eingriffstechniken trainiert, die für den weiteren Ablauf von Bedeutung sind. Die BOE nimmt an diesem Training gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten teil. Im zweiten Modul werden bestimmte vorgegebene Standards, die im Modul 1 trainiert wurden, anhand so genannter Qualitätssicherungsbögen bei den Teilnehmern abgeprüft. Bei Nichtbestehen soll nachtrainiert werden. Weitere 87 siehe auch Interview 3, Zeile 783- 810 46 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Konsequenzen werden nicht beschrieben, außer dass der Vorgesetzte die gezeigten Leistungen in keinem Fall zu Beurteilungszwecken heran ziehen darf. Im dritten Modul werden die erlernten Techniken in einem ganzheitlichen Lagentraining in einen realistischen Kontext gebracht und noch einmal vertiefend geübt. Damit wird der Problematik vorgebeugt, dass erlernte Sequenzen aus Übungssituationen nicht in den polizeilichen Alltag transferiert werden können. Das vierte Modul steht zum Schießen/ Nichtschießen zur Verfügung: Diese sechs Stunden können je nach logistischer Kapazität auch in 3 x 2 oder 2 x 3 Stunden geteilt werden. Im Schießtraining muss von jeder Beamtin und jedem Beamten einmal pro Jahr eine landeseinheitliche Übung (LÜHT 2) mit der Pistole ( P 99 ) geschossen und bestanden werden. Bei einigen Beamtinnen und Beamten muss die Übung zusätzlich mit der Maschinenpistole absolviert werden. Nichtbestehen führt zu Wiederholungstrainings, die nicht mehr im Rahmen der sechs Stunden abgeleistet werden müssen. Dauerhaftes Nichtbestehen führt gemäß Erlass ET 24 dazu, dass die Beamtin/ der Beamte bis zum Bestehen der Übung die Berechtigung zum Führen der Dienstwaffe verliert. Nach meinem Wissen ist es bisher zu keinem solchen Fall gekommen. In einem Fall kam es zu fünfmaliger Intensivbeschulung. Im Jahr danach bestand derselbe Beamte die Übung beim ersten Mal ohne Beanstandungen.88 Die Fortbildung hat sich demnach mit der Einführung und Umsetzung des Konzeptes ET 24 verändert: - mehr Grundlagentrainings pro Einsatzkraft innerhalb eines Jahres - Überprüfung der Trainer in Gegenwart des Vorgesetzten, ob Erlerntes umgesetzt werde kann (Modul 2) - Gemeinsames Training der Angehörigen einer Dienststelle/ einer BOE - Weniger Schießtraining: sechs Stunden, in denen Zeit für die Durchführung der LÜHT geschaffen werden muss 88 Konsequenzen bei Nichterfüllung der Übung Aussage des Experten K. für den Bereich einer Landratsbehörde 47 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Bei den Spezialeinsatzkommandos sehen die Fortbildungskonzepte anders aus. Nach Bestehen eines Eignungstestes durchlaufen die Bewerber eine einjährige Einführungsfortbildung, die bei einer zentralen Dienststelle, der Fortbildungsstelle für Spezialeinheiten, durchgeführt wird. In dieser Einführungsfortbildung werden die Bewerber mit den Standards des Spezialeinsatzkommandos vertraut gemacht. Daneben wird größter Wert auf körperliche Fitness gelegt. Nach der Einführungsfortbildung werden die Polizeibeamten dem Kommando zugeordnet, für welches sie sich beworben haben. Von den Bewerbern, die den Einstellungstest bestanden haben, schaffen es weniger als 50%, die Einführungsfortbildung erfolgreich abzuleisten und anschließend tatsächlich in das Kommando zu kommen. Im Kommando ist vorgesehen, dass immer trainiert wird, wenn kein Einsatz ist. Die Trainings haben unterschiedliche Schwerpunkte (Sport, Schießen, Häuserkampf, Eingriffstechniken, Fast- Roping, etc.) und werden zum Teil selbständig in den Kommandos durchgeführt. Die Trainingsintensität und die Stundenanzahl sind demgemäß überhaupt nicht mit dem ET 24 vergleichbar. Die Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter werden im fachpraktischen Teil der Ausbildung durch das LAFP NRW mit den Grundlagen der Eingriffstechniken, der einsatzbegleitenden Kommunikation, dem Einsatz ihrer Führungs- und Einsatzmittel, etc. vertraut gemacht. Diese Zielgruppe hat während des ersten Aufenthaltes beim LAFP noch keinen praktischen Diensteinsatz hinter sich, Vorkenntnisse sind allenfalls rudimentär vorhanden, beispielsweise durch eine Schießausbildung bei der Bundeswehr. Zum Ende der Ausbildung kommen die Auszubildenden zu einem Abschlusspraktikum ein weiteres Mal in die Ausbildungsinstitute. Zu diesem Zeitpunkt haben sie bereits erste Erfahrungen in den Behörden gesammelt. In den einzelnen Modulen werden die Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter zunächst mit einzelnen Techniken konfrontiert. Im weiteren 48 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Verlauf werden die Übungen ganzheitlicher und kompakter. Es werden nicht mehr einzelne Segmente geübt, sondern bereits erlernte Segmente sollen in praxisorientierten Lagentrainings umgesetzt werden. Die Antworten der Interviews geben die Ausführungen zum Teil wieder. In der Frage 6.2 wurde auch danach gefragt, wie trainiert würde, um zu erkennen, in wie weit der praktische Alltag auch im Training angekommen ist. In den Spezialeinsatzkommandos werden nicht, wie man vermuten könnte, nur die Situationen geübt, in denen es zum schlimmsten Fall kommt. Ein wichtiger Aspekt ist, die Trainingslagen nicht vorhersehbar zu machen. An einem Trainingstag kann es also in der gleichen Ausgangslage zu unterschiedlichen Verläufen kommen: Die Grundaufgabe besteht darin, einen als gewalttätig bekannten Straftäter in einer Wohnung festzunehmen. Bei einigen Übungsdurchläufen lässt sich der Täter ohne Gegenwehr festnehmen und reagiert auf verbale Ansprachen, bei anderen Durchläufen greift er die einschreitenden Kräfte mit einem Messer an, bei wieder einem anderen Durchgang eröffnet der Täter das Feuer mittels FX- Waffen.89 Exkurs: Bei den FX- Waffen handelt es sich um Waffen, mit denen Geschosse aus gefärbter Seife verschossen werden. In NRW trainieren die Spezialeinheiten seit vielen Jahren mit diesen Systemen. Ab dem Jahr 2002 wurden die FX- WaffenSysteme auch für die Fortbildungsstellen der Behörden beschafft.’ Das Seifengeschoss verlässt die umgebaute Pistole mit einer Energie von 3,5 Joule. Trotz der geringen Energie kann es bei Treffern zu erheblichen Verletzungen kommen (Auge, Kehlkopf,..) weshalb das Training nur mit entsprechender Schutzkleidung zulässig ist. Ein Treffer auf eine ungeschützte Körperstelle kann einen schmerzhaften Reiz auslösen und ein Hämatom hervorrufen. Bei den Waffen handelt es sich immer um Umbauten der Waffen, die von der Zielgruppe auch benutzt werden. Dadurch wird der Umgang mit der Waffe in Stresssituationen trainiert. 89 Zeile 59 ff 49 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Das FX- Waffen- Training kann unter bestimmten Voraussetzungen auch gemäß des Erlasses ET 24 als Schiesstraining gewertet werden. In der Landratsbehörde werden Situationen aus dem täglichen Dienstgeschehen zur Trainingsgrundlage gemacht. 90 Dies erfolgt zum einen dadurch, dass der Leiter der BOE mitteilt, was für einen Bereich er mit seiner BOE trainieren möchte. Dieser Wunsch entsteht aus der Feststellung heraus, dass es in diesem Bereich zu Defiziten gekommen ist, die in den Trainings aufgearbeitet werden sollen. Zum anderen erfragen die verantwortlichen Trainer Einsätze, in denen es brisant wurde, und versuchen, diese in den Trainings nachzustellen. Es werden also Konstellationen geübt, wie sie in der Realität bereits vorgekommen sind. Übereinkunft herrschte bei der Aussage, dass es unmöglich sei, alles in allen Varianten zu trainieren. Es blieben immer Lücken, da nicht jedes erdenklich mögliche Verhalten eines Täters oder potentiellen Angreifers vorgedacht werden könne. Mit den Fragen 6.3 und 6.4 wurde erfragt, wie in den Trainings auf sicherheitswidriges und sicherheitsförderndes Verhalten reagiert wird. Dabei war insbesondere entscheidend, wie mit sicherheitswidrigem Verhalten umgegangen wird. Das Prinzip der negativen Verstärkung könnte, hier angewendet, taktisches Fehlverhalten unterstützen und fördern. In allen drei Bereichen (Ausbildung / Behördentraining / SEK- Training) wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zurückgemeldet, wie sie sich in den Übungssituationen verhalten haben. Dabei schildern die Trainer den Teilnehmern ihre Beobachtungen, es wird auf Gutes und weniger Gutes hingewiesen. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, ihr Verhalten zu erklären, wenn sie anderer Meinung sind. 90 Zeile 1207 ff 50 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Im Interview 1 (SEK- Trainer) wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jedes kritische Verhalten aufgegriffen werde. Auch würden die einzelnen Kollegen namentlich angesprochen. Es ginge nicht um Schuldzuweisungen sondern darum, durch konstruktive Kritik das Verhalten im Training und dadurch in der Echtlage zu verbessern.91 Dieser Ablauf im SEK wurde durch Herrn R. bestätigt.92 Auch die konkrete Nachfrage, ob in Einzelfällen eine negative Rückmeldung unterbleibe, wurde verneint.93 Im Spezialeinsatzkommando scheint die negative Verstärkung, die zu einer Häufung einer taktisch problematischen oder fehlerhaften Verhaltensweise führen würde, nicht ausgeübt zu werden. Um richtiges Verhalten zu fördern wird es positiv verstärkt. Hier spielt die Ansprache des sicherheitsfördernden Verhaltens auch in der Gruppe eine ausschlaggebende Rolle. Als positiver Reiz wirkt die Anerkennung durch die Trainer und damit auch der Gruppe. Verhalten, das als kritisch oder falsch eingeschätzt wird, wird immer angesprochen. Diese Ansprache wirkt als negativer Reiz. Das Verhalten wird dadurch weniger häufig gezeigt. Der Begriff „Bestrafung“ ist negativ belegt. Erst nach weiteren Erklärungen wurden auch negative Konsequenzen als Bestrafung benannt. Diese gibt es jedoch in verschiedenen Formen: Gruppendruck, fehlende Anerkennung, sichtbare und/ oder schmerzhafte Treffer durch FX- Munition, „Straf“- Aufgaben wie Liegestütze. Ein belangvoller Unterschied zwischen den Spezialeinheiten und den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den übrigen Organisationseinheiten wurde in beiden Interviews mit den SEK- Trainern initiativ benannt: Die Beamten dort haben keine gültige Zusage, bis zum Erreichen der Altersgrenze im SEK bleiben zu können. Das Verweilen im Kommando ist eng mit den Leistungen verknüpft, die alle erbringen müssen. 91 Zeile 109- 112 92 Zeile 392- 403 93 Zeile 405 f 51 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Bei Leistungsabfällen wird zwar die Chance zur Verbesserung gegeben; bleibt es aber beständig bei schlechten Leistungen, oder sinkt die Stressfestigkeit über einen nicht mehr überschaubaren Zeitraum, müssen die Beamten damit rechnen, dass sie das Kommando verlassen müssen.94 Ein Spiegelbild dessen bei den „normalen“ Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten existiert nicht. Mit dem Erlass ET 24 wurde erstmals versucht, Konsequenzen für nicht erbrachte Leistungen im Training aufzuzeigen. Für den Bereich des Schießens wird deutlich gesagt, dass das Nichtbestehen der LÜHT 2 dazu führt, dass die Berechtigung zum Führen der Dienstwaffe erlischt. Bei Bekanntgabe des Erlasses im Jahr 2006 wurden Bedenken geäußert: Gemäß der PDV 350 (Wachdienstordnung) müssen die Beamtinnen und Beamten des Wach- und Wechseldienstes eine Dienstwaffe führen. Würde aus dieser Zielgruppe jemand die Berechtigung zum Führen der Dienstwaffe verlieren, dürfte er, in weiter gedachter Konsequenz, auch keinen Streifendienst mehr versehen. Die Frage, ob dieser Beamte dann gegebenenfalls ein Dienstvergehen begangen haben könnte (Pflicht zur Aufrechterhaltung der eigenen Leistungsfähigkeit) oder der Dienstherr verpflichtet werden könnte, für diesen Fall eine angemessene Stelle zu schaffen, ist bisher nicht beantwortet. Die Befürchtung einiger, dass es Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geben werde, welche die Übung absichtlich nicht bestehen würden, um aus dem Schichtdienst heraus zu kommen, ist nicht erfüllt worden. In den Fortbildungsstellen der Behörden wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Trainings ebenfalls über „Feedbacks“ mitgeteilt, wo die begleitenden Trainer Stärken und insbesondere Schwächen gesehen haben. Die Schwächen werden konkret benannt, und auch hier haben die Trainierenden die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen. Herr K., von der Fortbildungsstelle einer Landratsbehörde, machte ebenfalls deutlich, dass kein Fehlverhalten unkommentiert bliebe95, so dass auch in der von ihm trainierten Teilgruppe das von Musahl vermutete Konzept der negativen 94 Zeile 127 ff und 408 ff 95 Zeile 895 f 52 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Verstärkung nicht zum Tragen kommt. Allerdings bezog er diese Aussage vornehmlich auf seine eigene Arbeit als Trainer. Die Darlegung des Herrn M., dem zweiten Interviewpartner dieser Behörde, verlief bis auf eine geringe Abweichung96 so ähnlich, dass anzunehmen ist, dass die Feststellung, dass Fehlverhalten nicht unkommentiert bleibt, zumindest für diese Fortbildungsstelle zutreffend ist. Der Kursleiter Herr W. beantwortete diese Frage für sich und seine Trainerkollegen, mit denen er schon Trainings durchgeführt hat, und bekundete gleichermaßen, dass man als Trainer Fehler auch dann anspräche, wenn man es bereits vorher mehrfach getan habe. 97 Somit kann abgeleitet werden, dass negative Verstärkung in der Aus- und Fortbildung bei vorbildlichem Trainerverhalten keine Rolle spielt, wenn es darum geht, ein fehlerhaftes oder gefährliches Verhalten abzustellen. Im Interview mit Herrn M. wurde aber sehr wohl von negativer Verstärkung in den Dienstgruppen gesprochen.98 Danach verzichteten Kolleginnen und Kollegen in einigen Fällen untereinander auf Rückmeldungen, die auf ein Verhalten folgen müssten, welches nicht eigensicherungsgerecht war. Die Gründe dafür sind vielfältig: - Der junge, unerfahrene Beamte möchte dem älteren, erfahrenen einen Fehler nicht vorhalten. - Der Dominanz und Kritikunfähigkeit ausstrahlende Beamte verbittet sich eine Beanstandung. - Rahmenbedingungen stehen der professionellen Eigensicherung kontraproduktiv gegenüber. So steht die Aufforderung, allein möglichst viele PKW in kurzer Zeit anzuhalten, dem Anspruch entgegen, dass bei einer PKW- Kontrolle zwei Beamtinnen oder Beamte jeweils ein Fahrzeug gemeinsam anhalten, um sich gegenseitig zu sichern. Bei den täglichen Arbeitsabläufen in den Organisationseinheiten spielt negative Verstärkung demnach eine Rolle. 96 Zeile 1267-1268 97 Zeile 1793 f 98 Zeile 1287- 1301 53 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Fehlverhalten, Verhalten, welches im Sinne der Eigensicherung nicht optimal ist, wird nicht gern und nicht häufig angesprochen. Der aversive Reiz des Kritikgespräches bleibt aus. Damit wird das Verhalten, welches eigentlich weniger häufig bis gar nicht gezeigt werden sollte, verstärkt. Musahls Vermutung, dass negative Verstärkung der Arbeitssicherheit entgegen steht, wird bestätigt. Mit den folgenden Abbildungen 3 und 499 wird der Ablauf noch einmal illustriert: Was ist die Folge sicheren Verhaltens? Gefühl der Sicherheit „Nichts“ Anstrengung Zeitverlust Verärgerung Sicherheitsabstand wird von anderen Fahrern als „Lücke“ genutzt Einhaltung des Sicherheitsabstands hat Auffahrunfall verhütet Bestätigung des sicheren Verhaltens Keine Bestätigung des sicheren Verhaltens Misserfolg Tendenz zur Wiederholung Keine Tendenz zur Wiederholung Änderung des sicheren Verhaltens Keine Bildung von Gewohnheit Erfolg Bestätigung Bildung sicherer Gewohnheit Festigung des sicherheitswidrigen Verhaltens Bildung sicherheitswidriger Gewohnheiten als Normalverhalten Abbildung 3 99 Schmidt, Peter, 1983, S. 30 54 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Was ist die Folge sicherheitswidrigen Verhaltens? Unfall Beinaheunfall Bequemlichkeit Zeitgewin Achtungserfolg „Nichts“ Auffahrunfall als Folge zu geringen Sicherheitsabstandes Kein Auffahrunfall obwohl Sicherheitsabstand zu gering Misserfolg Kein Misserfolg Bestätigung des Verhaltens Änderung des Verhaltens Keine Änderung des Verhaltens Tendenz zur Wiederholung Tendenz zur sicheren Gewohnheit Weiter sicherheitswidriges Verhalten Sicherheitswidrige Gewohnheit Abbildung 4 Das Beispiel bezieht sich auf sicheres Verhalten im Straßenverkehr, ist aber denkbar einfach auf die Eigensicherung im täglichen Dienst von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zu übertragen. In Abbildung 3 wird nach der Folge sicheren Verhaltens gefragt. Als sicheres Verhalten ist zum Beispiel das Anhalten eines Pkw durch ein Streifenteam zu bezeichnen, wenn eine bestimmte Sicherungsstellung100 eingenommen wird und im Verlauf der Kontrolle eine Beamtin oder ein Beamter die Beobachtung der Personen aufrecht erhält. Die Einsatzkräfte vermuten ihr sicheres Verhalten als Ursache für das Ausbleiben von Übergriffen, ihr sicheres Verhalten wird dadurch bestätigt. Es kommt zu einer Häufung des sicheren Verhaltens und zur Ausbildung einer sicheren Gewohnheit. Nimmt das eingesetzte Team keine Auswirkung ihres Verhaltens bewusst wahr, wird das Verhalten nicht verstärkt. 100 Sicherungsstellung „Pkw“ aus dem Leitfaden 371 55 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Nimmt das Einsatzteam das Einnehmen der Sicherungsstellung „Pkw“ als Anstrengung wahr, und es kommt außerdem zu einer Rüge der Führungskraft, weil zu wenige Kontrollen durchgeführt wurden, wird das sichere Verhalten des Teams bestraft und in der Folge weniger häufig gezeigt. Um nicht wieder einen Misserfolg zu erleben, entscheidet sich das Team zukünftig für Einzelkontrollen. Dieses Verhalten führt zu einer höheren Anzahl angehaltener Pkw, damit zu mehr Verwarnungen und zu Lob vom Vorgesetzten, was als Erfolg und Bestätigung empfunden wird. Hiermit wird das sicherheitswidrige Verhalten verstärkt, somit gefestigt und langfristig zur Gewohnheit. Bei der Abbildung 4 wird sicherheitswidriges Verhalten als Voraussetzung angenommen. Um bei dem oben genannten Beispiel zu bleiben: ein Einsatzteam führt Kontrollen von PKW einzeln ohne Absicherung durch. Als eine mögliche Folge kommt es wegen der fehlenden Sicherung zu einem Angriff (Spalte 1). Dieser offensichtliche Misserfolg des sicherheitswidrigen Verhaltens führt, so die Theorie, zu einer Änderung des Verhaltens, im Idealfall zur Entwicklung einer sicheren Gewohnheit. Die negative Verstärkung findet sich in Spalte 2: Es erfolgt keine Reaktion auf das sicherheitswidrige Verhalten, es kommt zu keinem Misserfolg. Es besteht keine Notwendigkeit, das Verhalten zu ändern. Somit wird weiter sicherheitswidriges Verhalten gezeigt. Wie sicherheitswidriges Verhalten positiv verstärkt wird, ist der Spalte 3 zu entnehmen: Die einzeln vorgenommenen Kontrollen können zu einer deutlich erhöhten Anzahl kontrollierter PKW führen, die Wahrscheinlichkeit, Verstöße festzustellen ist damit ebenfalls erhöht. Eine Vielzahl ausgesprochener Verwarnungen, Zahlkarten oder positiver Alkoholkontrollenkontrollen wirkt als Erfolg innerhalb der Dienstgruppe und wird durch den Vorgesetzten honoriert. (Dies sollte voraussetzen, dass dem Vorgesetzten das sicherheitswidrige Verhalten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht bekannt ist.) In der Folge kommt es zu Wiederholungen des sicherheitswidrigen Verhaltens, eine sicherheitswidrige Gewohnheit bildet sich aus. 56 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ In den Interviews 3-5 (ohne SEK) wurde das Medium Video als Rückmeldemöglichkeit gleichermaßen positiv hervorgehoben. Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten tun sich offenbar schwer damit, eine verbale kritikhaltige Rückmeldung zu akzeptieren. Teilweise werden Ausflüchte und Erklärungen gesucht, teilweise sogar geleugnet, dass man etwas Kritikwürdiges getan habe. Die Experten äußerten sich dankbar für die Möglichkeit der Videorückmeldung: dabei werden Trainings oder Trainingssequenzen aufgezeichnet und nach einer minimalistischen verbalen Rückmeldung werden die Aufnahmen zusammen angeschaut. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können sich selber agieren sehen und erkennen gemachte Fehler selbständig. Beim Nachtrainieren werden diese erkannten Fehler deutlich seltener gemacht. Die Akzeptanz dessen, was sie mit eigenen Augen gesehen haben, ist größer als das Vertrauen in die Aussage der Trainer. Die Frage 6.5 zum Anteil der Theorie- und Praxisanteile in der Fortbildung ist in Teilen der übrigen Fragestellung bereits beantwortet worden. Abschließend kann hier festgehalten werden, dass die theoretischen Parts in den Trainings außer in der Ausbildung gering gehalten werden. Die Trainer sind zwar immer auch in der Lage, Fragen zu beantworten, die sich in ethischer oder rechtlicher Hinsicht während einer Übung ergeben, die rein theoretische Vermittlung von Rechtsinhalten ist aber eher zu vernachlässigen. Zu den Fragen 7.1 bis 7.5: Unter dem Fragenkomplex 7 wurden die Themen Stress, Wahrnehmung unter Stress und Angst behandelt. Insbesondere bei dem Begriff Angst herrschte eine diffuse Annäherung an den Begriff vor. Den Experten war erwartungsgemäß bekannt, wie sich Stress auf die Wahrnehmung auswirken kann und inwieweit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Stress geraten. 57 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Übereinstimmend wurde mitgeteilt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst eher stressfrei, im weiteren Verlauf aber auch unter Stress trainierten. Weiter wurde unterschieden in Trainings, wo bereits der Einsatzanlass der Übung als Stressor wirke wie bei Häuslicher Gewalt oder Lagen, in denen durch bestimmte akustische oder optische Reize erst Stressoren entstehen. Alle Experten erklärten, dass es auch Ziel der Trainings sei, den Beamtinnen und Beamten zu ermöglichen, sich selber unter Stress zu erleben. So können, wie in Kapitel 3.4 beschrieben, unterschiedliche körperliche und/ oder kognitive Symptome auftauchen. Haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer möglicherweise noch nie diese Symptomatik am eigenen Leib gespürt, und sie geraten das erste Mal während eines Echteinsatzes unter Hochstress, so können diese Symptome, weil sie unbekannt sind, wiederum den Stress verstärken. Die meisten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sind im Laufe ihrer Ausbildung oder auf Seminaren mit der Problematik „Wahrnehmen unter Stress“ konfrontiert worden. Oft ist ihnen demgemäß theoretisch bekannt, dass es zu Einschränkungen kommen kann. Dennoch ist das theoretische Wissen kein Ersatz für die selber erlebte Einschränkung. Die Bedeutung von körperlicher Fitness wurde von den SEK- Trainern deutlich stärker betont als von den übrigen Experten 101, wobei diese auf Nachfrage auch angaben, dass eine gewisse körperliche Grundfitness als Baustein zur Stressresistenz beitrage 102. Regelmäßiger Sport trägt bekanntermaßen dazu bei, dass negative Auswirkungen von Stress erst später auftreten als bei untrainierten Personen. Die Stressfestigkeit von sportlichen Personen ist höher als bei unsportlichen. Wer fit ist, ist aber nicht automatisch weniger anfällig für Stress, er ist lediglich in der Lage, diesen besser zu bewältigen. Jede Art von Sport trägt zum Stressabbau bei, da die im Körper frei gewordenen Stresshormone durch körperliche Aktivität wieder abgebaut werden können. 