5.1MB, pdf - the Max Planck Institute for the Physics of Complex

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Institut für Theoretische Physik
Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften
Technische Universität Dresden
Relaxationsdynamik ultrakalter Plasmen
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades
Doctor rerum naturalium
vorgelegt von
Thomas Pohl
geboren am 25.11.1977 in Eisenach
Dresden 2004
Eingereicht am 15.10.2004
1. Gutachter:
2. Gutachter:
3. Gutachter:
Verteidigt am
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
2 Experimenteller Überblick und charakteristische Plasmaparameter . . . . . . . . . . .
9
3 Statistische Beschreibung der Plasmadynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 Liouville-Gleichung und BBGKY-Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Vlasov-Näherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Behandlung von Teilchenstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1 Elektron-Elektron-Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.2 Ion-Ion-Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3 Elektron-Ion-Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
14
16
16
17
18
18
4 Mikroskopische Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
4.1 Propagation der Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
4.1.1 Quasistationäre Elektronenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
4.1.2 Selbstkonsistente Lösung der Poisson-Gleichung . . . . . . . . . . . . 27
4.2 ’Operator Splitting’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4.3 Propagation der Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4.4 Propagation der Ionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4.4.1 ’mean field’-Näherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4.4.2 Integration der vollen Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . 33
4.5 Monte-Carlo-Integration der Stoßintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4.5.1 Elastische Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
4.5.2 Inelastische Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5 Makroskopischer Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
5.1 Die quasineutrale Näherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
5.2 Analytische Lösung der Vlasov-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
5.3 Behandlung von Teilchenstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
5.3.1 Elektron-Elektron-Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
5.3.2 Ion-Ion-Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
5.3.3 Elektron-Ion-Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4
Inhaltsverzeichnis
6 Vergleich beider Lösungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
6.1 Die quasineutrale Näherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
6.2 Dichteprofil der Ionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
6.3 Radiale Geschwindigkeit der Ionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
6.4 Thermische Energie der Ionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
6.5 Relaxation der ionischen Korrelationsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
6.6 Dichteprofil der Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
6.7 Geschwindigkeit der Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1 Stabilität endlicher Plasmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2 Expansionsdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3 Relaxation gebundener Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.4 Relaxation der Ionentemperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.5 Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters . . . . . . . . . . . . . .
7.5.1 Elektronischer Coulomb-Kopplungsparameter . . . . . . . . . . . . .
7.5.2 Ionischer Coulomb-Kopplungsparameter . . . . . . . . . . . . . . . .
69
69
74
79
85
91
91
92
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8.1 Möglichkeiten der Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
8.2.1 Wirkungsweise der Laserkühlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
8.2.2 Modifikation der Expansionsdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
8.2.3 Modifikation der Rekombinationsdynamik . . . . . . . . . . . . . . . 116
8.2.4 Einfluss von elastischen Elektron-Ion-Stößen . . . . . . . . . . . . . . 118
8.2.5 Strukturbildung und Coulomb-Kristallisation . . . . . . . . . . . . . . 121
8.3 Korrelationskühlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
8.3.1 Klassische Behandlung und ’finite size’-Effekte . . . . . . . . . . . . . 126
8.3.2 Quantenmechanische Korrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
9 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Anhang A Kinetische Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
A.1 Elastische Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
A.2 Inelastische Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Anhang B Skalierung der Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Anhang C LDA-Ausdrücke für Korrelationsenergie und Korrelationsdruck. . . . . . . 157
Anhang D Analytische Approximation der Korrelationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Anhang E Korrelationsenergie von Coulomb-Kristallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
1
Einleitung
Der überwiegende Teil der bekannten Materie des Universums ist ionisiert und befindet
sich in einem Plasmazustand, der oft auch als vierter Aggregatzustand bezeichnet wird.
Während unsere unmittelbare natürliche Umgebung hierbei eher eine Ausnahme bildet, so
spielen Plasmen für eine Vielzahl von technischen Anwendungen, wie z.B. bei der Entwicklung starker Lichtquellen, bei der Herstellung von Halbleiterchips, und nicht zuletzt bei der
Realisierung der kontrollierten Kernfusion eine wichtige Rolle. Wie das in Abb.1.1 dargestellte Temperatur-Dichte-Diagramm deutlich macht, überspannen die hier ausgewählten
Beispiele einen riesigen Bereich von Ladungsdichten und Temperaturen.
Die grundlegende Eigenschaft all dieser Plasmen ist ein hoher Ionisationsgrad bei gleichzeitiger makroskopischer Neutralität. Allerdings kann nicht jedes ionisierte Gas als Plasma bezeichnet werden, da die Forderung nach Neutralität ein kollektives Verhalten voraussetzt. Der Parameter, der diese Eigenschaft charakterisiert, ist die Debye-Länge der
Elektronen λD ; sie ist die charakteristische Länge, auf der lokale Ladungsdifferenzen im
Plasma abgeschirmt werden. Damit ein ionisiertes System einen neutralen Zustand ausbilden kann, muss dessen Größe, die hier mit σ bezeichnet werden soll, demzufolge sehr
viel größer als die Debye-Länge sein. Wenngleich die diversen Plasmen in Abhängigkeit
von ihrer Temperatur und ihrer Dichte ein sehr unterschiedliches Verhalten zeigen, können
die Gleichgewichtseigenschaften klassischer Plasmen durch eine einzige Größe, den sogenannten Coulomb-Kopplungsparameter Γ, charakterisiert werden. Dieser Parameter ist als
das Verhältnis der potenziellen Energie benachbarter Teilchen und der kinetischen Energie
der Ladungen definiert und stellt damit ein Maß für die Bedeutung der direkten TeilchenTeilchen-Wechselwirkung dar. Für Γ 1 kann die potenzielle Energie benachbarter Ladungen gegenüber ihrer kinetischen Energie vernachlässigt werden, weshalb derartige Systeme
auch als ideale Plasmen bezeichnet werden. Demgegenüber sind die Gleichgewichtseigenschaften von sogenannten stark gekoppelten Plasmen, mit Γ 1, entscheidend durch die
Wechselwirkung zwischen den Ladungen bestimmt. Ein Blick auf das Temperatur-DichteDiagramm in Abb.1.1 zeigt, dass es sich beim größten Teil natürlich vorkommender Plasmen um ideale Systeme handelt, während stark gekoppelte Plasmen nur unter extremen
Bedingungen in astronomischen Objekten wie zum Beispiel dem Inneren des Jupiters oder
der äußeren Kruste von Neutronensternen auftreten. Nicht zuletzt aufgrund ihrer zentralen
Bedeutung für astrophysikalische Fragestellungen wurden stark gekoppelte Plasmen in einer Vielzahl theoretischer Arbeiten unter den verschiedensten Gesichtspunkten untersucht
[81, 152, 248] und bieten außerdem einen idealen Ausgangspunkt für das Verständnis korrelierter Vielteilchensysteme. So sind unter anderem viele wichtige Konzepte der statistischen
Physik im Zusammenhang mit der Beschreibung nichtidealer Plasmen entwickelt worden.
Eine Reihe von wichtigen Eigenschaften stark gekoppelter Plasmen kann mittlerweile auch
experimentell untersucht werden, wobei zum Beispiel durch elektrisches Verdampfen dünner
Metalldrähte, durch Laserheizen von Festkörperoberflächen oder durch starke Komprimie-
6
1 Einleitung
Abbildung 1.1: Beispiele für natürlich vorkommende und experimentell erzeugte Plasmen
im Diagramm von Plasmatemperatur und Teilchendichte.
rung verschiedener Materialien extreme Bedingungen, ähnlich denen in astronomischen Objekten, erreicht werden [56, 187, 191, 232, 251, 278]. Da die Erzeugung des Plasmazustandes
hierbei auf einer Ionisation der Atome unter sehr hohen Drücken oder einer Stoßionisation
durch schnelle und damit sehr heiße Elektronen beruht, sind für die Realisierung stark gekoppelter Plasmen in diesen Experimenten sehr hohe Dichten nötig, was mit einem hohen
experimentellen Aufwand verbunden ist und außerdem eine direkte Beobachtung der Relaxation des Systems enorm erschwert. Große Fortschritte in Techniken zum Einfangen und
Kühlen neutraler Atome haben es in den letzten Jahren ermöglicht, sich dem Regime stark
gekoppelter Plasmen aus einer vollkommen anderen Richtung zu nähern. Durch Photoionisation lasergekühlter Atome lassen sich dabei Plasmen realisieren, deren Temperaturen
um Größenordnungen geringer sind als die von in Gasentladungen erzeugten kalten Plasmen, weshalb diese neuartigen Systeme als ultrakalte Plasmen bezeichnet wurden [173].
Wie Abb.1.1 deutlich macht, liegen die hierbei erreichten Temperaturen und Dichten weit
außerhalb des Bereichs von bisher erzeugten und in der Natur vorkommenden Plasmen
7
und eröffnen damit ein völlig neues Parameterregime. Nicht zuletzt aufgrund dieser exotischen Eigenschaften sorgten diese Experimente in der Folgezeit für intensive Diskussionen,
wobei in einer Vielzahl von theoretischen Arbeiten verschiedene Aspekte der Plasmadynamik betrachtet wurden [40, 99, 103, 130, 194, 195, 213, 238, 242–244, 254, 287–289]. Neben den
enorm hohen Kopplungsgraden, die die realisierten Anfangstemperaturen und Anfangsdichten erwarten lassen, zeichnen sich ultrakalte Plasmen außerdem durch eine Reihe weiterer
interessanter Eigenschaften aus. Während in heißen stark gekoppelten Plasmen aufgrund der
hohen Temperaturen und Drücke nur sehr wenige tief gelegene atomare Bindungszustände
besetzt sind, haben die tiefen Temperaturen in ultrakalten Plasmen die Bildung von sehr
hoch angeregten Rydberg-Atomen zur Folge, deren Besetzung sich über einen breiten Energiebereich erstreckt und eine recht komplexe Dynamik aufweisen kann [174]. In diesem Zusammenhang ist auch das Interesse an einer Betrachtung der Dynamik von kalten RydbergGasen, die für ein tieferes Verständnis der in ultrakalten Plasmen ablaufenden Prozesse
eine wichtige Rolle spielt, in den letzten Jahren stetig gestiegen. Dabei wurden neben einer
direkten Untersuchung des dynamischen Übergangs von einem Rydberg-Gas zu einem ultrakalten Plasma [103, 108, 118, 167, 303] unter anderem die Dynamik von Rydberg-Zuständen
in sehr schwach ionisierten Gasen [83, 303], Effekte der starken Atom-Atom-Wechselwirkung
[34, 96], die Dynamik von lokalen Rydberg-Anregungen [7, 8, 100, 226] und auch potenzielle
Anwendungen solcher Systeme in der Quanteninformationsverarbeitung [208, 265] diskutiert. Bei den mittlerweile realisierbaren Dichten und Rydberg-Anregungen gewinnen kollektive Effekte [280, 290] für ein Verständnis dieser Probleme zunehmend an Bedeutung.
Die in dieser Arbeit zu betrachtenden ultrakalten Plasmen bilden damit gewissermaßen eine
Schnittstelle zwischen der Behandlung von atomphysikalischen Problemen in kalten hoch
angeregten Gasen und der Untersuchung von plasmaphysikalischen Fragestellungen stark
gekoppelter ionisierter Systeme.
Das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, die Relaxationsdynamik ultrakalter
Plasmen auf experimentell zugänglichen und damit vergleichsweise langen Zeitskalen zu untersuchen. Um dem angesprochenen interdisziplinären Charakter der hier zu behandelnden
Probleme gerecht zu werden, werden dabei an einigen Stellen dieser Arbeit bewusst auch
wohlbekannte und elementare Konzepte der Plasma- bzw. Atomphysik eingehend erläutert.
Nach einer kurzen Einführung in die frühen Experimente zur Erzeugung ultrakalter Plasmen
und einer Diskussion wichtiger Eigenschaften dieser Systeme (Kapitel 2) werden in Kapitel 3 die Ableitung der später benötigten kinetischen Gleichungen zur Beschreibung der
Plasmadynamik skizziert und die dafür notwendigen Näherungen diskutiert. Anschließend
wird in Kapitel 4 eine numerische Methode zur Beschreibung des Relaxationsverhaltens der
zu untersuchenden Plasmen vorgestellt. Neben einer kurzen Erläuterung der diversen numerischen Verfahren soll in diesem Kapitel vor allem die Äquivalenz dieses Ansatzes und
der in Kapitel 3 gefundenen kinetischen Gleichungen demonstriert werden. Eine numerisch
sehr viel einfacher zu implementierende Möglichkeit der Behandlung ultrakalter Plasmen
wird in Kapitel 5 eingeführt, wobei die stark gekoppelte Plasmadynamik basierend auf einer
Reihe zusätzlicher Approximationen auf einen einfachen Satz makroskopischer Bewegungsgleichungen reduziert wird. Diese ermöglichen neben einer sehr viel schnelleren Berechnung
der Zeitentwicklung des Plasmas vor allem eine transparentere Diskussion des Relaxationsverhaltens. Die hierfür notwendigen Näherungen werden dann in dem sich anschließenden
Kapitel durch einen direkten Vergleich mit den numerischen Simulationen auf ihre Gültigkeit überprüft und so die Stärken und Schwächen des einfachen Modells herausgearbeitet.
Mit Hilfe der erläuterten Methoden wird in Kapitel 7 das Relaxationsverhalten der in den
8
1 Einleitung
oben beschriebenen Experimenten erzeugten ultrakalten Plasmen eingehend untersucht, wobei sowohl experimentell beobachtete Observable als auch bisher nicht zugängliche Aspekte
der Plasmadynamik betrachtet werden. Hierbei stellt sich unter anderem heraus, dass die in
den Experimenten tatsächlich realisierten Kopplungsparameter sehr viel kleiner sind, als die
in Abb.1.1 verwendeten Anfangsbedingungen vermuten lassen. Aus diesem Grund werden in
Kapitel 8 alternative Relaxationsszenarien diskutiert, die eine Erzeugung stark gekoppelter
ultrakalter Plasmen ermöglichen sollten.
2
Experimenteller Überblick und
charakteristische Plasmaparameter
Die experimentelle Erzeugung ultrakalter Plasmen gelang erstmals 1999 am NIST in der
Gruppe von S. Rolston [173]. Hierbei wurde ein Gas von metastabilen Xenon-Atomen im
langlebigen 6s3/2 -Zustand in einer dreidimensionalen MOT (magento-optical trap) gefangen
und durch optisches Treiben des 6s3/2 − 6p5/2 -Übergangs (λ ≈ 882nm) auf Temperaturen
von ≈ 10µK abgekühlt. In einem zweiten Schritt wurden die so präparierten Atome mit Hilfe eines schwachen schmalbandigen Lasers der Wellenlänge λ ≈ 514nm ionisiert. Aufgrund
des sehr großen Verhältnisses der Ionen- und Elektronenmasse wird bei der Ionisation eines Atoms nahezu die gesamte Photonenenergie auf das betreffende Elektron übertragen,
so dass die Überschussenergie, d.h. die Differenz zwischen der Laserenergie und der Bindungsenergie, die kinetische Energie der Elektronen bestimmt, während die Temperatur der
Ionen der der Atome entspricht. Durch Variation der Laserfrequenz lässt sich daher die
gewünschte kinetische Energie der Elektronen mit hoher Genauigkeit einstellen, wobei die
tiefstmögliche Energie allein durch die Bandbreite des Ionisationslasers limitiert ist. In [173]
konnten auf diese Weise Elektronenenergien von 1000K hinab zu 0.1K erreicht werden. Neben den kinetischen Energien der Plasmakomponenten lassen sich in diesen Experimenten
außerdem die Anfangsdichten der Ladungen sehr genau bestimmen. Da das Fallenpotenzial
der MOT innerhalb des Plasmavolumens eine nahezu sphärisch symmetrische harmonische
Ortsabhängigkeit besitzt [173], weisen sowohl die Elektronen als auch die Ionen direkt nach
der Photoionisation eine Gauß-förmige Dichte
!
2
re/i
ρe/i = Ne/i exp − 2
(2.1)
2σ
auf, wobei in [173] eine Breite von σ ≈ 200µm realisiert wurde. Durch Variation der Intensität des Ionisationslasers lässt sich nun die Anzahl Ne/i der erzeugten Plasmateilchen und
damit die mittleren Ladungsdichten
ρ̄e/i =
Ne/i
(4πσ 2)3/2
(2.2)
durchstimmen. In [173] konnten so Plasmen mit Ionendichten von bis zu 10 9 cm−3 produziert werden. Die Anzahl der Elektronen kann jedoch in Abhängigkeit von ihrer anfänglichen
kinetischen Energie und der Ionendichte deutlich geringer sein als die der Ionen, da einige
Elektronen direkt nach der Photoionisation das ionisierte Gas verlassen. Dieser Verdampfungsprozess setzt sich solange fort, bis die dabei entstehende Raumladung ausreicht, um
die verbleibenden Elektronen an die Ladungswolke zu binden. Die Stabilität des ionisierten
10
2 Experimenteller Überblick und charakteristische Plasmaparameter
Gases wird in Abschnitt 7.1 eingehend diskutiert werden, wobei sich zeigt, dass für λD σ
nur ein geringer Teil der Elektronen das System verlässt. Diese Relation enstpricht nun gerade der zuvor erläuterten Bedingung für die Existenz eines neutralen Plasma-Zustandes,
weshalb in dieser Arbeit fast ausschließlich das Parameterregime λ D σ betrachtet wird,
so dass in diesem Fall (Ni − Ne )/Ni 1 gilt.
Für eine einfache Charakterisierung des Zustandes des inhomogenen Plasmas werden
hier die entsprechenden Parameter bei Verwendung der mittleren Dichte bestimmt. Aus
dem mittleren Wigner-Seitz-Radius
−1/3
4
(2.3)
π ρ̄i
ā =
3
erhält man mit Te = 2Ee /(3kB ) und den oben angeführten Energien und Dichten mittlere
Coulomb-Kopplungsparameter
e2
Γ̄e/i =
(2.4)
ākB Te/i
von Γ̄e ≈ 3 · 10−3 − 30 und Γ̄i ≈ 3 · 105 ; Werte, die selbst in exotischen astrophysikalischen Objekten aufgrund der dort auftretenden sehr viel höheren Temperaturen bisher
nicht beobachtet werden konnten.
Im Gegensatz zu derartigen dichten Plasmen, wo die elektronische Komponente in der
Regel entartet und daher quantenmechanisch zu behandeln ist, zeigen die hier zu diskutierenden ultrakalten Plasmen trotz der extrem geringen Temperaturen ein rein klassisches
Verhalten. So ergibt sich mit einer charakteristischen Dichte von 10 9 cm−3 für die elektronische Fermi-Temperatur
2
2/3
TF =
3π 2ρ̄e
(2.5)
2me kB
ein Wert von lediglich 30µK, der um Größenordnungen kleiner ist als die typische Elektronentemperatur. Auch die Ausbildung von gebundenen atomaren Zuständen zu späteren
Zeiten der Plasmadynamik kann im Rahmen von klassischen Bewegungsgleichungen beschrieben werden [194, 213], da bei den hier zu betrachtenden Temperaturen ausschließlich
sehr hoch angeregte Rydberg-Zustände auftreten, welche klassisch behandelt werden können.
Während die Bildung von Rydberg-Zuständen im Zuge der Plasmaevolution einer komplizierten Dynamik unterliegt, lässt sich der Gleichgewichtsionisationsgrad α des Plasmas
in einfacher Weise aus der entsprechden Gleichgewichtsverteilung der Bindungszustände
(Saha-Verteilung [88]) bestimmen. Für kleine Elektronentemperaturen kann dieser durch
R
3 −1/2
(2.6)
α ≈ (ρ̄i + ρ̄a ) Λth
exp −
2kB Te
abgeschätzt werden, wobei ρ̄a die mittlere Atomdichte, R = 13.6eV die Rydberg-Konstante
und Λth die thermische de’Broglie-Wellenlänge der Elektronen bezeichnet. Bei Verwendung
der oben angegebenen Temperaturen und Dichten erhält man aus Gl.(2.6) in allen Fällen
einen verschwindenden Ionisationsgrad. Anders als Hochtemperaturplasmen, deren Erzeugung gerade auf der Stoßionisation durch freie Elektronen, also auf der Relaxation zu einer
Saha-Verteilung beruht, zeichnen sich die hier zu betrachtenden ultrakalten Systeme durch
einen metastabilen Plasmazustand aus, der im Lauf der Zeit in ein atomares Gas zerfällt,
weshalb anfangs spekuliert wurde, ob sich mit der oben beschriebenen experimentellen Methode überhaupt ein ultrakaltes Plasma erzeugen lässt [257]. Spätere Experimente wiesen
11
(e/i)
ωp,e/i⋅τrel
10
2
10
10
1
0
-1
10 -2
10
10
-1
Γe/i
10
0
10
1
Abbildung 2.1: Numerisch berechnete Relaxationszeit als Funktion des CoulombKopplungsparameters (Punkte) [314]. Die durchgezogene Linie zeigt Gl.(2.8).
jedoch eine damals unerwartet hohe Lebensdauer des Plasmas nach [174], wobei gefunden
wurde, dass auch nach einer vergleichsweise großen Zeit von ≈ 150µs nur ein Bruchteil der
freien Elektronen in atomare Zustände rekombiniert.
Die notwendige Zeit für eine Relaxation der Bindungszustände stellt damit die mit Abstand größte Zeitskala der im Plasma ablaufenden Prozesse dar. Außerdem ist im Zusammenhang mit der Definition einer Temperatur der Plasmakomponenten die sogenannte Re(e/i)
laxationszeit τrel [38] von zentraler Bedeutung, d.h. die Zeitskala für die Ausbildung einer
Maxwellschen Geschwindigkeitsverteilung. Die in [314] für ein homogenes Plasma bestimmten Relaxationszeiten sind in Abb.2.1 in Einheiten der inversen Plasmafrequenz
−1/2
4πe2ρ̄e/i
−1
ωp,e/i =
(2.7)
me/i
als Funktion des entsprechenden Coulomb-Kopplungsparameters dargestellt. Wie man sieht,
können die numerischen Daten sehr gut durch die Relation
(e/i)
ωp,e/iτrel
−3/2
= 1 + 0.05Γ̄e/i
(2.8)
beschrieben werden. Die Phasenraumdichte der Elektronen relaxiert demzufolge auf einer
sehr kurzen Zeitskala von ≈ 1ns auf die entsprechende Form der Maxwell-BoltzmannVerteilung. Insbesondere ist diese Zeitskala um einen Faktor ≈ 2 · 10 −3 kleiner als die der
Xenon-Ionen. Um jedoch nähere Aussagen über das Relaxationsverhalten der Elektronen
(e)
treffen zu können, ist τrel mit der charakteristischen Plasmaexpansionszeit zu vergleichen,
die sich mit
!1/3
r
p
3 Ni
(2.9)
ωp,iτexp = Γ̄e
π 2
12
2 Experimenteller Überblick und charakteristische Plasmaparameter
abschätzen lässt (vgl. Abschnitt 5.2 und Anhang B). Einsetzen typischer Dichten und Tem(e)
peraturen in Gl.(2.9) ergibt τrel /τexp ≈ 10−4 . Die elektronische Phasenraumdichte folgt also
offenbar nahezu instantan ihrer lokalen Gleichgewichtsverteilung, was die Definition einer
Elektronentemperatur und insbesondere die oben verwendete Relation T e(0) = 2Ee /(3kB )
rechtfertigt und außerdem die theoretische Behandlung der Plasmadynamik enorm vereinfacht. Aufgrund der Separation der elektronischen Relaxationszeit und der Expansionszeit
kann die Zeitentwicklung der Elektronen, wie in Abschnitt 3.3.1 erläutert wird, durch eine
quasistationäre Verteilung beschrieben werden.
Demgegenüber ist die Relaxationszeit der Ionen mit der Zeitskala der Plasmaexpansion
(i)
vergleichbar. Außerdem entspricht die Korrelationszeit τ korr
[38] der Ionen, d.h. die Zeitskala, auf der sich räumliche ionische Korrelationen ausbilden, für Γ̄i 1 ebenfalls der inversen
ionischen Plasmafrequenz und ist damit ebenfalls von der Größenordnung der Expansionszeit. Das häufig verwendete Konzept einer Unterteilung der Relaxation in drei verschiedene
Phasen (Bogoliubov-Hypothese) [38, 183], nämlich
• eine anfängliche Phase,
d.h. die Phase, in der sich auf einer Zeitskala von τ korr räumliche Korrelationen ausbilden,
• eine kinetische Phase,
d.h. die Phase, in der die Einteilchenphasenraumdichte auf einer Zeitskala von τ rel auf
ihre entsprechende zeitlich lokale Gleichgewichtsform relaxiert, und
• eine hydrodynamische Phase,
d.h. die Phase, in der sich nur noch die Momente der Gleichgewichtsverteilung wie die
Temperatur, die räumliche Dichte etc., auf einer Zeitskala von τ hyd ändern,
und die damit verbundene Separation der Zeitskalen τ korr τrel τhyd bricht im vorliegenden Fall völlig zusammen. Diese Tatsache erschwert zwar einerseits die theoretische
Beschreibung der Dynamik des Systems erheblich, lässt jedoch andererseits ein sehr interessantes Relaxationsverhalten der hier zu untersuchenden ultrakalten Plasmen erwarten.
3
Statistische Beschreibung der
Plasmadynamik
Die Abschätzungen des letzten Kapitels haben unter anderem gezeigt, dass sich das
Plasma trotz der tiefen Temperaturen klassisch verhält. Mit Hilfe von Molekular-DynamikSimulationen, die die Zeitentwicklung eines jeden Elektrons und Ions verfolgen, ist daher eine
nahezu exakte Beschreibung des Systems möglich. Probleme wie die Bildung von Rydbergzuständen in der frühen Phase der Plasmaevolution oder die Kurzzeitdynamik der Elektronentemperatur konnten auf diesem Wege bereits erfolgreich behandelt werden [194, 195, 213].
Für eine Untersuchung des Langzeitverhaltens des Plasmas auf experimentell zugänglichen
Zeitskalen ist dieses Vorgehen jedoch völlig ungeeignet. Das größte Problem besteht hierbei
in der bereits angesprochenen Separation der Zeitskalen der Elektronen- und Ionendynamik. In einer kompletten Molekular-Dynamik-Simulation müssten deshalb einerseits sehr
kleine Zeitschritte verwendet werden, um die Elektronendynamik in befriedigender Weise
aufzulösen, aber andererseits sehr große Simulationszeiten erreicht werden, um die Langzeitdynamik der Ionen zu verfolgen; ein Problem, das sich bei den hier zu betrachtenden
Teilchenzahlen mit heutigen Rechnern nicht behandeln lässt. Um dennoch die wichtigsten
Aspekte der Langzeitdynamik des Plasmas zu berücksichtigen, wird in dieser Arbeit ein
anderer Weg eingeschlagen, wobei die Elektronendynamik unter den Bedingungen
(e)
τrel
→0,
τexp
Γ̄e 1
(3.1)
stark vereinfacht wird, so dass die Dynamik der Ionen auch auf langen Zeitskalen im Rahmen
einer Molekular-Dynamik-Simulation exakt beschrieben werden kann.
In diesem Kapitel soll die Ableitung der diesem Konzept zugrunde liegenden kinetischen Gleichungen skizziert und die hierfür notwendigen Näherungen eingehend diskutiert
werden. Um die Äquivalenz zwischen dem daraus resultierenden Simulationsverfahren und
einer vollständigen Molekular-Dynamik-Behandlung unter den Bedingungen Gl.(3.1) zu demonstrieren, wird dabei in Abschnitt 3.1 von den Newtonschen Bewegungsgleichungen der
Plasmateilchen ausgegangen. Die resultierenden kinetischen Gleichungen für die Phasenraumdichten der jeweiligen Plasmakomponenten werden in den folgenden Abschnitten entsprechend vereinfacht. Dazu wird in Abschnitt 3.2 die zur Beschreibung der Elektronendynamik herangezogene Vlasov-Näherung erläutert und anschließend in Abschnitt 3.3 die hier
gewählten Näherungen zur Behandlung der relevanten Stoßprozesse eingeführt und detailliert diskutiert.
14
3.1
3 Statistische Beschreibung der Plasmadynamik
Liouville-Gleichung und BBGKY-Hierarchie
Im Rahmen einer klassischen Beschreibung sind sämtliche Eigenschaften des Plasmas ein(N )
(N )
deutig durch die Orte re e = {re,1, . . . , re,Ne } und Impulse pe e = {pe,1, . . . , pe,Ne } der
i)
i)
Elektronen und die Orte r(N
= {ri,1, . . . , ri,Ni } und Impulse p(N
= {pi,1, . . . , pi,Ni } der
i
i
Ionen bestimmt. Mit Hilfe der entsprechenden Hamilton-Funktion
H =
X p2α,j
1
+
2mα 2
j
α=e,i
Vαβ (rα,j , rβ,k ) =
qα qβ
,
|rα,j − rβ,k |
X
Vαβ (rα,j , rβ,k )
(α,j)6=(β,k)
qe = −e , qi = e
(3.2)
lässt sich daher die Dynamik des Systems durch Lösen der Hamiltonschen Bewegungsgleichungen der Plasma-Teilchen
ṙα,j =
∂H
,
∂pα,j
ṗα,j = −
∂H
,
∂rα,j
(3.3)
zumindest prinzipiell, für alle Zeiten verfolgen. Wie bereits erläutert wurde, ist ein solches
Vorgehen, trotz moderater Teilchenzahlen, für die vorliegende Problematik jedoch nicht
praktikabel. An dieser Stelle ist es daher weitaus vielversprechender, die Wahrscheinlichkeits(N )
(N ) (N )
(N )
(N )
(N ) (N )
(N )
dichte f (N )(re e , pe e , ri i , pi i ) für eine bestimmte Konfiguration {re e , pe e , ri i , pi i }
des Plasmas zu betrachten, wobei N = Ni +Ne die Gesamtzahl aller Ladungen ist. Da die Anzahl aller möglichen Konfigurationen zeitlich konstant sein muss, erhält man bei Einführung
e)
i)
einer Phasenraumgeschwindigkeit ω = {ṙ(N
, ṗe(Ne) , ṙi(Ni) , ṗ(N
} eine Kontinuitätsgleichung
e
i
∂ (N )
f
+ div f (N ) ω = 0,
∂t
(3.4)
welche nun an Stelle der Hamiltonschen Bewegungsgleichungen die Dynamik des Systems
festlegt. Bei Verwendung von Gln.(3.3) in Gl.(3.4) ergibt sich schließlich die am weitesten
verbreitete Formulierung der Liouville-Gleichung :


X  ∂f (N ) pα,j
∂f (N ) X ∂Vαβ (rα,j , rβ,k ) 
∂f N
+
−


∂t
∂rα,j mα
∂pα,j (α,j)6=(β,k)
∂rα,j
j
α=e,i
(N )
=
∂f
∂t
β=e,i
− H, f
(N )
= 0,
(3.5)
wobei { , } die klassische Poisson-Klammer bezeichnet. Dabei ist die N-Teilchen-Phasenraumdichte eine Funktion aller Teilchenkoordinaten und Impulse, womit sich eine exakte
Lösung dieser Gleichung sogar als weit weniger praktikabel erweist als eine direkte Integration der Bewegungsgleichungen Gln.(3.3). Die vollständige Information über alle Teilchen
wird in der Regel jedoch nicht benötigt, und es genügt, lediglich reduzierte Phasenraumdichten [136, 313]
Z
N!
n
(n)
(n)
f (N ) r(N ), p(N ) drn+1 . . . drN dpn+1 . . . dpN
(3.6)
f r ,p
=
(N − n)!
3.1 Liouville-Gleichung und BBGKY-Hierarchie
15
der Ordnung n zu betrachten. Der Faktor N!/(N − n)! berücksichtigt hierbei die verschiedenen Möglichkeiten, n Teilchen aus einer Gesamtheit von N Teilchen auszuwählen. In diesem
Sinne entspricht die so definierte, reduzierte Verteilungsfunktion einer tatsächlichen Teilchendichte und nicht einer Wahrscheinlichkeit für die Besetzung des Phasenraumes. Wie
erstmals von J. Yvon (1935) gezeigt wurde, erhält man bei Verwendung von Gl.(3.6) durch
Integration der Liouville-Gleichung über die entsprechenden Phasenraumkoordinaten eine
Hierarchie von Gleichungen für die n-Teilchenverteilungsfunktion, die sogenannte BBGKYHierarchie (Bogolyubov [33]; Born und Green [41]; Kirkwood [178]; Yvon [311]).
Im vorliegenden Fall eines Zweikomponentensystems ergibt sich die Einteilchenverteilungsfunktion der Ionen bzw. Elektronen aus
Z
e)
e)
dp(N
dri,2 . . . dri,Ni dpi,2 . . . dpi,Ni ,
fi (ri,1, pi,1) = Ni f (N ) dr(N
e
e
Z
i)
i)
fe (re,1, pe,1) = Ne f (N ) dr(N
dp(N
dre,2 . . . dre,Ne dpe,2 . . . dpe,Ne ,
(3.7)
i
i
während die entsprechenden Zweiteilchenphasenraumdichten gemäß
Z
Ne
e
fii (ri,1, pi,1 , ri,2, pi,2) = Ni (Ni − 1) f (N ) drN
e dpe dri,3 . . . dri,Ni dpi,3 . . . dpi,Ni ,
Z
Ni
i
fee (re,1, pe,1, re,2, pe,2) = Ne (Ne − 1) f (N ) drN
i dpi dre,3 . . . dre,Ne dpe,3 . . . dpe,Ne ,
Z
fei (re,1 , pe,1, ri,1, pi,1) = Ne Ni f (N ) dre,2 . . . dre,Ne dpe,2 . . . dpe,Ne
dri,2 . . . dri,Ni dpi,2 . . . dpi,Ni
(3.8)
definiert sind. Letztere geben die Dichte von Paaren an, welche einen bestimmten Punkt
im Phasenraum besetzen. Bei Verwendung der Gln.(3.7) in der Liouville-Gleichung (3.5)
und Ausnutzung der Symmetrieeigenschaften der Verteilungsfunktion bezüglich einer Vertauschung von Teilchen ergibt sich für die Dynamik der Einteilchendichte
Z
Z
∂Vei ∂fei
∂fi
∂Vii0 ∂fii0
∂fi
+ vi
=
dri0 dpi0 +
dre dpe ,
∂t
∂r
∂ri ∂pi
∂ri ∂pi
Z
Z
∂fe
∂fe
∂Vei ∂fei
∂Vee0 ∂fee0
+ ve
=
dre0 dpe0 +
dri dpi .
(3.9)
∂t
∂r
∂re ∂pe
∂re ∂pe
Schon an dieser Gleichung wird deutlich, dass die sich aus der BBGKY-Hierarchie ergebenden Gleichungen nicht in sich geschlossen sind. Während die Bestimmung der Einteilchenverteilungsfunktion Kenntnis über die Phasenraumdichte zweiter Ordnung erfordert,
beinhalten die entsprechenden Gleichungen für die Dynamik der Zweiteilchenverteilungsfunktion die Phasenraumdichten der nächst höheren Ordnung. Aus diesem Grund wurden
in den letzten Jahrzehnten verschiedene Näherungen und eine Vielzahl von sogenannten
Abschlussrelationen vorgeschlagen [17, 24, 38, 205, 223], welche einen funktionalen Zusammenhang zwischen reduzierten Verteilungsfunktionen aufeinander folgender Ordnung herstellen und es somit ermöglichen, die Hierarchie nach einer endlichen Zahl von Gleichungen
abzubrechen. In der Regel hängt die Güte solcher Näherungen sehr stark von den makroskopischen Systemeigenschaften, wie Dichte, Temperatur etc., und den zu betrachtenden
Zeitskalen ab. Aufgrund der speziellen Natur der diversen Näherungen können hierbei zumeist nur ausgewählte Aspekte oder Stadien der Plasmadynamik beschrieben werden. Die
16
3 Statistische Beschreibung der Plasmadynamik
theoretische Behandlung der Dynamik ultrakalter Plasmen gestaltet sich vor diesem Hintergrund besonders problematisch, da für eine vollständige und konsistente Beschreibung der
Experimente (vgl. Kapitel 2) sowohl die anfängliche Ausbildung von Teilchenkorrelationen
und die Relaxation der Einteilchengeschwindigkeitsverteilung als auch die Expansion des
Plasmas, zu berücksichtigen sind.
In den folgenden Abschnitten sollen daher die kinetischen Gleichungen (3.9) in geeigneter
Weise vereinfacht werden, um eine praktikable Lösung der resultierenden Gleichungen auf
sämtlichen, relevanten Zeitskalen zu ermöglichen, welche dennoch alle wichtigen Effekte mit
hinreichender Genauigkeit beschreibt.
3.2
Vlasov-Näherung
Sind Korrelationen zwischen den Ladungen hinreichend gering und ist die Zeitskala, auf der
die Dynamik des Systems betrachtet wird, sehr viel kleiner als die charakteristische Stoßzeit
des Gases, so können sämtliche Einflüsse von Teilchenkorrelationen auf der rechten Seite von
Gl.(3.9) vernachlässigt werden. Im Rahmen dieser wohl einfachsten Näherung lässt sich die
Zweiteilchenverteilungsfunktion direkt als Produkt der entsprechenden Einteilchendichten
schreiben:
fαβ (rα , vα, rβ , vβ ) = fα (rα, vα ) fβ (rβ , vβ ) .
(3.10)
Bei Verwendung dieser Relation in Gl.(3.9) erhält man die Vlasov-Gleichung [301]
Z
∂fα
∂fα
∂fα X ∂Vαβ
+ vα
=
fβ drβ dpβ ,
∂t
∂rα
∂pα
∂rα
(3.11)
β
welche eine geschlossene Beschreibung der Dynamik der Einteilchenverteilung ermöglicht.
Um ein einfaches Verfahren zur Lösung der Vlasov-Gleichung abzuleiten, ist es sinnvoll,
die rechte Seite von Gl.(3.11) als
X Z ∂Vαβ (rα , rβ )
∂ϕ (rα)
fβ (rβ , pβ ) drβ dpβ = qα
(3.12)
∂r
∂r
α
α
β
zu schreiben, wobei mit ϕ das ’mean field’-Potenzial aller Ladungen
bezeichnet wird. LetzR
teres ist bei Kenntnis der räumlichen Teilchendichten ρα = fα dpα durch die PoissonGleichung
∆ϕ = 4πe (ρe − ρi )
(3.13)
eindeutig bestimmt. Die resultierende kinetische Gleichung kann damit formal einer Einteilchen-Hamilton-Funktion zugeordnet werden, welche die Bewegung einer Ladung in einem
externen Potential eϕ beschreibt, das jedoch wiederum von der Ladungsverteilung des Systems abhängt. Man erhält daher eine numerische Lösung von Gl.(3.11), indem man die
Phasenraumverteilung durch ein Ensemble von wechselwirkungsfreien Testteilchen repräsentiert, und diese in dem externen Potenzial ϕ propagiert.
3.3
Behandlung von Teilchenstößen
Das Langzeitverhalten ultrakalter Plasmen wurde in [103, 254] im Rahmen der erläuterten
’mean field’-Näherung numerisch untersucht. Hierbei zeigt sich, dass die Elektronentem-
3.3 Behandlung von Teilchenstößen
17
peratur unter den in Kapitel 2 erläuterten, experimentellen Bedingungen während der gesamten Beobachtungszeit vergleichweise hoch und damit Γ̄e hinreichend klein ist, so dass
der Einfluss von statischen Elektron-Elektron- und Elektron-Ion-Korrelationen auf die Expansionsdynamik vernachlässigt wird. Demgegenüber müssen Stöße zwischen den Ladungen
auf den hier zu betrachtenden Zeitskalen für eine realistische Behandlung der Plasmadynamik berücksichtigt werden. In den folgenden Abschnitten sollen daher die hier gewählten
Näherungen zur Beschreibung der diversen Teilchenstöße separat erläutert werden. Ausgehend von den kinetischen Gleichungen Gln.(3.9) werden dazu entsprechende Zusatzterme
zur Vlasov-Gleichung Gl.(3.11) diskutiert, die eine hinreichend realistische und gleichzeitig
einfach zu implementierende Beschreibung von Teilchenstößen gewährleisten sollen.
3.3.1
Elektron-Elektron-Stöße
Für eine Betrachtung des Einflusses von Elektron-Elektron-Stößen auf die Plasmadynamik
wird die Zweiteilchenverteilungsfunktion der Elektronen gemäß
fee0 (pe , pe0 , re, re0 ) = fe (pe , re) fe (pe0 , re0 ) + cee0 (pe , pe0 , re, re0 )
(3.14)
aufgespalten. Die Funktion cee0 beinhaltet den korrelierten Anteil der Zweiteilchenverteilungsfunktion und berücksichtigt damit sämtliche Effekte, die über eine ’mean field’-Beschreibung im Rahmen der Vlasov-Näherung hinausgehen. Einsetzen dieses Ausdruckes in
die rechte Seite von Gl.(3.9) ergibt
Z ∂ϕe ∂fe
∂Vee0 ∂fee0
dre0 dpe0 =
+ Jee0 ,
∂re ∂pe
∂re ∂pe
wobei ϕe das elektrostatische ’mean field’-Potenzial der Elektronen und
Z
∂Vee0 ∂cee0
Jee0 =
dre0 dpe0
∂re ∂pe
(3.15)
(3.16)
das Elektron-Elektron-Stoßintegral bezeichnet. Eine explizite Auswertung des ElektronElektron-Stoßintegrals ist zwar prinzipiell möglich, gestaltet sich jedoch für die vorliegende
Problematik der Beschreibung des Langzeitverhaltens ultrakalter Plasmen vor allem deshalb
problematisch, weil die Relaxationszeit der Elektronen typischerweise sehr viel kleiner ist als
die charakteristische Zeitskala der Ionendynamik (vgl. Abschnitt 2). Allerdings kann man
gerade diese Separation der Zeitskalen nutzen, um die Behandlung der Dynamik der elektronischen Verteilungsfunktion bei Verzicht auf eine detaillierte Beschreibung der anfänglichen
Elektronenrelaxation [213] im Rahmen einer adiabatischen Näherung erheblich zu vereinfachen. In diesem Fall kann die elektronische Phasenraumdichte durch eine quasistationäre
Verteilung [254, 264]
fe (r, v, t) = fe(qs) (r, v, Te(t))
(3.17)
(qs)
beschrieben werden, wobei die Zeitentwicklung von f e nun lediglich implizit durch die
zeitabhängige Elektronentemperatur Te(t) vermittelt wird. Die hier verwendete explizite
Form der quasistationären Elektronenverteilung und die Bestimmung der Dynamik der Elektronentemperatur wird in den Abschnitten 4.1 und 5.3.1 detailliert diskutiert.
18
3.3.2
3 Statistische Beschreibung der Plasmadynamik
Ion-Ion-Stöße
Die Beschreibung der Ion-Ion-Wechselwirkung gestaltet sich weitaus problematischer als
die der Elektron-Elektron-Wechselwirkung, da hierbei weder vereinfachende Annahmen bezüglich des Kopplungsgrades der Ionen gemacht werden können, noch eine Separation der
verschiedenen Relaxationszeiten der reduzierten Ionen-Verteilungsfunktionen zulässig ist.
Im Gegensatz zu den Elektronen, welche durch zusätzliche Mechanismen aufgeheizt
werden [vgl. Kapitel 7] und hinreichend schnell auf ein lokales Gleichgewicht relaxieren
[194, 195, 213], vollzieht sich die Relaxation der Ionen aufgrund ihrer sehr viel größeren
Masse auf einer Zeitskala, die vergleichbar mit der Expansionszeit des Plasmas ist. Wie
in Kapitel 2 beschrieben, wird das Plasma experimentell in einem Nichtgleichgewichtszustand präpariert. Damit muss sowohl die anfängliche Ausbildung von Ion-Ion-Korrelationen
als auch die Relaxation der Einteilchengeschwindigkeitsverteilung in geeigneter Weise beschrieben werden. Die ’übliche’ Annahme von wohl separierten Zeitskalen für diese beiden
Relaxationsprozesse bei der Ableitung von kinetischen Gleichungen [183, 223] für die Einteilchenverteilungsfunktion ist hier ebenfalls nicht zulässig (vgl. Kapitel 2), da beide Prozesse
im Fall von starken Ion-Ion-Korrelationen (Γ̄i > 1) auf vergleichbaren Zeitskalen ablaufen [314]. In Abschnitt 5.3.2 wird daher eine Methode eingeführt, die eine approximative
Berücksichtigung des Ion-Ion-Stoßintegrals
Z
∂Vii0 ∂cii0
0
Jii =
(3.18)
dri0 dpi0
∂ri ∂pi
ermöglicht, aber ohne die oben genannten Näherungen auskommt. Eine näherungsfreie Behandlung von Gl.(3.18) gelingt in dieser Arbeit im Rahmen von mikroskopischen Rechnungen, welche die direkte Ion-Ion-Wechselwirkung im Rahmen einer Molekular-DynamikSimulation berücksichtigen (vgl. Abschnitt 4.4.2).
3.3.3
Elektron-Ion-Stöße
Unter den hier zu betrachtenden Bedingungen sind lediglich schwache Korrelationen zwischen freien Elektronen und Ionen zu erwarten (Γ̄e < 1, vgl. Abschnitt 7.5.1), so dass
die Behandlung der Elektron-Ion-Wechselwirkung im Rahmen einer Vlasov-BoltzmannNäherung [183] gute Ergebnisse liefern sollte. Allerdings hat die attraktive Elektron-IonWechselwirkung die Ausbildung von langlebigen Korrelationen, d.h. Bindungszuständen,
zur Folge, welche auf diese Weise vernachlässigt würden. Prinzipiell lässt sich die Bildung
von Bindungszuständen im Zuge der Evolution ultrakalter Plasmen im Rahmen einer rein
klassischen Behandlung bei Berücksichtigung sämtlicher Elektron-Ion-Wechselwirkungen beschreiben [194, 213]. Aufgrund der extrem kleinen Zeitskala für die Dynamik gebundener
Elektronen sind derartige Rechnungen jedoch auf kurze Zeiten und vergleichweise geringe
Teilchenzahlen beschränkt, so dass sich die Expansion des Plasmas auf diese Weise nicht
verfolgen lässt. Im Rahmen eines chemischen Bildes [88], d.h. bei Einführung einer zusätzlichen Teilchensorte (Atome), lässt sich dieses Problem jedoch erheblich vereinfachen, da
sowohl die freien Elektronen als auch die Atome, aufgrund ihrer schwachen Wechselwirkung,
nur schwache Korrelationen aufweisen. Eine vollständige Beschreibung teilweise ionisierter
Plasmen kann nur im Rahmen einer quantenstatistischen Beschreibung erbracht werden
[38, 181, 182, 184, 190], da klassisch kein stabiler atomarer Grundzustand existiert. Wegen
3.3 Behandlung von Teilchenstößen
19
der sehr geringen Bindungsenergien der hier zu betrachtenden Atome sind quantenmechanische Effekte für die Populationsdynamik der Rydberg-Zustände in ultrakalten Plasmen
jedoch nicht von Bedeutung.
Da in dieser Arbeit eine rein klassische Beschreibung der Plasmadynamik angestrebt
wird, werden in Anhang A die entsprechenden kinetischen Gleichungen in analoger Weise
aus der klassischen BBGKY-Hierarchie abgeleitet. Im Gegensatz zu bisherigen Rechnungen
[182, 184, 190] werden dabei außerdem Dichteinhomogenitäten berücksichtigt. Um die dafür
notwendigen Näherungen herauszuarbeiten, und vor allem, um die Äquivalenz zwischen den
sich ergebenden Gleichungen, der daraus resultierenden Simulationsmethode (vgl. Kapitel 4)
und einer exakten klassischen Molekular-Dynamik-Beschreibung zu demonstrieren, werden
im Rahmen einer detaillierten Herleitung an einigen Stellen auch aus der Standardliteratur
bekannte Argumentationsschritte [184, 205] erläutert.
Wie in [182, 184] diskutiert wird, gelingt der Übergang vom physikalischen Bild, d.h.
einer vollständigen Beschreibung aller Ladungen, zum chemischen Bild durch Aufspaltung
der Elektron-Ion-Zweiteilchenverteilungsfunktion f ei in freie und gebundene Elektron-IonPaare gemäß fei = fei(frei) + fei(geb). Die Verteilungsfunktion der freien Ionen ergibt sich hierbei
aus
Z
(frei)
(frei)
−1
fei dre dpe ,
(3.19)
fi
= Ne
(geb)
ist demzufolge
welche im folgenden mit fi bezeichnet wird. Die Phasenraumdichte fei
unmittelbar mit der Verteilungsfunktion der Atome zu identifizieren (vgl. Anhang A). Ist zur
Beschreibung des Bindungszustandes der Atome lediglich die Relativenergie des ElektronIon-Paares, d.h. die Bindungsenergie, von Interesse, so genügt es, die Verteilungsfunktion
Z
(geb)
fa (pa , ra, E)dE = fei (pi , pe , ri , re)de
(3.20)
zu betrachten. Hierbei bezeichnet E die Bindungsenergie des Atoms und e einen fünfdimensionalen Vektor, welcher die verbleibenden Freiheitsgrade des Elektrons beinhaltet. Wegen me /mi 1 kann die Schwerpunktskoordinate ra und der Schwerpunktsimpuls pa des
Elektron-Ion-Systems direkt mit den Phasenraumkoordinaten r i und pi des entsprechenden
Ions identifiziert werden. Um die diskrete Natur der atomaren Energieniveaus zu berücksichtigen, wird außerdem der Übergang fa (E) → fa(n) vollzogen, wobei En = − nR2 (n ∈ )
1
die Eigenenergie
des Wasserstoffatoms
und R = 13.6eV die Rydberg-Konstante bezeichR
P
net und fa (E)dE = n fa(n). Die Ableitung der entsprechenden kinetischen Gleichungen für die Verteilungen der freien Ionen und der Atome ist in Anhang A skizziert. Analog zur Herleitung der Boltzmann-Gleichung für Zweikörperstöße [183, 205] werden hierbei
langlebige Dreiteilchenkorrelationen und langlebige binäre Korrelationen zwischen gleichen
Ladungen vernachlässigt, während nun jedoch Korrelationen von Elektron-Ion-Paaren negativer Relativenergie berücksichtigt werden, weshalb neben der ersten und zweiten Gleichung der BBGKY-Hierarchie auch die dritte Gleichung für feie0 betrachtet werden muss.
Vernachlässigt man außerdem Ion-Atom-Stöße, erhält man bei Vernachlässigung von Retardationseffekten [183], d.h. unter der Annahme eines unendlich schnellen Stoßes, für die
Verteilung der freien Ionen (vgl. Gln.(A.30)-(A.34))
Z
Z
∂Vei
∂fi
∂Vii0 ∂fii0
∂fi
∂fi
+ vi
−
dri0 dpi0 −
fe dre dpe
= Jei(2) + Jei(3)
(3.21)
∂t
∂ri
∂ri ∂pi
∂ri
∂pi
1
Für sehr hoch angeregte Zustände kann das Energiespektrum von einfach angeregten Mehr-ElektronenAtomen in hinreichend guter Näherung als wasserstoffartig angenommen werden [107].
20
3 Statistische Beschreibung der Plasmadynamik
und für die Dynamik der Atom-Verteilungsfunktion
∂fa
∂fa
+ va
= Jae .
∂t
∂ra
(3.22)
Das Stoßintegral Jei(2) beschreibt elastische Elektron-Ion-Stöße, während inelastische Elektron(3)
Atom-Stöße, d.h. Dreikörperstöße, durch Jei und Jae berücksichtigt werden. Wie in Anhang A.1 eingehend erläutert wird, erhält man für Jei(2) die bekannte Form des BoltzmannStoßintegrals
Z
Z
dσeff
(2)
|vi − ve | [fi (p0i , ri )fe (p0e , ri) − fi (pi , ri )fe(pe , ri )] ,
(3.23)
Jie = dve dΩ
dΩ
wobei ein effektiver Streuquerschnitt
dσeff
=
dΩ
dσC
, θ ≥ θmin
,
0 , θ < θmin
dΩ
(3.24)
C
eingeführt wurde und dσ
den Rutherford-Querschnitt für Coulomb-Streuung [102] bezeichdΩ
net. Der minimale Streuwinkel sin (θmin /2) = Λ−1/2 [206] ist hierbei durch den Coulomb√
3/2
Logarithmus Λ = 3/Γe [116] bestimmt.
In einer Vielzahl von Arbeiten konnte durch Vergleiche mit genaueren Rechnungen gezeigt werden, dass die aus dieser Näherung resultierenden Stoßraten in dem hier zu betrachtenden Regime eine erstaunlich gute Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen liefern.
Die Rate für den Temperaturausgleich zwischen Elektronen und Ionen für Ti Te ergibt
sich aus Gl.(3.23) zu
−1
Z
Z 1
3
dσeff 3
γei =
me dve
d(cos θ)2π
kB Te
v (1 − cos θ) fe (pe, re ) ,
2
dΩ e
−1
√
4 2πmee4 ρe
ln Λ ,
(3.25)
=
3mi (kB Te)3/2
wobei für die Verteilung der Elektronengeschwindigkeiten eine Maxwell-Verteilung angenommen wurde. Bei Verwendung des Stoßintegrals (3.23) vollzieht sich der Ausgleich der
Elektronen- und Ionentemperatur also mit der bekannten Landau-Spitzer-Rate [282]. Während Gl.(3.25) ursprünglich für dünne, schwach gekoppelte Systeme abgeleitet wurde, liefert die Landau-Spitzer-Rate auch für schwächere Anforderungen an die Plasmaparameter
eine unerwartet gute Beschreibung der Temperaturrelaxation [135, 140]. So führen beispielsweise in stark gekoppelten Plasmen kollektive Effekte zu einer enormen Verringerung der
Relaxationsrate verglichen mit Gl.(3.25) [65]. Dennoch reduziert sich, wie in [140] gezeigt
werden konnte, die entsprechende Relaxationsrate für beliebige Γi , aber schwach gekoppelte
Elektronen, wiederum auf das Landau-Spitzer-Resultat für die Zeitskala des Temperaturausgleichs, so dass die Boltzmann-Näherung zur Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen auch
für Γi 1 durchaus gerechtfertigt ist. Die Gültigkeit der Coulomb-Stoß-Näherung, d.h.
die Leistungsfähigkeit des Ansatzes Gl.(3.24), wurde unter anderem in [111] durch Vergleich mit einer numerischen Auswertung des entsprechenden Stoßintegrals bei Verwendung
der abgeschirmten Elektron-Ion-Wechselwirkung untersucht. Es zeigt sich, dass die entsprechenden Resultate für Γe < 0.25 (vgl. Abschnitt 7.5.1) um maximal 10% von Gl.(3.25)
3.3 Behandlung von Teilchenstößen
21
abweichen, weshalb die vorliegende Behandlung von Elektron-Ion-Stößen eine hinreichend
gute Beschreibung der Temperaturrelaxation erwarten lässt.
Im Gegensatz zu Gl.(3.23) haben die in Anhang A.2 abgeleiteten Ausdrücke für Jei(3) und
Jae zur Beschreibung inelastischer Stöße die Form linearer Boltzmann-Stoßintegrale
X
X
(3)
Jei =
Kion (n, ρe (ri), Te )fa(n, pi , ri ) −
Kdkr(n, ρe (ri ), Te)fi (pi , ri ) ,
(3.26)
n
Jae0 =
n
X
p
[Kgg (p, n, ρe (ra), Te)fa (p, pa , ra ) − Kgg (n, p, ρe (ra ), Te)fa (n, pa, ra )]
+Kdkr (n, ρe (ra), Te)fi (pa , ra) − Kion (n, ρe (ra), Te )fa(n, pa , ra ) .
(3.27)
Hierbei beschreiben die auftretenden Ratenkoeffizienten K dkr (n, ρe , Te), Kion (n, ρe , Te) und
Kgg (n, p, ρe , Te) die Dreikörperrekombination in einen atomaren Zustand n, die Elektronenstoßionisation eines Rydberg-Atoms aus einem Zustand n und stoßinduzierte Übergänge
zwischen zwei Niveaus von n nach p. Da es sich bei den hier zu betrachtenden Stoßprozessen um ein Dreikörperproblem handelt, lassen sich keine exakten analytischen Ausdrücke
für die entsprechenden Ratenkoeffizienten finden. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Bedeutung
für das Verständnis elementarer Prozesse in teilweise ionisierten Plasmen wurden inelastische Elektronenstöße jedoch in den letzten Jahren in verschiedenen Grenzfällen untersucht [26, 109, 163, 216, 237, 302]. Für die vorliegende Problematik sollten die in [211] mit
Hilfe klassischer Monte-Carlo-Simulationen bestimmten Ratenkoeffizienten eine adäquate
Behandlung inelastischer Stoßprozesse ermöglichen. Im Gegensatz zu quantenmechanischen
Störungsansätzen, welche zwar für beliebige atomare Anregungsenergien, aber nur für hohe Projektilenergien gültig sind, werden in diesen Rechnungen sämtliche Wechselwirkungen
des Dreiteilchensystems exakt berücksichtigt. Der Gültigkeitsbereich der entsprechenden
Ausdrücke für die Ratenkoeffizienten, der aufgrund der klassischen Natur dieser Rechnungen auf hohe atomare Anregungen (n > 10) und vergleichsweise geringe Projektilenergien
(Ee < 3En ) beschränkt ist [212], umfasst die typischen Parameter der hier zu betrachtenden
Plasmen, was eine sehr gute Beschreibung der verschiedenen Stoßprozesse erwarten lässt. Die
in [211] erhaltenen numerischen Resultate für die Ratenkoeffizienten werden durch folgende
Fitformeln für die Rekombinationsrate in einen atomaren Level n
3.83
kB Te
n6.66ρ2e ,
(3.28)
Kdkr(n, ρe , Te) = 60Φ0
R
die Ionisationsrate eines Atoms im Bindungszustand n
kB Te 3.83 4.66
R
−3
Kion (n, ρe, Te ) = 60Λ Φ0
n exp −
ρe
R
kB Te n2
und die Elektronenstoßübergangsrate von n nach p

h
2.83  n4.66 exp R
1
−
kB Te
p3
kB T e p2
Kgg (n, p, ρe , Te) = 120Φ0
ρe p6.66
 5
R
n
1
n2
i
, n<p
, n>p
(3.29)
(3.30)
mit hoher Genauigkeit reproduziert [211], wobei Λ th = √2πmhe k Te die thermische de-Broglie1/2 B 2 5
kB Te
e
.
