Auf der Suche nach lebendigem Wasser

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Pressezentrum
Dokument 1846
Sperrfrist:
18.06.2004; 10:30 Uhr
Veranstaltung:
Auf der Suche nach lebendigem Wasser
Christlicher Glaube vor der Herausforderung der Esoterik
Referent/in:
Fleetwood, Peter (Mgsr.)
Ort:
Bürgerhaus-Mitte OG Saal, Schaffnerstr. 17 (Ulm)
Programm Seite:
85
Hier möchte über ich den Hintergrund, die Entstehung und das Ziel des vatikanischen
Dokuments über New Age sprechen. Als Kardinal Poupard – der Präsident des Päpstlichen
Kulturrates – an der Pressekonferenz am 2. Februar 2003 in Rom das Dokument offiziell
vorstellte, hat er auch die beiden Hauptautoren des Dokuments vorgestellt: Frau Dr. Teresa
Gonçalves und mich. Wir waren Mitglieder einer Arbeitsgruppe die sich mit Sekten und
neuen religiösen Bewegungen beschäftigt. Als ich das erste Mal an einer Sitzung der
Arbeitsgruppe teilnahm, erfuhr ich, dass eine Publikation über das Phänomen New Age
geplant war. Bischöfe und andere Leute aus zahlreichen Ländern hatten darum gebeten. Die
meisten waren in der Katechese, der Ausbildung von Katecheten und der katholischen
Erwachsenenbildung engagiert. Es schien so, als suchten sie Hilfe: Sie waren beunruhigt
darüber, dass das, was sie als New Age -Gedankengut und -Praktiken einstuften, Gläubige
in negativer Weise beeinflussen könnte. Sie wollten wissen, wie sie am besten reagieren
sollten, und baten um offizielle Richtlinien. Vom ersten Moment an, als ich von diesem
Projekt hörte, war mir klar, dass es darum ging, eine pastorale Antwort auf ein pastorales
Problem zu geben. Alles, was wir dazu beisteuern könnten, sollte den Menschen, die sich in
der Pastoral der Kirche engagierten, eine Hilfe sein.
Das Dokument, das wir brauchten, sollte eine Unterstützung für Bischöfe und
engagierte Katholiken sein. Es sollte wissenschaftlich fundiert und zugleich leicht
verständlich geschrieben sein. Außerdem bat ich darum, von kurzfristigen Beurteilungen
abzusehen – es war viel besser, wenn sie aufgrund unseres bevorstehenden Dokuments
mehr über New Age wissen wollten und schon richtig gespannt waren. Im Laufe der Zeit
stieß ein Theologe von der Glaubenskongregation zu unserer Gruppe. Er freundete sich
nach und nach mit der Vorgehensweise an, für die wir uns entschieden hatten, und seine
Beiträge und Verbesserungsvorschläge betrafen mehr den Inhalt als den Stil.
Die letzte Phase der Vorbereitung des Textes war schwierig. Der bereits mehrfach
überarbeitete Text musste der Glaubenskongregation zur Schlusskorrektur unterbreitet
werden. Der Text kam erst nach langer Zeit zurück. Die meisten Korrekturen bestanden in
Ergänzungen und zusätzlichen Kommentaren am Ende der jeweiligen Kapitel des
Dokuments. Ich fand es bedauerlich, dass diese zusätzlichen Kommentare zumeist negativ
und verurteilend waren. Ich möchte dazu nicht allzu viel sagen; ich denke, es ist für jeden,
der mit Textkritik vertraut ist, offensichtlich, wo sich diese ergänzten Textstellen befinden. Ich
bin überzeugt, dass der Text viel gefälliger gewesen wäre, wenn wir die Möglichkeit gehabt
hätten, mit den Leuten zu sprechen, die die Korrekturen verfasst haben. Dies erlaubt die
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Kongregation jedoch nicht. Offiziell wissen wir nach wie vor nicht, wer den Text im Auftrag
der Kongregation korrigiert hat.
Ursprünglich war der Ton des Dokuments so gewählt, dass die Menschen ermutigt
werden, das Thema New Age in einer Haltung des Dialogs anzupacken. Bis zu einem
gewissen Grad wurde dieser Ton von der Schärfe einiger kritischer Textpassagen, die
hinzugefügt wurden, verunstaltet. Das Dokument sollte Katholiken dazu auffordern,
zeitgenössische geistige Strömungen kritisch zu betrachten – aber immer in einem
freundlichen Ton. Ich denke, es ist nicht hilfreich und mit einem gewissen Risiko verbunden,
wenn einem Thema in der Haltung absoluter Verurteilung begegnet wird. Erstens
verscherzen wir es uns mit vielen Menschen, mit denen wir eigentlich im Dialog stehen
sollten. Zweitens setzen wir uns damit dem Vorwurf aus, katholische Fundamentalisten zu
sein. New Age ist ein äußerst komplexes Phänomen, das schlichte Analysen und
vereinfachende Beurteilungen verbietet. Genau dazu haben sich aber leider einige christliche
Experten hinreißen lassen.