101 Zeile 85 ff 102 Zeile 1025 ff; Zeile 1379 ff 58 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Insbesondere durch Ausdauersport wird ein positiver Effekt auf das HerzKreislauf- System ausgeübt, die Lunge kann mehr Sauerstoff aufnehmen, der Blutdruck wird stabilisiert. Ein geübtes Sportlerherz ist auch nach einer erheblichen Anstrengung schnell in der Lage, wieder ruhig und langsam zu schlagen. Der SEK- Beamte, der, mit Ausrüstung wie Schutzweste, Helm, Schild und Ramme in der fünften Etage angekommen, schnell wieder ruhig atmen kann und einen niedrigen Puls hat, hat mehr Kapazitäten frei, um das zu bewältigen, was auf ihn zukommt. In den Spezialeinsatzkommandos spielt Sport eine erhebliche Rolle und gehört zum täglichen Dienst dazu, wenn nicht ein Echteinsatz die Kräfte bindet. Den Beamtinnen und Beamten der Behörden stehen dagegen pro Monat zwei Stunden zur Verfügung, in denen Dienstsport gemacht werden kann. Umgerechnet ergeben sich also 30 Minuten pro Woche. Die Beamtinnen und Beamten haben natürlich die Pflicht, sich fit zu halten, müssen dies dann aber in ihrer Freizeit tun. Während der Sport bei SEK- Beamten richtigerweise Bestandteil des Dienstes ist, gehört er für die Beamtinnen und Beamten des Wach- und Wechseldienstes, der Kriminalinspektionen, der Verkehrsdienste etc. nicht automatisch dazu. Über den Sporterlass sollen nun verstärkt auch diese Kräfte in die Pflicht genommen werden, sich körperlich fit und damit leistungsfähig und stressstabil zu erhalten. Die Antworten auf die Frage, was die Experten unter „Angst“ verstehen, waren vielfältig. Von der spontanen Äußerung, keiner sollte Angst haben 103, bis hin zu der Feststellung, Angst sei auf jeden Fall vorhanden, keiner könne dies bestreiten104, wurde ein breites Spektrum aufgezeigt. In den Interviews konnte herausgearbeitet werden, dass jede Polizeibeamtin und jeder Polizeibeamte Ängste kennt. Die Symptome, die durch Angst hervorgerufen 103 Zeile 185 104 Zeile 489 ff 59 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ werden, entsprechen den Stresssymptomen, denn Stress ist zunächst die natürliche, automatische Reaktion auf eine mögliche Gefahr. Demgemäß werden Körper und Geist in einen „Alarmzustand“ versetzt, der es möglich macht, besser zu reagieren. Erst wenn die Angst übermächtig wird, kommt es zu Einschränkungen wie unter erheblichem dysfunktionalem Stress. Die Experten benutzten den Begriff „Respekt“105, um den positiven Aspekt von Angst darzustellen. So sei Respekt vor jedem Einsatz notwendig, um diesen Einsatz nicht zu unterschätzen. Zu große Angst wurde mit dem Begriff „Panik“ belegt. In Panik seien keine logischen Handlungen mehr möglich, der Geist blockiere, Handlungsunfähigkeit sei das Resultat. Diese Art von Angst wurde übereinstimmend als negativ bewertet. Generell wurde Angst aber nicht ausschließlich als negatives Gefühl erfasst, sondern auch als Gefühl, das zu einem Menschen dazu gehört. Dieses Gefühl kann in brisanten Einsatzsituationen als Warnung aufgenommen werden und dadurch zu mehr Aufmerksamkeit zwingen. Die Begriffe Angst und Furcht konnten gut voneinander getrennt werden. So stellt sich Furcht immer bezogen auf bestimmte Personen, Objekte oder Situationen dar, während Angst eher unspezifisch ist. Mittlerweile haben sich Begriffe wie „Flugangst“ oder „Angst vor großen Plätzen“ derart etabliert, dass sie, obwohl falsch, zum Sprachgebrauch dazugehören. In der Literatur wird Angst ebenfalls meistens als negativ bewertet. Füllgrabe schreibt sogar, dass es falsch sei, Angst positiv zu bewerten. Wer Angst positiv bewerte und dankbar dafür sei, weil es ihn in Alarmbereitschaft versetze, der habe den Begriff nicht erfasst.106 Diese eher polemische Auseinsandersetzung kann nur unter Fachleuten geführt werden. Der Gebrauch der Begrifflichkeiten unter Laien im Alltag ist aber verbreiteter und damit ausschlaggebend. 105 U.a. Zeile 511 106 Füllgrabe, 2002, S. 140 60 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Wenn also selbst die Experten innerhalb der Polizei unterschiedliche Sichtweisen zu dieser Thematik haben, muss davon ausgegangen werden, dass noch weitere Auslegungen in der Zielgruppe existieren. Dieses sollte immer berücksichtigt werden, wenn mit diesen Schlagworten umgegangen wird. Respekt vor einer Situation, einer Person oder einem Einsatzanlass ist geeignet, eine Unterschätzung der Gefährlichkeit zu verhindern. Wenn dann objektive und subjektive Gefahr deckungsgleich sind, oder die Gefährlichkeit subjektiv höher eingeschätzt wird als sie tatsächlich ist, kommt es gem. Abb. 1, Seite 11, nicht zu einer gesteigerten Unfall, bzw. Angriffswahrscheinlichkeit. Zu den Fragen 8.1 bis 8.7: Im letzten Fragenkomplex sollten Möglichkeiten erarbeitet werden, wie man bei der Polizei über „Beinahe- Unfälle“ oder „Beinahe- Angriffe“ berichten könnte, um die Eigensicherung zu verbessern. Der extrem hohe Nutzen, nämlich Sicherheit für die eingesetzten Kräfte, sollte, wie ich vermutete, ein so großer Anreiz sein, dass eventuelle kleine Unannehmlichkeiten nicht ins Gewicht fallen sollten. Die Beantwortungen waren realistisch, aber entgegengesetzt. Bevor hier die detaillierte Auswertung erfolgt, sei kurz zusammengefasst: Die Experten halten es nicht für möglich, über eine anonym nutzbare IntranetPlattform über taktisches Fehlverhalten zu berichten, dass beinahe zu einem Angriff geführt hätte. Im Einzelnen ergaben sich folgende Erklärungen: Alle Experten gaben an, dass sie sich als Teilnehmer und/ oder Leiter eines Seminars mit anderen über Sachverhalte austauschten, die sie in der Vergangenheit erlebt hätten. Durch diesen Austausch würden Thematiken transparent gemacht und gegebenenfalls Problemstellungen aufgetan und erörtert. In einem SEK werden die beteiligten Kräfte auch an der Nachbereitung des Einsatzes beteiligt, so dass dort ein Austausch stattfindet.107 Je nach Standortgröße 107 Zeile 251 ff 61 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ ist es durch die Durchmischung eines Kommandos auch üblich, dass Kollegen eines anderen Kommandos von aufgetretenen Fehlern oder Problemstellungen erfahren und davon profitieren. 108 In den Behörden steuern auch die Fortbildungsstellen diesen Austausch in ihren Seminaren. Dort berichten sie, ohne Angaben, die Rückschlüsse auf beteiligte Personen zulassen, von Einsätzen, in denen es zu einer erhöhten Gefährdung oder zu einem Angriff kam.109 Der bisherige Berichtsfluss beruht ausschließlich auf persönlicher Initiative. Ein strukturierter Austausch, der über das zufällige Zusammentreffen von Lehrgangsteilnehmern hinausgeht, existiert bisher, nach Aussagen der Befragten, nicht. Der Vorschlag, einen strukturierten Informationsaustausch anzustreben, kam bei allen Experten positiv an. Ein Experte des SEK schilderte, dass es regelmäßige Treffen der Fortbilder von SEK`s gäbe. Dort würde man sich auch über Ländergrenzen hinweg zu Trainings verabreden. Hier gebe es durchaus die Möglichkeit, einen Tagesordnungspunkt einzubauen, indem innerhalb eines strukturierten Erfahrungsaustausches auch oder insbesondere über Fehler diskutiert werde und diese zum Nutzen anderer transparent gemacht würden.110 Die Leiter der Spezialeinheiten treffen sich ebenso regelmäßig. Auf diesen Veranstaltungen gibt es einen ausgewiesenen Tagesordnungspunkt „Einsatzgeschehen“, den man als Einsatzleiter durchaus nutzen könnte, um problematisch verlaufene Einsätze zu erläutern. Hier käme es aber immer auf die Persönlichkeit des Einsatzleiters an, was und wie viel er auf dieser Ebene anderen preisgeben wolle. Erste Bedingung für das Schildern einer Gefährdung, die jedoch nicht zu einem Schaden geführt hat, ist das Erkennen der Gefährdung. Wenn eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter das positive Ergebnis eines Einsatzes als Bestätigung für 108 Zeile 562 ff 109 Zeile 1454 ff und 1845 ff 110 Zeile 619 ff 62 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ ihr oder sein Handeln nimmt, auch wenn nur durch Glück nichts passiert ist, ist kein Bewusstsein für Fehler oder riskante Situationen vorhanden.111 Weiterhin werden Fehler oft billigend in Kauf genommen, um zu einem Einsatzerfolg zu gelangen („solange es gut geht und der Beförderung dient“).112 Offensichtlich ist die Fehlerkultur innerhalb der Polizei nicht geprägt von dem Grundsatz, dass man aus Fehlern lernen kann. Vielmehr stehen Befürchtungen im Vordergrund, dass einem Fehler Konsequenzen folgen müssten. Dies muss so sein bei einem Verhalten, dass strafrechtliche Relevanz zeigt, denn polizeiliches Handeln muss rechtsstaatlich überprüfbar sein und bleiben; die Überprüfbarkeit darf nicht zugunsten eines Lerneffektes zurückstehen. Handeln und Verhalten, welches offensichtlich, auch ohne Prüfung eines Staatsanwaltes, keinerlei strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, könnte folglich transparent gemacht werden. Der Umgang mit Fehlern innerhalb der Polizei scheint problematisch, wie man auch aus dem Rückmeldeverhalten der Trainingsteilnehmer schließen kann. Viele geben nicht gern einen Fehler zu und versuchen, sich für ihr Verhalten zu rechtfertigen. Des Weiteren haben viele Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte die Befürchtung, dass ein zugegebener Fehler sie in einem schlechten Licht vor Kolleginnen und Kollegen sowie vor Vorgesetzten dastehen lassen und zu Nachteilen führen könnte. Die befürchteten Nachteile könnten sich in reduzierter sozialer Anerkennung und sogar in einer schlechteren Leistungsbeurteilung bemerkbar machen.113 Ein Interviewpartner gab an, dass er sehr wohl aus den Fehlern anderer lernen könnte, und somit die gleichen Fehler nicht selber machen müsste.114 Allerdings befürchtete er, dass viele zu Überheblichkeit neigten und die Fehler anderer für sich ausschlössen („mir wäre das nicht passiert,…“).115 Im Gegensatz dazu steht die Aussage eines weiteren Experten, welcher das eigene Erleben von Fehlern höherwertig betrachtet als Erfahrungen aus zweiter Hand.116 111 Zeile 645 f 112 Ohlemacher/ Rüger/ Schacht, 2001, S. 32 113 Zeile 661 ff 114 Zeile 1077 ff 115 Zeile 1092 63 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Als Möglichkeit zu einem strukturierten Erfahrungsaustausch böte sich im Zeitalter des Inter- und Intranets eine Intranetplattform an, die, aufgebaut wie ein Forum oder ein Wiki, einen behördenübergreifenden Informationsaustausch, auch anonym, ermöglichte. Unter einem Wiki (hawaiisch für „schnell“) versteht man eine Sammlung von Webseiten, die von Nutzern gelesen und auch online bearbeitet werden können.117 Obwohl also ein Austausch wünschenswert und erstrebenswert ist, stehen der Einrichtung einer Intranet- Plattform viele vermutete Nachteile entgegen. Über eine Intranetplattform könne keine wirkliche Anonymität zugesichert werden, insbesondere nicht bei den SEK`s, die sehr genau wissen, welches Kommando welchen Einsatz wahrgenommen hat.118 Die oben beschriebene Fehlerkultur behindert ebenfalls einen Intranet- Austausch. Über das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten NRW (LAFP NRW) werden Foren im Intranet der Polizei NRW betrieben:119 - Ein Forum für die geschlossene Benutzergruppe aller Trainerinnen und Trainer des Landes NRW. Hier werden nur entsprechend fortgebildete Trainerinnen und Trainer auf Anfrage freigeschaltet. Diese haben die Möglichkeit, Themen zu eröffnen, sich über bestehende Themen auszutauschen und Anfragen an andere Nutzer zu stellen. Dieses Forum wird so gut wie nicht genutzt! - Ein Forum für die geschlossene Benutzergruppe der Fahrsicherheitstrainerinnen und –trainer des Landes NRW. Auch hier wird ein neues Mitglied erst auf Anfrage freigeschaltet. Der letzte Eintrag in diesem Forum war von Dezember 2007. 116 Zeile 1488 ff 117 http://de.wikipedia.org/wiki/Wiki, Recherchedatum: 19.07.2008 118 Zeile 291 ff 119 http://pol1.lafp.polizei.nrw.de; Recherchedatum: 10.07.2008 über KPB Wesel 64 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ In beiden Fällen wird die Möglichkeit, sich behördenübergreifend, landesweit über bestehende Konzepte, Ansprechpartner, Schwierigkeiten, etc. auszutauschen, nicht oder nur sehr wenig genutzt. Dem Kursleiter Herrn W. war das Forum völlig unbekannt, obwohl er zur freischaltbaren Zielgruppe gehört. Mit den Experten der Landratsbehörde sowie Herrn W. wurde erörtert, was für Gründe es geben könnte, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte eine Intranetplattform nicht oder zu wenig nutzen würden. Als Argument wurde zum Einen das Schlagwort „Reizüberflutung“ gebracht.120 So hätten die Kolleginnen und Kollegen bereits die Möglichkeit, sich über eine Intranetseite über gefährliche Gegenstände oder Verstecke für Waffen zu informieren.121 Zudem würden besondere Erkenntnisse über die Führungsstellen an die Beamtinnen und Beamten gesteuert. Die Fortbildungsstellen druckten die eingestellten Fotos oftmals aus und hängten sie an eine Infotafel im Dienstgebäude. So entstehe nicht der Eindruck, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sich zu wenig informieren könnten. Eine weitere Aussage, die eher zu Lasten der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geht, ist die zweimalige Feststellung, dass sich wohl eher die informierten, die sowieso sensibel mit dem Thema Eigensicherung umgingen, und die, bei denen es notwendig wäre, sich wenig um Informationen bemühten.122 Nur einmal wurde erwähnt, dass es auch ein Mehraufwand in der Alltagsarbeit wäre, so ein Forum durch das Schreiben eigener Beiträge und das Lesen anderer Beiträge mit Leben zu füllen. Dieser Mehraufwand wurde zwar kritisch betrachtet, aber trotzdem als eines der Hauptargumente gegen Intranetplattform vermutet.123 120 Zeile 1466 121 Diese Intranetseite war am 10.07.2008 abgeschaltet. Recherche über KPB Wesel 122 Zeile 1495 – 1500 und Zeile 1874 - 1883 123 Zeile 1891 ff 65 eine Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sind offensichtlich eher dann an Eigensicherung interessiert, wenn sie für sich selber eine Betroffenheit erkennen können. Eine persönliche Betroffenheit kann nicht nur durch eigenes Erleben, sondern auch durch das Erleben einer bekannten Person entstehen, bzw. einer Person, bei der man bestimmte Ähnlichkeiten zu sich selber feststellt. Immer, wenn es zu einem Angriff auf eine Polizeibeamtin oder einen Polizeibeamten gekommen ist, wird das Thema Eigensicherung verstärkt in den Mittelpunkt des eigenen Tuns und Handelns gerückt. Eine neue Intranetplattform zu erstellen, ist, den übereinstimmenden Ausführungen der Experten zufolge, nicht zweckmäßig. Sie würde nicht oder nur wenig genutzt, der tatsächliche Nutzen, ob durch das Erfahren gefährlicher Umstände Situationen weniger unterschätzt würden, wäre nicht messbar. Der Aufwand, ein weiteres Forum zu erstellen, landesweit über dessen Existenz und Sinn zu informieren und dieses Forum zu pflegen und zu betreuen, ist erheblich. Der Nutzen scheint gering und nur für Einzelne vorhanden. Inwieweit man gegebenenfalls die Sicherheit und damit Gesundheit einzelner Polizeibeamtinnen und Polizeibeamter aber gegen den Aufwand aufrechnen darf, ist auch eine Frage der Ethik. Um hier zu einer abschließenden Aussage zu kommen, müssten die Meinungen von erheblich mehr Betroffenen ins Kalkül gezogen werden. 5.2 „Tit- for- Tat“- Strategie Der Interviewpartner Herr W. erwähnt die „Tit- for- Tat“- Strategie als Gegensatz zur Deeskalationsstrategie.124 Die erstgenannte Strategie wurde auch von den Interviewpartnern 3 und 4 in den Nachgesprächen zum Interview genannt. Aus diesem Grund werde ich erläutern, um was es sich dabei handelt und den Begriff der Deeskalation klarstellen: Die Wendung „Tit for Tat“ bedeutet übersetzt „wie du mir, so ich dir“. Es soll ein bestimmtes Verhalten beschreiben, welches man in der Interaktion mit einem oder mehreren Beteiligten anwendet, um zum Erfolg zu kommen. 124 Zeile 1543 ff 66 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Konkret bedeutet es in einer polizeilichen Einsatzlage, dem Gegenüber zunächst freundlich gegenüber zu treten, solange dieser auch freundlich ist. Ändert sich das Verhalten des Anderen, und dieser wird aggressiv, muss darauf sofort angemessen reagiert werden. Angemessen heißt in diesem Fall, dass nicht weiter mit Freundlichkeit geantwortet wird, sondern sofort unmissverständliche Grenzen und mögliche Konsequenzen aufgezeigt werden. Reagiert der Interaktionspartner darauf, nimmt sich zurück und wird wieder ruhiger, muss die handelnde Einsatzkraft ebenfalls wieder zu einem freundlicheren Tonfall zurückfinden. Die Strategie geht also von einer grundsätzlichen Freundlichkeit aus, die erforderlichenfalls aussetzen kann. Sie zeigt sich versöhnlich, macht eine erneute Kooperation möglich und ist für das Gegenüber berechenbar. Dass es einen Band der Schriftenreihe der Polizei- Führungsakademie mit dem Titel „Deeskalation - Ein Begriff voller Missverständnisse!?“125 gibt, zeigt deutlich, dass es sogar in der Führung der Polizei Schwierigkeiten gab und vielleicht noch gibt, mit diesem Begriff umzugehen. Im Interview 5 beschrieb Herr W., dass Deeskalation bedeute, auch dann noch freundlich zu sein, wenn das Gegenüber bereits unkooperativ und/ oder aggressiv sei.126 Diese Aussage zeigt deutlich, wie der Begriff „Deeskalation“ missverstanden werden kann. Zunächst sollte unterschieden werden in das Ziel „Deeskalation“ und „deeskalative Maßnahmen“.127 Das Ziel ist mit verschiedenen Mitteln, auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Es soll erreicht werden, dass ein Konflikt beigelegt wird. Über die Art und Weise der Zielerreichung, die einzelnen Schritte, wird damit nichts ausgesagt. Deeskalative Maßnahmen dagegen umfassen freundliches Verhalten, das Vermeiden von Provokationen durch übermäßiges Zeigen starker Polizeikräfte oder deren Ausrüstung, das Differenzieren zwischen friedlichen Demonstrationsteilnehmern und denen, die die Versammlung von innen heraus stören wollen, etc. Sie sollen, wie andere Maßnahmen auch, dem Ziel „Deeskalation“ dienen. 125 Schriftenreihe der Polizei- Führungsakademie, 4/ 96, siehe auch Fußnote 124 126 Zeile 1547 ff 127 Schmalzl, Deeskalation, 1996, S. 16 ff 67 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Wenn alle beteiligten Konfliktparteien das Ziel haben, einen Konflikt zu minimieren oder wenigstens zu stabilisieren, dann sind die o.g. Maßnahmen geeignet, das Ziel zu erreichen. Ist aber eine Partei nicht gewillt, das Ziel mit zu tragen oder hat gar gegensätzliche Ziele, will vielleicht den gewalttätigen Verlauf einer Versammlung erreichen, dann sind deeskalative Maßnahmen denkbar ungeeignet, das Ziel der Konfliktminderung zu erreichen. Solches Verhalten wird oft als Schwäche der Polizei gewertet und verstärkt möglicherweise gar die Bereitschaft zur Gewalt. Das Zeigen starker Kräfte, die Helme und Schilde tragen, kann hingegen durchaus dazu beitragen, potentielle Störer von ihrem Vorhaben abzubringen. Damit führen auch Maßnahmen, die man nicht als deeskalativ ansehen würde, zum Ziel der Deeskalation. Selbst Wissenschaftler stolpern über diesen Begriff und lehnen Deeskalation als Taktik gegen Bedrohungsszenarien strikt ab, weil sie lebensgefährlich sei. Deeskalieren sei in den letzten Jahrzehnten das Allheilmittel, die Leitlinie jedweden Handels der Einsatzkräfte gewesen und hätte zu frustrierten Einsatzkräften, Misserfolgen und tödlich verlaufenen Einsätzen bei Polizei und Militär geführt.128 Offenbar ist die Differenzierung in Deeskalation als Ziel und deeskalativen Maßnahmen nicht allgemein bekannt. Aus diesem Grund wird Deeskalation regelmäßig abgelehnt und für ein Zeichen von Schwachheit gehalten. Als Fazit meiner Recherchen und aus eigener Diensterfahrung möchte ich das Ziel Deeskalation deutlich als eigensicherndes Ziel dargestellt wissen: Die Absicht jeder Einsatzkraft sollte es sein, den akuten Konflikt zu bewältigen, zu minimieren oder zu stabilisieren bzw. eine Situation nicht erst eskalieren zu lassen. Mit welchen Maßnahmen, deeskalativ oder sehr offensiv, dieses Ziel erreicht wird, ist abhängig von den Gegebenheiten des Einsatzes und auch den individuellen kommunikativen Fähigkeiten der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Wird der Ausbruch eines Konfliktes verhindert, wird im Regelfall auch die Ausübung von Gewalt verhindert, bei der Einsatzkräfte zu Schaden kommen können. 128 Ungerer, 2007, S. 59 68 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Folgt man den Erklärungen von Schmalzl, stellt man fest, dass die Tit- for- TatStrategie nichts Unbekanntes oder Neues für die Polizei ist. Auch Maßnahmen, die nach dem „Wie du mir, so ich dir“ - Prinzip durchgeführt werden, sind ein Mittel, um zur Deeskalation beizutragen. Sämtliches Handeln der Polizei muss auf Deeskalation ausgerichtet sein, das entspricht ihrer rechtsstaatlichen Aufgabe. Damit ist nicht die politische Auseinandersetzung und Lösung von Problemen wie Castor- Transporten, RechtsLinks- Demos, „unerwünschten“ Staatsbesuchen oder die Ausrichtung des G8Gipfels gemeint. Hier ist die polizeiliche Einsatzabwicklung vor Ort zwar gehalten, eine Eskalation des Konfliktes zu verhindern, die Lösung des grundsätzlichen Problems obliegt aber dem Staat. 