Wellenlänge der Elektronen bezeichnet und Φ0 = me
kB Te
22
3 Statistische Beschreibung der Plasmadynamik
Die Temperaturabhängigkeit der totalen Rekombinationsrate, die für ideale Plasmen und
Te → 0 ein stark divergierendes Verhalten zeigt, steht im Zusammenhang mit der Realisierung ultrakalter Plasmen derzeit im Mittelpunkt intensiver Diskussionen [129, 173, 174, 287],
und soll deshalb an dieser Stelle kurz erläutert werden. Wie man an Gl.(3.28) sieht, steigt die
Rekombinationsrate mit
P wachsendem n unbegrenzt an, was zu einer Divergenz der totalen
Rekombinationsrate n Kdkr (n) führt. Dieser Sachverhalt resultiert aus dem langreichweitigen Charakter der Elektron-Ion-Wechselwirkung und spiegelt sich unter anderem auch in
einer Divergenz des Ionisationsgrades im Gleichgewicht
ρa X
=
S(n)
(3.31)
ρi
n
wider, wobei
S(n) =
ρi Λ3th n2
R
exp
kB Te n2
(3.32)
die Saha-Verteilung
bezeichnet [16, 88, 227, 270]. Diese fällt für kleine n ab, steigt jedoch
p
?
für n > n = R/(kB Te) wieder an, was letztlich zu einer divergierenden Zustandssumme
führt. Das Auftreten dieser offensichtlich unphysikalischen Divergenz wurde bereits Anfang
des letzten Jahrhunderts intensiv untersucht [98, 146, 241, 286], wobei verschiedene Verfahren
vorgeschlagen wurden, um eine konvergente Zustandssumme zu garantieren. Wie erstmals
in [286] diskutiert wurde, besteht die einfachste Möglichkeit darin, die Saha-Verteilung an
ihrem Minimum ’abzuschneiden’

R
 n2 exp
, n ≤ nmax
kB Te n2
S(n) = ρe Λ3th
,
(3.33)
0
, n > nmax
so dass nur Zustände mit n < nmax = n? bevölkert werden, wobei nmax gerade der Bindungsenergie entspricht, bei der die Elektronenflüsse zu tieferen und höheren Energien gleich sind
−9/2
[147]. Bei Verwendung dieses Wertes für nmax erhält man die bekannte Te -Abhängigkeit
der totalen Rekombinationsrate
20 1/2
e
(tot)
2
Kdkr (Te) = 60R0 ρe = 60
ρ2e (kB Te)−9/2 ,
(3.34)
me
welche die bisher durchgeführten experimentellen Messungen [147, 211] mit hoher Genauigkeit reproduziert. Während die bisherige klassische Behandlung die Einführung eines ’cutoffs’ nmax zur Bestimmung des Ionisationsgleichgewichts erfordert, ergibt sich im Rahmen
von quantenstatistische Betrachtungen [84–86] die sogenannte Planck-Larkin-Form [241] der
Gleichgewichtsverteilung
R
R
3 2
S(n) = ρe Λthn exp
−1−
,
(3.35)
kB Te n2
kB Te n2
welche ohne einen solchen ’cutoff’ auskommt. Diese Verteilung sichert zwar eine konvergente
Zustandssumme, führt aber bei Verwendung von Gl.(3.29) dennoch zu einer divergierenden
Rekombinationsrate. Eine endliche Rekombinationsrate erhält man hierbei nur bei Berücksichtigung von Vielteilcheneffekten. Diese lassen sich für schwach gekoppelte Elektronen grob
aus der Verschiebung der Energieniveaus durch die Debye-Abschirmung der Elektron-IonWechselwirkung e2 /λD abschätzen, die erst für Γe > 1.44 die minimale Bindungsenergie von
3.3 Behandlung von Teilchenstößen
23
R/nmax übersteigt und daher für die hier zu betrachtenden Expansionsszenarien ultrakalter Plasmen eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. Abschnitt 7.5.1). Da außerdem erst für
n ≈ nmax signifikante Abweichungen zwischen Gl.(3.33) und Gl.(3.35) auftreten und diese
sehr hoch angeregten Niveaus einen unbedeutenden Beitrag zur gesamten Bindungsenergie
der Rydberg-Atome liefern, wird in dieser Arbeit Gl.(3.33) verwendet, was zur Beschreibung
der Expansionsdynamik des Plasmas völlig ausreichend ist. Ist man jedoch an einer detaillierten Beschreibung der Relaxation der sehr hoch angeregten Rydberg-Zustände interessiert, so
ist der hier gewählte Ansatz unter Umständen unzureichend, wobei dann kollektive Effekte
und die Nichtidealität des Plasmas berücksichtigt werden müssen [127, 180, 185, 190, 274].
4
Mikroskopische Simulation
Nachdem im vorangegangenen Kapitel die grundlegenden Gleichungen zur Beschreibung
der Plasmadynamik diskutiert wurden, soll nun eine Hybrid-Molekular-Dynamik-Methode
(HMD-Methode) zur Propagation des Plasmas entwickelt werden. Die grundlegende Idee
dieser Methode besteht in einer separaten Behandlung der elektronischen und der ionischen
Komponente und findet sich auch in ähnlichen Verfahren zur Bestimmung von Gleichgewichtseigenschaften warmer dichter Plasmen wieder [57]. Um eine effiziente Beschreibung
des Plasmas auf langen Zeitskalen zu ermöglichen, werden die Elektronen hierbei, wie in
Abschnitt 3.3.1 erläutert, durch eine quasistationäre Verteilung beschrieben. Demgegenüber
werden die Ionen als klassische Teilchen im Rahmen einer Molekular-Dynamik-Simulation
unter dem Einfluss des elektronischen ’mean field’-Potenzials (Abschnitt 3.2) und der direkten Ion-Ion-Wechselwirkung propagiert, so dass das Stoßintegral Gl.(3.18) aus Abschnitt
3.3.2 näherungsfrei berücksichtigt wird. Die Beschreibung von sämtlichen Elektronen-IonStößen erfolgt dabei mit Hilfe eines Monte-Carlo-Verfahrens unter Verwendung der in Abschnitt 3.3.3 abgeleiteten Stoßraten.
An dieser Stelle soll, neben einer Erläuterung der numerischen Verfahren, gezeigt werden, dass dieses Konzept völlig äquivalent zu der im letzten Kapitel eingeführten Dynamik
der Phasenraumdichten ist, so dass die hier vorgeschlagene HMD-Methode eine numerisch
exakte Lösung der kinetischen Gleichungen aus Kapitel 3 liefert. In Abschnitt 4.1 geht es
zunächst darum, die verwendete Form einer quasistationären Verteilung zur Beschreibung
der Elektronendynamik einzuführen, und ein Verfahren zur numerischen Lösung der resultierenden Gleichungen zu beschreiben. Eine effiziente Methode zur Propagation der Atomund Ionenverteilungen gemäß Gln.(3.21) und (3.22) wird in den Abschnitten 4.2-4.4 vorgestellt, wobei in Abschnitt 4.2 die kinetischen Gleichungen in ein Teilchenbild übersetzt
werden, welches sich numerisch sehr viel einfacher behandeln lässt. Die Propagation der
einzelnen Ensembleteilchen ist Gegenstand der sich anschließenden Abschnitte 4.3 und 4.4.
Schließlich wird in Abschnitt 4.5 ein Monte-Carlo-Verfahren zur Auswertung der Stoßintegrale Gln.(3.23), (3.26) und (3.27) beschrieben, welches die Dynamik der Atomverteilung
an die der ionischen Phasenraumdichte koppelt.
4.1
4.1.1
Propagation der Elektronen
Quasistationäre Elektronenverteilung
Im Rahmen der in Abschnitt 3.3.1 eingeführten adiabatischen Näherung ist die Phasenraumdichte der Elektronen durch eine geeignete quasistationäre Verteilung zu beschreiben.
Gemäß dem Jeans-Theorem [162, 177] ist die quasistationäre Einteilchendichte der Elektronen bei Definition einer Elektronentemperatur T e zu jedem Zeitpunkt vollständig durch die
26
4 Mikroskopische Simulation
zugehörige Einteilchenenergie E(re, ve) bestimmt:
fe = fe(qs) (E(re , ve), Te) ,
E(re , ve) =
me 2
v − ϕ(re),
2 e
(4.1)
wobei sich das ’mean field’-Potenzial ϕ gemäß Gl.(3.13) aus den Dichten der Elektronen
und der Ionen ergibt. Außerdem wird im folgenden eine sphärisch symmetrische Ladungsverteilung vorausgesetzt, so dass ϕ(r) = ϕ(r) gilt. Neben einer angemessenen Behandlung
von elastischen Elektron-Elektron-Stößen hat dieses Vorgehen aus praktischer Sicht den entscheidenden Vorteil einer sehr viel effizienteren numerischen Implementierung, da an Stelle
der entsprechenden kinetischen Gleichungen zu jedem Zeitpunkt ein effektiv stationäres
Problem, d.h. die Poisson-Gleichung zusammen mit Gl.(4.1), zu lösen ist.
Die Schwierigkeit besteht nun allerdings darin, eine geeignete quasistationäre Verteilung
zu finden, die Gl.(4.1) erfüllt. Die Annahme eines idealen Gleichgewichts, d.h. die Verwendung einer Maxwell-Verteilung
eϕ(re )
,
(4.2)
ρe ∝ exp
kB Te
für die Elektronendichte führt zu prinzipiellen Problemen. Da das ’mean field’-Potenzial
ϕ nur eine endliche Tiefe aufweist, konvergiert eine entsprechende Maxwell-Verteilung für
große Abstände vom Plasmazentrum gegen einen endlichen Wert und ist somit nicht normierbar. Um dennoch eine normierbare Elektronendichte zu erhalten, wurde in [254] eine
ortsabhängige Elektronentemperatur

1
, r ≤ r0
−1
−1
2
Te → T e
(4.3)
 1 + 0.02 r − 1 , r > r0
r0
p
vorgeschlagen. Hierbei wird angenommen, dass innerhalb eines Radius r 0 = 4 hr2 i eine
Maxwell-Verteilung vorliegt, während die ’Temperatur’ am Rand quadratisch abfällt. Wie
in [254] durch einen Vergleich mit numerischen Rechnungen gezeigt wurde, erhält man mit
dieser Annahme auf einfache Weise eine normierbare Elektronendichte, die gute Ergebnisse
liefert, da nur ein geringer Anteil der Elektronen von der Näherung Gl.(4.3) betroffen ist.
Andererseits besteht für die spezielle Form der Ortsabhängigkeit und besonders für die Wahl
der Parameter keine physikalische Motivation. Zudem garantiert Gl.(4.3) ohne zusätzliche
Annahmen keine eindeutige Definition der Elektronendichte, da die potenzielle Energie ϕ
lediglich bis auf eine additive Konstante festgelegt ist. Gl.(4.3) liefert daher je nach Wahl
dieser Konstante verschiedene Elektronendichten, die gegebenenfalls für große Abstände
divergieren können.
Eine alternative Lösung dieser Problematik wurde schon in der Mitte des letzten Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Untersuchung von Sternclustern diskutiert [51, 52, 175–
177, 217, 218]. Wie bei endlichen Plasmen, ergibt sich auch hier das Problem, dass eine ideale
Gleichgewichtsverteilung, d.h. eine Gaußsche Geschwindigkeitsverteilung, prinzipiell unerreichbar ist, da diese eine unendliche Masse des Stern-Clusters impliziert. Wie erstmals 1943
von Chandrasekhar detailliert diskutiert wurde [51], enthält eine Gaußsche Geschwindigkeitsverteilung Teilchen mit beliebig hoher Geschwindigkeit und daher auch Teilchen, welche
nicht im Clusterpotenzial gebunden werden können. Im Zuge der Relaxation des Systems auf
4.1 Propagation der Elektronen
27
dessen entsprechende Gleichgewichtskonfiguration verlassen deshalb mehr und mehr Teilchen den Cluster, welche in einer geeigneten Geschwindigkeitsverteilung nicht berücksichtigt
werden dürfen. Die entsprechende Verdampfungsrate wurde ebenfalls erstmals in [51] berechnet und später von Spitzer und Härm [283] verbessert. Ist diese Verdampfungsrate viel
kleiner als die Relaxationsrate für die im System gebundenen Teilchen, so bildet sich eine
quasistationäre Verteilung aus. Ein Vergleich mit numerischen Lösungen der entsprechenden Fokker-Planck-Gleichung zeigt [176], dass diese Verteilung im Zentrum des Clusters, wo
sich der Relaxationsprozess am schnellsten vollzieht, gut durch eine abgeschnittene MaxwellVerteilung [218]
mewe2
me ve2
− exp −
(4.4)
fe (0, ve) ∝ exp −
2kB Te
2kB Te
p
approximiert werden kann. Die Fluchtgeschwindigkeit w e = 2eδϕ/me ist durch die Tiefe
eδϕ = eϕ(∞) − eϕ(0) des Potenzialtopfes eϕ bestimmt. Dieser Ausdruck kann nun gemäß
[177]
me ve2
mewe2
eϕ
fe (re, ve ) ∝ exp
exp −
− exp −
(4.5)
kB Te
2kB Te
2kB Te
für beliebige Teilchenorte erweitert werden. Hängt das Potenzial, wie im Fall von Sternclustern, monoton vom Teilchenabstand
zum Zentrum ab, so ist die nun ortsabhängige
p
Fluchtgeschwindigkeit durch we = 2e(ϕ(∞) − ϕ(re))/me gegeben. In diesem Fall erhält
man die sogenannte Michie-King-Verteilung, die in den letzten Jahren mit einigen Erweiterungen vielfach zur Behandlung astrophysikalischer Probleme verwendet wurde [95, 142].
In dem hier vorliegenden Fall eines neutralen Plasmas kann das resultierende ’mean field’Potenzial ϕ aufgrund der unterschiedlichen Ladungsvorzeichen beider Teilchensorten eine
nicht-monotone Funktion des Teilchenabstandes sein. Die Fluchtgeschwindigkeit muss daher
allgemein gemäß
me 2
w = max [eϕ(re) − eϕ(r)]
(4.6)
r≥re
2 e
definiert werden. Die Elektronendichte, die zur Bestimmung des ’mean field’-Potenzials notwendig ist, erhält man dann letztlich durch Integration der Verteilungsfunktion Gl.(4.5)
Z
we
4πve2fe dve
0
Z We
eϕ
∝ exp
e−x x3/2dx,
kB Te
0
ρe =
(4.7)
wobei We = me we2 /(2kB Te). Wie man leicht sieht, liefert diese Verteilung bei hinreichend
kleinen Temperaturen im Plasmazentrum (We 1) eine Maxwell-Verteilung, während sie
für große Abstände sehr viel schneller als exp e kBϕTe abfällt und damit die Normierbarkeit
der Elektrondichte gewährleistet.
4.1.2
Selbstkonsistente Lösung der Poisson-Gleichung
Die im letzten Abschnitt definierte quasistationäre Elektronendichte Gl.(4.7) ergibt zusammen mit der Poisson-Gleichung Gl.(3.13), der Erhaltung der Teilchenzahl und der Energie-
28
4 Mikroskopische Simulation
erhaltung ein geschlossenes System von nichtlinearen Gleichungen
∆ϕ = 4πe (ρe − ρi ) ,
Z We
ϕ
e−x x3/2dx ,
ρe ∝ exp
kB Te
0
Z
Ne =
ρe dre ,
Z
Z
me
2
Eges =
ve fedre dve − ρe ϕ̄dre + Ei + Ea = const. ,
2
(4.8a)
(4.8b)
(4.8c)
(4.8d)
das sowohl die Elektronendichte, das elektrostatische ’mean field’-Potenzial als auch die
Elektronentemperatur zu jedem Zeitpunkt eindeutig festlegt. In Gl.(4.8d) bezeichnet E i die
Summe der kinetischen und potenziellen Ionenenergie und E a die Summe aus der internen
Bindungsenergie und der kinetischen Translationsenergie der Atome. Aufgrund des nichtlinearen Zusammenhangs zwischen der Elektronendichte und dem ’mean field’-Potenzial ist
die Lösung der aus Gln.(4.8a) und (4.8b) resultierenden Bestimmungsgleichung für ρe bzw.
ϕ exponentiell instabil [264], was eine direkte numerische Integration der Poisson-Gleichung
praktisch unmöglich macht. In [263] wurden Gln.(4.8a) und (4.8b) bei konstanter Temperatur durch Linearisierung der Poisson-Gleichung und anschließende Newton-Iteration gelöst.
Dieses Verfahren konvergiert zwar relativ schnell, hat aber, speziell in dem hier vorliegenden
Fall, den Nachteil eines sehr geringen Konvergenzbereiches. In dieser Arbeit wird daher eine
robustere Methode verwendet, welche außerdem den Vorteil hat, sich leichter in das gesamte
Iterationsverfahren zur gleichzeitigen Erfüllung der Energieerhaltung integrieren zu lassen.
Hierbei wird, ausgehend von einer bekannten Elektronendichte ρ (k)
zum k-ten Iterationse
schritt, aus Gl.(4.8a) das entsprechende ’mean field’-Potenzial und damit aus Gl.(4.8c) die
Elektronentemperatur berechnet, welche zusammen mit Gl.(4.8b) die neue Elektronendichte
(k)
(k+1)
ρ̃e festlegen. Die Dichte ρe
des nächsten Iterationsschrittes wird in dieser Arbeit mittels
einer in [94] verbesserten Variante des sogenannten Anderson-Mischens [6] berechnet, wobei
(k+1)
(k)
ρe
aus einer geeigneten Linearkombination aus ρ̃ e und den Dichten aus M vorangegangenen Iterationsschritten bestimmt wird. Für die hier durchgeführten Simulationen wurde
M = 3 gewählt. Ein längeres Gedächtnis würde zwar die Konvergenz des Iterationsverfahrens leicht beschleunigen [6, 94], stellt jedoch keine entscheidende Verbesserung im Hinblick
auf den Zeitaufwand zur vollständigen Propagation des Plasmas dar, der von der Lösung
der Bewegungsgleichungen der Ionen dominiert wird.
4.2
’Operator Splitting’
Die grundlegende Idee der hier diskutierten HMD-Methode besteht in einer separaten Behandlung der Elektronen- bzw. Ionendynamik, um einerseits eine effiziente Beschreibung des
Plasmas auf langen Zeitskalen zu ermöglichen und andererseits Ion-Ion-Korrelationen im
Rahmen einer Molekular-Dynamik-Behandlung exakt zu berücksichtigen. Bei Vernachlässigung von Elektron-Ion- und Elektron-Atom-Stößen ergibt sich die mikroskopische Dynamik der Ensembleteilchen unmittelbar aus der in den Abschnitten 3.1 und 3.2 erläuterten
Äquivalenz zwischen den kinetischen Gleichungen und den entsprechenden Newtonschen
Bewegungsgleichungen. Unter Einbeziehung von Stößen sind die Stoßintegrale hierbei durch
Monte-Carlo-Integration der Gln.(3.23), (3.26) und (3.27) an die Bewegungsgleichungen der
4.2 ’Operator Splitting’
29
Teilchen zu koppeln, was bedeutet, dass die jeweiligen Stöße zu jedem Zeitschritt und für
jedes Teilchen unabhängig ’ausgewürfelt’ werden. In der Plasmaphysik spielen derartige
Monte-Carlo-Verfahren kombiniert mit einer ’mean field’-Propagation der Ladungen unter
anderem bei der Beschreibung von Gasentladungen [114, 275, 284, 310] und Fusionsreaktoren
[21, 148, 247, 312] eine wichtige Rolle, da diese eine effiziente Beschreibung von sehr großen,
schwach gekoppelten aber nicht stoßfreien Plasmen [29, 231] ermöglichen.
Wenngleich ein solches Konzept intuitiv einsichtig erscheint, sollen an dieser Stelle die
entsprechenden Methoden aus den in Kapitel 3 eingeführten Gleichungen abgeleitet werden,
um die Äquivalenz zwischen der erläuterten kinetischen Beschreibung [vgl. Gl.(3.21) und
Gl.(3.22)] und der hier vorgeschlagenen HMD-Methode lückenlos zu demonstrieren. Eine
formale Diskussion der stochastischen Beschreibung von Teilchenstößen und deren Relation
zu einer entsprechenden Boltzmann-Gleichung ist z.B. in [11, 198, 231] zu finden. Im folgenden sollen diese Ideen aufgegriffen werden, um Streuprozesse zwischen den hydrodynamisch
zu behandelnden Elektronen und den im allgemeinen stark gekoppelten mikroskopischen
Ensembleteilchen im Rahmen der hier vorgeschlagenen HMD-Methode in die Beschreibung
der Plasmadynamik einzubeziehen. Hierzu werden die kinetischen Gleichungen Gl.(3.21)
bzw Gl.(3.22) in allgemeiner Form
∂f
= −Df + Jf
∂t
(4.9)
betrachtet, wobei der Operator J die Wirkung des jeweiligen Stoßintegrals auf die Verteilungsfunktion beschreibt. Die Definition des Operators D folgt damit jeweils aus Gl.(3.21)
bzw. Gl.(3.22) und wird später separat behandelt. Die Einführung diskreter Zeitschritte
ergibt in erster Ordnung für die Zeitentwicklung der Verteilungsfunktion
∂f(t0)
f(r, v, t + ∆t) = f(r, v, t) +
∆t.
(4.10)
∂t0
t0 =t
Einsetzen dieses Ausdruckes in Gl.(4.1) ergibt f(t + ∆t) = (1 − ∆tD + ∆tJ)f(t). Berücksichtigt man lediglich Terme von erster Ordnung in ∆t, so kann dieser Ausdruck auch als
bzw. als
f(t + ∆t) = (1 + ∆tJ)(1 − ∆tD)f(t)
(4.11a)
f(t + ∆t) = (1 − ∆tD)(1 + ∆tJ)f(t)
(4.11b)
geschrieben werden [231]. Wie im folgenden gezeigt werden soll, vermittelt der Operator
(1 − ∆tD) die Propagation der Ensembleteilchen um den Zeitschritt ∆t gemäß den entsprechenden Newtonschen Bewegungsgleichungen, während die Wirkung des Operators (1+∆tJ )
auf die Verteilungsfunktion f als das Auftreten eines Stoßes entsprechend den im Stoßintegral J enthaltenen Raten während der Zeit ∆t interpretiert werden kann. Demzufolge erhält
man eine numerisch exakte Lösung von Gl.(4.9), indem die Phasenraumverteilung durch ein
hinreichend großes Ensemble von Teilchen repräsentiert und diese in geeigneter Weise propagiert wird. Hierbei ist das jeweilige Teilchen während eines Zeitschrittes entsprechend
des Operators (1 − ∆tD) im Phasenraum zu propagieren und anschließend ein Stoß gemäß
(1 + ∆tJ ) auszuführen. Die Vertauschung der Reihenfolge dieser beiden Operationen liefert
bei einem hinreichend kleinen Zeitschritt ∆t das gleiche Resultat für die Zeitentwicklung
der Verteilungsfunktion f [Gl.(4.11)]. Eine direkte Vorschrift für die Propagation der Ensembleteilchen erhält man in natürlicher Weise durch Einsetzen der expliziten Ausdrücke
30
4 Mikroskopische Simulation
für D und J, und soll im folgenden für die jeweiligen Teilchensorten (Atome und Ionen)
diskutiert werden.
4.3
Propagation der Atome
Die Zeitentwicklung der Phasenraumkoordinaten der Atome genügt einer simplen Dynamik,
da diese hier als nichtwechselwirkend angenommen werden und sich somit kräftefrei durch
das Plasma bewegen. Um eine direkte Vorschrift für die Propagation der Atome zu erhalten,
betrachtet man die explizite Form des Operators Da [Gl.(3.21)]
Da = va
∂
.
∂ra
(4.12)
Ein Vergleich der resultierenden Verteilungsfunktion
(1 − ∆tDa) fa = fa − ∆tva
∂fa
∂ra
(4.13)
mit einer Taylorentwicklung von fa
fa(ra − x) = fa (ra) − x
∂fa
∂ra
(4.14)
ergibt in erster Ordnung in ∆t
(1 − ∆tDa) fa (ra) = fa (ra − va ∆t) .
(4.15)
Offensichtlich kann eine solche Dynamik der Verteilungsfunktion durch Verschieben jedes
Ensembleteilchens um v∆t beschrieben werden, also durch eine Propagation der Atome
gemäß den klassischen Bewegungsgleichungen.
4.4
Propagation der Ionen
Wie in Kapitel 2 erläutert wurde, kann die direkte Ion-Ion-Wechselwirkung, d.h. der Einfluss von ionischen Korrelationen, möglicherweise eine wichtige Rolle für einige Aspekte der
Plasmadynamik spielen. Um diesen Einfluss genauer herauszuarbeiten, ist es wünschenswert, die Ergebnisse einer ’vollen’ Simulation, welche die direkte Wechselwirkung zwischen
allen Ionen berücksichtigt, mit einer Rechnung zu vergleichen, die Ion-Ion-Korrelationen
nicht berücksichtigt, aber ansonsten völlig äquivalent zu der HMD-Methode ist. Für eine
solche alternative Behandlung ist lediglich das exakte Ion-Ion-Stoßintegral Gl.(3.18) durch
den entsprechenden Vlasov-Ausdruck zu ersetzen, wobei dann die Phasenraumverteilung der
Ionen, ebenso wie die der Elektronen, im Rahmen einer ’mean field’-Näherung propagiert
wird. Diese ’Vergleichsrechnungen’, die in [254] auch zur Beschreibung des Langzeitverhaltens ultrakalter Plasmen verwendet wurden, werden im weiteren als PIC-MCC-Simulationen
(particle-in-cell Monte-Carlo-collision) bezeichnet [29].
4.4 Propagation der Ionen
4.4.1
31
’mean field’-Näherung
Bei Verwendung der Vlasov-Näherung für die Ion-Ion-Wechselwirkung unterscheidet sich
der hier zu betrachtende Propagationsoperator von Gl.(4.12) lediglich durch das Auftreten
einer zusätzlichen Kraft F̄ = −∂ϕ/∂ri :
Di fi = vi
∂fi
∂fi
+ F̄
.
∂ri
∂vi
(4.16)
Wie bereits in Abschnitt 3.2 erläutert wurde, kann F̄ als eine externe Kraft aufgefasst
werden, die jedoch gemäß der Poisson-Gleichung von der zeitabhängigen Ladungsdichte des
Plasmas abhängt. Analog zu den Betrachtungen des letzten Abschnitts führt ein Vergleich
der durch den Operator (1 − ∆tDi ) erzeugten Verteilungsfunktion
(1 − ∆tDi ) fi = fi − vi ∆t
∂fi
∂fi
− F̄∆t
∂ri
∂vi
(4.17)
mit einer entsprechenden Taylor-Entwicklung der Verteilungsfunktion
fi (ri − x, vi − w, t) = fi (ri , vi, t) − x
∂fi (ri, vi , t)
∂fi (ri , vi, t)
−w
∂ri
∂vi
(4.18)
auf folgenden Ausdruck für die Wirkung des Operators (1 − ∆tDi) auf die Phasenraumverteilung
(1 − ∆tPi ) fi = fi ri − vi ∆t, vi − F̄∆t, t .
(4.19)
Diese Beziehung zeigt wiederum, dass man die Wirkung des Operators (1−∆tD i ) im Rahmen
einer Teilchensimulation erhält, indem die einzelnen Ensembleteilchen entsprechend den
Newtonschen Bewegungsgleichungen
v̇j =
F̄(rj )
,
mi
ṙj = vj
(4.20)
propagiert werden.
Numerische Lösung der Bewegungsgleichungen
Für den hier betrachteten Fall einer kugelsymmetrischen Ladungsverteilung reduziert sich
die Berechnung der ’mean field’-Kraft auf
Z
4πe2
F̄(r) = 3 r r̃2 [ρi (r̃) − ρe (r̃)] dr̃ .
(4.21)
r
Die Bestimmung der Elektronendichte ρe wurde in Abschnitt 4.1 eingehend erläutert und
wird deshalb hier als bekannt vorausgesetzt. Die Ionendichte ist aus den Koordinaten der
Ionen zu berechnen. Hierzu geht man von einer diskreten Unterteilung R j des Raumes aus,
wobei jedem so konstruierten Gitterpunkt eine Zelle V j zugewiesen wird, die jeweils Rj enthalten, nicht überlappen und den gesamten Raum ausfüllen sollen. Die einfachste Möglichkeit, eine Ionendichte auf diesem Gitter zu definieren, bietet die sogenannte NGP-Methode
(’nearest-grid-point’), wobei die Ladung des jeweiligen Ions dem Gitterpunkt zugeordnet
32
4 Mikroskopische Simulation
1.2
∆X⋅S(x)
1.0
(b)
(a)
(c)
0.8
0.6
0.4
0.2
0.0
-1.5 -1 -0.5
0
0.5
1
1.5 -1.5 -1 -0.5
0
0.5
x / ∆X
1
1.5 -1.5 -1 -0.5
0
0.5
1
1.5
Abbildung 4.1: Formfaktoren für NGP-Wichtung (a), CIC-Wichtung (b) und GaußWichtung mit α = 0.5 (c).
wird, dessen Zelle das Ion enthält [30, 149]. Für eindimensionale Probleme und äquidistante
Gitterpunkte im Abstand ∆X lässt sich die so konstruierte Dichte am j-ten Gitterpunkt als
P
S(Xj − xi)
ρj = i
(4.22)
∆X
schreiben, wobei xi die Koordinate des i-ten Ensembleteilchens bezeichnet und der sogenannte Formfaktor S(x) im Falle der NGP-Methode durch [30]
SNGP (x) =
∆X −1 , |x| ≤ ∆X/2
0 , |x| > ∆X/2
(4.23)
gegeben ist. Bei diesem Verfahren benötigt man in der Regel einerseits eine vergleichsweise
hohe Anzahl von Ensembleteilchen, um auftretende statistische Fluktuationen der Dichte
hinreichend zu unterdrücken, und anderseits ein sehr feines Gitter um numerische Artefakte
aufgrund der Gitterperiodizität zu vermeiden. Derartige Probleme lassen sich bei Verwendung sogenannter PIC-Schemata (’particle-in-cell’) beträchtlich reduzieren. Hierbei wird
die Gewichtung der Ensembleteilchen in Gl.(4.23) an Stelle des NGP-Formfaktors mit einer ’glatteren’ Funktion vorgenommen. Dadurch verringern sich die oben genannten Effekte
der diskreten Gitterpunkte erheblich, da sich nun die Dichte beim Durchgang eines Teilchens durch einen Gitterpunkt nicht mehr schlagartig ändert. Die einfachste Erweiterung der
NGP-Methode erhält man bei Verwendung des in Abb.4.1b dargestellten CIC-Formfaktors
(cloud-in-cell), was der Annahme eines endlichen homogenen Teilchens mit dem Radius ∆X
enspricht. Prinzipiell können beliebige, symmetrische, normierbare Funktionen zur Gewichtung der Teilchen bezüglich der jeweiligen Gitterpunkte verwendet werden. In dieser Arbeit
wird die Gewichtung der Teilchen mit Hilfe von Gaußfunktionen
x2
SG ∝ exp − 2
(4.24)
2α (∆X)2
vorgenommen, wobei der Parameter α die Breite des Formfaktors relativ zum Gitterabstand
angibt.
4.4 Propagation der Ionen
33
Da sich die Behandlung dreidimensionaler Plasmen im Fall sphärischer Symmetrie auf
ein effektiv eindimensionales Problem reduziert [Gl.(4.21)], lassen sich die bisherigen Überlegungen auf den hier zu betrachtenden kugelsymmetrischen Fall in einfacher Weise übertragen. Die jeweiligen Abstände der Ensembleteilchen vom Plasmazentrum werden nun auf
ein radiales Gitter mit einem Gitterabstand ∆R abgebildet. Als unmittelbare Erweiterung
von Gl.(4.22) ist die Ionendichte damit aus
ρj =
P
i
S(Rj − ri )
,
Vj
Rj = j∆R
(4.25)
zu bestimmen, wobei Vj das Volumen der j-ten Zelle bezeichnet. Anders als im eindimensionalen Fall, ist letzteres gemäß
Vj =
Z
0
∞
4πr2 S(Rj − r)dr
(4.26)
mit dem Formfaktor zu wichten [297], um systematische Fehler bei der Dichtebestimmung
in krummlinigen Koordinaten [199, 260] zu vermeiden.
Zur Propagation der Ionen gemäß Gl.(4.20) wird die ’mean field’-Kraft aus
F̄ (R0 ) = 0 ,
j
X
1
e2
∆R
[(ρi,j−1 − ρe,j−1 ) + (ρi,j − ρe,j )] ,
F̄ (Rj ) =
rj
2
k=0
j>0
(4.27)
auf allen Gitterpunkten berechnet. Die Kraft, die auf das j’te Ensembleteilchen am Ort r j
wirkt, wird dann letztlich durch lineare Interpolation
rj
F̄(rj ) = (Rk+1 − Rk )−1 F̄ (Rk+1 ) (rj − Rk ) + F̄ (Rk ) (Rk+1 − rj )
rj
(4.28)
aus Gl.(4.27) gewonnen, wobei Rk < rj < Rk+1 .
4.4.2
Integration der vollen Bewegungsgleichungen
Die Zeitentwicklung der Ionenverteilungsfunktion im Teilchen-Bild erschließt sich aus einer
ähnlichen Betrachtung. Hierzu beginnt man wiederum mit dem expliziten Ausdruck für den
Operator Di [Gl.(3.21)]
∂fi(i)
∂fi(i)
∂
Di fi (i) = vi
+ F̄ei
+
∂ri
∂vi
∂vi
Z
Fii fii (i, i0) di0 ,
(4.29)
wobei sich die ’mean field’-Kraft der Elektronen F̄ei = −e∂ϕe/∂ri aus der entsprechenden
Poisson-Gleichung ∆ϕe = eρe ergibt und Fii (ri , ri0 ) die Wechselwirkungskraft zwischen den
Ionen darstellt. Außerdem werden die Phasenraumkoordinaten an dieser Stelle mit i =
{ri, vi } und i0 = {ri0 , vi0 } abgekürzt. Um diesen Ausdruck einer numerischen Simulation
zugänglich zu machen, sind die Phasenraumverteilungen in Gl.(4.29) durch ein Ensemble
34
4 Mikroskopische Simulation
von klassischen Teilchen zu repräsentieren. Dies ergibt für die Ein- bzw. Zweiteilchendichte
fi(i) =
fii(i, i0) =
1 X
δ(ri − rj )δ(vi − vj ) ,
Ni j
1
Ni (Ni − 1)
X
δ(ri − rj )δ(vi − vj )δ(ri0 − rk )δ(vi0 − vk ) ,
(4.30a)
(4.30b)
j6=k
wobei rj und vj die Orte und die Geschwindigkeiten der Ensembleteilchen bezeichnen. Das
Integral auf der rechten Seite von Gl.(4.29) lässt sich nun mit Hilfe von Gl.(4.30b) teilweise
auswerten:
Z
1 X
Fii(ri , ri0 )fii (i, i0) di0 =
δ(ri − rj )δ(vi − vj )Fii (ri, rk ).
(4.31)
Ni j6=k
Da das Argument ri der Verteilungsfunktion fi , analog zu den Betrachtungen der beiden vorangegangenen Abschnitte, letztlich als tatsächlicher Ort eines Ensembleteilchens aufgefasst
wird, kann diese Relation mit Hilfe von Gl.(4.30a) auch als
Z
X
Fii (ri , ri0 )fii (i, i0) di0 =
fi (i)Fii(ri , rk )
(4.32)
k
rk 6=ri
geschrieben werden. Einsetzen dieses Ausdruckes in Gl.(4.29) ergibt schließlich
(1 − ∆tDi ) fi (i) = fi (i) − vi ∆t
∂fi(i)
∂fi(i)
− Fi ∆t
,
∂ri
∂vi
(4.33)
P
wobei Fi (r) = Fei (r) + k Fii(r, rk ) die Einflüsse des elektronischen ’mean fields’ und aller
Ionen des Plasmas beinhaltet. Gl.(4.33) wird nun wiederum mit einer entsprechenden TaylorEntwicklung [vgl. Gl.(4.18)] der Verteilungsfunktion verglichen, um schließlich
(1 − ∆tDi ) fi (r, v) = fi (r − ∆tv, v − ∆tFi/mi )
zu erhalten, so dass sich die Bewegungsgleichungen der Ionen zu
X
Fii (ri,j , ri,k ) ,
mir̈i,j = Fei +
(4.34)
(4.35)
k6=j
ergeben.
Numerische Lösung der Bewegungsgleichungen
Die Integration der Newtonschen Bewegungsgleichungen Gl.(4.35) stellt den numerisch aufwendigsten Teil der vorliegenden Methode dar. Da zur Berechnung der auf ein Ion wirkenden
Coulomb-Kraft jeweils über alle verbleibenden Ionenkoordinaten summiert werden muss,
sind für jeden Zeitschritt insgesamt N(N − 1) ≈ N 2 Kräfte zu addieren. Der zeitliche Aufwand zur Lösung eines solchen Problems ist damit von der Ordnung O(N 2 ). Mit heutigen
4.4 Propagation der Ionen
35
3
4
1
2
5
6
7
8
9
10
Abbildung 4.2: Unterteilung des Raumes für eine einfache zweidimensionale Teilchenverteilung.
3
1
5
2
7
4
6
9
10
8
Abbildung 4.3: Aus der in Abb.4.2 dargestellten Unterteilung resultierende Baumstruktur.
Computerkapazitäten ist diese Aufgabe für moderate Teilchenzahlen N durchaus mit vertretbarem numerischem Aufwand lösbar. So wird zum Beispiel das Verhalten von magnetisch
gefangenen Ionen [80, 246], die Dynamik von kleinen Edelgasclustern [261, 277] oder auch
Gleichgewichtseigenschaften unendlich ausgedehnter Plasmen bei Verwendung von periodischen Randbedingungen [89, 230, 314] erfolgreich mit dieser Methode untersucht. Derartige
Systeme bestehen in der Regel jedoch aus lediglich 10 bis 10 3 Teilchen. Im vorliegenden Fall
müssen jedoch 104 bis 105 Ladungen gleichzeitig propagiert werden, um eine befriedigende
Modellierung der in Kapitel 2 angesprochenen Experimente zu garantieren.
Mitte der 80er Jahre wurde zur Modellierung von großen Galaxien eine numerische Methode entwickelt [9], die weit entfernte Teilchen zu Gruppen zusammenfasst, um so den numerischen Aufwand zu reduzieren. Durch die Einführung einer hierarchischen Baumstruktur
zur Gruppierung der Teilchen lassen sich hierbei die komplizierten Nachbarschaftsverhältnisse effizient verwalten [20]. Aufgrund ihrer Einfachheit und Leistungsfähigkeit stellt diese
Methode mit einigen Modifikationen und Verbesserungen eines der Standardverfahren zur
Simulation großer Vielteilchensysteme mit langreichweitiger Wechselwirkung [240, 262, 294]
36
4 Mikroskopische Simulation
dar.
Da diese sogenannten ’hierarchical treecodes’ eine im Prinzip beliebig genaue Berechnung der gesamten Coulomb-Kräfte bei einem erheblich geringeren numerischen Aufwand
ermöglichen, wird in dieser Arbeit ebenfalls ein solches Verfahren [19] zur Propagation der
Ionen verwendet. Das Grundprinzip dieser Methode besteht in einem systematischen Aufbau einer Baumstruktur, welche die Verhältnisse zwischen den Teilchen organisiert. Hierzu
definiert man zunächst ein kubisches Volumen, das sämtliche Teilchen enthält. Anschließend
wird dieser Würfel in acht gleich große kubische Zellen unterteilt, welche wiederum sukzessive solange unterteilt werden, bis keine Zelle mehr als ein Teilchen enthält. Der offensichtliche
Vorteil eines solchen Vorgehens liegt darin, dass sich die so konstruierte Unterteilung des
Raumes automatisch an die Geometrie des Systems anpasst. Zur Illustration ist in Abb.4.2
das Endresultat einer solchen Prozedur für ein zweidimensionales System dargestellt. Die
Geometrie dieser Unterteilung wird gemäß Abb.4.3 in einer Baumstruktur organisiert. Zellen, die mehr als ein Teilchen enthalten, werden dabei durch Verzweigungen repräsentiert.
Demgegenüber entsprechen Zellen mit einem Teilchen, also die Teilchen selbst, den Spitzen
der Baumstruktur. Leere Zellen werden nicht weiter betrachtet. Die Zweige des Baumes
sind durch den jeweiligen Ladungsschwerpunkt und die entsprechende Gesamtladung gekennzeichnet, während die Spitzen alle nötigen Teilcheneigenschaften enthalten. Für eine
dreidimensionale, homogene Teilchendichte sind im Mittel log N/ log 8 Unterteilungen notwendig, um eine derartige Baumstruktur zu erzeugen [239]. Diese Prozedur muss nun für alle
N Teilchen durchgeführt werden, womit der numerische Aufwand zur Erstellung des Baumes nur wie (N log N) mit der Teilchenzahl ansteigt. Die Genauigkeit der Kraftberechnung
kann durch einen Toleranzparameter Θ gesteuert werden. Hierzu wird die Baumstruktur für
jedes Teilchen systematisch abgearbeitet. Beginnend auf der untersten Ebene wird hierbei
zunächst die Breite s der jeweiligen Zelle (Verzweigung) mit dem Abstand d zwischen deren
Ladungsschwerpunkt und dem Ort des zu betrachtenden Teilchens verglichen. Ist die Zelle
hinreichend weit entfernt, so dass die Relation
s
≤Θ
d
(4.36)
erfüllt ist, kann die innere Struktur dieser Zelle vernachlässigt und die entsprechende CoulombKraft lediglich aus dessen Monopol-Potenzial berechnet werden. Der zugehörige ’Ast’ der
Baumstruktur wird dann nicht weiter betrachtet. Ist Gl.(4.36) nicht erfüllt, erfolgt eine weitere Unterteilung der entsprechenden Zelle, d.h. die nächsthöhere Ebene der Baumstruktur
wird abgearbeitet. Auf diese Weise kann die Wechselwirkungskraft zwischen den Teilchen
je nach Wahl des Toleranzparameters Θ beliebig genau berechnet werden. Der zeitliche
Aufwand für die Berechnung der Kraft wurde in [145] mit Hilfe eines kugelsymmetrischen
Ersatzsystems abgeschätzt. Es zeigt sich, dass hierzu wiederum ≈ (N log N) Operationen
notwendig sind, so dass der gesamte numerische Aufwand für einen Propagationsschritt
ebenfalls von der Größenordnung O(N log N) ist und damit deutlich langsamer mit wachsender Teilchenzahl ansteigt als dies bei einer herkömmlichen Berechnung der Kräfte der
Fall wäre.
Im Gegensatz zu einer direkten Summation der Wechselwirkungsterme hängt die Zeit
zur Berechnung aller Kräfte bei Verwendung der hier beschriebenen Baumstrukturen jedoch
nicht nur von der Teilchenzahl ab. Zusätzlich spielt die Dichteverteilung eine wesentliche
Rolle, da diese die Struktur des Baumes und damit die Anzahl von nötigen Operationen
zu dessen Aufbau und Abarbeitung bestimmt. Außerdem wird der numerische Aufwand
4.5 Monte-Carlo-Integration der Stoßintegrale
37
-4
3.5×10
-4
3.0×10
-4
δEpot
2.5×10
-4
2.0×10
-4
1.5×10
-4
1.0×10
-5
5.0×10
0.0
0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9
Θ
1
Abbildung 4.4: Relativer Fehler der potenziellen Energie einer Gauß-förmigen Ionenverteilung (Ni = 50000) als Funktion des Toleranzparameters Θ.
entscheidend durch den Toleranzparameter Θ geprägt. Für Θ → 0, d.h. bei einer nahezu
exakten Berechnung der Kräfte, erhält man wiederum eine N 2 -Abhängigkeit des numerischen Aufwandes, wobei die tatsächliche Rechenzeit jedoch weitaus größer ist als bei einer
herkömmlichen Summation der Kräfte [240]. Auch für endliche Θ ist der ’treecode’ erst ab
einer bestimmten Teilchenzahl Nc effizienter als ein direktes Summieren der Kräfte, wobei
Nc mit sinkendem Θ rapide zunimmt [144]. Bei der Wahl von Θ ist daher ein Kompromiss
zwischen der benötigten Rechenzeit und der gewünschten Genauigkeit zu finden. Die ΘAbhängigkeit der Genauigkeit ist in Abb.4.4 illustriert, wobei die relative Abweichung der
mit dem ’treecode’ berechneten potenziellen Energie von 50000 Gauß-verteilten Ionen vom
’exakten’ Ergebnis einer direkten Summation der Wechselwirkungspotenziale als Funktion
von Θ dargestellt ist. Wie man sieht, nimmt die Genauigkeit der Berechnung mit sinkendem
Θ rapide zu. Für den in dieser Arbeit verwendeten Wert Θ = 0.2 ergibt sich ein akzeptabler
relativer Fehler von δEpot ≈ 10−6 .
4.5
Monte-Carlo-Integration der Stoßintegrale
Die numerische Behandlung von Stößen gestaltet sich in dem hier vorliegenden Fall besonders einfach, da sämtliche Stoßintegrale [Gln.(3.23), (3.26) und (3.27)] linear bezüglich der zu
betrachtenden Verteilungsfunktionen sind. Die Stoßintegrale lassen sich hierbei in einfacher
Weise mittels einer Monte-Carlo-Integration auswerten, wobei die Integrations-Stützstellen
unmittelbar durch die Phasenraumkoordinaten der Ensembleteilchen gegeben sind. Da die
Gesamtzahl aller Teilchen erhalten bleibt, ist die Anzahl von auftretenden Stößen durch
die Terme negativen Vorzeichens J− in Gln.(3.23), (3.26) und (3.27) bestimmt, während
die entsprechenden Quellterme J+ durch eine geeignete Wahl des jeweiligen Endzustandes
berücksichtigt werden. Handelt es sich bei dem betreffenden Teilchen um ein Atom, so treten
ausschließlich inelastische Stöße auf, welche in Abschnitt 4.5.2 erläutert werden. Für ein Ion
38
4 Mikroskopische Simulation
sind die Beiträge
(1 + ∆tJ− )fi = fi − ∆tKelfi − ∆tKinelfi
zu berücksichtigen, wobei [vgl. Gl.(3.23)]
Z
dσeff
Kel = dvedΩ
|vi − ve| fe (ri , pe)
dΩ
(4.37)
(4.38)
die Rate für elastische Elektron-Ion-Stöße bezeichnet und Kinel = Kion durch Gl.(3.29)
gegeben ist. Gemäß Gl.(4.37) wird dann mit einer Wahrscheinlichkeit P inel = ∆tKinel ein
inelastischer Stoß ausgeführt (vgl. Abschnitt 4.5.2), während sich mit der Wahrscheinlichkeit
Pel = ∆tKel ein elastischer Stoß vollzieht.
4.5.1
Elastische Stöße
Zur Auswertung von Gl.(3.23) wird zunächst die Geschwindigkeit des stoßenden Elektrons
gemäß der elektronischen Gleichgewichtsverteilung
ve2
(4.39)
P (ve ) ∝ exp −
2me kB Te
zufällig bestimmt. Die in Abschnitt 4.1.1 diskutierten Abweichungen von einer MaxwellVerteilung am Rand des Plasmas können hierbei vernachlässigt werden. Für me mi und
vi ve erhält man bei Kenntnis der Elektronengeschwindigkeit aus Gl.(3.23) und Gl.(3.24)
die Wahrscheinlichkeit
Z
dσeff
πe4
Pel = ∆tρe(ri )ve
(4.40)
dΩ = ∆tρe(ri)ve 2 4 (Λ − 1) ,
dΩ
me ve
mit der ein elastischer Stoß auszuführen ist. Im Fall eines Stoßes wird anschließend der
entsprechende Streuwinkel gemäß der Wahrscheinlichkeitsverteilung
dσeff
dΩ
(4.41)
ξ(Λ − 1) − 1
ξ(Λ − 1) + 1
(4.42)
P (Θ) ∝
bestimmt, welcher sich mit Gl.(4.41) zu
cos Θ =
ergibt, wobei ξ eine auf dem Intervall [0, 1] gleichverteilte Zufallszahl ist. Aus der Impulserhaltung resultiert für die Änderung des Ionenimpulses
∆pi = meve (1 − cos Θ) j ,
(4.43)
wobei j einen Einheitsvektor mit einer zufälligen Richtung bezeichnet.
Die hier verwendete Näherung me/mi → 0 erlaubt eine sehr effiziente Beschreibung der
Relaxation der Ionen- und Elektronentemperatur, da auf diese Weise zeitaufwendige Transformationen zwischen Labor- und Schwerpunktsystem und Rotationen der Relativgeschwindigkeit vermieden werden. Allerdings lässt ein solches Vorgehen lediglich die Erhaltung des
4.5 Monte-Carlo-Integration der Stoßintegrale
10
10
39
1
0
-1
Γi
10
10
-1
-2
10
-3
10
0
10
1
10
2
ω pt
10
3
10
4
Abbildung 4.5: Zeitentwicklung von Γ−1
∝ Ti für ein homogenes Plasma mit Γ−1
e = 10. Die
i
gestrichelte Linie zeigt das Resultat der Monte-Carlo-Rechnungen bei Berücksichtigung der
endlichen Elektronenmasse und die durchgezogene Linie entspricht der Näherung me/mi =
0.
Gesamtimpulses zu, während die Energieerhaltung, d.h. eine Änderung der Elektronenenergie während des Stoßes, nicht berücksichtigt werden kann. Die Energie Ee0 des Elektrons
nach dem Stoß wird hierbei nachträglich aus
Ee0
(pi + ∆pi )2
p2
p2i
−
+ e
=
2mi
2mi
2me
(4.44)
bestimmt.
Um den damit verbundenen Fehler für die Relaxation der Temperaturen nach oben
abzuschätzen, wird hier die Rückstreuung eines Elektrons an einem Ion betrachtet. In erster
Ordnung in me /mi ist die damit verbundene Änderung der Ionenenergie durch
2 (pi · pe + p2e ) 2 (pi + pe ) · (pi + 2pe ) me
−
mi
mi
mi
(0)
(1)
= ∆E + ∆E
∆E =
(4.45)
gegeben. Nach Mittelung beider Terme über eine Maxwellverteilung der Elektronen- und
Ionenimpulse ergibt sich für den relativen Fehler:
∆E (1)
Ti
me
Ti
=
+2
≈
.
(4.46)
(0)
h∆E i
Te
mi
Te
Demzufolge kann die Elektronenmasse vernachlässigt werden, solange die Ionentemperatur
deutlich geringer als die Temperatur der Elektronen ist. Dies ist in Abb.4.5 verdeutlicht,
wobei die Dynamik der Ionentemperatur eines homogenen Plasmas konstanter Dichte und
= 10 im Rahmen der hier beschriebenen Monte-CarloElektronentemperatur Te ∝ Γ−1
e
Methode für me/mi = 0 und bei Berücksichtigung einer endlichen Elektronenmasse berechnet wurde. Wie man sieht, wird der Anstieg der Ionentemperatur durch die Näherung
me/mi = 0 sehr gut wiedergegeben, während das Angleichen der Elektronen- und Ionentemperatur aufgrund der Verletzung der Energieerhaltung nicht beschrieben werden kann.
Allerdings ist die Zeitskala für einen Ausgleich beider Temperaturen unter den hier zu betrachtenden Bedingungen sehr viel größer als die Zeit, während der das Plasma beobachtet
40
4 Mikroskopische Simulation
wird [vgl. Kapitel 2], so dass die hier erläuterte Methode eine hinreichend gute Beschreibung
von elastischen Elektron-Ion-Stößen liefert.
4.5.2
Inelastische Stöße
Im Gegensatz zu nichtlinearen Problemen [11, 231] kann die Bedeutung des Operators (1+J)
[mit Gl.(3.26) und Gl.(3.27)] im Rahmen einer Teilchensimulation mit recht elementaren Argumenten verdeutlicht werden. Hierzu sind die expliziten Ausdrücke für die entsprechenden
Operatoren
X
X
Kdkr (n)fi + ∆t
Kion(n)fa (n) ,
(4.47a)
(1 + ∆tJ ) fi = fi − ∆t
n
n
(1 + ∆tJ ) fa (n) = fa (n) − ∆t Kion(n) +
+∆t Kdkr(n)fi +
X
X
!
Kgg (n, n0 ) fa (n)
n0 6=n
Kgg (p, n)fa (p)
p6=n
!
(4.47b)
zu betrachten, wobei n den Bindungszustand eines Atoms bezeichnet und die Raten K dkr(n),
Kion(n) und Kgg (n, p) die Rekombination eines Elektrons in einen gebundenen Zustand n,
die Ionisation eines Atoms aus einem Zustand n und atomare Übergänge von n nach p
beschreiben. Da wegen
X
X
(1 + ∆tJ ) fi +
(1 + ∆tJ ) fa (n) = fi +
fa (n)
(4.48)
n
n
die Gesamtzahl aller Teilchen konstant bleibt, genügt es, im folgenden lediglich die Verlustterme, d.h. die Terme negativen Vorzeichens, zu betrachten. Die Wirkung des Operators
1 + ∆tJ in Gl.(4.47a)
reduziert sich damit auf eine Verringerung der IonenverteilungsP
funktion um ∆t n Kdkr(n)fi am Ort ri. Bei Darstellung der Ionenverteilung durch ein
Ensemble von Teilchen lässt sich diese Verringerung der Phasenraumdichte
durch ein VerP
nichten des jeweiligen Ions mit der Wahrscheinlichkeit P dkr = ∆t n Kdkr(n) realisieren.
Um den zugehörigen Quellterm in Gl.(4.47b), und damit die Erhaltung der Teilchenzahl
korrekt zu berücksichtigen, wird an Stelle des auf diese Weise vernichteten Ions ein Atom
mit den ionischen P
Phasenraumkoordinaten im Zustand n gemäß der Wahrscheinlichkeit
Pdkr(n) = Kdkr(n)/ n Kdkr (n) erzeugt. Die Behandlung von Elektron-Atom-Stößen erfolgt
analog. Hierbei wird zunächst mit der Wahrscheinlichkeit
!
X
Pea (n) = ∆t Kion (n) +
Kgg (n, p)
(4.49)
p6=n
ein Stoß ausgeführt. Mit einer Wahrscheinlichkeit
Pion (n) =
Kion (n)
P
Kion(n) + p6=n Kgg (n, p)
(4.50)
führt dieser zur Ionisation des Atoms, wobei dann ein Ion mit den Phasenraumkoordinaten des Atoms zu erzeugen ist. Anderenfalls führt der Stoß zu einem Übergang zwischen
4.5 Monte-Carlo-Integration der Stoßintegrale
41
gebundenen Zuständen gemäß der Wahrscheinlichkeitsverteilung
Pgg (n, p) = P
Kgg (n, p)
.
p6=n Kgg (n, p)
(4.51)
Im Grenzfall großer Teilchenzahlen ändert sich somit die Phasenraumdichte der Ionen um
X
X
Kdkr(n)fi .
(4.52)
∆fi = ∆t
Kion(n)fa (n) − ∆t
n
n
Für ∆t → 0 entspricht dies exakt dem in Gl.(3.26) definierten Stoßintegral
X
X
∂fi
∆fi
=
Kion (n)fa (n) −
Kdkr(n)fi = Jei(3).
lim
=
∆t→0 ∆t
∂t coll
n
n
(4.53)
In analoger Weise zeigt sich, dass die hier beschriebene, stochastische Behandlung von
Elektron-Atom-Stößen im Limes Na → ∞ und ∆t → 0 eine exakte Auswertung des Stoßintegrals Gl.(3.27) gwährleistet.
5
Makroskopischer Lösungsansatz
Die im letzten Kapitel eingeführte HMD-Methode ermöglicht eine numerisch exakte
Lösung der kinetischen Gleichungen (3.21) und (3.22) und ist damit in der Lage, IonIon-Korrelationseffekte näherungsfrei zu beschreiben. Allerdings ist dieses mikroskopische
Verfahren selbst bei Verwendung hierarchischer Strukturen zur Berechnung der Ion-IonWechselwirkung auf Systemgrößen von Ni < 105 beschränkt. Obgleich diese Teilchenzahlen hinreichend groß sind, um ein neutrales Plasma zu erzeugen, und auch schon experimentell realisiert wurden [173], gehen einige Experimente von größeren Teilchenzahlen von
Ni ≈ 105 −108 Ionen aus [192, 279]. Um einen quantitativen Vergleich mit bisherigen Experimenten anstellen zu können, wäre daher ein alternativer Lösungsweg wünschenswert, dessen
numerischer Aufwand unabhängig von der Systemgröße ist. Daher soll an dieser Stelle eine
zu Kapitel 4 komplementäre Strategie verfolgt werden. Hierbei wird die Relaxationsdynamik basierend auf einem einfachen Satz von Bewegungsgleichungen für makroskopische
Observable, wie die jeweiligen Teilchenzahlen, Temperaturen, etc. beschrieben [254], was unter anderem eine sehr viel transparentere Interpretation der einzelnen Relaxationsprozesse
ermöglicht.
