Urteile OLG München und OLG Köln aus 2013 zur Problematik der

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Urteile OLG München und OLG Köln aus 2013
zur Problematik der Lyme-Borreliose
Eine kritische Stellungnahme
von
Walter Berghoff
OLG München: Urteil vom 17.05.2013 – 25 U 2548/12
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Klage im Zusammenhang mit LymeBorreliose. Die wesentlichen Urteilsgründe werden zusammengefasst und zum Teil
kommentiert. Die einzelnen Textpassagen in der Urteilsbegründung werden durch
fortlaufende Randziffern gekennzeichnet; unter diesen Ziffern werden die Inhalte
kritisch kommentiert. Die mit Randziffern versehene Urteilsbegründung wird als
Anlage 1 beigefügt.
1.
Der Sachverständige orientiert sich im Wesentlichen an folgenden Dokumenten:
-
Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
-
Lyme-Borreliose-Ratgeber für Ärzte des Robert-Koch-Instituts
2.
Der Gutachter bezieht sich auf Suermann, die Versicherung von Infektionen in der
privaten Unfallversicherung am Beispiel Borreliose durch Zecken – Anmerkung aus
medizinischer Sicht (r+s 2011, 50).
3.
2
Das RKI weist in seinem Internetauftritt auf seinen RKI-Ratgeber für Ärzte hin, sowie
auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und den Aufsatz von
Nau und Kollegen im Deutschen Ärzteblatt vom 30.01.09
4.
Die Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft e.V. werden im Internetauftritt
des RKI nicht erwähnt.
5.
Die Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft unterscheiden sich von den
etablierten Leitlinien. Die Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft erkennen
die chronisch persistierende Lyme-Borreliose (CLB) und ein so genanntes PostLyme-Syndrom (PLS) als eigenständige Krankheitsbilder an.
6.
Die
Deutsche
Borreliose
Gesellschaft
nimmt
aufgrund
unspezifischer
Beschwerdebilder und umstrittener Labortests ein Post-Lyme-Syndrom bzw. eine
chronische Borreliose an, die mit langfristigen Antibiotika-Gaben bekämpft werden
sollen.
7.
Die Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft werden in den öffentlichrechtlichen Medien kritisch bewertet, vgl. „Der Erfolg der „Borrelianer“ in den
Medien“ sowie Aufsatz von Nau und Kollegen im Deutschen Ärzteblatt vom
30.01.09.
Im Aufsatz von Nau und Kollegen wird zu chronischen unspezifischen Beschwerden
im Zusammenhang mit einer positiven Borrelienserologie kritisch ausgeführt, dass
ein solches Krankheitsbild (gemeint ist offensichtlich eine Lyme-Borreliose im
Stadium III, Anm. Dr. Berghoff) nicht ausreichend definiert ist und dass keine
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kontrollierten Studien vorliegen, die den Nutzen einer verlängerten AntibiotikaTherapie belegen konnten.
8.
Der Sachverständige hält bei einer Gesamtschau eine Borrelieninfektion nicht für
ausgeschlossen, die Symptome beruhen jedoch wahrscheinlich auf einem
Fibromyalgie-Syndrom.
9.
Der positive PCR in einem amerikanischen Labor wird vom Gericht für eine
Überzeugungsbildung nicht als ausreichend erachtet, ohne dass es hier weiterer
Aufklärung bedürfte.
Stellungnahme Dr. Berghoff
Ad 1.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat die Leitlinie „Neuroborreliose“
herausgegeben,
sie
befasst
sich
also
im
Wesentlichen
mit
den
Krankheitsmanifestationen der Lyme-Borreliose im Nervensystem. Zahlreiche
Behauptungen in dieser Leitlinie der DGN sind nicht belegt (vgl. „Stellungnahme zur
Leitlinie Neuroborreliose DGN“, www.praxis-berghoff.de ).
Der RKI-Ratgeber für Ärzte enthält, im Gegensatz zur Leitlinie „Neuroborreliose“
keinerlei Literaturhinweise im Text; es ergibt sich also kein zusätzlicher
Informationswert.
Ad 2.
Der
Text
von
Suermann
enthält
zahlreiche
Publikationen,
insbesondere
Meinungspublikationen, die wissenschaftlich nicht belegt sind und größtenteils
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überhaupt keine Studien darstellen. Diese irreführenden Meinungsbildungen dienen
der Verharmlosung der Lyme-Borreliose. Der Text führt zu einer Irreführung des
Gerichts. Zu den wesentlichen irreführenden Publikationen sei auf den Text
„Verharmlosung
der
chronischen
Lyme-Borreliose“,
www.praxis-berghoff.de,
verwiesen.
Ad 3.
Der Aufsatz von Nau und Kollegen im Deutschen Ärzteblatt vom 30.01.2009 enthält
zahlreiche unkorrekte Behauptungen und ist daher als Grundlage für eine
gerichtliche Entscheidung nicht geeignet (vgl. Artikel Deutsches Ärzteblatt, Heft
5/30.01.09, Lyme-Borreliose – Aktueller Kenntnisstand R. Nau, HJ Kristen, H. Eiffert,
Kritische Stellungnahme von W. Berghoff), www.praxis-berghoff.de.