6. Fazit Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Aus- und Fortbildung der Polizei NRW wissenschaftlich fundiert arbeitet und dem hohen Anspruch an gut ausgebildete Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gerecht wird. Sowohl Ausbilderinnen und Ausbilder sowie Trainerinnen und Trainer werden über einen Zeitraum von bis zu 12 Wochen geschult und auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet. Sie werden durch die Vermittlung der Fachdidaktik und Methodik der Erwachsenenbildung in die Lage versetzt, diese Kenntnisse in die Konzeption und Durchführung von Seminaren und Lehrgängen einzubringen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten die Möglichkeit, vom Leichten zum Schweren, vom Konkreten zum Abstrakten, in einer blamagefreien Zone zu üben und zu lernen. Die Anforderungen an Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, auch unter hohem Stress einsatzfähig zu bleiben, fließt durch die Erfahrung mit der Stressproblematik in die Übungen mit ein. Stress wird langsam gesteigert, und somit wird die Möglichkeit geschaffen, stressresistenter für den Einsatz zu werden. Die Aussage Ungerers soll hier noch einmal dargestellt werden: 69 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ In einer geübten Standardlage gibt es bekannte Gefahren, Bedrohungsmomente werden (wieder-) erkannt. Durch die Trainings und die Erfahrung kann diese Lage abgearbeitet werden, ohne dass es zu Ausfällen durch Stress kommt. Die außergewöhnliche Lage ist geprägt von unbekannten Bedrohungsszenarien, von denen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten noch nie etwas gehört haben, geschweige denn, dass sie eine solche Situation im Training erlebt haben. Sie haben keine Erfahrung im Umgang mit der Lage und damit keinerlei Bewältigungsstrategie. In dieser Lage entsteht Hochstress, der zur Hilflosigkeit führt.129 So werden sowohl in den Spezialeinsatzkommandos wie auch in den Fortbildungsstellen der Behörden Situationen geübt, die nicht nur dem praktischen Alltag entsprechen, sondern deutlich darüber hinaus gehen. Um über ein sicheres Verhaltensrepertoire verfügen zu können, müssen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamtem also möglichst viele und unterschiedliche Lagen kennen und im Training erleben.130 Orthodoxerweise ist es für ein ausgeprägtes Verständnis der Eigensicherung und der Motivation dazu problematisch, dass viele Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte noch keine Situation erlebt haben, in denen sie angegriffen worden sind. Der ärgste Feind der Sicherheitsarbeit ist die Realität, denn die Angriffe bleiben, statistisch gesehen, eine Seltenheit.131 An dieser Tatsache orientieren sich aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielfach. Der Verfügbarkeitsheuristik entsprechend werden Angriffe, die einem selber drohen, verneint oder zumindest nicht als allgegenwärtig drohend empfunden. Es besteht somit keine Notwendigkeit, die Sicherheitsarbeit in der Fortbildung als persönlich wichtig in das eigene Verhaltensrepertoire aufzunehmen. Wenn Trainerinnen und Trainer Situationen schildern, die irgendwann einmal zur Verletzung einer Polizeibeamtin oder eines Polizeibeamten geführt haben, dann beschwören sie damit in erster Linie die Reaktion, dass auf die Einmaligkeit dieser konkreten Lage, die schlechte 129 Ungerer, 2007, S. 88 ff 130 Meier- Welser/ Jäger, 1983, S. 8 131 Musahl, 1997, S. 101 70 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Einsatzabwicklung der Kollegen oder andere Umstände hingewiesen wird, die deutlich macht, dass man selber ganz anders in dieser Situation gehandelt hätte. In diesem Zusammenhang stellt sich ein höheres Dienstalter mit der damit verbundenen langjährigen Erfahrung gleichzeitig als Chance sowie als Risiko dar. Hat es in der Dienstzeit keine erlebten Angriffe gegeben und wird der tägliche Dienst zur Routine im negativen Sinn, überwiegt das Risiko. Hier besteht die Gefahr, dass die Einsatzkraft sich in falscher Sicherheit wiegt. Die Chance kann aber ungleich größer sein: Mehrjährige Diensterfahrung bedeutet eine Vielfalt an erlebten Real- und Trainingslagen; die Wahrscheinlichkeit, in einer völlig unbekannten Lage agieren zu müssen, nimmt ab. Kommt nun das Bewusstsein für die Wichtigkeit eigensichernden Verhaltens hinzu, wirkt dies nicht allein auf diese Polizeibeamtin, diesen Polizeibeamten, sondern kann für jüngere Kolleginnen und Kollegen Vorbildcharakter haben. Vorgesetzte sollten in der Lage sein, sicheres Verhalten zu erkennen, zu honorieren und weiter zu fördern. Führungskräfte tragen diesem Umstand Rechnung, indem sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nach der Anzahl ausgesprochener Verwarngelder beurteilen (siehe S. 54 ff dieser Arbeit). Die Weiterentwicklung der Fortbildung in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass sich Einsatztrainings etabliert haben, die sich an schwierigen, gefährlichen, sogar lebensbedrohlichen Situationen orientieren. 132 In der Ausbildung wird neben der Vermittlung von fachlicher auch soziale Kompetenz gelehrt, was sich u.a. mit Kommunikationstrainings in der zentralen und dezentralen Fortbildung fortsetzt. Schmalzl weist 2003 zu Recht darauf hin, dass die Vermittlung von „situativer Handlungskompetenz“ oder auch „Einsatzkompetenz“ noch einen untergeordneten Stellenwert einnimmt. In dem Begriff der Einsatzkompetenz geht beispielsweise der Begriff „Gefahrenradar“ auf. Meiner Erkenntnis nach tut die Organisation „Polizei“ alles dafür, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst sicher arbeiten können. 132 Schmalzl, Einsatzkompetenz, 2003, S. 41 71 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Von einer Ausstattung mit persönlich zugewiesenen Schutzwesten über neue Waffen bis hin zu guter Dienstbekleidung bleiben wenige Wünsche offen. (Ein Wunsch ist seit vielen Jahren die Ausstattung mit Digitalfunk.) Auch wurde und wird meines Wissens nach ausreichend Gelegenheit gegeben, an den Trainings der zuständigen Fortbildungsstelle teilzunehmen. In Einzelfällen kann es beispielsweise durch Krankheit, Umsetzung/ Urlaub dazu kommen, dass die Vorgaben des ET 24 nicht eingehalten werden können und eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer in einem Jahr nicht die erforderlichen 24 Stunden trainiert. Hierbei handelt es sich aber um vereinzelte Fälle. In den Experteninterviews und weiteren informellen Gesprächen mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten wurde erschreckenderweise angeführt, dass es offenbar immer wieder auch Einsatzkräfte gebe, die Fortbildung für überflüssig hielten und nur deswegen hingingen, weil es Pflicht sei. Selbst die Anwesenheit von Vorgesetzten im Modultraining des ET 24 führe in einigen berichteten Fällen nur zur oberflächlichen Teilnahme an den Trainings. Wenn Trainerinnen und Trainer oder Vorgesetzte nicht anwesend seien, werde wieder für sich erklärt, dass man diese Trainings für nicht notwendige Zeitverschwendung halte. Hier stoßen die Organisation und auch die betroffenen Fortbilderinnen und Fortbilder an eine Grenze, die sie nicht überwinden können. Erwachsene lernen in den Bereichen am besten, aus denen sie für sich selber einen Nutzen ziehen können. Natürlich versuchen die Trainerinnen und Trainer, im Sinne der Erwachsenenbildung alles dafür zu tun, die Motivation dieser Kolleginnen und Kollegen für Eigensicherung auszuprägen. Aber nur wenn es ihnen gelingt, die Einsicht für deren Nutzen zu fördern, wird es langfristig zu einer Einstellungsänderung kommen. 72 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Literaturverzeichnis: Bogner, Alexander und Menz, Wolfgang, Die Verlockung des Experteninterviews: forschungspraktische Vorzüge einer Erhebungsform, in: Bogner, Alexander/ Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview- Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, 2005 Bogner, Alexander und Menz, Wolfgang, Das theoriegenerierende Interview, in: Bogner, Alexander/ Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview- Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, 2005 Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung- Eine Einführung, vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2007 Füllgrabe, Uwe: Psychologie der Eigensicherung, Überleben ist kein Zufall, Boorberg- Verlag, Stuttgart, München, Hannover u.a, 2002 Jäger, Joachim, Angriffe auf Polizeibeamte, Polizei- Führungsakademie Münster, Münster, 1994 Meier- Welser, C. und Jäger, Joachim, in: Konfliktbewältigung und Eigensicherung, Seminar vom 17.-21. Oktober bei der PolizeiFührungsakademie in Münster, Münster, 1983 Musahl, Hans- Peter, Gefahrenkognition- Theoretische Annäherungen, empirische Befunde und Anwendungsbezüge zur subjektiven Gefahrenkenntnis, Roland Asanger Verlag, Heidelberg, 1997 Musahl, Hans- Peter und Bahners, Fritz: Gefahrenkognition in der polizeilichen Eigensicherung Forschungsvorhaben, Vortrag, – Überlegungen gehalten zu am 13.06.2007, einem Deutsche Hochschule der Polizei in Gründung, Münster, 2007 Ohlemacher/ Rüger/ Schacht, Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und –beamte: Zwischenergebnisse der KFN- Studie in: Die polizeiliche Eigensicherung, Schriftenreihe der Polizei- Führungsakademie, Verlagshaus AG, Dresden, 2001 73 Sächsisches Druck- und Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Pfadenhauer, Michaela, Auf gleicher Augenhöhe reden, Das Experteninterviewein Gespräch zwischen Experte und Quasi- Experte, in: Bogner, Alexander/ Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview- Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, 2005 Schmalzl, Hans Peter/ Jedamczik, Edmund: Plötzliche Angriffe auf Polizeibeamte, erschienen in Münchner Polizei 2003, 50. Jahrgang, S. 42 Schmalzl, Hans- Peter, Einsatzkompetenz- Auf dem Weg zu einer Theorie der Eigensicherung, in: Lorei, Clemens (Hrsg.), Eigensicherung & Schusswaffeneinsatz bei der Polizei. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt, 2003 Schmalzl, Hans- Peter, Deeskalation- Entstehungsgeschichte, Irrungen und Versuch der Klärung eines schwierigen Begriffes, in: Thema heute: Deeskalation- ein Begriff voller Missverständnisse!?, Schriftenreihe der Polizei- Führungsakademie, 4/ 96, , Münster, 1996 Schmidt, Peter, Prof., Dr., Eigensicherung als Teil der allgemeinen Betriebssicherheit, in: Konfliktbewältigung und Eigensicherung, Seminar vom 17.-21. Oktober bei der Polizei- Führungsakademie in Münster, Münster, 1983 Spoerer, Edgar, Dr.: Gefahrenbewußtsein und Gefahrenerkennung, in: Konfliktbewältigung und Eigensicherung, Seminar vom 17.- 21. Oktober bei der Polizei- Führungsakademie in Münster, Münster, 1983 Undeutsch, Udo, Ausbildung sicherheitsfördernder Verhaltensweisen, in: Konfliktbewältigung und Eigensicherung, Seminar vom 17.-21. Oktober 1983 bei der Polizei- Führungsakademie in Münster, Münster, 1983 Ungerer, Dietrich, Streß und Streßbewältigung im Einsatz, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Rettungsdienst, W. Kohlhammer- Verlag, Stuttgart, Berlin, Köln, 1999 Ungerer, Dietrich/ Morgenroth, Ulf, Analyse des menschlichen Fehlverhaltens in Gefahrensituationen – Empfehlungen für die Ausbildung-, Zivilschutzforschung, Schriftenreihe der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Neue Folge Band 43, Bundesverwaltungsamt- Zentralstelle für Zivilschutz, Bonn, 2001 Ungerer, Dietrich, Eigensicherung: Der Polizeibeamte in Stresssituationen, in: Eigensicherung in der polizeilichen Praxis, 74 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Internationale Arbeitstagung vom 14,- 15. Mai 2001 bei der PolizeiFührungsakademie, Münster, 2001 Ungerer, Dietrich, Der militärische Einsatz, Bedrohung- Führung- Ausbildung, Miles- Verlag, Potsdam, 2003 Ungerer, Dietrich, Militärische Lagen, Analysen- Bedrohungen- Herausforderungen, Carola Hartmann Miles- Verlag, Berlin, 2007 Volkmann, Paul, Wörterbuch der Arbeitsicherheit, Für Führungskräfte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte und Betriebsräte, Universum Verlags- Anstalt, Wiesbaden 1980 75 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Internetquellen: http://services.langenscheidt.de/fremdwb/fremdwb.html Recherchedatum: 08.06.2008 http://de.wikipedia.org/wiki/Kognition Recherchedatum: 08.06.2008 http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/STRESS/Stress1.shtml#Typische%20Stressmerkmale Recherchedatum: 11.06.2008 http://www.gfs-aktuell.de/Wir_ueber_uns.html Recherchedatum: 10.06.2008 http://www.finanzpsychologie.com/03354799d00ded101/index.html Recherchedatum: 20.06.2008 http://www.phheidelberg.de/wp/grabowsk/lehre/heidelberg/ss03/vlkognition/Logik.PDF Recherchedatum: 20.06.2008 http://www.kfn.de/Forschungsbereiche_und_Projekte/Abgeschlossene_Projekte/G ewalt_gegen_Polizeibeamte_und_-beamtinnen.htm Recherchedatum: 04.06.2008 http://lexikon.meyers.de/meyers/Angst Recherchedatum: 04.06.2008 http://pol1.lafp.polizei.nrw.de Recherchedatum: 10.07.2008 über Intranet der KPB Wesel http://de.wikipedia.org/wiki/Wiki Recherchedatum: 19.07.2008 76 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Anlage 1 Interview Nr. 1, 12. Juni 2008 Experte: Herr B., Fortbilder der Führungsstelle eines Spezialeinsatzkommandos in Nordrhein- Westfalen Persönliche Daten: Name: Herr B. Alter: 40 Jahre Bei der Polizei seit: 1983 Beim Spezialeinsatzkommando seit: 1992 Abschrift der Kassetten 1 und 2: 1 I: In welchen Lagen kommt es deiner Erfahrung nach zu Gefahrensituationen für 2 die Kollegen (Anm. der Autorin: gemeint sind Angehörige des SEK)? 3 4 E: Grundsätzlich sind unsere Einsätze ja sowieso in einem Bereich, wo die Gefahr 5 immer da ist. Was den positiven Effekt hat, dass wir mit Eigensicherung ganz 6 anders umgehen. Wir gehen gut vorbereitet, gut ausgestattet, gut geschützt und 7 gegenseitig gesichert bei allen Lagen vor. Weil bei uns der Gefahrenpunkt ja 8 immer da ist. 9 10 I: Gibt es bestimmte Rahmenbedingungen, die eine Situation noch gefahrvoller 11 machen, als sie sowieso schon ist? Zum Bespiel Alkoholisierung? 12 E: Also, wenn man eine Lage reinbekommt, dann interpretiert die jeder einzelne 13 für sich noch mal etwas anders. Wenn ich zum Beispiel einen Zugriff bei 14 Zigarettenschmuggel habe, habe ich vielleicht eher Täter, die beim Zugriff 15 versuchen zu flüchten, und im Bereich Organisierte Kriminalität denkt man, dass 16 die Leute schon eher bewaffnet sind, also nicht flüchten, sondern eher zur Waffe 17 greifen. 18 19 I: Das sind dann Erfahrungen, die man in dem Bereich gemacht hat? 77 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 20 21 E: Ja, klar. Das sind Erfahrungswerte, die man im Lauf der Jahre macht und die 22 immer wiederkehren. 23 24 I: Sammelt ihr diese Erfahrungswerte? Wie werden die weitergegeben? 25 26 E: Die werden nicht schriftlich gesammelt, sondern wir machen vor jedem Einsatz 27 eine Einsatzbesprechung, wo die Lage vorgestellt wird und wo auch im Vorfeld 28 Gefahrenpunkte angesprochen werden. Da werden dann die Erfahrungen, die die 29 älteren Kollegen seit Jahren gemacht haben, weitergegeben und vor bestimmten 30 Sachen speziell gewarnt. 31 32 I: Du hast gesagt, jeder schätzt die Lage für sich selber ein,… 33 34 E: Ja, das ist ja ganz natürlich, dass jeder für sich eine eigene Einschätzung macht. 35 Es wird schon eine Einschätzung vorgegeben in der Einsatzbesprechung, und 36 jeder Einsatz für uns ist gefährlich oder kann gefährlich werden, und darum sollte 37 jeder schon mit dem nötigen Ernst und Gewissenhaftigkeit an den Einsatz ran 38 gehen. Aber je nachdem, was ich für eine Täterklientel habe, schätze ich das 39 persönlich für mich auch noch wieder ganz anders ein. 40 41 I: Gibt es Gefahrenmomente, in denen Kollegen sich davon überraschen lassen, 42 die sie als sehr plötzlich erleben? 43 44 E: Nee, wenn ich mich gewissenhaft mit dem Einsatz beschäftige und mich 45 vorbereite, werde ich von der Einsatzlage nicht überrascht. Vielleicht von der 46 Intensität des Täterverhaltens, aber grundsätzlich sollte ich mich auf den „worst 47 case“ vorbereitet haben. Das ist natürlich nicht immer leicht, weil selbst die 48 jungen Kollegen haben schon Einsatzerfahrungen gemacht und denken dann, 49 okay, das geht jetzt hier locker von statten, und wenn natürlich was Gravierendes 50 passiert, dann kann es natürlich sein, dass man da auch mal überrascht wird. 51 52 78 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 53 I: Spielt ihr das in euren Trainings auch durch? Du sprichst vom "worst case“; 54 versucht man im Training sich wirklich auch aufs Schlimmste vorzubereiten? 55 56 E: Unsere Taktiktrainings sind so aufgebaut, dass wir schon ein gemischtes 57 Training machen. Wir spielen nicht nur „worst case“- Situationen oder 58 hochkomplizierte Lagen durch, wir machen von allem etwas. Wir machen auch 59 Grundlagentrainings: z.B. macht man beim Häuserkampf ein paar ganz normale 60 Durchgänge, wo man ganz normal jemanden festnimmt, aber dann beim dritten, 61 vierten Durchgang greift der Täter auch mal zur Waffe und schießt, so dass man 62 in ein Feuergefecht gerät. Das wird natürlich auch trainiert. 63 64 I: Also ihr trainiert z.B. die Grundsituation „Festnahme eines Täters in einem 65 Gebäude“, aber mit unterschiedlichen Durchgängen, so dass auch jeder 66 Teilnehmer die Grundsituation auch mal unterschiedlich erlebt. So nach dem 67 Motto: es gibt nicht den Standard, dass es immer gut geht oder der Täter hat 68 immer eine Waffe. 69 70 E: Genau davon wollen wir ja auch wegkommen. Wir wollen einsatzreale 71 Trainings machen, und da kann es nicht sein, dass wir nur hochkomplizierte 72 Sachen üben, die draußen vielleicht einmal in drei Jahren vorkommen. Genauso 73 wenig wäre es richtig, ausschließlich die 08/ 15 Situationen durchspielen. Wir 74 mischen das durch, so dass die Teilnehmer vorher nicht wissen, was jetzt kommt. 75 Das ist realitätsnäher. Es kann ja auch passieren, dass aus einer ganz banalen 76 Sache ein hochkompliziertes Ding wird. 77 78 I: Was wird wie oft in welcher Form trainiert? 79 80 E: Wir trainieren immer, wenn wir nicht im Einsatz sind. Das Training ist sehr 81 vielfältig- das bedeutet, dass wir nicht nur Taktiktrainings machen. Wir haben 82 Schießtraining, Eingriffstechniken, Kletterausbildung, Abseilen, Fast- Roping83 Ausbildung. Fast jeder im Kommando hat seine Spezialfunktion, wo er sich dann 84 auch noch weiterbilden muss, also der Tag ist schon voll. 79 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 85 Sport kommt natürlich auch noch dazu. Sport ist auch dafür da, dass man sich 86 physisch soweit fit macht, dass man, wenn man dann im Einsatz ist, auch 87 psychisch gut arbeiten kann. 88 Komischerweise wohnen unsere Täter immer im obersten Stockwerk, niemals im 89 Erdgeschoß, und ich muss mit der ganzen Ausrüstung, mit Ramme, Schild u.s.w. 90 in den fünften Stock laufen, rammen, und dann muss ich so ruhig sein, der Puls 91 muss soweit unten sein, dass ich vernünftig arbeiten kann, die Situation 92 wahrnehmen kann, auch noch einen vernünftigen Schuss ansetzen könnte,… 93 Dafür ist Sport da, nicht nur zum Lückenfüllen. Das hat schon seinen 94 Hintergrund. 95 96 I: Wie meldet ihr im Taktiktraining zurück? 97 98 E: Wir bereiten grundsätzlich jeden Durchgang nach, das bedeutet, dass nach dem 99 Durchgang alle Beteiligten zusammenkommen, es wird kurz drüber gesprochen, 100 was gut war, wo wir Knackpunkte erkannt haben. Die Akteure, die Fortbilder, die 101 Multiplikatoren, der Kommandoführer, alle Beteiligten können und sollen sich 102 beteiligen. 103 104 I: Und wenn ihr feststellt, da war ein Knackpunkt zu erkennen, der im Ernstfall 105 dazu führen könnte, dass ein Einsatz in die Hose geht oder richtig gefährlich 106 wird? Beispielsweise Deckung nicht genutzt, Kollegen nicht richtig gesichert, wie 107 wird etwas nachbereitet, das schief gelaufen ist? 108 E: Grundsätzlich kann ja jeder Knackpunkt den Einsatzerfolg gefährden. 109 Deswegen wird jedes kritische Verhalten angesprochen. Auch namentlich, bei uns 110 müssen alle kritikfähig sein. 111 Es geht nicht darum, eine Person schlecht zu machen, sondern immer nur darum, 112 die Sache nach vorne zu bringen. Dann müssen alle Fehler angesprochen werden. 113 Manchmal sind es ja auch keine Fehler, sondern nur unterschiedliche Sichtweisen, 114 dass der Einzelne das anders gesehen hat als der Außenstehende, aber trotzdem 115 muss drüber geredet werden, weil es ja nicht nur den einzelnen weiterbringt, 116 sondern die ganze Gruppe, die zuhört, weil die natürlich auch aus den Fehlern von 117 anderen lernen kann. 118 80 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 119 I: Wie funktioniert das in der Gruppe? 120 121 E: Rückmeldungen in der Gruppe sind gewünscht. Nicht jeder kann alles sehen. 122 Und innerhalb der Gruppe nimmt man auch anders wahr als als Außenstehender. 123 124 I: Wenn jemand immer wieder Fehler macht, hat man da auch einfach irgendwann 125 mal keine Lust mehr, zurückzumelden? 126 127 E: Nein, das gibt es nicht. Fehler werden solange angesprochen, bis sie 128 ausgemerzt sind. Ganz konsequent. Und wenn ich jemanden habe, der absolut 129 neben der Spur läuft, mit dem kann ich ja keinen Einsatz fahren. Wenn es nach 130 mehreren Trainings immer wieder dazu kommt, aus welchen Gründen auch 131 immer, dass jemand nicht die Leistung bringt, die er im Kommando aber bringen 132 muss, dann muss man sich konsequenterweise auch von dem Mann trennen. 133 134 I: Das passiert auch tatsächlich? 135 136 E: Das passiert. Es ist auch nicht so, dass man, wenn man einmal im Kommando 137 ist, automatisch immer dabei bleibt. 138 Wir haben auch durch diese hohen Ansprüche Nachwuchsschwierigkeiten. Oft ist 139 es nicht mal die Hälfte von denen, die nach bestandenem Auswahlverfahren auch 140 die einjährige Einführungsfortbildung durchhalten. Da sind sicherlich 141 verletzungsbedingte Ausfälle dabei, die können dann ein Jahr später wieder 142 einsteigen. Aber es wird dabei auch ausgesondert. 143 144 I: Selbst wenn mal also schon einige Zeit im Kommando ist, kann es also 145 passieren, dass jemand gehen muss, weil seine Leistungen nicht mehr gut genug 146 sind? 147 148 E: Genau. Da kann man sich nicht zurücklehnen und glauben, jetzt könne man 149 bleiben, bis man die Altersgrenze erreicht. 150 81 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 151 I: Sowohl während der Ausbildung als auch später bei der Fortbildung spielt 152 Lernen mittels positiver Verstärkung eine Rolle. Wie ist es mit „Bestrafung“, also 153 im lerntheoretischen Sinne? 154 Da heißt Bestrafung, dass auf ein Verhalten, dass man nicht verstärken will, ein 155 negativer Reiz folgen muss. 156 157 E: Wenn mit Bestrafung auch negative Konsequenzen gemeint sind, dann ja, auf 158 jeden Fall. In der Ausbildung wird es zum Beispiel bestraft, wenn jemand beim 159 Schießen Patronen auf den Boden fallen lässt. Dieser Fehler wird gezählt, und 160 hinterher muss die ganze Gruppe versuchen, mittels Liegestütz oder ähnlichem 161 das Fehlerkonto wieder leer zu machen. 162 Im Kommandotraining wird über Kritikgespräche „bestraft“ oder auch durch den 163 Täter, der einen taktischen Fehler ausnutzt und darstellt, dass er denjenigen hätte 164 erschießen können. 165 166 167 I: In euren Trainings wird auch viel Stress aufgebaut. Wie macht ihr das? 168 169 E: Wir versuchen, realitätsnah zutrainieren. Mittlerweile haben wir ja auch FX170 Waffen, damit kann man schon mehr Stress erzeugen als beim Schießen auf 171 Pappscheiben. Und auch im Training wird alles das mitgeschleppt, was man auch 172 im Echtfall dabei hat. 173 174 I: Wie kann man die Kollegen für den Echtfall stressresistenter machen? 