Lernbegleitbuch Wundexperte ICW ® Herausgeber Das Bild kann nicht angezeigt werden. Dieser Computer verfügt möglicherweise über zu wenig Arbeitsspeicher, um das Bild zu öffnen, oder das Bild ist beschädigt Initiative Chronische Wunden e.V. Ida Verheyen-Cronau Leitung Zertifizierungsstelle Felsenstraße 5 35110 Frankenau Autoren Madeleine Gerber Autorenteam Leitung Geschäftsstelle ICW e.V., Lehrerin für Pflegeberufe, Pflegesachverständige/Pflegegutachterin (BDSF), zertifizierte Ernährungsberaterin, geprüfte Wundberaterin AWM®, Bergisch-Gladbach [email protected] Prof. Dr. med. Knut Kröger Chefarzt am Klinikum für Angiologie am interdisziplinären Gefäßzentrum Helios-Klinikum, Krefeld [email protected] Armin Leibig, Dipl. Pflegepädagoge, M.A. (Erwachsenenbildung) Leitung der Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe am Universitätsklinikum Erlangen [email protected] Ida Verheyen-Cronau Leitung Zertifizierungsstelle ICW e.V., Fachkrankenschwester I/A, Lehrerin für Pflegeberufe, Wundexpertin und Pflegetherapeutin Wunde ICW/TÜV, WACert. DGfW, Frankenau [email protected] Graphiken: Janina Lamers, Dipl. Produktdesignerin (FH), Köln www.famosdesign.com Lektorat: Elena Göbel B.Sc. 2012 2 Lernbegleitbuch Wundexperte ICW ® Vorwort Warum bringt die Initiative Chronische Wunden (ICW e.V) ein eigenes Lehrbuch heraus? Es existieren doch genügend gute Lehrbücher zum Thema „Chronische Wunden“. Diese Frage wurde auch im ICW-Expertengremium ausgiebig diskutiert. Als Antwort ist ein Buch entstanden, das speziell auf die Bedürfnisse der Kursteilnehmer von Wundseminaren zugeschnitten ist und Dozenten eine inhaltliche Orientierung bietet. Das vorliegende Buch ist somit eine gelungene Ergänzung der bestehenden Literatur zur Thematik „Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden“. Die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden bedeutet eine besondere Herausforderung für Alle: Im Studium der Ärzte und Apotheker findet diese Thematik kaum Berücksichtigung, in der Ausbildung der Pflegefachkräfte wird sie bestenfalls kurz behandelt. Seit 2005 hat das deshalb entwickelte Seminar Wundexperte ICW ® zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung in der Praxis geführt. Im Jahr 2012 erhielt der 20.000. Absolvent ein Zertifikat Wundexperte ICW ®, was im Gesundheitswesen als Marke hoch geschätzt ist. Um diesen Titel zu erhalten, ist neben dem Theorieteil eine Hospitation zu leisten sowie die Prüfungsteile Klausur und Hausarbeit erfolgreich zu absolvieren. Die Anregung, neben den Fortbildungsunterlagen der Dozenten ein einheitliches Lehrbuch zur Prüfungsvorbereitung nutzen zu können, wurde mehrfach an die ICW herangetragen. Fundament des Buchkonzeptes bildet das Curriculum, dessen Themen chronologisch aufbereitet und die Lernzielanforderungen prägnant dargestellt werden: Was soll ich am Ende des Kapitels wissen? Welche Techniken soll ich beherrschen? Habe ich die im Seminar vermittelten Inhalte verstanden? Kann ich mein Wissen auf typische Praxisfälle projizieren? Um all diese Fragen beantworten zu können, wird jedem Kapitel ein Praxisbeispiel vorangestellt. Die nachfolgenden Fragen zur Selbstkontrolle bereiten auf die Prüfung vor. Wundexperte ICW ®“ ist ein Titel, der hohe Erwartungen hervorruft. Zum Experten wird niemand allein durch theoretisches Wissen. Mit diesem Buch können zwar keine praktischen Kenntnisse vermittelt, jedoch mithilfe von Fallbeispielen auf die Umsetzung des Gelernten im Alltag vorbereitet werden. Maßgebliche Orientierung bietet der Expertenstandard DNQP „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“. Dieser gibt Pflegenden als Handlungsziele vor, die Lebensqualität Betroffener zu steigern, die Wundheilung zu unterstützen und die Rezidivbildung zu vermeiden. Diesen hohen Anspruch kann nur erfüllen, wer sich die Situation Betroffener erschließen kann und ein Verständnis der Zusammenhänge entwickelt. Wer erwartet, dass durch die Lektüre dieses Buches die Auswahl der richtigen Wundauflage erleichtert wird, wird enttäuscht sein. Hierzu gibt es bereits gute Literatur im Fachhandel. Wer sich auf das Seminar Wundexperte ICW ®“ bzw. die folgende Klausur vorbereiten oder Kursinhalte vertiefen möchte, wird von diesem Buch profitieren. Nach