agnostic front - Ox

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Interviews & Artikel
AGNOSTIC FRONT
Sie sind die Begründer des New York Hardcore, haben
textlich und stilistisch Generationen von Bands geprägt, sind
auch 1999, 18 Jahre nach Gründung der Band, noch mit dabei
und schaffen es live wie auf Platte ganz locker die absolute
Mehrheit jüngerer Bands an die Wand zu spielen: AGNOSTIC
FRONT. Nach mehrjähriger Schaffenspause meldeten sich
die Mitbegründer des New York Hardcore 1998 in der
Besetzung Roger Miret - Gesang, Vinnie Stigma - Gitarre, Rob
Kabula - Bass und Jimmy "The Kid" Colette - Drums mit
"Something´s gotta give" zurück, einem Album, das die
Erwartungen an die NYHC-Godfathers nicht enttäuschte. Ich
sprach vor dem Konzert in Essen mit Roger Miret.
Roger, wir haben gerade schon über deine zweite Band LADY
LUCK gesprochen, die musikalisch ja in eine ganz andere
Richtung geht. Was bedeutet dir LADY LUCK - ist das nur ein
"Side-Project" einfach so zum Spass?
Nein, definitiv nicht. LADY LUCK gibt es schon eine ganze Weile,
ich spielte da schon, als eine Reunion von AGNOSTIC FRONT
gar nicht zur Debatte stand.
Musikalisch ist das ja was völlig anderes.
Ja, das sind zwei verschiedene Welten. Die eine Band, LADY
LUCK nämlich, ist eher was, um sich musikalisch auszuleben, die
andere, um sich körperlich auszutoben. AF sind aggressiv, LADY
LUCK melodisch - es sind zwei völlig verschiedene Bands. Wenn
ich mit ´nem Song, den ich für LADY LUCK geschrieben habe, bei
AF ankäme, würden die anderen mich anschauen, als hätte ich
zwei Köpfe auf meinen Schultern sitzen. Aber ich mag eben beide
Bands, beide sind mir wichtig, deshalb möchte ich LADY LUCK
nicht zum Side-Project degradieren. Ich bin "leider" mehr mit AF
unterwegs, so dass es mir nicht möglich ist, meine Zeit
gleichmässig zwischen beiden Bands aufzuteilen. Ich würde auch
gerne mit LADY LUCK hier in Europa auf Tour gehen, wobei das
dann sicher keine Musik wäre für das typische HardcorePublikum.
Wie würdest du den Sound denn beschreiben?
Als sehr melodisch, als auf den Spuren von QUICKSAND oder
JETS TO BRAZIL wandelnd.
Du machst bei LADY LUCK also das, was bei AF musikalisch
nicht möglich ist. Ich denke mal, eure Fans verknüpfen mit
dem Namen AGNOSTIC FRONT einen bestimmten Sound,
nämlich New York Hardcore, und es wäre wohl nicht
besonders schlau, da zu experimentieren.
Richtig, so sehe ich das. Und abgesehen davon könnte ich meine
Mitstreiter bei AF auch kaum davon überzeugen, was anderes zu
spielen. Vinnie hat seinen Stil, davon weicht er nicht ab: er will
Hardcore spielen und nicht irgendwas Melodisches. Mein
Geschmack ist da etwas breiter gefächert, ich höre ganz
unterschiedliche Sachen und bin immer offen für Neues. Ich finde
es nicht gut, sich auf einen einzigen Musikstil zu versteifen und
vor allem anderen die Augen zu verschliessen. Klar, ich höre viel
Punk und Hardcore, aber auch viel Rock´n´roll aus den
Fünfzigern.
Ich habe schon oft festgestellt, dass die Fans einer Band
musikalisch sehr engstirnig sind, während die Musiker selbst
sich gar nicht auf diesen einen Musikstil versteifen.
Das ist gut möglich. Ich sehe einfach, dass das HardcorePublikum generell in musikalischer Hinsicht recht engstirnig ist: es
gibt nur einen Stil, und wenn du als Band davon abweichst, wirst
du schon angemacht. Die versuchen dich in eine Ecke zu
drängen, damit du nur das machen kannst, was sie hören wollen.