175 176 E: Zum einen gehört die körperliche Fitness dazu. Wie ich schon gesagt habe, 177 muss man auch noch einen guten Puls haben und Luft bekommen, wenn man im 178 5. Stock vor der Tür steht. Also Sport ist dazu ganz wichtig. Und in den Trainings 179 üben wir vieles, was so oder ähnlich auf die Kollegen zu kommen kann. Dann 180 haben sie diese Situationen schon mal erlebt und es ist nichts Unbekanntes mehr. 181 Das bringt auch Ruhe rein und erzeugt dadurch weniger Stress. 182 183 184 I: Was verstehst Du unter dem Begriff „Angst“? 82 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 185 E: Das ist ein großer Begriff. Angst sollte keiner von uns haben, aber sich mit 186 möglichen Szenarien vorher beschäftigen, darüber nachdenken, was passieren 187 kann, das sollte man schon. Davor sollte man auch Respekt haben, aber keine 188 Angst. Wenn ich Angst habe, dann blockiere ich mich. 189 190 191 I: Angst lähmt? 192 193 E: Angst lähmt, ja. Aber es ist schon so, dass man Respekt haben sollte. Wenn 194 man über die ganzen Sachen nachdenkt, die geschehen können, dann geht 195 natürlich der Puls hoch, wenn man vor einer Tür steht. Aber das würde ich nicht 196 als Angst bezeichnen. Vielleicht mal als mulmiges Gefühl. Der Puls wird höher, 197 man ist konzentrierter, man ist bei der Sache. 198 199 I: Passiert das nicht auch, wenn man Angst hat? 200 201 E: Ja schon, aber Angst ist das für mich nicht. Angst bedeutet für mich, nicht 202 mehr richtig einsatzfähig zu sein, gebremst und gelähmt zu sein. 203 I: Passiert so etwas im Training oder im Einsatz? Dass jemand nicht mehr 204 einsatzfähig ist, weil er Angst hat? 205 E: Das habe ich bei uns noch nicht erlebt. Dass einer aus dem Einsatzgeschäft 206 rausgenommen werden musste, weil er nicht mehr richtig funktionierte. Das 207 glaube ich nicht. Die ganze Ausbildung ist auch so aufgebaut, dass man die Leute 208 langsam an die schweren Lagen heranführt. Auch später in den Trainings 209 trainieren wir vom Leichten zum Schweren. So können sich die Kollegen an die 210 Situationen gewöhnen. Angst gibt es da dann nicht mehr. 211 Und man wird auch im Laufe der Jahre ruhiger. Je mehr man dann erlebt hat, 212 desto mehr kennt man auch. Ich kann mich an meine Anfangszeit erinnern, wo ich 213 auch mit Herzklopfen vor der Tür gestanden habe und mich gefragt habe, was 214 gleich wohl passiert. Das nimmt im Laufe der Jahre durch die Erfahrung ab. 215 216 I: Durch die Erfahrung, weil man gelernt hat, die Lagen zu bewältigen oder 217 dadurch, dass man schon viele solcher Lagen erlebt hat und dabei nichts passiert 218 ist? 83 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 219 220 E: Wahrscheinlich beides, wobei der zweite Punkt wieder sehr gefährlich ist. Man 221 kommt dann wieder in diesen Routinebereich rein. Wenn man dann aber geistig 222 so fit ist, dass man sich vor Augen hält, was passieren könnte, dann geht es auch 223 wieder. 224 225 I: Je mehr Erfahrung man hat, desto ruhiger wird man, desto eher kann man auch 226 immer wieder während des Einsatzes Szenarien vordenken, aber gleichzeitig 227 schleicht sich eben dadurch die Gefahr der Routine ein. 228 229 E: Solange ich da geistig dabei bleibe und weiter denke, kommt keine Routine 230 auf. Erst, wenn ich abschalte und sage, ich mache hier nur meinen eigenen Part, 231 dann bleibe ich nicht offen für unvorhergesehene Entwicklungen. 232 233 234 I: Prof. Dr. Musahl hat festgestellt, dass Menschen ihre Arbeit für subjektiv 235 ungefährlich halten, obwohl es immer wieder zu Unfällen kommt, die Tätigkeit 236 also objektiv gefährlich ist. Dann wurde fortlaufend über geschehene Unfälle, 237 aber auch über „Beinahe- Unfälle“ berichtet. Das führte dazu, dass die Arbeiter 238 ihre Tätigkeit nun auch aus eigener Sicht als gefährlich wahrnahmen und die 239 Unfallzahlen sanken. 240 Wird bei euch über „Glück- gehabt“- Situationen oder Situationen berichtet, in 241 denen es nur noch Zufall war, dass nichts passierte? 242 243 E: Das passiert ja auch bei uns, dass im Einsatz mal nicht alles optimal 244 abgearbeitet wird. Diese kleinen Fehler werden dann oft von den eigenen Leuten 245 wieder ausgebügelt. Im Training ist es auch so, dass jeder alles machen muss. Das 246 heißt, dass nicht namentlich festgelegt wird, wer was zu machen hat, sondern man 247 hat es auf die Position festlegt. Wenn also der zweite Mann eigentlich nach links 248 gehen müsste, geht aber nach rechts, dann muss der nächste so flexibel sein, dass 249 er die jetzt fehlende linke Position besetzt. Nicht starr auch nach rechts gehen. 250 Jeder muss also die Fehler des anderen ausgleichen. 251 Das sind aber auch Mängel, die in der Nachbereitung bearbeitet werden, das 252 bedeutet, es wird mit allen Beteiligten besprochen. 84 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 253 Auch wenn Fehler gemacht wurden, die der Täter dann glücklicherweise nicht 254 ausgenutzt hat, da wird drüber gesprochen. 255 256 I: Das wird dann im Kommando, bzw. mit den beteiligten Personen besprochen. 257 Aber würde das auch im gesamten Standort publik gemacht? Vielleicht 258 anonymisiert? 259 260 E: Nein, in erster Linie läuft das nur bei den Einsatzkräften. Nicht nur unter den 261 zweien, die vielleicht beteiligt warten, dann schon mit allen Beteiligten, aber nicht 262 im kompletten Dienststellenrahmen. 263 Es sei denn, es ist etwas Gravierendes passiert, dann würde die ganze Dienststelle 264 an der Nachbereitung beteiligt oder aber man würde die Problematik in der 265 gesamten Dienststelle thematisieren. Aber normale taktische Fehler, die passiert 266 sind, bleiben im Kommandorahmen. 267 268 I: Jetzt soll es ja nicht darum gehen, jemanden an den Pranger zu stellen und 269 öffentlich bloßzustellen, geschweige denn darum, ihm die Schuld dafür zu geben, 270 dass der Einsatzerfolg gefährdet wurde, weil er einen Fehler gemacht hat. Aber 271 könnte man es anonym verbreiten, welches Verhalten dazu geführt hat, dass es 272 nur noch Glück war, dass nichts passiert ist? Dann könnten doch andere daraus 273 lernen und diesen Fehler gar nicht erst machen. 274 275 E: Ja, zum Teil läuft so was auch. Es treffen sich ja immer wieder Leute aus 276 verschiedenen Kommandos und Standorten auf Lehrgängen. Und da wird auch 277 über die Einsätze und die Erfahrungen berichtet. Es findet schon ein interner 278 Erfahrungsaustausch statt. Da wird auch offen, zwar anonym, über Mängel und 279 Fehler gesprochen. Ein Einsatz wird vorgestellt, es wird über die Vorgehensweise 280 berichtet, es wird über Probleme informiert und wie man damit umgegangen ist. 281 Wenn die Kollegen so was dann hören, bringen sie es mit in den eigenen Standort 282 und so wird es rumgetragen und verbreitet. 283 Aber einen strukturierten Austausch gibt es nicht. 284 285 I: Wenn es möglich wäre, eine Intranetplattforn nur für SEK- Kräfte einzurichten, 286 wo anonym, mit einem Nicknamen, ohne hinterlegte Echtdaten, über solche 85 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 287 Glück- gehabt- Situationen berichtet werden könnte, meinst Du, dass so etwas 288 genutzt würde. 289 290 E: Ich weiß nicht. Ich fürchte nicht. Ich glaube nicht, dass es angenommen würde. 291 Diese Anonymität wäre einfach bei uns nicht gewährleistet. Die Standorte wissen 292 schon, wo welcher Einsatz gefahren wird, und damit wäre auch klar, in welchem 293 Kommando was passiert wäre. 294 Wir sind zwar eine „Gesellschaft“, in der schon recht offen mit Fehlern 295 umgegangen wird, auch standortübergreifend, aber ich glaube nicht, dass solche 296 Plattformen angenommen würden. Man stellt sich ja selber in einem schlechten 297 Licht dar. Und über die Lagebilder sind immer Rückschlüsse möglich, damit 298 würde wohl eher nicht offen und ehrlich über eigene Mängel und Fehler berichtet. 299 Da ist es schon gut, so wie es jetzt ist: wenn Fehler gemacht werden, spricht es 300 sich ohnehin rum, auch über den eigenen Standort hinaus. Dadurch können die 301 anderen Einsatzkräfte auch davon profitieren, in dem sie den gleichen Fehler nicht 302 machen. 303 Aber eine Plattform, in der Fehler eingestellt werden, würde meiner Meinung 304 nach nicht funktionieren. 305 306 I: Ich danke Dir für Deine offenen Worte und dafür, dass Du Dir Zeit für dieses 307 Interview genommen hast. 86 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Interview Nr. 2, 12. Juni 2008 Experte: Herr R., Fortbilder der Führungsstelle eines Spezialeinsatzkommandos in Nordrhein- Westfalen Persönliche Daten: Name: Herr R. Alter: 45 Jahre Bei der Polizei seit: 1981 Beim Spezialeinsatzkommando seit: 1992 Abschrift der Kassetten 3 und 4: 308 I: Gibt es bei euch im SEK bestimmte Lagen, die eine besondere Gefährlichkeit 309 beinhalten? Oder bestimmte Lagen, in denen es immer wieder dazu kommt, dass 310 Kollegen verletzt werden? 311 312 E: Die ad- hoc- Lagen. Unser großer Vorteil ist, dass wir normalerweise 100% 313 vorbereitet in den Einsatz gehen. Bei ad- hoc- Einsätzen gibt’s aber nicht immer 314 die Möglichkeit, alle Dinge abzuwägen, alle Möglichkeiten zu berücksichtigen, so 315 wie bei einer Langzeitlage oder bei einem entsprechend vorgeplanten Einsatz. 316 Zum Beispiel: morgen früh, 06:00 Uhr, Stubendurchgang. Da kann ich aufklären, 317 habe genügend Informationen. Das habe ich bei ad- hoc- Lagen nicht. 318 Schwierig sind Einsatzlagen mit psychisch kranken Gewalttätern, weil die 319 Reaktionen sehr schwer vorhersehbar sind. Das kann man schlecht kalkulieren. 320 Das ist ein Feld, wo ein großes Gefahrenpotenzial vorherrscht. Da ist zudem auch 321 das Spannungsfeld „das ist ja nur ein psychisch Kranker“ und z.B. dessen 322 abnormer Bewaffnung. Und es ist immer auch die ethische Frage, inwieweit ich 323 gegen einen Kranken Gewalt einsetzen darf. 324 Aus Gesprächen mit dem Wach- und Wechseldienst weiß ich, dass auch 325 Messertäter immer wieder stark unterschätzt werden. Der wird in der 326 Gefährlichkeit gar nicht so wahrgenommen. Viele Kollegen unterschätzen diese 87 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 327 Waffe „Messer“ und meinen, sie hätten doch mit der eigenen Waffe und 328 Pfefferspray die bessere Bewaffnung. 329 Gerade in der Nachbetrachtung von Einsätzen stellen wir fest, dass der Wach- und 330 Wechseldienst häufig selber agiert und versucht, die Lage zu lösen. 331 332 I: Könnte ein Messer ein Faktor sein, der unabhängig vom Einsatzanlass dazu 333 führt, dass eine Lage gefährlich ist? 334 335 E. Ja, Messer, ein psychisch Kranker. Das sind schon Bedingungen, die eine Lage 336 gefährlich machen. 337 Ich muss aber über die 16 Jahre, die ich jetzt dabei bin, auch feststellen, dass die 338 Hemmschwelle der Täter eine andere geworden ist. Heute hat man mehr 339 Handgranaten, Brandbeschleuniger, USBV im Einsatz. 340 Gerade selbst gebastelte Laborate, die noch nicht einmal vom Täter zielgerichtet 341 eingesetzt werden können, sind natürlich zusätzliche Gefahrenquellen. Und noch 342 mal: die Hemmschwelle sinkt. 343 344 I: Rahmenbedingungen, die einen Einsatz gefährlich machen, können also 345 bestimmte Waffen, Brandbeschleuniger, Beteiligung von psychisch Kranken sein. 346 Was ist mit anderen Ethnien? 347 E: Klar, es gibt da einfach Erfahrungswerte. In Sachen islamistischer Gewalt/ 348 Aktivität haben wir es eh kaum mit Deutschen zu tun. Die Einsatzlagen in dieser 349 Richtung häufen sich aber bisher nicht, als das wir da jetzt schon wirklich etwas 350 zu sagen könnten. Gott sei Dank hatten wir die Lage wie Madrid bei uns noch 351 nicht. 352 353 I: Ich denke jetzt auch an osteuropäische Täter,.. 354 355 E: …die sind eher im Bereich der Gewalttaten zuhause. Hier müssen wir 356 feststellen, dass sich diese Täter bei Festnahmen mit einer ganz niedrigen 357 Hemmschwelle auch eher mal gegen die Kräfte wenden als andere. Andere 358 Tätergruppen zeigen häufiger Fluchtverhalten, was für uns weniger ein 359 gefährliches Problem darstellt. 88 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 360 I: Du sagtest gerade, dass im Wach- und Wechseldienst häufig Messertäter 361 unterschätzt werden. Gibt es auch in den Kommandos Situationen, die 362 unterschätzt werden? 363 364 E: Eine Unterschätzung ist vielleicht denkbar. Beispielsweise, wenn man weiß, 365 dass ein Täter eine Kurzwaffe hat, der hat dann aber plötzlich eine Langwaffe. 366 Aber eigentlich hat man die Situation dann nicht unterschätzt, weil man diese 367 Information nicht hatte. Insofern glaube ich nicht, dass Situationen unterschätzt 368 werden. 369 370 I: Gibt es Situationen, Angriffe, die Einsatzkräfte als plötzlich und überraschend 371 erleben? 372 373 E: Ich erinnere mich an eine Lage, interessanterweise mit einem psychisch 374 kranken Täter, den wir insgesamt dreimal festgenommen haben. In den letzten 375 beiden Lagen ist es dem Mann gelungen, auf Kollegen einwirken zu können. 376 Einmal auf den Helm und einmal auf die Hand. Es kam in beiden Fällen nicht zu 377 Verletzungen. Wir sind auf den Einsatz vorbereitet gewesen, aber trotzdem war 378 man noch überrascht, weil er eine Sichel auf einen Besenstiel montiert hatte. 379 Irgendwann ist die Nähe so groß, wenn man kurz vor der Festnahme ist, dann ist 380 man natürlich noch einen Moment überrascht. Man steht vor der Tür, man 381 erwartet auch ein Messer und auf einmal steht der mit so einer Lanze da. 382 383 I: Wie wirkt sich die Überraschung dann aus? 384 385 E: Es ist minimal und führt auf keinen Fall zu Handlungsunfähigkeit. Die 386 Kollegen schalten ja nicht von Null auf Hundert. 387 388 389 I: Wie wird beim Training zurückgemeldet, wenn ihr z.B. Häuserkampf übt? 390 391 E: Nach jedem Durchgang kommen die Beteiligten zusammen, der Ausrichter des 392 Trainings äußert seine Wahrnehmung, und die Akteure können Stellung dazu 393 nehmen. Wenn etwas Gravierendes aufgefallen ist, wird es angesprochen und die 89 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 394 gleiche Situation wird noch mal geübt, solange bis der Durchgang taktisch 395 zufriedenstellend war. 396 Bei komplexen Lagen ist es so, dass wir nach der kompletten Übung in der großen 397 Runde zusammenkommen. Da sind alle dabei, die an der Übung beteiligt waren. 398 Der Hauptausrichter hat sich während des Trainings viele Notizen gemacht und da 399 wird auch wirklich Fraktur gesprochen. Da werden die Dinge so angesprochen, 400 wie sie sich zugetragen haben, da wird nichts beschönigt. 401 Da wird Tacheles gesprochen, egal ob einer 2 oder 10 Jahre dabei ist. Mist ist 402 Mist. Es bleibt bei sachgerechter Kritik, nicht ehrverletzend, aber es wird nichts 403 klein geredet. 404 405 I: Was ist, wenn jemand immer und immer wieder, trotz Ansprache, den gleichen 406 Fehler macht? Wird man da nicht müde, immer wieder dasselbe zurückzumelden? 407 408 E: Nein, diejenigen werden schlicht und einfach ausgesondert. Wenn sich bei 409 bestimmten Dingen taktische Mängel ergeben, dass also eine Taktik überhaupt 410 nicht oder nicht mehr beherrscht wird, dann ist es auch egal, wie lange der 411 Kollege schon hier ist. Er wird schon auf seine Defizite hingewiesen, dann gibt es 412 eine Probezeit, besser Beobachtungszeit, eine Zeit der Nachbesserung. Aber 413 irgendwann stellt man fest, dass keine Möglichkeit der Verbesserung sichtbar 414 wird. Wenn dann auch noch die Eigengefährdung oder Gefährdung anderer 415 Kollegen durch dieses taktische Fehlverhalten sehr hoch eingeschätzt werden, 416 dann muss da die Reißleine gezogen werden. Dann müsste der Kollege das 417 Kommando verlassen. 418 Da gibt es also niemanden, der fortlaufend schlechte Leistung bringen kann. 419 420 I: Ihr arbeitet also mit positiver Verstärkung. Und das System der „Bestrafung“ 421 spielt eine Rolle, d.h. wenn ein nicht erwünschtes Verhalten gezeigt wird, folgt 422 eine negative Ansprache oder unmittelbar im Training wird eine Deckung nicht 423 genutzt, als Strafe folgt der Treffer durch FX- Munition. 424 425 E: Das wird auch schon als negativ erlebt, wenn ich als Einsatzbeamter getroffen 426 werde. Es gibt Situationen, wo ich eine exponierte Stellung habe, wo die Gefahr 427 einfach da ist, dass ich getroffen werde. Es gibt aber auch Situationen, wo ich 90 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 428 einfach zu tumbig war und dann getroffen werde. Bestrafung im Sinne der 429 Sozialkontrolle ist es auch, wenn einer mit einem total befleckten Anzug aus der 430 Übung kommt, und alle anderen haben saubere Overalls ohne Farbmarkierungen, 431 das empfindet man auch als Bestrafung. Aber nicht so negativ, dass man dadurch 432 an den Pranger gestellt würde. Gravierende, wirklich schwere taktische Fehler, 433 z.B. Tunnelblick, da wird auch entsprechend drauf reagiert. Vielleicht auch mehr 434 als in anderen Bereichen der Polizei, ganz sicher sogar. 435 Andere Fehler, Unachtsamkeiten, werden thematisiert und beobachtet, im 436 Hinblick auf die Frage, ob es eine einmalige Sache war oder nicht. Insgesamt darf 437 sich hier kein Mitarbeiter sicher sein, dass er hier eine Lebensanstellung oder 438 zumindest eine sichere Verwendung für die nächsten zehn Jahre hat. 439 440 I: In den Kommandos muss sich ja einer auf den anderen blind verlassen. Meldet 441 sich das Kommando auch selbstständig zurück, wenn etwas nicht in Ordnung 442 war? 443 444 E: Es erfolgen unmittelbare Rückmeldungen. Wenn im Einsatz etwas droht, schief 445 zu laufen, dann wird das unmittelbar zurückgemeldet. Nicht durch den 446 Einsatzleiter oder Kommandoführer, sondern sofort von dem, der es feststellt. 447 Auch in Übungen wird das so gehandhabt, wenn Übungsleitung/ Fortbilder nicht 448 dabei sind. Das kann auch mal ganz einfach ablaufen, indem einer den anderen 449 nach einem FX- Treffer fragt: „Na, was ist los? Bist Du tumbig gewesen?“ Das 450 reicht dann schon. 451 452 I: Es wird aber kein Fehler, kein falsches Verhalten unkommentiert gelassen. 453 454 E: Nein, das gibt es bei uns nicht. Wenn etwas bemerkt wird, wird es auch 455 angesprochen. 456 457 458 I: Stress spielt eine große Rolle, du hast gerade schon den Tunnelblick 459 angesprochen. Wie wird das Thema Stress in die Trainings integriert? 460 91 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 461 E: Durch die Übungsanlage glauben wir, dass wir zu einem frühen Zeitpunkt, 462 dahin kommen, wo der Teilnehmer nicht mehr zwischen Echtlage und Übung 463 unterscheidet. Durch die realitätsnahe Darstellung und einfach auch durch das 464 Einspielen von Situationen. Da kann sich der Einzelne nicht lange verstellen im 465 Sinne von „Ach, das ist ja jetzt eine Übung“ oder „das ist jetzt die Echtlage“. Da 466 erzeugen wir ganz schnell realitätsnahe Übungen. 467 Wir hoffen, durch diesen Realitätsbezug auch Stressstabilität für den Einsatz 468 herzustellen. 469 470 I: In den Übungen wird dann der „worst case“ trainiert, der dann hoffentlich 471 niemals eintritt? 472 473 E: Ja, aber wenn er denn eintritt, dann hat man das schon mal erlebt. Man hat ein 474 Handlungsmuster parat. Es gibt da ja verschiedene Möglichkeiten: Drilltraining 475 oder viele verschiedene Alternativen üben oder die Übung so schwer, so 476 hochkomplex zu gestalten, dass die Einsatzlage hinterher sogar etwas da drunter 477 liegt. Aber natürlich kann man niemals alles durchspielen und vorbereiten. 478 479 I: Und wie bekommt man es hin, dass die Einsatzkräfte stressresistenter werden? 480 481 E: Wir versuchen schon mit dem Auswahlverfahren Leute zu bekommen, die eine 482 gewisse Stressfestigkeit mitbringen. Spätestens aber in der 483 Einführungsfortbildung bei der FSE in Bork, wird ganz schnell festgestellt, ob die 484 Personen stressresistent sind oder ein hohes Maß an Stressfestigkeit haben. 485 Wenn man nach der Fortbildung in den ersten Echteinsatz kommt und steht vor 486 der Tür, dann ist es auch ganz normal, dass der Puls höher wird, dann ist das auch 487 mehr Stress als in der Übungslage. Das geht jedem so. Da sagt man demjenigen 488 schon hinterher, dass er angespannt war, dass er gequalmt hat, das wird für alle 489 reflektiert, dadurch wird der Jüngere aber auch integriert. 490 Wir trainieren aber auch deswegen sehr viel, damit hinterher die Echtlage gar 491 nicht mehr als die herausragende Situation gilt. Es sollte eher so sein, dass die 492 Kollegen durch die vielen Trainings eine ähnliche Situation erkennen, abgleichen, 493 das gelernte Handlungsmuster anwenden. Gestern Übung, heute Einsatz, das 494 Erregungsmoment ist dann einfach nicht mehr so hoch, 92 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 495 496 I: Was verstehst du unter dem Begriff „Angst“? 497 498 E: Angst ist absolut vorhanden. Oder ein wesentliches Merkmal eines jeden, gehe 499 ich mal von aus. Wer erzählt, er hätte noch nie Angst gehabt, das möchte ich mal 500 bezweifeln. Es wird dann ein Problem, wenn das Angstgefühl lähmt, ich muss es 501 einfach ausblenden. Es gibt ja verschiedene Ängste, ich zum Beispiel habe zwei 502 kleine Kinder, da habe ich schon Angst, dass ich mal nicht mehr nach Hause 503 komme. Das ist eine Angst, die latent da ist, die ich aber bei der Arbeit 504 wegblende. Die Grundangst ist vielleicht da, aber die Angst im Einsatzfall oder im 505 konkreten Moment ist nicht da. Zumindest sollte sie dann nicht mehr da sein. Erst 506 recht darf sie nicht dazu führen, dass sie lähmt. Wenn das eine lähmende Angst 507 ist, dann ist es auch ein Problem. 508 509 I: Macht Angst auch aufmerksam? 510 511 E: Vielleicht ist der Begriff Respekt besser. Angst ist doch schon eher negativ 512 besetzt und Angst kann halt auch lähmen. 513 514 515 I: Prof. Dr. Musahl hat festgestellt, dass Menschen ihre Arbeit für subjektiv 516 ungefährlich halten, obwohl es immer wieder zu Unfällen kommt, die Tätigkeit 517 also objektiv gefährlich ist. Dann wurde fortlaufend über geschehene Unfälle, 518 aber auch über „Beinahe- Unfälle“ berichtet. Das führte dazu, dass die Arbeiter 519 ihre Tätigkeit nun auch aus eigener Sicht als gefährlich wahrnahmen und die 520 Unfallzahlen sanken. 521 Wird bei euch über „Glück- gehabt“- Situationen oder Situationen berichtet, in 522 denen es nur noch Zufall war, dass nichts passierte? 523 524 E: Ich kenne schon Situationen, in denen man einfach nur noch Glück gehabt hat. 525 Wenn man diese Situationen realisiert als „Glücksfall“, ist man schon einen 526 Schritt weiter. Wenn man aber sagt, das Ergebnis stimmt, der Weg dahin war eben 527 von Glück geprägt, ich ignoriere das aber, dann habe ich schon ein Problem. 