Als das Dokument veröffentlicht wurde, wurden die Leute dazu aufgefordert,
Kommentare, Fragen und andere Reaktionen an den Päpstlichen Rat für den Interreligiösen
Dialog zu schicken. Einen Teil der Antworten habe ich gelesen. Einige äußerten sich kritisch
gegenüber fachlichen Ungenauigkeiten und waren sehr hilfreich. Andere schickten
zusätzliche Materialien. Dies zeigt, wie sehr das Thema die Gemüter beschäftigt – einige
dieser weiterführenden Texte, die uns aus aller Welt erreicht haben, sind hervorragend.
Einige bedankten sich ganz einfach, weil sie der Meinung sind, damit nützliche Leitlinien zur
Hand zu haben. All dies wird für die Vorbereitung weiterer Stellungnahmen der involvierten
Ämter des Vatikans hilfreich sein. Vor einigen Tagen hat eine weitere Konsultation über
dieses Thema im Vatikan stattgefunden, ein Zeichen dass die Arbeitsgruppe die Antworten
und Bemerkungen ernst genommen hat und positive Schritten machen möchte.
Das Dokument versucht „etwas zu verstehen und zu beurteilen, das im Grunde eine
Erhebung des Reichtums menschlicher Erfahrung ist. Er muss zwangsläufig die Kritik auf
sich ziehen, dass er einer Kulturbewegung nicht gerecht wird, deren Wesen genau darin
liegt, aus dem auszubrechen, was als einengende Begrenzungen des rationalen Diskurses
verstanden wird. Dieser Text ist jedoch als Einladung an Christen gedacht, New Age ernst zu
nehmen, und bittet als solche seine Leser, in einen kritischen Dialog mit Menschen zu treten,
die die gleiche Welt von einem anderen Standpunkt aus betrachten" (§ 2). Es gibt noch ein
Problem im Text. Da zwischen den ersten Anfragen und der tatsächlichen Publikation des
Dokuments viel Zeit vergangen ist, werden teilweise Problemlösungen behandelt, die bereits
der Vergangenheit angehören. Während bisher der Begriff New Age verwendet wurde,
treffen wir inzwischen immer häufiger auf den Begriff Next Age. Natürlich könnte es einfach
um eine semantische Verschiebung gehen. Jedoch hat sich auch die Betonung verändert,
sind neue Fragen wichtig geworden. Mitten im Vorbereitungsprozess des Dokuments
gelangte ich zur Überzeugung, dass wir in Wirklichkeit nicht ein Dokument zu New Age
sondern zum Thema Esoterik brauchen: New Age ist "im weiteren Kontext esoterischer
Religiosität zu platzieren, deren Anziehungskraft wächst" (ibid., loc. cit.).
Das Dokument besteht aus mehreren Elementen, die auch unabhängig voneinander
hätten publiziert werden können. Der Kern des Dokuments ist in den Kapiteln 1 und 2
enthalten, wo die Idee und Tradition von New Age analysiert wird. Kapitel 3 und 4 ziehen
einen Vergleich zwischen New Age und christlicher Spiritualität und Doktrin hinsichtlich
spezifischer Punkte. Kapitel 5 ist sehr kurz und erklärt das Motiv von Jesus Christus als
Überbringer des Lebendigen Wassers. Dieses Bild wurde ursprünglich von dem
französischen Theologen Pater Jean Vernette geprägt. Es wurde von uns aufgenommen,
weil es wohl das gesündeste pastorale Modell für den Dialog mit Menschen bietet, die sich in
New Age-Kreisen bewegen oder davon angezogen fühlen. Kapitel 6 hat schon am Tag der
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Veröffentlichung des Dokuments starke Reaktionen hervorgerufen, da es Ratschläge und
Warnungen hinsichtlich zeitgenössischer Spiritualität enthält. Der Rest des Dokuments
besteht aus einem Glossar, einigen bibliographischen Hinweisen und kurzen Formulierungen
von New Age-Ideen von William Bloom und Jeremy Tarcher.
Der Begriff „New Age“ wurde wohl erstmals von Freimaurern als Titel für eine
Zeitschrift verwendet, die im frühen 19. Jahrhundert vom Alten und Angenommenen
Schottischen Ritus im Süden der Vereinigten Staaten Amerikas publiziert wurde. Dennoch
hängt der Begriff eigentlich mit einer astrologischen Interpretation der Geschichte
zusammen. Dem Widderzeitalter – dem Zeitalter des Judaismus – folgte das Fischzeitalter
(das christliche Zeitalter). Dieses soll nun irgendwann zwischen 1967 und 2376 vom
Wassermannzeitalter abgelöst werden. Es gibt eine ganze Reihe von Spekulationen, wie
dieser Zeitalterwechsel vonstatten gehen soll.