Und gerade weil das so ist bin ich froh LADY LUCK zu haben das können die Hardcore-Kids dann gutfinden oder auch nicht, es
ist mir egal. Haha, meistens sind es allerdings deren Freundinnen,
die LADY LUCK mögen. Ich bin also echt froh, zwei Bands zu
haben, weil ich so machen kann, was ich will, ohne dabei
jemanden zu enttäuschen oder zu verägern. LADY LUCK sind
nämlich nicht nur eine andere Band, nein, da ist alles anders: es
ist keine Hardcore-Band, und das spielt eine grosse Rolle.
Nun, AGNOSTIC FRONT ist eben ein eingeführter
"Markenname", mit dem man gewisse Erwartungen in
stilistischer wie qualitativer Hinsicht verknüpft.
Exakt, genau so ist das.
Es wäre also nicht klug, die diesbezüglichen Erwartungen zu
enttäuschen - ich denke da nur an die Achtziger zurück, als
7SECONDS und UNIFORM CHOICE plötzlich unter ihrem
alten Namen Platten veröffentlichten, die musikalisch mit den
frühen Sachen nichts mehr zu tun hatten und sie fast jeder
dafür hasste.
Ja, ich sehe das genauso. Es ist sehr schwer als Band, wenn du
dir einen Namen erarbeitet hast, dich aber musikalisch verändern
willst bzw. sich die Band im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat. Da
musst du höllisch aufpassen. Als die Split-CD von LADY LUCK
mit FULLY erschien - auf IJT Records-, hatte sie einen Sticker
vorne drauf "ex-AGNOSTIC FRONT, ex-QUICKSAND" - das war
nicht unsere Idee und es war nicht schlau, denn so kaufen die am
Ende Kids, die eine Hardcore-Platte erwarten und womöglich
enttäuscht sind. So sind die Kids, dafür bin ich ihnen nicht böse.
Und deshalb trenne ich auch zwischen LADY LUCK und
AGNOSTIC FRONT, ist LADY LUCK eben nicht das "Roger von
AGNOSTIC FRONT-Projekt", sondern eine Band mit vier gleich
wichtigen Leuten.
Und die wären?
Denise am Gesang, ich am Bass, Kana an der Gitarre und Carlo
am Schlagzeug.
Sprechen wir über AGNOSTIC FRONT. Ich muss sagen, ich
war sehr angenehm überrascht von eurem neuen Album:
man ist ja mittlerweile an Reunions gewöhnt und hat da
einige Enttäuschungen erleben müssen, aber nein, die
Scheibe tritt Arsch, hat alles, was man von einem AGNOSTIC
FRONT-Album im speziellen und einem New York HardcoreAlbum im allgemeinen erwartet. Und man stellt sich die
Frage, warum man eigentlich permanent von all diesen
schlechten NYHC-Kopisten belästigt wird, wenn es doch
noch das Original gibt, das immer noch all die Nachmacher
locker in die Tasche steckt.
Danke! Lass mich zuerst was zu dieser Reunion-Sache sagen: ja,
es gibt jede Menge Bands, die sich in den letzten Jahren an einer
Reunion versucht haben, und ich kann dir dazu nur sagen, dass
das nicht einfach ist, wenn man wirklich gut klingen und gute
Shows spielen will. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir jede
Menge Klassiker auf Lager haben und ein Publikum, dass uns
abfeiert, für das wir eine Kultband sind. Für all diese Bands, die
sich zu einer Reunion entschlossen haben, ist der ultimative Test
ein neues Album - da entscheidet sich, ob die Band noch gut ist
oder nicht. In unserem Fall denke ich, dass wir ein echt gutes,
ehrliches Hardcore-Album aufgenommen haben, das niemanden
enttäuscht. Und das hat wohl allen möglichen Kritikern den Wind
aus den Segeln genommen, die uns verdächtigten, allein wegen
des Geldes wieder zusammen zu sein. Das ist nämlich Bullshit,
wir machen kein Geld mit der Band. Unsere Reunion ist eine
ehrliche Sache, wir haben ein Album aufgenommen und wir
machen weiter, planen schon das nächste Album. Es wird
natürlich auch wieder eine Hardcore-Punk-Platte, wie
"Something´s gotta give", wie "Victim in pain". Für uns haben
Punk, Hardcore und Oi! schon immer zusammen gehört - und was
am wichtigsten ist: alles, was du machst, muss ehrlich sein. Und
wir sind heute wie damals aggressiv, angepisst, wütend. Ganz
wichtig für den Sound der Band war auch schon immer Vinnies
klassischer Gitarrensound, allein daran kannst du eine
AGNOSTIC FRONT-Platte schon von jeder anderen HardcoreScheibe unterscheiden.