Abschluss des Seminars kann es als wertvolles Nachschlagewerk dienen. Die Initiative Chronische Wunden hat mit diesem Buch einen weiteren Beitrag geleistet, die Erfordernisse zur Versorgung Betroffener aufzuzeigen und Handlungskompetenz zu fördern. Den Autoren gelten meine Hochachtung und mein Dank für ihr Engagement und das gelungene Werk. Den Lesern wünsche ich viele nützliche Erkenntnisse und das Gefühl, den vielen Aufgaben im Alltag bei der Versorgung von Wundpatienten gut gerüstet begegnen zu können. Veronika Gerber Vorsitzende der Initiative Chronische Wunden e.V. 2012 6 Inhaltsverzeichnis Inhalt .......................................................................................................................................... 2 So arbeiten Sie mit diesem Buch! .........................................................................................11 Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ ....................................12 Fallbeispiel zum Thema Expertenstandard ...................................................................14 Fragen zum Fallbeispiel Expertenstandard ..................................................................15 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Expertenstandard ...............................................17 Quellen ............................................................................................................................20 Haut .....................................................................................................................................21 Fallbeispiel zum Thema Haut .........................................................................................23 Fragen zum Fallbeispiel Haut ........................................................................................24 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Haut .....................................................................26 Quellen ............................................................................................................................33 Wundarten und Wundheilung ...............................................................................................34 Fallbeispiel zum Thema Wundarten und Wundheilung................................................36 Fragen zum Fallbeispiel Wundarten und Wundheilung ...............................................37 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Wundarten und Wundheilung ............................39 Quellen ............................................................................................................................45 Wundbeurteilung/Wunddokumentation .................................................................................46 Fallbeispiel zum Thema Wundbeurteilung/Wunddokumentation ................................48 Fragen zum Fallbeispiel Wundbeurteilung/ Wunddokumentation ..............................49 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Wundbeurteilung/Wund-dokumentation ...........51 Quellen ............................................................................................................................56 Recht in der Wundversorgung ..............................................................................................57 Fallbeispiel zum Thema Recht in der Wundversorgung ..............................................59 Fragen zum Fallbeispiel Recht in der Wundversorgung ..............................................61 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Recht in der Wundversorgung ...........................63 Quellen ............................................................................................................................68 Dekubitus/Dekubitusprophylaxe ...........................................................................................69 Fallbeispiel zum Thema Dekubitus ................................................................................71 Fragen zum Fallbeispiel Dekubitus ...............................................................................72 Lösungsschlüssel Kapitel Dekubitus ............................................................................74 