Hierzu werden ausgehend von der Annahme eines quasineutralen Plasmas, welche in Abschnitt 5.1 eingeführt wird, in Abschnitt 5.2 selbstähnliche Lösungen der Vlasov-Gleichungen
betrachtet, die den experimentell realisierten Verteilungen entsprechen. Eine Erläuterung der
hier gewählten Beschreibung von Teilchenstößen schließt sich im darauf folgenden Abschnitt
an, wobei in Abschnitt 5.3.1 Elektron-Elektron-Stöße wiederum im Rahmen einer adiabatischen Näherung behandelt werden. Da die Vlasov-Näherung jegliche Teilchenkorrelationen
vernachlässigt, werden in Abschnitt 5.3.2 ebenso einfache wie leistungsfähige Korrekturterme zur Beschreibung der Einflüsse von Ion-Ion-Korrelationen abgeleitet. Die Einbeziehung
elastischer und inelastischer Elektron-Ion-Stöße in die Beschreibung der Plasmadynamik
erfolgt letztlich in Abschnitt 5.3.3.
5.1
Die quasineutrale Näherung
An dieser Stelle soll vorerst die Dynamik eines stoßfreien vollständig ionisierten Plasmas
betrachtet werden. In dieser Näherung wird die Zeitentwicklung des Plasmas durch die
jeweiligen Vlasov-Gleichungen
∂
∂
e ∂ϕ ∂
fi = 0 ,
+ vi
−
∂t
∂ri mi ∂ri ∂vi
∂
∂
e ∂ϕ ∂
+ ve
+
fe = 0
∂t
∂re me ∂re ∂ve
(5.1a)
(5.1b)
44
5
Makroskopischer Lösungsansatz
der Ionen bzw. der Elektronen beschrieben, welche über die Poisson-Gleichung (3.13) aneinander gekoppelt sind. Prinzipiell lassen sich diese Gleichungen lösen, indem zu jedem
Zeitpunkt das Potenzial ϕ aus den Ladungsdichten bestimmt wird, um damit die Verteilungsfunktionen zu propagieren [210]. Alternativ dazu kann das elektrostatische Potenzial
auch mit Hilfe der Vlasov-Gleichungen (5.1) berechnet werden, wobei dann die PoissonGleichung die Gesamtladungsdichte des Plasmas festlegt [166]. Hierzu wird die Zeitentwicklung der hydrodynamischen Geschwindigkeit
Z
−1
vαfα (vα, rα ) dvαdrα , α = e, i
(5.2)
u α = Nα
der Plasmakomponenten betrachtet [53, 116]. Multiplikation von Gln.(5.1) mit v e bzw. vi
und anschließende Integration über die Geschwindigkeit ergibt:
∂
∂
∂ϕ
∂
(ρi ui ) + Pi + mi (ρi ui ⊗ ui ) + eρi
= 0,
(5.3a)
∂t
∂r
∂r
∂r
∂
∂
∂
∂ϕ
me (ρe ue ) + Pe + me (ρe ue ⊗ ue ) − eρe
= 0,
(5.3b)
∂t
∂r
∂r
∂r
R
wobei Pα = mα (v − uα ) ⊗ (v − uα ) dv den Drucktensor und a ⊗ b das dyadische Produkt
zweier Vektoren a und b bezeichnet. Subtrahiert man nun Gl.(5.3b) von Gl.(5.3a) und
nutzt die Kontinuitätsgleichung für die Elektronen- und Ionendichte, so ergibt sich folgender
Ausdruck für das elektrostatische Potenzial
Pi
∂
Pe
∂ui
∂ui
∂ue
∂ue
−
∂r me
mi
∂ϕ ρe ∂t − ρi ∂t + ρe ue ∂r − ρi ui ∂r
e
=
+
.
(5.4)
∂r
ρe /me + ρi /mi
ρe/me + ρi /mi
mi
Da sich die Zeitentwicklung der Driftgeschwindigkeiten und der Drucktensoren aus der
selbstkonsistenten Lösung der Vlasov-Gleichungen bestimmt, ist dieser Ausdruck vollkommen äquivalent zur Poisson-Gleichung. Während der erste Term in Gl.(5.4) die Ladungstrennung im Plasma, d.h. Unterschiede in den Elektronen- und Ionendichten und Ladungsströmen, repräsentiert, beschreibt der zweite Term ausschließlich die Wirkung des thermischen Druckes auf die Teilchendichte. Letzterer verschwindet nur für den Spezialfall
miPe = me Pi, liefert also in der Regel einen endlichen Beitrag. Andererseits ist die Zeitskala
für die Relaxation der Elektronen aufgrund der geringen Elektronenmasse sehr viel kleiner
als die charakteristische Zeit, auf der sich die Ionendichte ändert. Deshalb kann der Beitrag der Ladungstrennung in Gl.(5.4) im allgemeinen gegenüber dem zweiten Term auf der
rechten Seite von Gl.(5.4) vernachlässigt werden. Das elektrostatische Potenzial ergibt sich
dann lediglich aus dem thermischen Druck der Plasmakomponenten:
Pi
Pe
∂
− mi
∂r me
∂ϕ
e
≈
.
(5.5)
∂r
ρe /me + ρi /mi
Diese sogenannte Quasineutralitätsnäherung (oder auch Plasma-Näherung [53]) ρe ≈ ρi bedeutet jedoch nicht, dass die Ladungsdichte eδρ = e (ρ i − ρe ) und damit das elektrostatische
Potenzial gemäß Gl.(3.13) verschwindet. Vielmehr muss nun das elektrostatische Potenzial
aus den Vlasov-Gleichungen (5.1) und Gl.(5.5) bestimmt werden, welches gemäß Gl.(3.13)
die Gesamtladungsdichte eδρ festlegt. Da letztere für eine Betrachtung der Dynamik des Systems im allgemeinen jedoch nicht benötigt wird, kann die Poisson-Gleichung in der Regel
ignoriert werden, wobei dann die Vlasov-Gleichungen zusammen mit Gl.(5.5) die Zeitentwicklung der Verteilungsfunktionen fe/i eindeutig festlegen.
5.2 Analytische Lösung der Vlasov-Gleichungen
5.2
45
Analytische Lösung der Vlasov-Gleichungen
Mit Hilfe der quasineutralen Näherung ist es nun möglich, eine Reihe von analytischen,
selbstähnlichen Lösungen der Vlasov-Gleichungen zu konstruieren. Erste Arbeiten hierzu
wurden bereits in den 60er Jahren publiziert. Hierbei wurde die eindimensionale Expansionsdynamik der ebenen Randregion eines unendlichen Plasmas unter der Annahme einer
Maxwellschen Elektronenverteilung und bei Vernachlässigung der Ionentemperatur betrachtet [126]. Während diese Rechnungen später in einer Vielzahl von Arbeiten unter anderem
für nicht-Maxwellsche Elektronenverteilungen [27, 124, 125, 264], allgemeinere Randgeometrien [267] und Abweichungen von der Quasineutralität [125, 263] verallgemeinert wurden,
wurde die Expansion eines endlichen Plasmas erst Ende der 90er Jahre untersucht [15]. Im
Gegensatz zu den sogenannten ’halb-unendlichen’ Plasmen ist hierbei die thermische Energie der Ladungen zeitlich nicht konstant, was zu einer adiabatischen Abkühlung des Plasmas
führt. Dabei wird ein Teil der thermischen Energie in kinetische Energie der gerichteten Expansion umgewandelt. In [12] wurden analytische Lösungen für die eindimensionale Expansion eines Plasmas basierend auf einer adiabatischen Näherung für die Elektronenverteilung
und bei Vernachlässigung der Ionentemperatur diskutiert und später auf dreidimensionale
Geometrien erweitert [72, 74]. Eine vollständige Lösung der Vlasov-Gleichungen (5.1) zusammen mit der quasineutralen Näherung Gl.(5.5) für den Spezialfall eines harmonischen
elektrostatischen Potenzials wurde erstmals in [73] gefunden und in [188, 189] für beliebige Geschwindigkeitsverteilungen verallgemeinert. Da die in [73] diskutierten selbstähnlichen
Lösungen der Vlasov-Gleichungen den experimentell realisierten Anfangsverteilungen entsprechen (vgl. Kapitel 2), soll hier lediglich der Spezialfall einer harmonischen Ortsabhängigkeit des Potenzials ϕ diskutiert werden. Allgemein können in diesem Fall die Lösungen von
Gln.(5.1) und (5.5) als [73]
fe(r, v, t) = F G(e) ,
3
(e)
Y
wk (0)
fi (r, v, t) = F G(i)
,
(i)
w
(0)
k
k
!2
2
rk
vk − uk (rk , t)
(α)
,
+
Gk
=
σk (t)
wk(α)(t)
(5.6a)
(5.6b)
α = e, i
(5.6c)
geschrieben werden, wobei F eine beliebige Funktion sein kann,
R 2
r fα (r, v, t) drdv
σk2(t) = R k
,
fe/i(r, v, t) drdv
α = e, i
(5.7)
die Ausdehnung des Plasmas ist und
2 R (v − u )2 f (r, v, t) drdv
k
(α)
R k α
,
wk (t) =
fα (r, v, t) drdv
α = e, i
(5.8)
das Quadrat der mittleren thermischen Geschwindigkeit entlang der jeweiligen Richtung
bezeichnen. Einsetzen des Ansatzes (5.6) in die Vlasov-Gleichungen (5.1) zeigt, dass die
Gln.(5.6) nur dann eine Lösung sind, wenn die in Gln.(5.2), (5.7) und (5.8) definierten
46
5
Makroskopischer Lösungsansatz
Größen folgender Dynamik genügen:
(α)
(α)
wk (t) = wk (0)
uk (rk , t) = γk rk ,
σk (0)
,
σk (t)
(5.9a)
γ̇k (t) =
2 2
2
σk (t)2 = [σk (t) + σ̇k (0)]2 + v0,k
t , v0,k
=
σ̇k (t)
,
σk (t)
2
2
(i)
(e)
+ m i wk
me wk
me + mi
(5.9b)
.
(5.9c)
Wie bereits erwähnt, entspricht die Dichte der Elektronen und Ionen im Anfangszustand des
Plasmas einer Gauß-Verteilung. Desweiteren stellt sich für die sehr viel leichteren Elektronen nach der Photoionisation sehr schnell ein individuelles Gleichgewicht ein [254], während
die Geschwindigkeiten der Ionen denen der lasergekühlten Atome vor der Photoionisation entsprechen. Daher kann sowohl die elektronische als auch die ionische Geschwindigkeitsverteilung im Anfangszustand ebenfalls durch eine Gauß-Funktion beschrieben werden. Gemäß Gln.(5.6) bleibt diese funktionelle Abhängigkeit der Verteilungsfunktionen von
den Phasenraumkoordinaten für alle Zeiten erhalten. Bei Definition einer ’Temperatur’
(e/i)
kB Te/i,k = me/i(wk )2 ergibt sich dann formal
!
!
X r2
X me(vk − γk rk )2
k
,
(5.10a)
fe ∝ exp −
exp −
2
2σ
2k
B Te,k
k
k
k
!
!
2
X r
X mi(vk − γk rk )2
k
fi ∝ exp −
,
(5.10b)
exp −
2
2σ
2k
B Ti,k
k
k
k
wobei Te/i,k (0) = Te/i(0), so dass der Begriff Temperatur zumindest für t = 0 gerechtfertigt
ist.
5.3
Behandlung von Teilchenstößen
Für den hier zu betrachtenden Fall einer anfangs sphärischen Dichte (vgl. Kapitel 2) bleibt
die anfängliche Rotationssymmetrie der Geschwindigkeitsverteilungen gemäß Gln.(5.9) für
alle Zeiten erhalten. Die Phasenraumdichten Gln.(5.10) entsprechen dann für alle Zeiten einer Maxwell-Boltzmann-Verteilung, so dass die Boltzmannschen Stoßintegrale für ElektronElektron- und Ion-Ion-Stöße verschwinden. Bei Vernachlässigung von Elektron-Ion-Stößen
ergeben Gln.(5.9) und Gln.(5.10) daher das gleiche Expansionsverhalten wie bei Berücksichtigung von binären Elektron-Elektron- und Ion-Ion-Stößen. Allerdings treten unter den
hier zu betrachtenden Bedingungen eine Reihe zusätzlicher Prozesse auf, die die Geschwindigkeitsverteilungen der Ladungen modifizieren, so dass die Berücksichtigung von Teilchenstößen unabdingbar ist. Dazu wird im folgenden Abschnitt die auf der adiabatischen
Näherung (vgl. Abschnitt 3.3.1) basierende Behandlung von Elektron-Elektron-Stößen erläutert, wobei deren Einfluss auf die Plasmaexpansion anhand der Dynamik einer anfangs
unsymmetrischen Dichteverteilung illustriert wird. Eine näherungsweise Behandlung der
stark korrelierten Ionendynamik und von Elektron-Ion-Stößen schließt sich in den Abschnitten 5.3.2 und 5.3.3 an.
5.3 Behandlung von Teilchenstößen
5.3.1
47
Elektron-Elektron-Stöße
Im Rahmen der adiabatischen Näherung wird die Dynamik der elektronischen Phasenraumdichte analog zu Abschnitt 4.1.1 durch eine quasistationäre Verteilung mit zeitabhängigen
Parametern beschrieben. Allerdings folgt aus der Quasineutralität für das elektrostatische
Potenzial lim ϕ(r) = ∞, so dass die quasistationäre Verteilung der elektronischen Ger→∞
schwindigkeiten unter dieser Bedingung einer Maxwell-Verteilung
!
X r2
me v 2
k
(5.11)
fe ∝ exp −
exp −
2
2σ
2k
B Te
k
k
entspricht. Da die adiabatische Näherung me/mi → 0 voraussetzt, erhält man aus Gl.(5.5)
für das elektrostatische Potenzial:
e
∂ρi
∂ϕ
= kB Teρ−1
.
i
∂r
∂r
(5.12)
Einsetzen dieses Ausdruckes und Gl.(5.10b) in die Vlasov-Gleichung (5.1a) führt mit Ti,k Te auf folgenden Satz von Differenzialgleichungen
σ̇k = γk σk ,
kB Te
γ̇k =
− γk2 ,
2
mi σk
Ṫe = −2γ̄Te ,
γ̄ =
(5.13a)
(5.13b)
1X
γk
3 k
(5.13c)
für die Parameter der Verteilungsfunktionen (5.10b) und (5.11). Für eine rotationssymmetrische Anfangsdichte [σk (0) = σ(0)] und für Ti,k Te ergeben diese Gleichungen das
in Gln.(5.9) gefundene Expansionsverhalten des Plasmas. Um den Einfluss von ElektronElektron-Stößen auf die Expansionsdynamik zu verdeutlichen, wird in Abb.5.1 die Expansionsdynamik eines zylindrisch symmetrischen Strontium-Plasmas mit σ 1 = σ|| = 300 µm
und σ2 = σ3 = σ⊥ = 50 µm gemäß Gln.(5.13) mit der stoßfreien Expansion (Gln.(5.9))
verglichen. Die Anfangstemperatur beträgt hierbei Te (0) = 50K. Wie in Abb. 5.1a und 5.1b
zu sehen ist, führt die Berücksichtigung von Elektronenstößen zu einem grundlegend anderen Expansionsverhalten des Plasmas. Neben einer stärkeren Abkühlung der Elektronen im
Rahmen der adiabatischen Näherung besteht der entscheidende Unterschied in der Zeitentwicklung der Plasmagröße. Während sich im stoßfreien Fall eine kugelsymmetrische Dichte
herausbildet, führt die Verwendung einer isotropen Verteilung der Elektronengeschwindigkeit zu einer Inversion der Seitenverhältnisse des Plasmas. Dies wird auch deutlich, wenn
man die Bewegungsgleichungen Gln.(5.13) gemäß
2/3
kB Te(0) σk(0)σ⊥ (0)2
σ̈k =
σk−1 ,
2
mi
σk σ⊥
2/3
kB Te(0) σk(0)σ⊥ (0)2
σ⊥−1
(5.14)
σ̈⊥ =
mi
σkσ⊥2
umformt. Dabei wurde folgendes Integral der Bewegung ausgenutzt:
2 2/3
Te σk σ⊥
= const. ,
(5.15)
48
5
2.5
2.5
1.5
(b)
2.0
σ⊥/σ||
σ [mm]
(a)
σ||
σ⊥
σ||
σ⊥
2.0
1.0
0.5
0.0
0
Makroskopischer Lösungsansatz
1.5
1.0
0.5
4
8
12
16
t [µs]
20
24
0.0
0
28
50
4
(c)
16
t [µs]
20
24
28
30
-1
20
20
24
28
(d)
γ||
γ⊥
γ||
γ⊥
0.6
γ [µs ]
Te [K]
12
0.8
40
0.4
0.2
10
0
0
8
4
8
12
16
t [µs]
20
24
0.0
0
28
4
8
12
16
t [µs]
Abbildung 5.1: Zeitentwicklung der Breiten ((a) und (b)), der Elektronentemperatur (c) und
der hydrodynamischen Geschwindigkeit (d) entsprechend der stoßfreien Dynamik Gln.(5.9)
(blaue Linien) und bei Verwendung der adiabatischen Näherung [Gl.(5.13)] für die Elektronendynamik (rote Linien).
−2/3
welches die adiabatische Abkühlung der Elektronen Te ρ̄i
= const. reflektiert und ρ̄i =
3/2
2 −1
Ne((4π) σk σ⊥ ) die mittlere Teilchendichte des Plasmas ist. An dem Verhältnis der Expansionsbeschleunigungen entlang beider Symmetrieachsen, das sich aus Gln.(5.14) zu
σ̈⊥ =
σk
σ̈k
σ⊥
(5.16)
ergibt, wird deutlich, dass die thermische Energie der Elektronen hauptsächlich in eine gerichtete Expansion der Ionen orthogonal zur Symmetrieachse umgewandelt wird, da anfangs
der thermische Druck entlang dieser Richtung wegen σ k(0) > σ⊥ (0) am größten ist.
Hinsichtlich der typischen Anfangstemperaturen (T i (0) ≈ 102 µK, Te(0) ≈ 1K-1000K)
der in Kapitel 2 erläuterten Experimente ist die Vernachlässigung der Ionentemperatur in
Gln.(5.13) im Rahmen der bisherigen Beschreibung durchaus gerechtfertigt. Allerdings werden die Ionen im Zuge der Ausbildung von Ion-Ion-Korrelationen stark aufgeheitzt [228].
Um diesen Effekt und auch den Einfluss der stark gekoppelten Ionendynamik auf das Expansionsverhalten des Plasmas im Rahmen der bisher erhaltenen Bewegungsgleichungen
zu erfassen, sollen im folgenden zusätzliche Terme eingeführt werden, die den Einfluss von
ionischen Korrelationen berücksichtigen.
5.3 Behandlung von Teilchenstößen
5.3.2
49
Ion-Ion-Stöße
Ausgehend von der ersten Gleichung der BBGKY-Hierarchie Gl.(3.9) und bei vorläufiger
Vernachlässigung von Elektron-Ion-Stößen erhält man für die Zeitentwicklung der Ionenverteilungsfunktion
∂
∂
e ∂ϕe ∂
+ vi
−
∂t
∂ri mi ∂ri ∂vi
fi (ri , vi, t) =
Z ∂Vii0
∂ri
fii0 (ri, vi , ri0 , vi0 , t) dri0 dvi0 ,
(5.17)
wobei ϕe das elektronische ’mean field’-Potenzial und V ii0 = e2/|ri − ri0 | das elektrostatische
Ion-Ion-Wechselwirkungspotenzial bezeichnen. Die rechte Seite von Gl.(5.17) beinhaltet sowohl die Einflüsse des ionischen ’mean field’-Potenzials als auch die korrelierte Wechselwirkung der Ionen. Letztere lässt sich mit Hilfe der Ion-Ion-Paarkorrelationsfunktion
cii0 (ri , vi, ri0 , vi0 , t) = fii0 (ri, vi , ri0 , vi0 , t) − fi (ri , vi, t)fi0 (ri0 , vi0 , t)
(5.18)
separat betrachten. Bei Verwendung dieser Definition in Gl.(5.17) erhält man den Ausdruck
∂
∂
e ∂ϕ ∂
+ vi
−
∂t
∂ri mi ∂ri ∂vi
fi (ri, vi , t) =
Z ∂Vii0
∂ri
cii0 (ri , vi, ri0 , vi0 , t) dri0 dri0 ,
(5.19)
welcher gegenüber Gl.(5.17) den Vorteil hat, dass sich das elektrostatische ’mean field’Potenzial im Rahmen der quasineutralen Näherung und der adiabatischen Approximation
für die Elektronenverteilungsfunktion gemäß Gl.(5.12) aus der Elektronentemperatur und
der Teilchendichte bestimmen lässt. Da die Dynamik der Korrelationsfunktion cii0 wiederum
durch höhere Gleichungen der BBGKY-Hierarchie festgelegt ist, kann eine exakte Lösung
dieser Gleichung mit numerisch vertretbarem Aufwand nur mit alternativen Teilchensimulationen, wie der in Kapitel 4 entwickelten HMD-Methode, gefunden werden. Insbesondere
ist der in Abschnitt 5.2 verwendete Ansatz Gln.(5.10) keine Lösung von Gl.(5.19). Um dennoch in einfacher Weise Aussagen über die makroskopische Expansionsdynamik, d.h. über
die Zeitentwicklung der mittleren kinetischen Energie der Ladungen, der Größe des Plasmas etc., treffen zu können, soll an dieser Stelle angenommen werden, dass die funktionelle
Form der Ionenverteilungsfunktion durch die Berücksichtigung von Ion-Ion-Korrelationen,
d.h. durch die rechte Seite von Gl.(5.19), nur schwach modifiziert wird. Die Dynamik der in
Gln.(5.10) auftretenden Parameter wird dann aus der Zeitentwicklung der entsprechenden
Momente der Verteilungsfunktion bestimmt. Da sich die Güte dieser Näherung nicht a priori abschätzen lässt, werden die Stärken und Schwächen dieser Approximation durch einen
Vergleich mit der numerischen Simulation aus Kapitel 4 in Kapitel 6 separat diskutiert.
Um die Zeitentwicklung der Parameter des Ansatzes Gln.(5.10) zu bestimmen, genügt
es, die zweiten Momente der Verteilungsfunktion
2
r
= Ni−1
hvri =
Ni−1
2
v
= Ni−1
Z
Z
Z
r2 fi (ri , vi, t) dri dvi ,
viri fi (ri , vi, t) dri dvi ,
vi2fi (ri , vi, t) dri dvi
(5.20)
50
5
Makroskopischer Lösungsansatz
zu betrachten. Bei Verwendung dieser Definitionen in Gl.(5.19) ergibt sich nach einer kurzen
Rechnung für die Dynamik der Momente:
∂ 2
r
= 2 hvri ,
∂t
Z
mi ∂
mi 2 3
1
hvri =
v + kB Te +
ρi (ri)ri Fii (ri ) dri ,
2 ∂t
2 Z
2
2Ni
∂u
mi ∂ 2 dri
v
= kB Te ρ
2 ∂t
∂r
Z
∂Vii0 (ri, ri0 )
−1
−Ni
vi cii0 (ri , vi , ri0 , vi0 )
dri dvi dri0 dvi0 .
∂ri
(5.21a)
(5.21b)
(5.21c)
Wie man sieht, führt die Berücksichtigung von Ion-Ion-Korrelationen verglichen mit der
Vlasov-Näherung zum Auftreten einer zusätzlichen ’Kraft’
Z
cii0 (ri, vi , ri0 , vi0 ) ∂Vii0 (ri , ri0 )
dvi dvi0 dri0
Fii = −
ρi (ri )
∂ri
Z
∂Vii0 (ri , ri0 )
= − gii0 (ri , ri0 )ρi (ri0 )
dri0 ,
(5.22)
∂ri
in Gl.(5.21b) und einem Korrekturterm für die Dynamik der kinetischen Ionenenergie in
Gl.(5.21c). Hierbei wurde die räumliche Ion-Ion-Paarkorrelationsfunktion g ii0 (ri , ri0 ) eingeführt, welche gemäß
Z
(5.23)
ρi (ri)ρi (ri0 )gii0 (ri , ri0 ) = cii0 (ri, vi , ri0 , vi0 ) dvi dvi0
definiert ist. Bei vorläufiger Vernachlässigung der Elektron-Ion-Wechselwirkung kann Gl.(5.22)
mit Hilfe der zweiten Gleichung der BBGKY-Hierarchie für cii0 weiter umformuliert werden.
Hierzu ist der nichtideale Beitrag zur potenziellen Energie
Z
1
(5.24)
Uii =
Vii0 (ri , ri0 )cii0 (ri, vi , ri0 , vi0 ) dri dri0 dvi dvi0 ,
2Ni
zu betrachten. Da die Verteilungsfunktionen für große Geschwindigkeiten verschwinden,
liefern die Terme der kinetischen Gleichung für cii0 , die eine Ableitung bezüglich vi bzw. vi0
enthalten, keinen Beitrag zur Dynamik der potentiellen Energie und man erhält
Z
∂Uii
∂
1
∂
= −
+ vi0
cii0 (ri , vi, ri0 , vi0 ) dri dri0 dvi dvi0
Vii0 (ri , ri0 ) vi
∂t
2Ni
∂ri
∂ri0
Z
1
∂
∂
=
Vii0 (ri , ri0 ) dri dri0 dvi dvi0 . (5.25)
cii0 (ri , vi, ri0 , vi0 ) vi
+ vi0
2Ni
∂ri
∂ri0
Da sowohl das Wechselwirkungspotenzial Vii0 (ri, ri0 ) als auch die Ion-Ion-Korrelationsfunktion
cii0 (ri, vi , ri0 , vi0 ) bezüglich einer Vertauschung von Teilchen symmetrisch ist, liefern beide
Terme der Summe in Gl.(5.25) den gleichen Beitrag zum Integral, d.h. [205]
Z
∂Uii
∂Vii0 (ri , ri0 )
1
(5.26)
=
vicii0 (ri , vi, ri0 , vi0 )
dri dvi dri0 dvi0 ,
∂t
Ni
∂ri
5.3 Behandlung von Teilchenstößen
51
so dass Gl.(5.21c) letztlich als
mi ∂ 2 v = kB Te
2 ∂t
Z
ρ
∂u
∂Uii
dri −
∂ri
∂t
(5.27)
geschrieben werden kann. In dieser Darstellung wird deutlich, dass der durch Ion-IonKorrelationen hervorgerufene Zusatzterm in Gl.(5.21c) die Energieerhaltung des ionischen
Subsystems repräsentiert [38, 82]. Im stationären Fall wird eine Änderung der potenziellen
Energie aufgrund der Ausbildung von Ion-Ion-Korrelationen durch den kinetischen Anteil
der Energie kompensiert, so dass die Gesamtenergie m2i hv 2i + Uii zeitlich konstant bleibt. Im
Fall eines expandierenden Plasmas ist es diese Gesamtenergie, die gemäß Gl.(5.27) im Zuge
der adiabatischen Expansion in eine gerichtete Bewegung der Ionen umgewandelt wird.
Einsetzen des Ansatzes Gln.(5.10) in die Bewegungsgleichungen (5.21a),(5.21b),(5.27)
der Momente ergibt
∂ 2
σ = 2γσ 2 ,
∂t
3
3
3
3 ∂
mi γσ 2 =
mi γ 2 σ 2 + kB Ti + kB Te
2 ∂t
2
2
2
Z
1
+
ρi (ri )ri Fii (ri ) dri ,
2Ni
∂Uii
3∂
kB Ti + mi γ 2 σ 2 = γkB Te −
.
2 ∂t
∂t
(5.28a)
(5.28b)
(5.28c)
Allerdings ermöglichen Gln.(5.28) in dieser Formulierung keine eindeutige Bestimmung der
Plasmadynamik, da die Korrelationsterme Fii und Uii , nicht zuletzt aufgrund der inhomogenen Teilchendichte, im allgemeinen einer sehr komplizierten Dynamik genügen. Dieses
Problem lässt sich jedoch erheblich vereinfachen, wenn man annimmt, dass
1. die Korrelationsfunktion gii0 (ri , ri0 ) für Ionenabstände größer als die Korrelationslänge
λc rapide abfällt, d.h.
gii0 (ri, ri0 ) ≈ 0 ,
falls |ri − ri0 | > λc ,
(5.29a)
2. sich die Teilchendichte auf einer Skala der Korrelationslänge nur schwach ändert, d.h.
∂ρi(ri0 ) ρi (ri0 ) ≈ ρi (ri ) +
(5.29b)
ri , falls |ri − ri0 | > λc ,
∂ri0 ri0 =ri
3. die Korrelationsfunktion gii0 (ri , ri0 ) für |ri − ri0 | > λc lediglich eine Funktion des Teilchenabstandes und der Teilchendichte an den jeweiligen Koordinaten ist, d.h.
gii0 (ri, ri0 ) ≈ gii0 (|ri − ri0 |, ρ(ri), ρ(ri0 )) .
(5.29c)
Punkt 1 repräsentiert eine allgemeine Eigenschaft von wechselwirkenden Vielteilchensystemen in der gasförmigen bzw. flüssigen Phase, da hierbei Teilchen mit hinreichend großem
Abstand völlig unkorreliert sind und daher die Korrelationsfunktion verschwindet. Die Güte
der zweiten Annahme lässt sich mit λ ≈ a aus dem Parameter
a(ri ) ∂ρi (ri ) ζ = (5.30)
ρi (ri ) ∂ri 52
5
Makroskopischer Lösungsansatz
abschätzen, wobei a(ri) den lokalen Wigner-Seizt-Radius a(ri) = (4πρi (ri )/3)−1/3 bezeich1/3
net. Für eine Gauß-förmige Dichte ergibt sich ζ ≈ 1.86/Ni . Selbst bei einer vergleichsweise
kleinen Ionenzahl von Ni = 20000 ist ζ ≈ 0.07, weshalb die Taylor-Entwicklung Gl.(5.29b)
eine gute Näherung darstellt. Weiterhin zeigt sich, dass die Korrelationsfunktion Gl.(5.29c)
genügt, sofern eine lineare Gradienten-Entwicklung der inhomogenen Dichte zulässig ist [24].
Eine zusätzliche Rechtfertigung der Annahmen 1. bis 3. liefert eine genauere Auswertung
von den, auf der Basis der HMD-Simulationen berechneten Korrelationsfunktionen, welche
ausführlich in Abschnitt 7.5.2 erläutert werden. Kristallisierte Systeme, wie sie in Kapitel 8
betrachtet werden, zeichnen sich jedoch durch langreichweitige Korrelationen und eine unter
Umständen stark variierende Dichte aus, so dass die hier verwendeten Ansätze in diesem
Fall keine adäquate Beschreibung der Plasmadynamik liefern können. Zur Untersuchung von
erweiterten Parameterbereichen oder anderen Expansionsszenarien sollten die obigen Vorraussetzungen daher mit alternativen Methoden separat geprüft und gegebenfalls modifiziert
werden.
Wie in Anhang C gezeigt wird, erhält man bei Verwendung von Gln.(5.29) für die mittlere
Korrelationsenergie
Z
1
Uii =
ρi (ri)uii (ri) dri
(5.31)
Ni
und für die ’Korrelationskraft’
1
Fii = −
3
uii ∂uii
+
ρi
∂ρi
∂ρi
.
∂ri
(5.32)
Dabei entspricht
e2
uii = ρi (ri )
2
Z
gii (y, ρi(ri ))
dy
y
(5.33)
der mittleren Korrelationsenergie pro Teilchen eines homogenen Plasmas mit der Dichte
ρi (ri) [81, 152], welche lokal am Ort ri zu bestimmen ist. In diesem Sinne sind die Annahmen, die auf Gln.(5.31) und (5.32) führen, als ’lokale Dichte-Approximation’ (LDA) zu
verstehen. Insbesondere entspricht Gl.(5.33) dem bekannten LDA-Ausdruck der Korrelationsenergie, wie er für eine Reihe verschiedener Probleme zur Beschreibung inhomogener
Systeme verwendet wird [78, 79, 93, 193]. Nach Einsetzen von Gl.(5.32) in den letzten Term
auf der rechten Seite von Gl.(5.28b) erhält man mit
1
Ni
Z
Z
1
ρi (r)rFii (r) dr =
3Ni
Z
1
=
3Ni
Z
1
= −
Ni
uii ∂uii
+
ρi (r)r
ρi
∂ρi
∂uiiρi
r
dr
∂r
uiiρi dr = −Uii
∂ρi
dr
∂r
(5.34)
5.3 Behandlung von Teilchenstößen
53
folgende Gleichungen für die Parameter der Verteilungsfunktionen (5.10)
∂σ 2
∂t
∂γ
∂t
∂kB Ti
∂t
∂kB Te
∂t
= 2γσ 2 ,
kB Te + kB Ti + 13 Uii
− γ2 ,
mi σ 2
2
2 ∂Uii
= −2γkB Ti − γUii −
,
3
3 ∂t
=
= −2γkB Te .
(5.35a)
(5.35b)
(5.35c)
(5.35d)
Die letzte Gleichung, welche die Zeitentwicklung der Elektronentemperatur festlegt, ergibt
sich aus der Forderung nach Erhaltung der totalen Energie
Etot = Ni
mi 2 3
v + Ni kB Te + Ni Uii
2
2
(5.36)
des Plasmas. Die Tatsache, dass die Elektronendynamik erwartungsgemäß nicht direkt durch
die Ausbildung von ionischen Korrelationen beeinflusst wird und sich die zuvor gefundene
adiabatische Abkühlung der Elektronen (vgl. Abschnitt 5.2 und 5.3.1), d.h. T e σ 2 = const.,
ohne zusätzliche Annahmen aus der Energieerhaltung ergibt, lässt auf eine gute Beschreibung der Plasmadynamik hoffen. Weiterhin haben Gln.(5.35) gegenüber Gln.(5.28) den entscheidenden Vorteil, dass der Einfluss ionischer Korrelationen auf die Expansionsdynamik
nun lediglich durch eine einzelne Größe, nämlich die Korrelationsenergie eines homogenen,
unendlich ausgedehnten Plasmas, bestimmt ist. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für
die Thermodynamik dichter Plasmen wurde die Gleichgewichtskorrelationsenergie in den
letzten Jahren sehr detailliert untersucht. Allerdings ist die Relaxationsdynamik der Korrelationsenergie selbst für den Fall homogener Dichten sehr kompliziert. Deren geschlossene
Beschreibung im Rahmen einer kinetischen Behandlung wäre daher nur mit einem, an dieser Stelle zu großem Aufwand [276] oder auf der Basis von hier unbrauchbaren Näherungen,
wie zum Beispiel der Annahme schwacher Kopplung [23, 24, 224], möglich. Eine Approximation, welche für die vorliegende Problematik sowohl die Forderung nach Einfachheit als
auch nach einer hinreichend realistischen Beschreibung erfüllt, wurde in [39] vorgeschlagen.
Analog zur Relaxationszeitnäherung bei der Beschreibung der Dynamik der Einteilchenverteilungsfunktion [28, 122] wird hierbei angenommen, dass man die Zeitentwicklung der
Zweiteilchenverteilungsfunktion linearisieren kann, so dass die Paarverteilungsfunktion folgender Dynamik genügt:
(eq)
∂cii0
cii0 − cii0
≈−
,
(5.37)
∂t
τcorr
wobei c(eq)
die Paarverteilungsfunktion im lokalen Gleichgewicht und τ corr die sogenannte
ii0
Korrelationszeit bezeichnen [39].
Wie in [314] im Rahmen von Molekular-Dynamik-Simulationen gezeigt wurde, vollzieht
sich die Relaxation der Paarverteilungsfunktion für stark gekoppelte Systeme mit Γi > 1 auf
der Zeitskala der inversen Plasmafrequenz. An dieser Stelle wird die Korrelationszeit durch
die inverse Plasmafrequenz gemäß
p
(5.38)
τcorr ≈ mi /(4πe2ρ̄i )
54
5
Makroskopischer Lösungsansatz
approximiert, wobei ρ̄i = Ni /(4πσ 2)3/2 die mittlere Ionendichte ist1 . Die Paarverteilungs(eq)
funktion cii0 entspricht im allgemeinen nicht der Paarverteilungsfunktion im Gleichgewicht,
sondern muss vielmehr aus der zweiten Gleichung der BBGKY-Hierarchie unter Verwendung der momentanen Einteilchenverteilungsfunktion bestimmt werden [37, 38]. Da allerdings die Einteilchengeschwindigkeitsverteilung in der hier verwendeten Näherung für alle
Zeiten Gauß-förmig ist und somit der zu erwartenden Gleichgewichtsverteilung entspricht, ist
(eq)
cii0 im vorliegenden Fall mit der Gleichgewichtsverteilung identisch. Durch Multiplikation
von Gl.(5.37) mit dem ionischen Wechselwirkungspotenzial und anschließender Integration
über alle Phasenraumvariablen erhält man die gesuchte Relation
(eq)
Uii − Uii
∂Uii
≈−
∂t
τcorr
,
(5.39)
welche eine eindeutige Bestimmung der Zeitentwicklung der Korrelationsenergie ermöglicht.
Dabei bezeichnen
Z
(eq)
(eq)
Uii = ρi (r)uii (r) dr
(5.40)
und u(eq)
ii (r) die Korrelationsenergie eines homogenen Einkomponentenplasmas der Dichte
ρi (r) im thermodynamischen Gleichgewicht.
Aufgrund des speziellen Skalierungsverhaltens des Coulomb-Potenzials, ist u ii/(kB Ti) lediglich eine Funktion des Coulomb-Kopplungsparameters [152], was eine Bestimmung der
Korrelationsenergie über einen großen Bereich von Plasmaparametern enorm erleichtert.
Die Γ-Abhängigkeit der Korrelationsenergie wurde in den letzten Jahren in verschiedenen Grenzfällen untersucht [1, 47, 259], wobei basierend auf Molekulardynamik- und MonteCarlo-Rechnungen akkurate Interpolationsformeln abgeleitet werden konnten [45, 50, 87, 90,
156, 233, 281, 306]. In dieser Arbeit wird der folgende Ausdruck verwendet [50]:
A3
A1
√
,
(5.41)
+
A2 + Γi 1 + Γi
√
√
wobei A1 = −0.9052, A2 = 0.6322 und A3 = − 3/2 − A1/ A2. Wie in Abb.5.2 zu sehen
ist, gibt Gl.(5.41) bestehende numerische Daten im Bereich starker Kopplung sehr gut wider
und reproduziert gleichzeitig den bekannten Abe-Ausdruck für die Korrelationsenergie [1]
(eq)
uii
= Γ3/2
i
kB Ti
√
u(eq)
3 3/2
3 3
ii
=−
Γ − 3Γi
ln(3Γi ) − 0.0447
kB Ti
2 i
8
(5.42)
im Grenzfall schwacher Kopplung. Bei Verwendung dieses Ausdruckes für die Gleichgewichtskorrelationsenergie liegt nun zusammen mit Gl.(5.39) und Gln.(5.35) ein geschlossenes
System von Differenzialgleichungen vor, aus dem sich die Dynamik des Plasmas auf einfache
Weise bestimmen lässt. Neben einer effizienten Beschreibung der Plasmaexpansion ermöglichen die abgeleiteten Gleichungen außerdem eine physikalisch anschauliche Interpretation
der Einflüsse von Ion-Ion-Korrelationen auf die Expansionsdynamik des Plasmas, welche im
Rahmen der in Kapitel 4 entwickelten HMD-Methode nicht direkt zugänglich ist. Während
p
Rechnungen mit einer ortsabhängigen Korrelationszeit τcorr(ri ) ≈ mi /(4πe2 ρi (ri )) sind mit einem
deutlich größerem Zeitaufwand verbunden, ergeben jedoch nahezu die gleiche Expansionsdynamik wie bei
Verwendung von Gl.(5.38).
1
5.3 Behandlung von Teilchenstößen
55
0.0
-0.2
uii/Γi
3/2
-0.4
u
ii
3/2
k
TiΓi
B
-0.6
-0.8
-1.0 -2
10
10
-1
0
10 Γ
10
1
10
2
i
Abbildung 5.2: Korrelationsenergie eines Einkomponentenplasmas. Dargestellt sind die numerischen Resultate aus [281] (Quadrate) und [306] (Punkte), die Interpolationsformel
Gl.(5.41) (durchgezogene Linie) und der Grenzfall Γ i 1 Gl.(5.42) (gestrichelte Linie).
Gl.(5.35a) und Gl.(5.35d) die zuvor erwähnte adiabatische Abkühlung des Elektronengases repräsentieren, wird die Zeitentwicklung der Ionentemperatur durch die Berücksichtigung von Ion-Ion-Korrelationen erheblich modifiziert. Neben einer Abkühlung aufgrund der
Expansion, die durch den ersten Term auf der rechten Seite von Gl.(5.35c) beschrieben
ist, wird die Ionentemperatur durch die Ausbildung von Ion-Ion-Korrelationen als direkte
Folge der Energieerhaltung für das Ionen-Subsystem signifikant erhöht. Andererseits führt
die veränderte Zeitentwicklung der Ionentemperatur zu einer Modifikation des thermischen
Ionendruckes und daher gemäß Gl.(5.35b) zu einer Modifikation der Expansionsdynamik.
Dies wiederum beeinflusst indirekt die Zeitentwicklung der Elektronentemperatur. Weiterhin führt die Ausbildung von räumlichen Ion-Ion-Korrelationen zu einer Verringerung der
effektiven Ion-Ion-Wechselwirkung im Vergleich zu der Annahme eines völlig unkorrelierten Ionengases. Dieser Sachverhalt wird in Gl.(5.35c) durch den Term U ii /3 berücksichtigt,
welcher neben den nach außen gerichteten thermischen Drücken der Elektronen und Ionen
zu einer effektiven negativen Beschleunigung führt und so die Plasmaexpansion abbremst.
Ein Vergleich mit den thermodynamischen Größen eines homogenen Plasmas [81, 152] zeigt,
dass dieser Term dem gemittelten Korrelationsdruck im Rahmen einer LDA entspricht. Andererseits kann dieser Beitrag ebenso als zeitabhängige äußere Kraft verstanden werden, so
dass man ein zusätzliches effektives Potenzial erhält, in dem sich die Ionen bewegen. Im
Zuge der Ausdehnung des Plasmas ändert sich daher die potenzielle Energie des Systems
zusätzlich durch eine Veränderung der Ionendichte in diesem Potenzial und die Änderung
des Potenzials selbst, was durch den zweiten Term auf der rechten Seite von Gl.(5.35c) beschrieben wird. Dieser Effekt, der wegen Uii < 0 zu einer Aufheizung der Ionen führt, tritt
demzufolge in stationären Plasmen (γ = 0) nicht auf.
56
5.3.3
5
Makroskopischer Lösungsansatz
Elektron-Ion-Stöße
Elastische Stöße
Im Rahmen der hier verwendeten makroskopischen Modellierung der freien Plasmaexpansion
werden elastische Elektron-Ion-Stöße vernachlässigt, da die Rate für den Energietransfer
zwischen Elektronen und Ionen aufgrund des großen Massenverhältnisses mi /me zu gering
ist, um die Expansionsdynamik des Plasmas signifikant zu beeinflussen.
Bei Vernachlässigung elastischer Stöße erhält man die Dynamik der Ionentemperatur
aus Gl.(5.35c). In der frühen Phase der Plasmadynamik kann γ ≈ 0 angenommen werden,
so dass die Temperatur der Ionen durch kB Ti = 32 Uii gegeben ist. Gemäß Gl.(5.39) relaxiert
die Korrelationsenergie in einer Zeit von ≈ τkorr auf ihren Minimalwert von Uii(eq) und man
erhält zusammen mit Gl.(5.41) für die skalierte Ionentemperatur
kB Ti (τkorr)
= Γ̄i (τkorr)−1 ≈ 0.42 .
e2 /ā
(5.43)
Demgegenüber ergibt sich die Erhöhung der Ionentemperatur durch elastische Elektron-IonStöße mit Gl.(3.25) zu
δ Γ̄i (τkorr)
−1
= γei τkorrΓ̄−1
e =
s
2me Γ̄e
ln
3πmi
√ !
3
3/2
Γ̄e
.
(5.44)
Für ein Strontium-Plasma
mit Γ̄e = 0.2 erhält man daraus eine Temperaturerhöhung von
lediglich δ Γ̄i (τkorr)−1 ≈ 0.0015, die verglichen mit Gl.(5.43) vernachlässigt werden kann.
Im weiteren Verlauf der Expansion führt die adiabatische Abkühlung der Ionen zwar zu
einem Absinken der Temperatur, aber gleichzeitig auch zu einem Absinken der Heizrate
γei Γ̄−1
∝ σ −1, so dass die Erhöhung der Ionentemperatur durch elastische Elektron-Ione
Stöße zu späteren Zeiten weiter an Bedeutung verliert.
Für alternative Szenarien, wie z.B. die Expansion eines laser-gekühlten Plasmas, können
elastische Elektron-Ion-Stöße jedoch eine wichtige Rolle spielen, weshalb diese im Rahmen
der HMD-Simulationen berücksichtigt werden (vgl. Abschnitt 8.2.5).
Inelastische Stöße
Zur Beschreibung inelastischer Stoßprozesse sind die in Abschnitt 3.3.3 diskutierten Stoßintegrale, bei Einführung einer zusätzlichen Teilchensorte zu berücksichtigen. Da es sich bei
den um Stoßintegrale nichtlineare Funktionen der entsprechenden Ladungsdichten handelt,
ist der bisher verwendete Ansatz für die Phasenraumverteilung Gln.(5.10) wiederum keine
exakte Lösung der resultierenden kinetischen Gleichungen. Analog zu den Betrachtungen
des vorangegangenen Abschnitts soll daher angenommen werden, dass sich die funktionelle
Form der Verteilungsfunktion auch bei Einbeziehung inelastischer Stöße gemäß Gl.(3.26)
und Gl.(3.27) nicht ändert. Außerdem werden sämtliche Modifikationen der Bewegungsgleichungen, die sich aus der nichtlinearen Dichteabhängigkeit der Stoßintegrale ergeben,
vernachlässigt. Nimmt man weiterhin an, dass sowohl die räumliche Dichte der Atome als
auch deren thermische und hydrodynamische Geschwindigkeiten denen der Ionen entspricht,
5.3 Behandlung von Teilchenstößen
57
so ist nun zusätzlich zu den Bewegungsgleichungen Gln.(5.35) folgender Satz von Ratengleichungen zu lösen
dNa(n) X
=
[Rgg (p, n)Na (p) − Rgg (n, p)Na (n)] + Rdkr(n)Ni − Rion(n)Na (n) ,
dt
p6=n
(5.45)
welche die Zeitentwicklung der Besetzungszahlen N a(n) der Rydberg-Zustände festlegen.
Die Ratenkoeffizienten ergeben sich aus Gln.(3.28)-(3.30) zu
Z
−1
ρi (r)Kgg (n, p, ρi (r, Te)) dr
Rgg (n, p) = Ni
Z
Rion(n, p) = Ni−1 ρi (r)Kion (n, p, ρi (r, Te )) dr
Z
−1
ρi (r)Kdkr (n, p, ρi (r, Te)) dr .
(5.46)
Rdkr(n, p) = Ni
Bei Kenntnis der Besetzungszahlen erhält man die Elektronentemperatur an Stelle von
Gl.(5.35d) nun aus der modifizierten Energieerhaltung
X
3
3
Ni kB Te + (Ni + Na ) kB Ti + miγ 2 σ 2 + Ni Uii +
Na (n)Ea (n) = const. ,
2
2
n
(5.47)
wobei Ea = −R/n2 die Bindungsenergie des jeweiligen Bindungszustandes ist.
Aus der Annahme gleicher Dichteprofile und hydrodynamischer Geschwindigkeiten ergibt
sich eine weitere Modifikation der Bewegungsgleichungen. Der erste Term auf der rechten
Seite von Gl.(5.35b) entspricht dem Verhältnis des gesamten Druckes Ni (kB Te + kB Ti +
1
U )/σ 2 und der gesamten Masse M = Ni mi des Plasmas. Neutrale Atome, welche sich
3 ii
zusätzlich im Plasma-Volumen befinden, liefern keinen Beitrag zum thermischen Druck, da
ihre Wechselwirkung mit anderen Teilchen verglichen mit der sehr viel stärkeren CoulombWechselwirkung zwischen den Ladungen im Plasma vernachlässigt wird. Andererseits erhöht
die Präsenz von neutralen Atomen die Gesamtmasse des Systems auf M = (N i + Na )mi. An
Stelle von Gl.(5.35b) ist daher folgende Gleichung zu verwenden:
Ni kB Te + kB Ti + 13 Uii
∂γ
=
− γ2 .
(5.48)
∂t
(Ni + Na ) mi σ 2
Die Güte dieser Näherung lässt sich an dieser Stelle wiederum nicht abschätzen, und wird
daher im folgenden Kapitel, zusammen mit der Qualität sämtlicher in diesem Kapitel eingeführten Approximationen, durch einen direkten Vergleich mit den Resultaten der HMDSimulationen eingehend diskutiert.
6
Vergleich beider Lösungsmethoden
Um die recht komplexe Dynamik des Plasmas auf einen einfachen Satz von Bewegungsgleichungen abzubilden, wurden im letzten Abschnitt eine Reihe vereinfachender Annahmen
verwendet, welche im folgenden detaillierter betrachtet werden sollen. Die zentralen Näherung sind hierbei:
1. die Annahme eines quasineutralen Plasmas,
2. die Annahme einer Gauß-förmigen räumlichen Dichte für die geladenen Teilchen,
3. die Annahme einer linearen Ortsabhängigkeit für die hydrodynamische Geschwindigkeit der Ionen,
4. die Annahme einer wohl definierten und homogenen Ionentemperatur,
5. die LDA und die Korrelationszeitnäherung zur Bestimmung der Korrelationsenergie
und des Korrelationsdruckes,
6. die Annahme gleicher Dichteprofile für die räumliche Atom- und Ionenverteilung,
7. die Annhame gleicher hydrodynamischer Geschwindigkeiten der Atome und Ionen
Die Qualität dieser Näherungen und die Stärken und Schwächen der Modellgleichungen aus
Kapitel 5 sollen im folgenden durch einen Vergleich mit den Resultaten der HMD-Methode
aus Kapitel 4 eingehend diskutiert werden. Hierzu wird die Expansion eines StrontiumPlasmas bestehend aus 40000 Ionen mit einer Masse von 87 amu und einer anfänglichen
mittleren Dichte von 109 cm−3 und 37500 Elektronen1 mit einer Anfangsenergie von Ee =
20 K betrachtet.
6.1
Die quasineutrale Näherung
Um die Qualität der quasineutralen Näherung zu überprüfen, wurde die Elektronendichte
mittels der in Abschnitt 4.1 erläuterten Iterationsmethode zum Zeitpunkt t = 0 berechnet.
Wie in Abb.6.1a zu sehen ist, stimmt die Elektronendichte sehr gut mit der Dichte der Ionen
überein. Im Inneren des Plasmas ist die Elektronendichte um eine Konstante zu kleineren
Werten verschoben (vgl. Abschnitt 7.1). Diese Dichtedifferenz, die aus der endlichen Elektronentemperatur resultiert, führt zu einem Raumladungspotenzial, das die Expansion des
Plasmas treibt und im Rahmen der quasineutralen Näherung durch eϕ = kB Ter/(2σ) gegeben ist. In Abb. 6.1b ist das entsprechende elektrostatische Feld gemäß Gl.(5.12) zusammen
1
Die Bestimmung der anfänglichen Elektronenzahl wird in Abschnitt 7.1 erläutert.
60
6 Vergleich beider Lösungsmethoden
5.0
3.0
(b)
(a)
4.0
σ⋅|∇ϕ| [K]
9
-3
ρ [10 cm ]
2.5
2.0
1.5
1.0
2.0
1.0
0.5
0.0
0
3.0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
0.0
0
4
1
0.5
1.5
2
2.5
3
3.5
4
r/σ
r/σ
1.0
(c)
Ni(r)/N
η(r) i(∞)
0.8
0.6
0.4
0.2
0.0
0
0.5
1
2
1.5
2.5
3
3.5
4
r/σ
Abbildung 6.1: (a) Numerisch berechnete räumliche Dichte der Ionen (durchgezogene Linie)
und Elektronen (gepunktete Linie) eines Plasmas mit einer Gaußschen Ionenverteilung von
40000 Ionen mit einer mittleren Dichte von 109 cm−3 und einer Elektronenenergie von Ee =
20 K. (b) Daraus resultierendes elektrostatisches Feld (durchgezogene Linie) verglichen mit
der quasineutralen Näherung (gepunktete Linie). (c) Relative Anzahl der Ionen innerhalb
einer zentralen Kugel mit dem Radius r [vgl. Gl.(6.1)].
mit dem numerischen Resultat vergleichend dargestellt. Es zeigt sich, dass die quasineutrale
Näherung im Inneren des Plasmas eine mehr als brauchbare Beschreibung der ’mean field’Wechselwirkung der Plasmateilchen liefert. Allerdings versagt die quasineutrale Näherung
aufgrund der zu geringen Ladungsdichte in der Randregion des Plasmas. Hier fällt das elektrostatische Feld für große Abstände vom Plasmazentrum wie e2(Ni − Ne)/r ab. Um die
Auswirkungen dieser Abweichung zu quantifizieren, ist in Abb. 6.1c die relative Anzahl
η(r) =
Ni−1
Z
r
4πr02ρi (r0) dr0
(6.1)
0
von Ionen innerhalb einer Kugel mit dem Radius r dargestellt. Ein Vergleich von Abb.6.1b
und Abb.6.1c zeigt, dass lediglich 10% der Ladungen von einer signifikanten Verletzung
der quasineutralen Näherung betroffen sind, so dass diese für die Dynamik makroskopischer Plasmaeigenschaften, wie etwa den mittleren Plasmaradius hr 2 i /3 = σ 2, eine gute
Beschreibung erwarten lässt.
6.2 Dichteprofil der Ionen
61
25
(a)
2
-1
r ρ [µm ]
20
15
10
5
0
2
-1
r ρ [µm ]
1
0
100
200
300
400
500
1000
2000
3000
4000
5000
r [µm]
(b)
0.8
0.6
0.4
0.2
0
0
r [µm]
Abbildung 6.2: Räumliche Dichte der Ionen aus der HMD-Simulation (durchgezogene Linie) und aus den makroskopischen Bewegungsgleichungen (gestrichelte Linie) bei t = 1.5µs
(a) und t = 31.3µs (b). Die gepunktete Linie in (a) zeigt das Resultat einer PIC-MCCSimulation. Die anfänglichen Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.6.1.
6.2
Dichteprofil der Ionen
Die Qualität der quasineutralen Näherung zu späteren Zeiten und speziell die Auswirkung
von deren Verletzung am Plasmarand wird durch einen Vergleich der jeweiligen Ionendichten
deutlich. Abb. 6.2 zeigt die radiale Dichte der Ionen 1.5µs und 31µs nach der Erzeugung
des Plasmas, d.h. in der frühen Phase der Plasmaentwickung und zu einem Zeitpunkt zu
dem sich das Plasma bereits signifikant ausgedehnt hat. Im Inneren des Plasmas, können
die numerisch berechneten Dichten sehr gut durch eine Gauß-Funktion beschrieben werden,
während die Verletzung der Quasineutralität in der äußeren Region zur Ausbildung eines
Maximums und zu einem rapiden Abfall der Ionendichte führt.
Um den Einfluss von Ionenkorrelationen auf das Dichteprofil näher zu beleuchten, ist in
Abb.6.2a außerdem das Resultat einer PIC-MCC-Simulation dargestellt. Wie die Rechnungen zeigen, ist das Maximum am Plasmarand in diesem Fall sehr viel ausgeprägter, wobei
sich eine deutliche Spitze ausbildet. Die Ursache für dieses Verhalten lässt sich leicht anhand
der Ortsabhängigkeit des elektrostatischen ’mean field’-Potenzials verstehen. Im Inneren des
62
6 Vergleich beider Lösungsmethoden
Abbildung 6.3: Radiale Geschwindigkeit der Ionen nach einer Zeit von t = 1.5µs (a) und
t = 31.3µs (b). Die Punkte zeigen das Resultat der HMD-Simulation und die durchgezogene
Linien die hydrodynamische Geschwindigkeit u = γr. In (a) ist außerdem das Ergebnis
der PIC-MCC-Rechnung dargestellt (gestrichelte Linie). Die anfänglichen Plasmaparameter
entsprechen denen aus Abb.6.1.
Plasmas steigt das elektrostatische Feld mit wachsendem Abstand vom Plasmazentrum linear an, so dass weiter außen befindliche Ionen eine größere radiale Beschleunigung erfahren
und demzufolge eine größere Geschwindigkeit besitzen. In der Randregion hingegen nimmt
das Feld mit steigendem Abstand ab, was eine Ansammlung von Ionen am Rand des Plasmas
zur Folge hat. Wie zum Beispiel in [263] diskutiert wird, kann dieser Effekt auch als eine
Wellenbrechung von nichtlinearen Plasmaanregungen verstanden werden, welche zu einer
Singularität in den entsprechenden hydrodynamischen Gleichungen führt. Bei Einführung
von dissipativen Termen in den hydrodynamischen Gleichungen, d.h. bei Berücksichtigung
von Stößen, tritt eine solche Singularität nicht mehr auf. Dies wird auch aus Abb.6.2a
ersichtlich. Das Maximum der Ionendichte aus den HMD-Simulationen ist hierbei deutlich
schwächer ausgeprägt als das aus den PIC-MCC-Rechnungen, und verschwindet zu späteren
Zeiten gänzlich (vgl. Abb.6.2b). Hinzu kommt, dass sich die Ionen bei einer Berücksichtigung
von Ion-Ion-Korrelationen sehr stark aufheizen und das Dichtemaximum durch die mit der
erhöhten Temperatur verbunden Fluktuationen der radialen Ionengeschwindigkeit deutlich
abgeschwächt wird.