Andererseits ist heute natürlich eine ganz andere Zeit als
1981/82, als ihr die Band gegründet habt: ihr hattet einen
anderen Background, eure Lebenssituation war eine völlig
andere. Wenn man jetzt mal davon ausgeht, dass diese
Umstände die Musik massiv geprägt haben, wie ist es dann
heute, unter ganz anderen Umständen die gleiche Musik zu
machen?
Hm, ich weiss, was du meinst, aber es macht eigentlich keinen
Unterscheid. Hardcore ist eine Sache, die du im Herzen trägst und
wir sind jetzt seit 18 Jahren dabei, da kennst du nichts anderes.
Als es AF eine Weile nicht gab, änderte sich dadurch für uns nicht
viel: ich ging weiterhin auf Konzerte - und brach mir bei einer
MADBALL-Show den Rücken-, Vinnie spielte bei MADBALL, Rob
bei AGAINST THE GRAIN, wir waren immer voll dabei. Hardcore
ist so ein zentraler Teil unseres Lebens, dass es nicht irgendwie
"schwierig" ist, heute noch solche Musik zu spielen und solche
Texte zu schreiben. Aber klar, wir haben uns natürlich persönlich
verändert: wir leben nicht mehr auf der Strasse, wir haben selbst
Kinder, aber trotzdem sind wir noch wütend und angepisst von
dem, was um uns herum geschieht. Und so sind die Texte: gerade
heraus, simpel, "basic street politics" - letztendlich die gleichen
Themen wie schon immer, schliesslich sind wir immer noch Teil
der Szene. Und hey, wieviele Bands ausser uns sind denn immer
noch dabei? Von den 30, 40 Leuten, die damals unsere "Szene"
darstellten, sind heute noch drei, vier übriggeblieben.
Der Hintergrund meiner Frage war, dass es heute eine ganze
Menge alter Punkbands gibt, die zwar immer noch die gleiche
Musik spielen und sich textlich nicht sehr verändert haben,
aber deren persönlicher Hintergrund ein völlig anderer ist und sowas prägt doch eigentlich die Musik. Ich meine, wenn
Achtzehnjährige über ihre Alltagsprobleme singen, dann ist
das doch was anderes, als wenn man solche Texte von ´nem
30jährigen hört, der ein abgeschlossenes Studium in der
Tasche hat und verheiratet ist.
Hm, klar, das kann schon ein Problem sein, aber in unserem Fall
hat das echt keine Bedeutung. Wir haben uns für diese Platte
nichts ausdenken müssen, verstehst du? Die ist einfach so
passiert, die Texte, die Musik. Es fiel uns unglaublich leicht,
dieses Album aufzunehmen. Vielleicht hat die Pause dazu
beigetragen, dass wir so angepisst waren und es nur rauslassen
mussten. Und vielleicht hat sie auch dazu beigetragen, dass wir
beobachten konnten, wie sich die New York Hardcore-Szene
verändert hat, wie immer mehr Metal ins Spiel kam und wir uns
fragten, warum die nicht mehr Hardcore spielen. Irgendwie trug
das alles dazu bei, dass die neue Platte so klingt wie sie klingt.
New York Hardcore heute - nun, das ist so eine Sache... Und
die Tatsache, dass euer Album so richtig schön old school
ist, ist ja auch der Grund, warum es mir so gut gefällt: es ist
KEIN Metal. Wie stehst du dazu?
O.k., erstmal lästere ich nicht über andere Bands. Das war schon
immer meine Überzeugung, denn jede Band gibt sich Mühe, ist
von ihrer Musik überzeugt. Ich persönlich bevorzuge allerdings
Old-School-Hardcore, Punk und Oi! Dass derzeit ziemlich viel
Metal-Einflüsse vertreten sind, höre ich natürlich, aber das ist
eben die Entwicklung - und auch der Grund, weshalb wir so eine
Platte gemacht haben, nämlich um guten, alten New York
Hardcore wieder ins Spiel zu bringen. Das soll nicht heissen, dass
wir besser sind, und bessere Musiker sind wir sowieso nicht, nein,
die meisten dieser neuen Bands sind musikalisch sogar besser
als wir, wir könnten gar nicht so einen Sound spielen wie die.