Der Glaube, dass das neue Zeitalter (des Wassermanns) anbrechen wird, gelangte
hauptsächlich über die Theosophie, den Spiritualismus und die Anthroposophie zu uns;
seine Wurzeln gehen allerdings auf frühere esoterische Religionen und Gedanken zurück.
New Age "ist eine breite Tradition, in der auch viele Ideen zusammenfinden, die keine
explizite Verbindung mit dem Wechsel vom Zeitalter der Fische zu dem des Wassermanns
haben. Es gibt gemäßigte, aber recht allgemeine Visionen einer Zukunft, in der es eine
planetare Spiritualität neben den verschiedenen Religionen gibt, planetare politische
Institutionen, welche die mehr örtlich agierenden ergänzen, globale wirtschaftliche Einheiten,
die partizipatorischer und demokratischer sind, eine größere Betonung von Kommunikation
und Bildung, ein Verständnis von Gesundheit, das professionelle Medizin mit Selbstheilung
kombiniert, ein eher androgynes Selbstverständnis und Wege, Wissenschaft, Mystik,
Technologie und Ökologie miteinander zu verbinden.... Einige der Traditionen, die in New
Age zusammenfließen, sind: altägyptische okkulte Praktiken, die Kabbala, frühchristlicher
Gnostizismus, Sufismus, das Wissen der Druiden, keltisches Christentum, mittelalterliche
Alchimie, der Hermetizismus der Renaissance, Zen- Buddhismus, Yoga und so weiter" (§
2.1). Zurzeit gibt es außerdem Anstrengungen, der Idee, dass unsere Welt tiefgreifenden
Veränderungen ausgesetzt ist, eine wissenschaftliche Basis zu verleihen. Dazu gehört nicht
zuletzt die Idee des Paradigmenwechsels. Genau in diesem Zusammenhang wird das
Problem, ins christliche Gedankengut New Age-Ideen aufzunehmen, am offensichtlichsten.
Die Idee des Paradigmenwechsels "wurde populär durch Thomas Kuhn, einen
amerikanischen Wissenschaftshistoriker, der unter Paradigma 'die gesamte Konstellation
von Überzeugungen, Werte, Verfahren usw., die von den Gliedern einer konkreten
Gemeinschaft geteilt werden’, verstand. Kommt es zu einem Wechsel von einem Paradigma
zu einem anderem, dann ist das eher eine Frage pauschaler Transformation statt von
allmählicher Entwicklung. Es geht um eine wirkliche Revolution, und Kuhn hat betont, dass
konkurrierende Paradigmen sich weder vergleichen lassen noch koexistieren können. Daher
trifft die Idee, dass ein Paradigmenwechsel im Bereich von Religion und Spiritualität einfach
eine neue Weise ist, den traditionellen Glauben auszudrücken, nicht den Punkt. Was
tatsächlich vor sich geht, ist eine radikale Änderung der Weltanschauung, die nicht nur den
Inhalt, sondern auch die grundlegende Interpretation der früheren Sichtweise in Frage stellt.
Das vielleicht deutlichste Beispiel dafür im Verhältnis zwischen New Age und Christentum ist
die vollständige Revidierung des Lebens und der Bedeutung Jesu Christi. Es ist unmöglich,
diese beiden Sichtweisen miteinander in Einklang zu bringen" (§ 2.1).
Es wird also klar, dass New Age ein komplexes Phänomen oder eine ganze Reihe
von Phänomenen darstellt. Im Laufe der Jahre hat sich New Age verändert, aber einige
Grundzüge bleiben ganz offensichtlich bestehen. Klar ist, dass New Age weder eine Sekte
noch eine organisierte Gruppe ist, sondern vielmehr eine Bewegung, die viele Strömungen in
sich vereint; Strömungen, die kommen und gehen. Und das macht es so wichtig, die Ideen,
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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die hinter Therapien und anderen Praktiken stecken, genauer zu betrachten. Viele Menschen
fühlen sich von dieser komplexen Bewegung sehr angezogen; das zeigt, dass die Menschen
ein Bedürfnis nach spirituellen Elementen in ihrem Leben haben. Vielleicht stellt sich hier
eine der grundlegenden Fragen für die christliche Kirche: Was haben wir verpasst Menschen
zu geben, dass sie es woanders suchen? Eine weitere Frage – heute vielleicht die wichtigste
für mich und für Sie: Gibt es in dieser zeitgenössischen spirituellen Bewegung Elemente, die
wir in unsere christliche Sicht von Gott, der Welt und der Menschheit einbeziehen könnten?
Auf diese Frage sollten wir noch einige Male zurückkommen, ganz besonders aber am Ende.