Letztlich zeigt der Vergleich mit den numerischen Simulationen, dass Ion-Ion-Korrelationen die funktionale Abhängigkeit der Dichte im Inneren des Plasmas nur unerheblich
beeinflussen und in der äußeren Region eher zu einer besseren Übereinstimmung mit dem
Gauß-Ansatz aus Kapitel 5 führen. Zu späteren Zeiten beginnt die Lösung der makroskopischen Bewegungsgleichungen etwas von der numerisch berechneten Dichte abzuweichen (vgl.
Abb.6.2b). Dennoch
ist letztere im Inneren Gauß-förmig und die numerisch berechnete Plasp
mabreite σ = hr2 i /3 stimmt sehr gut mit der aus den einfachen Bewegungsgleichungen
überein.
6.3
Radiale Geschwindigkeit der Ionen
Ein Vergleich der mit den verschiedenen Methoden berechneten hydrodynamischen Ionengeschwindigkeiten ist in Abb.6.3 für t = 1.5 µs und t = 31.3 µs zu finden. Zur Darstellung
6.4 Thermische Energie der Ionen
63
der Resultate der mikroskopischen Simulationen wurde hierzu die radiale Komponente der
Ionengeschwindigkeit
vr,j = vj rj /rj
(6.2)
eines jeden Ions als Funktionen von dessen Abstand r j zum Plasmazentrum aufgetragen.
Aufgrund der Quasineutralität im Inneren des Plasmas, stimmt die Orstabhängigkeit der
hydrodynamischen Geschwindigkeit aus den numerischen Simulationen (HMD und PICMCC) sehr gut mit dem linearen Ansatz u = γr überein. Die Abweichungen am Rand des
Plasmas sind wiederum allein auf die Verletzung der Quasineutralität zurückzuführen und
nicht auf den Einfluss von Ion-Ion-Korrelationen. Während die einzelnen radialen Geschwindigkeiten aufgrund des zuvor erläuterten Aufheizens der Ionen im Fall der HMD-Simulation
eine erhebliche Streuung aufweisen, so ist der lokale Mittelwert der radialen Geschwindigkeiten mit dem Resultat der PIC-MCC-Rechnung nahezu identisch. Weiterhin wird deutlich,
dass die Streuung der radialen Geschwindigkeiten von der gleichen Größenordung wie die
hydrodynamische Geschwindigkeit am Rand des Plasmas ist. Die führt, wie zuvor diskutiert, zu einer beträchtlichen Unterdrückung des Dichtemaximums am Rand des Plasmas.
Zu späteren Zeiten, bei denen das Dichtemaximum völlig verschwunden ist, wird die hydrodynamische Geschwindigkeit im gesamten Plasmavolumen sehr gut durch den Ansatz aus
Kapitel 5 beschrieben.
6.4
Thermische Energie der Ionen
Neben der Annahme eines Gaußschen Dichteprofils wurde bei der Herleitung der Bewegungsgleichungen in Kapitel 5 außerdem vorausgesetzt, dass die thermischen Geschwindigkeiten
der Ionen ebenfalls Gauß-verteilt sind und sich somit eine Ionentemperatur definieren lässt.
Offensichtlich stellt dies in der frühen Phase der Plasmaentwicklung nur eine grobe Näherung dar, da das Plasma experimentell in einem Nichtgleichgewichtszustand erzeugt wird.
Im weiteren Verlauf der Plasmaexpansion ist allerdings zu erwarten, dass sich eine Gaußsche Verteilung der thermischen Geschwindigkeiten einstellt, so dass die Definition einer
zeitabhängigen Ionentemperatur gerechtfertigt ist. Um die thermischen Ionengeschwindigkeiten aus den HMD-Simulationen zu bestimmen, wird ausgenutzt, dass die elektrostatische
’mean field’-Kraft nur in radialer Richtung wirkt, weshalb die transversale Geschwindigkeit
v⊥,j = vj × rj /rj
(6.3)
ausschließlich thermische Beiträge enthält.
In Abb.6.4 ist die resultierende Verteilung der transversalen Geschwindigkeit v ⊥ für zwei
verschiedene Zeitpunkte t = 0.3 µs und t = 1.5 µs dargestellt. Die entsprechenden Verteilungen wurden dabei aus drei verschiedenen Raumbereichen r < 1.3σ, 1.3σ ≤ r < 2σ und
r ≥ 2σ bestimmt, welche jeweils ungefähr die gleiche Anzahl von Ionen enthalten. Zusätzlich
wurde an die numerisch bestimmten Verteilungen eine Maxwellsche Gechwindigkeitsverteilung gefittet. Wie in Abb.6.4a zu sehen ist, wird die Geschwindigkeitsverteilung der Ionen
selbst zu einem relativ frühen Zeitpunkt nach der Photoionisation im innersten Bereichen
des Plasmas erstaunlich gut durch eine Maxwell-Verteilung beschrieben. Mit wachsendem
Abstand vom Plasmazentrum nimmt die Übereinstimmung jedoch ab, da mit sinkender
Dichte ebenfalls die Relaxationsrate der Ionen abnimmt. Allerdings wird aus Abb.6.4g ersichtlich, dass man auch zu einem immer noch frühen Zeitpunkt von t = 1.5 µs selbst in der
64
6 Vergleich beider Lösungsmethoden
(a)
Ti=1.0 K
(c)
(d)
Ti=0.2 K
10
20
30
40
10
20
30
40
Ti=0.8 K
(g)
Ti=0.9 K
0
(f)
Ti=1.0 K
v⊥ ⋅P(v⊥ )
v⊥ ⋅P(v⊥ )
Ti=1.6 K
0
(e)
(b)
(h)
Ti=0.4 K
0
50
v⊥ [m/s]
10
20
30
Ti=0.7 K
0
10
20
30
40
v⊥ [m/s]
Abbildung 6.4: Verteilung der thermischen Geschwindigkeit v ⊥ zu zwei verschiedenen Zeiten
t = 0.3 µs [(a)-(d)] und t = 1.5 µs [(e)-(h)] berechnet aus drei Raumbereichen r < 1.3σ [(a),
(e)], 1.3σ ≤ r < 2σ [(b), (f)] und r ≥ 2σ [(c), (g)] und aus dem gesamten Plasmavolumen [(d), (h)]. Die durchgezogenen Linien zeigen einen Fit an eine entsprechende Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung. Die anfänglichen Plasmaparameter entsprechen denen aus
Abb.6.1.
äußersten Region des Plasmas eine gute Übereinstimmung mit einer Maxwell-Verteilung findet. Die thermischen Eigenschaften der Ionen lassen sich daher, auch in einer frühen Phase
der Plasmadynamik, in guter Näherung durch eine lokal definierte Temperatur
*
+
mi
v×r 2
(0)
(δr)
Ti,lok(r0, t) = lim Ti,lok (r0 , t) = lim
(6.4)
δr→0
δr→0 2
r
r0 ,δr
charakterisieren, wobei h...ir0 ,δr eine Ensemblemittelung über eine Kugelschale mit einem
zentalen Radius r0 und einer Breite δr bezeichnet. Zur numerischen Bestimmung der lokalen
Temperatur ist die Breite δr dabei so klein zu wählen, dass die berechnete Ionentemperatur
unabhängig von δr ist.
Weiterhin zeigt Abb.6.4, dass anfängliche Temperaturgradienten im weiteren Verlauf
der Plasmaexpansion relativ schnell ausgeglichen werden. Während bei t = 0.3 µs die Temperatur im Randbereich des Plasmas ein Achtel der Temperatur in der innersten Region
beträgt, so unterscheiden sich diese lediglich 1.2 µs später nur noch um einen Faktor zwei.
Wenngleich der Temperaturgradient im weiteren Verlauf der Plasmaexpansion weiter abnimmt, kann sich dennoch keine homogene Ionentemperatur einstellen, da der entsprechende Transportkoeffizient [69, 97] aufgrund der abfallenden Dichte mit wachsendem Abstand
zum Plasmazentrum abnimmt und die Relaxation zu späteren Zeitpunkten zusätzlich durch
die Expansion selbst gestört wird (vgl. Abschnitt 7.5.2).
Wenngleich die Temperatur des Plasmas nicht vollkommen homogen wird, so lässt sich
die Verteilung der thermischen Geschwindigkeiten des gesamten Plasmas dennoch sehr gut
durch eine Maxwell-Verteilung beschreiben (vgl. Abb.6.4h). Daher erscheint es durchaus
sinnvoll eine mittlere Ionentemperatur
(∞)
hTi i = Ti,lok (0, t)
(6.5)
zu definieren und diese mit der in den makroskopischen Modellgleichungen eingeführten
Ionentemperatur zu identifizieren.
6.5 Relaxation der ionischen Korrelationsenergie
65
Abbildung 6.5: Zeitabhängigkeit der Korrelationsenergie und der thermischen Energie der
Ionen. Die durchgezogene und die gestrichelte Linie zeigt jeweils die Korrelationsenergie
und die thermische Energie aus der HMD-Simulation, während die strich-punktierte und
die gepunktete Linie aus den Modellgleichungen berechnet wurden. Die anfänglichen Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.6.1.
6.5
Relaxation der ionischen Korrelationsenergie
Um den Einfluss von ionischen Korrelationen auf die Plasmadynamik im Rahmen der makroskopischen Modellgleichungen in einfacher Weise zu berücksichtigen, wurden in Abschnitt
5.3.2 eine Reihe von Näherungen herangezogen. Neben einer Bestimmung der ionischen
Korrelationsenergie und des Korrelationsdruckes basierend auf einer LDA, wurde hierbei
die Zeitentwicklung der Korrelationsenergie durch die in Gl.(5.37) eingeführte Korrelationszeitnäherung beschrieben. Vor allem die Qualität der Korrelationszeitnäherung lässt sich
letztlich nur mit Hilfe der numerischen Simulation überprüfen.
Ein Vergleich zwischen den Resultaten der HMD-Simulation und den makroskopischen
Bewegungsgleichungen für die Zeitenwicklung der mittleren Korrelationsenergie und der
mittleren thermischen Energie der Ionen ist in Abb. 6.5 dargestellt. In der frühen Phase
der Plasmaentwicklung weicht die Lösung der makroskopischen Bewegungsgleichungen signifikant von den Ergebnissen der Hybrid-Molekular-Dynamik-Rechnung ab. Aufgrund der
starken Kopplung ist die Relaxation der Ionentemperatur im Zuge der anfänglichen Ausbildung von ionischen Korrelationen mit transienten Oszillationen verbunden (vgl. Abschnitt
7.4). Ein solches nichtlineares Relaxationsverhalten kann natürlich nicht durch die Korrelationszeitnäherung beschrieben werden. Allerdings zeigt sich auch, dass die Zeitskala für den
Anstieg der thermischen Energie und der Korrelationsenergie für Γi > 0.5, unabhängig von
anderen Plasmaparametern, der inversen Plasmafrequenz entspricht. Deshalb geben die in
Kapitel 5 abgeleiteten Modellgleichungen sowohl die Zeitskala für den Anstieg der jeweiligen
66
6 Vergleich beider Lösungsmethoden
12
-1
r ρ [µm ]
9
2
6
3
0
0
100
200
300
r [µm]
400
500
Abbildung 6.6: Radiales Dichteprofil der Ionen (durchgezogene Linie) und Atome (gestrichelte Linie) 1.5µs nach der Erzeugung des Plasmas. Die gepunktete Linie zeigt die Abschätzung
der Atomdichte gemäß Gl.(6.6). Die anfänglichen Plasmaparameter entsprechen denen aus
Abb.6.1.
Energie als auch deren Maximum zufriedenstellend wider. Nach wenigen inversen Plasmafrequenzen hat sich die ionische Paarkorrelationsfunktion ihrem lokalen Gleichgewichtswert
so weit angenähert, dass die Korrelationszeitnäherung eine gute Approximation darstellt.
Wie Abb.6.5 zeigt, liefert der makroskopische Ansatz in diesem Fall in der Tat eine sehr
gute Beschreibung der Zeitentwicklung der Korrelationsenergie. Im weiteren Verlauf der
Expansion weichen die Simulationsergebnisse wiederum von den Resultaten der einfachen
Modellgleichungen ab. Dies deutet darauf hin, dass die Anordnung der Ionen zu späteren
Zeiten nicht mehr der entsprechenden Gleichgewichtskonfiguration folgt. Damit ist die resultierende Korrelationsenergie geringer als es die momentane Temperatur und Dichte der
Ionen in einem Zustand lokalen Gleichgewichts erwarten lassen würde. Eine nähere Betrachtung dieses Sachverhaltes ist Inhalt von Abschnitt 7.5.2 und wird auf eine Verringerung der
Korrelationszeit durch die Plasmaexpansion zurückgeführt, was in den Modellgleichungen
aus Kapitel 5 nicht berücksichtigt wird.
6.6
Dichteprofil der Atome
Eine weitere notwendige Näherung zur Herleitung der makroskopischen Bewegungsgleichungen aus Kapitel 5 ist die Annahme, dass die Ortsverteilung der Rydberg-Atome das
Profil der Ionendichte besitzt. Wie der in Abb.6.6 dargestellte Vergleich der Atom- und
Ionendichte zeigt, ist diese Annahme offensichtlich nicht gerechtfertigt. Die Abweichung
der atomaren und ionischen Dichteprofile liegt hauptsächlich in der nichtlinearen Dichteabhängigkeit der Ratenkoeffizienten aus Gln.(3.28)-(3.30) begründet. In der frühen Phase
6.6 Dichteprofil der Atome
67
Abbildung 6.7: Ortsabhängigkeit der radiale Geschwindigkeiten der Ionen (schwarze Punkte)
und Atome (graue Punkte) 1.5µs (a) und 31.3µs nach der Erzeugung des Plasmas. Die
anfänglichen Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.6.1.
der Plasmaexpansion würde man demzufolge, wegen Gl.(3.28), eine Atomdichte gemäß
ρa ∝ ρ3i
(6.6)
an Stelle von ρa ∝ ρi erwarten. Die gute Übereinstimmung von Gl.(6.6) mit der numerisch
bestimmten Atomdichte (Abb. 6.6) zeigt, dass die Abweichungen zwischen den Dichteprofilen in der frühen Phase der Plasmadynamik weitestgehend durch die nichtlineare Dichteabhängigkeit der Dreikörperrekombinationsrate hervorgerufen wird. Im weiteren Verlauf
der Plasmaentwicklung wird die Dynamik der Atomdichte zusätzlich durch die Expansion
des Plasmas und das Auftreten von inelastischen Elektron-Atom-Stößen bestimmt, wobei
das atomare Dichteprofil dennoch beträchtlich von der Annahme ρa ∝ ρi abweicht.
Wie die bisherigen Betrachtungen dieses Kapitels gezeigt haben, führt die Verletzung
dieser Annahme jedoch kaum zu signifikanten Modifikationen der Expansionsdynamik des
Plasmas. Dies liegt darin begründet, dass nur ein vergleichweise geringer Anteil der Elektronen in Rydbergzustände rekombiniert. Den größten Einfluss hat die Näherung ρa ∝ ρi
auf die Zeitentwicklung der Atomzahl selbst, wobei für die hier verwendeten Parameter eine
Erhöhung der Anzahl von Rydberg-Atomen um ca. 10% beobachtet wird (vgl. Abschnitt
7.3). Der Einfluss von Ion-Ion-Korrelationen auf das Expansionsverhalten wird jedoch für
68
6 Vergleich beider Lösungsmethoden
sämtliche Observable korrekt widergegeben, so dass die makroskopischen Bewegungsgleichungen trotz geringer quantitativer Abweichungen durchaus für eine Interpretation der
Simulationsergebnisse herangezogen werden können.
6.7
Geschwindigkeit der Atome
Neben der Annahme von gleichen Profilen der Atom- und Ionendichte wurde in Abschnitt
5.3.3 weiterhin vorausgesetzt, dass das Rydberg-Gas die gleiche Geschwindigkeitsverteilung
wie die ionische Komponente aufweist. Der in Abb.6.7 dargestellte Vergleich der radialen
atomaren und ionischen Geschwindigkeiten aus der HMD-Simulation zeigt, dass diese Näherung ungleich besser als die zuvor diskutierte Annahme identischer Dichten ist. Wie man
sieht, stimmen sowohl die lokalen Mittelwerte, d.h. die hydrodynamische Geschwindigkeit,
als auch die Streuung um den Mittelwert und damit die thermische Energie sehr gut miteinander überein.
7
Freie Expansion vollständig
ionisierter Plasmen
In den vorangegangenen Kapiteln stand die in dieser Arbeit vorgeschlagende Modellierung der Plasmaexpansion im Mittelpunkt. Nachdem im letzten Kapitel die verschiedenen
Ansätze auf ihre Konsistenz überprüft wurden, sind damit die Voraussetzungen dafür geschaffen die Relaxation ultrakalter eingehend zu untersuchen. Inhalt dieses Kapitels soll es
sein, diese Methoden sowohl zur Beschreibung existierender experimenteller Beobachtungen
heranzuziehen, als auch Observable zu betrachten, welche experimentellen Studien bisher
nicht zugänglich sind. Dabei ermöglichen einerseits die HMD-Simulationen eine detaillierte
Beschreibung vieler Aspekte der Plasmadynamik. Der makroskopische Ansatz aus Kapitel 5
liefert andererseits aufgrund seiner Einfachheit eine effizientere Beschreibung, eine leichter
zugängliche physikalische Interpretation und damit ein tieferes Verständnis einiger ablaufender Relaxationsrozesse.
Die Abschnitte 7.1-7.3 sind dabei einer Beschreibung und Interpretation von experimentell beobachteten Aspekten der Plasmadynamik, wie der Zeitentwicklung der Elektronendichte, der Relaxation von Bindungszuständen, etc. gewidmet. Im Zusammenhang mit
experimentell bisher nicht zugänglichen Observablen beschäftigt sich Abschnitt 7.4 dieses
Kapitels mit dem nichtlinearen Relaxationsverhalten der Ionentemperatur, während in Abschnitt 7.5 die Dynamik des Kopplungsgrades, d.h. die Zeitentwicklung von Γ e und Γi ,
eingehend untersucht wird. Letztere stellt eine der zentralen Fragenstellungen bei der Untersuchung ultrakalter Plasmen dar, da die in [173] erreichten Anfangsbedingungen sehr
stark für die erste experimentelle Realisierung hochgradig nichtidealer Plasmen sprechen,
während der tatsächliche Kopplungsgrad im Verlauf der Plasmaexpansion bislang nicht bestimmt werden konnte.
7.1
Stabilität endlicher Plasmen
In den ersten Experimenten zur Photoionisation lasergekühlter Gase [173] stand zunächst
der Nachweis des erzeugten Plasmazustandes im Mittelpunkt. Hierzu wurde das ionisierte
Gas einem elektrischen Feld ausgesetzt, das die darin enthaltenen Elektronen auf einen Detektor beschleunigt. Unter Verwendung eines schwachen elektrischen Feldes von 0.005 V/cm
wurde ein einzelner Peak, ähnlich der oberen Kurve in Abb.7.1, im Elektronensignal gemessen. Dieser muss auf freie Elektronen zurückgeführt werden, da er zu einem Zeitpunkt
auftritt, der der Flugdauer der Elektronen im angelegten Feld entspricht. Wie in Abb.7.1
zu sehen ist, konnte bei einer anschließenden linearen Erhöhung des elektrischen Feldes und
hinreichend hohen Teilchendichten ein zweiter Peak im Elektronensignal beobachtet werden,
welcher mit im Plasma gebundenen Elektronen identifiziert wurde. Aus dem Verhältnis der
70
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
Abbildung 7.1: Elektronensignal für verschiedene Ionendichten (107 − 109 cm−3) und einer
Elektronenenergie von 0.6 K. Die obere Kurve zeigt die Messung bei der geringsten Dichte.
(aus [173])
Fläche des zweiten Peaks zur gesamten Fläche des Elektronensignals kann auf diese Weise
der Anteil von Plasmaelektronen für verschiedene Anfangsbedingungen, d.h. für verschiedene Ionenzahlen und Elektronenenergien, gemessen werden. Das entsprechende Resultat
ist in Abb.7.2 dargestellt. Erwartungsgemäß nimmt der Anteil von gebundenen Elektronen
mit wachsender Anzahl von Ionen zu, da eine größere Zahl von Ionen ein stärkeres Bindungspotenzial erzeugt und somit mehr Elektronen im Plasma gehalten werden können.
Mit sinkender kinetischer Energie der Elektronen steigt die Anzahl von Plasmaelektronen
ebenfalls an. Die Ursache hierfür ist die geringere Raumladung, die bei kleineren Elektronenenergien notwendig ist, um die verbleibenden Elektronen an das Plasma zu binden.
Weiterhin findet man eine kritische Anzahl Ni? von Ionen, unterhalb derer alle Elektronen
das Plasma verlassen. Wie in [173] erläutert, lässt sich diese kritische Ionenzahl aus der
Tiefe des durch die Gaußsche Ionendichte erzeugten ’mean field’-Potenzials
r
2 e2
ϕi (0) = −Ni
(7.1)
πσ
p
bestimmen, wobei σ = hr2 i /3 die Breite der Ionenverteilung bezeichnet. Die Ionenzahl
Ni? ergibt sich dann aus derjenigen Potenzialtiefe, bei der gerade alle Elektronen mit einer
kinetischen Energie Ee den Potenzialtopf überwinden können:
r
π Ee
?
Ni =
.
(7.2)
2 e2/σ
Skaliert man desweiteren die Ionenzahl mit Ni? und trägt den Anteil von im Plasma gebundenen Elektronen als Funktion des dimensionslosen Parameters
η = Ni /Ni?
(7.3)
7.1 Stabilität endlicher Plasmen
71
1.0
0.8
Ne
__
0.6
Ee=3.9K
Ee=34.5K
Ee=114K
Ee=813K
Ni 0.4
0.2
0.0
10
2
10
3
Ni
10
4
Abbildung 7.2: Experimentell bestimmter Anteil von im Plasma gebundenen Elektronen als
Funktion der Anzahl von Ionen für verschiedene elektronische Anfangsenergien [173].
auf, so folgen alle Datenpunkte der in Abb.7.3 dargestellten universellen Kurve. Diese konnte
in [173] sehr gut mit einer PIC-Simulation der Elektronendynamik reproduziert werden.
Neben den experimentellen Daten ist in Abb.7.3 zusätzlich die empirische Formel
√
η−1
Ne
= √
(7.4)
Ni
η
dargestellt. Wie Abb.7.3 zeigt, werden die experimentellen Resultate hervorragend durch
Gl.(7.4) beschrieben, weshalb diese hier zur Festlegung der anfänglichen Elektronenzahl für
die in Kapitel 4 eingeführte Hybrid-MD-Methode Verwendung findet.
In [173] wurde vermutet, dass sich im Inneren des Gases auch dann ein neutrales Plasma bildet, wenn ein signifikanter Anteil der ursprünglich erzeugten Elektronen das System
verlassen hat. Zur Begründung wurde argumentiert, dass hauptsächlich am Rand erzeugte
Elektronen das Plasma verlassen und sich die Elektronendichte im Inneren kaum ändert.
Eine solche Argumentation erweist sich jedoch als problematisch, da der Parameter η nicht
nur das Verhältnis der Anzahl von Elektronen und Ionen festlegt, sondern auch die Güte der
quasineutralen Näherung (vgl. Abschnitt 5.1) bestimmt. Betrachtet man die Raumladung
des Plasmas
Ee
,
(7.5)
δρ = ρi − ρe =
2πe2σ 2
die sich direkt aus Gl.(3.13) und Gl.(5.12) ergibt, erhält man bei Verwendung von Gl.(7.2)
und ρi (0) = Ni /(2πσ 2)3/2 für die relative Abweichung von der Neutralität
2
δρ
= .
ρi (0)
η
(7.6)
Damit beträgt die Abweichung von der Neutralität im Inneren des Plasmas selbst für
Ne/Ni = 0.7 schon 18%. In diesem Fall kann man nicht mehr von einem neutralen Plasma
ausgehen. Im Inneren des Plasmas weist die Elektronendichte zwar noch die gleiche Ortsabhängigkeit wie die Ionendichte auf, ist jedoch um einen konstanten Term δρ geringer (vgl.
72
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
1.0
0.8
Ne
__
0.6
Ni 0.4
0.2
0.0
10
-1
10
0
η
10
1
10
2
Abbildung 7.3: Anteil von im Plasma gebundenen Elektronen als Funktion des Parameters
η. Die farbigen Punkte zeigen die experimentellen Ergebnisse aus [173] (vgl. Abb.7.2) und
die durchgezogene Linie resultiert aus Gl.(7.4).
Abschnitt 6.1). Wie numerische Berechnungen der Elektronendichte belegen, existiert für
η > 2 ein endlicher Raumbereich, in dem das resultierende ’mean field’-Potenzial gut mit
dem quasineutralen Ausdruck Gl.(5.12) übereinstimmt. Damit ist das Plasma zwar auch im
Inneren nicht neutral, kann jedoch durch die selbstähnliche Lösung der Vlasov-Gleichungen
im Rahmen der quasineutralen Näherung aus Abschnitt 4.1 beschrieben werden.
Zu späteren Zeitpunkten wurden in [173] auch in Abwesenheit des zusätzlichen stärkeren
elektrischen Feldes weitere Elektronen detektiert. Die Autoren schließen daraus, dass sich die
Potenzialtiefe im Zuge der Plasmaexpansion aufgrund der sinkenden Ladungsdichte soweit
verringert, dass die zuvor verbliebenen Elektronen ebenfalls das Plasma verlassen. Dieser
unweigerliche Zerfall des Plasmas, welcher die experimentelle Beobachtungszeit erheblich
einschränken würde, kann durch die in Abschnitt 5.3.1 diskutierte Dynamik im Rahmen
der quasineutralen Näherung jedoch nicht bestätigt werden. Vielmehr erhält man durch
Einsetzen von Gln.(5.13) in Gl.(7.3)
s
kB Te (0) 2
η(t) = η(0) 1 +
t .
(7.7)
mi σ 2(0)
Die größtmögliche Zahl zu bindender Elektronen steigt also im Zuge der Plasmaexpansion
an, so dass die Anzahl tatsächlich gebundener Elektronen zeitlich konstant bleibt. Dieses
Verhalten begründet sich auf die Tatsache, dass zwar die Tiefe des Potenzialtopfes aufgrund
der sinkenden Ladungsdichte abnimmt, aber gleichzeitig auch die Temperatur der Elektronen im Zuge der adiabatischen Expansion des Elektronengases rapide absinkt. Mit Hilfe
von Gl.(7.6) lässt sich die Tiefe des Potenzialtopfes in Übereinstimmung mit numerischen
Rechnungen gemäß
h
η i
kB Te
(7.8)
eδϕ = e |ϕ(0) − ϕ(∞)| ≈ 3 1 + ln
2
abschätzen. Das Verhältnis der Potenzialtiefe und der kinetischen Energie der Elektronen
nimmt daher im Laufe der Zeit zu, so dass sich neben der Güte der quasineutralen Näherung
7.1 Stabilität endlicher Plasmen
73
1
0.99
Ee=22.5K
0.98
Ne
__
0.97
Ni
0.96
Ee=150K
0.95
0.94
0
5
10
15
20
25
30
35
t [µs]
Abbildung 7.4: Zeitabhängigkeit der Anzahl von maximal im Plasma gebundenen Elektronen
für ein Plasma mit einer Anfangsdichte von 2·109 cm−3 , einer Anfangsbreite von σ = 200 µm
und zwei verschiedenen Elektronentemperaturen T e(0) = 100K und Te(0) = 15K. Die durchgezogenen Linien zeigen die numerischen Resultate bei Berücksichtigung von inelastischen
Stößen, während sich die gestrichelten Linien aus Gln.(7.4) und (7.7) ergeben.
auch die Bedingungen für ein Binden der Elektronen an das Plasma während der Plasmaexpansion verbessern. In Gl.(7.7) bleibt jedoch der Einfluss von inelastischen Stößen (Elektronenstoßionisation, Dreikörperrekombination und elektronenstoßinduzierte Übergänge zwischen atomaren Rydbergzuständen) auf die Stabilität des Plasmas unberücksichtigt. Wie
im nächsten Abschnitt eingehend erläutert wird, führen diese Stöße zu einem Aufheizen
des Elektronengases, was gemäß Gln.(7.2), (7.3) und (7.4) ein Absinken der Anzahl von
Plasmaelektronen zur Folge haben kann.
Zur Beantwortung der Frage nach dem Einfluss inelastischer Stöße wurde die Expansionsdynamik des Plasmas mit Hilfe des makroskopischen Lösungsansatzes aus Kapitel 5 für
zwei typische Sätze von Anfangsbedingungen simuliert. Die numerischen Ergebnisse (dargestellt in Abb.7.4) machen deutlich, dass die Verringerung des Ladungsverhältnisses durch
inelastische Stöße vernachlässigbar ist. Weiterhin zeigt sich in beiden Fällen eine Konvergenz
der relativen Elektronenzahl gegen einen Wert von ca. 0.97, während Gl.(7.7) eine Konvergenz gegen 1 vorhersagt. Bei Variation der Anfangsbedingungen über den bisher experimentell untersuchten Parameterbereich findet man, dass sich ausgehend von einem nahezu
quasineutralen Plasma (Ne (0)/Ni (0) > 0.9) im Zuge der Plasmaexpansion ein konstantes
Ladungsverhältnis größer als 90% einstellt. Da die anfangs vernachlässigbare Rate für ein
Verdampfen der Elektronen [51] hauptsächlich durch den entsprechenden Boltzmann-Faktor
exp(−eδϕ/(kB Te)) bestimmt ist [134], bleibt diese gemäß Gl.(7.8) auch im Verlauf der adiabatischen Expansion konstant. Ein Verdampfen der Elektronen als Ursache für den in [173]
beobachteten Elektronenverlust kann damit ebenfalls ausgeschlossen werden. Es liegt daher nahe, dass letzterer keine grundlegende Eigenschaft der erzeugten Plasmen ist, sondern
vielmehr durch die Anwesenheit des schwachen elektrischen Feldes von 0.005V/cm hervorgerufen wird. Wie in Abb.7.1 zu erkennen ist, beträgt die anfängliche kritische Feldstärke zur
’Feldionisation’ des Plasmas in dem dargestellten Fall ungefähr 0.02V/cm, also lediglich das
Vierfache des kontinuierlich angelegten schwachen Feldes. Gemäß Gl.(7.8) und Gln.(5.13)
nimmt die Tiefe des erzeugten Potenzialtopfes wegen δϕ ∝ T e ∝ 1/t2 im Verlauf der Plas-
74
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
Abbildung 7.5: (a) Gemessenes Elektronensignal eines Plasmas mit T e(0) = 360K mit (gestrichelte Linie) und ohne (durchgezogene Linie) einem elektromagnetischen Feld. (b) Resonantes Elektronensignal für Te(0) = 17.3K bei verschiedenen Frequenzen des äußeren Feldes
(5KHz-40MHz). (aus [192])
maexpansion rapide ab. Daher führt zu späteren Zeitpunkten selbst ein vergleichsweise
schwaches äußeres Feld zu einer signifikanten Unterdrückung der Potenzialbarriere, so dass
mehr und mehr Elektronen das Plasma verlassen.
7.2
Expansionsdynamik
Erste Experimente zur Untersuchung dynamischer Eigenschaften der erzeugten Plasmen
wurden in [192] durchgeführt, wobei hier die Messung der Zeitentwicklung der mittleren
Elektronendichte im Mittelpunkt stand. Analog zu den oben erläuterten Experimenten gelingt der Nachweis des Plasmas durch Detektion von frei werdenden Elektronen, die durch
ein sehr schwaches elektrisches Feld von 1 mV/cm auf einen Detektor beschleunigt werden.
Der typische Verlauf eines auf diese Weise aufgenommenen Elektronensignals ist in Abb.7.5a
dargestellt (durchgezogene Linie). Anfangs tritt hier wiederum ein schmaler Peak auf, welcher das im vorangegangenen Kapitel diskutierte anfängliche Verdampfen von Elektronen
repräsentiert. Zusätzlich wurde das Plasma einem hochfrequenten elektromagnetischen Feld
ausgesetzt. Wie in Abb.7.5a zu sehen ist, wird in diesem Fall ein weiterer Peak im Elektronensignal beobachtet. Die verwendeten Frequenzen von f = 1MHz-250MHz entsprechen
dem Bereich der elektronischen Plasmafrequenzen der experimentell untersuchten Plasmen.
Deshalb ist dieser Peak auf ein resonantes Aufheizen des Elektronengases zurückzuführen.
Weiterhin wird beobachtet, dass sich die entsprechende Resonanzfrequenz im Zuge der Plasmaexpansion zu kleineren Frequenzen verschiebt (Abb.7.5b), was ebenfalls für das Auftreten
eines solchen Heizmechanismus spricht.
7.2 Expansionsdynamik
10
ρe [cm ]
-3
9
10
10
10
75
8
7
6
5
10 0
5
10
15
t [µs]
20
25
30
Abbildung 7.6: Zeitentwicklung der mittleren Elektronendichte für ein Plasma mit Ni (0) =
500000, ρ̄i (0) = 109 cm−3 und Te(0) = 210K. Die Punkte zeigen die experimentellen Resultate
aus [192] und die Linie die Dynamik gemäß Gl.(5.9).
Um aus den gemessenen Resonanzkurven Aussagen über den Zustand des Plasmas treffen zu können, muss dieser in geeigneter Weise mit den beobachteten Spektren in Beziehung
gesetzt werden. Für ein homogenes Plasma findet man ein resonantes Aufheizen der Elektronen bei der elektronischen Plasmafrequenz [240], weshalb die Lage der Resonanz in [192]
mit der mittleren Plasmafrequenz der Elektronen identifiziert wurde. Auf diese Weise konnte
aus der in Abb.7.5b dargestellten Reihe von Resonanzkurven die Zeitabhängigkeit der mittleren Elektronendichte ρ̄e bestimmt werden. In Abb.7.6 ist die so gemessene Evolution der
mittleren Dichte eines Xenon-Plasmas mit 500000 Ionen, einer anfänglichenen Dichte von
ρ̄i = 109 cm−3 und einer Elektronentemperatur von Te (0) = 210 K dargestellt. Ein Vergleich
mit der selbstähnlichen Lösung der Vlasov-Gleichungen [Gln.(5.9)] zeigt, dass die Expansion
des Plasmas in diesem Fall sehr gut durch eine stoßfreie Dynamik im Rahmen der quasineutralen Näherung beschrieben werden kann. Demgegenüber weichen die experimentellen
Resultate bei geringeren Elektronenenergien erheblich von Gln.(5.9) ab, wie Abb.7.7a für
ein Plasma der gleichen Dichte und Teilchenzahl aber einer deutlich geringeren Anfangstemperatur von Te(0) = 2.6 K zeigt. Das Plasma dehnt sich hierbei viel schneller aus als es die
selbstähnliche Lösung der Vlasov-Gleichungen erwarten lässt. In [192] wurde vermutet, dass
diese erhöhte Ausdehnungsgeschwindigkeit auf Korrelationseffekte der Elektronen zurückzuführen sein könnte, da signifikante Abweichungen von Gln.(5.9) erst ab Γ̄e ≈ 1 auftreten.
Allerdings konnte in [103, 254] gezeigt werden, dass sich das beobachtete Expansionsverhalten des Plasmas im Rahmen einer PIC-MCC-Simulation, d.h. ohne die Berücksichtigung von
Elektronenkorrelationen, sehr gut reproduzieren lässt, sofern inelastische Elektronenstöße
wie Dreikörperrekombination, Ionisation, Elektronenstoßanregung und Elektronenstoßabregung, in die theoretische Beschreibung eingebunden werden. In Abb.7.7a ist neben der
selbstähnlichen Lösung der Vlasov-Gleichungen zusätzlich die numerische Lösung der in
Kapitel 5 eingeführten makroskopischen Bewegungsgleichungen dargestellt, die sowohl inelastische Stöße als auch Ion-Ion-Korrelationen berücksichtigen. Es wird deutlich, dass dieser
Ansatz eine sehr gute Beschreibung der experimentellen Resultate liefert. Während Ion-Ion-
76
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
10
9
(a)
8
-3
ρe [cm ]
10
10
10
7
6
5
10 0
10
20
30
t [µs]
40
20
50
60
(b)
Te [K]
15
10
5
0
0
10
t [µs]
20
30
Abbildung 7.7: (a) Zeitentwicklung der mittleren Elektronendichte für ein Plasma mit
Ni (0) = 500000, ρ̄i (0) = 109 cm−3 und Te(0) = 2.6K. Die Punkte zeigen die experimentellen
Resultate aus [192], die gestrichelte Linie die Dynamik gemäß Gln.(5.9) und die durchgezogene Linie die numerische Lösung der makroskopischen Gleichungen aus Kapitel 5. (b)
Zeitentwicklung der Elektronentemperatur für den gleichen Satz von Anfangsbedingungen.
Korrelationen für die Dynamik der mittleren Dichte eine eher untergeordnete Rolle spielen,
wird die Expansion des Plasmas durch inelastische Stöße erheblich modifiziert.
Bei der Bildung eines Rydberg-Atoms durch Dreikörperrekombination geht eines der
beiden Elektronen zu negativen Energien über, während das zweite Elektron die so frei werdende Energie aufnimmt, so dass die Energieerhaltung des Dreikörpersystems erfüllt ist. Das
heißt, während der Bildung eines Rydberg-Atoms erhöht sich die gesamte kinetische Energie des freien Elektronengases um die Bindungsenergie des entstandenen Rydberg-Atoms.
Zusätzlich wird der Bindungszustand der nach der Rekombination sehr hoch angeregten
Rydberg-Atome während der Plasmaexpansion aufgrund von inelastischen Elektron-AtomStößen zu tieferen Energien getrieben, was ebenfalls einen Anstieg der kinetischen Energie
der freien Elektronen zur Folge hat. Wie in Abb.7.7b zu sehen ist, führt diese zusätzlich
zur Verfügung stehende Energie zu einer drastischen Erhöhung der Elektronentemperatur
während der Expansion, weshalb sich das Plasma deutlich schneller als erwartet ausdehnt
7.2 Expansionsdynamik
77
70
60
Te [K]
50
40
30
20
10
0
0
2
4
6
t [µs]
8
10
Abbildung 7.8: Zeitentwicklung der Elektronentemperatur für ein Xenon-Plasma mit
Ni (0) = 1.2 · 106 und ρ̄i (0) = 1.35 · 109 cm−3 für zwei verschiedenen Anfangstemperaturen
Te(0) = 66.67K (weiße Punkte) und Te(0) = 6.67K (schwarze Punkte). Die Linien zeigen die
numerischen Lösungen der makroskopischen Bewegungsgleichungen bei Berücksichtigung
(durchgezogene Linien) und bei Vernachlässigung (gestrichelte Linien) von inelastischen
Stößen.
[103].
Kürzlich ist es gelungen, auch die Dynamik der Elektronentemperatur experimentell zu
bestimmen [252]. Die gemessenen Temperaturen (Punkte) sind in Abb. 7.8 mit der Lösung
der makroskopischen Bewegungsgleichungen (durchgezogene Linien) und der stoßfreien Dynamik (gestrichelte Linien) für ein Xenon-Plasma mit Ni (0) = 1.2·106 , ρ̄i (0) = 1.35·109 cm−3
und zwei verschiedene Anfangstemperaturen Te (0) = 66.67K und Te(0) = 6.67K verglichen.
Für Te = 66.67K sind wiederum beide Rechnungen nahezu identisch. Da die experimentellen Messungen mit einem systematischen Fehler von ≈ 70% behaftet sind [252], wurden die
Temperaturen beider Datensätze um 26% reduziert, um das zu erwartende Hochtemperaturverhalten zu reproduzieren.1 Demgegenüber wird die Zeitentwicklung der Elektronentemperatur für Te (0) = 6.67K entscheidend von der Rekombinationsdynamik der Rydberg-Atome
bestimmt und hängt damit empfindlich von der Form der jeweiligen inelastischen Stoßraten
ab. Die gute Übereinstimmung zwischen der berechneten und der gemessenen Dynamik der
Elektronentemperatur zeigt damit, dass die hier verwendeten Stoßraten und speziell die in
Abschnitt 3.3.3 diskutierte Te9/2-Abhängigkeit der totalen Rekombinationsrate im vorliegenden Parameterbereich eine sehr gute Beschreibung liefern.
Um die Expansionsdynamik über einen großen Parameterbereich zu charakterisieren,
1
Man beachte, dass diese ’Kalibrierung’ das Verhältnis der Ionentemperaturen für die verschiedenen
Anfangstemperaturen der Elektronen unverändert lässt.
78
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
200
v0 [m/s]
100
50
20
10 0
10
10
1
Ee [K]
10
2
10
3
Abbildung 7.9: Expansionsgeschwindigkeit des Plasmas als Funktion der elektronischen Anfangsenergie für Ni = 500000 und ρ̄i (0) = 109 cm−3. Dargestellt sind die Messungen aus
[192], das Verhalten gemäß Gl.(7.10) (gestrichelte Linie) und die Lösung der makroskopischen Gleichungen aus Kapitel 5 (durchgezogene Linie).
wurde in [192] die selbstähnliche Lösung der Vlasov-Gleichungen [vgl. Gln.(5.9)]
ρ̄e =
Ne
[4π (σ(0)2 + v02t2)]3/2
(7.9)
an die gemessene Zeitabhängigkeit der mittleren Elektronendichte gefittet, wobei N e =
const. angenommen wurde. Auch wenn Gl.(7.9) die beobachtete Dynamik der mittleren
Dichte bei geringeren Anfangsenergien der Elektronen nicht ganz so gut beschreibt wie bei
hohen Elektronentemperaturen, lässt sich dennoch auf diese Weise jedem Zeitverlauf der
Dichte eindeutig eine Expansionsgeschwindigkeit v 0 zuweisen. Abb.7.9 zeigt die resultierende Energieabhängigkeit der Expansionsgeschwindigkeit für ein Plasma mit σ(0) = 180 µm
und einer Anfangsdichte von ρ̄e ≈ ρ̄i = 109 cm−3. Bei hohen Energien stimmen die experimentellen Ergebnisse gut mit der Vorhersage der stoßfreien Dynamik
r
kB Te
v0 =
(7.10)
mi
überein. Wie zuvor erläutert wurde, treten bei geringeren Anfangsenergien der Elektronen
jedoch erhebliche Abweichungen von Gl.(7.10) auf. Für 23 Te = Ee /kB < 60K konvergiert
die Expansionsgeschwindigkeit des Plasmas gegen einen konstanten Wert von ca. 40 m/s.
Wie die durchgezogene Linie in Abb.7.7 zeigt, wird dieses Verhalten sehr gut durch das in
Kapitel 5 eingeführte makroskopische Modell für die Plasma-Dynamik beschrieben. Da in
diesem Modell Γ̄e → 0 angenommen wird, ist die Erhöhung der Geschwindigkeit der Plasmaexpansion demnach keine Folge von Elektronen-Korrelationen. Vielmehr muss sie auf ein
drastisches Aufheizen des Elektronengases aufgrund der Bildung von Rydberg-Atomen und
anschließenden inelastischen Elektron-Atom-Stößen zurückgeführt werden [103]. Weiterhin
7.3 Relaxation gebundener Zustände
79
wird deutlich, dass Ion-Ion-Korrelationen keinen signifikanten Einfluss auf die Expansionsdynamik des Plasmas haben, da die hier berechneten Expansionsgeschwindigkeiten nahezu
identisch mit den Resultaten der in [103, 254] durchgeführten PIC-MCC-Simulationen sind.
Dies war in sofern nicht zwingend zu erwarten, da ionische Korrelationen für die hier diskutierten Experimente nicht zu vernachlässigen sind2 .
7.3
Relaxation gebundener Zustände
Die Ursache für den äußerst geringen Einfluss von Ion-Ion-Korrelationen auf die Plasmaexpansion erschließt sich aus einer näheren Betrachtung der Populationsdynamik der RydbergAtome, da diese offenbar für die Erhöhung der Expansionsgeschwindigkeit des Plasmas verantwortlich sind. Hierzu wird im folgenden die Expansion eines Strontium-Plasmas aus 37500
Elektronen und 40000 Ionen mit einer anfänglichen Dichte von ρ̄i (0) = 109 cm−3 und einer
Elektronentemperatur von Te (0) = 13.3 K betrachtet. In Abb.7.10 ist die resultierende Zeitentwicklung der Plasmabreite σ jeweils bei Berücksichtigung und bei Vernachlässigung von
Ion-Ion-Korrelationen dargestellt. Es zeigt sich, dass Ion-Ion-Korrelationen lediglich zu einer
leicht beschleunigten Zunahme der Plasmabreite führen. Die entsprechende Expansionsgeschwindigkeit, die sich aus einem Fit gemäß Gl.(7.9) ergibt, ist praktisch identisch mit dem
Resultat einer ’mean field’-Rechnung (Γi → 0), obwohl sich bei Berücksichtigung von ionischen Korrelationen deutlich mehr Atome während der Plasmaexpansion bilden (Abb.7.11).
Ein Vergleich der HMD-Simulation (Abb.7.11a) mit der numerischen Lösung der makroskopischen Bewegungsgleichungen aus Kapitel 5 (Abb.7.11b) zeigt außerdem, dass die in
Abschnitt 5.3.2 eingeführten Terme für die ionische Korrelationsenergie und den Korrelationsdruck den Einfluss von Ion-Ion-Korrelationen auf die Relaxationsdynamik des Plasmas
sehr gut beschreiben. Während die Atomzahl aus der HMD-Simulation von den Ergebnissen des kinetischen Modells um einen zeitlich nahezu konstanten Faktor abweicht, liefern
dennoch beide Lösungsmethoden eine Erhöhung der Atomzahl um ca. 10%.
Für die Dynamik der Elektronentemperatur erhält man eine ebenso gute Übereinstimmung zwischen den Resultaten der HMD-Simulation (Abb.7.12a) und dem makroskopischen
Lösungsansatz (Abb.7.12b). In Abb.7.12 zeigt sich in beiden Fällen eine leichte Verringerung
der Elektronentemperatur aufgrund von Ion-Ion-Korrelationen, so dass die makroskopischen
Bewegungsgleichungen, trotz der sehr geringen Auswirkung von ionischen Korrelationen, für
eine Interpretation der Simulationsergebnisse herangezogen werden können.
Um den Einfluss von Ion-Ion-Korrelationen auf die Expansionsdynamik näher zu beleuchten, ist die Dynamik der Ionentemperatur zu betrachten. In der frühen Phase der
Plasmaevolution kann in Gl.(5.35c) γ ≈ 0 angenommen werden. In diesem Fall ist die Zeitentwicklung der Ionentemperatur durch
∂
2 ∂Uii
2
(eq)
(7.11)
(kB Ti) = −
= ωp,i Uii − Uii
∂t
3 ∂t
3
−1
bestimmt, so dass die Ionentemperatur auf einer Zeitskala von ω p,i
gegen einen konstan(eq)
ten Wert von ki Ti = 32 Uii konvergiert. Bei Verwendung von Gl.(5.41) für den Gleichgewichtswert der Korrelationsenergie ergibt sich hieraus ein Coulomb-Kopplungsparameter
von Γ̄i = 2.4. Für eine typische Dichte von ρ̄i = 109 cm−3 entspricht dies einer Ionentemperatur von Ti = 1.2K. Wie Gl.(5.35b) zeigt, führt die Erhöhung der Ionentemperatur auf
2
Wie in Abschnitt 7.5.2 näher diskutiert wird, gilt während der gesamten Plasmaexpansion Γ̄i > 2.
80
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
σ [µm]
1000
800
600
400
200
0
0
5
10
15
t [µs]
20
25
Abbildung 7.10: Zeitentwicklung der Breite eines Strontium-Plasmas mit N i(0) = 40000,
ρ̄i (0) = 109 cm−3 und Te(0) = 13.3K. Dargestellt ist die Lösung der makroskopischen Gleichungen bei Berücksichtigung (durchgezogene Linie) und bei Vernachlässigung (gestrichelte
Linie) von Ion-Ion-Korrelationen.
− 32 Uii zu einer Kompensation des negativen ionischen Korrelationsdruckes von 31 Uii , so dass
die Ausbildung von Ion-Ion-Korrelationen insgesamt eine Erhöhung des Druckes um −Uii /3
zur Folge hat. Der erhöhte Druck führt wiederum gemäß Gl.(5.35b) zu einer beschleunigten
Expansion des Plasmas und damit zu einem schnelleren Absinken der Elektronentemperatur
(siehe Abb.7.10 und Abb.7.12).
Eine Abschätzung der anfänglichen Erhöhung des Gesamtdruckes gibt Aufschluss über
die Größenordnung dieses Effektes. Wie bereits erläutert, kann der Gesamtdruck in der
frühen Phase der Plasmaexpansion als kB Te − 31 Uii geschrieben werden. Schätzt man nun
2
die ionische Korrelationsenergie grob durch U ii ≈ − eā ab, so ergibt sich eine Erhöhung
des Druckes um einen Faktor 1 + Γ̄e /3. Der Einfluss von Ion-Ion-Korrelationen auf die Expansionsdynamik ist daher allein durch den Kopplungsgrad der Elektronenkomponente bestimmt3. Damit hat die Ausbildung von ionischen Korrelationen für eine schwach gekoppelte
Elektronenkomponente nur sehr geringe Auswirkungen auf die Expansionsdynamik (Zeitentwicklung der mittleren Dichte, der Elektronentemperatur, etc.) und zwar unabhängig
von anderen Plasmaparametern. Da sich, wie im vorherigen Abschnitt erläutert, das Elektronengas bei geringen Anfangstemperaturen sehr stark aufheizt, nimmt der Faktor 1+ Γ̄e /3
auch für Γ̄e (t = 0) > 1 sehr schnell ab. Daher wird, wie in Abb.7.10 und Abb.7.12 zu sehen,
die Expansionsdynamik auch für geringe Anfangstemperaturen der Elektronen nur marginal
durch die Ausbildung von Ion-Ion-Korrelationen modifiziert. Demgegenüber zieht eine geringe Absenkung der Elektronentemperatur aufgrund der starken Temperaturabhängigkeit
3
Bei Verwendung von Gl.(5.41) an Stelle von U ii = −e2 /ā ergibt sich ein Faktor 1 + 0.224Γ̄e, welcher
ebenfalls nur von Γ̄e abhängt.
-3
10 × Na
7.3 Relaxation gebundener Zustände
8
7
6
5
4
3
2
1
0
7
6
5
4
3
2
1
0
0
81
(a)
(b)
5 10 15 20 25 30 35 40
t [µs]
Abbildung 7.11: Anzahl der rekombinierten Rydberg-Atome aus der HMD-Simulation (a)
und aus den makroskopischen Bewegungsgleichungen (b). Die durchgezogenen Linien zeigen
die Zeitentwicklung der Atomzahl bei Berücksichtigung von Ion-Ion-Korrelationen und die
gepunkteten Linien das Resultat der entsprechenden ’mean field’-Rechnungen. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.10.
der Dreikörperrekombinationsrate eine vergleichweise große Modifikation der Rekombinationsdynamik nach sich. Die
ersichtliche Absenkung der Elektronentemperatur
P aus Abb.7.12
−9/2
um ca. 2% führt wegen
Kdkr(n) ∝ Te
zu einer Erhöhung der totalen Rekombinationsn
rate um 9%. Ein Vergleich mit Abb.7.11 macht deutlich, dass diese simple Abschätzung gut
durch die numerischen Resultate bestätigt wird.
An dieser Stelle stellt sich allerdings die Frage, warum diese Erhöhung der Atomzahl
einen derart geringen Einfluss auf die Dynamik der Elektronentemperatur hat. In einer
naiven Abschätzung würde man erwarten, dass eine Erhöhung der Anzahl von RydbergAtomen um 10% die gesamte Bindungsenergie der Atome ebenfalls deutlich anhebt und
somit die Elektronentemperatur in gleicher Weise ansteigen lässt. Dass dies jedoch nicht der
Fall ist, wird aus Abb.7.13 und Abb.7.14 ersichtlich. In Abb.7.13 ist die Levelverteilung der
Rydberg-Atome zu drei verschiedenen Zeiten t = 1.5 µs, t = 6 µs und t = 40 µs dargestellt.
Die Verteilungen aus der HMD-Simulation weisen aufgrund der endlichen Teilchenzahl des
Systems zu starke Fluktuationen auf, um anhand dieser Daten gesicherte Aussagen über den
vergleichsweise geringen Einfluss von Ion-Ion-Korrelationen auf die Dynamik der Levelver-
82
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
15
1.1
Te / Te(kin)
1.05
(MD)
12
9
1
0
Te [K]
6
3
2
4
6
8
10
t [µs]
(a)
0
12
9
6
3
0
0
(b)
2
4
6
t [µs]
8
10
Abbildung 7.12: Zeitentwicklung der Elektronentemperatur aus der HMD-Simulation (a)
und den makroskopischen Bewegungsgleichungen (b) mit (durchgezogene Linie) und ohne
(gepunktete Linie) Ion-Ion-Korrelationen. Das Inset in (a) zeigt das Verhältnis der mit
beiden Methoden berechneten Temperaturen. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus
Abb.7.10.
teilung treffen zu können. Allerdings zeigt sich wiederum eine sehr gute Übereinstimmung
zwischen den Ergebnissen der HMD-Simulation und den Resultaten aus den makroskopischen Bewegungsgleichungen. Letztere können daher für eine Diskussion der Modifikationen
der Levelverteilung durch ionische Korrelationen herangezogen werden. Wie Abb.7.13 zeigt,
bildet sich schon nach kurzer Zeit ein Maximum bei n ≈ 27 aus. Nach der Bildung der
ersten Rydberg-Atome relaxiert die Besetzungsverteilung der einzelnen Bindungszustände
aufgrund von Elektron-Atom-Stößen auf die entsprechende Saha-Verteilung (vgl. Abschnitt
3.3.3)
R
2
,
S(n) ∝ n exp
kB Te n2
welche mit wachsendem n schnell abfällt. Andererseits nehmen die jeweiligen ElektronAtom-Stoßraten mit sinkendem n ab, was zur Folge hat, dass die Zeitskala für die Relaxation
7.3 Relaxation gebundener Zustände
83
100
50
(b)
(a)
40
NNa(n)
75
Na (n)
NNa(n)
30
20
50
25
10
0
0
50
100
150
n
200
0
0
250
100
50
n
150
200
250
100
(c)
NNa(n)
75
50
25
0
0
50
100
n
150
200
250
Abbildung 7.13: Verteilung der Rydberg-Zustände bei t = 1.5 µs (a), t = 6 µs (b) und
t = 40 µs (c). Die Balken wurden aus der HMD-Simulation berechnet und die durchgezogenen Linien zeigen die Resultate der makroskopischen Bewegungsgleichungen bei Berücksichtigung von ionischen Korrelationen. Die gestrichelte Linie in (c) zeigt die resultierende
Verteilung bei Vernachlässigung von Ion-Ion-Korrelationen. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.10.
auf eine entsprechende Saha-Verteilung für tiefer gelegene Bindungszustände größer ist als
die jeweilige Beobachtungszeit. Dadurch bildet sich schließlich das in Abb.7.13 dargestellte Maximum der Levelverteilung aus. Aufgrund der Abnahme der Elektronentemperatur
während der adiabatischen Expansion des Plasmas (Abb.7.12) nimmt die Zeitskala für eine
Umverteilung der Besetzung tieferer Zustände weiter zu, so dass sich die Levelverteilung, wie
in Abb.7.13b und Abb.7.13c deutlich wird, für geringe n zu späteren Zeiten kaum verändert
und sich eine quasistationäre Verteilung ausbildet [211, 287]. Gleichzeitig werden nun jedoch
mehr und mehr hoch angeregte Zustände bevölkert, da das thermische Kontinuumslimit
Eb,max = kB Te [128, 302] (vgl. Abschnitt 3.3.3) im Zuge der Expansion rapide abnimmt.
Der größte Anteil an ’zusätzlicher’ kinetischer Energie wird demzufolge während der ersten µs der Expansion freigesetzt. Später nimmt zwar die Atomzahl weiter zu, die gesamte
Bindungsenergie der Rydberg-Atome steigt jedoch kaum an (Abb.7.14), weshalb die Elektronentemperatur nur noch schwach beeinflusst wird. Wie Abb.7.14 weiterhin zeigt, findet
man nur eine geringe Erhöhung der gesamten Bindungsenergie durch Ion-Ion-Korrelationen.
84
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
15
Eb / N
10
5
0
0
10
20
t [µs]
30
40
Abbildung 7.14: Zeitentwicklung der Bindungsenergie pro Teilchen (N = N a + Ni = const.)
mit (durchgezogene Linie) und ohne (gestrichelte Linie) Ion-Ion-Korrelationen. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.10.
Die Ursache hierfür liegt darin, dass die leichte Erhöhung der Expansionsgeschwindigkeit v0
sich erst dann signifikant auf die Dynamik der Elektronentemperatur und damit der Rekombinationsrate auswirkt, wenn v0 t > σ(0) [vgl. Gl.(7.9)] erreicht ist. Für die charakteristische
Expansionsgeschwindigkeit von v0 ≈ 40m/s ergibt dies einen Zeitrahmen von t ≈ 2.5µs, was
in guter Übereinstimmung mit Abb.7.11 und Abb.7.12 steht. Zu diesem Zeitpunkt nehmen
die Elektron-Atom-Stoßraten jedoch schon so stark ab, dass neu gebildete Rydberg-Atome,
welche in sehr hoch angeregte Zustände rekombinieren, im weiteren Verlauf der Relaxationsdynamik nicht mehr genügend abgeregt werden, um einen bedeutenden Beitrag zur
gesamten Bindungsenergie leisten zu können. Der weitere Anstieg der Bindungsenergie für
t > 2.5 µs wird hauptsächlich durch Rydberg-Atome hervorgerufen, die sich zeitlich vorher gebildet haben und im Zuge der Expansion zu tieferen Zuständen getrieben werden. Die
Elektronentemperatur wird daher während der Plasmaexpansion nur sehr schwach durch die
Ausbildung von ionischen Korrelationen beeinflusst (< 3%), während die Atomzahl jedoch
signifikant erhöht wird.
