Die Zeit nagt am Zahn ein Leben lang Eine kieferorthopädische Lebensreise Wie wir auf die Welt kommen, sind wir unschuldig und sorglos. So auch unsere Kiefer und Zähne, die erst nach der Geburt das Wachstum beginnen. Und genau dann beginnt die wichtige Prophylaxe für ein gesundes und strahlendes Lächeln – ein Leben lang. Die klassischen vier Säulen der Prophylaxe – regelmäßige Kontrolle durch den Zahnarzt, systematische Mundhygiene, zahngesunde Ernährung und Schmelzhärtung durch fluoridhaltige Zahnpasta ergibt gesunde Zähne und gesundes Zahnfleisch (H. Schneider, 1993) – müssen durch eine fünfte Säule ergänzt werden: die Kieferorthopädie. Denn Kieferorthopädie ist Prophylaxe. Milchzähne sind Grundlage für eine gesunde (Gebiss-)Entwicklung. Wenn Sie vorzeitig entfernt werden müssen oder zerstört sind, „sausen“ die Nachbarzähne in die Richtung der Lücke und es entsteht dadurch ein schiefes Wachstum. Das wird kostspielig, denn dieses Problem verursacht bei den nachkommenden und umliegenden Zähnen Fehlstellungen, die langfristig oft den Verlust mehrerer Zähne bedeuten. Außerdem gestaltet sich die Herstellung der „Dritten“ in diesen Fällen meist als außerordentlich schwierig bis hin zu unmöglich. Eine ungünstige Entwicklung im Aussehen, in der Sprache und in der Ernährung kommen hinzu. Bedenken Sie: Die meisten der Milchzähne haben ein Jahrzehnt harter Arbeit vor sich. Das alte Klischee, es betreffe ja nur die Milchzähne, die durch bleibende ersetzt würden, gilt nicht. Die Kieferorthopädie kann schon in diesem Alter unheimlich viel leisten. Sollte ein Milchzahn krank oder zerstört sein, stellen anbietende Zahnärzte kleine Spangen, so genannte Lückenhalter her, mit denen die Lücken ausgefüllt und die Nachbarzähne stabilisiert werden. Problem gelöst. Habits: kleine Laster mit bösen Folgen. Habits sind schädliche Angewohnheiten wie Nuckeln und Saugen und auch das Atmen durch den Mund statt durch die Nase. Bis heute finden Habits nicht einmal in der medizinischen Fachliteratur die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Denn sie beeinflussen die Kiefer- und Gebissentwicklung gravierend. Und sie nehmen ständig zu. Beispiel einer Spätfolge: Besonders viele Frauen sind unglücklich, wenn sie plötzlich mit 40 Jahren das Wandern ihrer Frontzähne und Lückenbildung beobachten. Mit der Behandlung haben Kieferorthopäden und Zahnärzte ihre liebe Not. Das Nuckeln: Die Logopäden klagen über einen rasanten Anstieg der Verzögerung sprachlicher Entwicklung bei Kindern, verursacht durch Habits. Lispeln ist niedlich – aber nicht mehr bei größeren Kindern. Die nämlich werden dann gehänselt. Das stärkt nicht unbedingt das Selbstbewusstsein. Fast die Hälfte aller Kieferanomalien sind nicht angeboren oder ungeklärt, sondern durch Fehlverhalten entstanden und können durch Aufklärung und Verhaltensänderung (Prophylaxe) beeinflusst werden. Eine kieferorthopädische oder eine zahnärztliche Praxis ist fachlich der geeignete Ort, um Habits vorzubeugen und Hilfestellung bei der Abgewöhnung zu geben: Sie erklärt besser und anschaulicher als eine Frauen- oder Kinderarztpraxis, und die Arbeit wird durch erfahrene Prophylaxefachkräfte langfristig unterstützt. Je früher die Prophylaxe einsetzt, desto größer ist ihr Erfolg. Was nützen kariesfreie Milchzähne, wenn sie nicht zusammenpassen und als Gebiss funktionieren? Im ersten Lebensjahr ist die schädliche Wirkung von Habits noch unerheblich. Aber hier ist es wie bei allen Gewohnheiten: Je länger sie andauern, desto schwieriger wird es, sie abzustellen. Eltern möchten ein Baby lange „süß“ behalten und erhalten schädliche Angewohnheiten oder haben verständliche Schwierigkeiten, diese