Um handwerkliche Fähigkeiten ging´s aber auch noch nie...
Richtig! Ich kam damals in diese Szene, weil ich die Musik und die
Texte mochte. Auf die Energie kam´s an! Musikalisch kann ich
dieses Metalzeugs nicht ab, aber textlich ist das teilweise schon
o.k. Und dann gibt´s heute Bands wie MACHINE HEAD oder
FEAR FACTORY, die durchaus o.k. sind und mit kurzen Haaren
rumlaufen und bei denen du nicht sagen kannst, ob das jetzt
Metal oder Hardcore ist. Früher dagegen war es ganz einfach, die
Metalkids von den Hardcorekids zu unterscheiden: die Metals
hatten lange Haare und hörten SLAYER, METALLICA und so.
Und jetzt? Jetzt haben sogar die Jungs von METALLICA kurze
Haare und man kann auch musikalisch oft kaum noch zwischen
Metal und Hardcore unterscheiden. Old School-Hardcore dagegen
steht immer noch in der gleichen Ecke wie früher.
Mit dem Trend vom Hardcore zum Metal, der in den
Neunzigern einsetzte, haben sich viele Leute, gerade solche,
die schon länger dabei sind, vom Hardcore abgewandt und
begeistern sich viel mehr für ganz basalen Rock´n´roll.
Ich weiss - und schau dir an, wie viele Band es derzeit gibt, die so
einen Sound spielen. Ich weiss nicht, was ich davon halten soll,
ich weiss nur, dass es sehr viele Leute gibt, die froh darüber sind,
dass wir zurück sind. Die sind teilweise jahrelang nicht mehr auf
Konzerte gegangen, wegen uns haben sie jetzt wieder damit
angefangen. Die kommen auf uns zu und danken uns, dass wir
weitermachen, erzählen, dass sie von Hardcore echt schon die
Schnauze voll hatten und durch uns jetzt wieder Spass daran
haben. Zum einen ziehen wir also die alten Fans, zum anderen
kommen aber auch viele junge Kids zu unsere Shows und zeigen
ihnen, was wir unter Hardcore verstehen - und von denen hatten
viele bisher nie von uns gehört.
Dieser Tage unterscheiden viele Leute strikt zwischen Punk
und Hardcore - was sagst du dazu?
Wie willst du da unterscheiden? Da gibt´s keinen Unterschied!
O.k., heute wird das gerne gemacht, ich weiss. Gerade diese
ganzen kommerziellen Punkbands machen das, warum auch
immer. Unser "Victim in pain"-Album wird immer wieder als eine
DER Hardcore-Scheiben bezeichnet - für mich ist das ein PunkAlbum. Wir waren immer einer Punkband, die allerdings vom
Hardcore beeinflusst war. Der Unterschied von Hardcore zu Punk
war für uns damals, dass Hardcore eine hässliche Version von
Punk war: more bastard, more noisy, more aggressive. Deshalb
nannten wir es Hardcore, dabei war es aber doch immer noch
Punk. Dann redete man plötzlich von Hardcore-Punk, für uns war
es aber immer noch ein und das selbe. Heute sind Hardcore und
Punk zwei verschiedene Sachen - allerdings nicht für mich. Oder
um auf die Anfangszeiten zu sprechen zu kommen: MINOR
THREAT waren eine Punkband, die allerdings direkter und härter
war als die meisten anderen - und deshalb sprach man von
Hardcore-Punk. Ich weiss auch nicht, was diese ganze
Unterscheidung heute soll: da gibt´s Skins, Punk, New School,
Old School - und ich frage mich ständig, was dieses
separatistische Getue eigentlich soll. Es ist schliesslich "rebellious
music for rebellious people", Musik von der Strasse, wenn du so
willst Musik für die Revolution. Wenn du einen Funken von
Rebellion in deinem Körper verspürst, dann ist das deine Musik.
Wenn du diesen Funken nicht in dir hast, dann bist du nur ein
verdammter Poser.