7.4 Relaxation der Ionentemperatur
85
1.2
1.2
(b)
(a)
0.9
<Ti> [K]
<Ti> [K]
0.9
0.6
0.3
0.3
0.0
0
0.6
4
8
t [µs]
12
16
20
0.0
0
0.25
0.5
t [µs]
0.75
1
Abbildung 7.15: Zeitentwicklung der mittleren Ionentemperatur aus den HMD-Simulationen
(durchgezogene Linie) und den makroskopischen Bewegungsgleichungen (gestrichelte Linie).
Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.10.
7.4
Relaxation der Ionentemperatur
Wie die bisherigen Betrachtungen dieses Kapitels gezeigt haben, kann der Einfluss der stark
korrelierten Ionendynamik auf die Zeitentwicklung experimentell zugänglicher Observable
erstaunlich gut durch die makroskopischen Modellgleichungen aus Kapitel 5 beschrieben werden. Weiterhin stellte sich heraus, dass die Expansionsdynamik des Plasmas trotz Γ̄i (0) 1
vergleichsweise gering durch Ion-Ion-Korrelationen modifiziert wird, so dass die in [103, 254]
verwendete ’mean field’-Behandlung der Expansionsdynamik eine hinreichend akkurate Beschreibung der in [173, 174, 192] durchgeführten Experimente gewährleistet. Vor dem Hintergrund der Erzeugung eines stark korrelierten Plasmas, die eine der zentralen Motivationen
der frühen Experimente [173] darstellte, ist jedoch auch die Dynamik der Ionentemperatur
selbst von zentralem Interesse, da die Elektronen, wie zuvor erläutert, aufgrund der Aufheizung durch die Bildung von Rydberg-Atomen keine starke Kopplung ausbilden können.
Die Kurzzeitdynamik der Ionentemperatur, d.h. das anfängliche Aufheizen der Ionen
wurde in [228] für ein homogenes Modellsystem diskutiert. Wie Abb.7.15a zeigt, wird sowohl die Zeitskala dieses Prozesses als auch der anschließende Zeitverlauf der mittleren Ionentemperatur hTii [vgl. Gl.(6.5)] sehr gut durch das makroskopische Modell reproduziert.
Allerdings zeigt der Vergleich außerdem (Abb.7.16b), dass einige Details des Relaxationsprozesses erwartungsgemäß nicht durch die Relaxationszeitnäherung aus Abschnitt 5.3.2
beschrieben werden können. Aus Abb.7.15b ist ersichtlich, dass die Relaxation der Ionentemperatur mit transienten Oszillationen verbunden ist, die durch den linearen Ansatz der
Relaxationszeitnäherung natürlich nicht beschrieben werden können.
Ein derartiges Verhalten wurde auch in Molekular-Dynamik-Simulationen von homogenen Plasmen beobachtet [225, 314]. Quantenmechanische, kinetische Rechnungen, die jedoch
auf Γi < 1 beschränkt sind, zeigen ebenfalls leichte Temperaturoszillationen während der
Relaxation. Diese nicht-exponenzielle Relaxationsdynamik, als Folge der Dominanz von kollektivem Verhalten gegenüber der statistischen thermischen Ionendynamik, ist eindeutig
auf die starke Kopplung der Ionen zurückzuführen, da signifikante Oszillationen erst für
Γi (0) > 0.5 auftreten [314]. Während in [314] anfängliche Coulomb-Kopplungsparameter
von Γi (0) ≤ 10 betrachtet wurden, liegen in den hier zu untersuchenden ultrakalten Plasmen
86
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
0.4
2
kB<TiT>i/⋅(e /a0)
0.3
0.2
0.1
0
0
1
2
3
ωp,i(0)⋅t
4
5
6
Abbildung 7.16: Zeitabhängigkeit der mittleren Ionentemperatur für Plasmen mit Γ̄e (0) =
0.09, Ni = 100000 (durchgezogene Linie) und Ni = 40000 (gestrichelte Linie).
Werte von Γ̄i (0) ≈ 104 vor [173], weshalb im vorliegenden Fall stärkere Temperaturoszillationen zu erwarten sein sollten. Dennoch sind die Oszillationen der hier simulierten Plasmen, in
Übereinstimmung mit experimentellen Beobachtungen [171], deutlich schwächer und werden
sehr viel schneller ausgedämpft als in den in [225, 314] simulierten Plasmen. Die wesentlichen Unterschiede zu den in [225, 314] simulierten Systemen, die das erhöhte Ausdämpfen
der Temperaturoszillationen erklären könnten, bestehen in der Inhomogenität der Ionendichte und der Expansion des Plasmas. Diese beiden Aspekte werden im folgenden näher
betrachtet.
Um ausschließlich den Einfluss der Expansion auf die Dynamik der Ionentemperatur
zu untersuchen, wird hier die Relaxation zweier Plasmen mit N i (0) = 40000 und Ni (0) =
100000 und einem kleinen elektronischen Kopplungsparameter von Γ̄e (0) = 0.09 diskutiert. Dreikörperrekombination und inelastische Elektron-Atom-Stöße können deshalb auf
den hier zu betrachtenden Zeitskalen vernachlässigt werden. In diesem Fall lässt sich der
Anfangszustand und die Dynamik des Plasmas allein durch die Ionenzahl und den elektronischen Coulomb-Kopplungsparameter charakterisieren, sofern Zeiten und Längen in Einheiten der anfänglichen ionischen Plasmafrequenz und des anfänglichen mittleren Wigner-SeiztRadius angegeben p
werden (vgl. Anhang B). Insbesondere ergibt sich für die Expansionszeit
1/3
Γ̄e (0), so dass die obigen Anfangsparameter eine unterschiedliche Exωp,i(0)τexp ∝ Ni
pansiongeschwindigkeit bei ansonsten identischen Bedingungen garantieren. Wie Abb.7.16
deutlich macht, hat die Expansion des Plasmas auch in der frühen Phase der Ionenrelaxation
einen signifikanten Einfluss auf die Zeitentwicklung der Ionentemperatur. Bei einer schnelleren Ausdehnung weist der Zeitverlauf der Ionentemperatur einen geringeren Maximalwert
auf, da in diesem Fall die Ionendichte auf der Zeitskala der ionischen Plasmafrequenz deut-
7.4 Relaxation der Ionentemperatur
87
0.4
2
kB<Ti>/(e /a0)
0.3
0.2
0.1
0
0
1
2
3
4
ωp,i(0)⋅t
5
6
7
Abbildung 7.17: Zeitentwicklung der mittleren Ionentemperatur für ein Plasma mit Ni =
400000 und Γ̄e (0) = 0.07.
lich schneller abfällt. In Folge dessen verringert sich die Gleichgewichtskorrelationsenergie U ii
und gemäß Gl.(7.11) damit auch die Ionentemperatur. Der anschließende schnellere Abfall
der Temperatur ist hauptsächlich auf die erhöhte adiabatische Abkühlung des Ionengases
zurückzuführen. Außerdem fällt auf, dass die Oszillationen bei einer höheren Expansionsgeschwindigkeit deutlich stärker ausgedämpft werden. Dass die Plasmaexpansion jedoch nicht
der dominante Mechanismus der erhöhten Dämpfung der Temperaturoszillationen ist, macht
Abb.7.17 deutlich. Hierbei wurde die Expansion eines Plasmas mit Γ̄e (0) = 0.07 und einer
sehr großen Ionenzahl von Ni = 400000 simuliert. Obwohl die Dichte aufgrund der großen
Teilchenzahl während der ersten vier inversen Plasmafrequenzen nahezu konstant ist, werden
die Temperatur-Oszillationen deutlich stärker ausgedämpft als in den Molekular-DynamikSimulationen aus [314].
Die Auswirkung der Dichteinhomogenität auf die Relaxationsdynamik erschließt sich
aus einer ortsaufgelösten Betrachtung der Ionentemperatur. Hierzu ist in Abb.7.18 die Zeit(σ/2)
entwicklung der Ionentemperatur Ti,lok
(0, t) [vgl. Gl.(6.4)] für das Plasma aus Abb.7.17
dargestellt, die nun nicht aus dem gesamten Plasmavolumen, sondern aus einer zentralen
Kugel mit dem Radius 21 σ(t) bestimmt wurde. Da die Ionendichte am Rand dieses Raumbereiches nur um ca. 10% kleiner ist als die zentrale Dichte, sind Dichte-Inhomogenitäten
hierbei nur von geringer Bedeutung. Die Oszillationen sind in diesem Fall viel ausgeprägter
(z)
(z)
und eine Oszillationsperiode von ν0−1 /2 = π/ωp,i
(0) ist deutlich zu erkennen, wobei ωp,i
(0)
die ionische Plasmafrequenz im Zentrum des Plasmas zum Zeitpunkt t = 0 bezeichnet.
Um die entsprechende Dämpfungsrate zu bestimmen, ist in Abb.7.19 die Differenz zwischen
den Temperaturmaxima zum Zeitpunkt t = t1 und den Temperaturminima zum Zeitpunkt
t = t2 ≈ t1 ±ν0−1 /4 als Funktion von tm = (t1 +t2 )/2 aufgetragen. Wie man sieht, werden die
Temperaturoszillationen auf einer Zeitskala von ν 0−1 exponenziell ausgedämpft, was plausibel
erscheint, da die Relaxationszeit der ionischen Geschwindigkeitsverteilung [38, 39] für Γi > 1
der inversen Plasmafrequenz entspricht [314]. Die erhöhte Dämpfung der Temperaturoszilla-
88
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
Ti/(e /a0)
kBTi,lok
0.6
2
0.4
(0)
(σ/2)
0.2
0
0
0.5
1
2
1.5
ν0 t
Abbildung 7.18: Zeitentwicklung der mittleren Ionentemperatur, bestimmt aus einer zentralen Kugel mit dem Radius R = σ/2. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.17.
0.3
kB ∆Ti/(e /a0)
∝exp(-ν0t)m )
2
0.2
0.1
0.07
0
0.5
1
ν0t m
1.5
2
Abbildung 7.19: Zeitabhängigkeit der Amplitudendifferenz der in Abb.7.18 dargestellten
Oszillationen.
tionen ist somit keine Folge einer erhöhten Stoßrate o.ä., sondern liegt vielmehr in der Mittelung über das inhomogene Dichteprofil des Plasmas begründet. Wie die, in Abb.7.20 dar(0)
gestellte, räumlich und zeitlich aufgelöste Dynamik der lokalen Ionentemperatur Ti,lok
(r, t)
[vgl. Gl.(6.4)] zeigt, treten während der Relaxation räumlich lokale Temperaturoszillationen auf, deren Periodendauer aufgrund der nach außen abfallenden Dichte mit wachsendem
Abstand zum Plasmazentrum zunimmt. Aus dieser Ortsabhängigkeit der Frequenz resultieren wiederum radiale Oszillationen der lokalen Ionentemperatur (siehe Abb.7.21). Wie man
sich leicht klarmacht, führt eine radiale Mittelung über alle Oszillationsperioden zu einem
scheinbar erhöhten Ausdämpfen der Oszillationen der mittleren Temperatur hT ii.
Kürzlich ist es gelungen, experimentelle Aussagen über die Dynamik der kinetischen
Energie der Ionen zu treffen [279]. Hierbei wurde die kinetische Energie
2 /2
E|| = mi vi,||
0,∞
7.4 Relaxation der Ionentemperatur
89
(0)
2
kBTi,lok /(e /a 0)
0.8
0.6
""!!"! ""!!"! ""!!"! ""!!"! ""!!"! ""!!"! "!"!! "!"!! "!"!!"!"!! "!"!! "!"!! 0.4
"""!! """!! """!!"""!! """!! """!! "!"!"!!"!"!"!! "!"!"!! "!"!"!! "!"!"!! "!"!"!! """""" 0.2
0.0
0.5
1.0
&%&%% &%&%%&%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &&&%% &&&%%&&&%% &&&%% &&&%% &&&%% &&&%% &&&%% &&&%% 1.5
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&%&%%&%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &%&%% &%&%% σ 2.0
&&&&&&&&&
2.5
3.0
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Abbildung 7.20: Räumlich und zeitlich aufgelöste Dynamik der Ionentemperatur. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.17.
entlang einer vorgegeben Richtung durch Bestimmung der Dopplerbreite des 2 S1/2 −2 P1/2Übergangs eines ultrakalten Strontium-Plasmas gemessen. Das anfängliche Aufheizen der
Ionen konnte auf diese Weise bereits nachgewiesen werden, wobei sowohl die experimentell
bestimmte Zeitskala für den Temperaturanstieg als auch der Maximalwert der Ionentemperatur gut mit den theoretischen Vorhersagen übereinstimmen [279]. In neueren, genaueren
Messungen wurden außerdem die hier diskutierten Oszillationen der Ionentemperatur beobachtet. Die gemessene charakteristische Zeitskala für die Dämpfung der Oszillationen stimmt
dabei sehr gut mit den Rechungen dieser Arbeit überein [171], was als indirekter Nachweis
für die, in Abb.7.20 und Abb.7.21 dargestellten, räumlichen Temperaturoszillationen angesehen werden kann.
Die vollständige Dynamik der Ionentemperatur lässt sich mit dieser Methode jedoch
nicht experimentell untersuchen, da die kinetische Energie E || neben der thermischen Ionenenergie auch die Energie aus der gerichteten Expansionsbewegung enthält. Während die Expansionsenergie anfangs vernachlässigbar ist, liefert sie zu späteren Zeiten den dominanten
Beitrag zu E|| , was eine experimentelle Bestimmung der Temperatur enorm erschwert. Um
Aufschluss über das Langzeitverhalten der Ionentemperatur zu erlangen, welche wichtige
Aussagen über den Kopplungsgrad der erzeugten Plasmen zulässt, ist daher eine theoretische Modellierung der Plasmadynamik unerlässlich. Im folgenden Abschnitt wird dieses
Problem, d.h. die Langzeitdynamik der Coulomb-Kopplungsparameter des Plasmas, eingehend untersucht.
90
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
0.6
0.4
0.3
0.1
ν0t=0.93
0.3
2
k TT / (e /a0)
0.4
0.1
ν0t=1.51
(0)
B i,lok
i
0.4
0.3
0.2
ν0t=2.09
0.1
0.4
0.3
0.2
ν0t=2.55
0.1
0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
r/σ
Abbildung 7.21: Ortsabhängigkeit der Ionentemperatur zu verschiedenen Zeitpunkten. Die
Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.17.
7.5 Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters
7.5
7.5.1
91
Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters
Elektronischer Coulomb-Kopplungsparameter
Betrachtet man die stoßfreie Expansionsdynamik des Plasmas, so zeigt sich, dass die adiabatische Ausdehnung gemäß Te(t)σ 2(t) = const. und Gl.(5.13) zu einer Abkühlung der Elekt→∞
tronen und zu einem Coulomb-Kopplungsparameter Γ̄e (t) ∝ σ ∝ t führt. Unabhängig
vom Anfangszustand des Plasmas würde die elektronische Komponente demzufolge beliebig
starke Korrelationen ausbilden. Andererseits werden die Elektronen, wie in Abschnitt 7.2
erläutert, im Zuge der Plasmaexpansion zusätzlich aufgeheizt, so dass sich die Frage nach
der Zeitentwicklung des elektronischen Coulomb-Kopplungsparameters mit dieser simplen
Argumentation nicht beantworten lässt.
Die Dynamik von Γ̄e ist nicht nur aus physikalischer Sicht interessant, sondern vor allem für die in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagenen Methoden zur Beschreibung der
Plasmaexpansion von großer Bedeutung, da eine Reihe von wichtigen Näherungen Γ̄e < 1
voraussetzen. So werden zum Beispiel Elektron-Elektron-Korrelationen und Abschirmeffekte
der Ion-Ion-Wechselwirkung vernachlässigt, was für Γ̄e > 1 nicht mehr gerechtfertigt wäre,
wobei dann die hydrodynamische Beschreibung des Elektronengases zusammenbricht. Die
Beschreibung von elastischen und inelastischen Stößen im Rahmen der Boltzmann-Näherung verliert für Γ̄e > 1 ebenfalls ihre Gültigkeit. Auch die hier verwendeten Stoßraten
für inelastische Elektron-Atom-Stöße (vgl. Gl.(3.28)-(3.30)) sind in diesem Fall nicht mehr
sinnvoll, da die maximale Größe von rekombinierten Rydberg-Atomen
rmax = aB n2max = e2 /kB Te = Γ̄e ā
(7.12)
für Γ̄e > 1 größer als der mittlere Teilchenabstand wird.
Die Zeitentwicklung des elektronischen Coulomb-Kopplungsparameters wurde in [103]
im Rahmen einer PIC-MCC-Simulation untersucht. Wie in Abschnitt 7.3 erläutert wurde,
wird die Dynamik der mittleren Dichte und der Elektronentemperatur nur schwach durch
Ion-Ion-Korrelationen modifiziert, weshalb die Resultate der vorliegenden Methode für die
Dynamik von Γ̄e mit denen aus [103] nahezu identisch sind. In Abb.7.22 ist die Zeitentwicklung des elektronischen Coulomb-Kopplungsparameters für zwei verschiedene Plasmen mit
Ni (0) = 40000 bzw. 100000, ρ̄i = 109 cm−3 bzw. 1.3 · 109 cm−3 und Te(0) = 13.3 K bzw.
33.3K dargestellt. Neben den numerischen Resultaten der HMD-Simulation ist in Abb.7.22
außerdem die Zeitentwicklung von Γ̄e gemäß der selbstähnlichen Lösung
s
2
v0
Γ̄e (t) = Γ̄e (0) 1 +
(7.13)
t
σ(0)
der Vlasov-Gleichungen enthalten. Wie man sieht, steigt Γ̄e im Fall einer stoßfreien Dynamik schnell an, so dass die Flüssigkeitsbeschreibung der elektronischen Komponente innerhalb der hier interessierenden Zeitskala zusammenbrechen würde. Bei Berücksichtigung
von Dreikörperrekombination und inelastischen Elektron-Atom-Stößen ergibt sich jedoch ein
vollkommen anderes Verhalten. Bei hohen Temperaturen steigt Γ̄e anfangs gemäß Gl.(7.13)
an, läuft dann jedoch gegen einen konstanten Wert von ≈ 0.25. Bei kleineren Temperaturen
Te(0), für die der entsprechende Coulomb-Kopplungsparameter größer als der Plateauwert
ist, fällt Γ̄e anfangs ab, durchläuft ein Minimum und konvergiert dann wiederum gegen
92
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
1.00
0.75
Γe
0.50
0.25
0.00
0
10
20
30
40
ωp,i(0)t
50
60
70
Abbildung 7.22: Zeitentwicklung des elektronischen Coulomb-Kopplungsparameters. Die roten Linien zeigen die Dynamik von Γ̄e für ein Plasma mit Ni(0) = 40000, ρ̄i (0) = 109 cm−3
und Te (0) = 13.3 K, während die blauen Linien für ein Plasma mit Ni (0) = 100000,
ρ̄i = 1.3 · 109 cm−3 und Te(0) = 33.3 K berechnet wurden. Neben den Resultaten der HMDSimulationen (durchgezogene Linien) ist außerdem die Zeitentwicklung von Γ̄e gemäß der
stoßfreien Dynamik Gl.(7.13) (gestrichelte Linien) dargestellt.
einen konstanten Wert von ≈ 0.25. Die Dynamik des elektronischen Kopplungsparameters
wurde für einen großen Satz von Anfangsbedingungen der bisher experimentell realisierten
Parameter berechnet. Dabei zeigt sich, dass Γ̄e im Zuge der Expansion unabhängig von den
anfänglichen Plasmaparametern einen konstanten Wert zwischen 0.15 und 0.25 annimmt
[103]. Es ist offenbar das Zusammenspiel von inelastischen Stößen, die Γ̄e absenken, und der
Plasmaexpansion, die eine Erhöhung von Γ̄e zur Folge hat, das letztlich zu einem konstanten
Wert des elektronischen Coulomb-Kopplungsparameters führt. Die Expansion ist in diesem
Fall nicht mehr durch das adiabatische Gesetz der stoßfreien Dynamik ρ̄ −2/3
Te = const.
e
charakterisiert, sondern kann mit Γ̄e = const. für große Zeiten durch die Relation
σTe ∝ ρ̄e−1/3 Te = const.
(7.14)
beschrieben werden.
7.5.2
Ionischer Coulomb-Kopplungsparameter
Wie im letzten Abschnitt diskutiert wurde, ist das Elektronengas während der gesamten
Plasmaexpansion nur schwach gekoppelt. Die Temperatur der Ionen, welche bei einem inelastischen Stoß praktisch keine Energie aufnehmen, verhält sich jedoch gänzlich anders.
7.5 Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters
93
Neben dem anfänglichen Aufheizen des Ionengases existiert bis auf elastische Elektron-IonStöße kein zusätzlicher Heizmechanismus, der die Temperatur der Ionen erhöhen könnte.
Wegen des großen Massenverhältnisses mi/me ist die entsprechende Heizrate für ElektronIon-Stöße jedoch zu gering, um, wie im Fall der Elektronentemperatur, die Abkühlung durch
die adiabatische Expansion zu kompensieren (vgl. Abschnitt 3.3.3). Man würde deshalb erwarten, dass der Coulomb-Kopplungsparameter der Ionen im Verlauf der Expansion nach
anfänglichem Abfall wieder ansteigt und sich somit ein stark gekoppeltes Plasma bildet.
Diese Frage konnte mit bisherigen Methoden nicht geklärt werden, da volle MolekularDynamik-Simulationen zwar die stark gekoppelte Ionendynamik beschreiben, aber nicht die
erforderlichen Teilchenzahlen und Simulationszeiten erreichen können [194, 195, 213] und
PIC-MCC-Simulationen Korrelationseffekte völlig vernachlässigen [103, 254]. Mit der hier
vorgeschlagenen HMD-Methode, welche gewissermaßen die Vorzüge beider Verfahren vereint, lässt sich jedoch die Langzeitdynamik des Gesamtsystems unter Berücksichtigung von
Ion-Ion-Korrelationen auf experimentell realistischen Zeitskalen beschreiben.
In Abb.7.23 ist die Zeitentwicklung des mittleren ionischen Kopplungsparameters für ein
Plasma mit Ni (0) = 40000, ρ̄i (0) = 3 · 109 cm−3 und Te (0) = 45K dargestellt. Da sich die
Dichte und die kinetische Energie der Ionen experimentell bisher nur separat bestimmen
lassen, erscheint es vorerst sinnvoll den Parameter
Γ̄i =
e2
kB T̄i ā
(7.15)
zu betrachten. Wie aus Abb.7.23 ersichtlich, fällt der Coulomb-Kopplungsparameter anfangs
auf einen Minimalwert von ≈ 2.1 ab. Dieser stimmt mit dem sich aus der Energieerhaltung
3
(eq)
kB Ti = Uii
2
(7.16)
und Gl.(5.41) ergebenden Wert von Γ̄i = 2.4 gut überein. Im weiteren Verlauf der Plasmaexpansion steigt der Kopplungsparameter in der Tat wieder an und beträgt nach 65
inversen Plasmafrequenzen Γ̄i ≈ 20, ein Wert, der für derart geringe Dichten und damit
für experimentell auflösbare Relaxationszeiten in konventionellen Hochtemperaturplasmen
nicht erreicht werden kann.
Man muss sich jedoch die Frage stellen, ob der in Gl.(7.15) definierte Parameter tatsächlich den Kopplungsgrad des Plasmas angibt, da dieser die Eigenschaften der ionischen
Komponente nur im lokalen Gleichgewicht eindeutig charakterisiert [81, 152]. Während die
Geschwindigkeitsverteilung der Ionen nach kurzer Zeit auf eine Maxwell-Verteilung relaxiert (vgl. Abschnitt 6.4) und diese Form aufgrund der Koinzidenz der stoßfreien Lösung
mit der Gleichgewichtsverteilung (vgl. Abschnitt 5.2) zu späteren Zeiten beibehält, kann
für die Zweiteilchenverteilung kein lokales Gleichgewicht vorausgesetzt werden, da die typischen ionischen Relaxationszeiten [38, 39, 314] von der Größenordung der charakteristischen
hydrodynamischen Zeitskalen [136] sind.
Um den Einfluss der Expansion auf das Relaxationsverhalten der Zweiteilchenverteilungsfunktion und die Frage nach dem in ultrakalten Plasmen realisierten Kopplungsgrad
zu untersuchen, wird im folgenden die Verteilung der Ionenabstände zu verschiedenen Zeitpunkten berechnet. Aufgrund der Inhomogenität der Dichte hat diese Verteilung zunächst
keinen hohen Informationsgehalt. Der Einfluss der Dichteinhomogenität lässt sich jedoch
auf einfache Weise eliminieren, indem man die Ionenabstände gemäß r̃i,ij = alokri,ij mit dem
94
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
15
12
Γi
9
6
3
0
0
20
40
60
ωp,i(0)⋅t
Abbildung 7.23: Zeitentwicklung des mittleren ionischen Coulomb-Kopplungsparameters für
ein Strontium-Plasma mit Ni (0) = 40000, ρ̄i (0) = 3 · 109 cm−3 und Te(0) = 45K.
lokalen Wigner-Seizt-Radius
4
alok(ri,i , ri,j ) = πρi
3
|ri,i + ri,j |
2
−1/3
(7.17)
skaliert. Dieses Vorgehen ergibt natürlich nur dann einen Sinn, wenn die Dichte auf der
Längenskala der zu betrachtenden Abstände nur schach variiert. Dies wurde getestet, indem
an Stelle von alok(ri,i , ri,j )
−1/3
4
amin(ri,i , ri,j ) = πρi(rmin )
, rmin = min(ri,i , ri,j )
(7.18)
3
bzw.
−1/3
4
, rmax = max(ri,i , ri,j )
(7.19)
amax(ri,i , ri,j ) = πρi (rmax )
3
zur Skalierung der Ionenabstände verwendet wurden. Die Verteilungen der entsprechend
skalierten Abstände sind in allen drei Fällen nahezu identisch4. Daher kann dieses so skalierte System in guter Näherung auch als isotrop angenommen werden, weshalb es sinnvoll
erscheint die Abstandsverteilung P (r̃) mit der Korrelationsfunktion c ii (r/a, Γ(fit)
) eines hoi
(fit)
mogenen Plasmas zu identifizieren. Damit lässt sich durch einen Fit von cii(r/a, Γi ) an die
4
Die gute Übereinstimmung der drei Verteilungen liefert nachträglich eine numerische Rechtfertigung für
die in Abschnitt 5.3.2 eingeführten Annahmen zur Ableitung der LDA-Ausdrücke für die ionische Korrelationsenergie und den ionischen Korrelationsdruck.
7.5 Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters
1.25
1.00
(a)
95
(b)
0.75
0.50
0.25
0.00
(c)
1.00
~ )
P(r/a
P(r)
loc
Γi=3.5
Γi=7.5
(d)
0.75
0.50
Γi=8.2
0.25
0.00
0
1
2
3
4
5
0
1 ~
r/a
r
loc
Γi=13.0
2
3
4
5
6
Abbildung 7.24: Verteilung der gemäß Gl.(7.17) skalierten Ionenabstände innerhalb einer
Kugel mit dem Radius 1.5σ (Punkte) zu vier verschiedenen Zeiten: t = 0.6ω p,i (0)−1 (a),
t = 1.1ωp,i (0)−1 (b), t = 19ωp,i (0)−1 (c) und t = 120ωp,i (0)−1 (d). Die Linien zeigen die dem
angegebenen Kopplungsparameter entsprechenden Korrelationsfunktionen eines homogenen
Plasmas [141]. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.7.23.
(fit)
berechneten Abstandsverteilungen jeder Verteilung eindeutig ein Kopplungsparameter Γ i
zuordnen. Dass der auf diese Weise bestimmte Kopplungsparameter Γ (fit)
in der Tat den
i
Kopplungsgrad der ionischen Komponente charakterisiert, wird in Abb.7.24 verdeutlicht.
Die berechneten Abstandsverteilungen sind hier zusammen mit der gefitteten Korrelationsfunktion aus [141] (vgl. Anhang D) zu vier verschiedenen Zeiten dargestellt. Die Verteilungen
wurden dabei aus einer zentrierten Kugel mit dem Radius R = 3σ/2 bestimmt. Erwartungsgemäß findet man eine eher mäßige Übereinstimmung zwischen P (r̃) und cii (r/a) während
des anfänglichen Aufheizens der Ionen (Abb.7.24a), da sich das System in dieser Phase
fernab von einem lokalen Gleichgewicht befindet. Für t > ωp,i (0)−1 wird die numerisch
bestimmte Abstandsverteilung für kleine Abstände sehr gut durch die angefittete Korrelationsfunktion beschrieben, so dass der entsprechende Kopplungsparameter ein verlässliches
Maß für die Korrelationslänge der ionischen Komponente darstellt. Im weiteren Verlauf der
Plasmadynamik nimmt die Qualität des Fits weiter zu und es zeigt sich selbst während der
transienten Oszillationen der kinetischen und potenziellen Energie eine sehr gute Überein-
96
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
20
(stat)
ωp,i(0) τkorr
i
Γi Γ
, Γi
(K)
15
10
ωp,i(0) τ
(0)
10
2
10
ωp,i(0) τdyn
1
5
10
0
0
25
50
0
6
ωp,i(0)⋅t
10
75
30
ωp,i(0)t
60
100
100
Abbildung 7.25: Zeitentwicklung der Kopplungsparameter Γ (fit)
(durchgezogene Linie) und
i
(stat)
hΓi i3σ/2 (gestrichelte Linie). Das Inset zeigt die Zeitskalen τ korr = ωp,i (gestrichelte Linie)
−1
hΓi i (durchgezogene Linie). Die Plasmaparameter entsprechen denen
und τdyn = dtd hΓi i
aus Abb.7.23
stimmung zwischen P (r̃) und cii(r/a).
Wenngleich diese Übereinstimmung vermuten lässt, dass sich die ionische Komponente auch für große Zeiten in einem lokalen Gleichgewicht befindet (vgl. Abb.7.24d), kann
diese Frage nur durch einen Vergleich mit dem aus der Ionendichte und Ionentemperatur
bestimmten Kopplungsparameter beantwortet werden. Wie in Anhang D diskutiert wird,
ist Γ(fit)
mit
i
Z R
4πr2 e2
−1
hΓi iR = Ni
ρi (r)dr
(7.20)
(0)
0 a(r)kB Ti,lok(r)
nahezu identisch, sofern sich die ionische Komponente in einem lokalen Gleichgewicht befindet. In Abb.7.25 ist die Zeitentwicklung von hΓ i i3σ/2 und Γ(fit)
für die Parameter aus
i
Abb.7.23 dargestellt. Anfangs fällt hΓi i3σ/2 im Zuge der Aufheizung der Ionen rapide ab,
(fit)
während Γi
auf der gleichen Zeitskala ansteigt, was die Ausbildung räumlicher Ionenkorrelationen reflektiert. Für t > ωp,i(0)−1 treten gegenphasige Oszillationen der beiden
Kopplungsparameter auf, die auf die in Abschnitt 7.4 erläuterten transienten Oszillationen
der thermischen Energie zurückzuführen sind. Bedingt durch die Energieerhaltung zeigen
die Oszillationen der Ionentemperatur die gleiche Phase und Frequenz wie die der Korrela(fit)
tionsenergie. Da hΓi iR proportional zur inversen Ionentemperatur und Γ i eine monoton
steigende Funktion von −Uii ist, führt dies zu gegenphasigen Schwingungen der Kopplungsparameter. Abgesehen von diesen relativ schnell ausgedämpften Oszillationen stimmen beide
Parameter über einen gewissen Zeitraum gut miteinander überein. Bei ωp,i (0)t ≈ 28 laufen
7.5 Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters
97
γ⋅ρ
vth
v
ρ
Abbildung 7.26: Schematische Darstellung eines Ion-Ion-Stoßes (siehe Text).
jedoch beide Kurven wiederum auseinander, wobei hΓ i i3σ/2 weiter ansteigt, während Γ(fit)
i
gegen einen konstanten Wert von Γ(fit)
≈ 13 konvergiert. Offensichtlich vollzieht sich die
i
Relaxation der ionischen Zweiteilchenverteilungsfunktion nicht mehr schnell genug, um der
ständigen Änderung der Dichte und der Temperatur zu folgen. In Folge dessen kann sich kein
lokales Gleichgewicht einstellen. Der in Abb.7.25 dargestellte Vergleich zwischen der gemäß
(stat)
−1
τdyn = hΓi i / dtd hΓi i definierten Zeitskala und der statischen Korrelationszeit τ corr
≈ ωp,i
zeigt zwar, dass beide Zeitskalen von der selben Größenordnung sind. Allerdings lässt sich
(fit)
−1
daraus kein ersichtlicher Grund erkennen, weshalb hΓ i i und Γi bei t ≈ 28ωp,i
auseinan(stat)
derlaufen sollten, da während der gesamten Expansion τdyn > τcorr gilt. Offenbar führt die
Expansion zu einer zusätzlichen Erhöhung der Korrelationszeit, die sich dann nicht mehr
−1
einfach durch ωp,i
abschätzen lässt.
Um den Einfluss der Plasmaexpansion auf das Relaxationsverhalten zu illustrieren wird
an dieser Stelle die totale binäre Stoßrate für ein homogenes Gas von Teilchen mit kurzreichweitiger Wechselwirkung betrachtet. Für ein Wechselwirkungspotenzial mit der Reichweite
λ ergibt sich die binäre Stoßrate zu
Z
Z λ
(stat)
Kii
= dv−
dρ ρv− φ(v− ) ,
(7.21)
0
wobei ρ den Stoßparameter und v− die Relativgeschwindigkeit zweier Teilchen bezeichnet,
welche im statischen Fall gemäß einer Maxwell-Verteilung
−3/2
mi v−2
kB Ti
exp −
(7.22)
φ(v− ) = 4π
mi
4kB Ti
verteilt ist. Für ein expandierendes Plasma hat die Ionengeschwindigkeit neben einem thermischen Maxwell-verteilten Anteil vth außerdem einen hydrodynamischen Beitrag u(r).
In Abschnitt 6.3 wurde gezeigt, dass dieser im Inneren des Plasmas sehr gut durch die
selbstähnliche Lösung aus Abschnitt 5.2 u(r) = γr beschrieben werden kann. Wie in
98
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
15
2
Vii(r/a) / (e /a)
10
5
Γi=5
Γi=1
0
10
5
Γi=20
Γi=10
0
0 0.5 1 1.5 2 2.5 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3
r/a
Abbildung 7.27: Effektives Wechselwirkungspotenzial der Ionen für vier verschiedene Kopplungsparameter. Die durchgezogenen Kurven zeigen das Potenzial, das aus Gl.(7.26) bei
Verwendung der Korrelationsfunktion aus [141] berechnet wurde, während die gestrichelten und die gepunkteten Linien das Yukawa-Potenzial Gl.(7.27) und die reine CoulombWechselwirkung darstellen.
Abb.7.24 illustriert ist, erhält man bei Verwendung dieses Ausdruckes zum Zeitpunkt des
Stoßes
2
vth
= (v− − γr− )2 = v−2 + γ 2ρ2 ,
(7.23)
wobei r− die Relativkoordinate des Zweiteilchensystems bezeichnet. Einsetzen von Gl.(7.23)
in eine Maxwell-Verteilung für die thermische Ionengeschwindigkeit ergibt
Z
Z λ
mi γ 2 ρ2
(dyn)
= dv−
dρ ρv− φ(v− ) exp −
.
(7.24)
Kii
4kB Ti
0
Nach Auswertung der Integrale in Gl.(7.21) und Gl.(7.23) erhält man schließlich folgenden
Korrekturfaktor der binären Stoßrate
mi γ 2 λ2
(dyn)
1
−
exp
−
4kB Ti
K
η = ii(stat) =
.
(7.25)
2
2
mi γ λ
Kii
4kB Ti
Die Reichweite des effektiven Ion-Ion-Wechselwirkungspotenzials V ii0 wird im allgemeinen
sowohl durch Elektron-Ion-Korrelationen als auch durch Ion-Ion-Korrelationen bestimmt.
Für ein schwach korreliertes Zweikomponentenplasma
erhält man in Debye-Hückel-Nähep
−1
2 ρ ) die Debye-Länge der Elektrok
T
/(4πe
rung λ−1 = λ−1
+
λ
[53],
wobei
λ
=
B e/i
e/i
D,e/i
D,e
D,i
nen bzw. der Ionen bezeichnet. Für Γ > 1 ist die Debye-Länge jedoch kleiner als der mittlere
7.5 Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters
99
1
0.8
η
0.6
0.4
0.2
0
0
25
50
ωp,i(0)t
75
100
Abbildung 7.28: Zeitentwicklung des Korrekturfaktors η [Gl.(7.28)]. Die Plasmaparameter
entsprechen denen aus Abb.7.23.
Teilchenbstand, so dass eine solche Beschreibung von Abschirmungseffekten im vorliegenden
Fall nicht sinnvoll ist. Diese Abschätzung zeigt jedoch, dass die Abschirmung der Ion-IonWechselwirkung für Γi Γe und Γe < 1 klar von Ion-Ion-Korrelationen dominiert wird 5.
Das effektive Ion-Ion-Wechselwirkungspotenzial lässt sich daher als [153]
Vii0 (r/a) = −
e2
a
Γ−1
i ln (g(r/a, Γi ))
(7.26)
schreiben. In dem hier interessierenden Bereich Γ i < 20 wurde das effektive Potenzial mit
Hilfe der Korrelationsfunktionen aus [141] berechnet. Wie Abb.7.27 zeigt, wird die Ion-IonWechselwirkung in diesem Fall sehr gut durch ein Yukawa-Potenzial
r
e2
Vii = exp −
r
rc
(7.27a)
rc = 0.7a
(7.27b)
mit
beschrieben. Die Reichweite der effektiven Ion-Ion-Wechselwirkung kann daher mit λ ≈ a
5
Im Rahmen der vorliegenden Beschreibung wird die Debye-Abschirmung der Ion-Ion-Wechselwirkung
durch die Elektronen ohnehin nicht betrachtet.
100
7 Freie Expansion vollständig ionisierter Plasmen
abgeschätzt, wobei sich dann der Korrekturfaktor der binären Stoßrate zu
mi γ 2 a2
1 − exp − 4kB Ti
2 2
η=
mi γ a
4kB Ti
(7.28)
ergibt. Die in Abb.7.27 dargestellte Zeitentwicklung des Korrekturfaktors, macht deutlich,
dass die Plasmaexpansion in der Tat zu einer signifikanten Verringerung der binären Stoßrate
führt.
Eine analoge Abschätzung der Erhöhung der Korrelations- und Relaxationszeiten ist
allerdings nicht möglich, da die kollektive Ionendynamik für Γ̄i > 1 eine zunehmende Rolle spielt. Selbst für stationäre Plasmen sind die entsprechenden Zeitskalen bisher nur aus
Molekular-Dynamik-Simulationen [314] bekannt. Allerdings lässt Gl.(7.28) den prinzipiellen Einfluss der Plasmaexpansion auf die Ionendynamik deutlich werden. Mit wachsendem
Verhältnis der Driftgeschwindigkeit
vdr = γa
(7.29)
p
und der thermischen Geschwindigkeit vth ∝ kB Ti/mi nimmt der Korrekturfaktor η rapide
ab. Ist die mittlere thermische Geschwindigkeit der Ionen nun geringer als die Geschwindigkeit, mit der Ionenpaare auseinander driften, so wird die Wechselwirkung zwischen den
Teilchen so stark gestört, dass das System nicht mehr angemessen auf Änderungen der
Dichte und Temperatur reagieren kann, was dann zu dem beobachteten ’Ausfrieren’ der
Korrelationsfunktion führt.
Um diese Hypothese numerisch zu untermauern, ist in Abb.7.29 die Zeitentwicklung
(fit)
der Kopplungsparameter Γi und hΓi i3/σ/2 für drei verschiedene Anfangsbedingungen dargestellt: Ni (0) = 100000, ρ̄i (0) = 1.3 · 109 cm−3, Te(0) = 33.3K; Ni (0) = 40000, ρ̄i (0) =
3 · 109 cm−3 , Te (0) = 45K ; Ni (0) = 40000, ρ̄i (0) = 2 · 109 cm−3, Te (0) = 100K. Es zeigt
sich, dass die Kopplungsparameter für verschiedene Expansionsgeschwindigkeiten zu verschiedenen Zeiten auseinanderlaufen. Das Relaxationsverhalten der Ion-Ion-Korrelationen
wird demnach entscheidend durch die Expansionsdynamik bestimmt. Neben der Dynamik der Kopplungsparameter enthält Abb.7.29 außerdem die Zeitentwicklung der mittleren Driftgeschwindigkeit hvdri = γ hai0,3σ/2 und der mittleren thermischen Geschwindigkeit
Dp
E
hvthi =
8kB Ti /(πmi)
für drei verschiedene Anfangsparameter. Wie man sieht, lau0,3σ/2
fen die Kopplungsparameter in der Tat zu dem Zeitpunkt auseinander, zu dem die Driftgeschwindigkeit hvdri größer als die thermische Ionengeschwindigkeit wird.p
Außerdem steigt der
Coulomb-Kopplungsparameter für geringere Expansionszeiten τexp = kB Te(0)/(mi σ(0)2 )
aufgrund der stärkeren adiabatischen Abkühlung schneller an. Eine schnellere Ausdehnung
führt jedoch auch zu einem schnelleren Absinken der Dichte und der thermischen Geschwindigkeit, einer größeren Driftgeschwindigkeit und demzufolge zu einer schneller ansteigenden Korrelationszeit. Als Konsequenz nimmt Γ(fit)
früher einen konstanten Wert an. Wie
i
Abb.7.29c und Abb.7.29e zeigen, führt dies in beiden Fällen zu einem maximalen Kopplungsparameter von Γ(fit)
≈ 13.
i
Mit den derzeitigen experimentellen Möglichkeiten lassen sich also, entgegen den bisherigen Erwartungen [172, 195], bereits kalte Plasmen im Regime von stark gekoppelten Flüssigkeiten (Γi > 2 [81]) erzeugen. Wenngleich der realisierte Kopplungsgrad weit unterhalb dessen liegt, was ursprünglich aus den Anfangsbedingungen des Plasmas erhofft wurde [173],
7.5 Zeitentwicklung des Coulomb-Kopplungsparameters
20
16
(c)
(a)
15
Γi
Γi
12
10
8
5
v [ωp,i(0)a(0)]
v [ωp,i(0)a(0)]
4
0
1.00
(b)
0.75
0.50
0.25
0.00
0
101
40
80
120
ωp,i(0)t
160
200
0
1.00
(d)
0.75
0.50
0.25
0.00
0
240
25
50
ωp,i(0)t
75
100
20
(e)
Γi
15
10
v [ωp,i(0)a(0)]
5
0
1.00
(f)
0.75
0.50
0.25
0.00
0
10
20
30
40
ωp,i(0)t
50
60
Abbildung 7.29: Zeitentwicklung der Kopplungsparameter Γ (fit)
(durchgezogene Linien) und
i
hΓi i3σ/2 (gestrichelte Linien) [(a),(c),(e)] und der Geschwindigkeiten hv thi3σ/2 (durchgezogene
Linien) und hvdri3σ/2 (gestrichelte Linien) [(b),(d),(f)] für Plasmen mit Ni (0) = 100000,
ρ̄i (0) = 1.3 · 109 cm−3, Te(0) = 33.3[(a),(b)], Ni (0) = 40000, ρ̄i (0) = 3 · 10cm−3 , Te (0) =
45[(c),(d)] und Ni(0) = 40000, ρ̄i (0) = 2 · 10cm−3 , Te(0) = 100[(e),(f)].
bieten diese Plasmen aufgrund der großen Relaxationszeitskalen und der genau kontrollierbaren Anfangsbedingungen ideale Systeme zur weiteren Untersuchung der Eigenschaften stark
gekoppelter, neutraler Plasmen. So würde die Untersuchung von Transporteigenschaften,
welche in den letzten Jahren intensiv theoretisch betrachtet wurden [71, 97, 249, 250, 268] und
bisher nur zum Teil experimentell zugänglich sind, einen rigorosen Test bestehender Theorien im Bereich starker Kopplung [70, 137, 207, 235, 258, 266, 269, 299] ermöglichen. Mit Hilfe
von Bragg-Streuung könnten außerdem die Korrelationseigenschaften der Ionen zugänglich
gemacht [155, 285] und damit die Relaxation des Systems direkt zeitaufgelöst beobachtet
werden, da die typischen Relaxationszeiten im Bereich von µs liegen. Ebenso bieten optische Methoden [222] die Möglichkeit, ein breites Spektrum von Plasmaanregungen in diesen
stark gekoppelten Systemen zu studieren.
8
Erzeugung stark gekoppelter
Plasmen
Die Betrachtungen des letzten Kapitels haben klar gezeigt, dass sehr stark gekoppelte Plasmen mit Hilfe der bisher diskutierten Experimente offenbar nicht erzeugt werden
können. Wenngleich die Anfangsbedingungen Kopplungsparameter von Γ̄e ≈ 30 und Γ̄i ≈
30000 [173] erwarten lassen, so führen jedoch diverse Heizmechanismen zu einem schnellen Anstieg der jeweiligen Temperaturen und damit zu einer enormen Verringerung der
Coulomb-Kopplungsparameter. Während das Aufheizen des Elektronengases aufgrund von
Dreikörperrekombination und inelastischen Elektron-Atom-Stößen den elektronischen Kopplungsparameter während der gesamten Expansion nicht über einen Wert von Γ̄e < 0.25 steigen lässt, erwärmt sich die ionische Komponente im Zuge der Ausbildung von räumlichen
Ion-Ion-Korrelationen. Bedingt durch die anschließende adiabatische Abkühlung wird die
ionische Komponente im Zuge der Expansion zwar weit in das Regime einer stark korrelierten Flüssigkeit getrieben; Effekte sehr starker Kopplung, wie z.B. eine Kristallisation
des Systems [81, 152], sind jedoch auch für die Ionen nicht zu erwarten. Aus diesem Grund
wurden in letzter Zeit eine Reihe von Modifikationen der ursprünglichen Experimente [173]
vorgeschlagen, um dem Aufheizen der Elektronen [296] und Ionen [110, 172, 228] entgegenzuwirken oder dieses unmittelbar zu verhindern. Da die Relaxationsdynamik der gebundenen
Zustände nicht direkt kontrollierbar ist [296], erscheint die Manipulation der Ionenrelaxation
weitaus vielversprechender, weshalb sich die Betrachtungen dieses Kapitels auf die Beeinflussung der Ionendynamik beschränken.
8.1
Möglichkeiten der Realisierung
Photoionisation entarteter Fermi-Gase. In [228] wurde vorgeschlagen, das ultrakalte
Plasma durch Photoionisation eines entarteten, atomaren Fermi-Gases zu erzeugen. Aufgrund der Pauli-Abstoßung der Atome kann dabei ein korrelierter Anfangszustand erzeugt
werden, so dass das Aufheizen der Ionen nach der Photoionisation des Gases teilweise kompensiert wird. Die in [228] durchgeführten Molekular-Dynamik-Simulationen für Ionen mit
Yukawa-Wechselwirkung zeigen, dass sich Γi durch Ionisation eines entarteten Fermi-Gases
um mehr als zwei Größenordnungen erhöhen lässt, wobei Kopplungsparameter von bis zu
Γi ≈ 3000 gefunden wurden. Allerdings gehen diese Rechnungen von sehr stark abgeschirmten Ionen mit einer Abschirmlänge von 4.5a aus. Mit größerer Abschirmung verschiebt sich
jedoch ebenfalls die Kristallisationsgrenze zu größeren Γi [131, 132], weshalb eine Kristallisation der Ionen auf diese Weise nicht realisiert werden kann. Desweiteren entspricht die in
[228] verwendete Abschirmlänge der Ion-Ion-Wechselwirkung einem elektronischen Kopplungsparameter von Γe = 6.75, welcher zwar mit den experimentellen Anfangsbedingungen
104
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
verträglich, aber sehr viel größer als der tatsächlich realisierte Wert ist (vgl. Abschnitt 7.5.1).
Um den größtmöglichen Kühleffekt abzuschätzen, wird an dieser Stelle die Korrelationsfunktion eines vollständig entarteten idealen Fermi-Gases [209]
1
g0 = 1 −
2
2
j1 (kF r)
3
kF r
(8.1)
betrachtet, wobei j1 (x) = sin(x)/x2 − cos(x)/x die sphärische Bessel-Funktion und kF =
(6π 2ρi )1/3 den Fermi-Wellenvektor der Ionen bezeichnet. Für Ionen mit reiner CoulombWechselwirkung erhält man damit für die ionische Korrelationsenergie im Anfangszustand
des Plasmas
2/3
3 6
(0)
(0)
Γi .
(8.2)
uii = −
16 π
Der Kopplungsparameter Γi(∞) nach der Ausbildung von Ion-Ion-Korrelationen lässt sich
(0)
(∞)
dann bei Kenntnis der Korrelationsenergien Uii und Uii im Anfangs- und Endzustand
(0)
(∞)
(∞)
(0)
(∞)
aus der Energieerhaltung Uii = Uii + 3kB Ti /2 berechnen, wobei Ti = 0 und Ti
die
Ionentemperatur im Anfangs- und Endzustand bezeichnet. Bei Verwendung von Gl.(5.41)
(∞)
und Gl.(8.2) ergibt sich damit ein Kopplungsparameter von Γ i = 3.5, welcher den Kopplungsparameter Γi(∞) ≈ 2.2 bei Photoionisation eines unkorrelierten Gases um nur ca. 50%
übersteigt.
Photoionisation von Rydberg-Gasen. Eine weitere und deutlich einfacher zu realisierende Möglichkeit zur Erzeugung eines korrelierten Anfangszustandes wurde in [110] diskutiert. Hierbei wurde vorgeschlagen, einen Teil des atomaren Gases vor der Photoionisation in hohe Rydberg-Zustände anzuregen. Gemäß der Argumentation in [110] werden dabei
Rydberg-Atome, deren Abstand kleiner als der doppelte Atomradius ist, durch PenningIonisation ionisiert [18, 66, 219]. Die so produzierten Ionen werden in einem zweiten Schritt
durch ein elektrisches Feld extrahiert, so dass man nach anschließender Photoionisation der
verbleibenden Rydberg-Atome auf diese Weise ein ionisches Gas erzeugt, dessen kleinster
Ion-Ion-Abstand ungefähr dem doppelten Atomradius der Rydberg-Atome entspricht [107].
Wie die Rechnungen in [110] zeigen, führen die so produzierten Ion-Ion-Korrelationen im
Anfangszustand zu einer signifikanten Verringerung der Endtemperatur, wobei hierzu jedoch
vergleichsweise große Dichten und sehr hoch angeregte Rydberg-Zustände notwendig sind.
Allerdings führt gerade die Penning-Ionisation der Rydberg-Atome bei großen Dichten und
hohen Anregungen zu zusätzlichen Problemen bei der Realisierung des beschriebenen Verfahrens. Die sich aufbauende Raumladung des Gases kann in diesem Fall so groß werden, dass
anschließend durch Penning-Ionisation frei werdende Elektronen an die Ladungsverteilung
gebunden werden und sich im Inneren der Wolke ein neutrales Plasma ausbildet. Aufgrund
von inelastischen Elektron-Atom-Stößen wird dadurch einerseits die Niveau-Verteilung der
verbliebenen Rydberg-Atome drastisch verändert und andererseits die Temperatur der Elektronen so stark erhöht, dass diese einen beträchtlichen Teil der Rydberg-Atome durch Stöße
ionisieren [254]. Das Zusammenspiel dieser beiden Prozesse führt dann zu einer lawinenartigen Umwandlung der Rydberg-Atome in ein ultrakaltes Plasma [256], welches allerdings
nicht die gewünschten Ion-Ion-Korrelationen aufweist. Desweiteren erhöht sich mit sinkendem Abstand der Rydberg-Atome neben der Penning-Ionisationsrate auch die Verschiebung
der Rydberg-Niveaus [107]. Dies hat zur Folge, dass Atompaare mit einem zu geringen Abstand nicht mehr angeregt werden können. Dieser als Dipol-Blockade [208] bekannte Effekt
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
105
wurde in jüngster Zeit auch experimentell nachgewiesen [280, 290]. Allerdings kann man sich
gerade diesen Effekt zu Nutze machen, und das atomare Gas bewusst mit einem schmalbandigen Laser anregen. Dadurch werden nur Rydberg-Atompaare oberhalb eines bestimmten
Abstandes erzeugt, der bei Variation der Bandbreite und der Frequenz des Lasers gezielt
gewählt werden kann. Auf diese Weise würde man die gleiche Art von Ion-Ion-Korrelationen
realisieren, aber gleichzeitig die zuvor diskutierte Ionisationslawine vermeiden, da Atome mit
einem geringen Abstand gar nicht erst angeregt werden.
Photoionisation von Atomen in optischen Gittern. Die offensichtlichste Möglichkeit zur Erzeugung eines korrelierten Anfangszustandes wäre, die Atome vor der Ionisation
mit externen Potenzialen direkt in eine geordnete Konfiguration zu bringen. Eine solche Anordnung der Atome ließe sich durch Laserkühlung des atomaren Gases in einem optischen
Gitter realisieren, wobei sich heutzutage periodische Potenziale mit einer großen Anzahl
verschiedener Gittertypen [123, 271, 298] erzeugen lassen. Da hierbei die Korrelationsenergie
im Anfangszustand stark variiert werden kann, stellt diese Methode ein vielversprechendes Verfahren zur Erzeugung eines korrelierten Anfangszustandes dar, und wird daher in
Abschnitt 8.3 detailliert diskutiert.
Externes Kühlen der Ionen. Neben einer direkten Kompensation des Korrelationsheizens der Ionen durch die Erzeugung eines korrelierten Anfangszustandes ist es außerdem
denkbar, die Temperatur der Ionen durch externes Kühlen im Zuge der Plasmaexpansion
abzusenken [172]. Ein derartiges Expansionsszenario wird im folgenden Abschnitt genauer
betrachtet. Dabei sollen sowohl sämtliche relevanten Auswirkungen einer externen Kühlung
der Ionen auf die Expansions- und Relaxationsdynamik des Plasmas betrachtet als auch die
zentrale Frage nach der tatsächlichen Realisierbarkeit eines sehr stark korrelierten Plasmas
eingehend diskutiert werden.
8.2
Laserkühlung expandierender Plasmen
Da zur Erzeugung eines ultrakalten Plasmas durch Photoionisation kalter Atome ohnehin
eine Laserkühlung des atomaren Gases notwendig ist, stellt die Laserkühlung der produzierten Plasmaionen im Zuge der Expansion eine unmittelbare Erweiterung der bisherigen
Experimente dar. Die Laserkühlung von ionischen Gasen auf sehr tiefe Temperaturen wurde experimentell bereits in magnetisch eingeschlossenen, nicht-neutralen Plasmen realisiert
[81]. Aufgrund des externen Fallenpotenzials und der sehr viel längeren Beobachtungszeit
ist in diesen Experimenten die Verwendung eines Lasers oder einer, durch Überlagerung
von zwei Lasern, erzeugten stehenden Welle zur Kühlung des Systems völlig ausreichend.
Demgegenüber ist im vorliegenden Fall eine Kühlung in allen drei Raumrichtungen erforderlich, die sich durch eine orthogonale Überlagerung von drei stehenden Wellen, also bei
Verwendung von sechs Laserstrahlen, erreichen lässt.
Desweiteren schränkt das Vorhaben einer zusätzlichen Laserkühlung die Zahl der dazu
geeigneten Elemente erheblich ein, da sowohl das neutrale Atom als auch das entsprechende
Ion einen optischen Übergang besitzen muss, der sich mit zur Verfügung stehenden Lasern
ansprechen lässt. Während die in den frühen Experimenten verwendeten Atomsorten, wie
Xenon, Rubidium oder Cäsium aus diesem Grund ungeeignet sind, erfüllen die Elemente der
zweiten Hauptgruppe, d.h. Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium und Barium, genau
diese Bedingung. Deshalb arbeiten neuere Experimente unter anderen mit Strontium- oder
Calcium-Plasmen.
106
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
Für eine Diskussion der Plasmadynamik werden daher in den folgenden Abschnitten
ausschließlich für diese Atomsorten charakteristische Parameter herangezogen. Dabei ist
Abschnitt 8.2.1 einer kurzen Einführung in die grundlegenden Prinzipien der Laserkühlung
gewidmet, wobei lediglich die elementaren Mechanismen erläutert und die realisierbaren
Kühlraten und Temperaturen abgeschätzt werden sollen. Die darauf folgenden Kapitel befassen sich mit den diversen Einflüssen der Laserkühlung auf die Dynamik des Plasmas,
wobei in Abschnitt 8.2.2 das Expansionsverhalten und in Abschnitt 8.2.3 die Populationsdynamik der Rydberg-Zustände näher beleuchtet wird. Nachdem in Abschnitt 8.2.4 die
durch Laserkühlung erreichbaren ionischen Kopplungsgrade des Plasmas betrachtet werden, wird letztlich in Abschnitt 8.2.5 die durch die Laserkühlung ermöglichte Kristallisation
ultrakalter Plasmen eingehend diskutiert.