konsequent abzugewöhnen. Ältere, Aufmerksamkeit suchende Geschwister wollen wieder „süß“ werden und fangen mit den Habits wieder an. An diesen Stellen ist ein persönliches Gespräch beim Zahnarzt notwendig. Familienverhältnisse, individuelle Ursachen – er findet einfache und tiefe Ursachen und kann so am effektivsten helfen. Das Gespräch ist allein deswegen notwendig, weil Habits oft Suchtcharakter haben (das sprachlose Bitten um Aufmerksamkeit – „sich selbst etwas Gutes tun“). Sogar spätere Süchte können darauf zurückgeführt werden (Alkohol, Nikotin, Süßigkeiten, Nägelkauen, Stiftekauen, Zähneknirschen). Daher ist die Entwöhnung ohne fachlichen Rat nicht nur besonders hart, sondern oft auch folgenschwer. Das Atmen: Die Mundatmung ist auch ein echter Habit. Eine echte, medizinisch begründbare Ursache gibt es nicht einmal. Aber die Folgen für den Unterkiefer werden deutlich sichtbar sein; deutlich nach vorn oder deutlich nach hinten. Kaum ein Elternteil achtet heutzutage noch darauf, ob das Kind gerade sitzt, vernünftig geht oder den Mund geschlossen hat. Viele Eltern achten nicht darauf, wie ein Kind Stunde um Stunde „offenmundig“ das Fernsehprogramm bestaunt. Neben den Folgen für den Unterkiefer kennt man als Erwachsene(r) nur allzu gut das Schnarchen. Richtig! Das Schnarchen. Das Schmatzen beim Essen ebenfalls. Sogar Erkältungen reduzieren sich durch die Nasenatmung, da die Nase im Gegensatz zur Mundhöhle eine großartige Filterfunktion hat. Atmet man stets durch den Mund, trocknet dieser immer wieder aus. Die Konsequenz ist ein hohes Risiko von Zahnfleischentzündungen und Karies. Also gilt: Nasenatmung. Das kann man trainieren, muß man trainieren. Eine einfache und sehr effektive Methode sind zum Beispiel Mundvorhofplatten, deren Anwendung und Überwachung regelmäßig beim Kieferorthopäden und Zahnarzt erfolgt. Die Begleitung durch den Arzt ist auch wichtig, um dem Kind die Bedeutung der Übungen zu vermitteln. Die kieferorthopädische Prophylaxe hört bei den Milchzähnen natürlich nicht auf. Hat man die erste Hürde geschafft und die Zähne sind gerade und gesund, bleibt es bei den fünf Säulen der Prophylaxe. Die bleiben ohnehin ein Leben lang. Doch gerade bei Jugendlichen treten häufig Zahnfehlstellungen auf. Ihnen entgegenzutreten heißt, Löchern, Parodontose (Zahnfleischentzündung) und Fehlstellungen im Erwachsenenalter zuvor zu kommen. Mit geraden Zähnen werden Probleme vermieden. Gerade Zähne sind Aufgabe der Kieferorthopädie. Der Zahnarzt lenkt ungünstige Vorgänge während des Wachstums in bessere Bahnen. Man kann mit festsitzenden oder herausnehmbaren Klammern arbeiten oder diese Behandlungshilfen kombinieren. Gut ist es, wenn Eltern mit Ihren Kindern bzw. Teenagern rechtzeitig kommen: die Therapie sollte idealerweise mit zwölf bis dreizehn Jahren beendet sein. Dabei hat sich der Markt in den letzten Jahren sehr stark an den Bedürfnissen der Kinder und Jugend orientiert und bietet heute Lösungen an, die nicht nur medizinisch wichtig, sondern auch schick sind. Die Zeiten, in denen ein Lächeln mit aufleuchtenden Klammern peinlich war, sind längst vorbei. Heute verfügt der Zahnarzt über eine bunte Vielfalt möglicher Apparaturen. Damit hat die Zahnmedizin dem bedeutendsten Problem Abhilfe verschafft, das dieses Alter kennzeichnet: „Mein Image ist mir heilig!