Einführung in die Mediensoziologie Vorlesung Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Wintersemester 2015/16 Prof. Dr. phil. habil. Udo Thiedeke „Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität“ 1) Die Person der Gesellschaft 2) Die Persona des Cyberspace 3) Zusammenfassung Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Virtualisierung erzeugt eine vermöglichte ,virtuelle‘ Realität mit eigenen Realitätsbedingungen. Folie 1a Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Virtualisierung erzeugt eine vermöglichte ,virtuelle‘ Realität mit eigenen Realitätsbedingungen. Wenn eine solche vermöglichte Realität entsteht, so ist das an veränderten Normalitätserwartungen in der Gesellschaft abzulesen. Folie 1b Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Virtualisierung erzeugt eine vermöglichte ,virtuelle‘ Realität mit eigenen Realitätsbedingungen. Wenn eine solche vermöglichte Realität entsteht, so ist das an veränderten Normalitätserwartungen in der Gesellschaft abzulesen. Wenn sich gesellschaftliche Normalitätserwartungen verändern, dann betrifft das sowohl die Kommunikation von sozialen und sachlichen, als auch von zeitlichen und räumlichen Erwartungen. Folie 1c Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Wenn eine Virtualisierung des Sinnhorizonts der Gesellschaft also alle Erwartungen betrifft, dann ist davon auch die soziale Zuschreibung von individuellen Identitäten betroffen. Damit sind wir am wichtigen Problem angelangt, wie Individuen in der Gesellschaft vorkommen. Folie 2 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Die Lösung des Problems der Vergesellschaftung von Individuen in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft liegt darin, Zuschreibungen von Eigenschaften und Eigenarten zu erzeugen, die ein Individuum sozial identifizierbar machen. Dieses charakteristische Muster von Zuschreibungen nennen wir eine „Person“. Folie 3 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Die Individuen werden so in einer bestimmten Kommunikationsform kompatibel zur Sozialität, was ihre Unterscheidbarkeit erhöht, aber auch die Verhaltensspielräume der Individuen als Personen festlegt. Der Soziologe Luhmann definiert die Person daher als eine „(...) individuell attribuierte Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten.“ (1991: Die Form "Person". In. Soziale Welt Jg. XXXXII/2. S. 170) Folie 4 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Die Individuen sind also niemals mit all ihrer individuellen Identität Teil der Gesellschaft. Dazu müsste diese individuelle Identität in der Gesellschaft, d.h. den anderen, vollständig bekannt sein. Individuen werden in die modernen Gesellschaft als Personen einbezogen, d.h. als eine soziale Form individueller Identitätsmerkmale, an die sich differenzierte Verhaltenserwartungen anschließen. Folie 5 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 1) Die Person der Gesellschaft Die „Person“ gibt es daher nur für die Gesellschaft und in der Gesellschaft. Für uns Individuen stellt sich somit das Problem, eine Personenzurechnung zu provozieren, die uns Verhaltensspielräume im Sinne unserer individuellen Identität eröffnet. Dazu haben wir schon in der modernen Gesellschaft individuelle Gestaltungsmöglichkeiten, die eine solche Erweiterung der Spielräume der Vergesellschaftung von Identität unterstützen und sich mit dem Sinnhorizont des Cyberspace noch erweitern. Folie 6 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 2) Die Persona des Cyberspace Die pseudonyme Kommunikationssituation erleichtert es soziale Grenzen zu überschreiten und Persönlichkeitsaspekte gezielt zu präsentieren. Die Designmöglichkeiten des Computers sind individuell verfügbar, über das Internet aber so vernetzt, dass sie potentiell überall zur Geltung gebracht werden können. Soziale Kontakte können bei relativ geringen sozialen ,Folgekosten‘ arrangiert, neu geknüpft oder ohne Begründung abgebrochen werden. Folie 7 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 2) Die Persona des Cyberspace Besonders bei der Kommunikation im Internet ist es also möglich aus der vor allem fremdbestimmten Person, eine vor allem selbstbestimmte „Persona“ zu formen, die man wie eine Identitätsprojektion manipuliert und als eine Art Identitätsmaske verwendet. Folie 8 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 2) Die Persona des Cyberspace Diese Möglichkeiten, eine Identität als Persona zu gestalten und zu steuern begegnen uns bei der Kommunikation über das Internet bereits in der grundlegenden Frage, wie z.B. der E­Mail­Name (Nickname) gewählt werden soll? Will man lieber als thiedeke@uni­mainz. de oder als [email protected] auftreten? Folie 9 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 2) Die Persona des Cyberspace Bei der Erzeugung und Steuerung der Persona sind demnach nicht nur mehr Möglichkeiten der Gestaltung gegeben, sie ist auch aufwendiger. Man muss z.B. abschätzen in welchem sozialen Kontext, welche Identitätsmerkmale hervorgehoben werden sollen. Folie 10 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 2) Die Persona des Cyberspace Die Möglichkeiten zum Identitätsdesign, die sich hier eröffnen können im Cyberspace einerseits zur Erfindung von Selbstmachberühmtheiten führen, die eine weitreichende Resonanz erfahren oder eher randständig bleiben. Andererseits sind jetzt Personae möglich, bei denen die ganze Erscheinung inklusive des Körpers als gesteuerte Projektion, z.B. als Avatare im Netz auftreten. Folie 11 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 2) Die Persona des Cyberspace Da die Persona im Cyberspace entgrenzt kommuniziert werden kann, d.h. niederschwellig im Zugang zur Darstellung und nur der individuellen Gestaltung unterworfen ist, kann jetzt das Besondere im Allgemeinen auftreten – mit all seinen Konsequenzen individueller Identitätsdarstellung. Folie 12 Einführung in die Mediensoziologie Virtualisierte Vergesellschaftung I: Identität 3) Zusammenfassung Folie 13 Zusammenfassung - Wenn Virtualisierung alle Sinndimensionen betrifft, dann ist davon auch die soziale Einordnung individueller Identitäten betroffen. ­ In der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft werden Individuen über die soziale Zuschreibung individueller Eigenschaften eingeordnet. ­ Dieses charakteristische Zuschreibungsmuster definiert die Person und ihre Verhaltensspielräume im gesellschaftlichen Zusammenhang. ­ Die Vermöglichung des Cyberspace entgrenzt dann die Gestaltungs­ und Steuerungsmöglichkeiten der Personendarstellung für die Individuen. ­ Es kann eine Persona, eine künstliche, vom Individuum kontrollierte Personendarstellung entstehen, die erwünschte soziale Zuschreibungen mobilisieren soll. ­ Dabei ist zu beachten, dass das Selbstdesign der Identität im Cyberspace als Persona zugleich möglichkeitsreicher und voraussetzungsvoller geworden ist.