1 + 2 Das »Haus Baukunst« in Reutlingen mit großteils gewerblicher Nutzung, aber auch mit der Anmutung eines skulpturalen Wohnhauses. Wohnen und Schaffen Harry Luik ist Stuckateurmeister, Architekt und Gebäudeenergieberater. Er hat unter dem Dach seines Neubaus sein Architekturbüro, sein Sachverständigenbüro und den Stuckateurbetrieb untergebracht – und er wohnt auch in dem »Haus Baukunst« – in dem er alle seine Talente und sein Fachwissen zur Anwendung bringen konnte. A n Ideen und Interessen mangelt es Harry Luik gewiss nicht. Die Freude an der Gestaltung, an Kunst und Philosophie, aber auch an der Technik sind für ihn bestimmend. Ein Haus für sich selbst zu bauen, ist dann die Gelegenheit, etwas Besonderes zu schaffen – als ein Ort, der etwas aussagt und der anregt. Eine Bereicherung für die Umgebung, die Menschen und die Umwelt. »Wohnen und arbeiten – alles unter einem Dach« – das ist vielleicht die einfachste Formel für dieses »Haus Baukunst«. Aber in diesem Projekt steckt noch viel mehr: Ganz bewusst formuliert Luik im Leitbild auf die Vereinigung »von Geistwerk und Handwerk im Sinne des Werkbundes«. Die Ideen dieser vor über 100 Jahren gegründeten Vereinigung von Künstlern, Architekten www.ausbauundfassade.de und Gestaltern ist auch heute noch impulsgebend für die Baukultur und die Formgebung. 2012 bezog Harry Luik mit seiner Frau Bettina LuikBraunstein das neue Zuhause. Der neue Standort angrenzend an ein Wohngebiet bot die Kombination von Wohnen und gewerblicher Nutzung unter einem Dach. Luik spricht von »Architektursymbiose«, welche die Formensprache von anspruchsvollem Wohnraum mit der Funktion von Gewerbe und Büro vereint. Das Grundstück zu Fuße der Achalm, des Reutlinger Hausbergs, bot reichlich Platz – auch für Lager und Werkhalle mit Zufahrt und Garage für die Firmenfahrzeuge. Die Dimensionen verstecken sich in der Tiefe des Grundstücks. Zur Straßenseite hin wirkt das Gebäude wie eine Skulptur aus ineinandergeschobenen Bau- 39 TECHNIK + TRENDS 3 – 5 Liebe zum Detail und zu den mineralischen Baustoffen im Außen- und Innenbereich. körpern in Weiß und Steingrau. Die hellen Elemente mit der feinen Oberfläche werden privat als Wohnraum und als Büro genutzt, die dunklen Bereiche mit dem rauen Putz stehen für die gewerbliche Nutzung. Horizontale und vertikale Verschiebungen innerhalb des weißen Kubus sorgen für schattenspendende Rücksprünge und nutzbare Vorsprünge. Durch die strengen axialen Verschiebungen entstanden Innen- und Außenräume, die als Terrassen dienen und Sichtschutzzonen bilden. »Damit konnte die Einsehbarkeit durch die Baukörperanordnung beeinflusst werden«, erklärt Harry Luik. Das Gebäude ist von Norden her praktisch geschlossen und öffnet sich mit dem Sonnenlauf von Osten nach Westen – übrigens auch im Takt der Nutzungsphasen von Stuckateurbetrieb, Büro und zuletzt des privaten abgeschotteten Bereichs. Luik will mit diesem Entwurf den Beweis erbringen, dass das Arbeiten nicht obligatorisch mit zweckreduzierten, banalen Arbeitsmaschinen stattfinden muss. Für Luik als Bewohner, Architekt, Stuckateurunternehmer und Sachverständiger mit eigenem Prüflabor haben diese Nähe und der Übergang der Lebens- sowie Arbeitssphären einen großen Vorteil. Das Wohnen und Schaffen in einem ganzheitlichen Komplex spart Wege und erzeugt Synergien. Übergreifendes Vordenken, Nachdenken, Probieren, Forschen und Ausführen – das alles fügt sich nahtlos zusammen. 40 Schaufenster für Handwerkskunst Auftraggeber, Kunden, Besucher und Gäste erfahren das Gebäude von innen in erster Linie über den »Werkraum«, der für Besprechungen, Ausstellung und Veranstaltungen genutzt wird. Er dient auch als »Schaufenster für Handwerkskunst« – für Farben, Oberflächen und Strukturen. »Auch wenn wir hier viel Platz zur Verfügung haben, können wir hier nicht alles zeigen, weil es auf dem Bau so viele Möglichkeiten gibt«, sagt Luik. Damit soll das Haus Baukunst für Bauherren und alle Bauschaffenden einen Ort für glaubwürdige, aktuelle Informationen bieten. Ziel ist es, zu einem neuen