Ad 5.
Lyme-Borreliose Stadium III, Spätstadium der Lyme-Borreliose, Late Lyme Disease
und
chronisch
Lehrmeinung
persistierende
und
Lyme-Borreliose
wissenschaftlicher
Literatur
sind
Synonyma.
völlig
unbestritten,
Es
ist
in
dass
im
Spätstadium (Stadium III) der Lyme-Borreliose eine chronisch persistierende
Infektion durch Borrelia burgdorferi vorliegt.
Nicht die Deutsche Borreliose Gesellschaft, sondern andere maßgebliche nationale
und internationale Institutionen diskutieren seit 1989 ein so genanntes Post-LymeSyndrom (PLS). In der Leitlinie „Neuroborreliose“ der Deutschen Gesellschaft für
Neurologie wird ein solches PLS als eigenständige Krankheit (nosologische Entität)
allerdings in Frage gestellt. Insbesondere widerspräche es den Gesetzen der Logik,
einen (postulierten) Folgezustand (PLS) nach Infektionskrankheit (Lyme-Borreliose)
mit Antibiotika zu behandeln.
Ad 6.
Unzutreffend ist die Behauptung in der Urteilsbegründung, dass die Deutsche
Borreliose Gesellschaft aufgrund unspezifischer Beschwerdebilder und auf der
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Grundlage umstrittener Labortests eine langfristige Antibiotika-Gabe beim PostLyme-Syndrom und einer chronischen Borreliose empfiehlt. Es wurde bereits
ausgeführt, dass eine antibiotische Behandlung des PLS den Gesetzen der Logik
widerspricht. Entgegen den Ausführungen in der Urteilsbegründung stützt sich nach
geltender Lehrmeinung, internationalem Konsens und der wissenschaftlichen
Literatur die Diagnose einer Lyme-Borreliose im Stadium III auf das klinische Bild.
Laboruntersuchungen sind beim Stadium III nicht krankheitsbeweisend. Sie können
bei pathologischem Ausfall nur die stattgehabte Infektion belegen.
Die
Formulierung
wissenschaftlichen
„unspezifische
Nomenklatur,
Beschwerdebilder“
sondern
wird
entspricht
lediglich
nicht
(willkürlich)
der
in
Meinungspublikationen und in ärztlichen Gutachten benutzt. Ein internationaler
Konsens über Symptome, die einer Lyme-Borreliose im Stadium III zugeordnet
werden können, steht aus. In der BRD wird eine so genannte S3-Leitlinie angestrebt,
die eine Definition der klinischen Beschwerdesymptomatik bei Lyme-Borreliose
Stadium III ermöglichen soll.
(Eigenartig ist die Bezugnahme des Gerichts auf die Meinung der Medien. Basis der
Medizin als Naturwissenschaft sind ausschließlich wissenschaftliche Studien,
aktuelle Lehrmeinung bzw. internationaler Konsens und nicht die Meinungen der
Medien).
Ad 8.
Die Fibromyalgie bezeichnet ausschließlich Schmerzen im Bereich der Muskeln,
Bändern und Sehnen. Die Ursache ist unklar, das Krankheitsbild wird auch aktuell
kontrovers diskutiert. Voraussetzung für die Diagnose einer Fibromyalgiesyndroms
ist der sichere differentialdiagnostische Ausschluss anderer Krankheiten, also auch
einer Lyme-Borreliose im Stadium III.
Ad 9.
Ein positiver PCR bedeutet den Nachweis des Krankheitserregers (Borrelia
burgdorferi). Es ist daher unverständlich, dass in der Urteilsbegründung ein solcher
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Befund „für eine Überzeugungsbildung des Gerichtes als nicht ausreichend erachtet
wird, ohne dass es hier weiterer Aufklärung bedürfe“.
Anlage 1
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OLG Köln: Urteil vom 18.05.2012 – 20 U 253/11
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Klage im Zusammenhang mit LymeBorreliose. Die wesentlichen Urteilsgründe werden zusammengefasst und zum Teil
kommentiert. Die einzelnen Textpassagen in der Urteilsbegründung werden durch
fortlaufende Randziffern gekennzeichnet; unter diesen Ziffern werden die Inhalte
kritisch kommentiert. Die mit Randziffern versehene Urteilsbegründung wird als
Anlage 1 beigefügt.
1.
Notwendigkeit zur Behandlung liegt auch dann vor, wenn ein Erfolg nicht
vorhersehbar ist.
2.
Notwendigkeit zur Behandlung ist gegeben, wenn sie geeignet ist, die Krankheit zu
heilen, zu lindern oder einer Verschlimmerung entgegenzuwirken.
3.
Nach Feststellung des Sachverständigen erfolgt die Diagnose der Lyme-Borreliose
klinisch, d.h. anhand der Symptomatik.
