Ausbau_2016_04_Wohnen und Schaffen

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1 + 2 Das »Haus Baukunst« in Reutlingen mit großteils gewerblicher Nutzung, aber
auch mit der Anmutung eines skulpturalen Wohnhauses.
Wohnen und Schaffen
Harry Luik ist Stuckateurmeister, Architekt und Gebäudeenergieberater. Er hat unter dem Dach seines Neubaus sein
Architekturbüro, sein Sachverständigenbüro und den
Stuckateurbetrieb untergebracht – und er wohnt auch
in dem »Haus Baukunst« – in dem er alle seine Talente und
sein Fachwissen zur Anwendung bringen konnte.
A
n Ideen und Interessen mangelt es Harry Luik
gewiss nicht. Die Freude an der Gestaltung, an
Kunst und Philosophie, aber auch an der Technik
sind für ihn bestimmend. Ein Haus für sich selbst zu
bauen, ist dann die Gelegenheit, etwas Besonderes zu
schaffen – als ein Ort, der etwas aussagt und der anregt.
Eine Bereicherung für die Umgebung, die Menschen
und die Umwelt.
»Wohnen und arbeiten – alles unter einem Dach« –
das ist vielleicht die einfachste Formel für dieses »Haus
Baukunst«. Aber in diesem Projekt steckt noch viel
mehr: Ganz bewusst formuliert Luik im Leitbild auf die
Vereinigung »von Geistwerk und Handwerk im Sinne
des Werkbundes«. Die Ideen dieser vor über 100 Jahren
gegründeten Vereinigung von Künstlern, Architekten
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und Gestaltern ist auch heute noch impulsgebend für
die Baukultur und die Formgebung.
2012 bezog Harry Luik mit seiner Frau Bettina LuikBraunstein das neue Zuhause. Der neue Standort angrenzend an ein Wohngebiet bot die Kombination von
Wohnen und gewerblicher Nutzung unter einem Dach.
Luik spricht von »Architektursymbiose«, welche die
Formensprache von anspruchsvollem Wohnraum mit
der Funktion von Gewerbe und Büro vereint.
Das Grundstück zu Fuße der Achalm, des Reutlinger
Hausbergs, bot reichlich Platz – auch für Lager und
Werkhalle mit Zufahrt und Garage für die Firmenfahrzeuge. Die Dimensionen verstecken sich in der Tiefe des
Grundstücks. Zur Straßenseite hin wirkt das Gebäude
wie eine Skulptur aus ineinandergeschobenen Bau-
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TECHNIK + TRENDS
3 – 5 Liebe zum Detail und zu
den mineralischen Baustoffen im
Außen- und Innenbereich.
körpern in Weiß und Steingrau. Die hellen Elemente mit
der feinen Oberfläche werden privat als Wohnraum und
als Büro genutzt, die dunklen Bereiche mit dem rauen
Putz stehen für die gewerbliche Nutzung. Horizontale
und vertikale Verschiebungen innerhalb des weißen
Kubus sorgen für schattenspendende Rücksprünge und
nutzbare Vorsprünge. Durch die strengen axialen Verschiebungen entstanden Innen- und Außenräume, die
als Terrassen dienen und Sichtschutzzonen bilden.
»Damit konnte die Einsehbarkeit durch die Baukörperanordnung beeinflusst werden«, erklärt Harry Luik. Das
Gebäude ist von Norden her praktisch geschlossen und
öffnet sich mit dem Sonnenlauf von Osten nach Westen
– übrigens auch im Takt der Nutzungsphasen von
Stuckateurbetrieb, Büro und zuletzt des privaten abgeschotteten Bereichs. Luik will mit diesem Entwurf den
Beweis erbringen, dass das Arbeiten nicht obligatorisch
mit zweckreduzierten, banalen Arbeitsmaschinen stattfinden muss.
Für Luik als Bewohner, Architekt, Stuckateurunternehmer und Sachverständiger mit eigenem Prüflabor
haben diese Nähe und der Übergang der Lebens- sowie
Arbeitssphären einen großen Vorteil. Das Wohnen und
Schaffen in einem ganzheitlichen Komplex spart Wege
und erzeugt Synergien. Übergreifendes Vordenken,
Nachdenken, Probieren, Forschen und Ausführen – das
alles fügt sich nahtlos zusammen.
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Schaufenster für Handwerkskunst
Auftraggeber, Kunden, Besucher und Gäste erfahren
das Gebäude von innen in erster Linie über den »Werkraum«, der für Besprechungen, Ausstellung und Veranstaltungen genutzt wird. Er dient auch als »Schaufenster für Handwerkskunst« – für Farben, Oberflächen und
Strukturen. »Auch wenn wir hier viel Platz zur Verfügung haben, können wir hier nicht alles zeigen, weil
es auf dem Bau so viele Möglichkeiten gibt«, sagt Luik.