93 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 528 Ich glaube schon, dass bei uns auch realisiert wird, wenn nur noch Glück oder 529 Zufall gezählt hat. Klar gehört auch manchmal Glück dazu. Wo eben kein Glück 530 dazu gehören darf, das ist das handwerkliche Arbeiten. Einsatzerfolg kann ja von 531 vielen Dingen abhängen, aber im Prinzip muss ich bei handwerklichem Arbeiten 532 nicht auf Glück bauen, dann hab ich ein Problem, dann hab ich einen Fehler 533 gemacht. Ich glaube schon, dass das auch hier Realität ist. 534 535 I: Ja, dass das im eigenen Kommando transportiert wird. Aber auch darüber 536 hinaus? Also, würde es auch ein anderes Kommando im eigenen Standort 537 erfahren, so nach dem Motto, oh, da ist was schief gelaufen… 538 539 E: Ja, im eigenen Standort ja. Wir sind ein relativ kleiner Standort, was die 540 Personzahl angeht. Dadurch haben wir eine große Vermischung von Gruppen. In 541 den Standorten, die die Maximalzahl weitestgehend erreicht haben, arbeiten die 542 Kommandos die Einsätze etwas autarker ab. Wir mischen recht viel, d.h. aus allen 543 drei Einsatzkommandos wird eine Einsatzgruppe zusammengestellt. Insofern ist 544 bei uns so eine Durchmengung, dass schon die meisten Kräfte Fehler 545 mitbekommen. 546 Ich glaube, für diesen Standort sagen zu können, dass wir offen damit umgehen 547 und nicht, von Corpsgeist getrieben, Dinge verschwiegen werden. 548 Was ich schon manchmal feststelle, dass so eine Transparenz zwischen den 549 Standorten im Lande nicht immer gegeben ist. Oder zumindest nicht immer 550 gleichmäßig gegeben ist. Wenn Einsatzleiter sich zum Erfahrungsaustausch 551 treffen, ist es natürlich davon abhängig, ob der einzelne Einsatzleiter seinen 552 Einsatz preisgibt und wie er ihn letztendlich darstellt. 553 Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass man insgesamt übers Land und sogar 554 darüber hinaus mal guckt, wo es Einsatzlagen gab, in denen sich Probleme 555 ergeben haben, um einfach auch davon zu lernen und einfach auch den Kollegen 556 mit auf den Weg zu geben, da ist was gewesen, da hätten wir noch intensiver 557 vorbereiten müssen, das war jetzt wirklich ein Glücksfall im klassischen Sinne. 558 Da würde ich eigentlich noch erwarten, dass man sich da noch intensiver 559 austauscht, mit allen Schwierigkeiten. 560 561 I: Okay, du hast gesagt, im Standort selber, funktioniert das halbwegs… 94 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 562 E: Ich würde sagen gut, im Standort hier funktioniert das gut. Klar, dass mal das 563 ein oder andere untergeht, dass nicht jeder einzelne Beamte von jeder Situation 564 alles erfährt, das kann ich jetzt auch nicht unterschreiben, aber insgesamt ist hier 565 schon eine gute Transparenz. 566 567 I: Aber dass es jetzt so einen strukturierten Austausch, standortübergreifend, gibt 568 würdest du dir schon wünschen? 569 570 E: Ja, absolut. 571 572 I: Die Möglichkeit, eine anonyme Plattform im Intranet, zu so einem Austausch 573 einzurichten,…könntest du dir vorstellen, das würde genutzt? 574 575 E: Nein! Ich glaube auch einfach, weil alle Sachen in Schriftform, die so 576 hinterlegt sind, da hat man die Schwierigkeit, im Einzelfall, weil es ja häufig auch 577 komplexe Dinge sind, die kann man ja vielleicht gar nicht so darstellen. Davon 578 mal abgesehen: die Rückverfolgbarkeit, wenn ich weiß, welches Kommando in 579 der Einsatzlage da war, dann ist das ja auch nicht mehr anonym. 580 581 I: Gut, aber im Wach- und Wechseldienst wäre das mit der Rückverfolgbarkeit 582 wahrscheinlich nicht so gegeben. 583 584 E: Wenn ich jetzt so einen Fehler nehme, wie: im entscheidenden Moment hatte 585 ich meine Waffe nicht durchgeladen, ….. 586 587 I: Das würde ich doch nicht nach außen tragen wollen, oder? 588 589 E: Den würde man sicherlich nicht nach außen tragen wollen, aber wenn das 590 tatsächlich, da bin ich ganz sicher, wenn das zu einem Misserfolg geführt hat, 591 oder das Bestandteil einer Situation war, die gravierend war, dann würde man das 592 auch nach außen tragen. Die Frage ist natürlich, wenn das nicht gravierend für den 593 Einsatzfall war, es ist aber im Standort passiert, dann würde ich ja nicht irgendwo 594 und überall erzählen, dass da einer seiner Waffe unterladen hatte. 595 95 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 596 I: Wie könntest du dir so einen strukturierten Austausch denn vorstellen? 597 598 E: Hmm, da hab ich auch schon drüber nachgedacht. Im Prinzip versuchen wir, 599 einfach im Hause eine Transparenz herzustellen. Die Fortbilder sollen bei den 600 Einsatznachbereitungen immer dabei sein, um mit zu hören, wie ist es im Einsatz 601 gelaufen, vielleicht auch Fehlerquellen zu erkennen, wo ist es unrund gelaufen, 602 wo sind auch positive Dinge, natürlich um einfach auch eine Rückmeldung zu 603 haben. Im Prinzip könnte das schon die Plattform sein, die Fortbilder des Landes. 604 Dass die eben regelmäßig einen Austausch pflegen, im Sinne von Bewerten von 605 Einsatzlagen, die sie vielleicht selber nicht all erlebt haben, aber sie können davon 606 berichten, dass….es da und da Knackpunkte gegeben hat. Das wäre für mich ein 607 Forum, wo eben auch Praktiker mit dabei sind, die den anderen das auch 608 entsprechend mitteilen. 609 610 I: Ich glaube auch, dass Fortbilder deutlich machen können, dass es ihnen um eine 611 andere Art von Fehlerkultur geht. Es geht eben nicht darum, dem X vorzuwerfen, 612 was er falsch gemacht hat, sondern den Fehler des X darzustellen, damit der Y ihn 613 nicht auch noch macht. Ohne Schuldzuweisung im Nachhinein. 614 615 E: Ganz genau. 616 617 I: Gibt es das schon, dass die Fortbilder sich regelmäßig treffen? 618 619 E. Wir treffen uns regelmäßig, aber eigentlich um Jahrestaktiken 620 durchzusprechen. Also weniger, um Einsatzlagen nachzubereiten. 621 Es gibt verschiedene Foren, wir sind selber zum Beispiel im XXX- Verbund (die 622 bestimmten Bundesländer, die Standorte X und Y), da kann ich auf jeder 623 Fortbildertagung meine Einsätze vorstellen. Das werden sicherlich auch mal 624 Einsatze vorgestellt, wo man auch eingesteht, dass man da Glück gehabt hat. 625 Das war ein oder zweimal im Jahr. Da hätte ich mit Zeitverzug schon die 626 Möglichkeit zu sagen, uns ist das und das passiert. 627 Auf Landesebene gibt es eigentlich zu diesem speziellen Thema eigentlich kein 628 Forum. Oder zumindest keinen eigenen Termin, sagen wir so. Obwohl wir uns 629 schon, wie gesagt, zweimal jährlich treffen. Aber ein eigenes Forum, so nach dem 96 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 630 Motto: wir schmeißen mal alle Einsätze in eine Pott, wir stellen mal alle Einsätze 631 vor, die vielleicht von der Norm abweichen, gibt’s nicht. 632 Gleichwohl haben die Leiter SE bei jeder Leiter SE- Tagung auch einen 633 Tagesordnungspunkt „Einsatzgeschehen“, da könnte sicherlich auf diesem Wege 634 auch was transportiert werden. 635 636 I: Für mich ist aber dann die Frage, wie viel kriegt Führung tatsächlich mit? Was 637 wird alles vorher gefiltert? Einiges, was im Kommando passiert, kriegt vielleicht 638 noch gerade der Fortbilder mit, aber einiges bleibt auch im Kommando. 639 Ich glaube, es wäre nicht schlecht, wenn man die Führung da einfach mal raushält. 640 So offen und so deutlich wie im Kommando gesprochen wird, redet man doch 641 eher nicht mit dem Vorgesetzten außerhalb des Kommandos. 642 643 E: Da stimme ich dir zu. Ich wollte nur sagen, dass es auf dieser Ebene eine 644 Austauschmöglichkeit gibt. 645 Ich glaube, dass es in der allgemeinen Polizei gar nicht immer so realisiert wird, 646 wenn man einfach nur Glück gehabt hat. Oder das es auch verdrängt wird. 647 Ich glaube, dass es bei uns schon eher realisiert wird. 648 Es hat ja auch Einsatzlagen gegeben, die nicht optimal umgesetzt wurden, wo die 649 Nachbereitung suboptimal war und wo dann auch Mitarbeitern erstmal das 650 vertrauen entzogen wurde, klar. Weil da vielleicht dann auch eine mangelnde 651 Offenheit war. 652 653 I: Das scheint ein Problem in der Polizei insgesamt zu sein, diese Fehlerkultur: 654 Es wird immer rückwirkend einer Person ein Fehler vorgeworfen, der ist dann 655 schuld, statt zu sagen, okay, du hast einen Fehler gemacht, und wie können andere 656 davon in der Zukunft profitieren und wie kann man davon lernen, wie kann man 657 damit umgehen. 658 659 E: Ja, das müsste man vertreten, der Meinung bin ich auch. Aber es hat ja immer 660 auch zwei Seiten, vielleicht kann ich einen bestimmten Fehler gar nicht 661 preisgeben, weil ich mit erheblichen Repressalien rechnen müsste. Es gibt halt 662 welche, die sofort nach einem Fehlgriff sagen: Danke, das war`s. 97 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 663 Je nach Verhältnis mit der Führung, kann es auch schon mal eher dazu kommen, 664 lieber einen Fehler zu verschweigen. 665 666 I: Ich danke Dir dafür, dass Du mir einen Einblick in eure Arbeit ermöglicht hast. 98 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Interview Nr. 3, 13. Juni 2008 Experte: Herr K., Trainer (Integrierte Fortbildung, Einsatztraining 24, Fahrsicherheitstrainer) bei der Fortbildungsstelle einer ländlichen KPB in Nordrhein- Westfalen Persönliche Daten: Name: Herr K. Alter: 42 Jahre Bei der Polizei seit: 1991 Bei der Fortbildungsstelle seit: 2004 Abschrift der Kassetten 4 und 5: 667 I: In welchen Lagen kommt es deiner Erfahrung nach zu Gefahrensituationen für 668 die Kollegen? 669 670 E: Ich bin der Meinung, dass es grundsätzlich in jeder Lage zu 671 Gefahrensituationen kommen kann. 672 Die Lage alleine ist dabei die eigentliche Reizsetzung. 673 Es ist egal, in welcher Lage ich Kontakt zu einer Person habe, ob beim Anhalten 674 eines Fahrzeuges oder in einem Fall von häuslicher Gewalt. Es geht um den 675 Kontakt mit einer anderen Person. 676 Ich muss in jeder Situation damit rechnen, dass der Einsatzverlauf eine Richtung 677 nimmt, die gefährlich wird. 678 Ich muss immer auf Eigensicherung ausgerichtet sein und alle Antennen wachsam 679 auf Empfang haben. 680 681 I: Meinst Du, es gibt Lagen, die typischerweise von den Kollegen unterschätzt 682 werden? 683 684 E: Ich glaube, dass die Kollegen vielfach überhaupt nicht damit rechnen, dass 685 etwas passieren könnte. Das Gefahrenradar ist überhaupt nicht auf Empfang. Es 99 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 686 ist ja auch über viele Jahre immer gut gegangen. Dabei ist es egal ob zwei oder 687 fünf oder 15 Jahre. Es kommen ja auch neue Generationen nach, die von dem 688 Erfolg der Älteren lernen. Also haben selbst junge Kollegen den Erfahrungswert 689 „es ist noch immer gut gegangen“ von den dienstälteren Kollegen für sich 690 übernommen. Daraus folgt, dass die Kollegen annehmen, diesen Bereich 691 vernachlässigen zu können. Das ist meine Einschätzung, wie es dazu kommt, dass 692 Eigensicherung vernachlässigt wird. 693 694 I: Gibt es bestimmte Rahmenbedingungen, die eine Situation noch gefahrvoller 695 machen, als sie sowieso schon ist? Parameter in verschiedenen Einsätzen, die 696 immer wieder kehren und offenbar eine Gefahr bedeuten? Zum Bespiel 697 Alkoholisierung? 698 699 E: Auslöser, dass Polizei überhaupt tätig werden muss, ist natürlich die Lage. 700 Irgendwo ist was passiert, Polizei muss erscheinen. 701 Aber dieses ganze Drumherum, was dann insbesondere zwischenmenschlich 702 passiert, oder was von dem Gegenüber ausgeht, das wären für mich 703 Rahmenbedingungen. 704 Dadurch kommt erst die Gefährlichkeit, die Brisanz in die Lage. 705 706 I: Was ist mit Dunkelheit, schlechten Sichtverhältnissen? Führen solche 707 Bedingungen dazu, dass Kollegen eher angegriffen werden oder dass sie 708 wachsamer werden? 709 710 E: Ich glaube nicht, dass das einen Unterschied macht. Die Kollegen im 711 Streifendienst arbeiten rund um die Uhr: Möglicherweise rechnen sie im 712 Frühdienst eher weniger mit einer gefährlichen Situation. Der Tag hat gerade erst 713 begonnen, es ist hell, aus dem normalen Tagesablauf heraus rechnet man 714 vielleicht ansatzweise weniger damit. Dabei ergeben Erhebungen, von denen ich 715 mal gehört habe, das genaue Gegenteil. Danach war es genau im Frühdienst 716 vermehrt zu Angriffen auf Polizisten gekommen. Deshalb versuche ich, genau 717 dieses Phänomen zu erklären. 718 100 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 719 I: Es gibt einige Untersuchungen, von Jäger (PFA) oder auch dem 720 Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachen (KFN), die haben ergeben, 721 dass die meisten Angriffe auf Polizeibeamte am Wochenende zur Nachtzeit 722 erfolgten. Allerdings wurde dort nur das als Angriff erfasst, was zu einer 723 mehrtägigen Dienstunfähigkeit des Beamten geführt hat. 724 725 E: Am Wochenende sind einfach mehr Leute unterwegs, es werden sowieso mehr 726 Einsätze gefahren, die Leute trinken mehr Alkohol, bzw. auch die, die in der 727 Woche keinen Alkohol trinken, greifen dann mal dazu. Daraus könnte resultieren, 728 dass es da zu einer Häufung kommt. 729 Für mich hat das aber an der Stelle keine Auswirkungen auf die 730 Eigensicherungsmotivation der Kollegen, nach dem Motto: „Oh, jetzt ist 731 Wochenende, jetzt muss ich raschelig werden“. Also entweder ich hab´s 732 gefressen, dass ich immer aufmerksam bin, immer gesund nach Hause kommen 733 will, im Sinne von Eigensicherung also meine Sinne geschärft habe oder ich habe 734 das nicht. Wenn ich diese Tatsachen ignoriere, verdränge, für mich konstatiere, 735 dass ich Eigensicherung nicht brauche, weil meine Waffe die Kommunikation ist, 736 dann wird es für mich eher gefährlich. 737 Diese Kollegen haben einfach nicht für sich erschlossen, dass es heute Nacht, 738 heute im Spätdienst, heute im Frühdienst sein könnte, dass sie ihre Waffe 739 einsetzen müssen. 740 Da ist ihnen die Waffe eher lästiger Ballast, den sie nicht wirklich brauchen 741 742 I: Dann müssten die Kollegen Angriffe vermutlich als sehr plötzlich und 743 überraschend erleben? 744 745 E: Ja, das knüpft für mich alles aneinander an. Ich denke, dass die Kollegen völlig 746 blauäugig in die Situation reingehen, überhaupt nicht damit rechnen, dass etwas 747 passieren könnte. 748 Die schätzen die Lagen als nicht wahrscheinlich gefährlich [es ist nicht 749 wahrscheinlich, dass es gefährlich ist] ein, weiterhin kommt der Gedanke dazu, es 750 wird schon nichts passieren, und ich kann doch nicht ständig damit rechnen und 751 darauf ausgerichtet sein, dass jetzt was passiert. Als ob sie in anderen Bereichen 752 etwas aufgeben müssten, wenn sie diese Gedanken hätten. 101 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 753 Die Kollegen haben hier schon eine falsche Bewertung getroffen, an der sie aber 754 sehr festhalten. Und dann kommt es zum „Too-Late-Syndrom“. Dabei handelt es 755 sich um eine verspätete Bewertung, die Zeit kostet und in letzter Konsequenz zu 756 einer Verletzung/Tötung führen kann. 757 Ich gebe Dir ein Beispiel: Jemand geht mit dem recht starren Bild, es könne schon 758 nichts passieren, in eine Situation. Der Täter zieht eine Waffe. Der Kollege sieht 759 das zwar, aber es passt überhaupt nicht zu dem, was er im Kopf hat. Wenn er dann 760 endlich zu der neuen Bewertung kommt, dass er hier primär bedroht wird, hat er 761 schon wertvolle Zeit verschenkt, er ist in seiner Reaktion blockiert gewesen und 762 in der Folge kassiert er den ersten Treffer. 763 Das Auseinandersetzen mit der Situation in der Situation führt zum „Too-Late764 Syndrom“. 765 Die Auseinandersetzung MUSS vorher geschehen. 766 767 Weiterhin hat Ungerer (Anm. der Verfasserin: Dietrich Ungerer, 768 Sicherheitswissenschaftler) so genannte „kulturellen Nischen“ angesprochen. 769 Das beste Beispiel ist, dass sich jemand absolut nicht vorstellen kann, dass jemand 770 mit einer Waffe in die Kirche geht. Aus seiner eigenen Sozialisation heraus geht 771 das gar nicht, denn in seiner frühkindlichen Prägung hat er schon erfahren, dass 772 sogar die Revolverhelden im Wilden Westen beim Kirchgang ihre Waffen 773 abgelegt haben. 774 775 Wenn Kollegen mir sagen, dass sie sich ja nicht auf alles voll konzentrieren 776 könnten, ohne dass dann dabei etwas anderes, z. B. sicherer Umgang mit der 777 Waffe , darunter leide, dann ist das für mich ein ganz eindeutiger Hinweis darauf, 778 dass sie untrainiert oder zuwenig trainiert sind. 779 780 781 I: Zum Training: was wird wie oft in welcher Form trainiert? 782 783 E: Wir sind jetzt im zweiten Jahr des Einsatztraining 24, und ich denke, dass wir 784 es sehr gut umsetzen. 785 Et 24 bedeutet, dass jeder Kollege/Kollegin mit Außendienstanteilen (also der 786 Streifendienst, Bezirksdienst, Angehörige der Kommissariate, Verkehrsdienst) 24 102 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 787 Stunden im Jahr mit der BOE (=Basisorganisationseinheit) zum Training kommen 788 muss. 789 Anfang des Jahres werden mit den Leitern der BOE`s Trainigsinhalte und –ziele 790 abgesprochen. Die Gruppe wird dann im Modul 1 (ETM 1), in sechs Stunden, mit 791 Grundlagentrainings an die Materie herangeführt. Im nächsten Modul (ETM 2) 792 wird zunächst das Gelernte wiederholt und danach mit den 793 Qualitätssicherungsbögen abgeprüft. Nach bestimmten Kriterien wird festgestellt, 794 ob jemand die erforderlichen Standards erfüllt. Erfüllt er sie nicht, darf er 795 nachtrainieren und die „Prüfung“ wiederholen. Im dritten Modul (ETM 3) kommt 796 es zu einer ganzheitlichen Übung, in der die einzeln gelernten Sequenzen 797 miteinander verbunden werden müssen. 798 Die Theorie spielt für uns kaum noch eine Rolle. Wenn der Leiter BOE 799 Bedrohungslagen trainieren will, ist es seine Aufgabe, den Kollegen z.B. die BAO 800 Bedrohungslage vorher zu erklären. Will er Amok trainieren, muss er den 801 Kollegen den Amok- Erlass vorstellen. 802 Wenn natürlich im Training Fragen auftauchen, erklären wir selbstverständlich. 803 Dabei gilt aber: so viel wie nötig, so wenig wie möglich! 804 805 Es gibt dann noch das vierte Modul (ETM 4) mit sechs Stunden, in dem 806 geschossen werden muss. Wir haben diese sechs Stunden in zwei mal drei 807 Stunden aufgeteilt, damit wenigstens noch zweimal im Jahr geschossen wird. 808 Einmal pro Jahr müssen die Kollegen die LÜHT P 99 und einige auch die LÜHT 809 MP 5 erfüllen. Dabei handelt sich um die landeseinheitliche Übung zur 810 Feststellung der Handhabungs- und Treffsicherheit. 811 812 Insbesondere beim Schießen stelle ich echte Defizite fest. 813 Die Kollegen sind vor 2 Jahren ausführlich, mehrere Stunden lang im Umgang 814 mit der neuen Dienstwaffe beschult worden. Aber einige kommen zum Training 815 und wissen nicht einmal mehr, wo sich der Magazinhaltehebel befindet. 816 Auch bei denen, die meinen, sie kommen gut zurecht, stellen wir fest, dass es zu 817 Handhabungsdefiziten kommt, sobald ein bisschen Stress in die Übungen kommt. 818 Mittlerweile starten wir mit Handhabungsübungen, die manchmal noch belächelt 819 werden. Wenn wir und auch die Teilnehmer aber sehen, dass es nach wenigen 103 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 820 Durchgängen schon zu sicherem Umgang mit der Waffe kommt, dann halten wir 821 das gerne aus. 822 Insgesamt glaube ich, dass wir es durch das ET 24 schaffen, dass die Leute öfter 823 trainieren, öfter wiederholen. Und je mehr Wiederholungen erfolgen, desto 824 sicherer wird ein Verhalten. 825 Beim Schießen ist es anders. Nach der alten Erlasslage mussten die Kollegen 826 dreimal im Jahr zum Schießen. Klar, wir könnten theoretisch aus den sechs 827 Stunden auch sechs mal eine oder drei mal zwei Stunden machen, aber das ist 828 praktisch und logistisch nicht umsetzbar, zumal ja einmal auch die LÜHT 829 geschossen und bestanden werden muss. Also haben wir die Kollegen zum 830 Schießen nur noch zweimal im Jahr da. 831 832 I: Werden in den Trainings auch Situationen trainiert, die die Teilnehmer so oder 833 ähnlich auch im täglichen Dienst erleben? 834 835 E: Dass man 100% genau das trainiert, was dann mal in der Realität passiert, geht 836 nicht. Irgendwo wird es immer Nuancen geben, die sich anders darstellen, anders 837 entwickeln. 838 Mir fällt gerade eine Rückmeldung von Teilnehmern ein, die einen heftigen 839 Widerstand hatten. Einsatzanlass war eine Trunkenheitsfahrt, der Fahrer wurde 840 ermittelt und zuhause angetroffen und zwecks Blutprobenentnahme zur Wache 841 gebracht. Auf der Wache leistete der Täter Widerstand und trotz vorher trainierter 842 Eingriffstechniken waren die Kollegen nicht in der Lage, den Mann zu fixieren. 843 Keiner hätte gewusst, was er denn nun machen sollte und zu guter Letzt haben sie 844 ihn alle gemeinsam nach alter Väter Sitte zu Boden gerungen. 845 Die Technik war nicht verinnerlicht, sie konnten damit nicht umgehen. Das 846 passiert aus meiner Sicht deswegen, weil zu wenig trainiert wird. 847 Die Trainingshäufigkeit ist nicht da und wenn sie da ist, wird sie nicht 848 angenommen. Die Kollegen haben offenbar nicht den Anspruch, dass sie die 849 Techniken für den Fall X wirklich beherrschen wollen, und nutzen Angebote dann 850 nicht so, wie es möglich wäre. 851 Das zielt in Richtung der inneren Einstellung ab: Wenn ich 25 mal eine Technik 852 halbherzig trainiere, weil ich sie meiner Meinung nach sowieso niemals brauche, 853 dann nützen auch diese 25 Wiederholungen nichts. 104 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 854 855 Mit ET 24 sind wir jetzt schon einen Schritt weiter, und vor allem: wir Trainer 856 werden nicht müde, die Kollegen immer wieder neu zu motivieren und jeden da 857 abzuholen, wo er steht. 858 859 I: Wie meldet ihr in den Trainings zurück? 860 861 E: Beim Schießtraining ist es so, dass der Erlass auch „Lagenschießen“ erlaubt. 862 Genau das machen wir auch, im Moment mit dem Schwerpunkt auf 863 Videokonserven, die ganz gut rüberkommen. Da ist nur jeweils ein Team auf dem 864 Schießstand, der Rest bleibt draußen. Die Lage wird trainiert und dann melden die 865 Trainer zurück, was sie gesehen haben. Dabei wird auf Knackpunkte 866 eingegangen, die verbesserungswürdig sind. Das Team kann also völlig 867 blamagefrei agieren und auch bei der Rückmeldung muss sich niemand schämen. 868 869 I: Und bei den Trainings, wo die ganze Dienstgruppe zusammen trainiert? 870 Insbesondere der DGL als Vorgesetzter ist ja dabei. 871 872 E: Der DGL kennt seine Leute sowieso, das ist unproblematisch. Manchmal ist es 873 ein Problem, dass die Leute zwar zu einer Dienstgruppe gehören, aber auf 874 unterschiedlichen Wachen Dienst machen. Da entwickelt sich immer mal wieder 875 eine Gruppendynamik, da bilden sich Kleingruppen und ich habe das Gefühl, die 876 stehen dann schon in Konkurrenz zueinander. 877 Aber wir werden auch positiv überrascht. Manchmal guckt man auf die 878 Teilnehmerliste, macht eine Teilnehmeranalyse und stellt fest, dass Leute dabei 879 sind, die man in vorherigen Trainings schon mal destruktiv oder unmotiviert 880 erlebt hat. Dann findet das Training statt und gerade die, die man im Fokus hatte, 881 arbeiten unglaublich gut mit und tragen zu einem gelungenen Training bei. Den 882 umgekehrten Fall kenne ich allerdings auch. 883 Aber es ändert nichts an unseren Rückmeldungen. Wir versuchen immer wieder 884 klarzumachen, dass wir eine blamagefreie Zone haben wollen, in der es um 885 Weiterentwicklung geht und nicht darum, jemanden vorzuführen, weil er Fehler 886 macht. 