Ich habe vor einiger Zeit Don Fury interviewt, der lange Jahre
euer Produzent war, und er erzählte, wie ihn euer Sound
damals weggeblasen hat, weil ihr härter wart als alles, was er
zuvor gehört hatte. Wie siehst du das?
Nun, ich denke, das besondere an unserer Musik war, dass sie
neu war. Es gab nur ganz wenige Bands, die sowas spielten und
Don wusste überhaupt nicht, was ihn erwartete. Er arbeitete mit
ganz unterschiedlichen Bands, die alle eher "normale" Musik
machten. Und dann standen wir plötzlich in seinem winzigen
Kellerstudio, schrien rum und machten höllischen Lärm. Er meinte
nur "Wow! What the fuck?!?", er drehte die Pegel runter und
meinte, wir würden ihm sein Equipment kaputtmachen. Und dann
meinte er, das würde ihm gefallen: "It´s cazy, but I like it." Dann
nahmen wir auf - und er hielt uns weiterhin für verrückt, als wir
darauf bestanden, alle Regler auf zehn zu drehen. Aber wir waren
nicht verrückt, nur angepisst und machten mit dieser Attitüde
Musik.
Wie kamt ihr zu Epitaph?
Wir hatten das neue Album im Kasten, redeten mit verschiedenen
Labels und Epitaph machten einfach den ehrlichsten und besten
Eindruck auf uns. Eigentlich sollte das Album ja auf Hellcat
erscheinen, aber man entschied sich dann, es doch direkt auf
Epitaph zu veröffentlichen. Wir waren auch mit Victory im
Gespräch, das sind auch sehr coole Leute, aber letztendlich
entschieden wir uns eben für Epitaph. In New York gibt es
heutzutage ja leider kein Label mehr, das in Frage gekommen
wäre. Ich wäre natürlich auch gerne auf Dischord, aber die haben
sehr strikte Prinzipien, das hätte nicht gepasst.
Ein Aspekt, den man in einem Interview nicht unerwähnt
lassen sollte, ist der Vorwurf faschistoider Tendenzen. In der
letzten Ausgabe des Plastic Bomb tauchte genau das in
einem Interview mit Jello Biafra auf, seinerzeit war das
Maximumrocknroll nicht gut auf euch zu sprechen und es
gab auch noch andere unschöne Geschichten, etwa in Bezug
auf Patriotismus. Wie siehst du das alles heute?
Ich habe das alles nie verstanden. Wir haben auch nie einen
patriotischen Song geschrieben. Man warf uns die Sache mit der
US-Fahne im Coverartwork vor - ja und, es war o.k., dass LAST
RESORT und G.B.H. den Union Jack verwendeten, oder? Klar,
wir hatten die US-Flagge auf dem Cover - aber das Motiv waren
Stiefel, die durch die Fahne hindurchtraten. Wir haben nie einen
pro-amerikanischen Song geschrieben! Und auf "United blood"
war ein Anti-Kriegs-Song. Oder "Victim in pain": da ist nichts ProAmerikanisches enthalten, im Gegenteil, die Songs sind gegen die
Regierung gerichtet. Und die Sache mit "Liberty and justice for
all", die mit dem Fahnenschwur "I pledge allegiance..." beginnt,
bei der sich aber wohl keiner, der uns deshalb angegriffen hat, die
Texte durchgelesen hat. Wenn du die liest, steht da nämlich nichts
patriotisches, sondern dass Freiheit und Gerechtigkeit in Amerika
so nicht existieren. Warum lesen die Leute nie die Texte??? Die
sind ganz schnell mit Anschuldigungen dabei, aber erst die Texte
lesen - wozu? Ach ja, dann war da noch "Public assistance",
wegen dem wir auch viel Prügel einstecken mussten und wo´s um
die soziale Gerechtigkeit geht. Man warf uns vor Faschisten zu
sein, wie bescheuert! Ich bin Kubaner, kein Amerikaner, hier
schau dir meine Tätowierung an: "100% Latino". Und wenn du als
Latino Geld von der Regierung willst, Sozialhilfe oder so, ist das
kein Problem. Ich als Kubaner habe keine Schwierigkeiten
Sozialhilfe zu bekommen, bist du aber weisser Amerikaner, hast
du kaum eine Chance. Genau darum ging´s, und genau das habe
ich geschrieben. Und sag mir, warum bin ich besser als du? Nur
weil ich zu einer Minderheit gehöre? Das ist soziale
Ungerechtigkeit! Wegen solcher Missverständnisse gab es
damals Leute, die uns als Faschisten bezeichneten, doch ich bin
bereit, mit jedem jeden Song auf jeder Platte durchzugehen und
zu beweisen, dass das nicht so ist. Und wir sind heute immer
noch absolut gegen den Krieg, gegen die Gesellschaft, gegen
Religion - wobei wir im letzteren Fall unsere Meinung etwas
geändert haben. Ich glaube heute, dass da vielleicht noch
irgendwas ist, aber man muss das nicht Gott nennen und deshalb
auch nicht zur Kirche gehen.