4.
Der Nachweis von Antikörpern (positive Serologie) ist kein Beweis für die
Erkrankung.
5.
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Nach Ansicht des Sachverständigen sind Gelenkschmerzen kein Kriterium für eine
Lyme-Borreliose.
6.
Eine Lyme-Arthritis wäre grundsätzlich oral und nicht durch Infusionen zu
therapieren.
7.
Nach einer oralen antibiotischen Therapie ist eine erneute antibiotische Behandlung
nach Meinung des Sachverständigen selbst bei Persistieren einer Lyme-Arthritis
nicht indiziert, da es mehrere Monate dauert, bis die Beschwerden (Arthritis)
abklingen.
8.
Die Tatsache, dass die Lyme-Borreliose unter antibiotischer Behandlung abheilte, ist
kein Beweis für die Notwendigkeit der antibiotischen Behandlung.
9.
Die Notwendigkeit der Behandlung ergibt sich allein aus deren Eignung für einen
möglichen Behandlungserfolg; es kommt nicht darauf an, dass ein solcher Erfolg
(Besserung, Heilung) eintritt.
10.
Die Notwendigkeit einer Behandlung ist vom Behandlungserfolg unabhängig. Die
medizinische
Notwendigkeit
der
Behandlung
kann
nicht
durch
einen
Behandlungserfolg belegt werden, da ein solcher Behandlungserfolg nach
wissenschaftlichen Erkenntnissen im Vorfeld (im vorliegenden Fall) nicht zu
erwarten war.
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Stellungnahme Dr. Berghoff
Ad 5.
Es gibt keinen internationalen Konsens oder gar Leitlinien über klinische Kriterien
einer Lyme-Borreliose. Dies gilt insbesondere auch für Gelenkschmerzen.
Verwiesen sei auf den Text „Symptomatik der Lyme-Borreliose im Spätstadium
(Einschlusskriterien, Bestandsaufnahme 2012)“, www.praxis-berghoff.de.
Ad 6.
Es entspricht internationalem Konsens, dass nicht die Applikationsform für die
antibiotische Behandlung der Lyme-Borreliose maßgebend ist, sondern die Art des
Antibiotikums. In den Leitlinien nationaler und internationaler Fachgesellschaften ist
insbesondere ausgeführt, dass bei Versagen einer antibiotischen Behandlung eine
Nachbehandlung mit einem anderen Antibiotikum in Betracht kommt, auch mit einem
Antibiotikum, das nur perenteral anwendbar ist (z.B. Ceftriaxon). Beispielsweise sei
auf die Leitlinien der IDSA (Infectious Diseases Society of America) verwiesen (1).
Ad 7.
Nach Auffassung des Sachverständigen erfordert eine Lyme-Arthritis, die auf eine
erste antibiotische Behandlung nicht anspricht, keine daran anschließende erneute
antibiotische Behandlung. Diese Ansicht ist durch Studien nicht zu belegen, da es
zur Behandlung der Lyme-Borreliose im Stadium III (zu der auch die Lyme-Arthritis
gehört) bisher keinerlei Evidenz-basierte Studien gibt.
Auch das vom Sachverständigen geforderte Zuwarten für mehrere Monate ist durch
Literatur nicht zu belegen.
Ad 9.
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In der Urteilsbegründung wird die Notwendigkeit der Behandlung von deren Eignung
abhängig gemacht. Ob ein Antibiotikum jedoch im gegebenen Fall zur Behandlung
geeignet (wirksam) ist, kann vor Behandlungsbeginn nicht festgestellt werden; bei
sämtlichen Antibiotika können Therapieversager vorkommen. Hinzu kommt, dass
auch für die Behandlung der Lyme-Borreliose im Stadium III bisher keine Evidenzbasierten Studien vorliegen, die die Wirksamkeit einzelner Antibiotika belegen.
Schon gar nicht liegen Studien vor, denen zufolge eine Heilungs-Garantie durch ein
bestimmtes Antibiotikum anzunehmen ist.
Ad 10.
Die Bezugnahme des Gerichtes, wonach ein Behandlungserfolg nicht zu erwarten
war, ist unzutreffend. Das bei der Zweitbehandlung eingesetzte Antibiotikum
(Ceftriaxon) gilt als geeignet zur Behandlung der Lyme-Borreliose im Stadium III (1).
Literaturverzeichnis
1.
GP Wormser, RJ Dattwyler, ED Shapiro, JJ Halperin, AC Steere, MS
Klempner, PJ Krause, JS Bakken, F Strle, G Stanek, L Bockenstedt, D Fish,
JS Dumler, RB Nadelman. The Clinical Assessment, Treatment, and
Prevention of Lyme Disease, Human Granulocytic Anaplasmosis, and
Babesiosis: Clinical Practice Guidelines by the Infectious Diseases Society of
America. IDSSA Guidelines 2006; 43(1) 1089.
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Anlage 1
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