Verständnis von Architektur, Baukultur, zum sinnvollen Einsatz von Energien und Baustoffen beizutragen. Laut Luik steigt auf der einen Seite der Anspruch an ein Bauprodukt, aber im Gegenzug werden die notwendigen schöpferischen und handwerklichen Bauleistungen immer weniger honoriert. Aber genau diesen Prozess der Herstellung der gebauten Umwelt und die damit verbundene Wertschätzung im Bewusstsein der Bürger nennt Luik »Baukunst«. Er ist aber auch Realist genug, um das Spannungsfeld von gestalterischem Anspruch und finanziellen Mitteln, Umweltverträglichkeit und Alltagstauglichkeit differenziert zu sehen. Er charakterisiert seine Kunden als »normale Leute«, die sich etwas Schönes gönnen wollen und dabei nicht in der Masse mitschwimmen wollen. Sie sind bereit, ausgetretene Pfade zu verlassen. Sie interes- ausbau + fassade 04.2016 Baukultur 6 Harry Luik im Werkraum, der als Schaufenster für Handwerkskunst und für Veranstaltungen genutzt werden kann. Fotos: Luik siert nicht, was alle machen, sondern wünschen sich andere Lösungen, die raffinierter und auch gerne einmal reduzierter sind. Energie- und Baustoffkonzept So durchdacht die Gestaltung ist, so überlegt ist auch die technische Seite. Ziel war es, dass der niedrige Heizwärmebedarf von unter 28 kWh/m2 (besser als ein »3Liter Haus«) nicht auf Kosten der Architektur erzwungen wird, also dass eine typische »Energiespararchitektur« vermieden wird. Das Gebäude ist zur Ressourcenschonung – mit 30 cm Mineralwolle – hochwärmegedämmt. Die Beheizung erfolgt mit einer »schlanken« Technik mit Geothermie (Low-Tech). Durch effektive Wärmebrückendämmung, die Maximierung der Wärmespeichermasse zur Temperaturspitzendämpfung und sinnvoll gestufte Temperaturzonen. Damit wird ein Überheizen des Gebäudes über die großen Fensterflächen vermieden und die Nutzung solarer Energiegewinne ermöglicht. Die zentrale Lüftungsanlage mit Wärme- und Feuchterückgewinnung hat Harry Luik selbst entworfen und damit mögliche Probleme der Schallentwicklung und Hygiene ausgeschlossen. Die natürlichen Baustoffe wurden nach höchster Priorität mineralisch-anorganisch, also erdölfrei, gewählt. Luik verspricht sich damit eine Minimierung der Raumluftbelastung durch den Eintrag organisch flüchtiger Substanzen sowie nachhaltig durch katalytische Effekte. Obligatorisch ist dabei der komplett alkalische Innenputzaufbau mit Kalkputz. Mit Erfolg, denn die über die Haussteuerung erfassten CO2-Werte der Innenluft bestätigen permanent nahezu die Qualität der Außenluft. www.ausbauundfassade.de In mineralischer Konsequenz ist auch die Fassade aufgebaut. Die Außenwärmedämmung ist zwischen 15 und 25 mm dick verputzt, mehrfach armiert und mit weißem Carrara-Feinputz beziehungsweise steingrauem grobem Edelkratzputz gestaltet. Der Aufbau wirkt extrem massiv, ist durch das Hagelunwetter 2013 nachgewiesen hagelsicher und praktisch rissefrei. Die mit Glimmer schimmernden Oberflächen sind naturbelassen, ohne Anstriche, frei von Silikonharzen, -ölen und sonstigen organischen Bindemitteln. »Das ist Stuckateurhandwerk«, sagt Harry Luik nicht ohne Stolz. Bei der Auswahl der im Haus Baukunst verbauten Gebäude legte Luik auch auf den regionalen Bezug wert. Aber auch in seinem Stuckateurbetrieb folgt Luik der Devise »regional ist erste Wahl«. So befindet sich beispielsweise im Gebäude eine Sumpfkalkgrube mit einem selbst abgelöschten Branntkalk. Kalk und Wasser stammen von der nahe gelegenen Schwäbischen Alb. Luik nutzte diese zur Rezeptierung der eigenen Sumpfkalkputze und -farben. Auch ein Grund, weshalb das Haus 2013 mit dem Architekturpreis »Baukultur Schwäbische Alb« ausgezeichnet wurde. pd Im Internet:www.haus-baukunst.de Referent beim Dämmgipfel: Harry Luik Luik ist auch Buchautor und ausgewiesener Fachmann zum Thema Wärmedämm-Verbundsysteme. Er referiert beim Dämmgipfel von ausbau + fassade am 7. April in Würzburg und nimmt die Schadensursachen bei WDVS unter die Lupe. Mit diesem Fachwissen, können Fehler vermieden werden. Weitere Informationen: www.ausbau-kongress.de 41