887 Die meisten nehmen das auch an, ich habe noch nichts Gegenteiliges gehört. 105 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 888 889 I: Wie wird konkret auf taktisches Fehlverhalten reagiert? 890 891 E: Wir gehen da sofort rein, bedeutet, es kommt zu einer konsequenten 892 Intervention. Im Bereich, wo irgendetwas nicht läuft, wird es angesprochen, 893 nachtrainiert, wir lassen sie auch ihre eigenen Varianten ausprobieren, und zum 894 Schluss sollen sie ihre Verbesserungen auch spüren und erkennen. 895 Da wird nichts so stehen gelassen, wenn es gefährlich ist. Ist da einer, der sich 896 nicht so verhält, wie es sein sollte, er steht zum Beispiel total ungedeckt irgendwo, 897 dann zeigen wir ihm das an entsprechenden Beispielen auf, es wird nachtrainiert, 898 wie er es besser machen kann und er soll es dann selbst erleben, dass es auch 899 wirklich besser ist. 900 901 I: Wird auch mal nicht zurückgemeldet? Dass man irgendwann feststellt, der oder 902 die kann oder will nicht anders, und verliert selber irgendwann die Lust daran, 903 jemanden immer und immer wieder auf seine Fehler hinzuweisen? 904 905 E: Auch in dem Bereich kann ich nur für mich sprechen: wir haben diese 906 Schwierigkeiten, glaube ich, nicht wirklich. Wir haben es immer geschafft, die 907 Teilnehmer zu motivieren, vernünftig mitzuarbeiten. 908 Klar, Du hast immer mal wieder eine Ausnahme dabei, die einfach gar nicht will. 909 Aber das sind so wenige Ausnahmen, dass es nicht ins Gewicht fällt. 910 Ich kann mir für mich nicht vorstellen, dass ich Fehler, die ich erkenne, einfach 911 unkommentiert stehen lasse. Es kann natürlich sein, dass im Trainingsablauf der 912 Fehler nicht unmittelbar bei Auftreten angesprochen wird, sondern erst hinterher, 913 wenn der Durchgang beendet ist und die Rückmeldung beginnt. Wir trainieren so, 914 dass sich ein Fehler nicht verfestigt. Dass nicht der falsche Ablauf einer Technik 915 so oft geübt wird, dass sich dort auf einmal der Automatismus einstellt. 916 Wenn es zum Beispiel um Eingriffstechniken geht, da wird so viel auf einmal 917 gefordert an Bewegungsabläufen, dass ich bei den ersten paar Malen den größten 918 Wert auf die Schrittstellung lege. Erst wenn das klappt, kann ich daraufhin 919 arbeiten, dass das Gewicht auf dem hinteren Bein liegt und erst, wenn das 920 einigermaßen klappt, kann ich den nächsten Schwerpunkt legen. Dann hieße das 921 natürlich, dass zunächst ein Fehler auch mehrfach gemacht wird, bevor er weg 106 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 922 trainiert werden kann. Aber auch hier gilt: je öfter die Kollegen auch diese 923 Bewegungsabläufe üben, desto besser wird es mit der Zeit. Wieder geht es um 924 Wiederholungen, die Sicherheit bringen. 925 926 I: Positives Verhalten wird verstärkt und negatives Verhalten wird bestraft? 927 928 E: Ja, wenn ich falsches Verhalten feststelle, schaue ich genau hin, um zu 929 erkennen, wo genau der Fehler liegt, gehe konsequent rein und daran wird 930 trainiert. Es soll sich auf keinen Fall etwas Falsches festsetzen. 931 932 I: Mit der Einführung von FX- Waffen für die Trainings habe ich den Eindruck 933 gewonnen, dass ein „Ruck“ durch die Fortbildung gegangen ist. Rückmeldungen 934 erfolgen mit diesem Medium auch unmittelbar in der Situation und zwar in Form 935 von Schmerz oder zumindest einem sichtbaren Farbfleck auf der Kleidung. 936 937 E: Ja, das ist so. Du kannst natürlich mit einem Körpertreffer durch FX, der 938 definitiv durch fehlende Deckung entstanden ist, einen höhere Einsicht erzeugen 939 als durch viele Worte. Das eigene Erleben spielt eine große Rolle. 940 941 942 I: Wie wird im Training auf die Problematik „Wahrnehmung unter Stress“ 943 eingegangen? 944 945 E: Wir gehen auf jeden Fall darauf ein. Wir sehen zum Beispiel im Training 946 Kollegen, die in einer Situation einfach nicht reagieren. Von außen betrachtet, 947 fragt man sich dann, warum der denn nichts tut. 948 Gestern beispielsweise, beim Amoktraining, hatte das einschreitende Team 949 Kontakt zu dem Täter. Wir erwarten, dass das Team, wie gelernt, dem Täter 950 nachsetzt, aber es verharrte regungslos. Es erfolgten weitere Reizsetzungen durch 951 hörbare Schüsse, schreiende Opfer. Ganz klar, hier war Stress, absoluter 952 Hochstress sichtbar, vielleicht auch Angst. 953 954 I: Du bringst das Stichwort „Angst“. Schlägt dieser Stress irgendwann in Angst 955 um ? 107 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 956 957 E: Ja, Stress schlägt in Angst um und es kommt zu einer Handlungsunfähigkeit. 958 Angst macht handlungsunfähig, Angst kann sensibilisieren, Angst ist in geringer 959 Dosierung gut. 960 Aber Angst kann auch dazu führen, und so habe ich gestern gesehen, dass daraus 961 eine Handlungsunfähigkeit resultiert. Angst, selbst erschossen oder getroffen zu 962 werden. Die ist vielleicht bei jedem latent immer da. 963 964 I: Ja, aber macht Angst nicht auch aufmerksam/ wachsam? 965 966 E: Die Wahrnehmung ist geschärft, ich bin angriffs- oder fluchtbereit, ja. 967 Bis zu dem Zeitpunkt, wo es dazu kommt, dass die Gefahr als so gegenwärtig, so 968 groß und als nicht zu bewältigen empfunden wird, und das schlägt sich dann in 969 anderem Verhalten nieder, z.B. der Handlungsunfähigkeit. 970 Die Intensität der Angst entscheidet darüber, ob es gut oder schlecht ist, wachsam 971 macht oder aber blockiert und lähmt. 972 Angst hat ja teilweise die gleichen Symptome wie Stress, also erhöhter Puls, 973 Adrenalin, Herzklopfen, Temperatur steigt,… 974 Angst hat sicher jeder von uns mal in einem gewissen Maß. 975 Die Frage ist auch, ob mein Gegenüber meine Angst bemerkt. Ich denke, wenn er 976 sie bemerkt, wird die Situation dadurch wiederum gefährlicher, weil er es als 977 Schwäche ansieht. 978 Wer in welcher Situation Angst in welcher Intensität erlebt, das ist sehr 979 individuell. 980 981 I: Wie wäre es mit dem Begriff „Respekt“, wenn man den positiven Aspekt von 982 Angst beschreiben will? 983 984 E: Ja, das scheint mir objektiver und neutraler zu sein. Angst ist doch immer 985 negativ bewertet. Wenn ich Respekt habe, erkenne ich sehr wohl Gefahren an, 986 aber ich selber stehe der Situation neutraler, offener für das, was sich entwickelt 987 gegenüber. Und ich komme nicht in den Zustand, dass ich blockiere und nicht 988 mehr handeln kann. Ein gesundes Maß an Misstrauen und Respekt führt dazu, 108 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 989 dass ich alle meine Antennen ausfahre und entsprechend gerüstet bin für die 990 Situation. 991 Aber ob man Angst dadurch ausschließen kann, das vermag ich nicht zu sagen. 992 Ich glaube, dass jeder Polizist auch immer mal wieder darüber nachdenkt, dass er 993 vom Dienst nicht mehr nach Hause kommen könnte. Aber das spielt eine 994 untergeordnete Rolle, das wird eher weggedrängt. Wäre die Lebensangst immer 995 allgegenwärtig, könnte keiner mehr Dienst machen. 996 997 I: Wie kann ein Training dazu beitragen, die Kollegen stressresistenter zu 998 machen? 999 1000 E: Durch das Trainieren außergewöhnlicher Lagen. Vielfach wird von den 1001 Kollegen ja gefordert, sie wollen realitätsnah trainieren. Das sind dann die 1002 „Einfach- Lagen“ wie das Vollstrecken eines Haftbefehls, ohne dass es zu 1003 irgendeiner Gefährdung der eingesetzten Kräfte kommt. 1004 Das sollte genau nicht erfolgen! 1005 Ich brauche auf jeden Fall eine Reizsetzung. Ich muss Situationen trainieren, die 1006 auch Ressourcen freisetzen. Wenn ich diese außergewöhnlichen Lagen trainiere 1007 und erkenne, dass ich sie meistern kann, dann bin ich auch in der Verfassung, 1008 unterhalb dieser Schwelle Lagen zu bewältigen. 1009 1010 Standards müssen dabei durchbrochen werden, und es müssen 1011 Bewältigungsstrategien entwickelt werden. Standards durchbrechen bedeutet, dass 1012 die Kollegen lernen, dass es nicht für die Lage X das perfekte Vorgehen Y gibt, 1013 sondern dass man flexibel auf das reagieren muss, was passiert. Und dabei muss 1014 man sich alle Optionen geistig offen halten. 1015 Teilnehmer erwarten manchmal, dass sie eine starre, universell einsetzbare 1016 Handlungsempfehlung von uns bekommen. Genau das geht eben nicht, davon 1017 müssen wir weg. 1018 Natürlich gibt es Empfehlungen, in welchen Situationen welches Verhalten Erfolg 1019 versprechender ist. Aber wenn die Reallage minimal von der Trainingslage 1020 abweicht, kann ein minimal verändertes Verhalten optimaler sein als das vorher 1021 empfohlene. 1022 109 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1023 I: Sport als Mittel, um stressresistenter zu werden? 1024 1025 E: Jein, eher allgemeines Wohlbefinden. Ein allgemein guter Körperzustand sollte 1026 schon sein. Klar, ein gut trainierter Sportler kommt bei Stress auch nicht so 1027 schnell auf Puls wie ein fettleibiger, untrainierter Kollege. Aber das ist für mich 1028 nur ein Baustein zu der mentalen Stressrestistenz. 1029 Wenn ich körperlich fit bin, bin ich insgesamt leistungsfähiger und das gehört 1030 dann schon zu dem Komplex Stress. 1031 1032 Ich würde sagen, dass wir in den Trainings teilweise durch Reizsetzungen 1033 (Akustik, Schüsse, Dunkelheit, unbekannte Örtlichkeit, unerwartete 1034 Lageentwicklung) so ein hohes Stressniveau erzeugen, dass die Teilnehmer dann 1035 in einer Reallage immer noch unterhalb dieses Levels bleiben und agieren. Sie 1036 haben so etwas dann schon einmal erlebt und es kommt nicht völlig unvermittelt. 1037 1038 1039 I: Prof. Dr. Musahl hat festgestellt, dass Menschen ihre Arbeit für subjektiv 1040 ungefährlich halten, obwohl es immer wieder zu Unfällen kommt, die Tätigkeit 1041 also objektiv gefährlich ist. Daraufhin wurde fortlaufend über geschehene Unfälle, 1042 aber auch über „Beinahe- Unfälle“ berichtet. Das führte dazu, dass die Arbeiter 1043 ihre Tätigkeit nun auch aus eigener Sicht als gefährlich wahrnahmen und die 1044 Unfallzahlen sanken. 1045 Wird bei euch über „Glück- gehabt“- Situationen oder Situationen berichtet, in 1046 denen es nur noch Zufall war, dass nichts passierte? 1047 1048 E: Früher kamen bei den Seminaren Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen 1049 zusammen. Da kam es dann auf dem Flur oder auch zwischen den Übungen 1050 immer wieder zu einem Erfahrungsaustausch. Je nach Gruppe wurde da auch 1051 offen über so etwas berichtet. 1052 Jetzt bei ET 24 ist ja immer die Truppe zusammen, die auch zusammen Dienst 1053 macht, das heißt, der Erfahrungsaustausch wird schon sehr eingeschränkt. 1054 Klar, wenn in unserer Behörde etwas sehr Gravierendes passiert ist, wo dann 1055 wirklich nur noch Glück den Erfolg ausgemacht hat, dann transportieren wir 110 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1056 Trainer das. Anonym natürlich. Wir sprechen Situationen an und die werden dann 1057 auch teilweise weiter multipliziert. 1058 1059 I: Erfährt man denn etwas aus anderen Behörden? 1060 1061 E: Wenig. Nur über persönliche Kontakte. 1062 1063 I: Kannst Du Dir eine Form des anonymisierten Austausches, z.B. via Intranet 1064 vorstellen? 1065 1066 E: Ich glaube, das funktioniert nicht. Wir kriegen die Situationen nicht raus. Die 1067 Kollegen gehen nicht offen und ehrlich damit um. Und deswegen kämen wir gar 1068 nicht dahin, dass wir auf diese Erkenntnisse zurückgreifen könnten. Ich glaube, 1069 auch wenn es sicher wünschenswert wäre, wir kriegen das nicht hin. 1070 Noch nicht einmal für alle Mitarbeiter der Behörde. 1071 Meine Befürchtung wäre auch, dass die Kollegen das eher aus Neugierde lesen 1072 würden als aus Gründen der Eigensicherung. 1073 Die Kollegen wollen doch auch nicht preisgeben, wenn etwas unrund gelaufen ist. 1074 Und dann kann doch jemand Rückschlüsse auf den ziehen, der es geschrieben hat, 1075 und dann geht es durch die ganze Behörde, wer da welchen Fehler gemacht hat. 1076 1077 Für mich persönlich wäre es gut, wenn ich die Möglichkeit hätte, von den guten 1078 und auch schlechten Erfahrungen der Kollegen zu profitieren. Wenn ich dann 1079 lesen würde, dass ein bestimmtes Verhalten zu der und der gefährlichen Situation 1080 geführt hat, dann müsste ich den Fehler nicht erst selber machen, um im 1081 schlimmsten Fall nicht mehr gesund aus der Situation heraus zu kommen. 1082 1083 I: Aber wenn es behördenübergreifend so etwas wie ein Wiki gäbe, wo unter 1084 bestimmten Überschriften Kollegen anonym schreiben könnten, was ihnen 1085 passiert ist, und es für den User keine Möglichkeit herauszufinden, wer das 1086 eingestellt hat,…. 1087 1088 E: Wünschenswert, ich könnte mir vorstellen, dass das zu einer gewissen 1089 Sensibilisierung führt. Wenn man so ein Informationsforum hätte, könnte sich 111 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1090 jeder bedienen, wie er wollte. Die Frage ist dann, was jeder Einzelne für sich 1091 persönlich da mitnähme. Vielleicht würden auch Reaktionen aufkommen wie: 1092 “mir wäre das nicht passiert“ oder „ich hätte aber,…“. 1093 1094 I: Stell Dir vor, es gäbe diese völlig anonymisierte, kurze, prägnante Möglichkeit, 1095 sich in einem Forum auszutauschen. Ein Forum von Kollegen für Kollegen. Also 1096 nicht über Trainer, die einstellen, dass sie was gehört haben. 1097 Würden die Kollegen das Deiner Einschätzung nach selber füllen und nutzen? 1098 1099 E: Nein, ich glaube, sie würden in überwiegender Anzahl nicht schreiben. Lesen 1100 würden sicher mehr. Aber Schreiben würden nur ganz wenige. Vielleicht die, die 1101 damit auch eine Situation im Nachhinein bewältigen wollen und sich wünschen, 1102 dass andere auch was davon haben. 1103 1104 I: Ich danke Dir ganz herzlich für Deine ehrlichen Antworten und für die Arbeit, 1105 die Du Dir auch im Vorfeld gemacht hast! 112 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Interview Nr. 4, 13. Juni 2008 Experte: Herr M., Trainer (Integrierte Fortbildung, Einsatztraining 24, Fahrsicherheitstrainer) bei der Fortbildungsstelle einer ländlichen KPB in Nordrhein- Westfalen Persönliche Daten: Name: Herr M. Alter: 44 Jahre Bei der Polizei seit: 1982 Bei der Fortbildungsstelle seit: 1999 Abschrift der Kassetten 5 und 6: 1106 I: In welchen Lagen kommt es Deiner Erfahrung nach am häufigsten zu 1107 Gefahrensituationen für die Kollegen? 1108 1109 E: Es gibt aus meiner Erfahrung keinen Bereich, wo man Gefahren ausschließen 1110 kann. Gefahren können sich schon bei der alltäglichen Lage entwickeln, wenn ich 1111 eine Person überprüfe, oder ein Bürger kommt auf den Schutzmann zu, …auch da 1112 können Gefahrenmomente auftauchen. 1113 Einen Bereich ausschließen würde ich nirgendwo. 1114 1115 I: Hast Du den Eindruck, dass es Einsatzanlässe gibt, wo sich Gefahrenmomente 1116 häufen, in denen es häufiger zu Angriffen auf Polizeibeamte kommt? 1117 1118 E: Ja, immer in den Bereichen, wo schon Gewalt ausgeübt worden ist. Beispiel: 1119 Häusliche Gewalt, wo der Aggressor seine Frau schon verprügelt hat, wo Alkohol 1120 im Spiel ist. Das sind Bereiche, in denen man auf jeden Fall damit rechnen muss, 1121 dass sich das Aggressionspotential auch gegen die Einsatzbeamten richtet. 1122 1123 I: Alkohol wäre eine mögliche Rahmenbedingung für 1124 Gefährdungslage. Fallen Dir noch andere solche Bedingungen ein? 113 eine erhöhte Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1125 E: Immer die Bereiche, wo mehrere Meinungen aufeinander treffen, da gerät man 1126 schnell zwischen die Fronten. Das kann ein Nachbarschaftsstreit ohne Alkohol 1127 sein, das kann aber genauso gut im Milieu ein Bereich sein, wo um Geld oder 1128 Drogen gestritten wird. 1129 1130 I: Was ist mit Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen als 1131 Rahmenbedingung? 1132 1133 E: Das kommt darauf an, ob der Angriff schon mehr oder weniger geplant war. 1134 Dann würde die Dunkelheit sicher dazu führen, dass man sich als Störer wohler 1135 fühlt als im beleuchteten Bereich. Aber so generell könnte ich nicht sagen, dass es 1136 die Dunkelheit ist, in denen die Gefahrenmomente gesteigert werden. 1137 1138 Ich glaube, dass es bestimmte negative Faktoren gibt, die in der Person des 1139 Polizeibeamten liegen: viele nehmen die Dinge einfach zu leicht, sie stellen sich 1140 nicht vor, dass es irgendwo gefährlich für sie werden könnte. Daraus ergibt es sich 1141 dann, dass sich die Kollegen zum Beispiel unvorsichtig an Personen oder 1142 Fahrzeuge annähern. 1143 Dazu kommt dann noch, dass viele auch vor der legitimen Benutzung von Gewalt 1144 zurückschrecken. Der Gedanke behagt ihnen nicht. 1145 1146 I: Nehmen die Einsatzkräfte Gefahrenmomente überhaupt war? 1147 1148 E: Aus meiner eigenen Dienstzeit kann ich sagen, dass ich schon bei bestimmten 1149 Einsatzstichworten wie „Randalierer“, „Streitigkeiten“ von einem gewissen 1150 Gewaltpotential ausgegangen bin. Bei Alltagssituationen, wo man eigentlich 1151 „nur“ mal überprüfen oder gucken sollte, ist man manchmal auch vielleicht 1152 überrascht worden von dem, was man da vorgefunden hat. Dass die Sache 1153 schlimmer war, als man sich die eigentlich vorgestellt hat. 1154 1155 I: Also, in der Vorstellung hatte man ein anderes Bild von der Lage. Tatsächlich 1156 hat sie sich anders dargestellt. 1157 1158 E: Ja. 114 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1159 I: Die subjektive Einschätzung kommt schon mit dem Einsatzstichwort. 1160 1161 E: Ja, wenn es heißt: „Fahrt mal eben gucken, da ist ein Streit.“ muss man nicht 1162 gleich die Vorstellung haben, dass es da schon hoch hergeht, dass Stühle und 1163 Flaschen fliegen. Hat man aber schon solche Einsatzerfahrungen gemacht, 1164 vielleicht gerade noch einen Tag vorher, dann hat man sofort ein anderes Bild. 1165 1166 I: Kollegen beschreiben es meistens als „plötzlich“ und „unerwartet“, wenn sie 1167 angegriffen werden. Kannst Du das aus Deiner Erfahrung bestätigen? 1168 1169 E: Ja, das kennt man aus Einsätzen, die gewohnheitsmäßig immer gleich ablaufen. 1170 Insbesondere wenn man davon ausgeht, dass alle gleichermaßen die uniformierte 1171 Polizei erkennen und ihre Anordnungen akzeptieren. Wenn man mit diesem Bild 1172 irgendwo erscheint und es wird ein Angriff gestartet, dann ist man überrascht. 1173 1174 I: Der Polizeibeamte hat ein festes Bild von dem, wie die Situation sich gestalten 1175 müsste? 1176 1177 E: Ich gebe Dir ein Beispiel: Ein Bezirksdienst- Beamter soll einen Haftbefehl 1178 vollstrecken bei Herrn Lehmann, den er schon kennt. Er war auch schon mehrfach 1179 da, hat vielleicht immer eine Ratenzahlung ausgehandelt und hat also seine 1180 Erfahrungen und Gewohnheiten mit Herrn Lehmann. Er kennt ihn auch 1181 mittlerweile ganz gut. Wenn Herr Lehmann aber wegen unbekannter Umstände 1182 auf einmal völlig anders drauf ist, dann kann es dem Polizisten passieren, dass er 1183 unvorbereitet in eine Gewaltsituation gerät, weil er damit gar nicht gerechnet hat. 1184 Ginge man sensibel damit um, versetzt man sich auch mal in die Situation des 1185 Herrn Lehmann, dann könnte man sich vielleicht vorstellen, dass es zur 1186 Eskalation kommen könnte und wäre vorbereiteter. 1187 Wenn ich also kein festes Bild im Kopf habe, sondern eher ein Spektrum „von1188 bis“, dann bin ich flexibler. Mit vernünftigen Menschen kann ich vernünftig 1189 umgehen, aber ich habe auch im Kopf, dass jemand nicht vernünftig reagiert und 1190 versucht, zu flüchten oder auch mich anzugreifen. Dann habe ich das bereits 1191 vorgedacht und werde nicht überrascht. Und dann kann ich auch besser agieren. 1192 115 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1193 Und letztendlich treten die gleichen Fehler immer wieder auf. Eine Ursache dafür 1194 sehe ich im sorglosen Handeln. Ich habe es schon gesagt, die Kollegen sehen sich 1195 nicht großartig gefährdet und vertrauen darauf, dass es wieder gut geht. Wie es 1196 doch bis jetzt immer gut gegangen ist. Sie sind tausend Mal mit ihrer schlampigen 1197 Routine durchgekommen, ohne Schaden genommen zu haben. Dieses Verhalten 1198 haben sie sich also zu eigen gemacht. 1199 Wobei Routine ja auch etwas Positives haben kann. Der negative Aspekt liegt 1200 darin, dass die schlechten Gewohnheiten einfach nicht mehr überprüft werden und 1201 die Kollegen dadurch in ihrem falschen Verhalten bestärkt werden. 1202 1203 I: Wenn Kollegen erzählen, dass sie bei dem und dem Einsatz von dem Angriff 1204 überrascht wurden, waren das auch Situationen, die sie irgendwann vorher mal 1205 trainiert hatten? 1206 1207 E: Wir in der Fortbildungsstelle nehmen als Grundlage für Trainings das aktuelle 1208 Einsatzgeschehen. Daraus werden die Trainingssituationen gemacht. Wir lassen 1209 uns also diese Einsätze schildern und versuchen, mit entsprechenden 1210 Rollenanweisungen für die Darsteller, diese Lage darzustellen. So haben wir den 1211 Alltag im Training. Man braucht nichts erfinden. 1212 1213 I: Weißt Du, ob es in Situationen, die hier bereits trainiert worden sind, im 1214 späteren Einsatzgeschehen zu einem Angriff kam? 1215 1216 E: Ja, wenn wir im Bereich „Häusliche Gewalt“ trainieren, dann kann es natürlich 1217 passieren, dass es bei einem Echteinsatz „Häusliche Gewalt“ trotzdem zu einem 1218 Angriff gegen Kollegen kommt. 1219 1220 I: Wenn ein Teilnehmer im Training ein Verhalten zeigt, dass aus 1221 Eigensicherungsgründen völlig inakzeptabel ist, wie wird damit umgegangen? 1222 1223 E: Durch die Trainer wird auf dieses Verhalten hingewiesen. Ich persönlich 1224 mache es so, dass ich versuche, mich ein bisschen einfühlungsmäßig mit dem 1225 Kollegen auseinander zu setzen. Am Ende eines Seminars habe ich eigentlich 1226 immer den Blick drauf gehabt, ob ich mit diesem Kollegen draußen diesen Einsatz 116 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1227 fahren würde. Im Rahmen der Erwachsenenbildung versucht man einfach, sich 1228 mit dem Kollegen auseinander zu setzen und zu sagen, so würde ich mit dir nicht 1229 Streife fahren wollen, aus den und den Gründen. Also noch mal an seine 1230 Einstellung appellieren. 1231 1232 I: Das geht in die Richtung Verhaltensänderung über Einsicht herbeiführen? Wie 1233 sieht es mit Lernen durch Verstärkung und/ oder Bestrafung aus? 1234 1235 E: Ja, wenn wir im Training auf bestimmte gefährliche Gegenstände hinweisen, 1236 z.B. ein Teppichmesser in einer noch nicht ganz renovierten Wohnung, und der 1237 Rollenspieler, der als Täter eingewiesen wurde, stellt fest, dass das übende Team 1238 trotz der Hinweise und Übungen vorher dieses Messer nicht aus dem 1239 Einwirkungsbereich des Täters entfernt, dann wird dieser diese Schwachstelle 1240 ausnutzen und versuchen, die Kollegen damit anzugreifen. Das wäre dann Lernen 1241 durch Schmerzen, also Bestrafung, auch wenn es natürlich ein Trainingsmesser 1242 ist. Der Kollege hätte dann dieses Erlebnis, wo er vielleicht vorher gesagt hat: 1243 „ich hab das alles im Griff, ich hab den Überblick, der wird mir schon nichts tun“. 