8.2.1
Wirkungsweise der Laserkühlung
In diesem Abschnitt sollen die elementaren Prinzipien der Laserkühlung kurz erläutert werden. Im Hinblick auf die folgenden Abschnitte soll hierbei auf eine detaillierte Darstellung
der diversen Kühlmechanismen [2, 55, 201, 215] verzichtet werden. Vielmehr steht hier die
Betrachtung einiger wichtiger Relationen und eine Abschätzung der realisierbaren Kühlraten und Temperaturen im Mittelpunkt.
Für eine exakte Beschreibung der Dynamik eines Ions unter dem Einfluss externer Laserkühlung ist die Zeitentwicklung der entsprechenden Dichtematrix zu betrachten. Diese
beinhaltet sowohl die Schwerpunktsbewegung, d.h. die Dynamik des Ortes und Impulses des
Ions, als auch die Zeitentwicklung der inneren atomaren Anregung. Unter der in der Regel
gültigen Annahme, dass sich Ort und Impuls des Ions verglichen mit den schnell variierenden inneren Freiheitsgraden nur sehr langsam ändern, lässt sich die Translationsbewegung
von der Dynamik der inneren Anregung adiabatisch separieren. In diesem semiklassischen
Grenzfall erhält man eine Fokker-Planck-Gleichung [161, 220]
2
∂
∂fi
−2 ∂
= −m−1
(F(v
)f
(v
))
+
m
(D(vi )fi (vi ))
i
i
i
i
i
∂t
∂vi
∂vi2
(8.3)
für die Dynamik der ionischen Phasenraumdichte, wobei die Reibungskraft F und die Diffusionskonstante D aus der stationären Lösung der Dichtematrix der inneren Freiheitsgrade
zu bestimmen sind. Eine exakte Berechnung von F und D ist zumeist nur numerisch möglich
und führt in einigen Fällen auf eine recht komplexe Geschwindigkeitsabhängigkeit der Koeffizienten. Während die genaue Kenntnis der Geschwindigkeitsabhängigkeit von F und D zur
Betrachtung der stationären Geschwindigkeitsverteilung von lasergekühlten, schwach wechselwirkenden Atomen notwendig ist [3, 25], lässt sich jedoch die mittlere Dämpfungsrate und
die resultierende kinetische Energie der Atome sehr gut mit einfachen Modellen bestimmen.
Da die Zeitskala für die Relaxation der Ionen auf eine Maxwell-Verteilung im vorliegenden
Fall deutlich größer ist als die inverse Dämpfungsrate der Laserkühlung, spielen die Details
der Geschwindigkeitsabhängigkeit von F und D nur eine untergeordnete Rolle, so dass die in
Gl.(8.3) benötigten Größen an dieser Stelle mit Hilfe einfacherer Betrachtungen diskutiert
werden können.
Das grundlegende Prinzip der Laserkühlung besteht in der Absorption eines Photons
mit dem Wellenvektor k, wobei das betreffende Ion eine Impulsänderung von k erfährt.
Bei einer anschließenden isotropen Abstrahlung der aufgenommenen Energie durch spontane Emission, verschwindet der mittlere Impulsübertrag durch einen spontanen Zerfall der
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
107
0.3
(b)
0.2
0.1
F/(hkγsp)
F/(hkγsp)
(a)
0.2
0.0
0.1
0.0
-0.1
-0.1
-0.2
-0.2
-4
-3
-2
-1
0
1
2
3
-0.3
-6
4
-4
-2
0
kvi/γp
2
4
6
kvi/γp
0.4
(c)
F/(hkγsp)
0.2
0.0
-0.2
-0.4
-6
-4
-2
0
2
4
6
kvi/γp
Abbildung 8.1: Optische Dämpfungskraft in einer eindimensionalen stehenden Welle mit
s = 1, δ = −1γsp (a), s = 2, δ = −1γsp (b) und s = 4, δ = −2γsp (c). Die gestrichelte Linie
zeigt die lineare Näherung mit einem Dämpfungskoeffizienten gemäß Gl.(8.7).
Anregung. Nach einem Absorbtions-Emissions-Zyklus ändert sich der Impuls des Ions somit
im Mittel um k. Ein ruhendes Ion verspürt daher eine mittlere Kraft F = R k, wobei [215]
γsp s
R=
2
1+s+
2δ
γsp
2 !−1
(8.4)
die Photonenstreurate im stationären Zustand ist und γsp die natürliche Linienbreite des
getriebenen Übergangs, δ die Verstimmung des Lasers von der Resonanz und s den sogenannten Sättigungsparameter bezeichnen. Letzterer ist als das Verhältnis der Laserintensität
I zur Sättigungsintensität Is definiert. Für ein bewegtes Ion wird die Laserfrequenz durch
den Dopplereffekt verschoben, weshalb die Verstimmung δ −kv i und damit auch die mittlere
Kraft von der Geschwindigkeit des Ions abhängt. Zur Betrachtung der Dynamik eines Ions
in zwei entgegengesetzt ausgerichteten Lasern paralleler Polarisation können die entsprechenden Kräfte für kleine Intensitäten (I Is ) unabhängig voneinander addiert werden,
108
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
und man erhält gemäß
F =
≈


s
s
kγsp 

−
4(δ+kvi )
i)
2
1 + s + 4(δ−kv
1
+
s
+
2
2
γsp
γsp
8 s(δ/γsp )
kvi
(kvi) k = −miβ
2
k
(1 + (2δ/γsp )2)
(8.5)
entlang k eine lineare Dämpfung mit der Rate β, welche für negative Verstimmungen zu einer
Abkühlung der Ionen führt. Neben einem linearen Ausdämpfen der kinetischen Ionenenergie
führt die Wechselwirkung mit dem Laserfeld aufgrund der zufälligen Emission von Photonen
zu einem Aufheizen gemäß Ė = 2 2 k 2R/mi , was eine Diffusionskonstante von [215]
2 2
D=
k γsp s
2
1 + γ2δsp
(8.6)
ergibt. Bei höheren Laserintensitäten (I < Is ) treten Sättigungseffekte auf, da die Streurate
für große s durch die natürliche Linienbreite des Übergangs beschränkt ist. In diesem Fall
ergibt sich die Dämpfungsrate und der Diffusionskoeffizient zu [202]
8 k 2 s(δ/γsp )m−1
i
,
(1 + (2δ/γsp )2) (1 + 2s + (2δ/γsp )2)
2 2
k γsp s
D =
2 .
1 + 2s + γ2δsp
β = −
(8.7a)
(8.7b)
Diese lineare Geschwindigkeitsbhängigkeit der Reibungskraft F ist in Abb.8.1 zusammen
mit nach der in [221] beschriebenen Methode numerisch berechneten Kraft für drei verschiedene Sätze von Laserparametern dargestellt. Wie man sieht, kann F für Geschwindigkeiten,
die kleiner als eine gewisse Grenzgeschwindigkeit v g sind, sehr gut durch einen linearen
Reibungsterm approximiert werden. Bei geringen Intensitäten ist die Grenzgeschwindigkeit
durch vg ≈ k/γsp gegeben und steigt mit wachsender Intensität und wachsender Verschiebung |δ| an [201]. Für√ein Strontium-Plasma erhält man damit eine minimale radiale Grenzgeschwindigkeit von 3vg ≈ 20m/s, die deutlich größer ist als die in Abschnitt 8.2.2 zu
diskutierende Expansionsgeschwindigkeit des Plasmas (vgl. Abb.8.5). Damit erscheint es
gerechtfertigt, die Wechselwirkung der Ionen mit den Kühllasern für die vorliegende Problematik durch eine lineare Reibungskraft zu approximieren. Außerdem zeigt sich, dass
Gln.(8.7) die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Reibungskraft für vi < vg auch bei größeren
Intensitäten sehr gut beschreibt (Abb.8.1b und Abb.8.1c). Hierbei auftretende DoppleronResonanzen sind, wie bereits erwähnt, für die Dynamik des Plasmas nicht von Bedeutung.
Wie eingangs erläutert, lässt sich die hier notwendige Kühlung in allen drei Raumrichtungen durch eine orthogonale Überlagerung von drei stehenden Wellen realisieren [54].
Da die obigen Ausdrücke für die Laserkühlung in einer eindimensionalen, stehenden Welle die entsprechenden numerischen Resultate mit hinreichender Genauigkeit reproduzieren,
und zusätzliche Kühleffekte bedingt durch Polarisationsgradienten [63, 295, 305] bei den hier
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
109
1250
0.6
(b)
(a)
1200
β/ωp,i
0.5
1150
0.4
Γk
0.3
1100
0.2
1050
0.1
0
0
1
2
s
3
4
1000
0
1
2
s
3
4
Abbildung 8.2: Kühlrate (a) und Couplombkopplungsparameter Γ̄k (b) für ein StrontiumPlasma (gestrichelte Linie) und ein Beryllium-Plasma (durchgezogene Linie) der Dichte
107 cm−3 als Funktion des Sättigungsparameters s. Die Verstimmung δ wurde hierbei so
gewählt, dass die Kühlrate für gegebenes s maximal ist.
auftretenden Expansionsgeschwindigkeiten des Plasmas vernachlässigt werden können, sollte die mehrdimensionale Verallgemeinerung der Gln.(8.7) [203]
8 k 2 s(δ/γsp )m−1
i
,
(1 + (2δ/γsp )2) (1 + 6s + (2δ/γsp )2)
2 2
k γsp s
D =
2 .
1 + 6s + γ2δsp
β = −
(8.8a)
(8.8b)
eine ebenso gute Beschreibung der dreidimensionalen Kühlung liefern. Der Unterschied zu
den Gln.(8.7) besteht hierbei lediglich in der Ersetzung s → 3s im Nenner von Gln.(8.7).
Dadurch wird berücksichtigt, dass das betreffende Ion im dreidimensionalen Fall Photonen
von sechs Lasern absorbieren aber nur mit der Rate γsp wieder emittieren kann.
Um die Größenordnung der möglichen Plasmaparameter zu verdeutlichen, ist in Abb.8.2
die relative Kühlrate β/ωp,i und der Coulomb-Kopplungsparameter Γ̄k = e2/(ākB Tk ), der
sich aus dem stationären Wert der Ionentemperatur
" #
−1
γsp
2δ
2δ
D
=
+
(8.9)
kB Tk =
mi β
4
γsp
γsp
ergibt, für ein Strontium- und ein Beryllium-Plasma der Dichte ρ̄ i = 107 cm−3 dargestellt.
Offenbar lassen sich hierbei Dämpfungskonstanten von β > 0.1ωp,i und sehr große Kopplungsparameter weit oberhalb der Kristallisationsgrenze von Γ i ≈ 174 [81, 152] realisieren.
Während Gl.(8.8a) für sehr große Intensitäten einen konstanten Dämpfungskoeffizienten voraussagt, zeigen jedoch Rechnungen im Bereich s 1 einen Anstieg der Kühlrate
√
gemäß β ∝ s [220]. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Ion in einer stehenden Welle
mit beiden Lasern gleichzeitig wechselwirken, d.h. ein absorbiertes Photon durch induzierte
Emission des anderen Lasers abstrahlen, kann [204]. Der angeregte Zustand wird daher mit
steigender Intensität schneller entvölkert, weshalb die Photonenstreurate auch für große s
nicht sättigt und die Dämpfung weiter zunimmt. Dieser Effekt, der durch Gl.(8.8) nicht
110
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
berücksichtigt wird, führt jedoch außerdem zu einer wie D ∝ s ansteigenden Diffusions√
konstante [25, 62], so dass die Grenztemperatur für sehr große Intensitäten wie Tk ∝ s
zunimmt. Da in diesem Fall
√
1/3
s
β
ρ̄
∝ √ , Γ̄k ∝ √i
(8.10)
ωi,p
ρ̄i
s
gilt, lässt sich der Coulomb-Kopplungsparameter bei einer gleichzeitigen Verringerung von
s und ρ̄i für konstante Werte von β/ωp,i erhöhen. Analog dazu kann β/ωp,i durch eine
Erhöhung von s und ρi bei konstantem Γ̄k vergrößert werden, wobei dann zusätzlich die
Grenzgeschwindigkeit vg drastisch ansteigt [10].
Abschließend sei hier angemerkt, dass die obigen Betrachtungen
miγsp
1
(8.11a)
k2
und
3
t>
(8.11b)
γsp
vorraussetzen, wobei Gl.(8.11a) die Gültigkeit der semiklassischen Fokker-Planck-Gleichung
[3] sichert und Gl.(8.11b) die Stationarität der inneren Anregung gewährleistet [220]. Für
die hier zu betrachtenden Elemente der zweiten Hauptgruppe beträgt 3/γsp ≈ 20ns und
stellt damit zusammen mit der Elektronen-Relaxationszeit die kleinste Zeitskala im System
dar, so dass Gl.(8.11b) für die folgenden Betrachtungen erfüllt ist. Desweiteren erhält man
selbst für die sehr leichten Beryllium-Ionen mit miγsp /( k 2 ) ≈ 44 einen Wert für den exakte
quantenmechanische Rechnungen eine sehr gute Übereinstimmung mit den Resultaten der
Fokker-Planck-Gleichung (8.3) liefern [3, 25].
8.2.2
Modifikation der Expansionsdynamik
Um die Expansionsdynamik des Plasmas unter dem Einfluss externer Kühllaser besser zu
verstehen, wird an dieser Stelle vorerst die stoßfreie Expansion bei Vernachlässigung von IonIon-Korrelationen, d.h. im Rahmen der Vlasov-Näherung (vgl. Abschnitt 3.2) betrachtet.
Unter der Annahme von Quasineutralität (vgl. Abschnitt 5.1) und bei Verwendung der
adiabatischen Näherung zur Beschreibung der Elektronendynamik (vgl. Abschnitt 5.3.1) ist
die Zeitentwicklung der ionischen Phasenraumdichte durch
∂fi
∂fi
∂ϕ ∂fi
+ vi
−e
= Jlaser
∂t
∂ri
∂ri ∂vi
(8.12)
gegeben, wobei das ’mean field’-Potenzial ϕ gemäß Gl.(5.12) aus
e
∂ϕ
∂ρi
= kB Te ρ−1
i
∂ri
∂ri
zu bestimmen ist und
D ∂ 2 fi
∂
(vi fi ) + 2 2
(8.13)
∂vi
mi ∂ri
den Einfluss der Kühllaser beschreibt [Gl.(8.3)]. Wie im Fall der freien Expansion besitzt
Gl.(8.12) eine selbstähnliche Lösung der Form
mi (vi − γri )2
2πkB Ti −3/2
ri2
2 −3/2
fi = Ni 2πσ
,
(8.14)
exp − 2 exp −
mi
2σ
2kB Ti
Jlaser = β
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
111
deren Dynamik durch die Zeitabhängigkeit der Plasmabreite σ(t), der radialen hydrodynamischen Geschwindigkeit u(ri , t) = γ(t)ri und der Ionentemperatur Ti (t) bestimmt wird.
Dass Gl.(8.14) in der Tat eine selbstähnliche Lösung der Vlasov-Gleichung ist, zeigt sich
durch Einsetzen dieses Ansatzes in Gl.(8.12). Ordnen der resultierenden Ausdrücke nach
Potenzen in ri und vi ergibt
0 =
Ṫi
σ̇
D
−
− −β
mikB Ti 2Ti σ
+3ri2
+3vi2
+ri vi
σ̇
miγ 2 Ṫi mi γ γ̇
γTe
−
+
−
−D
σ 2 Ti σ 3
2kB Ti2
kB Ti
!
mi Ṫi
mi γ
mi β
D
+
+
−
2kB Ti kB Ti kB Ti (kB Ti )2
γ
kB Ti
2 !
mi γ̇
2Dγ
mi γ Ṫi mi γ 2
Te
miγβ
1
+
−
−
− 2 −
− 2
2
kB Ti (kB Ti )
kB Ti2
kB Ti
σ Ti
kB Ti
σ
!
.
(8.15)
Damit Gl.(8.14) eine Lösung der Vlasov-Gleichung (8.12) ist, muss jede Zeile in Gl.(8.15)
separat verschwinden, so dass man den folgenden Satz von gewöhnlichen Differenzialgleichungen erhält:
dσ 2
= 2γσ 2 ,
dt
kB (Te + Ti )
dγ
=
− γ (γ + β) ,
dt
mi σ 2
dTi
2D
= −2γTi +
− 2βTi .
dt
kB mi
(8.16a)
(8.16b)
Bei Verwendung des Fluktuations-Dissipations-Theorems D = m i βkB Tk lässt sich die Gleichung für die Ionentemperatur auch als
dTi
= −2γTi + 2β (Tk − Ti)
dt
(8.16c)
schreiben, wobei Tk die im vorherigen Abschnitt eingeführte Grenztemperatur der Laserkühlung bezeichnet. Die noch fehlende Gleichung für die Elektronentemperatur erhält
man aus der Änderung der Gesamtenergie:
dEges
Ni−1
dt
d 3
3
3
2 2
=
kB Te + kB Ti + mi γ σ
dt 2
2
2
dγ 3
dσ 2
3 dTe 3 dTi 3
kB
+ kB
+ miγσ 2
+ mi γ 2
=
2
dt
2 dt
2
dt
2
dt
3D
3 dTe
kB
+ 3γkB Te +
− 3βkB Ti − 3miβγ 2 σ 2 .
=
2
dt
mi
(8.17)
112
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
Da Ėges mit der Änderung der kinetischen Ionenenergie
Z
mi
−1 dEi
=
Ni
vi2JLaserdvi dri
dt
2
Z
Z
β
D
∂ 2 fi
2 ∂
=
(vi fi ) dvi dri +
vi
vi2 2 dvi dri
2mi
∂vi
2mi
∂vi
3D
− 3βkB Ti − 3mi βγ 2σ 2
=
mi
(8.18)
identisch sein muss, ergibt sich aus Gl.(8.17) und Gl.(8.18) für die Dynamik der Elektronentemperatur
dTe
= −2γTe .
(8.19)
dt
Erwartungsgemäß wird die Elektronentemperatur demzufolge nicht direkt durch die Laserkühlung beeinflusst, so dass die Dynamik von Te wie im Fall der freien Plasmaexpansion
allein durch die adiabatische Abkühlung (σ 2Te = const.)bestimmt wird.
Eine exakte analytische Lösung der Gleichungen (8.16) und (8.19) kann für endliche
Kühlraten β nicht gefunden werden. Für den hier zu betrachtenden Fall von Ti Te lässt
sich allerdings eine asymptotische Lösung konstruieren. Dazu wird die Invariante σ 2 Te =
const. genutzt, um die Bewegungsgleichung der Plasmabreite als
2kB Te (0)σ(0)2
d2 σ 2
=
− 2γσ 2 (β − γ)
dt2
mi σ 2
(8.20)
zu schreiben. Da für βt → ∞ und auch während der anfänglichen Phase der Expansion
γ β gilt, kann im zweiten Term auf der rechten Seite von Gl.(8.20) γ gegenüber β für
eine Betrachtung des asymptotischen Lösungsverhaltens vernachlässigt werden, so dass mit
Gl.(8.16a)
d2 σ 2
2kB Te(0)σ(0)2
dσ 2
≈
−
β
(8.21)
dt2
mi σ 2
dt
folgt. Die Lösung dieser Differenzialgleichung, die gleichzeitig die gewünschten Randbedingungen σ(0) = σ0 und σ̇(0) = 0 erfüllt, kann in impliziter Form als
s
!#
"
2
√
σ
2
(8.22)
0 = α eβt − 1 + πe−α erfi α−1 − erfi
α−2 + βt + ln 2
σ0
geschrieben werden, wobei
α=2
s
kB Te(0)
,
miβ 2σ02
(8.23)
Rx 2
und erfi(x) = √2π 0 et dt die imaginäre Fehlerfunktion bezeichnen. Im Grenzfall βt → ∞
erhält man schließlich aus Gl.(8.22) für das asymptotische Verhalten der Plasmabreite
p
(8.24)
σ 2 = σ02 1 + α2 βt .
In Abb.8.3 ist die Zeitabhängigkeit der Plasmabreite für die Expansion eines Plasmas mit
Ni = 150000 Ionen und Γ̄e (0) = 0.1 für drei verschiedene Kühlraten β = 0.03ωp,i (0),
0.14ωp,i (0), 0.29ωp,i (0) dargestellt. Ein Vergleich der hier gefundenen Näherungslösungen
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
(b)
(a)
16
113
10
2
12
10
8
4
10
2
(d)
4
10
3
1
2
2
2
σ /σ(0)
(c)
0
σ /σ(0)
2
0
5
1
1
10
0
(f)
(e)
3
0
10
1
2
1
10
0
0
30
60
90 120 150
10
0
ωp,i(0)t
10
1
10
2
10
3
10
0
4
Abbildung 8.3: Zeitentwicklung des Quadrats der relativen Plasmabreite σ 2/σ(0)2 für
Plasmen bestehend aus Ni = 150000 Ionen und mit einem anfänglichen CoulombKopplungsparameter von Γ̄e (0) = 0.1, welche während der Expansion mit einer Rate von
β = 0.03ωp,i (0) [(a),(b)], 0.14ωp,i (0) [(c),(d)], 0.29ωp,i (0) [(e),(f)] gekühlt werden. Die durchgezogenen Linien zeigen die numerische Lösung von Gln.(8.16), während die gestrichelten
und die gepunkteten Linien aus den approximativen Lösungen Gl.(8.22) und Gl.(8.24) resultieren.
Gl.(8.22) und Gl.(8.24) mit der numerischen Auswertung der Bewegungsgleichungen (8.16)
und (8.19) zeigt, für die Langzeitdynamik der Plasmagröße eine gute Übereinstimmung.
Die Laserkühlung des Plasmas führt also nicht nur zu einer quantitativen Modifikation der
Dynamik, sondern hat eine völlig neue Qualität des Expansionsverhaltens zur Folge. Diese
Tatsache ist besonders vor dem Hintergrund der in Abschnitt 7.5.2 diskutierten Relaxation
ionischer Korrelationen von zentraler Bedeutung, da diese entscheidend von der Plasmaexpansion beeinflusst wird. Angesichts der enormen Verringerung der Plasmaexpansion ist
daher zu erwarten, dass zusätzliches Kühlen der Ionen eine durch die Expansion nahezu
ungestörte Relaxation ionischer Korrelationen gewährleisten kann.
Während die obigen Betrachtungen eine Reihe wichtiger Einblicke in die Expansionsdynamik geben, lässt sich das Relaxationsverhalten der Ionen wiederum nur mit Hilfe
der HMD-Simulationen untersuchen. Im Rahmen der hier gewählten Modellierung der Laserkühlung kann dessen Einfluss auf die Ionendynamik in einfacher Weise in die mikro-
114
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
1500
4
10
3 10
-2
-1
0
1 2
3
10
10
10
10
10
10
ω
i,p
(0)t
2
σ /a(0)
2
222 22 2
IIIIIIIII
IIIIIIIII
IIIIIIIII
σ
a00
σ//a(0)
/a
IIIIIIIII
IIIIIIIII
IIIIIIIII
1000
500
0
0
50
100
ωi,p(0)t
150
200
Abbildung 8.4: Dynamik des Quadrats der skalierten Plasmabreite σ 2/ā20 für ein Plasma mit
Ni = 80000 Ionen und einem anfänglichen Coulomb-Kopplungsparameter von Γ̄e (0) = 0.08,
das während der Expansion mit einer Rate von β = 0.2ωp,i (0) gekühlt wird. Dargestellt ist
die numerische Lösung der Gln.(8.16) und Gl.(8.19) (blaue Linie), das Ergebnis einer PICMCC-Rechnung (rote Linie) und das Resultat der HMD-Simulation (grüne Linie). Die gelbe
Linie zeigt die Zeitentwicklung der Plasmabreite für die freie Plasmaexpansion (β = 0).
skopische Simulationsmethode integriert werden. Da die, durch den in Gl.(8.13) eingeführten Fokker-Planck-Term, vermittelte Dynamik der Verteilungsfunktion äquivalent durch die
Zeitentwicklung eines Ensembles freier Brownscher Teilchen beschrieben wird [22], ist hierbei lediglich ein entsprechender Langevin-Term an die Newtonschen Bewegungsgleichungen
der Ionen [vgl. Gl.(4.35)] zu addieren:
!
X
√
1
d2 ri,j
=
F
(r
)
+
F
(r
,
r
)
−
βv
+
2Dξ(t) ,
(8.25)
ei
i,j
ii
i,j
i,k
i
dt2
mi
k6=j
wobei ξ eine normalverteilte Zufallsvariable mit
hξi = 0 ,
hξj (t)ξk (t + τ )i = δ(τ )δjk
(8.26)
ist.
In Abb.8.4 ist die im Rahmen der MHD-Methode numerisch berechnete Zeitentwicklung
der Plasmabreite für ein Plasma mit Ni (0) = 80000 und Γ̄e (0) = 0.08 dargestellt. In der
Anfangsphase der Plasmaexpansion wird das numerisch gefundene Verhalten sehr gut durch
die selbstähnliche Expansionsdynamik gemäß Gln.(8.16) und Gl.(8.19) beschrieben, während
die HMD-Simulation zu späteren Zeiten eine deutlich langsamere Ausdehnung des Plasmas
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
115
30
vexp [m/s]
25
20
15
10
5
0
0
40
80
120
t [µs]
160
200
Abbildung 8.5: Zeitentwicklung der Expansionsgeschwindigkeit [Gl.(8.27)] für ein Plasma
mit Ni = 150000, ρ̄i (0) = 2 · 107 cm−3 und Te (0) = 10K. Die gestrichelte Linie zeigt die
Expansionsgeschwindigkeit für ein frei expandierendes Plasma und die durchgezogene Linie
die Dynamik unter Laserkühlung mit β = 0.2 ωp,i (0).
zeigt. Ein Vergleich einer entsprechenden PIC-Rechnung mit der Lösung von Gln.(8.16)
und Gl.(8.19) zeigt jedoch eine nahezu perfekte Übereinstimmung, weshalb die auftretenden Abweichungen zwischen den Ergebnissen der HMD-Simulation und dem selbstähnlichen
Expansionsverhalten allein auf ionische Korrelationseffekte zurückzuführen sind. Im Gegensatz zur freien Plasmaexpansion, bei der das anfängliche Korrelationsheizen der Ionen den
negativen Korrelationsdruck überkompensiert und damit die Expansion beschleunigt (vgl.
Abschnitt 7.2), wird die Plasmadynamik aufgrund der externen Kühlung in diesem Fall nur
durch den negativen Korrelationsdruck modifiziert, welcher ein Abbremsen der Expansion
zur Folge hat. Abgesehen von diesen geringen Abweichungen liefert die selbstähnliche Lösung
der Vlasov-Gleichungen eine sehr gute Beschreibung der Expansionsdynamik.
Insbesonde√
re wird die durch Gl.(8.24) vorhergesagte asymptotische t-Abhängigkeit des Quadrats
der mittleren Plasmabreite durch die HMD-Simulationen bestätigt. Die sich aus Gl.(8.24),
Gl.(8.16a) und Gl.(8.19) ergebenden asymptotischen Ausdrücke der Plasmaparameter werden daher in den folgenden Abschnitten für eine Interpretation der Simulationsergebnisse
herangezogen.
Hinsichtlich der experimentellen Realisierbarkeit des hier diskutierten Expansionsszenarios, ist eine weitere wichtige Größe die radiale Driftgeschwindigkeit der Ionen. Wie in
Abschnitt 8.2.1 erläutert
wurde, lassen sich die Ionen nur in einem endlichen Geschwindig√
keitsbereich vi < 3vg effizient kühlen. Eine Erhöhung der Grenzgeschwindigkeit vc ist zwar
prinzipiell möglich, aber zugleich mit einem erheblichen experimentellen Aufwand verbunden
[10, 215], weshalb die Expansionsgeschwindigkeit der Ionen so gering wie möglich gehalten
116
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
werden sollte. In Abb.8.5 ist die Zeitentwicklung der mittleren Expansionsgeschwindigkeit
vi ri
(8.27)
vexp =
ri
für ein Strontium-Plasma mit Ni (0) = 150000, ρ̄i = 2·107 cm−3, Te = 10K und β = 0.2ωp,i (0)
dargestellt. Während die Expansionsgeschwindigkeit fürp
ein frei expandierendes Plasma monoton ansteigt und gegen einen konstanten Wert von kB Te (0)/mi konvergiert, führt die
Kühlung des Plasmas zu einem vollkommen anderen Verhalten. Nach einem anfänglichen likB Te (0)
nearen Anstieg vexp ≈ m
2 t durchläuft die Expansionsgeschwindigkeit ein Maximum und
i σ(0)
fällt zu späteren Zeiten gemäß Gl.(8.24) und Gl.(8.16a) wie ve ∝ t−3/4 ab. Die Laserkühlung
des Plasmas führt also zu einer enormen Verringerung der radialen Ionengeschwindigkeit und
begünstigt damit die experimentellen Bedingungen zur Realisierung des hier beschriebenen
Expansionsszenarios.
8.2.3
Modifikation der Rekombinationsdynamik
Neben einer qualitativen Änderung des Expansionsverhaltens des Plasmas kann die zusätzliche Laserkühlung der Ionen außerdem die Populationsdynamik der Rydberg-Zustände erheblich beeinflussen. Anders als im Fall der freien Expansion hat die Wechselwirkung der
Ionen mit den Kühllasern zur Folge, dass sich ein beträchtlicher Teil der Ionen in einem
angeregten Zustand befindet. Ein Aufheizen des Elektronengases durch Elektronenstoßabregung dieser inneren Anregung kann jedoch ausgeschlossen werden, da die entsprechende
Übergangsenergie sehr viel größer ist als die Temperatur der freien Elektronen. Andererseits
führt die Dreikörperrekombination eines angeregten Ions zur Bildung eines doppelt angeregten Rydberg-Zustandes, dessen Energie im Kontinuum liegt. Neben spontanen Übergängen
kann die innere Anregung des Rydberg-Atoms daher zusätzlich durch Autoionisation [107]
zerfallen, wobei das Rydberg-Elektron die Übergangsenergie der inneren Anregung aufnimmt und ionisiert. Die Autoionisation solcher doppelt angeregter Zustände, welche experimentell in der Regel durch Mehrphotonenanregung erzeugt werden [12, 59], wurde in
einer Vielzahl von Arbeiten [59–61, 164, 165, 304, 309] für die hier zu betrachtenden Elemente der zweiten Hauptgruppe (Be, Mg, Ca, Sr und Ba) intensiv untersucht. Aufgrund der
vergleichweise großen Energie des inneren Übergangs von ca. 104 K können so produzierte,
freie Elektronen nicht durch die Raumladung des Plasmas im System gehalten werden. Eine
zu große Anzahl solcher Autoionisationsereignisse hat demnach den unweigerlichen Zerfall
des neutralen Plasmazustandes zur Folge, weshalb die Autoionisationsrate so gering wie
möglich gehalten werden sollte.
Die entscheidende Größe, um die Bedeutung der Autoionisation doppelt angeregter
Rydberg-Zustände für die Plasmadynamik abzuschätzen, ist das Verhältnis ν aus der Autoionisationsrate γauto und der spontanen Zerfallsrate γsp . Dieses Verhältnis gibt die relative
Wahrscheinlichkeit für einen Autoionisationszerfall der inneren Anregung an. Für hohe Drehimpulszustände (l > 2) lässt sich zeigen, dass ν durch [58]
ν(n, l) =
3α
(λ/aB )4
γauto
=
γsp
64π 3 n3 l − 12 l l + 12 (l + 1) l + 23
(8.28)
gegeben ist, wobei α die Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante, a B den Bohrschen Atomradius und λ die Wellenlänge des inneren Übergangs bezeichnet. Da die Drehimpulszustände
γauto [meV] , ∆E0,n [meV]
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
117
10.0
1.0
0.1
10
14
20
n
30
40
Abbildung 8.6: Autoionisationsrate des 5p1/2ns-Zustandes (rot) und Linienverschiebung des
5sns − 5p1/2 ns-Übergangs (blau) doppelt angeregter Strontium-Atome [92, 309].
der Rydberg-Atome im Plasma als gleichverteilt
angenommen werden können, kann das
P
−2
mittlere Verhältnis aus hνi (n) = n
l ν(n, l) bestimmt werden. Desweiteren findet man
für die hier zu betrachtenden Atome, dass γauto(n, 0) ≈ γauto(n, 2) ≈ γauto(n, 4) und γauto(n, 3)
den größten Beitrag zur mittleren Autoionisationsrate liefern [107]. Demgegenüber sind die
Ionisationsraten anderer Drehimpulszustände um mindestens eine Größenordnung geringer,
so dass das mittlere Verhältniss aus Gl.(8.28) mit hνi (n) ≈ n−2 (γauto(n, 3) + 3γauto (n, 4)) ≈
4
!
B)
abgeschätzt werden kann. Mit hνi (nauto) = 1 ergibt sich daraus eine kritische
4.3·10−8 (λ/a
5
n
Hauptquantenzahl
nauto ≈ 0.034(λ/aB )4/5,
(8.29)
unterhalb derer die Autoionisation des Rydberg-Atoms den dominanten Zerfallskanal der
inneren Anregung darstellt. Die Ionisationsrate doppelt angeregter Barium-Atome wurde
in einer Reihe von Arbeiten über ein breites Spektrum von Hauptquantenzahlen und Drehimpulszuständen gemessen [119, 159, 164, 165], so dass hνi für diese Atomsorte hier direkt
bestimmt werden kann. Bei Verwendung der experimentellen Daten erhält man eine kritische Hauptquantenzahl von nauto ≈ 59 in guter Übereinstimmung mit Gl.(8.29), welche
einen Wert von nauto = 51 ergibt. Da die Resonanzfrequenz des Kühlübergangs der hier zu
betrachtenden Ionen der zweiten Hauptgruppe nicht sehr stark variiert, lässt sich allgemein
abschätzen, dass die Autoionisation erst ab einer Hauptquantenzahl von n auto ≈ 50 einen
wichtigen Beitrag zum Zerfall der inneren Anregung liefert. Im Gegensatz dazu wird dieser Prozess für höhere Rydberg-Zustände durch den spontanen Zerfall des Kühlübergangs
dominiert.
Aufgrund der geringen Elektronentemperatur in ultrakalten Plasmen vollzieht sich die
Dreikörperrekombination in der Regel in viel höhere Zustände als nauto, so dass eine direkte
118
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
Autoionisation der gebildeten Rydberg-Zustände nicht zu erwarten ist. Im Zuge der Plasmaevolution werden diese sehr hohen Rydberg-Zustände allerdings durch Elektronenstöße
deutlich abgeregt (vgl. Abschnitt 7.3), so dass die mittlere Autoionisationsrate nach der
Rekombination des Rydberg-Atoms stark zunimmt. Da die typische Zeitskala für eine Abre−1
gung der hohen Rydberg-Zustände zu n < nauto sehr viel größer als γsp
ist, wird die innere
Anregung der Rydberg-Atome zum größten Teil durch einen Strahlungsübergang zerfallen
sein, bevor die Autoionization eine signifikante Rolle spielt. Eine solche Argumentation ist
allerdings nur dann zulässig, wenn die Präsenz des äußeren Rydberg-Elektrons die Resonanzfrequenz des inneren Übergangs so weit verschiebt, dass dieser nicht mehr effizient durch die
externen Kühllaser getrieben werden kann. Für die hier zu betrachtenden Atome und l > 2
zeigt sich, dass die Verschiebung ∆Enl des inneren Übergangs durch [58]
1
∆Enl ≈ γauto ∝ n−3
2
(8.30)
abgeschätzt werden kann. Das heißt, für tiefere Rydberg-Zustände wird die Energieverschiebung zwar geringer als die natürliche Linienbreite des Kühlübergangs, ist aber dennoch kleiner als die Autoionisationsverbreiterung der Linie. Somit kann der entsprechende
Kühlübergang für hohe Drehimpulsquantenzahlen unabhängig von der Hauptquantenzahl
des Rydberg-Zustandes resonant durch die externen Kühllaser getrieben werden. Die nAbhängigkeit der Autoionisationsrate und der Linienverschiebung für l = 0, welche aus den
experimentellen Daten in [92, 309] bestimmt wurde, ist in Abb.8.6 für den 5sns − 5p1/2 ns
Übergang eines Strontium-Atoms dargestellt. Es wird deutlich, dass beide Größen auch
für kleine l vergleichbar sind. Das bedeutet letztlich, dass der innere Übergang auch von
tiefer gelegenen Rydberg-Zuständen unabhängig von deren Drehimpulsen durch den externen Kühllaser getrieben wird, so dass ein gebildetes Rydberg-Atom unweigerlich durch
Autoionisation zerfällt. Dies führt bei einer zu großen Anzahl von Rydberg-Atomen zu einer
Zerstörung des neutralen Plasmazustandes. Um diesen Effekt zu umgehen, muss daher die
Elektronentemperatur so hoch gewählt werden, dass Dreikörperrekombination in RydbergAtome stark unterdrückt wird und Autoionisation damit auf den interessierenden Zeitskalen
keine Rolle spielt.
Im Rahmen der hier verwendeten HMD-Methode wird eine Autoionisation der RydbergZustände nicht berücksichtigt. Die Simulationen zeigen allerdings, dass dieser Prozess und
damit die Zerstörung des Plasmas umgangen werden kann, sofern man Γ̄e (0) ≤ 0.15 wählt.
In diesem Fall rekombiniert nur ein geringer Teil der Ionen während der Beobachtungszeit in
Rydberg-Zustände (vgl. Abschnitt 7.2). Die Plasmadynamik wird daher durch den geringen
Elektronenverlust nicht beeinflusst, weshalb die Vernachlässigung der Autoionisation von
doppelt angeregten Rydberg-Atomen in diesem Parameterregime gerechtfertigt ist.
8.2.4
Einfluss von elastischen Elektron-Ion-Stößen
Wie eingangs erläutert wurde, besteht die eigentliche Motivation der zusätzlichen Plasmakühlung in der Hoffnung, auf diese Weise sehr kalte und damit sehr stark gekoppelte
Ionen zu erzeugen. Für lasergekühlte Plasmen können die bislang unbedeutenden binären
Elektron-Ion-Stöße die Dynamik der Ionentemperatur jedoch entscheidend beeinflussen und
setzen damit eine untere Schranke für die realisierbaren Temperaturen. Im Gegensatz zur
freien Plasmaexpansion, bei der der Energieübertrag der Elektronen auf die Ionen mit der
momentanen Ionentemperatur zu vergleichen ist (vgl. Abschnitt 5.3.3), muss hierbei die
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
10
10
119
3
2
<Γi >
(0)
Γ
i
10
1
0
10 0
5
10
15
20
t [µs]
25
30
35
40
Abbildung 8.7: Zeitentwicklung des ionischen Coulomb-Kopplungsparameters bei Berücksichtigung (durchgezogene Linie) und bei Vernachlässigung (gestrichelte Linie) von elastischen Elektron-Ion-Stößen für ein Plasma mit Ni (0) = 20000, ρ̄i (0) = 2.3 · 108 cm−3,
Γ̄e (0) = 0.05, β = 0.1ωp,i (0) und Tk = 1 mK.
Aufheizung durch Elektronenstöße γei Te [Gl.(3.25)] mit der Laserkühlung 2βTi in Beziehung gesetzt werden, um den Einfluss von Elektron-Ion-Stößen zu quantifizieren. Für ein
stationäres Plasma, d.h. bei konstanter Dichte und Elektronentemperatur, erhält man die
stationäre Ionentemperatur damit aus
Ti =
γei
Te + Tk ,
2β
womit sich für Tk → 0 ein ionischer Kopplungsparameter von
r
6π mi β
Γi =
(ln Λ)−1
Γe me ωp,e
(8.31)
(8.32)
ergibt. Offenbar muss Γe so gering wie möglich gewählt werden, um ein möglichst stark
gekoppeltes Plasma zu erzeugen. Dies ist auch mit der Forderung nach einer geringen Rekombinationsrate (vgl. Abschnitt 8.2.3) verträglich. Einsetzen von charakteristischen Anfangsbedingungen und Laserparametern in Gl.(8.31) ergibt allerdings Ionentemperaturen, die selbst
für kleine Kopplungsparameter der Elektronen deutlich größer sind als die Grenztemperatur
Tk der Laserkühlung. Hieraus wurde in [172, 194] geschlossen, dass sich der Kopplungsgrad
der Ionen durch zusätzliches Kühlen zwar erhöhen lässt, ein sehr stark gekoppeltes Plasma oder sogar eine Kristallisation der Ionen, die für homogene Systeme bei Γ > 174 [81]
einsetzt, jedoch nicht realisierbar ist. Eine solche Abschätzung vernachlässigt allerdings den
Einfluss der Plasmaexpansion auf die Zeitentwicklung der Ionentemperatur, welcher mit
Hilfe der in dieser Arbeit eingeführten Methoden detailliert untersucht werden kann. Dazu wird die Expansion eines Beryllium-Plasmas mit Ni (0) = 20000, ρ̄i (0) = 2.3 · 108 cm−3,
120
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
5
4
Ti [mK]
Ti [mK]
2
1.5
3
2
0.5
0
0.1
1
0
0
1
4
8
1
t [µs]
12
t [µs]
10
16
20
Abbildung 8.8: Dynamik der Ionentemperatur bei Vernachlässigung von Ion-IonKorrelationen für ein stationäres (gestrichelte Linie) und ein expandierendes (durchgezogene
Linie) Plasma mit Ni (0) = 100000, ρ̄i (0) = 2 · 107 cm−3, Γ̄e (0) = 0.08, β = 0.15ωp,i (0) und
Tk = 0. Die horizontale gepunktete Linie entspricht dem stationären Wert der Ionentemperatur aus Gl.(8.31). Das Inset zeigt einen Vergleich mit Gl.(8.33) (gepunktete Linie).
Γ̄e (0) = 0.05, β = 0.1ωp,i (0) und Tk = 1 mK simuliert. In Abb.8.7 ist die Zeitentwicklung
des Coulomb-Kopplungsparameters hΓi i [vgl. Gl.(7.20)] dargestellt. Aus der Rechnung, die
Elektron-Ion-Stöße vernachlässigt, erhält man einen Kopplungsparameter, der bis zu einem
Wert von ≈ 1000 ansteigt. Bei Berücksichtigung von Elektron-Ion-Stößen beobachtet man
erwartungsgemäß eine deutliche Verringerung von hΓi i. Allerdings kann hierbei dennoch
einen vergleichweise hoher Wert von ≈ 400 erreicht werden, so dass eine Kristallisation der
ionischen Komponente nicht ausgeschlossen werden kann. Insbesondere ist der realisierbare
Kopplungsparameter deutlich größer als der durch Gl.(8.32) vorhergesagte Wert von ≈ 50.
Um den Einfluss der Plasmaexpansion auf die Zeitentwicklung der Ionentemperatur genauer zu beleuchten, soll im folgenden die Plasmadynamik im Rahmen der ’mean field’Näherung für die Ion-Ion-Wechselwirkung betrachtet werden. Die Temperatur der Ionen ist
damit ausschliesslich durch elastische Elektron-Ion-Stöße, die Laserkühlung und die Expansion des Plasmas bestimmt. Die resultierende Zeitentwicklung der Ionentemperatur ist in
Abb.8.8 für ein Beryllium-Plasma mit Ni (0) = 100000, ρ̄i (0) = 2 · 107 cm−3 , Γe (0) = 0.08
und β = 0.15ωp,i (0) dargestellt, wobei Tk = 0 gesetzt wurde. Zusätzlich zeigt Abb.8.8 die
Ionentemperatur für ein Plasma mit identischen Parametern, während nun jedoch sämtliche
Teilchenwechselwirkungen bis auf binäre Elektron-Ion-Stöße ’ausgeschaltet’ wurden, so dass
das Dichteprofil des Plasmas und die Elektronentemperatur zeitlich konstant bleiben. Wie
aus Abb.8.8 ersichtlich ist, steigt die Ionentemperatur im Fall des stationären Plasmas anfangs linear an und konvergiert dann gegen einen Wert, der mit Gl.(8.31) gut übereinstimmt.
Die geringe Abweichung ist hierbei auf die Inhomogenität der Dichte zurückzuführen, da in
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
121
Gl.(8.31) die mittlere Dichte verwendet wurde, anstatt die resultierende lokale Ionentemperatur über das Plasmavolumen zu mitteln. Im Fall des expandierenden Plasmas zeigt die
Ionentemperatur jedoch ein vollkommen anderes Verhalten. Während der anfängliche Temperaturanstieg dem des stationären Plasmas entspricht, beobachtet man mit dem Einsetzen
der Plasmaexpansion einen signifikanten Abfall der Ionentemperatur, welcher hauptsächlich
auf die adiabatische Abkühlung der Ionen zurückzuführen ist. Zu späteren Zeiten nimmt
der Parameter γ gemäß Gl.(8.16a) und Gl.(8.24) wie γ ∝ t−1 ab. In diesem Fall gilt γ β,
weshalb die Ionentemperatur in der späten Phase der Plasmaexpansion wiederum durch
Gl.(8.31) bestimmt wird. Im Gegensatz zu den vorherigen Abschätzungen sind die Dichte
und die Elektronentemperatur nun jedoch zeitabhängige Größen. Einsetzen der asymptotischen Lösung aus Abschnitt 8.2 in Gl.(8.31) ergibt für Tk = 0 einen Abfall der Ionentemperatur gemäß
1
Ti ∝
∝ t−1/2 .
(8.33)
3/2
3
σ Te
Der in Abb.8.8 dargestellte Vergleich dieser Abschätzung mit der numerisch berechneten
Ionentemperatur zeigt, dass das Langzeitverhalten in der Tat durch Gl.(8.33) beschrieben
wird. In analoger Weise findet man aus Gl.(8.32) einen wie
Γ̄i ∝ t1/4
(8.34)
ansteigenden Coulomb-Kopplungsparameter.
Aufgrund der adiabatischen Ausdehnung des Plasmas sinkt der durch Elektron-Ion-Stöße
bedingte Wert der Ionentemperatur so weit ab, dass die Temperatur der Ionen langfristig
gegen ihren Grenzwert Tk konvergiert. In expandierenden Plasmen können daher deutlich
höhere Kopplungsgrade realisiert werden, als eine statische Abschätzung [172, 194] vermuten
lässt. Wie in diesem Abschnitt bereits demonstriert wurde, können hierbei so tiefe Temperaturen erreicht werden, dass eine Kristallisation des Systems auftreten kann. Die Dynamik des
Kristallisationsprozesses und die dabei auftretenden Ordnungsphänomene sind Gegenstand
des folgenden Abschnitts.
8.2.5
Strukturbildung und Coulomb-Kristallisation
Die Rechnungen des letzten Abschnitts haben gezeigt, dass die zusätzliche Laserkühlung
die Erzeugung von expandierenden Plasmen mit ionischen Kopplungsparametern weit oberhalb der für homogene Plasmen bekannten Kristallisationsgrenze ermöglicht. Anders als
im Fall der freien Plasmaexpansion, bei der das Auseinanderdriften der Ionen zu einem
’Ausfrieren’ der räumlichen Ionenkorrelationen führt (vgl. Abschnitt 7.5.2), ist die mittlere
Driftgeschwindigkeit lasergekühlter Plasmen sehr viel kleiner und nimmt gemäß Gl.(8.16a)
βt1
und Gl.(8.24) wie hvDri = γā ∝ t−1/2 ab. Die zusätzliche Laserkühlung begünstigt somit
die Relaxation der Ionen im Zuge der Plasmaexpansion, so dass der Kopplungsgrad der ionischen Komponente auch zu späten Zeiten durch den mittleren Kopplungsparameter hΓ i iR
[vgl. Gl.(7.20)] beschrieben werden kann.
Um dies zu demonstrieren, ist in Abb.8.9 die in Abschnitt 7.5.2 eingeführte Verteilung
der skalierten Ionenabstände [vgl. Gl.(7.17)] für die in Abb.8.7 verwendeten Plasmaparameter von mi = 9amu, Ni (0) = 20000, ρ̄i (0) = 2.3 · 108 cm−3 , Γ̄e (0) = 0.05, β = 0.1ωp,i (0) und
Tk = 1mK nach einer Expansionszeit von t = 40 µs dargestellt. Die Verteilung wurde dabei
aus einer zentrierten Kugel mit dem Radius 3σ/2 bestimmt. Neben der Abstandsverteilung
122
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
3
2.5
~ )
P(r/a
P(r)
loc
2
1.5
1
0.5
0
0
1
2
4
3 ~r r/a
loc
5
6
7
Abbildung 8.9: Verteilung der gemäß Gl.(7.17) skalierten Ionenabstände bei t = 40µs. Die
durchgezogene Linie zeigt die Korrelationsfunktion eines homogenen Plasmas mit Γ i = 400
[233]. Die Plasmaparameter entsprechen denen aus Abb.8.7.
zeigt Abb.8.9 die aus HNC-Rechnungen (hyper-netted-chain) resultierende Korrelationsfunktion cii eines homogenen Plasmas [233] für einen Kopplungsparameter Γi = 400, der
dem zuvor berechneten Kopplungsparameter bei t = 40 µs (vgl. Abb.8.7) entspricht. Die
gute Übereinstimmung zwischen P (r̃) und cii macht deutlich, dass sich das Plasma in einem
sehr stark gekoppelten flüssigen Zustand befindet, der sich in der Tat durch den Kopplungsparameter hΓi i3σ/2 charakterisieren lässt. In homogenen Plasmen ist dieser Zustand, welcher
durch ein schnelles Abkühlen unter die Kristallisationsgrenze erzeugt wird, metastabil und
−1
relaxiert auf einer Zeitskala von > 102 ωp,i
[133] in ein reguläres Gitter [154, 157, 197, 234].
Wenngleich die hier erhaltenen ionischen Kopplungsparameter die für homogene Plasmen
bekannte Kristallisationsgrenze von ≈ 174 weit übersteigen, ist jedoch eine Kristallisation der Ionen in reguläre kubische Gitterstrukturen aufgrund der Inhomogenität der Dichte
nicht möglich.
Andererseits sind die betrachteten Plasmen zwar in radialer Richtung inhomogen, weisen
aber eine sphärische Symmetrie und damit eine entlang von konzentrischen Kugelschalen
konstante Dichte auf. Aus diesem Grund kann die Ausbildung einer langreichweitigen Ordnung, die dieser Symmetrie genügt, nicht ausgeschlossen werden. Um die Möglichkeit einer
solchen Kristallisation des Plasmas zu untersuchen, wurde die Expansion für verschiedene Plasmaparameter simuliert. Hierbei zeigt sich, dass für bestimmte Anfangsbedingungen
und Laserparameter in der Tat eine radiale Kristallisation des Plasmas beobachtet werden
kann. In Abb.8.10 ist ein ebener Schnitt durch das Zentrum eines Plasmas mit N i = 80000,
Γ̄e (0) = 0.08 und β = 0.2ωp,i nach einer Expansionszeit von ωp,i t = 216 dargestellt. Die Ausbildung von konzentrischen Schalen im Inneren des Plasmas ist deutlich zu erkennen. Um
zu demonstrieren, dass die Ausbildung der radialen Ordnung aus ionischen Korrelationen
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
123
y/a
25
20
15
10
5
0
-5
-10
-15
-20
-25
-25 -20 -15 -10 -5 0
5 10 15 20 25
x/a
Abbildung 8.10: Ebener Schnitt durch das Zentrum eines lasergekühlten Plasmas mit Ni =
80000, Γ̄e (0) = 0.08 und β = 0.2ωp,i nach einer Expansionszeit von ωp,i t = 216. Um einen
besseren Kontrast zu erreichen, wurden mehrere Schnitte unterschiedlicher Orientierung
überlagert.
resultiert und nicht etwa ein Artefakt des diskreten Gitters zur Berechnung der jeweiligen Ladungsdichten und ’mean field’-Potenziale ist, wird in Abb.8.11 die radiale Dichte
des Plasmas aus Abb.8.10 (HMD-Simulation) mit dem Resultat einer PIC-MCC-Simulation
bei Verwendung von identischen Parametern verglichen. Eine radiale Ordnung kann hierbei nur im Rahmen der HMD-Simulationen, also bei Berücksichtigung der vollen Ion-IonWechselwirkung, beobachtet werden. Neben dieser langreichweitigen radialen Ordnung, findet man außerdem die Ausbildung von regulären Strukturen in transversaler Richtung, d.h.
auf den Kugelschalen selbst. Dies ist in Abb.8.12 illustriert, die die Anordnung der Ionen
auf den fünf innersten Kugelschalen zeigt. In ebenen zweidimensionalen Coulomb-Systemen
wird der Zustand kleinster potenzieller Energie durch ein hexagonales Gitter realisiert [291].
Daher sollten solche Strukturen auch für den vorliegenden Fall zu erwarten sein. Eine geschlossene Kugelschale kann jedoch nicht vollständig durch ein hexagonales Gitter abgedeckt
werden, weshalb, wie in Abb.8.12 ersichtlich, Gitterdefekte und signifikante Störungen der
Gittersymmetrie auftreten. Die Dominanz hexagonaler Einheitszellen ist dennoch deutlich
zu erkennen.
Die hier beschriebene Ausbildung konzentrischer Kugelschalen in Coulomb-Systemen
tritt unter anderem auch in magnetisch gefangenen nichtneutralen Plasmen lasergekühlter Ionen auf, welche in den letzten Jahren sowohl im Rahmen von Molekular-DynamikSimulationen [80, 179, 246, 272, 273] und vereinfachenden theoretischen Modellen [75, 292]
als auch experimentell [32, 35, 43, 112, 151] intensiv untersucht wurden. Wie in einer Reihe
von Arbeiten diskutiert wird, ist die Ausbildung der Schalenstruktur hierbei auf die Oberfläche und damit auf die Endlichkeit des Plasmas zurückzuführen [138, 139]. Im Gegensatz
zu unendlichen Systemen ist die potenzielle Energie pro Ion in begrenzten Plasmen nicht
unabhängig von der Teilchenzahl, sondern setzt sich aus einem Volumenanteil, der Ober-
124
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
5
3
3
a ρi
4
2
1
0
0
5
10
20
15
25
30
35
r/a
Abbildung 8.11: Radiale Ionendichte des Plasmas aus Abb.8.10. Die ausgefüllte Fläche zeigt
das Ergebnis der HMD-Simulation, während die Linie aus einer PIC-MCC-Rechnung mit
identischen Parametern erhalten wurde.
−1/3
−2/3
flächenenergie (∝ Ni
) und der Krümmungsenergie (∝ Ni
) zusammen. Für kleine
Systeme liefern die teilchenzahlabhängigen Terme einen entscheidenden Beitrag, wobei sich
sämtliche Ionen auf konzentrischen Schalen anordnen. Da jedoch das Volumen des Plasmas
mit wachsender Teilchenzahl schneller wächst als dessen Oberfläche, findet man bei Ni ≈ 104
einen Übergang zu einer kubischen Gitterstruktur im Inneren des Plasmas [36, 155]. Allerdings weist die äußere Region dennoch eine Schalenstruktur auf, da diese die Oberflächenund Krümmungsenergie minimiert. Aus diesem Grund beobachtet man außerdem, dass sich
die Kristallisation des Systems in konzentrische Schalen von außen nach innen vollzieht [294].
Die Tatsache, dass die Bildung von Kugelschalen in den hier diskutierten neutralen Plasmen
im Zentrum, also im Bereich größter Dichte beginnt und die einzelnen Kugelschalen nach
außen ausfrieren, zeigt, dass die Kristallisation im vorliegenden Fall einer anderen Dynamik
unterliegt und das Auftreten der radialen Ordnung nicht mit dieser einfachen Argumentation verstanden werden kann. Während sich nichtneutrale Plasmen in harmonischen Fallen
durch einen scharfen Rand auszeichnen, lässt sich die Oberfläche der im vorliegenden Fall
Gauß-förmigen Dichte nicht klar definieren.
Ein weiterer Punkt, der das hier diskutierte Kristallisationsszenario weiter verkompliziert, ist die Expansion des Plasmas. Offenbar hat diese einen entscheidenden Einfluss auf
das Kristallisationsverhalten, da die ionische Komponente, wie bereits erläutert, für vergleichbare Γ̄i aber verschiedene Anfangsbedingungen und Laserparameter in unterschiedliche Zustände relaxiert. Ein quantitatives Kriterium für das Auftreten der Schalenstrukturen
konnte bisher nicht gefunden werden. Allerdings zeigen die Simulationen, dass sich die Anzahl der Schalen bei konstantem Γ̄e (0) und sinkender Ionenzahl Ni (0) verringert, bis diese
8.2 Laserkühlung expandierender Plasmen
125
Abbildung 8.12: Räumliche Anordnung der Ionen des Plasmas aus Abb.8.10 auf den fünf
innersten Schalen.
126
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
vollkommen verschwinden und sich das System im gesamten Volumen durch starke aber
kurzreichweitige Korrelationen auszeichnet (vgl. Abb.8.9). Erhöht man jedoch gleichzeitig
den anfänglichen Kopplungsparameter Γ̄e (0)1 , so bilden sich auch bei geringen Teilchenzahlen langreichweitige radiale Korrelationen aus. Die durch Gl.(8.24) definierte Expansionszeit texp ≈ (α2 β)−1, welche sich in dimensionslosen Einheiten (vgl. Anhang B) zu
ωp,i(0)texp ∝ Γ̄e (0)Ni (0)2/3 ergibt, lässt dieses Verhalten plausibel erscheinen. In Übereinstimmung mit den numerischen Rechnungen ist die Expansion des Plasmas für zu kleine
Γ̄e bzw. zu kleine Teilchenzahlen offenbar zu schnell, um eine Ausbildung langreichweitiger, radialer Korrelationen zu ermöglichen. Dafür spricht außerdem, dass sich die Ausbildung der langreichweitigen Ordnung in zwei Phasen vollzieht. Wie am Anfang dieses Abschnitts erläutert wurde, verläuft die Ausbildung kurzreichweitiger Korrelationen auf einer
−1
und wird durch die stark abgebremste Expansivergleichsweise kurzen Zeitskala von ≈ ωp,i
on kaum beeinflusst. Die Ausbildung langreichweitiger radialer Ordnung setzt hingegen erst
deutlich nach Überschreiten des Kristallisationspunktes ein und vollzieht sich auf einer sehr
viel längeren Zeitskala. Die Bildung langreichweitiger Ordnung kann daher, im Gegensatz
zur Relaxation kurzreichweitiger Korrelationen, durch die Expansion des Plasmas gestört
werden. Außerdem ist die Ionendichte und damit die Relaxationsrate für eine schnellere Plasmaexpansion bei Einsetzen der Kristallisation entsprechend geringer, was die Ausbildung
der radialen Ordnung zusätzlich erschwert.
