Vortrag

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Wenn die Seele
vereist
Vom langen Schatten des Krieges
und den Umgang mit
traumatisierenden (Kriegs-)
Erfahrungen Älterer
Dr. T. Brieden
Klinikdirektor Gerontopsychiatrie
Karl-Jaspers-Klinik
Universitätsklinikum Oldenburg
Inhalt
1.
Traumatisierende Erlebnisse im und nach dem
Zweiten Weltkrieg
2.
Besondere Umstände im Leben Älterer
3.
Vom Erkennen und vom Umgang mit
Traumafolgen in der Gerontopsychiatrie
4.
Das Trauma Demenz
2
Inhalt
1.
Traumatisierende Erlebnisse im und nach dem
Zweiten Weltkrieg
3
-
Sexualisierte Gewalterfahrungen (Vergewaltigung, Zwangsprostitution)
Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlungen
Verschüttung und Bombenhagel
Verlust der Heimat, Verlust der Wohnung
Aufenthalte in KZ
Zwangseinweisungen in Psychiatrien
Zwangssterilisationen
Medikamentenversuche
Zwangsoperationen
Verfolgung als Andersdenkende oder als Angehörige anderer Kulturen oder aufgrund
der sexuellen Identität
Verlust der Eltern
Verlust der Kinder und Geschwister
Hungersnöte
Beobachten von Gewalttaten gegen andere
Kriegsgefangenschaft
Bis heute suchen Kriegswaisen nach Spuren ihrer Identität
Immer noch gelten 1,3 Millionen deutsche Militärangehörige als
vermisst (Quelle: Suchdienst des DRK, 2009)
Zahlen hierzu:
-
5,5 Millionen deutsche Kinder hatten 1945 ihre Heimat verloren
Noch 1950 wohnten 9 Millionen Kinder in Westdeutschland unzulänglich
Ca. 14 Millionen Heimatlose und 2 Millionen Tote
Nach dem 2. WK war jeder 4. Deutsche auf der Suche nach einem
Familienmitglied oder wurde selber gesucht
14 Millionen Meldungen in den Suchdienststellen des DRK
Ca. 2 Millionen Frauen wurden auf der Flucht von Soldaten der Roten
Armee vergewaltigt
Zwischen 1941 und 1945 gerieten 3,2 Millionen Angehörige der deutschen
Wehrmacht in sowjetische Kriegsgefangenschaft; 1,1 Millionen starben
Inhalt
2. Besondere Umstände im Leben Älterer
7
-
Ihre Biografie ist häufig durch den 2. WK geprägt
Sie erleben Verluste, chronische Erkrankungen, Altern
Thema Sterben, Alleinesein/“Übrigbleiben“
„Überlebensschuld“ -> „Überlebensschuld ist eines der auffälligsten Merkmal sowohl von Holocaust-
-
Frühere Traumatisierungen wurden nie thematisiert
Kollektives Verleugnen der Gräueltaten und Erlebnisse im 2. WK und danach
-
Häusliche Gewalt wird als solche nicht erkannt oder benannt („Männer sind eben so“)
Ausgeprägtere Verdrängungsmechanismen als bei Jüngeren, da keine Möglichkeit der
Aufarbeitung
Möglicher Zusammenbruch der Verdrängungsmechanismen im Alter
-
Überlebenden als auch von deren Nachkommen. Während die meisten Menschen die Tatsache, dass sie am
Leben sind, für selbstverständlich halten, bleiben sowohl Holocaust-Überlebende als auch deren Kinder häufig
ungläubig darüber, dass sie am Leben sind. Sie glauben oft, dass sie nicht das Recht haben zu leben, wenn so
viele ihnen nahestehende und geliebte Menschen getötet wurden (Bergman + Jacovy, 1982)“
Wegbruch von Verdrängungsmechanismen führt zum Aufbrechen von
posttraumatischen Störungen oft erst im Alter, z.B. durch
-
Eigene Erkrankung oder Erkrankung des (Ehe) Partners
Veränderungen im Umfeld
Berentung
Wegfall von Aufgaben und Verantwortlichkeiten
Zeit zum Denken und Fühlen
Belastende Situationen durch Krankenhausbehandlungen, ärztliche
Untersuchungen, Heimunterbringung
Konfrontation mit dem eigenen Altenbild und den damit verbundenen
Ängsten
-
Das Bedürfnis, Unerledigtes noch zu erledigen
Das Bedürfnis, die Wahrheit zu erzählen, sich zu entlasten
Relative Mehraktivierung des Langzeitgedächtnisses durch Nachlassen des
Kurzzeitgedächtnisses
Eingeschränkte Autonomie
Inhalt
3. Vom Erkennen und vom Umgang mit
Traumafolgen in der Gerontopsychiatrie
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„Es gibt immer einen Grund für das
Verhalten von verwirrten, alten
Menschen“
N. Feil
Auffälliges Verhalten von/Symptome bei dementen Patienten in der
Gerontopsychiatrie:
-
Abwehr von Pflegehandlungen
Abwehr von Berührungen
Abwehr von diagnostischen Handlungen („letzte grüne Wiese“)
Rückzug/Regression allgemein
Nicht alleine sein wollen
Ständiges Klingeln nach Pflegepersonal
Aggressivität ohne ersichtlichen Grund
Angstreaktionen auf männliches Personal
Angst und Abwehr bei Personal mit osteuropäischem Akzent
Nicht-Aushalten von Dunkelheit (Licht muss nachts an sein)
Was sind mögliche Gründe für diese
Verhaltensweisen?