Quellen ............................................................................................................................78 Diabetisches Fußsyndrom ....................................................................................................80 Fallbeispiel zum Thema Diabetisches Fußsyndrom .....................................................82 2012 7 Inhaltsverzeichnis Fragen zum Fallbeispiel Diabetisches Fußsyndrom ....................................................84 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Diabetisches Fußsyndrom .................................86 Quellen ............................................................................................................................92 Ulcus cruris ..........................................................................................................................94 Fallbeispiel zum Thema Ulcus cruris venosum ............................................................96 Fragen zum Fallbeispiel Ulcus cruris venosum ...........................................................98 Fallbeispiel zum Thema Ulcus cruris arteriosum .......................................................100 Fragen zum Fallbeispiel Ulcus cruris arteriosum .......................................................101 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Ulcus cruris venosum ......................................103 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Ulcus cruris arteriosum ....................................107 Quellen ..........................................................................................................................110 Wundversorgung und Wundverbände ................................................................................111 Fallbeispiel zum Thema Wundversorgung und Wundverbände................................113 Fragen zum Fallbeispiel Wundversorgung und Wundverbände ...............................115 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Wundversorgung und Wundverbände ............118 Schmerz .............................................................................................................................128 Fallbeispiel zum Thema Schmerz ................................................................................130 Fragen zum Fallbeispiel Schmerz ................................................................................131 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Schmerz .............................................................133 Quellen ..........................................................................................................................138 Hygiene ..............................................................................................................................140 Fallbeispiel zum Thema Hygiene .................................................................................142 Fragen zum Fallbeispiel Hygiene.................................................................................143 Lösungsschlüssel Kapitel Hygiene .............................................................................145 Quellen ..........................................................................................................................150 Ernährung ..........................................................................................................................151 Fallbeispiel zum Thema Ernährung .............................................................................153 Fragen zum Fallbeispiel Ernährung.............................................................................154 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Ernährung .........................................................156 Quellen ..........................................................................................................................163 Kommunikation...................................................................................................................165 Fallbeispiel zum Thema Kommunikation ....................................................................167 Fragen zum Fallbeispiel Kommunikation ....................................................................168 Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Kommunikation .................................................170 Quellen ..........................................................................................................................174 Anhang ...............................................................................................................................175 2012 8 Inhaltsverzeichnis Übersicht über Wundklassifikationssysteme und deren Grunderkrankungen ........175 Ein Überblick über in Deutschland verfügbare moderne Hydroaktiv-, Wund- und Spezialverbände ...........................................................................................................181 Negativliste (Nichtzugelassene Therapeutika/Der Missbrauch von nicht zur Wundtherapie zugelassenen Arzneimitteln/Stoffen/Dingen) .....................................186 2012 9 So arbeiten Sie mit diesem Buch! So arbeiten Sie mit diesem Buch! Das Lernbegleitbuch soll Ihnen helfen die Inhalte des Wundexperten ICW® selbstgesteuert zu bearbeiten. Dabei empfehlen wir Ihnen die Seminarunterlagen zu verwenden, um Zusammenhänge zu erfassen bzw. Ihre Notizen zu vervollständigen. Es ist unser Anliegen, dass Sie den Wundexperten erfolgreich absolvieren und Ihre erworbenen Kompetenzen in das berufliche Handeln integrieren. Das Buch bildet in seiner Struktur das Curriculum des Wundexperten ICW ® ab. Um Ihnen die Lerninhalte möglichst authentisch nahezubringen, haben wir die thematischen Schwerpunkte in Fallbeispiele überführt. Somit finden Sie z. B. das Thema Dekubitus in einer realen Situation wieder und können sich in die Lage des Patienten versetzen. Alle Fälle beschreiben Patienten in ihrer aktuellen Lebenssituation, die durch eine chronische Wunde beeinträchtigt ist. Dabei wird die Anamnese vorangestellt, der aktuelle Zustand beschrieben und die Wundsituation explizit erläutert. Nach der Falldarstellung finden Sie den jeweiligen Fragenkomplex, der sich direkt oder indirekt auf den beschriebenen Fall bezieht. Die Fragen bzw. deren Beantwortung greifen die Inhalte des Themengebietes auf und sollen zur Vernetzung des Gesamtkomplexes führen. Darüber hinaus werden Fragen auch themenübergreifend angelegt, was den Zusammenhang der Themengebiete untereinander verdeutlicht. Nach der Beantwortung der Fragen können Sie am Ende des jeweiligen Kapitels eine Selbstkontrolle durchführen. Die angegebenen Lösungen sind durch unsere Experten erstellt worden und geben den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder. Eine Garantie für die Vollständigkeit der Lösungen wird nicht gegeben. Empfohlene Vorgehensweise bei der Fallbearbeitung: 1. 2. 3. 4. Jeweiligen Fall durchlesen und relevante Textstellen markieren Verwenden der Seminarunterlagen oder eigener Niederschriften Fragenkomplex durchlesen und Bezug zum Fall herstellen Antworten stichpunktartig formulieren (evtl. Verwendung vorgegebener Tabellen und Assessmentinstrumente) 5. Kontrolle, ob Antworten mit der Fragestellung übereinstimmen 6. Eigenen Antworten (Lösungsteil) mit den Musterantworten abgleichen, ergänzen bzw. korrigieren Beachte: Die Fragen des Lernbegleitbuches sind nicht identisch mit den Klausurfragen! Sollten Sie weitere fachliche Vertiefung beabsichtigen, können Sie die angegebene Literatur heranziehen. Wir wünschen Ihnen für die Bearbeitung des Lernbegleitbuchs und der Prüfung viel Erfolg! Im Anhang finden Sie Klassifikationssysteme, Assessmentinstrumente und Produktübersichten, die Sie ebenfalls zur Beantwortung oder als Nachschlagewerk verwenden können. Mit dem Begriff „Patient“ ist automatisch auch der „Bewohner“ bzw. der „Klient“ bezeichnet. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im gesamten Buch auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung, wie z. B. Wundexperte/Wundexpertin, verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter. 2012 11 Wundarten und Wundheilung Wundarten und Wundheilung Auf den folgenden Seiten können Sie Ihr Wissen zum Thema Wundarten und Wundheilung festigen und überprüfen. Lernthemenraster „Lerne, solange du es kannst, sonst holt dich dein Wissen ein.“ „Es ist besser, eine kleine Aufgabe gut zu lösen, als eine große mittelmäßig.