1244 Genau mit so einer Reaktion erfährt er dann eine Sanktion. Und eventuell ist er 1245 sogar geschockt. 1246 1247 I: Diese Sanktion müsste dann dazu führen, dass das gezeigte Verhalten weniger 1248 wird. 1249 1250 E: Ja, wir haben über Jahre ohne Farbmarkierungswaffen trainiert und immer 1251 gepredigt, die Kollegen sollen keine herumliegende Waffe wegtreten, weil sich 1252 dann ein Schuss lösen könnte. Das Predigen hat nicht wirklich zum Erfolg 1253 geführt. 1254 Seit einigen Jahren haben wir diese FX- Waffen und es kann tatsächlich im 1255 Einzelfall geschehen, dass sich ein Schuss löst, wenn die Waffe weggetreten wird. 1256 Das wiederum löst dann eine Kettenreaktion aus. Der Teampartner, der nicht 1257 gesehen hat, dass sich der Schuss aus einer am Boden liegenden Waffe gelöst hat, 1258 erschreckt sich und vor lauter Schreck löst sich aus seiner Waffe auch ein Schuss. 1259 Durch solche Trainings erfahren die Kollegen unmittelbar, was durch ihr 1260 Verhalten passiert. Und das wirkt. 117 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1261 1262 I: Wenn jemand im Training immer und immer wieder das gleiche taktische 1263 Fehlverhalten zeigt, wird man da nicht irgendwann müde, ihn darauf 1264 hinzuweisen? Verzichtet man da mal auf eine negative Rückmeldung? 1265 1266 E: Wenn verschiedene negative Sachen mehrfach deutlich hervorgehoben wurden 1267 und die Mehrzahl der Anwesenden, die trainieren, haben das nachvollzogen, dann 1268 muss man sicherlich nicht zum 1000sten Mal ansprechen, was nicht optimal läuft. 1269 Gleichwohl gibt es immer noch das Medium Rückmeldung, auch persönliche 1270 Rückmeldung außerhalb der Gruppe, und da kann man sicher so was noch mal 1271 ansprechen, wenn man jetzt selber als Trainer gut gearbeitet haben will. 1272 Ich vergleiche das immer so, ich möchte mit dem Streife fahren, und mit dem 1273 hohen Anspruch, dass die Eigensicherung vorgeht, kann man nicht müde werden, 1274 dem einzelnen Teilnehmer das immer wieder zu sagen. Aber man muss wirklich 1275 weit über seinen Schatten springen, wenn man auf Kollegen trifft, die dazu eine 1276 ganz komische Einstellung haben, wo man selber nicht so richtig mit klar kommt. 1277 Diesen Dauerkonflikt hat dann unter Umständen die Dienstgruppe mit dem. Da 1278 müsste man das auf jeden Fall bearbeiten. Im Seminar sieht man sich nur einige 1279 Stunden, da geht das zum Teil gar nicht. 1280 1281 I, Wie schätzt Du es ein, dass in der Dienstgruppe zurückgemeldet wird, wenn 1282 jemand sich „falsch“ im Sinne von Eigensicherung verhält? 1283 1284 E: Es werden schon Einsätze nachbereitet. Manchmal sagt man vielleicht auch 1285 nur, dass man sich allein gelassen gefühlt hat, oder das Verhalten des X doof fand. 1286 Die klassische Nachbereitung ist das eher nicht. 1287 Was aber manchmal fehlt, dass ist der professionelle Gedanke, der dazu führen 1288 müsste, Negatives anzusprechen. Da scheut man sich vielleicht doch auch mal, 1289 dem Kollegen einen Fehler vorzuhalten, weil man sich noch zu jung fühlt und 1290 dem deutlich dienstälteren Kollegen nicht an den Karren fahren will. 1291 Da fahren jetzt der junge Kommissar frisch von der Schule, gut ausgebildet, 1292 wenig Erfahrung und der ältere, sehr erfahrene Kollege zusammen, der sich 1293 vielleicht auch von seiner Routine leiten lässt. Der bleibt dann mal eher im Auto 1294 sitzen, wenn der andere jemanden kontrolliert. Der ältere ist aber dominanter und 118 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1295 setzt sein Verhalten einfach durch. Der junge Kollege hätte sich bestimmt schon 1296 gewünscht, dass er gesichert worden wäre. Das sind auch Bilder, die ich habe. 1297 1298 I: Damit wird das schlechte Verhalten, nämlich im Auto sitzen zu bleiben, 1299 verstärkt, weil es nicht angesprochen wird. 1300 1301 E: Ja, das ist so. 1302 Ich erlebe es auch in den Trainings, dass zu Anfang jemand alles in Frage stellt: 1303 warum das jetzt gemacht würde, man wisse das doch schon alles,….! Da steht 1304 dann der Dienstgruppenleiter schweigend daneben und der Rest der Gruppe sagt 1305 auch nichts Gegenteiliges. Das schwierigste Trainergeschäft ist wirklich, die 1306 Leute zu motivieren. Die Einstellung zu bekommen, dass es wichtig und richtig 1307 ist, immer wieder zu trainieren. Wenn wir die schon so aufgeschlossen da hätten, 1308 wie sie nach 4 oder 5 Stunden Training meistens sind, dann wäre vieles leichter. 1309 Die müssen einfach erst in dieser Zeit auch ihre Defizite erkennen. Dass sie wohl 1310 doch ihre eigene Handfessel unter Stress nicht sicher handhaben können, merkt 1311 man eben erst, wenn man in dieser Situation ist. 1312 1313 Ich denke, dass es wirklich oft um die Einstellungen und Motivationen geht, die 1314 die Kollegen mitbringen: zum Teil wissen sie nicht um bestimmte Gefahren, z.B. 1315 bestimmte Verstecke für Waffen oder getarnte Waffen. Sie haben solche 1316 Gefahrenmomente einfach nicht im Kopf. 1317 Zum Teil ist es aber auch Gedankenlosigkeit, dass sie sich einfach nicht damit 1318 auseinander setzen, was alles passieren kann. Diese Gedankenlosigkeit verhindert, 1319 dass sie mit einem aufmerksamen Blick, einem entsprechenden Gefahrenradar, 1320 durch den Dienst gehen. Und wenn sie dann von einem Angriff überrascht 1321 werden, sind sie nicht mehr als Akteure in der Situation, sondern als Opfer. 1322 Und in den Trainings versuchen wir, den Kollegen durch viele Wiederholungen 1323 von bestimmten Abläufen eine Handlungssicherheit zu vermitteln, die sie dann 1324 auch selbstsicher werden lässt. Denn selbstsicheres Auftreten führt in der 1325 Wirkung auf einen potentiellen Angreifer auch dazu, dass dieser möglicherweise 1326 von seinem Vorhaben ablässt, weil er in dem Polizisten einen gut ausgebildeten 1327 Polizeibeamten erkennt, der es ihm nicht leicht machen würde. 119 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1328 Wir versuchen, den Kollegen die Möglichkeit zu bieten, bestimmte Sachen 1329 einfach so oft zu wiederholen, dass die Abläufe auch in Stresssituationen noch 1330 ohne Zeitverlust abrufbar sind. 1331 1332 1333 I: Wird im Training auf die Problematik „Wahrnehmung unter Stress“ 1334 eingegangen? 1335 1336 E: Im ETM 1 legen wir die Grundlagen dafür, dass wir im ETM 2 schon trotz des 1337 Stresses der Prüfungssituation (im ETM 2 werden die Teilnehmer mittels eines 1338 Qualitätssicherungsbogen überprüft) immer noch gute Ergebnisse erzielen. 1339 Die Teilnehmer werden nicht von jetzt auf gleich in Hochstress- Lagen gebracht. 1340 Wir trainieren vom Einfachen zum Schweren. 1341 Wenn wir erkennen, dass jemand durch Stress total überfordert ist, gehen wir da 1342 auch rein und erklären, was passiert ist. So hat dann der Teilnehmer auch die 1343 Möglichkeit, sich selber unter Stress zu erleben. 1344 1345 I: Wie kann man die Teilnehmer stressresistenter machen? 1346 1347 E: Eigentlich durch aufbauende Trainings. Wenn ich an den Bereich Amok denke, 1348 ist ein hohes Maß an Stress da, vielleicht sogar Lebensangst, in solche Situationen 1349 reinzukommen. Weil man vielleicht auch eine Vorstellung hat, wie solche Lagen 1350 abgehen und man sich selber gar nicht in so einer Lage vorstellen kann. 1351 Vielleicht, wahrscheinlich hat man noch nie mit der Dienstwaffe geschossen 1352 (außer auf dem Schießstand). Und dann bekommt man die FX- Waffe und soll 1353 tatsächlich auf Menschen schießen und erlebt sich zum ersten Mal in dieser Rolle. 1354 Um die Kollegen stressfester zu machen, machen wir das eben aufbauend. Zuerst 1355 bekommen sie eine Rotwaffe und sollen damit das Vorgehen üben und auch mal 1356 den Finger krumm machen. Aus dem Erleben „ich kann das“ heraus, werden dann 1357 die nächsten Schwierigkeitsgrade erklommen. Man muss mit der schweren 1358 Schutzweste die Treppen hoch, dann bekommt man die Schutzausrüstung für das 1359 FX- Waffen- Training und die FX- Waffe,… . Und selbst beim FX- Waffen1360 Training sind die Durchgänge von unterschiedlichem Stresslevel. Mal ohne, mal 1361 mit Akustikreizen, mal mit schreienden Opfern, mal ohne. Die Kollegen werden 120 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1362 in ihren Handlungen sicherer. Dieser Stress, der vielleicht negativ belegt war, 1363 wird auf einmal auch als positiv empfunden. Nach dem Motto: ich brauche diesen 1364 Puls, ich brauche das Adrenalin, um voll aufmerksam zu sein. Und trotz der 1365 Stress- Situation kann ich noch handeln. Aber das muss man steigern. 1366 Ich würde ein Trainingskonzept ablehnen, wo jemand völlig untrainiert zum 1367 ersten Mal eine FX- Waffe in die Hand bekommt und in die Lage geschickt wird, 1368 einen völlig wilden, um sich schießenden Täter zu bekämpfen. Dann würden die 1369 Stressoren in dieser Lage alle negativ belegt, der Kollege wäre wohl überfordert. 1370 Man muss wachsen können im Training. Da wird es immer auch 1371 Leistungsunterschiede geben und jeder muss für sich individuell erkennen, wie 1372 weit er gehen kann. Das wäre diese Geschichte: ein guter Schwimmer würde 1373 weiter raus schwimmen, ein schlechter Schwimmer würde sicherlich im Wasser 1374 stehen, auch ein bisschen schwimmen, aber nicht die Grenze überschreiten, wo er 1375 selber untergeht. 1376 1377 I: Was ist mit Sport? 1378 1379 E: Ja, wenn körperliche Anforderungen dazu kommen, sicherlich. Eine gewisse 1380 Grundfitness trägt auf jeden Fall dazu bei, dass man beim Amoktraining zum 1381 Beispiel mit der dicken Schutzweste auch noch in den vierten Stock kommt, ohne 1382 gleich völlig außer Atem zu sein. 1383 1384 1385 I: Was verstehst Du unter „Angst“? 1386 1387 E: Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten: erst mal ist Angst für mich ein 1388 negatives Gefühl. Und dieses negative Gefühl ist irgendwie individuell, also kann 1389 man Angst nicht für alle definieren, also muss man Angst individuell definieren. 1390 1391 I: Ich zum Beispiel habe Angst vor großen Hunden,… 1392 1393 E: Das ist noch abstrakt: Angst vor großen Hunden. Ich stelle mir jetzt eine 1394 großen Hund vor: 1395 Wie sieht für dich ein großer Hund aus und wie sieht er für mich aus? 121 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1396 I: Wie würde sich Angst bei Dir dann auswirken? 1397 1398 E: Ja, Angst würde sich bei mir bemerkbar machen, vielleicht durch Beobachten 1399 der Situation, vielleicht Rückzug. Wenn ich jetzt sage, Angst vor großen Hunden, 1400 und ich habe schon mal das Erlebnis gehabt, dass mich einer gebissen hat, würde 1401 ich mein Bein da nicht hinhalten wollen. Dann würde ich versuchen, diese 1402 Situation nicht mehr an mich heran zu lassen. Würde bedeuten, der Hund läuft da 1403 frei rum, dann klettere ich auf einen Baum. 1404 1405 I: Die Angst würde dich zu einem sehr handlungsfähigen Verhalten führen. Du 1406 nimmst das angstauslösende Moment wahr, deine Sinne sind geschärft und du 1407 kannst reagieren. 1408 Bei mir würde folgendes passieren: 1409 Ich sehe den großen freilaufenden Hund, innerhalb von Sekunden bin ich 1410 schweißnass, ich habe einen hohen Puls und wenn der Hund dann noch auf mich 1411 zukommt, verharre ich stocksteif und erkenne meine eigene Stimme nicht mehr 1412 beim Schreien. 1413 1414 E: Dann kann Angst auch dazu führen, dass man handlungsunfähig ist. Aber das 1415 ist eben die Individualität des Erlebens. Habe ich schon eine schlechte Erfahrung 1416 gemacht oder bin ich erstmal grundsätzlich aufmerksam, weil ich in dem Hund 1417 eine mögliche Gefahr sehe? 1418 1419 I: Gibt es eine latente Angst, die einen Polizeibeamten im Dienst begleitet? 1420 1421 E. Ja, das ist dieser Egoismus. Ich möchte nicht Opfer sein, ich möchte gesund 1422 nach Hause kommen, ich möchte gewinnen, und zwar nach den Regeln, die ich 1423 einhalte. Auf die Gefahr hin, dass andere die Regeln nicht einhalten. Ein gesundes 1424 Maß an Angst braucht man, um reagieren zu können. Also, vorsichtig sein, nicht 1425 ängstlich, aber Angst haben vor Verletzungen, Angst haben, nicht mehr leben zu 1426 dürfen, das ist in Ordnung. Das bringt den Impuls, das Messer auf dem Tisch als 1427 gefährlich zu betrachten, das Messer unter die eigene Kontrolle bekommen zu 1428 wollen. Aber trotzdem bin ich handlungsfähig, mit dieser Situation umzugehen. 1429 122 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1430 I: Ein gesundes Maß an Angst führt zu erhöhter Wachsamkeit, 1431 Handlungsfähigkeit, ein Übermaß an Angst führt zu Handlungsunfähigkeit und 1432 lähmt? 1433 1434 E: Ja, das kann man so ausdrücken. Angst hat auch eine positive Komponente, 1435 auch wenn der Begriff erstmal negativ belegt ist. Vielleicht kann man es auch 1436 daran festmachen, dass Angst etwas Abstraktes ist, was ich noch nicht selbst 1437 erlebt habe, wie den Hundebiss, die Messerattacke. Habe ich so etwas aber schon 1438 mal erlebt, habe also ein konkretes Erlebnis, dann empfinde ich Furcht vor dieser 1439 Situation. 1440 Ich persönlich sehe Angst aber als etwas Positives, etwas, dass mich vorsichtig 1441 sein lässt, dass mich wachsam und aktiv macht, mein Gefahrenradar aktiviert. 1442 Konkrete Furcht oder Phobien sind aber negativ. 1443 1444 1445 I: : Prof. Dr. Musahl hat festgestellt, dass Menschen ihre Arbeit für subjektiv 1446 ungefährlich halten, obwohl es immer wieder zu Unfällen kommt, die Tätigkeit 1447 also objektiv gefährlich ist. Daraufhin wurde fortlaufend über geschehene Unfälle, 1448 aber auch über „Beinahe- Unfälle“ berichtet. Das führte dazu, dass die Arbeiter 1449 ihre Tätigkeit nun auch aus eigener Sicht als gefährlich wahrnahmen und die 1450 Unfallzahlen sanken. 1451 Wird bei euch über „Glück- gehabt“- Situationen oder Situationen berichtet, in 1452 denen es nur noch Zufall war, dass nichts passierte? 1453 1454 E: In den Trainings werden schon heikle Themen besprochen. Das geschieht 1455 sowohl aus dem Teilnehmerkreis heraus, aber auch wir Trainer machen solche 1456 Situationen transparent, wenn wir sie von anderen gehört haben. 1457 Letztlich werden ja auch zu solchen Themen die Trainings gemacht. 1458 1459 I: Da läuft der Austausch dann im Training, also über die Fortbildungsstelle. 1460 1461 E: Ja, außerdem gibt es im Intranet für jeden Kollegen die Möglichkeit eine Seite 1462 anzuklicken, auf der z.B. über gefährliche Gegenstände wie schießende 1463 Kugelschreiber, schießende Handys oder Messer im Spazierstock berichtet wird. 123 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1464 Manchmal werden solche Erkenntnisse auch an die Dienststellen gesteuert. Wir 1465 drucken die dann aus und hängen sie an unsere Infotafel. 1466 Aber ich glaube, dass die Kollegen da teilweise schon wirklich reizüberflutet sind. 1467 1468 Für uns Trainer gibt es auch schon Foren. Einmal für alle Trainer und noch eines, 1469 wo alle Fahrsicherheitstrainer nach Passwortanforderung Zugriff haben. 1470 Dort können Fragen gestellt werden, wer in welchem Bereich schon welche 1471 Erfahrung gemacht hat. Wie mit bestimmten Problemen umgegangen wird. 1472 1473 Aber ich glaube, der letzte Eintrag in dem Forum war in 2007. Also, es wird 1474 wenig bis kaum genutzt. 1475 1476 I: Wenn es jetzt eine Möglichkeit gäbe, wo Kollegen völlig anonym Situationen 1477 schildern könnten, in denen sie einen taktischen Fehler gemacht haben und es nur 1478 noch Glück war, dass nichts passiert ist,… 1479 1480 E: Das hieße, die Kollegen müssten erkannt haben, dass sie einen Fehler gemacht 1481 haben, diesen dann auch noch zugeben. Teilweise ist es vielleicht nicht möglich, 1482 Fehler zuzugeben, zum Beispiel, wenn dann Konsequenzen folgen müssten. Wenn 1483 einer ohne Waffe raus geht, dann kann er diesen Fehler schlecht zugeben, denn er 1484 würde sich sehr angreifbar machen. 1485 Selbst wenn das Fehlverhalten nicht sanktioniert werden müsste, bliebe für mich 1486 die Frage, ob andere davon profitieren würden. Manche Dinge kann man dann 1487 zwar lesen, teilweise liest man auch bekannte Sachen, die immer wieder 1488 geschehen, aber dadurch erlebt man die Dinge auch nicht selber. Bei manchen, 1489 fürchte ich, kommt die Einsicht erst, wenn sie einen Angriff erlebt haben. Erst 1490 dann werden sie aufmerksam. 1491 1492 I: Aus den Erfahrungen mit den Trainerforen schließt Du also, dass die Kollegen 1493 so etwas eher nicht nutzten? 1494 1495 E: Ja, das glaube ich. Die, die sowieso interessiert sind, machen sich schlau mit 1496 dem, was es gibt. Die gehen sensibel mit dem Thema Eigensicherung um und 1497 lernen auch aus ihren Fehlern, bzw. aus den Fehlern anderer. Andere aber 124 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1498 erkennen ja nicht mal, dass es bisher einfach nur Glück war, dass sie nicht 1499 angegriffen wurden. Diese Kollegen sehen keine Notwendigkeit, ihr Verhalten zu 1500 ändern. 1501 1502 I: Ich danke Dir, dass Du mir mit Deinem Wissen weitergeholfen hast und Dir 1503 diese Zeit genommen hast. 125 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Interview Nr. 5, 18. Juni 2008 Experte: Herr W., Kursleiter eines Ausbildungsinstitutes in Nordrhein- Westfalen Persönliche Daten: Name: Herr W. Alter: 45 Jahre Bei der Polizei seit: 1985 Beim Ausbildungsinstitut seit: 2000 Vorbemerkungen: Herr W. ist als Kursleiter verantwortlich für die Ausbildung der KommissaranwärterInnen des Landes NRW. Durch diesen Arbeitsschwerpunkt ergibt sich für ihn eine andere Zielgruppe als für Trainer SEK und der Behörden, nämlich Auszubildende, die noch keine praktische Diensterfahrung haben und Auszubildende, die bereits einen Praxiseinsatz hinter sich haben. Die regionale Fortbildung, die durch die Ausbildungsinstitute nach wie vor geleistet wird, war vor der Kursleitertätigkeit eine weitere Aufgabe des Herrn W. Nach wie vor finden regionale Seminare für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte statt, die Herr W zum Teil leitet oder/ und unterstützt. Abschrift der Kassetten 1 und 2: 1504 I: Gibt es, aus Deiner eigenen Erfahrung und aus Erfahrungen von Teilnehmern, 1505 Situationen, in denen es besonders häufig zu Angriffen auf Polizeibeamte kommt? 1506 1507 E: Häufig bei Streitigkeiten. Und bei allen Situationen, die mit Alkohol zu tun 1508 haben. 1509 126 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1510 I: Beim Einsatzanlass „Streitigkeiten“ sollte also schon mal eine „Alarmlampe“ 1511 angehen? Und wenn man mitbekommt, dass Alkohol im Spiel ist, würde dass die 1512 Situation verschärfen? 1513 1514 E: Ja, aber auch getrennt voneinander. Eine Streitigkeit kann mit oder ohne 1515 Alkohol brisant sein. Und irgendwelche anderen Einsätze, bei denen 1516 alkoholisierte Personen dabei sind, haben ebenfalls diese Brisanz. Ich denke 1517 gerade an die typischen Schützenfest- Einsätze. Wenn die sich besoffen 1518 untereinander hauen, muss man auch damit rechnen, dass man selber einen 1519 mitkriegt. 1520 1521 I: Könntest Du Alkohol als eine Rahmenbedingung für Brisanz bezeichnen? 1522 Unabhängig vom Einsatzanlass? 1523 1524 E: Ja, Alkohol ist so das Klassische. Aber sonst?? 1525 1526 I: Was ist mit Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen? 1527 1528 E: Ich glaube nicht, dass es durch Dunkelheit gefährlicher wird. Aber schon, dass 1529 ein Angriff, wenn er bei Dunkelheit passiert, schwieriger abzuarbeiten ist. Wenn 1530 ich zu einem Familienstreit fahre, kommt es zum Angriff oder nicht, es ist egal 1531 ob es dabei hell oder dunkel ist. Es hängt nicht von der Uhrzeit oder den 1532 Lichtverhältnissen, sondern eher von der Konstitution meines Kontrahenten ab 1533 und auch von meinem kommunikativen Geschick ab. 1534 Ob es zum Angriff kommt oder nicht, bestimme ich ja zum Teil auch selber. Ich 1535 formulier mal böse: ich kann schon teilweise selber entscheiden, in welcher 1536 Situation ich angegriffen werde oder nicht. Das habe ich auch schon erlebt. Ich 1537 fuhr mit einem Kollegen zu einer Person, die festgenommen werden sollte. Der 1538 Kollege fing an zu sprechen und nach drei Sätzen habe ich ihn unterbrochen und 1539 selber weiter geredet. Mein Kollege hatte eine derart aggressive Ansprache 1540 gewählt, dass ich sofort den Eindruck hatte, der ist „auf Krawall gebürstet“. Das 1541 hat er hinterher auch selber gesagt. 1542 Über Kommunikation ist einfach ganz viel zu steuern. 127 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1543 Die Tit- for- Tat- Strategie als psychologischer Aspekt kommt da ins Spiel, also 1544 die bedingte Freundlichkeit: Ich bin solange freundlich, wie mein Gegenüber es 1545 auch ist. Wird er aggressiv, stelle ich meine Freundlichkeit solange ein, bis er 1546 wieder freundlicher wird. 1547 Das ist auch eine Philosophie- Frage. Wir haben jahrelang nur deeskaliert: je 1548 lauter einer wurde, desto freundlicher wurden wir. Mittlerweile weiß man aber 1549 auch, dass dieses „immer- Freundliche“ auf das Gegenüber als Schwäche wirken 1550 kann. Und einen Schwachen kann man eher angreifen – er lädt dazu ein 1551 Für den Polizeibeamten bedeutet die Tit- for- Tat- Strategie, dass er auch mal eine 1552 Punkt und ein Ausrufezeichen setzen muss. Dem anderen deutlich zeigen, wo die 1553 Grenze ist. 1554 1555 I: Eine Rahmenbedingung würdest Du im Verhalten, oder besser in der 1556 Philosophie des Polizeibeamten sehen? 1557 1558 E: Ja, klar. Eine Rahmenbedingung könnte auch sein, ob ich die Leute kenne, wo 1559 ich jetzt gerade zum Familienstreit fahre. Das kann positiv oder negativ sein. Man 1560 kann sich gerade dann böse vertun, wenn man glaubt, die Leute zu kennen. Ein 1561 Kollege hat mir mal erzählt, dass er bei einem Familienstreit verletzt worden ist, 1562 wo er überhaupt nicht damit gerechnet hat. Die Familie war bekannt, betrunkener 1563 Ehemann schlägt Frau. Die keifende Ehefrau stand schon vor der Tür, Ehemann in 1564 der Wohnung. Alles klar. Die Frau kommt den Kollegen entgegen und der 1565 Kollege bekommt von der Frau eine gescheuert. Stumpf ins Gesicht. 1566 Den Angriff konnte er nicht abwehren, weil das nicht zu dem gehörte, was er 1567 kannte. Der war total geschockt, weil die Geschädigte ihn angegriffen hatte. 1568 1569 I: Der Kollege hatte vorher ein Bild von der Situation, dann passte etwas nicht in 1570 dieses Bild, aber er hatte nichts für diesen Fall vorgedacht, dass er jetzt hätte 1571 abrufen können. 1572 1573 E: Richtig. Der hatte keinen Plan dafür. In seinem Schema, in seinem 1574 Handlungskonzept war das nicht drin. 1575 128 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1576 I: Die Kollegen können nur mit dem umgehen, dass ihnen möglich erscheint? 1577 Wenn sie etwas für unmöglich halten, brauchen sie ja daran keinen Gedanken 1578 verschwenden? 