-> Unser Klientel im historischen Kontext
-
Abwehr von Pflegehandlungen
Abwehr von Berührungen
Abwehr von diagnostischen Handlungen
Rückzug/Regression allgemein
Nicht alleine sein wollen
Ständiges Klingeln nach Pflegepersonal
Aggressivität ohne ersichtlichen Grund
Angstreaktionen auf männliches Personal
Angst und Abwehr bei Personal mit osteuropäischem Akzent
Nicht-Aushalten von Dunkelheit (Licht muss nachts an sein)
Interventionen bei Dementen in der Gerontopsychiatrie 1:
-
Den aktuellen Zustand respektieren (Thema Validation!)
Schutz bieten
Wenn möglich, Biographie erarbeiten
Intime Atmosphäre bei pflegerischen Handlungen schaffen
Miteinander sprechen
Bezugspflege
Über alle Maßnahmen in einfachen Worten und kurz zuvor informieren
Unterbrechen der Maßnahmen, wenn der Patient sie nicht aushält
Den Zeitrhythmus dem Patienten anpassen (nicht umgekehrt!)
Gefühle dürfen ausgelebt werden
Retraumatisierungen vermeiden
Interventionen bei Dementen in der Gerontopsychiatrie 2:
-
Keine pflegerischen oder sonstigen Maßnahmen aufzwingen
Sinn und Notwendigkeit von Maßnahmen überprüfen und ggf. anpassen
(weniger ist oftmals mehr!)
Alternativen finden
Mögliche Symptome von Traumatisierung bei nicht-dementen Patienten:
-
Unklare körperliche Symptome, v.a. Schmerz, Übelkeit, Schwindel
Chronische Depression, Unzufriedenheit, Anhedonie (nichts recht machen
können)
Unklare Gereiztheit, Aggressivität (auch gegen sich selbst gerichtet)
Allgemeingültige, wenig fassbare Aussagen („ich hatte ein schweres Leben“,
„ich bin ein 7-Monats-Kind“)
Vermeiden von Auseinandersetzungen und Streitsituationen
„erlernte Hilflosigkeit“
Chronische Schlafstörungen
Interventionen bei Nichtdementen in der Gerontopsychiatrie:
-
Orientierung am Hier und Jetzt
Entlastung von intrusiven Erinnerungen durch Erzählenlassen und aktives
Zuhören
Einordnen sich aufdrängender Bilder in einen historisch-biografischen
Kontext
Bewusstmachung und Förderung individueller Ressourcen
Erinnern an Eigenschaften und Fähigkeiten von unterstützenden Menschen
damals und Installation dieser als internale Unterstützerfiguren
Wiederbeleben und Suche nach sinnstiftenden Gedanken, Werten,
Geschichten Figuren
Ernstnehmen aller Gefühle
Psychoedukation
Vermeidung von Re-Traumatisierungen
Wodurch kann Re-Traumatisierung entstehen?
-
-
dadurch, dass ältere Menschen „mehr Zeit“ haben, bisher Unbewältigtes
wahrzunehmen
Dadurch, dass sie im Blick auf ihr Lebensende Druck spüren, unerledigte
Aufgaben abzuschließen („last chance syndrome“)
Durch den Alterungsprozess als solchen mit Verlust von Werten und Sinn im
Leiblichen, Sozialen und Psychosozialen im Sinne auch einer narzißtischen
Kränkung
Aufgabe der Selbstständigkeit
Zunehmende Erfahrung von Hilflosigkeit
Informationen, Nachrichten, Bilder heutiger Unfälle und Katastrophen
Inhalt
4. Das Trauma Demenz
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