“ (Andreas Pommerencke) (Unbekannt) Was im Seminar Wundexperte ICW® thematisiert wurde: Diese Kompetenzen können Sie aus den Seminarinhalten heraus entwickeln: Wundarten Unterscheiden Wundarten und -phasen sowie Wundheilungsstörungen Wenden Klassifikationssysteme an Erfassen Wundbeschaffenheit und beurteilen den Heilungsverlauf Erkennen Infektionszeichen Kennen typische Ursachen chronischer Wunden Verstehen den Zusammenhang zwischen Wundarten und Wundheilung Mechanismen und Phasen der Wundheilung Wundbeschaffenheit Lokale und systemische Störfaktoren der Wundheilung Grundlagen der Infektionslehre 2012 34 Wundarten und Wundheilung „Für das Können gibt es einen Beweis, das Tun.“ „Immer kritisch bleiben!“ (Unbekannt) (Michael Petrasch) Was Sie in der Praxis umsetzen sollten: Welche Fähigkeiten zur Beurteilung Sie entwickeln sollten: Erkennen den Gefährdungsgrad für Wundinfektionen Entwickeln eine kritische Haltung zu unreflektierter Wundversorgung Erkennen Heilungsphasen der Wunde als Grundlage der Wahl von Wundauflagen Überprüfen Wunden hinsichtlich ihrer Entstehungsursache und Klären Betroffene über Sinn und Zweck einer gezielten Diagnostik auf Setzten sich für eine diagnostische Abklärung ein Überprüfen Behandlungsziele Stellen Zusammenhänge zwischen klinischen Zeichen und Pathogenese her 2012 35 Wundarten und Wundheilung Fallbeispiel zum Thema Wundarten und Wundheilung Anamnese Frau H., 79 Jahre, ist verwitwet und lebt seit zwei Jahren im Seniorenheim. Seit fünf Jahren hat sie ein rezidivierendes Ulcus cruris. In der Anamnese kann sie sich weder an eine Thrombose noch an Kampfadern erinnern. Sie erzählt lediglich von Bildrechte: I. Verheyen-Cronau einer Fraktur des linken Unterschenkels vor mehr als 20 Jahren, die über mehrere Wochen mit einem Gips ruhig gestellt wurde. Anamnestisch ist eine kompensierte Herzinsuffizienz (NYHA 2) bekannt. Die letzte Kontrollaufnahme zeigt eine seit Langem unveränderte Ulcusgröße von 6,5 cm Länge x 3,5 cm Breite und 1,2 cm Tiefe. Die Wunde ist frei von Infektionszeichen, weist teilweise Fibrinbeläge und punktuell Blutauflagerungen auf. Die Wundumgebung ist durch Schuppenbildung, Flüssigkeitsstau im Gewebe, Narben sowie Symptome der Hämosiderose gekennzeichnet. Aktueller Zustand Aufgrund einer Pneumonie musste Frau H. im letzten Monat im Krankenhaus stationär behandelt werden. Dort wurde eine antibiotische Behandlung durchgeführt und die Herzmedikation angepasst. Bei der Überleitung zurück in das Seniorenheim wurden einige Veränderungen zum vorherigen Status deutlich. Die Mobilisation ist erheblich eingeschränkt, sodass Frau H. überwiegend im Bett liegt. Sie wird einmal täglich zum Mittagessen in einen Stuhl gesetzt. Wundsituation Nach der Wiederaufnahme auf der Pflegestation führen Sie aus rechtlichen Gründen zunächst eine Wundinspektion durch und wechseln den Verband. Das Ulcus zeigt nun einen deutlich granulierten Wundgrund mit wenigen Fibrinbelägen und einer reduzierten Wundtiefe. Der Wundrand epithelisiert. Die Bildrechte: I. Verheyen-Cronau Exsudatmenge ist im Vergleich zur vorigen Situation rückläufig. Der Unterschenkel ist insgesamt schlanker, die lokalen Ödeme haben sich zurückgebildet. Bei der weiteren Inspektion der Beine findet sich im Fersenbereich eine trockene Nekrose mit einem Durchmesser von 1,5 cm. Bei mäßigem Druck auf die Nekrose entleert sich randständig wenig gelblich-seröse Flüssigkeit. Weitere Auffälligkeiten sind am Fuß nicht zu erkennen. Bildrechte: Prof. Dr. Kröger 2012 36 Wundarten und Wundheilung Fragen zum Fallbeispiel Wundarten und Wundheilung 1. Bei Frau H. wurden Wunden am Unterschenkel und an der Ferse festgestellt. a. Erläutern Sie die typischen Kennzeichen einer chronischen Wunde und grenzen Sie diese von einer akuten Wunde ab! b. Definieren Sie die verschiedenen Arten von chronischen Wunden! c. Gehen Sie von der gleichen Ursache für die verschiedenen Wunden von Frau H. aus? Begründen Sie Ihre Entscheidung! d. Welche diagnostischen Schritte sind zu empfehlen, um die Ursachen abzuklären? 