8.3
Korrelationskühlen
Wie in Abschnitt 8.1 erläutert wurde, besteht neben einer indirekten Kompensation des Korrelationsheizens der Ionen durch Kühlung während der Expansion alternativ die Möglichkeit,
durch eine gezielte Präparation des Anfangszustandes das anfängliche Aufheizen direkt zu
verringern. Die Rechnungen aus Abschnitt 7.5.2 haben gezeigt, dass dieses Aufheizen nahezu ausschließlich aus einem ’unterkorrelierten’ Ausgangszustand resultiert. Es sollte daher
möglich sein, durch die Präparation eines ’überkorrelierten’ Ausgangszustandes das anfängliche Aufheizen nicht nur zu kompensieren, sondern sogar ein Abkühlen der ionischen Komponente zu erreichen. Da in diesem Fall die Korrelationsenergie geringer als der entsprechende
Gleichgewichtswert ist, steigt die potenzielle Energie des Systems im Zuge der Relaxation
an, was aufgrund der Erhaltung der Gesamtenergie ein Absinken der Ionentemperatur nach
sich zieht. Eine Möglichkeit zur Realisierung eines solchen Szenarios und inwieweit sich die
Plasmaionen auf diese Weise kühlen lassen, soll im folgenden näher diskutiert werden.
8.3.1
Klassische Behandlung und ’finite size’-Effekte
Um einen ’überkorrelierten’ Anfangszustand zu erzeugen, müssen die Ionen in einer räumlichen Konfiguration mit einer möglichst geringen potenziellen Energie angeordnet werden.
Für ein homogenes, unendlich ausgedehntes Plasma entspricht der Zustand tiefster potenzieller Energie einem Ionen-Gitter mit einer bcc-Struktur (body-centered-cubic) [77, 81, 152].
1
Um ausschließlich den Einfluss der Plasmaexpansion auf das Kristallisationsverhalten der Ionen zu
untersuchen, wurden sowohl elastische Elektron-Ion-Stöße als auch inelastische Elektronenstöße in diesen
Simulationen ’ausgeschaltet’, da diese bei zu großem Γ̄e(0) einerseits zu einer signifikanten Erhöhung der
Elektronentemperatur (vgl. Abschnitt 7.2) und einer Zerstörung des neutralen Plasmazustandes (vgl. Abschnitt 8.2.3) führen und andererseits die Ionen so stark aufheizen, dass die Kristallisationsgrenze u.U. nicht
erreicht werden kann (vgl. Abschnitt 8.2.4).
8.3 Korrelationskühlen
127
2
Ti/Ti
(0)
1.5
1
0.5
0
0
2
4
6
ωp,i(0)t
8
10
12
Abbildung 8.13: Zeitentwicklung der kinetischen Ionenenergie des gesamten Systems (durchgezogene Linie) und innerhalb einer zentralen Kugel mit dem halben anfänglichen Plasmaradius (gestrichelte Linie) für Γ(0)
= 10.
i
Mit Hilfe von optischen Gittern ist es in den letzten Jahren gelungen, kalte atomare Gase
in periodischen Anordnungen experimentell zu erzeugen [31, 298]. Ein kubisches bcc-Gitter
[143] stellt dabei nur eine von vielen realisierbaren Strukturen dar. Die grundlegenden Ideen
bei der Erzeugung von optischen Gittern wurden im Zusammenhang mit den Prinzipien der
Laserkühlung bereits in Abschnitt 8.2.1 erläutert. Hierbei ist zusätzlich zu beachten, dass
die periodische Variation der Laserintensität in einer stehenden Welle eine ortsabhängige
Verschiebung der Resonanzfrequenz des jeweilig getriebenen Übergangs zur Folge hat. Dies
führt zu einer ortsabhängigen Dipolwechselwirkung des Atoms mit dem Laserfeld. Während
die so entstehenden Potenzialtöpfe an den Knoten bzw. Bäuchen der stehenden Welle für
die in Abschnitt 8.2 betrachtete Dynamik der stark wechselwirkenden Ionen keine Rolle
spielt, können neutrale Atome in diesen Potenzialmulden jedoch lokalisiert werden, falls die
Intensitätsverschiebung größer als die entsprechende Doppler-Verschiebung ist [200]. Durch
eine geeignete räumliche Anordnung und eine entsprechende Wahl der Phasen der verschiedenen Laserstrahlen lassen sich auf diese Weise Atome in einer großen Anzahl verschiedener
Gitterstrukturen anordnen [123]. Bei vollständiger Photoionisation eines solchen atomaren
Gases in einem bcc-Gitter lässt sich so ein neutrales Plasma mit einer minimalen potenziellen
Ionenenergie erzeugen.
Die Relaxationsdynamik eines derart präparierten Plasmas wird hier mit Hilfe der HMDMethode untersucht, wobei die Relaxation eines kugelförmigen Ausschnitts aus einem perfekten bcc-Gitter betrachtet wird. Realistischerweise wird das Plasma eher eine Zylindersymmetrie aufweisen. Dies hat jedoch auf die Relaxationsdynamik im Inneren des Systems
keinen Einfluss. Zudem befinden sich die Ionen nach der Ionisation nicht exakt an ihren
Gitterpunkten, sondern weisen, bedingt durch die thermische Energie der Atome, eine um
den jeweiligen Gitterplatz zentrierte thermische Verteilung auf. In den HMD-Simulationen
wird an dieser Stelle ein perfektes bcc-Gitter angenommen, während der Einfluss der ther-
128
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
mischen Verbreiterung der lokalen Ionendichten auf den Kühleffekt anschließend im Rahmen
von analytischen Betrachtungen diskutiert wird.
Die Expansion des Plasmas kann sehr gut durch die Dynamik der Randregion eines halbunendlichen, quasineutralen Plasmas [125, 263, 264] beschrieben werden. Da sich der thermische Elektronendruck proportional zum Dichtegradienten verhält [vgl. Gl.(5.12)], bleibt
der innere Teil des Plasmas, der sich durch eine homogene Dichte auszeichnet, von der Expansion unbeeinflusst. Die anfangs scharfe Kante des Dichteprofils wird jedoch im Zuge der
Plasmaexpansion aufgeweicht und gemäß der selbstähnlichen Lösung der entsprechenden
hydrodynamischen Gleichungen [126]

1
, r < r0 ,
ρi (r, t) = ρi (0, 0)
 exp − r−R0 +v0 t , r ≥ r0
v0 t
r0 = R0 − v0 t
(8.35)
−1/3
p
Ni
verbreitert, wobei v0 = kB Te/mi die Expansionsgeschwindigkeit und R0 = 43 π ρi (0,0)
den Anfangsradius
des Plasmas bezeichnen. Das Plasma expandiert also auf einer Zeitskala
√
−1/3 −1
ω0,i , während die Ionentemperatur auf einer Zeitskala von einigen invon τexp ≈ Γe Ni
√
versen Plasmafrequenzen relaxiert, wobei ω0,i = ωp,i/ 3 die Einsteinfrequenz des Plasmas
bezeichnet. Um eine ungestörte Relaxation der Ionentemperatur zu ermöglichen, muß daher entweder Γe oder Ni hinreichend groß gewählt werden. Experimentell wurden neutrale
Plasmen mit elektronischen Coulomb-Kopplungsparametern von Γ e = 4 · 10−3 [173] erzeugt,
so dass Dreikörperrekombination und Debye-Abschirmung der Ion-Ion-Wechselwirkung in
diesem Fall zu vernachlässigen sind. Andererseits erreicht man mit realisierbaren Teilchenzahlen von bis zu Ni = 108 [169, 279] Expansionszeiten τexp, die ca. das Dreißigfache der
inversen Einstein-Frequenz betragen. Derart große Systeme können mit der hier verwendeten HMD-Methode numerisch nicht beschrieben werden. Deshalb wird an dieser Stelle ein
Plasma mit Γe (t = 0) = 0.5 und Ni = 105 zur Simulation des Systems herangezogen, so dass
−1
und man bei Vernachlässigung von Rekombination, Debye-Abschirmung und
τexp ≈ 30ω0,i
binären Elektron-Ion-Stößen das gleiche Expansions- und Relaxationsverhalten erhält.
Die Zeitentwicklung der kinetischen Ionenenergie für Γi (t = 0) ≡ Γ(0)
= 10 ist in
i
Abb.8.13 dargestellt. Wie die durchgezogene Linie in Abb.8.13 zeigt, sinkt die kinetische
Energie anfangs ab und steigt dann jedoch rapide an, ohne gegen einen festen Wert zu
konvergieren. Der Anstieg der kinetischen Energie ist hierbei nicht auf eine ansteigende
thermische Energie, sondern auf die radiale Expansion der Ionen in der Randregion des
Plasmas zurückzuführen. Im inneren Teil des Plasmas, in dem die Ionendichte konstant ist,
stellt sich demgegenüber sehr schnell eine Maxwell-Verteilung ein, so dass sich in dieser
Region eine Ionentemperatur definieren lässt. Zur Bestimmung von Ti(t) wird daher die
kinetische Energie der Ionen im Inneren des Plasmas, d.h. in einer Kugel mit der Hälfte des
anfänglichen Plasmaradius, herangezogen. Wie die gestrichelte Linie in Abb.8.13 zeigt, wird
die kinetische Energie in diesem Bereich des Plasmas nicht von der Expansion beeinflusst.
Weiterhin wird deutlich, dass die Relaxation der Ionentemperatur wiederum mit transienten
−1
Oszillationen verbunden ist, welche auf einer Zeitskala von ω p,i
ausgedämpft werden, wobei
Ti gegen einen konstanten Wert konvergiert.
Die Endtemperatur Ti (t → ∞) ≡ Ti(∞) wird aus dem Mittelwert der zu späten Zeiten
nur noch schwach oszillierenden Ionentemperatur (gestrichelte Linie in Abb.8.13) gewonnen
8.3 Korrelationskühlen
129
und ist in Abb.8.14 als Funktion des anfänglichen Kopplungsparameters Γ(0)
dargestellt. Für
i
(0)
Γi → 0 wird die Gesamtenergie des ionischen Systems ausschließlich durch die kinetische
Ionenenergie bestimmt, weshalb sich diese während der Relaxation durch eine Variation
der potenziellen Energie nicht ändert und somit Ti(∞)/Ti(0) = 1 resultiert. Mit wachsendem
(0)
Γi fällt das Verhältnis von End- zu Anfangstemperatur erwartungsgemäß ab, steigt dann
jedoch bei Γ(0)
≈ 60 wieder an und läuft schließlich gegen einen konstanten Wert von
i
(∞)
(0)
Ti /Ti = 0.5. Durch die Präparation eines korrelierten Anfangszustandes kann also die
Temperatur der Ionen für stark gekoppelte Systeme auf ca. 50% des anfänglichen Wertes
reduziert werden.
Um dieses Verhalten besser zu verstehen, soll im folgenden die Energiebilanz eines unendlich ausgedehnten Einkomponentenplasmas [152] näher betrachtet werden. Dieses ModellSystem lässt eine gute Beschreibung der Ionenrelaxation erwarten, da für Γe 1 sowohl Dreikörperrekombination als auch Debye-Abschirmung vernachlässigt werden können.
Dementsprechend bilden die Elektronen aufgrund der im Inneren homogenen Ionendichte
lediglich einen homogenen neutralisierenden Ladungshintergrund. Das Verhältnis von Endzu Anfangstemperatur ergibt sich dann in einfacher Weise aus der Energieerhaltung
3
3
(∞)
(∞)
(0)
(0)
kB Ti + uii = kB Ti + uii ,
2
2
(0)
(0)
(0)
(∞)
(∞)
(8.36)
(∞)
wobei uii = kB Ti Uii und uii = kB Ti Uii die Korrelationsenergien im Anfangs- und
Endzustand des Plasmas sind. In der flüssigen Phase wird diese wiederum aus Gl.(5.41) [50]
A1
A3
(∞)
3/2
√
Uii (Γ) = Γ
+
(8.37)
A2 + Γ 1 + Γ
bestimmt. In der festen Phase, d.h. für Γi > 174 [81, 152], kann die entsprechende Korrelationsenergie nach 1/Γ entwickelt werden [77, 229]:
1
b
c
3 a
(∞)
,
(8.38)
Uii (Γ) = −AMΓ + + + 2 + 3 + O
2 Γ Γ
Γ
Γ4
wobei a = 10.84, b = 352.8 und c = 1.794 · 105 . Der erste Term in Gl.(8.38) entspricht der
Madelung-Energie eines perfekten bcc-Gitters mit A M = 0.895929 [81]. Der zweite Term
beschreibt den Beitrag von thermischen Phononenanregungen eines idealen Gases, während
die verbleibenden Terme anharmonische Korrekturen, bedingt durch die nichtlineare IonIon-Wechselwirkung, berücksichtigen.
Die potenzielle Energie des Anfangszustandes erhält man durch Mittelung der Ionenenergie bei Verwendung der atomaren Phasenraumverteilung kurz vor der Photoionisation
des Gases. Ist die Breite κ der Ionenverteilung an den jeweiligen Gitterplätzen viel kleiner als
der Gitterabstand, kann das optische Fallenpotenzial als harmonisch angenommen werden.
Damit entspricht die lokale Ionendichte einer Gauß-Verteilung und die gesamte Ionendichte
kann als
X
(ri,j − Rj )2
2 −3/2
2πκ
exp −
ρi (ri,1, ..., ri,Ni ) =
2κ2
j
(0)
κ
2
kB Ti
=
miωL2
(8.39)
130
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
1
200
0.9
180
(∞)
(∞)
0.8
160
Ti /Ti(0)
(∞)
Γi =174
Γi
0.7
140
0.6
60
70
80
Γi
90
100
(0)
0.5
0.4
0
20
40
60
80 100 120 140 160 180 200
Γi
(0)
Abbildung 8.14: Verhältnis von End- und Anfangstemperatur als Funktion des anfänglichen Kopplungsparameters. Die Punkte zeigen die Resultate der HMD-Simulationen wärend
die durchgezogene Linie aus Gl.(8.46) berechnet wurde. Das Inset zeigt den CoulombKopplungsparameter nach der Ionenrelaxation als Funktion des anfänglichen Kopplungsparameters.
geschrieben werden, wobei Rj den Gittervektor des j-ten Ions bezeichnet und ωL die Eigenfrequenz der lokalen Fallenpotenziale ist. Durch Summation der binären Wechselwirkungsenergien im reziproken Raum [4] erhält man mit Gl.(8.39) für die potenzielle Energie pro
Ion
3e2 X exp(−κ2 G2 )
e2
(0)
√
Uii =
−
,
(8.40)
2kB Ti G6=0
G2
2 πkB Ti κ
wobei G die reziproken Gittervektoren bezeichnet. Andererseits ergibt die Berechnung der
Madelung-Konstante eines perfekten Gitters im Rahmen der Ewald-Methode [42]
2 2
exp
− a4αG2
X
X a
3
αR
3
α
+
erfc
− 2−√ ,
(8.41)
−AM =
2
2
2R
a
2 G6=0
aG
8α
π
R6=0
wobei α eine beliebige Konstante ist. Wählt man α = a/(2κ), so erhält man aus Gl.(8.40)
und Gl.(8.41) in erster Ordnung in κ2/a2 1
3 κ2
Uii(0) = −AMΓi + Γi 2 .
2 a
(8.42)
Eine alternative Berechnung der Korrelationsenergie Gl.(8.42) zeigt, dass der Korrekturterm
2
3
Γ κ unabhängig von der genauen Form der lokalen Ionenverteilung ist. Hierzu betrachtet
2 i a2
man das elektrostatische Potenzial
am j-ten Gitterplatz, wobei d j eine kleine Abweichung
von Rj bezeichnen möge. Wegen d2j a2 kann die mittlere Wechselwirkung zwischen
zwei Ionen durch das reine Coulomb-Potenzial beschrieben werden. Aufgrund der Spiegelsymmetrie des Gitters und der Invarianz bezüglich einer Vertauschung der Koordinaten
8.3 Korrelationskühlen
131
(z.B. x ↔ y) ist der führende Term einer Taylor-Entwicklung des Ionenpotenzials durch
Kd2 gegeben. Bei Berücksichtigung des elektronischen ’mean field’-Potenzials ergibt sich
daher für die Änderung der Korrelationsenergie durch Verschieben des j-ten Ions um d j
1
(0)
2 2
δuii (dj ) = miω0,i
dj + Kd2j .
2
(8.43)
Da sich bei Auslenkung des j-ten
Ions um dj bei Rj keine positive Ladung befindet, gilt für
das Ionenpotenzial ∇2rj Krj2 = 6K = 0. Für die mittlere Korrelationsenergie erhält man
dementsprechend wiederum Gl.(8.42)
2 mi ω0,i
r2
2kB Ti
1 hr2 i
= −AM Γi + Γi 2
2 a
3 κ2
= −AM Γi + Γi 2 ,
2 a
Uii(0) (Γi ) = −AM Γi +
(8.44)
wobei im letzten Schritt eine Gauß-Verteilung zur Bestimmung der mittleren quadratischen
Abweichung hd2 i verwendet wurde. Daher ist hd2 i in diesem Fall durch
2
ω0,i
hd2 i
=
3
Γ−1
a2
ωL2 i
(8.45)
gegeben.
Das Verhältnis der Anfangs- und Endtemperaturen lässt sich nun aus der Energieerhaltung Gl.(8.36) gemäß
(0)
(0)
(∞)
3/2 + Uii (Γi )
Ti
=
(8.46)
Ti(0)
3/2 + Uii(∞) (Γi(∞) )
bestimmen, wobei Uii(0) durch Gl.(8.44), Uii(∞) für Γi(∞) ≤ 174 durch Gl.(8.37) und Uii(∞) für
(∞)
(0)
Γi > 174 durch Gl.(8.38) gegeben sind. Ein Vergleich der resultierenden Γ i -Abhängigkeit
des Temperaturverhältnisses für κ = 0 mit den Ergebnissen der HMD-Simulation (Abb.8.14)
zeigt, dass die numerischen Daten in der Tat sehr gut durch Gl.(8.46) beschrieben werden
können. Etwaige Abweichungen, d.h. das Aufweichen der scharfen Übergänge bei Γ(0)
= 70
i
(0)
und Γi = 84, sind weitestgehend auf die Endlichkeit des simulierten Plasmas zurückzuführen [138, 139].
Anhand von Gl.(8.46) lässt sich das numerisch gefundene Verhalten der Ionentemperatur unmittelbar verstehen. Für geringe Γ(0)
sinkt die Temperatur im Zuge der Relaxation
i
aufgrund des Anstiegs der potenziellen Energie ab, was mit einem Schmelzen der metasta(∞)
(0)
bilen Gitterstruktur verbunden ist, da in diesem Fall Γ i
< 174. Bei Γi = 70 nimmt
Γi(∞) einen Wert von 174 an, wobei die Gitterstrukturen nicht mehr vollständig aufbrechen
(0)
(∞)
(0)
(∞)
und Γi = 174 bis zu einem Wert von Γi = 84 konstant bleibt, so dass Ti /Ti linear
zunimmt. Die Differenz der Endtemperaturen für Γ(0)
= 70 und Γ(0)
= 84 entspricht gerade
i
i
(0)
(∞)
der latenten Wärme des Phasenübergangs. Für Γi > 84 (Γi
> 174) befindet sich das
System in der festen Phase, wobei das Verhältnis der Temperaturen gegen einen konstanten
Wert von 1/2 konvergiert. Dieser Faktor resultiert aus den zusätzlichen Freiheitsgraden der
thermischen Gitterschwingungen mit einer kinetischen Energie von 3k B Ti(∞)/2, während
132
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
die potenzielle Energie im Anfangs- und Endzustand nahezu identisch ist. Die Umvertei(0)
(∞)
lung der kinetischen Energie von 3kB Ti /2 auf 3kB Ti
führt dabei zu einer Halbierung
der Ionentemperatur. Bei Berücksichtigung der endlichen Breite κ der lokalen Ionendichte im Anfangszustand ergibt sich an Stelle des Faktors 1/2 ein Temperaturverhältnis von
2
Ti(∞)/Ti(0) = (1 + ω0,i
/ωL2 )/2.
Die obigen Betrachtungen zeigen damit, dass eine Abkühlung des Plasmas in der Tat
realisierbar ist, sofern das optische Gitter so konstruiert wird, dass ω L > ω0,i gilt. Der optimale Wert von Ti(∞) /Ti(0) = 1/2 entspricht dabei dem Grenzfall ωL → ∞. Wie im nächsten
Abschnitt diskutiert werden soll, ist dieser aus rein klassischen Rechnungen gewonnene Wert
aufgrund von quantenmechanischen Effekten jedoch nicht zu erreichen.
8.3.2
Quantenmechanische Korrekturen
Die vorangegangenen klassischen Betrachtungen suggerieren, dass eine Abkühlung des Systems unabhängig von der Anfangstemperatur möglich ist, so dass sich im Prinzip ein beliebig kaltes Plasma erzeugen lässt. Bei hinreichend geringen Temperaturen ist jedoch zu
erwarten, dass quantenmechanische Effekte an Bedeutung gewinnen und daher die obige
rein klassische Behandlung zusammenbricht. Die Auswirkung dieser Effekte auf die resultierenden Ionentemperaturen soll im folgenden näher beleuchtet werden.
Für Temperaturen, bei denen quantenmechanische Effekte wichtig werden, befindet sich
die ionische Komponente des Plasmas in der Regel in der festen Phase, so dass an dieser
Stelle ausschließlich die innere Energie von Coulomb-Kristallen zu berücksichtigen ist. Wie
im zuvor betrachteten, klassischen Fall kann diese in drei Beiträge aufgespalten werden: die
Madelung-Energie des Ionengitters, die Energie thermisch angeregter, harmonischer Gitterschwingungen [14, 308] und anharmonische Korrekturen. Die harmonischen Beiträge zur
inneren Energie werden hier durch den in [13] gefundenen Ausdruck beschrieben. Die anharmonischen Korrekturen von Coulomb-Kristallen wurden in [158] mit Hilfe von QuantenMonte-Carlo-Rechnungen untersucht, wobei außerdem eine Fit-Formel angegeben wurde,
welche die numerischen Daten mit hoher Genauigkeit reproduziert. Der resultierende Ausdruck für die innere Energie ist relativ kompliziert und unübersichtlich und wird deshalb in
Anhang E angeführt. Wie dort erläutert, reproduziert die resultierende Formel sowohl den
semiklassischen Hochtemperaturgrenzfall als auch die Grundzustandsenergie des CoulombKristalls [46, 49, 245]
0.365
θi
(∞)
Uii = −AM Γi + 1.329θi − √ + O 3/2 .
(8.47)
rs
rs
Dabei ist rs = amie2 / 2 der Wigner-Seizt-Radius in Einheiten des ionischen Bohr-Radius
und der Parameter θi = ω0,i /(kB Ti ) beschreibt die Bedeutung von Quanteneffekten, d.h.
von ionischen Grundzustandsoszillationen. Wie im zuvor diskutierten klassischen Fall wird
die Energie des Anfangszustandes durch Mittelung des Hamilton-Operators nach der Photoionisation
X p2
1 X e2
i
+
(8.48)
H=
2m
2
|r
−
r
|
i
i
j
i
i6=j
mit Hilfe der Dichtematrix vor der Photoionisation des atomaren Gases
X
3 ωL
(n1 + ... + nNi ) |n1 , ..., nNi i hn1, ..., nNi |
exp −
ρ̂ =
2kB Ti
n ,...,n
1
Ni
(8.49)
8.3 Korrelationskühlen
133
(0)
-2
-1
10
0
10
10
θi
1
2
10
10
6
10
1
10
10
5
(∞)
0
Γi
10
(∞)
4
θi
10
-1
10
10
3
-2
3
10
4
6
5
10
10
10
10
7
10
(0)
Γi
(∞)
(∞)
Abbildung 8.15: Skalierte Endtemperatur (Γi bzw. θi ) als Funktion der skalierten Anfangstemperatur (Γ(0)
bzw. θi(0)) für rs = 2 · 109 und ωL /ω0,i = 1 (dicke durchgezogene
i
Linie), ωL /ω0,i = 2 (gestrichelte Linie) und ωL /ω0,i = 1/2 (strich-punktierte Linie). Zum
Vergleich ist außerdem das klassische Resultat (dünne durchgezogene Linie) dargestellt. Die
horizontalen gepunkteten Linien resultieren aus der Abschätzung Gl.(8.54).
bestimmt, wobei |n1 , ..., nNi i ein Produkt aus Eigenzuständen von um Rj zentrierten, harmonischen Oszillatoren mit den jeweiligen Quantenzahlen n j = {nx,j , ny,j , nz,j } bezeichnet
und nj = nx,j + ny,j + nz,j . Für die kinetische Energie im Anfangszustand erhält man nach
Ausführung der Mittelung
ωL
3
(0)
,
(8.50)
Ekin = ωL coth
4
2kB Ti
während sich für die Korrelationsenergie analog zu den klassischen Rechnungen
3 κ2
Uii(0) = −AM Γi + Γi 2
2 a
(8.51)
ergibt. Die mittlere quadratische Abweichung von den Gitterplätzen ist nun jedoch durch
hr2 i
3
= νcoth
2
a
2
ωL
2kB Ti
(8.52)
√
gegeben, wobei ν = ω0,i /(ωL rs ).
Aus der Energieerhaltung lassen sich nun wiederum die Endtemperatur der Ionen als
Funktion der Dichte und der Anfangstemperatur des atomaren Gases bestimmen. In Abb.8.15
ist Γi(∞) als Funktion des anfänglichen Coulomb-Kopplungsparameters Γ(0)
für rs = 2 · 109
i
134
8 Erzeugung stark gekoppelter Plasmen
und drei verschiedene Eigenfrequenzen des optischen Gitters ω L = ω0,i /2, ω0,i , 2ω0,i dargestellt. Anders als im klassischen Fall steigt der Coulomb-Kopplungsparameter nicht unbeschränkt an, sondern konvergiert für Ti(0) → 0 gegen einen konstanten Wert. Bei größeren
Temperaturen, d.h. im klassischen Regime, lässt sich zwar die Endtemperatur durch Erhöhen
von ωL verringern, was jedoch eine Erhöhung des Plateauwertes der Endtemperatur im
quantenmechanischen Bereich zur Folge haben kann. Der Grenzwert der Ionentemperatur
(0)
für Ti = 0 lässt sich bei Verwendung von Gl.(8.47) und Gl.(8.51) aus der Energieerhaltung
0.365 (∞)
e2 3 e2
3
3
(∞)
(∞)
− AM Γi + 1.329θi − √ θi
(8.53)
kB Ti
ω L − AM + ν
=
2
rs
4
a
4 a
gemäß
ωL
ω0,i
kB Ti(∞)
=
+
−Ω
(8.54)
ω0,i
2ω0,i 2ωL
√
abschätzen, wobei Ω = 0.886 − 0.243/ rs . Die im klassischen Bereich sinnvolle Strategie, ωL ω0,i zu wählen, schlägt demzufolge bei tiefen Anfangstemperaturen fehl, da die
Endtemperatur kB Ti(∞) = ωL /2 in diesem Grenzfall durch die Grundzustandsenergie der
Fallenpotenziale nach unten beschränkt ist. Vielmehr existiert nun ein optimales Frequenzverhältnis von
ωL
=1,
(8.55)
ω0,i min
welches eine minimale Temperatur von
(∞)
kB Ti
ω0,i
(∞)
!
min
(∞)
0.243
= 0.114 − √
rs
(8.56)
und damit ein maximales θi
von θi
≈ 10 ergibt. Wie Abb. 8.15 zeigt, stimmt diese
einfache Abschätzung für ωL = ω0,i sehr gut mit einer Auswertung der kompletten Ausdrücke
für die Ionenenergien überein. Weicht das Frequenzverhältnis von Gl.(8.55) ab, so nimmt
die Endtemperatur und damit 1/θi(∞) zu. Folglich weicht die potenzielle Ionenenergie stärker
von ihrem Grundzustandswert Gl.(8.47) ab, so dass Gl.(8.56) mit wachsender Abweichung
von Gl.(8.55) die tatsächliche Endtemperatur stärker überschätzt.
Während die hier vorgeschlagene Methode zwar nicht zu einem großen Kühleffekt führt,
ermöglicht sie jedoch die kontrollierte Erzeugung von stark gekoppelten, neutralen Plasmen bei so tiefen Temperaturen, dass quantenmechanische Effekte eine bedeutende Rolle
spielen. Ein Problem bei der experimentellen Realisierung besteht in der Tatsache, dass
mit üblicherweise verwendeten Lasern vergleichsweise große Dichten notwendig sind, um
eine hohe atomare Besetzung des optischen Gitters zu erreichen [215]. Bei Verwendung von
CO2 -Lasern zur Konstruktion des optischen Gitters [101] entspricht allerdings eine einfache
Besetzung, aufgrund der großen Laser-Wellenlänge von ≈ 10µm, einer sehr geringe Dichte
von ≈ 109 cm−3. In diesem Fall sind atomare Besetzungszahlen des optischen Gitters von
Eins und größer realisierbar [64]. Durch Bose-Einstein-Kondensation des atomaren Gases
[48, 236] und darauffolgender Einleitung eines Mott-Isolator- Übergangs [121] lässt sich auf
diese Weise eine perfekte Besetzung des optischen Gitters erreichen und bei anschließender
Photoionisation ein vollständig besetztes, ionisches bcc-Gitter mit Ti(0) = 0 erzeugen. Aufgrund der geringen Dichte liegt die Relaxationszeit der Ionen dabei auf einer MikrosekundenZeitskala, welche experimentell sehr gut auflösbar ist [279]. Ein solches System bietet somit
8.3 Korrelationskühlen
135
die bisher einzigartige Möglichkeit, das Relaxationsverhalten, die Eigenschaften kollektiver
Anregungen und auch die Langzeitdynamik der ionischen Komponente in neutralen Plasmen
im quantenmechanischen Regime direkt experimentell zu beobachten. Eine Behandlung dieser Fragestellungen liegt jedoch klar jenseits der Möglichkeiten und dem Anliegen der hier
vorgeschlagenen und diskutierten Ansätze.
9
Zusammenfassung und Ausblick
In der vorliegenden Arbeit wurde das Relaxationsverhalten expandierender ultrakalter Plasmen betrachtet, welche experimentell durch Photoionisation lasergekühlter Atome
erzeugt werden können [173, 174, 192, 252, 279]. Neben den realisierten Temperaturen der
Elektronen (0.1K-1000K) und Ionen (100µK) grenzen sich diese Experimente vor allem
durch die erreichten sehr geringen Dichten (10 7 cm−3-109 cm−3 ) von bisherigen Methoden
zur Erzeugung stark gekoppelter Plasmen ab und erschließen damit ein völlig neuartiges
Parameterregime. Die tiefen Temperaturen haben unter anderem eine stark korrelierte Dynamik der Plasmateilchen sowie die Bildung von hoch angeregten Rydberg-Atomen zur
Folge und führen zusammen mit der geringen Teilchendichte zur Verletzung der vielfach
verwendeten Bogoliubov-Hypothese [38] für die Ionendynamik. Vor allem letztere hat eine
sehr interessante Dynamik des Plasmas zur Folge, zieht aber andererseits einige Probleme
bei der theoretischen Behandlung des expandierenden Plasmas nach sich. Eine umfassende
Beschreibung der Plasmarelaxation muss daher sowohl die Ausbildung von starken Ion-IonKorrelationen, die Relaxation der ionischen Einteilchenverteilung als auch die Expansion
des Plasmas beinhalten, ohne diese Prozesse voneinander zu trennen.
Eine Lösung dieses Problems gelang in dieser Arbeit durch die Einführung eines HybridVerfahrens, welches die elektronische und die ionische Komponente des Plasmas mit jeweils
unterschiedlichen Methoden propagiert. Hierzu wird angenommen, dass räumliche ElektronElektron- und Elektron-Ion-Korrelationen keine entscheidende Rolle für die Plasmadynamik
spielen. Nutzt man außerdem die Separation der sehr kleinen Elektronenrelaxationszeit von
sämtlichen verbleibenden Zeitskalen, so kann die Zeitentwicklung der Elektronen im Rahmen einer ’mean field’-Näherung durch eine quasistationäre Verteilung beschrieben werden.
Demgegenüber werden die Ionen in einer Molekular-Dynamik-Rechnung propagiert, um die
stark gekoppelte Ionendynamik exakt zu behandeln. Da ein solches Vorgehen lediglich die
’mean field’-Wechselwirkung zwischen den Elektronen und den Ionen berücksichtigt, werden
außerdem sowohl elastische Elektron-Ion-Stöße als auch inelastische Stöße, d.h. Dreikörperrekombination, Elektronenstoßionisation und Elektronenstoßan- und -abregung, mit Hilfe
einer Monte-Carlo-Rechnung in die Beschreibung der Plasmadynamik eingebunden. Im Gegensatz zu vollständigen Molekular-Dynamik-Rechnungen ermöglicht diese Methode eine
Untersuchung der stark korrelierten Ionendynamik auf sehr langen, experimentell zugänglichen Zeitskalen.
Zunächst wurden die dieser Simulationsmethode zugrunde liegenden kinetischen Gleichungen abgeleitet und eingehend diskutiert, um sowohl die Bedeutung der notwendigen
Näherungen herauszuarbeiten, als auch eine fundierte Rechtfertigung für das hier vorgeschlagene Hybrid-Verfahren zu erbringen. Basierend auf diesen Gleichungen und bei Einführung
weiterer Approximationen konnte außerdem ein einfacher Satz von gewöhnlichen Differenzialgleichungen abgeleitet werden, der eine einfache Beschreibung der Plasmadynamik auf
makroskopischer Ebene ermöglicht.
138
9 Zusammenfassung und Ausblick
Da die Güte einiger dieser notwendigen Näherungen nicht quantitativ abzuschätzen war,
wurde die Qualität des makroskopischen Ansatzes anschließend anhand eines direkten Vergleichs mit den Resultaten der Hybrid-Molekular-Dynamik-Simulation überprüft. Hierbei
zeigte sich, dass die makroskopischen Bewegungsgleichungen viele wichtige Aspekte der
Plasmadynamik, wie z.B. die Zeitentwicklung der Ionentemperatur, die Populationsdynamik sich bildender Rydberg-Zustände und auch den Einfluss der starken Ionenkorrelationen auf das Relaxationsverhalten des Plasmas erstaunlich gut beschreiben. Andererseits
können einige empfindlichere Aspekte der Plasmadynamik erwartungsgemäß nur im Rahmen der HMD-Simulationen beschrieben werden. So wurde z.B. gefunden, dass die Ausbildung einer ionischen Schockfront im Randgebiet des Plasmas, welche im Rahmen von ’mean
field’-Rechnungen vorhergesagt [254] und in aktuellen Experimenten nachzuweisen versucht
wurde [171], bei Berücksichtigung der vollen Ion-Ion-Wechselwirkung unter experimentell
realistischen Bedingungen nicht auftritt. Weiterhin zeigt die Dynamik der Ionentemperatur, bedingt durch die extrem tiefen kinetischen Anfangsenergien, ein sehr interessantes,
nichtlineares Relaxationsverhalten, welches sowohl mit temporären als auch mit räumlichen
Oszillationen verbunden ist.
Wenngleich derartige Effekte mit dem makroskopischen Ansatz nicht untersucht werden
können, so liefern jedoch beide Methoden für eine Reihe wichtiger Observabler konsistente Ergebnisse. Dies war insofern von großer Bedeutung, da der numerische Aufwand zur
Lösung der makroskopischen Bewegungsgleichungen unabhängig von der Teilchenzahl ist.
Dadurch wurde ein direkter Vergleich mit der Dynamik experimentell erzeugter und in der
Regel sehr großer Plasmen ermöglicht. Hierbei zeigte sich, dass der gemessene Zeitverlauf der
mittleren Plasmadichte und auch der Elektronentemperatur sehr gut durch die Rechnungen
dieser Arbeit beschrieben werden können. Unter anderem rechtfertigt die gute Übereinstimmung mit bestehenden Experimenten sowohl die oben angesprochene Näherung schwacher
Elektronenkopplung als auch die Verwendung der in dieser Arbeit gewählten Raten zur Beschreibung inelastischer Stoßprozesse. Weiterhin wurde festgestellt, dass die starke Kopplung
der ionischen Komponente auf die Dynamik von Observablen wie die mittlere Dichte, die
Elektronentemperatur oder die Besetzung von Rydberg-Zuständen, nur einen sehr geringen
Einfluss hat, dessen Ursache mit Hilfe der makroskopischen Bewegungsgleichungen konsequent diskutiert werden konnte. Demzufolge können viele Aspekte der Plasmadynamik auch
mit sehr viel einfacheren ’mean field’-Rechnungen [103, 254] erfolgreich untersucht werden.
Andererseits sind für eine Beschreibung der Ionenrelaxation Molekular-Dynamik-Simulationen unerlässlich, wobei es die hier vorgeschlagene HMD-Methode ermöglicht, erstmals auch das Langzeitverhalten der Ionen zu untersuchen. In diesem Zusammenhang
lag das Hauptaugenmerk auf der Dynamik ionischer Korrelationen, um die in den letzten Jahren intensiv diskutierte Frage nach den in den bisherigen Experimenten erreichbaren ionischen Kopplungsgraden zu klären. Es wurde gefunden, dass der ionische CoulombKopplungsparameter zwar anfangs erwartungsgemäß abfällt, aber im Zuge der Expansion,
bedingt durch eine adiabatische Abkühlung der Ionen, wiederum ansteigt. Interessanterweise
relaxiert die ionische Komponente dabei aus einem unterkorrelierten Nichtgleichgewichtszustand auf ein lokales Gleichgewicht, läuft dann jedoch im Zuge der Plasmaexpansion
wiederum einen unterkorrelierten Nichtgleichgewichtszustand an. Eine solche ungewöhnliche
Plasmarelaxation, die in der Literatur bisher nicht diskutiert wurde, ist eine Konsequenz der
oben angesprochenen Verletzung der Bogoliubov-Annahme, und wurde in dieser Arbeit auf
ein ’zu schnelles’ Auseinanderdriften der Ionen während der Expansion zurückgeführt. Die
üblicherweise verwendete adiabatische Näherung zur Beschreibung expandierender Plasmen
139
bricht demzufolge im Zuge der Ausdehnung unweigerlich zusammen.
Während dieser Effekt aus der Gleichheit der Korrelations- und Expansionszeit resultiert,
sind die in Abschnitt 7.4 diskutierten Oszillationen der Ionentemperatur auf die Gleichheit
der Korrelations- und Relaxationszeit der Ionen zurückzuführen und damit ebenfalls eine
Folge der Verletzung der Bogoliubov-Hypothese [314]. Die Natur dieses nichtlinearen Relaxationsverhaltens, welches eine fundamentale Eigenschaft stark gekoppelter Plasmen ist,
konnte bisher nicht vollständig geklärt werden. Hierbei könnten die in [67, 68, 115] eingeführten Konzepte einen vielversprechenden Ansatzpunkt für weiterführende Arbeiten darstellen.
Auch eine Verallgemeinerung bestehender kinetischer Zugänge, welche das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Relaxationsprozesse (Relaxation der Ein- und Zweiteilchenphasenraumdichte und Expansion) jenseits der Bogoliubov-Annahme besser verständlich macht,
ist hierbei sehr wünschenswert.
Direkte Erweiterungen der hier vorgeschlagenen Beschreibungsmethoden schließen vor
allem die Berücksichtigung der Elektronenabschirmung der Ion-Ion-Wechselwirkung ein,
welche hauptsächlich den Wert der Ionentemperatur quantitativ beeinflussen. Wie jüngste Experimente zeigen [171], wird die Ionentemperatur für die in dieser Arbeit verwendeten Anfangsbedingungen nur sehr schwach modifiziert, weshalb schon das hier eingeführte Simulationsverfahren eine sehr gute Übereinstimmung mit bestehenden experimentellen
Daten zeigt. Während auch bei sehr tiefen elektronischen Anfangstemperaturen keine qualitative Modifikation des in Kapitel 7 diskutierten Expansionsverhaltens zu erwarten ist,
so erscheint die Berücksichtigung der Elektronenabschirmung für einen quantitativen Vergleich mit Experimenten bei sehr tiefen Anfangstemperaturen der Elektronen notwendig.
Prinzipiell sollte sich die Abschirmung der Ion-Ion-Wechselwirkung auf einfache Weise im
Rahmen einer LDA und bei Verwendung der Debye-Hückel-Näherung in die vorliegende
HMD-Methode integrieren lassen. Allerdings ergeben sich hierbei einige technische Probleme, da die Abschirmlänge der interionischen Wechselwirkung von der Elektronentemperatur
abhängt. Allerdings muss diese erst selbstkonsistent aus der Poisson-Gleichung und der Energieerhaltung bestimmt werden. Deshalb wäre in jedem Iterationsschritt zur Lösung dieser
Gleichungen eine vollständige Summation aller Ion-Ion-Wechselwirkungen notwendig. Eine
Lösung dieses Problems wird definitiv Gegenstand weiterführender Arbeiten sein.
Neben konzeptionellen Erweiterungen der numerischen Methode ist vor allem eine Betrachtung von Expansionsszenarien, die über die bisherigen Experimente hinausgehen, von
großem Interesse. So zeigen die Rechnungen dieser Arbeit, dass die adiabatische Abkühlung
die ionische Komponente der bisher erzeugten Plasmen zwar tief in das Regime einer stark
gekoppelten Flüssigkeit treibt. Die gefundenen Kopplungsparameter liegen jedoch weit unter
den ursprünglichen Erwartungen. Aus diesem Grund wurden in Kapitel 8 alternative Expansionsszenarien untersucht, die eine Erzeugung sehr stark gekoppelter Plasmen gewährleisten sollen. Hierbei stand einerseits die Plasmarelaxation unter dem Einfluss einer zusätzlichen Laserkühlung der Ionen und andererseits eine Verhinderung oder sogar eine Umkehr
des anfänglichen Korrelationsheizens im Mittelpunkt. Letztere lässt sich durch eine kubische Anordnung lasergekühlter Atome auf einem optischen Gitter erreichen. Im Rahmen
von klassischen Betrachtungen konnte gezeigt werden, dass bei Photoionisation eines so
präparierten Gases eine maximale Verringerung der Ionentemperatur um 50% möglich ist,
während quantenmechanische Korrekturen eine untere Grenze für die erreichbaren Ionentemperaturen setzen.
Als alternative Möglichkeit zur Erzeugung stark gekoppelter Plasmen wurde außerdem
das Expansionsverhalten bei zusätzlicher Laserkühlung der Ionen untersucht. Neben der
140
9 Zusammenfassung und Ausblick
gewünschten Reduzierung der Ionentemperatur hat die Laserkühlung hierbei einen entscheidenden Einfluss auf weitere Aspekte der Plasmadynamik. So zeigte sich eine deutliche
Reduzierung der Plasmaexpansion, welche sogar mit einer qualitativen Änderung der Expansionsdynamik verbunden ist. Im Gegensatz zur bekannten linearen Zeitabhängigkeit der
Plasmabreite im Fall der freien Expansion nimmt die Größe lasergekühlter Plasmen lediglich
wie σ ∝ t1/4 zu. Im Hinblick auf das bereits angesprochene Wechselspiel zwischen der Expansion und der Ausbildung von ionischen Korrelationen ist dies von zentraler Bedeutung.
So wird eine ungestörte Relaxation der ionischen Komponente in einen stark gekoppelten
Zustand erst durch das enorme Abbremsen der Plasmaexpansion ermöglicht. Wie die Rechnungen dieser Arbeit gezeigt haben, sollte es daher in der Tat gelingen, stark gekoppelte
neutrale Plasmen mit Kopplungsparametern weit oberhalb der bekannten Kristallisationsgrenze zu erzeugen. Aus einer genaueren Betrachtung der Ionenrelaxation ging hervor, dass
sich auf einer vergleichsweise kurzen Zeitskala ein kurzreichweitig korrelierter Zustand ausbildet. Dessen Abstandsverteilung kann gut durch die entsprechende Gleichgewichtskorrelationsfunktion unterkühlter homogener Plasmen beschrieben werden. Zusätzlich zu dieser
kurzreichweitigen Ordnung konnte für bestimmte Anfangsbedingungen (geringe elektronische Anfangstemperatur und große Ionenzahl) die Ausbildung einer langreichweitigen, radialen Ordnung auf einer deutlich längeren Zeitskala beobachtet werden. Dass sich dieses
Kristallisationsphänomen grundlegend von der Schalenbildung in harmonisch gefangenen
nichtneutralen Coulomb-Clustern unterscheidet, wurde unter anderem dadurch deutlich,
dass sich die Ausbildung der beobachteten Schalenstrukturen, im Gegensatz zur Kristallisationsdynamik in nichtneutralen Systemen, vom Zentrum des Plasmas nach außen vollzieht.
Bisher ist es nicht gelungen, ein quantitatives Kriterium für das Auftreten der Schalenstrukturen anzugeben und die Natur des komplexen Kristallisationsverhaltens detaillierter
zu charakterisieren. Weitere Simulationen über einen größeren Bereich von Anfangsbedingungen werden hierbei genaueren Aufschluss über die Parameterabhängigkeit der sich bildenden Ordnungsstrukturen geben. Auch die Verwendung einfacherer Modelle [76, 81, 293]
stellt einen vielversprechenden Ansatzpunkt für ein besseres Verständnis der radialen Kristallisation dar, was unter anderem eine Untersuchung des Übergangs zu einem unendlichen
Plasma und des Einflusses der Elektronenabschirmung ermöglicht. Darüber hinaus wird
eine Betrachtung der Kristallisation harmonisch eingeschlossener, neutraler Plasmen zur
genaueren Bestimmung der verschiedenen Zeitskalen weitere Einblicke in die Kristallisationsdynamik liefern.
In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der experimentellen Realisierung eines
Plasmaeinschlusses von großem Interesse. Eine solche Umsetzung würde zum einem sehr viel
längere Beobachtungszeiten und zum anderen eine genauere Untersuchung der Plasmarelaxation und dabei vor allem der Rekombinationsdynamik unabhängig vom Expansionsverhalten ermöglichen. Nach einer experimentellen Realisierung der in dieser Arbeit diskutierten lasergekühlten Plasmaexpansion sollte auch der Einschluss des Plasmas mit Hilfe einer
MOT im Bereich des Möglichen liegen [172]. Weiterführende Rechnungen zur Plasmadynamik in externen Feldern können hierbei eine wichtige Unterstützung auf dem Weg zur
Erzeugung und Untersuchung eingeschlossener, ultrakalter Plasmen liefern, wobei insbesondere der Einfluss der MOT-Magnetfelder eine entscheidende Rolle spielt. Während diese
Felder in der Regel zu schwach sind [215], um die ionische Komponente zu magnetisieren,
führen sie jedoch zu einer erheblichen Modifikation der Elektronenverteilung und auch der
Rekombinationsdynamik [113, 196, 255]. Unter anderem spielen diese Effekte bei der experimentellen Erzeugung von Antiwasserstoff eine entscheidende Rolle, welche kürzlich durch
141
Dreikörperrekombination in kalten magnetisch gefangenen Antiproton- und Positrongasen
gelungen ist [5, 104]. Erste dazu durchgeführte PIC-MCC-Simulationen konnten zwar einige Aspekte dieser Experimente reproduzieren [253], lassen jedoch auch wichtige Fragen,
wie z.B. die ungewöhnliche Form der gemessenen Rydberg-Levelverteilung der erzeugten
Antiwasserstoffatome ungeklärt [105].
Eine unmittelbare Erweiterung der in dieser Arbeit diskutierten Expansionsszenarien
stellt die Betrachtung der Dynamik ultrakalter Rydberg-Gase dar. Bei hinreichend hohen
Anfangsdichten und Rydberg-Anregungen kann hierbei nach einer anfänglichen, langsamen
Ionisation einzelner Atome eine lawinenartige Umwandlung des atomaren Rydberg-Gases
in ein teilweise ionisiertes Plasma beobachtet werden [118, 256]. In diesem Sinne sind diese hoch angeregten, ultrakalten Rydberg-Gase als weitere metastabile Zustände ultrakalter
Plasmen zu verstehen und damit völlig äquivalent zu den hier betrachteten Systemen [238].
Im Rahmen von ersten Rechnungen, basierend auf dem in Kapitel 5 eingeführten makroskopischen Ansatz, konnte bereits die beobachtete lawinenartige Plasmabildung reproduziert
und auch eine Erklärung für die Stabilität des Rydberg-Gases bei zu kleinen Anregungen
geliefert werden [242]. Die anfängliche Ionisationsdynamik und dabei vor allem die Frage
nach den Beiträgen der beteiligten Ionisationsprozesse und dem Einfluss des anfänglichen
Verdampfens der Elektronen muss jedoch derzeit als unverstanden angesehen werden. Auch
diesbezügliche Experimente sind bisher nicht in der Lage, die dominanten Ionisationsprozesse eindeutig zu identifizieren [106, 117]. Eine Klärung dieser Frage hat jedoch keineswegs nur
akademischen Charakter, sondern ist unter anderem für die Realisierung quanteninformationstechnischer Schemata [208, 280, 290] oder des seit langem diskutierten Mott-IsolatorÜbergangs [300] in stark wechselwirkenden Rydberg-Gasen von Bedeutung. Eine genaue
Kenntnis der anfänglichen Ionisationsmechanismen könnte es ermöglichen, die hierbei unerwünschte Plasmabildung zu kontrollieren oder sogar zu verhindern. Zukünftige mikroskopische Simulationen, die alle in Frage kommenden Ionisationskanäle berücksichtigen, werden
einen wichtigen Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten.
Anhang A
Kinetische Beschreibung
von Elektron-Ion-Stößen
An dieser Stelle sollen die in Abschnitt 3.3.3 angegebenen kinetischen Gleichung zur Beschreibung von elastischen und inelastischen Elektron-Ion-Stößen hergeleitet werden. Aus
Gründen einer einfachen numerischen Implementierung der resultierenden Gleichungen ist
es wünschenswert, die zu betrachtenden Stöße in Form von Boltzmannschen Stoßintegralen
zu beschreiben. Aufgrund des langreichweitigen Charakters der Coulomb-Wechselwirkung
divergieren jedoch die entsprechenden totalen Stoßquerschnitte und damit auch die resultierenden Stoßintegrale. Wie in [183] vorgeschlagen, wird im folgenden angenommen, dass
die effektive Elektron-Ion-Wechselwirkung durch ein statisch abgeschirmtes Potenzial beschrieben werden kann und damit nur eine endliche Reichweite besitzt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass im Gegensatz zur Herleitung der Boltzmann-Gleichung für dünne
Gase oder Einkomponentenplasmen, an dieser Stelle langlebige Elektron-Ion-Korrelationen
berücksichtigt werden müssen, um Bindungszustände angemessen behandeln zu können.
Dies gelingt durch Aufspalten der Elektron-Ion-Verteilungsfunktion f ei in einen gebundenen
und einen ungebundenen Anteil [184]
(frei)
fei = fei
(geb)
+ fei
,
(A.1)
wobei sich die entsprechenden Verteilungsfunktionen mit Hilfe der Relativenergie
Eei =
p2ei
+ Vei ,
2µ
pei = pi − pe ,
−1
µ−1 = m−1
i + me
des Zweiteilchensystems definieren lassen:
fei , Eei > 0
(frei)
,
fei =
0 , Eei < 0
0 , Eei > 0
(geb)
.
fei
=
fei , Eei < 0
(A.2)
(A.3)
Da für eine Beschreibung von inelastischen Prozessen Dreikörperstöße zu betrachten sind,
muss neben den Gleichungen für die Einteilchenverteilungen der Ionen und Elektronen
Z
Z
∂fi
∂Vei ∂fei
∂Vii0 ∂fii0
∂fi
≡ Li f i =
dri0 dpi0 +
dre dpe ,
(A.4)
+ vi
∂t
∂ri
∂ri ∂pi
∂ri ∂pi
Z
Z
∂Vei ∂fei
∂Vee0 ∂fee0
∂fe
∂fe
+ ve
≡ Le f e =
dre0 dpe0 +
dri dpi
(A.5)
∂t
∂re
∂re ∂pe
∂re ∂pe
144
Anhang A Kinetische Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen
und der Elektron-Ion-Zweiteilchenverteilungsfunktion
∂fei
∂fei
∂fei ∂Vei ∂fei ∂Vei ∂fei
+ vi
+ ve
−
−
≡ Lei fei =
∂t
∂ri
∂re
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
Z Z ∂Vie0 ∂feie0 ∂Vee0 ∂feie0
∂Vii0 ∂feii0 ∂Vei0 ∂feii0
dri0 dpi0 +
dre0 dpe0 (A.6)
+
+
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
außerdem die Zeitentwicklung der Dreiteilchenphasenraumdichte f eie0
∂feie0
∂feie0
∂feie0
∂Vei ∂Ve0 i ∂feie0
∂feie0
+ vi
+ ve
+ ve0
−
+
∂t
∂ri
∂re
∂re0
∂ri
∂ri
∂pi
0
0
0
0
0
∂Vei ∂Vee ∂feie
∂Ve i ∂Vee ∂feie
−
+
−
+
≡ Leie0 feie0 =
∂re
∂re
∂pe
∂re0
∂re0 ∂pe0
Z ∂Ve00 i ∂feie0e00 ∂Vee00 ∂feie0e00 ∂Ve0 e00 ∂feie0e00
+
+
dre00 dpe00
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
∂re0 ∂pe0
Z ∂Vii0 ∂feie0i0 ∂Vei0 ∂feie0i0 ∂Ve0 i0 ∂feie0i0
dri0 dpi0
+
+
+
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
∂re0 ∂pe0
(A.7)
betrachtet werden, welche Stöße zwischen zwei Elektronen und einem Ion berücksichtigt.
Mit
fei = fefi + cei
(A.8)
und Gl.(A.6) erhält man bei Verwendung von Gln. (A.4) und (A.5) für die Dynamik der
Elektron-Ion-Paarverteilung
Z ∂Vii0 ∂
∂Vei0 ∂
Lei cei =
(fi cei0 + fi0 cei + ceii0 ) +
(fecii0 + fi cei0 + ceii0 ) dri0 dpi0
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
Z ∂Vee0 ∂
∂Vie0 ∂
+
(fi cee0 + fe0 cei + ceie0 ) +
(fe cie0 + fi cee0 + ceie0 ) dre0 dpe0 .
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
(A.9)
Die Dreiteilchenkorrelationsfunktion
ceiα = feiα − (fe fi fα + feciα + fi ceα + fαcei ) ,
α = e 0 , i0
(A.10)
beinhaltet hierbei die Anteile von Dreiteilchenkorrelationen der Verteilungsfunktion f eiα.
Eine analoge Entwicklung der Vierteilchenverteilungsfunktionen
feie0e00 = fe fi fe0 fe00 + fe fi ce0 e00 + fe fe0 cie00 + fefe00 ce0i + fe0 fi cee00 + fe00 fi cee0 + fe0 fe00 cei
+ fe ce0 ie00 + ficee0 e00 + fe0 ceie00 + fe00 ceie0 + ceice0 e00 + cee0 ce00 i + cee00 ce0 i + ceie0e00
(A.11)
und
feie0i0 = fe fi fe0 fi0 + fe fi ce0 i0 + fe fe0 cii0 + fefi0 ce0i + fe0 fi cei0 + fi0 fi cee0 + fe0 fi0 cei
+ fe ce0 ii0 + fi cee0 i0 + fe0 ceii0 + fi0 ceie0 + cei ce0 i0 + cee0 ci0 i + cei0 ce0 i + ceie0i0 (A.12)
145
ermöglicht eine weitere Auswertung der rechten Seite von Gl.(A.7). Einsetzen von Gl.(A.11)
in den ersten Term auf der rechten Seite von Gl.(A.7) ergibt
Z
Z
∂Ve00i ∂
∂Ve00 i ∂feie0e00
dre00 dpe00 =
dre00 dpe00
∂ri ∂pi
∂ri ∂pi
[fe fi fe0 fe00 + fe fi ce0 e00 + fe fe0 cie00 + fe fe00 ce0 i + fe0 fi cee00
+ fe00 fi cee0 + fe0 fe00 cei + fe ce0 ie00 + fi cee0 e00 + fe0 ceie00 + fe00 ceie0
+ ceice0 e00 + cee0 ce00 i + cee00 ce0 i + ceie0 e00 .