Damit soll das Haus Baukunst für Bauherren und alle
Bauschaffenden einen Ort für glaubwürdige, aktuelle
Informationen bieten. Ziel ist es, zu einem neuen Verständnis von Architektur, Baukultur, zum sinnvollen Einsatz von Energien und Baustoffen beizutragen.
Laut Luik steigt auf der einen Seite der Anspruch an
ein Bauprodukt, aber im Gegenzug werden die notwendigen schöpferischen und handwerklichen Bauleistungen immer weniger honoriert.
Aber genau diesen Prozess der Herstellung der gebauten Umwelt und die damit verbundene Wertschätzung
im Bewusstsein der Bürger nennt Luik »Baukunst«. Er ist
aber auch Realist genug, um das Spannungsfeld von
gestalterischem Anspruch und finanziellen Mitteln,
Umweltverträglichkeit und Alltagstauglichkeit differenziert zu sehen. Er charakterisiert seine Kunden als »normale Leute«, die sich etwas Schönes gönnen wollen und
dabei nicht in der Masse mitschwimmen wollen. Sie
sind bereit, ausgetretene Pfade zu verlassen. Sie interes-
ausbau + fassade 04.2016
Baukultur
6 Harry Luik im Werkraum, der als
Schaufenster für Handwerkskunst
und für Veranstaltungen genutzt
werden kann.
Fotos: Luik
siert nicht, was alle machen, sondern wünschen sich andere Lösungen, die raffinierter und auch gerne einmal
reduzierter sind.
Energie- und Baustoffkonzept
So durchdacht die Gestaltung ist, so überlegt ist auch
die technische Seite. Ziel war es, dass der niedrige Heizwärmebedarf von unter 28 kWh/m2 (besser als ein »3Liter Haus«) nicht auf Kosten der Architektur erzwungen
wird, also dass eine typische »Energiespararchitektur«
vermieden wird.
Das Gebäude ist zur Ressourcenschonung – mit 30 cm
Mineralwolle – hochwärmegedämmt. Die Beheizung erfolgt mit einer »schlanken« Technik mit Geothermie
(Low-Tech). Durch effektive Wärmebrückendämmung,
die Maximierung der Wärmespeichermasse zur Temperaturspitzendämpfung und sinnvoll gestufte Temperaturzonen. Damit wird ein Überheizen des Gebäudes
über die großen Fensterflächen vermieden und die Nutzung solarer Energiegewinne ermöglicht. Die zentrale
Lüftungsanlage mit Wärme- und Feuchterückgewinnung hat Harry Luik selbst entworfen und damit mögliche Probleme der Schallentwicklung und Hygiene ausgeschlossen.
Die natürlichen Baustoffe wurden nach höchster Priorität mineralisch-anorganisch, also erdölfrei, gewählt.
Luik verspricht sich damit eine Minimierung der Raumluftbelastung durch den Eintrag organisch flüchtiger
Substanzen sowie nachhaltig durch katalytische Effekte.
Obligatorisch ist dabei der komplett alkalische Innenputzaufbau mit Kalkputz. Mit Erfolg, denn die über die
Haussteuerung erfassten CO2-Werte der Innenluft
bestätigen permanent nahezu die Qualität der Außenluft.
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In mineralischer Konsequenz ist auch die Fassade aufgebaut. Die Außenwärmedämmung ist zwischen 15
und 25 mm dick verputzt, mehrfach armiert und mit
weißem Carrara-Feinputz beziehungsweise steingrauem grobem Edelkratzputz gestaltet. Der Aufbau
wirkt extrem massiv, ist durch das Hagelunwetter 2013
nachgewiesen hagelsicher und praktisch rissefrei. Die
mit Glimmer schimmernden Oberflächen sind naturbelassen, ohne Anstriche, frei von Silikonharzen, -ölen
und sonstigen organischen Bindemitteln. »Das ist Stuckateurhandwerk«, sagt Harry Luik nicht ohne Stolz.
Bei der Auswahl der im Haus Baukunst verbauten
Gebäude legte Luik auch auf den regionalen Bezug wert.
Aber auch in seinem Stuckateurbetrieb folgt Luik der
Devise »regional ist erste Wahl«. So befindet sich beispielsweise im Gebäude eine Sumpfkalkgrube mit
einem selbst abgelöschten Branntkalk. Kalk und Wasser
stammen von der nahe gelegenen Schwäbischen Alb.
Luik nutzte diese zur Rezeptierung der eigenen Sumpfkalkputze und -farben. Auch ein Grund, weshalb das
Haus 2013 mit dem Architekturpreis »Baukultur Schwäbische Alb« ausgezeichnet wurde.
pd
Im Internet:www.haus-baukunst.de
Referent beim Dämmgipfel: Harry Luik
Luik ist auch Buchautor und ausgewiesener Fachmann zum Thema
Wärmedämm-Verbundsysteme. Er referiert beim Dämmgipfel von ausbau +
fassade am 7. April in Würzburg und nimmt die Schadensursachen bei WDVS
unter die Lupe. Mit diesem Fachwissen, können Fehler vermieden werden.
Weitere Informationen: www.ausbau-kongress.de
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