2. Beide Wunden befinden sich in verschiedenen Heilungsphasen, deren Feststellung für die weitere Behandlung relevant ist. a. In welcher überwiegenden Heilungsphase befindet sich die beschriebene Wunde am Unterschenkel? Beschreiben Sie die Kennzeichen der Heilungsphase! b. Beschreiben Sie die anderen beiden Wundheilungsphasen und deren Charakteristik! c. Definieren Sie den Begriff Nekrose und deren Ursache(n)! 3. Für die Wundheilung gibt es fördernde und/oder hemmende Faktoren. a. Führen Sie wundheilungsfördernde Faktoren auf! b. Führen Sie die systemischen Störfaktoren der Wundheilung auf! c. Mit welchen Maßnahmen können die aufgeführten lokalen Störfaktoren reduziert bzw. beseitigt werden und welche weiteren lokalen Störfaktoren kennen Sie? Lokale Störfaktoren Maßnahmen Hämatome Nekrosen Ödem Fremdkörper Austrocknung Vorhandensein von Keimen (Kontamination/ Kolonisation/ Infektion) 2012 37 Wundarten und Wundheilung 4. Chronische Wunden sind zu einem hohen Prozentsatz mit Keimen besiedelt und neigen zur Infektion. a. Führen Sie die Infektionszeichen auf! b. Grenzen Sie die Infektion von der Kontamination ab! c. Gibt es für eine der beiden Wunden Hinweise auf eine Infektion? 5. Seit dem Frau H. überwiegend bettlägerig ist, ist beim Ulcus cruris eine Heilungstendenz erkennbar. a. Welche Faktoren können die Heilungstendenz positiv beeinflusst haben? b. Woran erkennen Sie eine Heilungstendenz? c. Warum stellt die Kausaltherapie des Ulcus cruris venosum gleichzeitig eine ungünstige Beeinflussung für die Wunde an der Ferse dar? Wenn Sie den überwiegenden Teil der Fragen zum Fallbeispiel beantworten können, sind Sie für die Klausur „Wundexperte ICW®“ bestens vorbereitet. Sollten Sie bei den Fragen noch größere Probleme haben, bieten wir Ihnen folgende Unterstützung an: Überprüfen Sie im Lösungsteil Ihren Wissenstand selbst. 2012 38 Wundarten und Wundheilung Lösungsschlüssel zum Fallbeispiel Wundarten und Wundheilung 1. Bei Frau H. wurden Wunden am Unterschenkel und an der Ferse festgestellt. a. Erläutern Sie die typischen Kennzeichen einer chronischen Wunde und grenzen Sie diese von einer akuten Wunde ab! Wunden werden als chronisch bezeichnet, wenn sie innerhalb von 4–12 Wochen nach Wundentstehung trotz konsequenter Therapie keine Heilungstendenzen zeigen. Typische Kennzeichen sind dabei: • Langsame/ stagnierende Heilung nach dem Schema der Sekundärheilung • Gestörte Mikro- bzw. Makrozirkulation • Lokale Abwehrstörung • Fibrinpersistenz • Keimbesiedelung • Migrationsdefekt der Keratinozyten • Untypischer Ablauf der physiologischen Wundheilungsphasen Akute Wunden sind Verletzungen der Haut und/oder der darunter liegenden Gewebeschichten, deren Entstehung erst kurze Zeit zurückliegt. Typische Kennzeichen sind dabei: • Heilungsverlauf nach dem Schema der Primärheilung • Regelrechter Verlauf der Heilungsphasen • Aktives lokales Abwehrsystem • Meist keine Kontamination mit Erregern • Intakte Durchblutung b. Definieren Sie die verschiedenen Arten von chronischen Wunden! Dekubitus (Dekubitalulcus) Diabetisches Fußsyndrom (DFS) Ulus cruris venosum (UCV) Ulcus cruris arteriosum (UCA) Ein Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/ oder des darunterliegenden Gewebes infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit Scherkräften. Er ist in der Regel über knöchernen Vorsprüngen lokalisiert. Unter Diabetisches Fußsyndrom werden alle pathologischen Veränderungen am Fuß zusammengefasst, bei Vorliegen eines Diabetes melllitus. Hierzu gehören zusätzlich Nagelbettschädigungen, Infektionen sowie Deformationen des Fußes/ der Zehen. Unter Ulcus cruris venosum versteht man einen Substanzdefekt am Unterschenkel. Infolge venöser Abflussbehinderung der unteren Extremitäten kommt es zur Drucküberlastung in den Beinvenen. Durch diese chronische Insuffizienz entsteht eine pathologische Gewebeveränderung. Das arterielle Ulcus cruris entsteht aufgrund einer unzureichenden Perfusion der Beinarterien v.a. durch arteriosklerotischer Veränderungen der peripheren Arterien. Aus der Minderversorgung resultiert eine Gewebsischämie mit Zelltod. Der regional begrenzter Subtanzdefekt des Gewebebezirks geht oft mit Infektionen einher. 