“. Die Eltern schlagen drei Fliegen mit einer Klappe: Die Kosten für die Spangen entstehen lediglich einmal und rentieren sich durch den Willen der Kids, diese regelmäßig zu tragen. Das Durchhalten der mehrjährigen Therapie wird belohnt mit der Rückerstattung der restlichen 20% (bzw. 10%) der Behandlungskosten von der Krankenkasse (vor der Behandlung werden für das erste Kind lediglich 80% der Kosten erstattet, für jedes weitere Kind 90% - eine Art „erzieherische Maßnahme“). Das Hauptargument liegt natürlich im langfristigen Vorteil: Eltern ersparen ihren Kindern spätere Therapien und Notsituationen, sowohl in medizinischer als auch in finanzieller Hinsicht. Und diese Therapien werden mit dem Alter immer aufwendiger und teurer. So geht die kieferorthopädische Lebensreise in das Erwachsenenalter. Anzeichen für Fehlstellungen sind zum Beispiel häufige Kopf- und Nackenschmerzen, vorstehende Schneidezähne, Probleme beim Kauen, Zähne, die aus der Reihe "tanzen" (zum Beispiel aufgrund von Engstand), Probleme beim Lippenschluss, Sprachfehler (zum Beispiel Lispeln), Schnarchen oder auch die oben bereits erwähnten Süchte, „die durch den Mund gehen“. Bei Kieferfehlstellungen ist der Lösungsansatz die so genannte Schienentherapie in Verbindung mit einer Muskelphysiotherapie (das Erreichte muß ja auch trainiert und stabilisiert werden). Bei Zahnfehlstellungen hat die Zahnmedizin etwas ganz Besonderes entwickelt: unsichtbare Spangen (so genannte clear aligner). Zwar können Fehlstellungen bei Erwachsenen seit langem in vielen Fällen korrigiert werden – aber Erwachsene wehren sich aus verständlichen Gründen (Beruf und andere soziale Umfelder) gegen sichtbare Spangen. Es ist also auch im Erwachsenenalter nicht alles verloren, nicht alles vergebens. Der Mut zur kieferorthopädischen Untersuchung und Behandlung zahlt sich auch spät noch aus. Unbestritten ist die physische und vor allem psychische Wirkung gesunder und gerader Kiefer und Zähne. Die Gesellschaft wird immer älter und Senioren immer anspruchsvoller, ganz im Sinne von hoher Lebensqualität im hohen Alter. Daher wird die Alterszahnheilkunde zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen. Aus der kieferorthopädischen Lebensreise ergibt sich das Ziel, die eigenen Zähne möglichst lange zu erhalten. Neue Studien ergeben, dass tatsächlich immer mehr ältere Menschen ihre eigenen Zähne behalten. Daher steht auch hier die Prophylaxe im Vordergrund, mithin die kieferorthopädische Prophylaxe. Fehlende Zähne müssen allein aus Ernährungsgründen schnell ersetzt werden, um weiterhin feste Nahrung zu sich nehmen zu können. Zahnlücken können das ganze Gebiss außer Form bringen und müssen schnell geschlossen werden. Früher waren es Prothesen, die Ersatz und Halt bringen sollten. Die heutige zahnärztliche Technologie bietet die wesentlich stabileren, langlebigen Implantate (= künstliche Zahnwurzeln), die auch als Ersatz von Prothesen für den besseren (Er-) Halt der eigenen Zähne und der Kiefer, Kieferknochen dienen. Die Pflege der Implantate ist überdies um ein Vielfaches einfacher, da sie mit der prophylaktischen Mundhygiene der eigenen Zähne identisch ist und somit die bisherigen Lebensgewohnheiten unverändert lässt. Prophylaxe im Alter ist darüber hinaus kostengünstig: Zweimal jährlich kann die Kontrolle der Zähne und der Implantate durch den Zahnarzt ohne Praxisgebühr durchgeführt werden. Auch, wenn Röntgenbilder angefertigt werden müssen oder einmal im Jahr Zahnstein entfernt wird, muß der Patient nichts zuzahlen. Wie wir auf die Welt kommen, sind wir unschuldig und sorglos. Wie die kieferorthopädische Lebensreise zeigt: Die Zeit nagt am Zahn ein Leben lang. Mit dem eigenen Hygienebewußtsein, dem heutigen Stand der Technik und den Zahnarztpraxen, die diese Techniken anwenden, kann der Zeit aber ein echter gordischer Knoten verpasst werden. Ein Knoten, der weder mit Schwert noch mit Schläue zu lösen ist. Autor: Daniel Geers, Zahnarztpraxis Dr. Thomas Haack & Partner, 28832 Achim