(A.13)
Werden nur Dreikörperstöße betrachtet, so können die unterstrichenen Terme in Gl.(A.13)
vernachlässigt werden, da diese nur einen signifikanten Beitrag liefern, wenn sich alle vier
Teilchen gleichzeitig nah beieinander befinden. Nach einer Umordnung der restlichen Beiträge lässt sich Gl.(A.13) bei Ausnutzung von Gl.(A.8) und (A.10) als
Z
Z
Z
∂Ve00 i ∂feie0e00
∂Ve00 i ∂feie00
∂Ve00 i ∂fe00 i
dre00 dpe00 = fe0
dre00 dpe00 + cee0
dre00 dpe00
∂ri ∂pi
∂ri ∂pi
∂ri ∂pi
Z
∂Ve00 i ∂
[fi ce0e00 + fe00 ce0 i + ce0 ie00 ] dre00 dpe00
(A.14)
+ fe
∂ri ∂pi
schreiben. Eine analoge Auswertung der verbleibenden Terme auf der rechten Seite von
Gl.(A.13) ergibt
Z
Z
Z
∂Vee00 ∂feie0e00
∂Vee00 ∂fee00
∂Vee00 ∂feie00
dre00 dpe00 = fe0
dre00 dpe00 + ce0 i
dre00 dpe00
∂re ∂pe
∂re ∂pe
∂re ∂pe
Z
∂Vee00 ∂
[fece0 e00 + fe00 cee0 + cee0 e00 ] dre00 dpe00 , (A.15)
+ fi
∂re ∂pe
Z
∂Ve0 e00 ∂feie0e00
dre00 dpe00 = fei
∂re0 ∂pe0
Z
∂Ve0 e00 ∂fe0 e00
dre00 dpe00
∂re0 ∂pe0
Z
∂Ve0e00 ∂
+ fe
[fe0 ce00 i + fe00 ce0 i + ce0ie00 ] dre00 dpe00
∂re0 ∂pe0
Z
∂Ve0 e00 ∂
+ fi
[fe0 cee00 + fe00 cee0 + cee0 e00 ] dre00 dpe00 ,
∂re0 ∂pe0
(A.16)
Z
Z
Z
∂Vii0 ∂feii0
∂Vii0 ∂fii0
dri0 dpi0 + cee0
dri0 dpi0
∂ri ∂pi
∂ri ∂pi
Z
∂Vii0 ∂
(A.17)
[fi ce0i0 + fi0 ce0 i + ce0 ii0 ] dri0 dpi0 ,
+ fe
∂ri ∂pi
∂Vii0 ∂feie0i0
dri0 dpi0 = fe0
∂ri ∂pi
Z
Z
Z
∂Vei0 ∂feie0i0
∂Vei0 ∂fei0
∂Vei0 ∂feii0
dri0 dpi0 = fe0
dri0 dpi0 + ce0 i
dri0 dpi0
∂re ∂pe
∂re ∂pe
∂re ∂pe
Z
∂Vei0 ∂
(A.18)
[fece0 i0 + fi0 cee0 + cee0 i0 ] dri0 dpi0
+ fi
∂re ∂pe
146
Anhang A Kinetische Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen
und
Z
∂Ve0 i0 ∂feie0i0
dri0 dpi0 = fei
∂re0 ∂pe0
Z
∂Ve0i0 ∂fe0 i0
dri0 dpi0
∂re0 ∂pe0
Z
∂Ve0 i0 ∂
+ fe
[fe0 ci0 i + fi0 ce0 i + ce0 ii0 ] dri0 dpi0
∂re0 ∂pe0
Z
∂Ve0 i0 ∂
[fe0 cei0 + fi0 cee0 + cee0i0 ] dri0 dpi0 .
+ fi
∂re0 ∂pe0
(A.19)
Ein Vergleich dieser Ausdrücke mit den Bewegungsgleichungen (A.4)-(A.6) und Gl.(A.9) der
entsprechenden Ein- bzw. Zweiteilchenverteilungen und Vernachlässigung von Termen, die
nur Elektron-Elektron-Korrelationen enthalten, ergibt
Leie0 feie0 = fe0 Leifei + fei Le0 fe0 + fe Le0 ice0 i + ce0 i Le fe
= fe0 Leifei + fei Le0 fe0 .
(A.20)
Die beiden letzten Terme in der ersten Zeile von Gl.(A.20) werden an dieser Stelle vernachlässigt, da diese lediglich zu Elektron-Atom-Stößen bei Ladungsaustausch beitragen,
die hier nicht betrachtet werden sollen. Prinzipiell können die entsprechenden Terme jedoch äquivalent zu den ersten beiden Beiträgen in Gl.(A.20) berücksichtigt werden. Wie
man sieht, wurden in Gl.(A.20) Vierteilchenkorrelationen vollständig eliminiert. Somit lässt
sich die Dynamik der Dreiteilchenverteilungsfunktion in der hier verwendeten Näherung
ausschließlich mit Hilfe von Dreiteilchen- und Zweiteilchenkorrelationen behandeln. Die linke Seite von Gl.(A.20) beschreibt hierbei die Änderung der Dreiteilchenphasenraumdichte
aufgrund der Bewegung von drei wechselwirkenden Teilchen. Demgegenüber berücksichtigt die rechte Seite den Einfluss der Dynamik der Zweiteilchen- bzw. Einteilchendichten
auf die Änderung der Dreiteilchenverteilungsfunktion. Für eine Herleitung der BoltzmannGleichung [183, 205, 223] werden Zeit-Retardationseffekte, d.h. die Änderung der Phasenraumdichten niederer Ordnung während eines Stoßes, nicht berücksichtigt. Die rechte Seite
von Gl.(A.20) kann deshalb zur Bestimmung von feie0 vernachlässigt werden. In diesem Fall
entspricht Gl.(A.20) der Liouville-Gleichung [Gl.(3.5)] für ein abgeschlossenes Dreiteilchensystem, das aus zwei Elektronen und einem Ion besteht. Die Verteilungsfunktion f eie0 (t) zum
Zeitpunkt t erhält man dann bei Kenntnis von feie0 (t − τ ) durch Propagation der Phasenraumvariablen um den Zeitschritt −τ . Im Grenzfall τ → ∞ kann die Verteilungsfunktion
damit als [183, 186]
(∞) (∞)
(τ )
(A.21)
feie0 (t) = lim Seie0 feie0 (t − τ ) ≡ Seie0 feie0
τ →∞
(τ )
geschrieben werden, wobei der Operator Seie
0 die Propagation des Dreiteilchensystems vom
Zeitpunkt t nach t − τ gemäß der Hamilton-Funktion
Heie0 =
p2i
p2
p20
+ e + e + Vei + Ve0 i + Vee0
2mi 2me 2me
(A.22)
(∞)
vermittelt und feie
0 die Verteilungsfunktion für t → −∞ bezeichnet. Existieren im System
keine langlebigen Korrelationen, so erhält man die Dreiteilchenverteilungsfunktion aus [182,
183]
(τ )
(A.23)
feie0 = lim Seie0 fefi fe0 .
τ →∞
147
Bei Verwendung dieses Ausdruckes in der kinetischen Gleichung für fei und bei Vernachlässigung von Zeit-Retardation ergibt sich [91, 183]
Z (∞)
(∞)
(∞) (∞)
(∞) (∞)
(∞)
fei = Sei fe fi +
Seie0 − Sei See0 − Sei Sie0 + Sei
fe fife0 dre0 dpe0 .
(A.24)
Nach Einsetzen dieses Ausdruckes in Gl.(A.4) erhält man das entsprechende Stoßintegral,
das die bekannte Form der Boltzmann-Gleichung auf Dreikörperstöße verallgemeinert [150,
182, 183]. Der erste Term in Gl.(A.24) beschreibt hierbei die Änderung der Verteilungsfunktion durch Zweikörperstöße, während der zweite Term ausschließlich Dreikörperstöße berücksichtigt. Neben wirklichen Dreikörperstößen, bei denen drei Teilchen gleichzeitig wechselwir(∞)
ken, beinhaltet der Operator Seie0 auch aufeinanderfolgende, unkorrelierte Zweikörperstöße
(∞) (∞)
(∞) (∞)
(Sei See0 und Sei Sie0 ). Da diese bereits durch den ersten Term in Gl.(A.24) berücksichtigt sind, werden derartige Beiträge des Dreiteilchenpropagators im Integral auf der rechten
Seite von Gl.(A.24) subtrahiert.
Bei Berücksichtigung von Elektron-Ion-Korrelationen mit negativer Relativenergie (Bindungszustände), aber Vernachlässigung von Korrelationen zwischen freien Ladungspaaren,
ergibt sich an Stelle von Gl.(A.23)
(∞)
(∞)
(∞)
(∞) (geb)
feie0 = Seie
fe0 .
0 fe fi fe0 + Seie0 cei fe0 = Seie0 fe fi fe0 + Seie0 fei
(A.25)
Dabei fei(geb) in Gl.(A.25) direkt mit der Paarverteilung cei identifiziert werden, falls keine
langlebigen Elektron-Ion-Korrelationen mit positiver Relativenergie existieren. In analoger
Weise erhält man aus Gl.(A.7) für die Zweiteilchenverteilungsfunktion
Z h
i
(∞) (geb)
(∞)
(∞)
(∞) (∞)
(∞) (∞)
(∞)
0
0
fei = Sei fefi +
Seie0 − Sei See0 − Sei Sie0 + Sei
fefi fe + Seie0 fei fe dre0 dpe0 ,
(A.26)
was bei Berücksichtigung von Termen mit ce0 i [vgl. Gl.(A.20)] dem klassischen Grenzfall der
in [184] gefundenen Lösung der quantenmechanischen BBGKY-Gleichungen entspricht. Mit
Hilfe von Gl. (A.26) lässt sich nun die Verteilungsfunktion der Atome in konsistenter Weise
definieren. Einsetzen von Gl. (A.26) in die Normierungsbedingung der Zweiteilchenverteilungsfunktion
Z
Z
Z
(frei)
(geb)
fei dre dpe dri dpi = Ne Ni = Ne fi
dri dpi + Ne fei dre dpe dri dpi
(A.27)
und Vergleich
mit der Relation der Teilchenzahlerhaltung
R (frei) dieses Ausdruckes
R (geb)
Ni = fi dri dpi + fei dre dpe dri dpi = Ni(frei) + Ni(geb) ergibt direkt
fa(pi , pe , ri , re) ≡ fei(geb)(pi , pe , ri , re) ,
(A.28)
wobei fa als Verteilungsfunktion der Atome definiert ist. Um die resultierenden kinetischen
Gleichungen in eine einfacher zu implementierende Form zu bringen, soll an dieser Stelle
eine Gradientenentwicklung der Teilchendichten [183] verwendet werden. In nullter Ordnung
im Dichtegradienten lassen sich dann die entsprechenden Verteilungsfunktionen gemäß
feie0 (pe, pi , pe0 , re , ri, re0 ) ≈ feie0 (pe , pi , pe0 , rei, re0 i , ree0 , ri ) ,
cei(pe , pi , re, ri ) ≈ cei(pe , pi , rei, ri )
(A.29)
148
Anhang A Kinetische Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen
approximieren, wobei rαβ = rα − rβ .
Die kinetische Gleichung der Ionen erhält man dann durch Einsetzen von Gl.(A.29) und
Gl.(A.3) in Gl.(A.4)
Z
Z
∂fi
∂Vii0 ∂fii0
∂Vei
∂fi
∂fi
+ vi
−
dri0 dpi0 −
fe dre dpe
= Jei ,
(A.30)
∂t
∂ri
∂ri ∂pi
∂ri
∂pi
wobei
Z
Jei =
Wegen
R
∂Vei
dre
∂ri
=−
R
Eei >0
∂Vei
dre
∂re
∂Vei
cei(pe , pi , rei, ri )dre dpe .
∂ri
(A.31)
= 0 kann das Stoßintegral Gl.(A.31) auch als
Jei =
Z
Eei >0
∂Vei
fei (pe , pi, rei , ri)dre dpe
∂ri
(A.32)
geschrieben werden, wobei
fei(pe , pi , rei, ri ) = fe (pe , ri )fi (pi , ri) + cei (pe , pi, rei , ri) .
(A.33)
Einsetzen der approximativen Lösung für die Zweiteilchenverteilungsfunktion Gl.(A.26) in
Gl.(A.32) und Vernachlässigung von aufeinander folgenden Zweiteilchenstößen zwischen freien Teilchen1 ergibt
Jei = Jei(2) + Jei(3) ,
(A.34)
wobei das Zweikörper-Stoßintegral durch
Z
∂Vei (∞)
(2)
Jei =
S fe (pe , ri)fi (pi , ri )dre dpe
∂ri ei
(A.35)
und das Dreikörper-Stoßintegral durch
Z
∂Vei (∞)
(3)
Jei =
S 0 [fe (pe , ri)fi (pi , ri )fe0 (pe0 , ri) + fa (pi , pe , rei, ri )fe0 (pe0 , ri)] dre dpe
∂ri eie
Eei >0
(A.36)
gegeben ist. Auf die Einschränkung Eei > 0 des Integrationsvolumens kann in Gl.(A.35) verzichtet werden, da Zweikörperstöße die Relativenergie des Zweiteilchensystems nicht ändern
und die Zweiteilchenverteilungsfunktion der freien Elektronen und Ionen per Definition die
Randbedingung Eei > 0 erfüllt.
Mit Hilfe der Eigenschaften [120, 205]
(τ )
(t)
(t+τ )
Sei Sei = Sei
(A.37)
des Zweiteilchenpropagationsoperators erhält man
dSei(t+τ )
(∞)
= Lei Sei = 0 ,
lim
t→∞
dτ
1
(A.38)
Derartige Stöße werden an dieser Stelle nicht betrachtet, da für eine Änderung eines atomaren Bindungszustandes eine gleichzeitige Wechselwirkung von drei Teilchen notwendig ist.
149
so dass sich das Zweikörper-Stoßintegral Gl.(A.35) bei Vernachlässigung von Dichtegradienten innerhalb des Wechselwirkungsbereiches der Teilchen als
Z ∂
∂
(2)
(ve − vi )
Sei(∞) fe (pe , ri)fi (pi , ri )dre dpe
+ vi
Jei =
∂rei
∂ri
Z
∂ (∞)
≈
(ve − vi )
S fe (pe , ri )fi (pi , ri)dre dpe
(A.39)
∂rei ei
schreiben lässt.
Das Dreikörper-Stoßintegral Gl.(A.36) kann in analoger Weise umgeformt werden. Mit
Hilfe der Näherung Gl.(A.29) ergibt sich
∂
∂
∂
feie0
vi
+ ve
+ v e0
∂ri
∂re
∂re0
∂
∂
∂
∂
+ (ve − vi)
+ (ve0 − vi)
+ (ve0 − ve)
feie0 ,
≈ vi
∂ri
∂rei
∂re0i
∂re0e
∂
∂
∂
∂
∂
vi
feife0 ≈ vi
fei fe0 .
(A.40)
+ ve
+ v e0
+ (ve − vi)
∂ri
∂re
∂re0
∂ri
∂rei
Einsetzen dieser Ausdrücke in Gl.(A.20) und anschließende Integration über re0 und pe0
ergibt im thermodynamischen Limes (Ne → ∞)
Z ∂Vee0 ∂
∂Ve0 i ∂
+
feie0 dre0 dpe0 dre dpe
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
Z ∂
∂
(A.41)
+ (ve0 − ve)
feie0 dre0 dpe0 dre dpe .
=
(ve0 − vi)
∂re0i
∂re0e
Für das Dreikörper-Stoßintegral Gl.(A.36) erhält man damit
Z ∂
∂
(3)
(geb)
(∞)
0
0
Jei =
(ve0 − vi )
+ (ve0 − ve)
+
f
f
Seie
f
f
f
dre0 dpe0
0
e
e i e
ei
∂re0i
∂re0e
(A.42)
Eei >0
.
Die kinetische Gleichung für die Dynamik gebundener Elektron-Ion-Paare erhält man
auf ähnliche Weise aus Gl.(A.6) unter Verwendung der Relationen (A.3) und (A.26) und
der kinetischen Gleichungen der freien Ladungen
Z ∂Ve0i ∂
∂Vee0 ∂
(geb)
(geb)
(∞)
Leifei
= Jae =
Seie0 fe fi fe0 + fei fe0 dre0 dpe0
+
∂ri ∂pi
∂re ∂pe
Eei <0
Z ∂
∂
(geb)
(∞)
=
(ve0 − vi)
Seie0 fe fife0 + fei fe0 dre0 dpe0 ,
+ (ve0 − ve)
∂re0 i
∂re0 e
Eei <0
(A.43)
wobei Ion-Atom-Stöße wiederum nicht betrachtet werden und im letzten Schritt Gl.(A.41)
ausgenutzt wurde.
Die Verwendung der Verteilungsfunktion fei(geb) zur Charakterisierung gebundener Zustände
im Plasma erweist sich im Zusammenhang mit der in den Kapiteln 4 und 5 diskutierten numerischen Implementierung der kinetischen Gleichungen als nicht sehr praktikabel. Vielmehr
150
Anhang A Kinetische Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen
ist lediglich die Bindungsenergie Eei eines gebundenen Elektron-Ion-Paares von Interesse, da
die Temperatur der freien Elektronen allein durch die atomaren Bindungsenergien bestimmt
ist und die Elektronenbahndrehimpulse bei einer bestimmten Bindungsenergie als gleichverteilt angenommen werden. Die entsprechende Verteilungsfunktion lässt sich mit Hilfe eines
Koordinatenwechsels (re , pe) → (Eei , e) gemäß
Z
(geb)
fa(pa , ra , Eei) = fei (pi , pe , ri, re ) de
(A.44)
konstruieren, wobei e ein fünfdimensionaler Vektor ist, welcher die verbleibenden Freiheitsgrade des Elektrons beinhaltet. Im Grenzfall me /mi → 0 können die Schwerpunktskoordinaten des Atoms pa und ra direkt mit den Phasenraumkoordinaten des Ions identifiziert
werden. Nach Einsetzen dieser Definition in Gl.(A.43) ergibt sich für die kinetische Gleichung
der Atome
Z
∂fa
∂fa
= Jae ,
(A.45)
Leifei(geb)de =
+ va
∂t
∂ra
wobei
Jae =
Z
Eei <0
∂
∂
(∞)
(ve0 − vi)
Seie
fe fi fe0 + fei(geb)fe0 dre0 dpe0 de . (A.46)
+ (ve0 − ve )
0
∂re0i
∂re0e
Bei Kenntnis der Elektronen-Verteilungsfunktion ist die Dynamik der Ionen und Atome
eindeutig durch Gln.(A.30) und (A.45) festgelegt. Allerdings gestaltet sich die Auswertung
der entsprechenden Stoßintegrale in der in Gln.(A.39), (A.42) und (A.46) verwendeten Darstellung etwas umständlich. Insbesondere die Wechselwirkung zwischen den Ladungen ist
nicht direkt aus den Gln.(A.39), (A.42) und (A.46) ersichtlich ist, sondern bleibt vielmehr
(∞)
hinter dem Propagationsoperator Seie0 verborgen. Daher sollen die einzelnen Stoßterme im
folgenden separat diskutiert werden. Die entsprechenden Stoßintegrale werden dabei auf die
konventionelle Boltzmann-Form transformiert, was unter anderem eine direkte Identifizierung der verschiedenen Stoßprozesse ermöglicht.
A.1
Elastische Stöße
(∞)
Da der Propagationsoperator Sei nur auf die Phasenraumvariablen wirkt [205], kann die
durch Sei(∞) erzeugte Verteilungsfunktion auch als
(∞)
Sei fi (pi , ri )fe (pe, ri ) = fi (Pi , ri)fe (Pe , ri )
(A.47)
geschrieben werden. Dabei bezeichnen Pe und Pi die Impulse der Teilchen, die bei einer
Propagation des Zweiteilchensystems gemäß den entsprechenden Newtonschen Bewegungsgleichungen zum Zeitpunkt t die Impulse pe und pi ergeben. Die räumlichen Koordinaten
bleiben dabei unverändert, da die Dichte innerhalb des zu betrachtenden Volumens, in dem
ein typischer Teilchenstoß stattfindet, im Rahmen der Gradientenentwicklung, als konstant
angenommen wird. Die Impulse Pe und Pi sind über die Energieerhaltung
p2
P2
P2
p2e
+ i + Vei (|ri − re |) = e + i
2me 2mi
2me 2mi
(A.48)
A.1 Elastische Stöße
151
mit den momentanen Impulsen pe und pi verknüpft. Bei Verwendung von Zylinderkoordinaten (xe , ye, ze ) → (ρ, z, φ) lässt sich das Ortsintegral in Gl.(A.39) teilweise auswerten.
Wählt man die Zylinderachse parallel zum Vektor der relativen Geschwindigkeit v i − ve,
ergibt sich nach Ausführung der z-Integration
Z 2π Z ∞
Z
(2)
Jie = dve
dφ
dρ ρ |vi − ve| fi (Pi , ri)fe (Pe , ri )|z=∞ − fi (Pi , ri )fe (Pe , ri)|z=−∞ .
0
0
(A.49)
Da die Relativgeschwindigkeit bei der Ausführung der Ortsintegration als z-Achse gewählt
wurde, ist rei für z → ∞ parallel zu vei, so dass die entsprechenden Phasenraumkoordinaten
einer Konfiguration nach einem Stoß entsprechen. Propagiert man nun die Impulse p i und
pe um −τ → −∞, so erhält man die zugehörigen Impulse vor dem Stoß, welche hier mit
Pi |z=∞ = p0i und Pe |z=∞ = p0e bezeichnet werden. Andererseits ist rei für z = −∞ antiparallel zur Relativgeschwindigkeit, was einer Situation vor einem Stoß entspricht. Es gilt dann
Pi |z=−∞ = pi und Pe |z=−∞ = pe, da die Stoßpartner vor einem Stoß als wechselwirkungsfrei
angenommen werden. Für das Stoßintegral Gl.(A.39) resultiert daraus
Z 2π Z ∞
Z
(2)
Jie = dve
dφ
dρ ρ |vi − ve | [fi (p0i , ri )fe (p0e , ri) − fi (pi , ri )fe(pe , ri )] , (A.50)
0
0
wobei die Anfangs- und Endimpulse durch die Energieerhaltung
p2i
p0i 2
p0i 2
p2e
+
=
+
2me 2mi
2me 2mi
(A.51)
pe + pi = p0e + p0i
(A.52)
und Impulserhaltung
p0e
p0i
miteinander verknüpft sind. Die Impulse
und sind bei Kenntniss von pe und pi bis auf
zwei freie Parameter ρ und φ eindeutig festgelegt. Ersetzt man hierbei den Stoßparameter
ρ durch den entsprechenden Streuwinkel θ, so erhält man aus Gl.(A.50) bei Einführung des
differenziellen Streuquerschnittes [214]
dσ
ρ(θ) dρ =
(A.53)
dΩ
sin θ dθ die konventionelle Form des binären Boltzmann-Stoßintegrals
Z
Z
dσ
(2)
Jie = dve dΩ
|vi − ve| [fi(p0i , ri )fe (p0e , ri) − fi (pi , ri )fe(pe , ri )] ,
dΩ
(A.54)
wobei dΩ = sin θ dϕdθ das entsprechende Raumwinkelelement der Streuung bezeichnet.
Für Coulomb-wechselwirkende Teilchen ergibt sich für dσ/dΩ der bekannte Ausdruck des
Rutherford-Streuquerschnittes [102]
e4
dσc
,
=
dΩ
µ2 (vi − ve)4 (1 − cos Θ)2
(A.55)
wobei µ die effektive Masse des Zweiteilchensystems bezeichnet.
Aufgrund des langreichweitigen Charakters des Coulomb-Wechselwirkungspotenzials divergiert das Stoßintegral Gl.(A.50) bei kleinen Streuwinkeln, also bei großen Stoßparametern. Der Mangel in Gl.(A.50) bei Verwendung von Gl.(A.53) für den Streuquerschnitt
152
Anhang A Kinetische Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen
besteht darin, dass die Einflüsse der restlichen Ladungen im Plasma völlig vernachlässigt
werden, welche jedoch aufgrund der langreichweitigen Wechselwirkung den Stoßprozess signifikant beeinflussen. Ein solches Problem tritt bei der Verwendung des Balescu-LenardStoßintegrals [17], welches Abschirmeffekte durch umgebende Plasmateilchen in erster Ordnung berücksichtigt, nicht auf. Allerdings ergeben sich hierbei Divergenzen bei kleinen
Stoßparametern, da die Wechselwirkung bei kleinen Abständen im Rahmen der Polarisationsnäherung nicht korrekt beschrieben wird [183]. Eine vollständige Behandlung des
Stoßintegrals, welche dynamische Abschirmeffekte und die Wechselwirkung sowohl bei kleinen als auch bei großen Teilchenabständen korrekt beschreibt, ist für die hier vorliegende
Problematik jedoch mit einem zu großen numerischen Aufwand verbunden. Da im vorliegenden Fall die elektronische Komponente ohnehin in einer adiabatischen Näherung behandelt
wird, werden die Einflüsse der umgebenden Ladungen auf elastische Elektron-Ion-Stöße in
einfacher Weise durch Ersetzen des Coulomb-Potenzials durch ein statisch abgeschirmtes
Potenzial
rei
e2
(D)
(A.56)
Vei = − exp −
rei
λD
p
berücksichtigt [183], wobei λD = kB Te/(4πe2 ρe ) die Debye-Länge bezeichnet [116]. In diesem Fall ist das Stoßintegral Gl.(A.50) bei Verwendung eines effektiven Streuquerschnittes
zu berechnen, welcher sich aus dem Debye-Potenzial Gl.(A.56) ergibt [183]. Allerdings lässt
sich der resultierende Ausdruck für den differentiellen Streuquerschnitt nicht explizit auswerten, was eine spätere numerische Behandlung erheblich verkompliziert. Daher wird an
dieser Stelle im Rahmen der sogenannten Coulomb-Stoß-Näherung [170, 223] angenommen,
dass der Streuprozess für Teilchenabstände kleiner als die Debye-Länge gemäß Gl.(A.55)
vollzogen wird, während für größere Abstände keine Streuung auftritt. Damit erhält man
einen effektiven Streuquerschnitt
dσc
dσ
, θ ≥ θmin
,
(A.57)
= dΩ
dΩ
0 , θ < θmin
wobei der minimale Streuwinkel sin (θmin /2) = Λ−1/2 [206] durch den sogenannten Coulomb√
3/2
Logarithmus Λ = 3/Γe gegeben ist [116].
A.2
Inelastische Stöße
Um die weitere Auswertung der Gln.(A.42) und (A.46) etwas zu vereinfachen, werden hier
sämtliche inelastische Stoßprozesse in der Thomson-Näherung [214] behandelt. Dabei wird
die Wechselwirkung des stoßenden Elektrons mit dem Ion vernachlässigt und angenommen,
dass sich das gebundene Elektron relativ zum Ion in Ruhe befindet. Im Rahmen dieser
Näherung erhält man aus Gl.(A.42)
Z
∂ (∞)
(3)
Jei =
(ve0 − vi )
S 0 [fe (ri , pe )fi (ri, pi )fe0 (ri , pe0 )
∂re0i eie
Eei >0
+ fa (ri, re , pi , pe )fe0 (ri, pe0 )] dre dpe dre0 dpe0 .
(A.58)
Wird außerdem wegen me mi die Impulsänderung des Ions gegenüber derjenigen der
(∞)
Elektronen vernachlässigt, so erzeugt der Propagationsoperator Seie0 die Verteilungsfunktion
(∞)
(A.59)
Seie
0 (fe fi fe0 + fa fe0 ) = fe (Pe , ri )fi (pi , ri )fe0 (Pe0 , ri ) + fa (Pe , pi , Rei , ri )fe0 (Pe0 , ri ).
A.2 Inelastische Stöße
153
Die entsprechenden Impulse sind hierbei wiederum durch die Energieerhaltung
P 20
p2
p20
Pe2
+ e + Vei (Rei ) = e + e + Vei (rei) + Vee0 (ree0 )
2me 2me0
2me 2me0
(A.60)
mit den momentanen Impulsen verknüpft, wobei Rei = lim rei(t − τ ) der Elektron-Ionτ →∞
Abstand bei t → −∞ ist. Analog zu den Betrachtungen des vorherigen Abschnitts integriert
man nun in Gl.(A.58) über re0 i , wobei die Relativgeschwindigkeit ve0i als z-Achse des zylindrischen Koordinatensystems (ρ, z, φ) gewählt wird. Nach Ausführung der z-Integration
erhält man
Z
Z
Z 2π Z ∞
(3)
Jei =
dre dve dve0
dφ
dρ ρ |ve − ve0 |
Eei >0
h
0
0
fe fi fe0 |ze0 =∞ + fa fe0 |ze0 =∞ − fe fi fe0 |ze0 =−∞ + fa fe0 |ze0 =−∞
i
. (A.61)
Die beiden Fälle z = ∞ bzw. z = −∞ entsprechen wiederum den Konfigurationen nach
bzw. vor einem Stoß. Bei Berücksichtigung der Einschränkung für die Relativenergie Eei > 0
ergibt sich für die jeweiligen Terme auf der rechten Seite von Gl.(A.61)
fefi fe0 |ze0 =∞,Eei >0 = fe (p0e , ri )fi(pi , ri )fe0 (p0e0 , ri )|Eei >0 ,
fafe0 |ze0 =∞,Eei >0 =
fa (p0e , pi , ri)fe0 (p0e0 , ri )|Eei>0
,
fe fi fe0 |ze0 =−∞,Eei >0 = fa (pe , pi , ri)fe0 (pe0 , ri )|Eei0 <0
+ fe(pe , ri )fi (pi , ri)fe0 (pe0 , ri )|E 0 >0 ,
ei
fa fe0 |ze0 =−∞,Eei >0 = 0 .
(A.62a)
(A.62b)
(A.62c)
(A.62d)
Einsetzen von Gln.(A.62) in Gl.(A.61) zeigt, dass die rechte Seite von Gl.(A.62a) durch
den zweiten Term auf der rechten Seite von Gl.(A.62c) kompensiert wird. Für eine weitere
Auswertung des Stoßintegrals ist es an dieser Stelle sinnvoller, den in Gl.(A.53) eingeführten
Stoßquerschnitt nicht nach dem Streuwinkel, sondern nach der entsprechenden Energieändep2
p02
rung ∆E = 2me0e − 2me0e = Eei − Eei0 des stoßenden Elektrons zu parametrisieren. Einsetzen
der Definition der Atomdichte Gl.(A.44) in Gl.(A.61) ergibt
Z E
Z
Z
dσ
(3)
|vi − ve0 |fa (E, pi , ri)fe0 (pe0 , ri )
d(∆E)
Jei = dE dve0
d(∆E)
−∞
Z ∞
Z
Z
dσ
d(∆E)
− dve dve0
|vi − pe0 |fi(vi , ri)fe (pe , ri )fe0 (pe0 , ri) . (A.63)
d(∆E)
E
Wie unmittelbar erkennbar ist, beschreibt der erste Term in Gl.(A.63) die Erzeugung von
Ionen durch Elektronenstoßionisation neutraler Atome, während der zweite Term die Vernichtung von Ionen durch Dreikörperrekombination eines Elektronenpaares und eines Ions
beschreibt. Unter der Annahme, dass die Elektronenverteilungsfunktion einer quasistationären Verteilung
fe(qs) (pe, re ) = ρ(re)φ(pe , Te)
(A.64)
genügt (vgl. Abschnitte 4.1.1 und 5.3.1), kann das Stoßintegral Gl.(A.63) als
Z
Z
(3)
Jei = Kion(E, ρe (ri ), Te)fa (E, pi, ri )dE − Kdkr (E, ρe (ri), Te )fi(pi , ri )dE
(A.65)
154
Anhang A Kinetische Beschreibung von Elektron-Ion-Stößen
geschrieben werden. Dabei bezeichnen
Z
Z
Kion (E, ρe (ri ), Te) = ρe (ri ) dve0
E
d(∆E)
−∞
dσ
|vi − ve0 |φe0 (pe0 , ri )
d(∆E)
(A.66)
die Elektronenstoßionisationsrate eines atomaren Zustandes der Bindungsenergie E und
Z ∞
Z
Z
dσ
2
d(∆E)
Kdkr(E, ρe (ri ), Te) = ρe (ri )
dve dve0
|vi − ve0 |φe (pe , ri)φe0 (pe0 , ri )
d(∆E)
E
(A.67)
die Dreikörperrekombinationsrate in einen atomaren Zustand der Energie E. Um die diskrete
Natur der atomaren Energieniveaus zu berücksichtigen, wird an dieser Stelle der Übergang
Z
X
˜ n)
f(E)dE →
f(E
(A.68)
n
vollzogen, wobei En = − nR2 (n ∈ ) die Eigenenergie des Wasserstoffatoms2 und R =
13.6eV die Rydberg-Konstante bezeichnet. Damit ergibt sich schließlich aus Gl.(A.65) und
bei Verwendung von Gl.(A.68)
X
X
(3)
Jei =
Kion (n, ρe (ri), Te)fa (n, pi , ri ) −
Kdkr(n, ρe (ri ), Te)fi (pi , ri ) ,
(A.69)
n
n
R
P
wobei die atomare Levelverteilung f˜a (n) der Normierung n f˜a(n, pa , ra ) = fa(E, pa , ra )dE
genügt und f˜ durch f ersetzt wurde.
Eine analoge Auswertung von Gl.(A.46) ergibt für die Dynamik der Verteilungsfunktion
der Rydberg-Atome
∂fa (E, pa, ra )
∂fa(E, pa , ra)
(2)
+ va
= Jae
,
(A.70)
∂t
∂ra
wobei das Stoßintegral durch
X
Jae =
[Kgg (p, n, ρe (ra ), Te)fa(p, pa , ra) − Kgg (n, p, ρe (ra ), Te)fa (n, pa , ra)]
p
+Kdkr(n, ρe (ra ), Te)fi (pa, ra ) − Kion(n, ρe (ra ), Te)fa (n, pa, ra )
(A.71)
gegeben ist. Dabei bezeichnen ra und pa den Ort und den Impuls der Atome und Kgg (n, p)
den Ratenkoeffizienten für stoßinduzierte Übergänge zwischen atomaren Energieniveaus von
n nach p, d.h. Elektronenstoßabregung bzw. Elektronenstoßanregung eines Atoms.
2
Für sehr hoch angeregte Zustände mit gleichverteilten Drehimpulsen kann das Energiespektrum von
einfach angeregten Mehrelektronen-Atomen in hinreichend guter Näherung als wasserstoffartig angenommen
werden [107].
Anhang B
Skalierung der
Bewegungsgleichungen
Die Verwendung dimensionsloser Einheiten vereinfacht nicht nur die Implementierung
der numerischen Methoden, sondern erlaubt außerdem eine transparentere Betrachtung der
Plasmadynamik. Da davon zur Diskussion des Expansionsverhaltens des Plasmas in der vorliegenden Arbeit mehrfach Gebrauch gemacht wird, sollen an dieser Stelle die hier gewählten
Einheiten zur Skalierung der Bewegungsgleichungen des Plasmas kurz erläutert werden.
Sämtliche Längen werden in Einheiten des anfänglichen mittleren Wigner-Seitz-Radius
ā0 =
4
π ρ̄i (0)
3
−1/3
(B.1)
gemessen, wobei ρ̄i (0) = Ni /(4πσ(0))3/2 die anfängliche mittlere Dichte der Ionen ist. Damit
bietet es sich an, als Zeiteinheit die inverse mittlere Einsteinfrequenz
r
miā30
τ = ω0,i (0)−1 =
(B.2)
e2
zu verwenden, während Massen in Einheiten der Ionenmasse angegeben werden. Die Bewegungsgleichungen der dimensionslosen Ionenkoordinaten r̃i,j = ri,j /ā0 sind dann durch
¨r̃i,j =
X ri,j − ri,k
+ Ẽe (ri,j )
|ri,j − ri,k |3
k6=j
(B.3)
gegeben, wobei sich das elektrostatische Feld der Elektronenverteilung zu
r̃i,j
Ẽe (r̃i,j ) = − 3
r̃i,j
ergibt und ρ̃e/i =
ρe/i
.
ā30
Z
r̃i,j
4πx2 ρ̃e(x)dx
(B.4)
0
Gemäß Gl.(4.5) ist die in Gl.(B.4) benötigte Elektronendichte aus
ρ̃e (r̃e) ∝ exp Γ̄e0 ϕ̃
Z
W̃e
ex x3/2dx
(B.5)
0
zu bestimmen, wobei W̃e = Γ̄e0 max [ϕ̃(r̃e) − ϕ̃(r̃)] und Γ̄e0 =
r̃≥r̃e
e2
.
ā0 kB Te
Das ’mean field’-
Potenzial ergibt sich aus der Poisson-Gleichung
∆ϕ̃ = 4π (ρ̃e − ρ̃i ) .
(B.6)
156
Anhang B Skalierung der Bewegungsgleichungen
Die entsprechende ionische Anfangsdichte
" 1/3 #
9π
r̃i2
ρ̃i (t = 0) ∝ exp −
2Ni (0)
(B.7)
hängt dabei ausschließlich von der anfänglichen Anzahl der Ionen ab. Die skalierte Elektronentemperatur 1/Γ̄e0 erhält man dann letztlich mit ∆ϕ̃e = 4π ρ̃e aus der Energiebilanz
Z
3
−1
Ne Γ̄e0 − ρ̃e (r̃)ϕ̃(r̃)dr̃
const. =
2
Z
X
1X 2
1
+
+ ρ̃i (r̃)ϕ̃e (r̃)dr̃ + Ẽa ,
(B.8)
ṽi,j +
2
|r̃
i,j − r̃i,k |
j>k
wobei die gesamte Bindungsenergie der Atome aus den jeweiligen Hauptquantenzahlen n j
Na
P
R̃
der Bindungszustände gemäß Ẽa =
zu berechnen ist und R̃ = R/(e2 /ā).
n2
j=1
j
Da die Anfangstemperatur der Ionen in allen hier diskutierten Fällen gegenüber der
Elektronentemperatur vernachlässigbar ist, kann Γ̄−1
= 0 gesetzt werden. Ist außerdem
i
die anfängliche Elektronentemperatur so hoch, dass die Rekombination der Elektronen in
gebundene Rydberg-Zustände auf den zu betrachtenden Zeitskalen vernachlässigt werden
kann, so ist sowohl der Anfangszustand des Plasmas als auch die Dynamik des Systems
allein durch die Anzahl der Ionen Ni = Ni (0) und den anfänglichen Kopplungsparameter
der Elektronen bestimmt. Falls (Ni − Ne)/Ni 1 erhält man für die Expansionszeit des
1/3
p N
i
√
Plasmas in dimensionslosen Einheiten τ̃exp = Γ̄e0 6 π
.
Anhang C
LDA-Ausdrücke für
Korrelationsenergie und
Korrelationsdruck
Ausgehend von Gl.(5.22) und bei Verwendung von Gl.(5.29c) kann der in Abschnitt 5.3.2
gefundene Ausdruck für Fii als
Fii = −e
2
Z
ρi (r + y)gii0 [ρi (r), ρi (r + y), y]
y
dy
y3
(C.1)
geschrieben werden. Unter der Annahme von Gl.(5.29a) kann das Integrationsvolumen in
Gl.(C.1) formal auf eine Kugel mit dem Radius λc eingeschränkt werden. Da außerdem die
Ionendichte auf dieser Längenskala nur schwach variieren soll, können im Integral in Gl.(C.1)
die Taylor-Entwicklungen [Gl.(5.29b)]
ρi (r + y) ≈ ρi (r) + y
und
gii0 (ρi , ρ0i , y)
∂ρi
∂ri
(C.2)
∂gii0 (ρi , ρ0i , y) ∂ρi
= gii0 (ρi , ρi , y) +
y
0
∂ρ0i
∂ri
ρ =ρ
(C.3)
i
für die Dichte und die Korrelationsfunktion herangezogen werden. Nach Einsetzen von
Gl.(C.2) und Gl.(C.3) in Gl.(C.1) erhält
Fii = −e
2
Z
y
ρi gii0 dy +
y3
(2)
(3)
= F(1)
ii + Fii + Fii ,
Z
Z
∂ρi
1
∂ρi
y
y ∂gii0
dy +
y
dy
gii0 y
ρi
y3
∂ri
2
y 3 ∂ρi
∂ri
(C.4)
wobei gii0 (ρi , y) ≡ gii0 (ρi , ρ0i , y)|ρ0 =ρi und die Relation
i
∂ ∂gii0 (ρi , ρ0i, y) ∂gii0 (ρi , ρ0i , y) ∂gii0 (ρi , ρ0i , y) 0
gii0 (ρi , ρi , y)|ρ0 =ρi =
0 +
0 =2
0
i
∂ρi
∂ρi
∂ρ0i
∂ρ0i
ρi =ρi
ρi =ρi
ρi =ρi
(C.5)
ausgenutzt wurde. Da der Integrand des ersten Integrals auf der rechten Seite von Gl.(C.4)
(1)
eine
die Integrale
von y ist, verschwindet F ii . Außerdem verschwinden
ungerade Funktion
(2)
(3)
(2)
(3)
∂ρi
∂ρi
∂ρi
× Fii und ∂ri × Fii , weshalb Fii und Fii parallel zu ∂ri sind. Damit erhält
∂ri
158
Anhang C LDA-Ausdrücke für Korrelationsenergie und Korrelationsdruck
man für F(2)
ii
F(2)
ii
Z
∂ρi
= −e
2πy cos2 θgii0 dθdy
∂ri
Z
e2 ∂ρi
4πy gii0 dy
= −
3 ∂ri
Z
e2 ∂ρi
gii0
= −
dy
3 ∂ri
y
2
(C.6)
und in analog dazu für F(3)
ii
(3)
Fii
Einsetzen der Definition
e2
= − ρi
6
∂ρi
∂ri
e2
uii = ρi (ri)
2
∂
∂ρi
Z
Z
gii0 (ρi , y)
dy .
y
gii0 (ρi , y)
dy
y
in Gl.(C.6) und Gl.(C.7) ergibt zusammen mit Gl.(C.4) die gesuchte Relation
1 uii ∂uii ∂ρ
+
.
Fii = −
3 ρ
∂ρ ∂ri
(C.7)
(C.8)
(C.9)
Unter den gleichen Vorraussetzungen erhält man mit
Z
e2
1
Uii =
ρi (r)ρi (r + y)gii0 [ρi (r), ρi (r + y), y] dydr
2Ni
y
Z
Z
Z
2
e
1 2 ∂gii0
gii0
1
2 gii0
=
ρi
dydr + ρi
(y · ∇ρi ) dydr +
ρ
(y · ∇ρi ) dydr
2Ni
y
y
2
y i ∂ρi
Z
e2
gii0
ρ2i
=
dydr
2Ni
y
Z
1
ρi uii dri
(C.10)
=
Ni
den bekannten LDA-Ausdruck [93] für die Korrelationsenergie.
Anhang D
Analytische Approximation
der Korrelationsfunktion
Um den Kopplungsgrad der ionischen Komponente des inhomogenen, expandierenden
Plasmas zu charakterisieren wurde in Abschnitt 7.5.2 die Korrelationsfunktion c ii0 (r/a, Γi )
eines homogenen Einkomponentenplasmas an die entsprechenden numerisch berechneten
Abstandsverteilungen der Ionen gefittet. Im folgenden soll der dazu verwendete Ausdruck
für cii0 [141] angegeben und die Bedeutung des Kopplungsparameters diskutiert werden, den
man aus einer Anpassung dieser Formel an die numerischen Daten erhält.
Die analytischen Eigenschaften der Korrelationsfunktion wurden in einer Reihe von Arbeiten [160, 259, 307] in den verschiedensten Grenzfällen untersucht. Hierzu wird cii0 in der
Regel als [153]
Γi
cii = exp − + H(r̃)
(D.1)
r̃
geschrieben, wobei das sogenannte Abschirmpotenzial H(r̃) den nichtidealen Anteil der effektiven Ion-Ion-Wechselwirkung beinhaltet und r̃ = r/a. Um einen geschlossenen, möglichst
einfachen aber dennoch leistungsfähigen Ausdruck für die ionische Korrelationsfunktion zu
erhalten, wurde in [141] für das Abschirmpotenzial der Ansatz
H(r̃) =
H(0)
H(0)r̃
Γi
+ F (r̃)
(D.2)
verwendet, welcher mit einer möglichst geringen Zahl von freien Parametern auskommen,
aber gleichzeitig alle bekannten Grenzfälle für H(r̃) erfüllen soll. Die verbleibenden Parameter wurden dann durch einen Fit an numerisch berechnete Korrelationsfunktionen bestimmt
[141]:
1/2
H(0) =
F (r̃) =
d =
A =
B =
C =
1.7298 + 7.6516Γi
1+
1.4354Γ1/2
i
Γ3/2
,
i
+ 6.3493Γi
2π
sin Bx
− Cx cos u , x =
r̃ ,
exp (−Ar̃)
Bx
d
0.58
0.915 + 2.42Γ0.862
i
,
Γ0.862
i
1.69
− 1.4e−0.19Γi + 0.54e−0.32Γi − 0.83e−1.84Γi ,
1 + 0.0012Γi
0.4 + 0.5e−0.1062Γi − 0.694e−0.2706Γi − 0.206e−11.83Γi ,
7355.5449
0.15559e−0.00605Γi −
.
[(14.7455)2 + Γ2i ]2
(D.3)
Anhang D Analytische Approximation der Korrelationsfunktion
1.6
1.6
1.4 (a)
1.4
1.2
1.2
1.0
1.0
cii(r/a)
cii(r/a)
160
0.8
0.6
0.8
0.6
0.4
0.4
0.2
0.2
0.0
0
1
2
0.0
0
3
r/a
1
2
3
r/a
0.0
1.6
(d)
1.4 (c)
-0.2
uii/(Γi3/2 kBTi)
1.2
cii(r/a)
(b)
1.0
-0.4
0.8
0.6
-0.6
0.4
0.2
0.0
0
-0.8
1
2
0
3
3
r/a
6
9
Γi
12
15
18
Abbildung D.1: Vergleich der aus Gln.(D.1)-(D.3) berechneten Korrelationsfunktion (durchgezogene Linie) mit den Monte-Carlo-Resultaten aus [44] (Punkte) für Γi = 1 (a), Γi = 4 (b)
und Γi = 16 (c). In (d) ist die mit Gln.(D.1)-(D.3) bestimmte Korrelationsenergie (Punkte)
zusammen mit der Interpolationsformel Gl.(5.41) (durchgezogene Linie) dargestellt.
Um zu demonstrieren, dass der obige Ausdruck für den hier zu betrachtenden Parameterbereich von Γi < 20 eine sehr gute Approximation der ionischen Korrelationsfunktion liefert,
sind in Abb.D.1a-c die aus Gln.(D.1)-(D.3) erhaltenen Korrelationsfunktionn zusammen mit
den numerischen Resultaten von Monte-Carlo-Simulationen [44] dargestellt. Abb.D.1d zeigt
einen Vergleich der aus Gln.(D.1)-(D.3) berechneten Korrelationsenergie mit Gl.(5.41). In
Abschnitt 7.5.2 wurde angenommen, dass der Wert des ionischen Kopplungsparameters, welcher aus einem Fit der Gln.(D.1)-(D.3) an die numerisch bestimmte Verteilung der gemäß
Gl.(7.17) skalierten Ionenabstände des inhomogenen Plasmas gewonnen wird, im lokalen
Gleichgewicht mit
Z
1
e2
hΓi i =
ρi (ri )
dri
(D.4)
Ni
a(ri)kB Ti (ri )
identisch ist. Hierbei bezeichnen Ti(ri ) und a(ri) die lokale Ionentemperatur und den lokalen
Wigner-Seizt-Radius. Diese Annahme lässt sich an dieser Stelle mit Hilfe des analytischen
Ausdruckes für die Korrelationsfunktion in einfacher Weise überprüfen. Für eine Modellierung des Temperatur- und Dichteprofils der Ionen wird hier
πr i
ri2 h
i
Ti(ri ) = Ti,0 exp − 2
1 + α sin β
(D.5)
6σ
σ
und eine Gaußsche Ionendichte, d.h.
ri2
a(ri ) = a0 exp
6σ 2
,
(D.6)
161
18
(a)
15
Γi
(fit)
12
9
6
3
0
0
3
6
9
12
18
15
<Γi>
1.2
1.2
(b)
1.0
0.4
0.8
Ti/Ti,0
Ti/Ti,0
0.8
0.6
α=0.1
β=2
0.6
0.4
0.2
0.0
0
(c)
1.0
α=0.2
β=1
0.2
1
2
r/σ
3
4
0.0
0
1
2
3
4
r/σ
(fit)
Abbildung D.2: Vergleich des gefitteten und des mittleren Kopplungsparameters Γ i und
hΓi i (a) für ein Gaußsches Dichteprofil und ein Temperaturprofil gemäß Gl.(D.5) mit α = 0.1,
β = 2 (Punkte) und α = 0.2, β = 1 (Quadrate). Die durchgezogene Linie entspricht
Γ(fit)
= hΓi i. Die zugehörigen Temperaturprofile sind in (b) und (c) dargestellt.
i
angenommen, wobei a0 und Ti,0 den Wigner-Seizt-Radius und die Ionentemperatur im Zentrum des Plasmas bezeichnen und die Parameter α und β die relative Amplitude und die
Frequenz der Temperaturoszillationen angeben. Wie ein Vergleich mit den Ergebnissen der
HMD-Simulationen zeigt (Abb.6.2, Abb.7.21 und Abb.D.2c,d), werden die numerisch erhaltenen Profile sehr gut durch die Gln.(D.6) und (D.5) beschrieben. Im Rahmen einer LDA
erhält man dann bei Kenntnis der lokalen Korrelationsfunktion die Verteilung der gemäß
Gl.(7.17) skalierten Ionenabstände im lokalen Gleichgewicht aus
Z
1
P (r̃) =
ρi (ri )gii (r̃, Γi (ri )) dri ,
(D.7)
Ni
wobei Γi (ri ) = e2/(a(ri )kB Ti (ri )). Bei Verwendung des analytischen Ausdruckes für die Korrelationsfunktion kann nun aus Gl.(D.7) die Verteilung der Ionenabstände berechnet und der
(fit)
zugehörige Koppungsparameter Γi durch eine Fit von Gln.(D.1)-(D.3) an die erhaltene
sind in Abb.D.2a als Funktion
Kurve bestimmt werden. Die resultierenden Werte von Γ (fit)
i
der entsprechenden mittleren Kopplungsparameter hΓ i i für zwei verschiedene Temperatur(fit)
profile dargestellt. Wie man sieht sind beide Parameter nahezu identisch, so dass Γ i für die
in Abschnitt 7.5.2 betrachteten Parameter und Temperaturprofile im lokalen Gleichgewicht
in der Tat mit hΓi i identifiziert werden kann.
Anhang E
Korrelationsenergie von
Coulomb-Kristallen
Die Korrelationsenergie eines Coulomb-Kristalls kann gemäß
Uii =
ui
(M)
(hm)
(ah)
= Uii + Uii
+ Uii
kB Ti
(E.1)
(M)
in drei Anteile aufgespalten werden, wobei U ii
= −AM Γi die potenzielle Energie des
Kristallgitters bezeichnet (bcc-Gitter: AM = 0.895929) und Uii(hm) und Uii(ah) die harmonischen und anharmonischen Beiträge von Gitterschwingungen berücksichtigen. Die harmonischen Anteile der Ionenenergie wurden in [13] im Rahmen der sogenannten HarmonischenGitter-Näherung diskutiert. Die numerisch berechneten Energien konnten in [13] mit hoher
Genauigkeit durch
Uii(hm)
=
3
X
n=1
αn θi
− θi
α
n
e θi − 1
dA(θi )
B(θi)
dθi
i)
− A(θi) dB(θ
dθi
B(θi
)2
−
3
2
(E.2)
reproduziert werden, wobei
A =
B =
8
X
n=0
7
X
an θi ,
bn θin + α6 a6θi9 + α8 a8θi11 .
n=0
n
0
1
2
3
4
5
6
7
8
αn
0.932446
0.334547
0.265764
4.757014 · 10−3
4.7770935 · 10−3
an
1
0.1839
0.593586
5.4814 · 10−3
5.01813 · 10−4
0
3.9247 · 10−7
0
5.8356 · 10−11
bn
261.66
0
7.07997
0
0.0409484
3.97355 · 10−4
5.11148 · 10−5
2.19749 · 10−6
Tabelle E.1: Numerische Werte der in Gl.(E.3) benötigten Parameter [13].
(E.3)
164
Anhang E Korrelationsenergie von Coulomb-Kristallen
15
uiiU/kiiB+A
Ti-A
Γi
MΓM
i
12
9
6
3
0
0
4
θi
8
12
Abbildung E.1: Beitrag der Gitterschwingungen zur Ionenenergie für Γi = 3000. Die durchgezogene Linie reultiert aus Gl.(E.2) und Gl.(E.4), während die gestrichelte und gepunktete
Linie dem quantenmechanischen und klassischen Grenzfall Gl.(E.7) und Gl.(E.6) entspricht.
Die entsprechenden Koeffizienten sind in Tab.E.1 angegeben.
Die anharmonischen Beiträge der Gitterschwingungen zur Ionenenergie wurden in [158]
mit Hilfe von Quanten-Monte-Carlo-Simulationen untersucht. Hierbei wurde die folgende
Interpolationsformel zur Beschreibung der numerischen Ergebnisse für den anharmonischen
Anteil der freien Energie Fii(ah) angegeben:
θi
9
Fii(ah) = − Lθi coth2 ,
4
2
(E.4)
wobei
Γi θi (P − 0.08167P θi2 + Qθi4)
,
1 + 0.085θi2 + Rθi6
1.204 19.6 6644
+ 3 + 4 ,
P =
x2
x
x
0.001805 0.08507
+
+ 0.009444P ,
Q =
x2
x3
8.5
R = 0.08532x2 Q , x = Γi tanh
.
θi
L =
(E.5)
dF
(ah)
Die an dieser Stelle benötigte Ionenenergie Uii(ah) lässt sich dann mit Uii(ah) = Γi dΓii i =
(ah)
√
dF
θi dθii i aus Gl.(E.4) und Gl.(E.5) bestimmen, wobei die Relation Γ i = rs θi zu verwenden
ist.
165
Wie in Abb.E.1 illustriert ist, genügt Gl.(E.1) zusammen mit den hier angegebenen
Ausdrücken sowohl dem semiklassischen Limes
10.84 352.8
3 θ2
+
Uii ≈ −0.895929Γi + + i − 1.9038 · 10−3 θi4 +
2
4
Γi
Γ2i
θ4 3.8979 122.504
− i
,
+
80
Γi
Γ2i
(E.6)
als auch dem quantenmechanischen Tieftemperaturgrenzfall
Uii ≈ −0.895929Γi −
3
θ2
+ 1.329θi − 0.365 i .
2
Γi
(E.7)
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Danksagung
Zuallererst möchte ich mich bei meinem Betreuer Prof. Dr. Jan-Michael Rost für die Aufnahme in seine vielfältige Arbeitsgruppe und für die Bereitstellung dieses sehr interessanten
und aktuellen Themas bedanken. Sein Blick für interessante Fragestellungen, die offene
Arbeitsatmosphäre, die zahlreichen Diskussionen und die daraus hervorgegangenen neuen
Ideen und Impulse haben entscheidend zu dieser Arbeit beigetragen und die vergangenen
drei Jahre für mich zu einer wertvollen Zeit gemacht.
Vor allem danke ich auch meinem zweiten“ Betreuer Thomas Pattard, der mich in jeder
”
Phase der Arbeit begleitet und einen großen Anteil am Gelingen dieser Arbeit hat. Für die
ständige Unterstützung vor allem in den schwierigeren Zeiten bin ich ihm sehr zu Dank verpflichtet. Auch die Einblicke in sein sorgfältiges Arbeiten haben mich auf dem (immer noch
langen) Weg zu einer organisierteren Arbeitsweise weit vorangebracht. Sein kritisches Lesen der Arbeit und die vielen wichtigen Hinweise zur Strukturierung der Dissertationsschrift
haben es erst ermöglicht, dass ich unsere Resultate in dieser Form zu Papier bringen konnte.
Für das Korrekturlesen der Arbeit geht auch an Ulf Saalmann und Björn Zimmermann
ein herzliches Dankeschön.
Weiterhin bedanke ich mich bei Ulf Saalmann und besonders bei Christian Siedschlag für
ihre wertvollen Hinweise beim Umgang mit dem treecode“, der ein wichtiger Bestandteil
”
meiner Arbeit war.
Bedanken möchte ich mich bei Francis Robicheaux und Thomas C. Killian für viele hilfreiche Diskussionen und wichtige Hinweise während des Rydberg Physics“-Workshops 2004
”
in Dresden.
Ein Dankeschön geht an alle, die meine Zeit in Dresden auf ihre persönliche Weise geprägt
haben, vor allem an alle zeitweiligen und permanenten Mitglieder unserer Mittagsgruppe:
Thomas Pattard, Ulf Saalmann, Agapi Emmanouilidou, Manfred Lein, Andreas Becker, Stephan Kümmel, Mario de Menech, Ivan Liu, Ranaul Islam, Ionut Georgescu, ... .
I enjoyed the last three years sharing the office with my office mate Agapi Emmanouilidou
and I’m very grateful for the lively atmosphere she brought on our floor.
Especially, I would like to thank my true friend“ [168] Anatole Kenfack for making my
”
working hours much more relaxed and for the uncountable table tennis lessons I got.
Ganz besonders herzlich bedanke ich mich bei Dir, Nadine, weil Du mich in den letzten
Jahren in allen Belangen gestützt hast. Ohne Deine Hilfe und auch Dein Verständnis für
meinen Job, wäre diese Arbeit so nicht vollendet wurden.
An dieser Stelle möchte ich auch meiner Mutter Waltraud Pohl für ihre Unterstützung
während der ganzen Zeit danken.
Versicherung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne unzulässige Hilfe Dritter und
ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden
Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.
Die Arbeit wurde bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form
einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.
Die Arbeit wurde am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in der Abteilung
Endliche Systeme“ angefertigt und von Prof. Dr. Jan-Michael Rost betreut.
”
Ich erkenne die Promotionsordnung der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der
Technischen Universität Dresden vom 20. März 2000 an.
————————
Thomas Pohl
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