2012 39 Wundarten und Wundheilung c. Gehen Sie von der gleichen Ursache für die verschiedenen Wunden von Frau H. aus? Begründen Sie Ihre Entscheidung! Nein, die Wunde am Unterschenkel ist ursächlich durch eine Thrombose entstanden. Diese hat eine Rückflussstauung mit nachfolgender Stoffwechselstörung des Gewebes bewirkt. Sie ist an einer dafür typischen Stelle lokalisiert. Die Wunde an der Ferse ist dagegen an einer typischen Prädilektionsstelle für Dekubitalulcera lokalisiert. Durch die lange Immobilisation kam es zur verlängerten Druckeinwirkung auf die Ferse. Das Aussehen der Wunde spricht ebenfalls für eine druckinduzierte Gewebeschädigung, die sich häufig als Nekrose darstellt (Dekubitus Kategorie 3 EPUAP). d. • • • • • • • 2. Welche diagnostischen Schritte sind zu empfehlen, um die Ursachen abzuklären? Anamnese (Hinsichtlich Ursachen: Tiefe Venen Thrombose (TVT), Varikosis, PAVK, Druckbelastung) Schmerzdiagnostik Inspektion und Palpation der Haut (Zeichen der CVI oder der Minderperfusion) Fußpulse als Zeichen der Durchblutungssituation Doppelsonographie/ Bestimmung des KADI (Nachweis und Differenzierung einer CVI bzw. PAVK) Bestimmung des Sauerstoffpartialdrucks im Gewebe (Hinweis auf CVI bzw. PAVK) Wundabstrich, ggf. Biopsie (Nur sinnvoll beim Ulcus cruris und fehlender Heilung unter adäquater Therapie oder Zweifel an der Diagnose Ulcus cruris venosum) Beide Wunden befinden sich in verschiedenen Heilungsphasen, deren Klassifizierung für die weitere Behandlung relevant ist. a. In welcher überwiegenden Heilungsphase befindet sich die beschriebene Wunde am Unterschenkel? Beschreiben Sie die Kennzeichen der Heilungsphase! Granulationsphase • Gefäßneubildung (Neoangionese, Vaskularisation) • Zunehmendes Auffüllen des Gewebedefektes vom Wundgrund aus • Roter, körniger, elastischer, feuchter Wundgrund • Gewebeempfindlichkeit gegenüber mechanischen Belastungen • Zeitraum bei physiologischem Heilungsverlauf i.d.R. 4. - 14. Tag 2012 40 Wundarten und Wundheilung a. Beschreiben Sie die anderen beiden Wundheilungsphasen und deren Charakteristik! Zeit- Phase/ Hauptakteure raum Bezeichnungen Prozess Klinische Zeichen 1–4 ReinigungsTage phase Erythrozyten Blutgerinnung Exsudation Thrombozyten Phagozytose Schorfbildung Granulozyten Immunabwehr Beläge (Fibrin) Monozyten Makrophagen Proteolyse Positive Entzündungszeichen (Abakterielle Entzündung!) Exsudationsphase Substrationsphase Inflammationsphase Lymphozyten Fibroblasteneinwanderung Fibroblasten Zellproliferation Entzündungsphase 2–14 GranulationsTage phase Kollagenfasern Proliferationsphase Kollagenphase 3–21 Epithelisierung Tage Tiefrotes, feuchtglänzendes, körniges Neoangiogenese Gewebe (Voraussetzung für spätere Vom Wundgrund Kollagenbildung) ausgehend Fibrozyten Basalschicht schließt durch Myofibroblasten Zellneubildung den Defekt regenerativ Feine, rosa Haut Vom Wundrand her (Selten aus Epithelinseln der Wundmitte) Langsam, später: Umwandlung in weißes Narbengewebe Vgl. Probst, A. u. Vasel-Biergans, A., 2010, S. 24 b. Definieren Sie den Begriff Nekrose und deren Ursache(n)! Unter Nekrose versteht man avitales, also abgestorbenes Gewebe. Sie stellt sich als trockene, ledrige, schwarz-graue oder als gelbe bis gräuliche, feuchte Substanz dar. Auslöser ist immer eine Minderdurchblutung unterschiedlicher Ursache (Druck, Arteriosklerose…). 2012 41 Wundarten und Wundheilung 3. Für die Wundheilung gibt es fördernde und/oder hemmende Faktoren. a. Führen Sie wundheilungsfördernde Faktoren auf! • • • • • • Sauberer Wundgrund Glatte Wundränder Fehlende Keimbesiedlung Ausreichende Perfusion Ausreichende Nährstoffversorgung Keine zusätzlichen systemischen oder lokalen Störfaktoren (siehe Frage 3 c.!) b. Führen Sie die systemischen Störfaktoren der Wundheilung auf! • • • • • • • • • • • • • • • • • Stoffwechselstörungen Einwirkung bestimmter Arzneimittel Psychische Störungen/Erkrankungen Instabile, problematische soziale Situation Hohes (oder sehr niedriges) Lebensalter Eingeschränkte Mobilität Verminderter Immunstatus Reduzierter Allgemeinzustand Mangelhafter Ernährungszustand Unausgeglichener Flüssigkeitshaushalt Vorhandensein von Schmerzen Arteriosklerose Veneninsuffizienz Autoimmunerkrankungen Dermatoliposklerose Bakterielle Entzündungen (Osteomyelitis, Vaskulitiden) Maligne Tumoren Vgl. Protz, K., 2011, S. 11f c. Mit welchen Maßnahmen können die aufgeführten lokalen Störfaktoren reduziert bzw. beseitigt werden und welche weiteren lokalen Störfaktoren kennen Sie? Lokale Störfaktoren Ausgleichende Faktoren Hämatome Nach Möglichkeit ursächlich und symptomatisch behandeln (z. B. Gerinnungsstatus) Débridement, ggf. chirurgisch sanieren und/oder Drainagen einlegen Mechanische Manipulationen, die weitere Blutungen fördern könnten vermeiden Nekrosen Ursachen behandeln (Revaskularisierung, Druckentlastung) Débridement (Kontraindikationen beachten!) 