1579 1580 E: Dafür sind Seminare gut. Kollegen, die sich zwei oder drei Tage austauschen 1581 und sich „Geschichten“ erzählen. Das ist so wertvoll. 1582 1583 I: Du hast es gerade in dem einen Sachverhalt beschrieben: der Kollege ist 1584 überrascht worden. Erleben Polizeibeamte die Angriffe als plötzlich und 1585 überraschend? Unvermittelt? 1586 1587 E: Es ist für die Kollegen immer dann plötzlich und unvermittelt, wenn sie sich 1588 das, was da passiert, nicht vorstellen können. Beispiel: ich halte jeden Tag vier 1589 oder fünf Autos an, frage nach Führerschein, Fahrzeugschein. 1590 Da geschehen immer dieselben Handgriffe. Mal greift der Angesprochene in die 1591 Innentasche seiner Jacke, mal zur Sonnenblende, mal ins Handschuhfach,….. Ich 1592 könnte mir vorstellen, dass es Kollegen gibt, die nicht einmal wahrnehmen 1593 würden, wenn auf der Rücksitzbank eine Schrotflinte liegt. Weil sie sich damit gar 1594 nicht beschäftigen, nicht auseinandersetzen. Das ist zwar nicht unmöglich, dass 1595 jemand dort eine Langwaffe liegen hat, aber nicht sehr wahrscheinlich. 1596 Und wenn der Autofahrer dann nach hinten nach der Flinte greift, dann ist das so 1597 nicht vorgesehen in der Vorstellung der Kollegen. 1598 Wenn der Kollege das dann noch realisiert, hat er eine Chance, aus der Situation 1599 rauszukommen. Situationen sind dann gefährlich, wenn sie überraschend sind. 1600 1601 I: Die Überraschung kommt dann durch die Routine? Ich kenne die 1602 Handlungsabläufe, habe bekannte Muster, die ich abspulen kann. Gleichzeitig 1603 führt die Tatsache, dass es ja immer gut gegangen ist, dazu, dass ich eher 1604 unaufmerksam werde… 1605 1606 E: Der Idealtyp wäre ja, dass man durch Berufserfahrung bestimmte 1607 Handlungskonzepte hat und bereit ist, diese weiterzuentwickeln. Also flexible 1608 Handlungsmuster statt starrer Gebilde sollte man haben. Einige bleiben 1609 irgendwann stehen. Wir machen unsere Ausbildung, haben für die typischen 129 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1610 Vorkommnisse im täglichen Dienst unsere Handlungspläne. Das ist einerseits gut, 1611 damit ich die Lagen bewältigen kann, kann aber auch gefährlich sein, wenn ich 1612 mich fest darauf verlasse, dass alle beteiligten Personen immer so mitspielen wie 1613 in dem Schema erwartet. 1614 Allein, wenn man sich immer wieder bewusst macht, sei es durch Seminare oder 1615 durch mentales Training, dass es stets Situationen geben wird, in denen vom Plan 1616 abgewichen wird, dann ist das schon gut. 1617 1618 Ich bin der Meinung, dass wir die Kollegen, egal, wie alt sie sind, im Training 1619 immer wieder in Situationen bringen müssen, wo sie feststellen, dass es anders ist, 1620 als sie es erwartet haben. Das müssen keine spektakulären Dinge sein. 1621 1622 I: Ihr trainiert alltägliche Lagen und auch die „unmöglichen“ Lagen? 1623 1624 E: Wir trainieren Situationen, die sie fordern. Situationen, die sie aus diesem „Ich1625 kann- alles“ - Denken rausbringen. 1626 1627 I: Situationen, in denen sie eigene Defizite erkennen können….. und daraus die 1628 Motivation ziehen, sich neu zu ordnen und zu überdenken. 1629 1630 E: Und genau das ist das Schwierige. Es scheint auch etwas mit Gruppendynamik 1631 zu tun zu haben, dass es so unendlich schwierig ist, die Leute dazu zu bringen, 1632 dass sie überhaupt einräumen, dass sie eventuell einen Fehler gemacht haben. 1633 Aber da bleiben wir dran. Und wenn der Kollege am dritten Tag geht und etwas 1634 mitgenommen hat, dann soll er in der Gruppe meinetwegen so tun, als würde ihn 1635 nichts betreffen. Wenn er für sich aber doch das ein oder andere mitnimmt, dann 1636 ist das okay. 1637 1638 1639 I: Was verbindest Du mit dem Begriff Angst? 1640 1641 E: Ich selber habe ein gutes Verhältnis zur Angst. 1642 Angst ist erstmal im Schutzmannsbereich negativ belegt. Man hat doch keine 1643 Angst, Angst hätte ja etwas mit Schwäche zu tun. 130 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1644 Ein Polizist soll keine Angst haben, soll sich nicht vor bestimmten Situationen 1645 fürchten. Er soll höchstens sensibel für bestimmte Situationen sein, Respekt davor 1646 haben. 1647 Ich denke aber, dass das nur eine Idealvorstellung ist. Natürlich hat man auch mal 1648 Angst im Sinne von Befürchtung, z.B. verletzt zu werden. 1649 Ich erinnere mich an eine Festnahmesituation eines Gewalttäters. Als wir da vor 1650 der Tür standen, und ich wusste nicht, was gleich passiert, hatte ich Angst im 1651 Sinne von Befürchtung, dass ich verletzt werden könnte. Das finde ich völlig 1652 normal. 1653 Schwierig wird Angst an dem Punkt, wo sie in Panik umschlägt. Wo mich die 1654 Angst in einer Einsatzsituation handlungsunfähig werden lässt. Ich selber habe da 1655 keine unmittelbare Erfahrung, aber man hört doch immer wieder, dass es in einem 1656 Einsatz dazu gekommen ist, dass Kollegen auf einmal nicht mehr gehandelt 1657 haben, weil sie nicht mehr handeln konnten. 1658 1659 I: Wie wird mit Thema Angst, Stress im Training umgegangen? 1660 1661 E: Ich nehme jetzt mal die Ausbildung: Wir setzen die Studierenden schon unter 1662 Stress, aber kontrolliert. Das, was wir in der Ausbildung mit Studenten trainieren, 1663 sind ja Basisfertigkeiten. Das heißt, die Anlage ist eigentlich so, dass dort 1664 Rollenspiele gemacht werden, die jeder bewältigen können muss, ohne 1665 Schweißausbrüche zu kriegen. Das ist eher stressfrei. Wir trainieren vom 1666 Einfachen zum Schweren, erst in Sequenzen, dann in komplexen Lagen. So 1667 werden aus einer Verkehrsunfallaufnahme 3- 4 Blöcke gemacht, die für sich 1668 erstmal trainiert werden. Zum Ausklang werden diese Sequenzen 1669 zusammengeführt und es gibt eine Abschlussübung, aber halt erst mal relativ 1670 stressfrei. Wobei wir schon gucken, ob einer dabei ist, den das total unterfordert. 1671 Das muss man ein bisschen ausloten. Da die Bewertung noch keine Rolle spielt, 1672 können wir auch den ein oder anderen schon mal etwas unter Stress setzen, um 1673 ihn zu fordern. Aber dass wir die Studenten im Rahmen der Ausbildung mit so 1674 viel Stress konfrontieren, dass sie die Lage nicht mehr bewältigen können, 1675 Befürchtungen erleben, verletzt zu werden oder gar Angst bekommen, machen 1676 wir nicht. Es geht um Basisfertigkeiten. 131 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1677 Klar, in Trainingsbereichen wie „Streitigkeiten“ produzieren wir schon mal 1678 Stress. Da kann man ja von 0 bis 100 alles spielen. In diesem Bereich ist es auch 1679 gewollt, dass die Studenten sich körperlich auseinandersetzen müssen. Sie sollen 1680 die gelernten Eingriffstechniken einsetzen können. Und das ist für einige schon 1681 eine ganz andere Baustelle. Je nachdem, was da als Einsatz kommt: Zahlungsstreit 1682 mit dem Taxifahrer, wo es eher um die verbale Auseinandersetzung geht, 1683 harmlosere Nachbarschaftsstreitigkeiten bis zu zur Familienstreitigkeit, wo der 1684 Mann die Frau schon verprügelt hat. Da geht es auch darum, einen Fall von 1685 Häuslicher Gewalt zu erkennen und die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. 1686 Das geht bis hin zur Wohnungsverweisung, die mit Zwang durchgeführt werden 1687 muss. Da wissen die Studenten eben nicht genau, was auf sie zukommt, und das 1688 löst doch schon mehr Stress aus. Und eine wichtige Rolle spielt auch, dass oft die 1689 Studenten als Rollenspieler eingesetzt werden und die schenken sich ja 1690 untereinander nichts. 1691 Da kommen dann auch Gedanken dazu, welcher Kommilitone jetzt wohl der 1692 Rollenspieler ist. Ein großer oder kleiner? Einer, der super fit ist ? Einige erleben 1693 das als weiteren Stressfaktor. 1694 1695 I: Stress hat also auch etwas damit zu tun, dass man die Situation, die auf einen 1696 zukommt, nicht kennt? 1697 1698 E: Ja, Ungewissheit spielt eine große Rolle. Die Studenten hören das Schlagwort 1699 „Familienstreit“ und damit verbinden die ja auch was. Abhängig natürlich von den 1700 Erfahrungen, die sie schon gemacht haben. Eventuell haben sie etwas völlig 1701 Unproblematisches erlebt oder aber auch etwas Gewalttätiges. 1702 Wir spielen Rollenspiele bis hin zur Schlägerei in der Gaststätte, d.h. die kommen 1703 da rein und plötzlich kommt denen einer mit einem schweren Aschenbecher in der 1704 Hand entgegen. Je nach Intensität erlebt dann doch der ein oder andere Hochstress 1705 bis hin zu Angst, weil er fürchtet, verletzt zu werden. Obwohl alle wissen, dass es 1706 doch nur eine Übungssituation ist. Obwohl sie wissen, dass sie hier darauf 1707 vertrauen können, dass wir nicht bis zu wirklichen Verletzungen spielen. 1708 Verletzungen bleiben natürlich auch im Training nicht aus, aber das sind harmlose 1709 Sachen, die kurz weh tun und dann ist es auch wieder gut. 1710 132 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1711 Beim Amoktraining ist das schon anders. Wir trainieren erstmal „nur“ die 360 1712 Grad- Sicherung und die richtige Waffenhaltung. Derzeit wird in der Ausbildung 1713 noch nicht mit FX- Waffen trainiert. Aber trotzdem reicht offenbar die 1714 Vorstellung, dass sie eine Amoklage bewältigen müssen. Wir setzen manchmal 1715 eine Person in einen Raum hinein, der sitzt nur dort und macht nichts. Aber im 1716 Zusammenhang mit „Opfern“, die schreiend über den Flur rennen oder Menschen, 1717 die verletzt am Boden liegen, macht das schon Stress. 1718 Ein wichtiger Aspekt ist dabei einfach, dass die Studenten das schon einmal erlebt 1719 haben. Natürlich wird die Echtlage anders sein, aber ein bisschen davon haben sie 1720 in der Übung schon kennen gelernt und bewältigt. 1721 Wir hatten in einem anderen Seminar den Prof. Ungerer (Anm. der Verfasserin: 1722 Dietrich Ungerer, Sicherheitswissenschaftler) mal hier. Der hat gesagt, dass man 1723 Situationen wie einen plötzlichen Angriff oder Amok überleben kann, wenn man 1724 solche Situationen mal im Training erlebt hat. Sicher kann man nicht jede 1725 mögliche Situation, die jemals passiert, vorher trainieren, aber allein das 1726 Durchspielen von Situationen im Kopf führt schon dazu, dass ich vielleicht genau 1727 die halbe Sekunde an Ressource frei habe, um auch handeln zu können. Sonst 1728 wäre ich handlungsunfähig. Wenn ich in eine Situation komme, über die ich mir 1729 noch nie Gedanken gemacht habe, dann falle ich erstmal in eine Schockphase und 1730 wenn`s schlecht läuft, komme ich da nicht mehr raus. Ich falle in diese Opferrolle 1731 und bleibe da auch. Und das ist eine ganz gefährliche Geschichte. 1732 1733 Wir sehen das gerade in der regionalen Fortbildung beim FX- Waffentraining: 1734 Da kriegt jemand ein, zwei Schuss auf die Schutzweste und der macht gar nichts 1735 mehr. 1736 1737 I: Da ist dann selbst in der Trainingssituation der Schock so groß, dass kein 1738 Handeln mehr möglich ist,.. 1739 1740 E: In der Ausbildung reden wir ja erst mal über solche Situationen wie Amok und 1741 dann versuche ich, meinen Studenten ein Gespür dafür zu vermitteln. Da wird es 1742 meist ganz still im Raum. Ich sage den Studenten, dass sie sich irgendwann 1743 einmal, besser früher, damit auseinander setzen müssen, was sie tun, wenn sie in 1744 eine lebensbedrohliche Situation kommen, z.B. mit einem Messer angegriffen 133 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1745 werden oder mit einer Schusswaffe. Sie sollten sich fragen, ob sie in der Situation, 1746 wo sie in ihrem Leben bedroht werden, bereit sind, zu schießen. Dann sagen sie 1747 noch oft alle, ja, machen wir. Aber wenn ich die Frage anders stelle, sie frage, ob 1748 sie also bereit sind, jemanden zu töten, dann ist oft Schweigen. Das verknüpfen 1749 viele erst mal gar nicht und es gehört auch zu unseren Aufgaben, sie darauf 1750 vorzubereiten. 1751 Ich beispielsweise habe irgendwann einmal die Entscheidung getroffen, dass ich 1752 töte, wenn es darum geht, dass nur er oder ich überleben kann. 1753 1754 1755 I: Noch mal zu den praktischen Trainings. Jetzt macht ein Teilnehmer einen 1756 taktischen Fehler im Seminar, im Training, wie wird das nachbereitet? 1757 1758 E: In den meisten Fällen läuft die Sequenz erstmal weiter, bei Abschlussübungen, 1759 in denen schon mehrere Sequenztrainings zusammengeführt werden, läuft oft 1760 auch eine Videoaufnahme mit. Aber auch hier läuft die Lage erstmal durch. Nach 1761 der Sequenz gibt es immer eine kurze Rückmelderunde. 1762 In einigen wenigen Fällen, wenn etwas Gravierendes geschieht, unterbrechen wir 1763 auch in der Sequenz und sagen den Agierenden, sie möchten sich mal anschauen, 1764 wo sie gerade stehen oder wohin ihre Waffe zeigt. Damit haben die Teilnehmer in 1765 der Situation sofort die Möglichkeit, ihren Fehler zu erkennen und können es 1766 ändern. 1767 Bei FX- Waffen- Trainings erfahren die Teilnehmer eine Rückmeldung durch 1768 Treffer auch unmittelbar. Hat der Täter- Rollenspieler eine Chance, auf den 1769 Agierenden zu schießen, weil der die vorhandene Deckung nicht nutzt, dann wird 1770 er das tun. Der Teilnehmer wird getroffen und erkennt so, dass er einen Fehler 1771 gemacht hat. 1772 Ein FX- Treffer auf ungeschützte Körperpartien kann auch schon mal ein bisschen 1773 weh tun oder einen blauen Fleck geben. 1774 Ansonsten ist die Videorückmeldung bei uns sehr beliebt. Teilnehmer, die bei 1775 einer Rückmeldung durch Trainer steif und fest behaupten, sie hätten dies oder 1776 jenes niemals gemacht, denen zeigt man nur das Band. Da muss man oft gar 1777 nichts mehr sagen, weil die ihre Fehler selber sehen und erkennen. 1778 134 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1779 I: Wie reagiert ihr, wenn ein Teilnehmer immer und immer wieder den gleichen 1780 Fehler macht, obwohl ihr ihm schon mehrfach zurückgemeldet habt, dass er sich 1781 taktisch falsch verhält? 1782 1783 E: Ja, es gibt Teilnehmer, die sind völlig beratungsresistent. Denen kannst du zig 1784 Mal was erklären, die finden immer eine Ausrede, warum sie sich jetzt so oder so 1785 verhalten haben. Die behaupten auch, dass sie alles können, wenn es in der 1786 Echtlage hart auf hart kommt. Es hat niemals etwas mit eigenen Defiziten zu tun, 1787 wenn etwas nicht klappt. 1788 Da ist das FX- Waffen Training Gold wert. Da kriegen die dann auch mal ihre 1789 Grenzen aufgezeigt. 1790 1791 I: Aber dass ihr resigniert und den Fehler nicht mehr ansprecht? 1792 1793 E: Nein, dafür ist es uns selbst zu wichtig. Das wäre uns auch zu einfach. 1794 Manchmal sind es ja sogar gar nicht die hochkomplizierten Dinge, die immer 1795 wieder falsch gemacht werden, sondern einfache Handgriffe. Das liegt uns zu sehr 1796 am Herzen, als wir aufhören, darauf hinzuweisen. Wenn irgendeiner absolut 1797 nichts annehmen will, dann können wir das nicht ändern, aber er bekommt von 1798 uns alle Möglichkeiten, sein Verhalten zu überdenken. 1799 1800 I: Prof. Dr. Musahl hat festgestellt, dass Menschen ihre Arbeit für subjektiv 1801 ungefährlich halten, obwohl es immer wieder zu Unfällen kommt, die Tätigkeit 1802 also objektiv gefährlich ist. Dann wurde fortlaufend über geschehene Unfälle, 1803 aber auch über „Beinahe- Unfälle“ berichtet. Das führte dazu, dass die Arbeiter 1804 ihre Tätigkeit nun auch aus eigener Sicht als gefährlich wahrnahmen und die 1805 Unfallzahlen sanken. 1806 Wird bei euch über „Glück- gehabt“- Situationen oder Situationen berichtet, in 1807 denen es nur noch Zufall war, dass nichts passierte? 1808 1809 E: Ja, wenn ich dabei an den Verkehrsdienst denke, der 100 Autos anhält und das 1810 für nicht gefährlich hält, dann trifft das wohl auch auf die Polizei zu. Bei unserem 1811 Seminar „Eigensicherung beim Anhalten von Fahrzeugen“ in der regionalen 1812 Fortbildung zeigen wir, was dabei doch alles passieren kann. 135 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1813 Es ist schwierig, darüber eine Statistik zu erheben. Mich hat auch immer 1814 interessiert, wie oft das Anhalten denn gut gegangen ist. Das könnte man aber 1815 vermutlich nur über eine Täterbefragung raus bekommen. Wer am liebsten 1816 angegriffen hätte, es dann aber doch nicht getan hat. 1817 Bei den Rollenspielen im Seminar ist es ja auch so, dass der Täter (Rollenspieler) 1818 dann nach dem Übungsdurchlauf zurückmeldet, dass die Kollegen das Messer auf 1819 der Rückbank nicht gesehen haben. Ich fordere die Kollegen dann gerne auf, mal 1820 zu überlegen, wie viele Autos sie im Dienst schon angehalten haben und wie viel 1821 sie dabei wohl übersehen haben könnten. Einen Totschläger in der Seitenablage, 1822 den sie nicht wahrgenommen haben. 1823 Dieser Totschläger spielt natürlich dann auch keine Rolle, weil die Person, 1824 vielleicht ein Täter, damit nichts gemacht hat. 1825 Oder wie viele Leute vielleicht Schusswaffen im Handschuhfach gehabt haben, 1826 die wir als Polizei nicht wahrgenommen haben, die aber deshalb keine Rolle 1827 spielen, weil sie nicht eingesetzt wurden. 1828 1829 I: Könntest Du Dir vorstellen, dass es zu einem „Aufwachen“ der Kollegen käme, 1830 wenn man über solche Sachverhalte informiert? Also Fälle, in denen die Kollegen 1831 eine Waffe wahrgenommen haben, entsprechend darauf reagiert haben, aber diese 1832 Waffe nicht eingesetzt worden ist? 1833 1834 E: Ich glaube, dass allein das Wissen darum, wo man überhaupt Gegenstände 1835 verstecken kann, schon wach macht. Dabei geht es noch nicht mal richtig um 1836 Verstecke, sondern einfach darum, wo gefährliche Gegenstände überhaupt liegen 1837 können. Selbst bei offen auf dem Rücksitz liegenden Waffen, wundern sich im 1838 Training die Teilnehmer, dass da etwas liegen kann. Und sie wundern sich, wie 1839 kurz die Wege für den Täter sind, die Waffe zu nehmen und einen Angriff zu 1840 starten. 1841 1842 I: Ein Austausch zwischen den Kollegen findet dann im Seminar statt. Findet so 1843 ein Austausch auch in den Dienstgruppen statt? 1844 1845 E: Wir haben zum Anfang viele IF- Trainer im Seminar gehabt. Die Idee war, 1846 dass das auch weiter multipliziert wird. Die Trainer haben die Information 136 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1847 mitgenommen, teilweise auch Seminarinhalte in ihre Behörden transportiert. So 1848 hat sich da schon etwas verändert. 1849 Die Kollegen sprechen in den Behörden auch darüber. Das erfahren wir, wenn 1850 jemand zum zweiten Mal kommt oder jemand kommt, der es von einem anderen 1851 erfahren hat. Da wird schon drüber gesprochen. 1852 1853 I: Was hältst du von einer Intranetplattform, wo sich Kollegen anonym über 1854 Sachverhalte austauschen könnten, die sie erlebt haben? Schwerpunktmäßig über 1855 die Sachverhalte, wo sie sich taktisch nicht richtig verhalten haben und es aber 1856 wegen glücklicher Umstände nicht zu einem Angriff kam? 1857 1858 E: Könnte ich mir sehr gut vorstellen. Weil das ein Forum wäre, wo sie taktische 1859 Sachen austauschen könnten. Aber das sollte auch anders herum gehen. Dass sie 1860 dort darüber berichten, wenn sie positive Erfahrungen gemacht haben mit einer 1861 Taktik oder Eingriffstechnik, die sie bei einem Seminar gelernt haben. 1862 Das erleben wir schon mal bei den Studenten. Ich bin ja auch Lehrer für 1863 Eingriffstechniken und wenn die Studenten nach den ersten Trainingsbausteinen 1864 hier ins Praktikum gehen, bekomme ich auf einmal eine Email, dass eine Technik 1865 angewendet werden konnte und dass es gut geklappt hat. 1866 Oder auch, dass die Studenten im Trainingsbaustein 4, also im zweiten 1867 Studienjahr, wieder hierher kommen und sagen, dass etwas nicht geklappt hat. 1868 Ich kann mir schon vorstellen, dass so etwas als eine Art Forum eine gute Sache 1869 wäre. 1870 Es gibt ja Foren im Internet, z.B. zum Thema Verkehrsunfallaufnahme. So etwas 1871 machen Kollegen selber und dort kann man sich auch über Erfahrungen 1872 austauschen. 1873 1874 I: Ich habe die Befürchtung, dass sich nur die Leute, die sich sowieso für das 1875 Thema Eigensicherung interessieren, damit beschäftigen würden. Und die, die es 1876 nötig haben, gucken nicht rein. 1877 1878 E: Das kann stimmen. Das sieht man bei unseren Studenten beim Sport: die, die 1879 abends laufen gehen sollten, die tun das nicht und die, die es gar nicht brauchen, 1880 die laufen jeden Tag. 137 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 1881 Und das ist diese Erkenntnis: „Ich habe ein Defizit!“. „Ich muss was tun!“ die 1882 fehlt meist. Diese Erkenntnis hat ein Schutzmann ja relativ selten. Der kann ja 1883 alles. 1884 1885 I: Es gibt ein Trainerforum und auch eines für Fahrsicherheitstrainer. Hast Du 1886 davon schon mal etwas gehört? Da habe ich festgestellt, dass selbst Trainer, 1887 hochmotiviert in Sachen Eigensicherung, dieses Forum kaum nutzen. 1888 Wie kann man so etwas attraktiv gestalten, dass die Leute mitmachen? So ein 1889 Forum lebt nur, wenn es belebt wird, dadurch, dass viele schreiben. 1890 1891 E: Ich denke, dass es einfach was mit zusätzlicher Arbeit zu tun hat. Ob richtig 1892 oder nicht: die meisten haben das Gefühl, dass sie völlig ausgelastet sind und ein 1893 „Mehr“ an Aufgaben einfach nicht mehr drin ist. 1894 Außerdem muss man sich damit auch beschäftigen wollen! 1895 Ich habe diesen Kulturschock erlebt: vom PP Köln in eine kleine Landbehörde. In 1896 Köln hatte ich 1000 Vorgänge auf dem Tisch und das war natürlich viel. Später 1897 hatte ich mich an die 300 Vorgänge in der kleinen Behörde gewöhnt und ehrlich 1898 gesagt, fand ich das dann auch viel. So fühlt sich vermutlich jeder zu 100 % 1899 ausgelastet. 1900 1901 I: Und daher besteht auch weniger Bereitschaft, freiwillig was 1902 niederzuschreiben,.. 1903 1904 E: Es sei denn, man kriegt den Kollegen vermittelt, dass es sie wirklich betrifft. 1905 Wenn jemand auf der Dienstgruppe schwer verletzt wurde, dann könnte ich mir 1906 vorstellen, dass auf einmal alle interessiert sind am Thema Eigensicherung. 1907 Das klingt total schlimm, aber ich glaube, das ist so. 1908 Aber selbst dann kommt es irgendwann wieder zu dem Punkt, wo Ruhe einkehrt, 1909 Gras über die Sache gewachsen ist, und dann ist es vielleicht auch wieder vorbei 1910 mit dem Interesse. 1911 1912 I: Ich danke Dir sehr für Deine Hilfe und die Zeit, die Du mir zur Verfügung 1913 gestellt hast. 138 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ Anlage 2 139 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 140 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 141 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 142 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 143 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 144 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 145 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 146 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 147 Masterarbeit im Studiengang „Öffentliche Verwaltung und Polizeimanagement“ 148