Gut, aber...
Lass mich noch eins sagen: ich wusste nie, was die Leute für ein
Problem mit uns haben, bis ich dann nach Kalifornien kam.
Warum? Nun, dazu muss man wissen, dass es in den USA einen
uralten Gegensatz zwischen Eastcoast und Westcoast gibt.
Damals hatte jeder an der Eastcoast ´nen kahlgeschorenen
Schädel, ob jetzt MINOR THREAT, AGNOSTIC FRONT, SS
DECONTROL, NEGATIVE APPROACH, sogar 7SECONDS. Das
war einfach der Look, mit Skinheads hatte keiner ein Problem.
Und dann kam ich an die Westcoast - und überall gab es
Naziskinheads und ich verstand plötzlich, warum die Punks von
der Westcoast ein Problem mit uns Kahlköpfen hatten. Das
entschuldigt aber nicht die Hetze, die das Maximumrocknroll
damals betrieb, denn nur weil in San Francisco alle Skinheads
Nazis waren, bedeutete das ja noch lange nicht, dass das auch an
der Eastcoast so ist. Es gibt bei uns die Redewendung "Don´t
judge a book by its cover", aber genau das haben die getan: der
Typ sieht aus wie ein Nazi, also ist er einer.
Apropos Skinheads: in eurem CD-Booklet ist eine kleine
Zeichnung von einem Skinhead und daneben steht "Not all
skinheads are racists". Das wirkt ja doch etwas naiv...
Ja und, stimmt´s oder stimmt´s nicht? Also. Klar, für jemanden,
der sich schon lange in der Szene bewegt, ist das klar, aber nicht
unbedingt für Kids, die Hardcore gerade erst entdeckt haben. Das
ist auch der Grund, weshalb ich sowas live auf der Bühne sage.
Da erzähle ich meist auch was zum Thema Tierversuche, deshalb
steht das ebenfalls im Booklet.
Heute abend sind auch wieder sehr viele Skinheads im
Publikum, und ich schätze mal, dass da auch ein paar
Faschos dabei sind. Wie verhaltet ihr euch, wenn ihr merkt,
dass Naziglatzen bei einem Konzert anwesend sind?
Früher hatten wir damit regelmässig Probleme, da gab´s dann
auch Schlägereien. Heutzutage hat sich das ziemlich beruhigt,
und wenn Faschos auftauchen, verhalten sie sich fast immer
ruhig. Meine Meinung dazu ist: jeder kann glauben, woran er will,
und ändern kann man sowieso niemanden. Aber wenn so ein Nazi
zu unserem Konzert kommt, warum auch immer, dann hört er
vielleicht doch hin, was ich so erzähle und fängt an
nachzudenken. Ehrlich, ich weiss, dass es sowas gibt, über die
Jahre habe ich immer wieder mal mit Skinheads gesprochen, die
früher richtig üble Nazis waren und meinten, ich hätte sie zum
Nachdenken gebracht.
Unity - glaubst du noch daran?
Aber ja! Nur weil dieser Begriff und diese Idee eine Weile so
allgegenwärtig war, dass das keiner mehr hören wollte, ist doch
nichts falsches daran. Martin Luther King hatte seine Vision, dass
Schwarze und Weisse in den USA gleichberechtigt
zusammenleben - und wir haben die Unity-Idee, dass alle
zusammen Spass haben anstatt sich zu bekämpfen. Das mag
man für eine naive Idee halten, aber es ist ein schöner Traum,
oder? Was macht es den Sinn, wenn Punks und Skins streiten,
Straight Edger und Punks, Old School- und New SchoolAnhänger?