2012 42 Wundarten und Wundheilung Ödem Kausaltherapie in Abhängigkeit von der ermittelten Ursache: Kompression, spezielle Lagerung, Eiweißzufuhr, Behandlung der Herz- bzw. Niereninsiffizienz, Flüssigkeitsrestriktion, Diuretikagabe, Lymphdrainage, Infektsanierung (Jeweils Kontraindikationen beachten!) Fremdkörper Entfernung, ggf. anschließende antiseptische Behandlung Austrocknung Rehydrierung des Gewebes, Aufbau und Erhalt eines feuchten Wundmilieus durch feuchte Wundbehandlung, ggf. Flüssigkeitszufuhr Vorhandensein Wunddebridement, angepasste Verbandwechselintervalle, antiseptische Behandlung, ggf. systemische antibiotische Therapie von Keimen (Kontamination Kolonisation/ Infektion) Weitere lokale Störfaktoren: Schorf, Auskühlung, Austrocknung, Hypergranulation, vorgeschädigtes Gewebe, hypertrophes Gewebe, Klaffen der Wundränder, ungenügende Ruhigstellung der geschädigten Region, Exsudatstau, Druck, Scherkräfte 4. Chronische Wunden sind zu einem hohen Prozentsatz mit Keimen besiedelt und neigen zur Infektion. a. • • • • • • • • b. • • • Führen Sie die Infektionszeichen auf! Tumor/ Schwellung Dolor/ Schmerz Rubor/ Rötung Calor/ Überwärmung Odor/ Geruch Functio laesa/ Funktionseinschränkung Taschenbildung Systemische Infektionszeichen: Typische Laborwerte (erhöhtes CRP, erhöhte BSG, Leukozytose), Fieber Grenzen Sie die Infektion von der Kontamination ab! Unter Infektion wird das aktive oder passive Eindringen, Anhaften und anschließende Vermehren von Bakterien, Viren oder anderen parasitären Lebewesen in ein System (Organismus) verstanden. Klinisch geht diese Vermehrung immer mit einer Reaktion des Körpers einher (Rötung, Schmerz, Pues). Kontamination bedeutet, dass Flächen (z. B. Hautoberfläche), Materialien oder Gegenstände durch Kontakt mit Material behaftet wurden, ohne eine Vermehrung erfolgt oder der Wirtsorganismus reagiert. Eine Kolonisation bezeichnet, wenn die vorhandenen Keime sich vermehren jedoch noch keine Reaktion des Organismus erkennbar ist. 2012 43 Wundarten und Wundheilung c. Gibt es für eine der beiden Wunden Hinweise für eine Infektion? Die gelblich-seröse Flüssigkeit unter der Nekrose lässt eine Infektion vermuten. Das gelbliche Exsudat, das im Rahmen einer zellulären Entzündungsreaktion im Körper entsteht, könnte ein Zeichen für eine bakterielle Infektion sein. Eiter (Pues) würde sich als trübes Exsudat darstellen) 5. Seit dem Frau H. überwiegend bettlägerig ist, ist beim Ulcus cruris eine erkennbare Heilungstendenz vorhanden. a. • • b. • • • • • c. Welche Faktoren können die Heilungstendenz positiv beeinflusst haben? Bettruhe bzw. das Hochlegen der Beine und des dadurch erhöhten venösen Rückstroms. Durch die veränderten Herzmedikamente kann sich die Herzleistung verbessert wodurch die Ödemreduktion gefördert wurde. Woran erkennen Sie eine Heilungstendenz? Verkleinerung der Wundfläche und -tiefe (Zunahme der Granulation) Rückläufige Exsudatmenge Ödemreduktion Vitaler/ epithelisierender Wundrand Wundumgebende Haut lässt verbesserte Perfusion erkennen Warum stellt die Kausaltherapie des Ulcus cruris venosum gleichzeitig eine ungünstige Beeinflussung für die Wunde an der Ferse dar? Durch die Immobilisation kann eine verlängerte lokale Druckeinwirkung bedeuten. Zusätzlich kann durch spezielle Lagerung das Druckausmaß erhöht und die Mobililtät reduziert sein. Diese Komponenten stellen lokale Störfaktoren für die Wundheilung an der Ferse dar. 2012 44 Wundarten und Wundheilung Quellen Probst, A.; Vasel-Biergans, A. (2010): Wundmanagement. Ein illustrierter Leitfaden für Ärzte und Apotheker. 2. Auflage. Stuttgart. Protz, K. (2010): Das diabetische Fußsyndrom Teil 2. Pflegelexikon – die Serie zum Sammeln. In: Wundmanagement. 4. Jahrgang, 2. Ausgabe. Wiesbaden. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (2009): Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden. Osnabrück. 2012 45