Brian von Grand Theft Audio hat vor einiger Zeit eine BenefizCompilation für dich gemacht. Was war der Anlass dafür?
Ich hatte mir beim Stagediven bei einem MADBALL-Konzert eine
schwere Rückenverletzung zugezogen und das hatte eine
ziemliche hohe Krankenhausrechnung zur Folge, die die
Versicherung nur bis zu einer gewissen Höhe bezahlte. Das Geld
von der Compilation half mir, den Rest zu bezahlen.
Für Leute in Deutschland ist das schwer nachzuvollziehen:
zum einen ist hier jeder krankenversichert, zum anderen
denken wohl viele, dass ihr mit AGNOSTIC FRONT auch ganz
gut Kohle verdient.
Schön wär´s! Meine Krankenhausrechnung belief sich auf 47.000
Dollar, die Versicherung hat 80% übernommen, blieben für mich
noch 9.000 Dollar - und das ist ´ne Menge Kohle.
Womit verdienst du deinen Lebensunterhalt?
Ich bin Motorradmechaniker für Harley-Davidson-Maschinen. Die
anderen in der Band haben auch alle einen Job, denn von der
Musik können wir nicht leben, auch wenn das natürlich schön
wäre. Wir sind eben keine jungen Typen mehr, die keine
Verantwortung haben: wir haben Kinder, müssen Miete zahlen,
müssen die Schule bezahlen - und was sparen, denn meine
Tochter wird in ein paar Jahren auf´s College gehen, und das
kostet auch einiges.
Du bist kubanischer Herkunft - wie stehst du zur Kubapolitik
der USA, die auch 40 Jahre nach der Revolution noch eine
strikte Boykottpolitik gegenüber Kuba fahren?
Meine ganz persönliche Meinung ist, dass ich hoffe, irgendwann
mal wieder nach Kuba reisen zu können. Ich kam mit fünf Jahren
in die USA, seitdem war ich nie wieder dort, weil das für
Amerikaner nicht möglich ist. Meine ganze Familie ist noch auf
Kuba, meine Grosseltern, meine Tanten, Onkels, Cousins und
Cousinen. Wir telefonieren von Zeit zu Zeit, und sie kennen auch
AGNOSTIC FRONT. Mein Onkel hat Internetzugang, so
kommunizieren wir, und der verteilt an alle AGNOSTIC FRONTMerchandise, der ist echt stolz auf mich. Jedenfalls sind die
glücklich in Kuba, sie leben gerne dort und mögen Fidel Castro.
Meiner Meinung nach sollte Amerika Kuba einfach in Ruhe
lassen, aber das ist wohl nicht möglich, und weisst du warum? Die
USA sind ein verdammt gieriges Land, das es nicht erträgt, dass
da was ist, was es nicht kriegen kann - Kuba nämlich. Also sind
die USA angepisst und machen es Kuba so schwer wie nur
möglich, verhängen eine Blockade gegen Kuba und versuchen
alle anderen Länder zu zwingen, Kuba ebenfalls zu blockieren.
Was für ein Bullshit! Aber die USA werden wohl nicht aufgeben,
bis sie Kuba ausgehungert haben und die Kubaner die USA
bitten, ihnen zu helfen. Das ist aber absolut unrecht, und ich zolle
Kuba und Fidel Castro grossen Respekt dafür, den Amerikanern
permanent mit einem "Fuck you!" gegenüberzutreten. Mit dieser
Meinung stehe ich als Kubaner in den USA natürlich ziemlich
alleine da, denn alle Kubaner, die Castro hassen, leben in den
USA.
Zum Schluss: deine Lieblingsbands bzw. -platten?
LADY LUCK natürlich. "Never mind the bollocks" von den SEX
PISTOLS ist ein ewiger Klassiker, ich mag die RAMONES,
MINOR THREAT, SS DECONTROL, NEGATIVE APPROACH,
und an aktuellen Bands stehe ich auf JETS TO BRAZIL,
PROMISE RING, SUNNY DAY REAL ESTATE, GARBAGE und
Sinead O´Connor.
Joachim Hiller
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