Ihr könnt selbst beurteilen, was das Dokument zu einigen der attraktivsten Punkte von New
Age zu sagen hat: Zauber, Harmonie, Gesundheit, Ganzheitlichkeit und Wärme von Mutter
Erde. All diese Themen sind in jeder Buchhandlung der westlichen Welt zu finden. Viele
dieser Begriffe haben auch Eingang ins Vokabular von christlichen Gruppen und spirituellen
Zentren gefunden. Bevor wir uns ein Urteil über diesen letzten Punkt erlauben, sollten wir
uns vielleicht den zentralen Teil des Dokuments ansehen. Heute haben wir nicht Zeit, aber
im Dokument finden Sie die Hauptelemente im Teil „Die wesentliche Matrix des New-Age
Denkens“ (§ 2.3.2). Jetzt lese ich nur einen kurzen Abschnitt über die zentralen Themen des
New Age.
„New Age ist keine Religion im eigentlichen Sinn, interessiert sich aber für alles, was man
„göttlich“ nennt. Es besteht im Wesentlichen aus einem lockeren Verbund verschiedener
Aktivitäten, Ideen und Menschen, auf die sich der Begriff anwenden lässt, und artikuliert sich
daher nicht so eindeutig, wie es die grossen Religionen mit ihren Lehren tun. Trotzdem und
ungeachtet der immensen Vielfalt innerhalb des New Age lassen sich einige gemeinsame
Überzeugungen erkennen:

Der Kosmos bildet ein organisches Ganzes;

Er wird von einer Energie belebt, die als Seele oder Geist Gottes bezeichnet wird;

Man glaubt oft an die Vermittlung verschiedener geistiger Wesenheiten;
 Die Menschen sind fähig, zu unsichtbaren höheren Sphären aufzusteigen und ihr
eigenes Leben über den Tod hinaus zu kontrollieren;
 Man glaubt an ein „ewiges Wissen“, das allen Religionen und Kulturen vorausliegt und
sie übersteigt;

Die Menschen folgen erleuchteten Meistern...“ (§ 2.3.3).
Grundfragen für christliche Gläubigen
In einer sehr praxisbezogenen Welt und sicherlich aus Sicht von Menschen, die New
Age-Gedanken und -Praktiken zugetan sind, bleiben doktrinäre und orthodoxe Fragen auf
einer intellektuellen Ebene und berühren Menschen – egal ob Christen oder nicht – wohl
kaum in ihrer spirituellen Erfahrung. Aber selbst wenn wir solche Fragen außer Acht lassen,
müssen einige Grundfragen gestellt werden. Zunächst: Halten die New Age-Praktiken
wirklich das, was sie versprechen? Und: Welche Beziehung besteht zwischen positivem
Denken und der Wirklichkeit? In der New Age-Literatur wird Krankheit oder gar der Tod von
Menschen teilweise so dargestellt, als seien die betroffenen Menschen nicht fähig gewesen,
positiv zu denken; anders gesagt: Etwas wird über die Gedanken beherrscht (Mind over
Matter). Und in Bezug auf die Bereiche von New Age, wo an Reinkarnation geglaubt wird –
wenn auch in einer dem Westen angepassten Form: Was bleibt übrig von der persönlichen
Verantwortung für das Leben im Hier und Jetzt? Ich zähle diese Fragen nur auf, um Ihnen
eine kleine Kostprobe davon zu geben, was man sich so alles fragen könnte und sollte.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Das Gebet im christlichen Sinn bedeutet eine Form von Begegnung mit dem Gott,
den Jesus Christus uns offenbart hat. Auch wenn es schwer fällt, die dreifache Persönlichkeit
des dreieinigen Gottes zu erfassen, besteht der Kern des christlichen Gebets doch in der
Antwort, die Jesus seinen Jüngern gab, als sie ihn darum baten, sie so das Beten zu lehren,
wie es Johannes mit den Seinen tat. Wer auch immer Christus nachfolgt und von ihm lernen
möchte, sollte im „Vater unser“ das Standardgebet sehen, also das Gebet, das sich an eine
Person wendet. Der Katechismus der katholischen Kirche besteht darauf, dass das Wesen
Gottes außerhalb der Unterscheidung „männlich/weiblich“ liegt, die das menschliche Leben
beherrscht: Gott ist weder männlich noch weiblich. Als Christen gehen wir deswegen aber
nicht von etwas Androgynem aus; wir haben uns das Gebet, wie es uns Jesus weitergeben
hat, zueigen gemacht: Wir vertrauen in einen persönlichen Gott, der am besten als perfekter
Elternteil beschrieben werden kann. Wir kennen jedoch keine geschlechtslosen Eltern und
Jesus wandte sich an den Schöpfergott als Vater. Jenseits aller Probleme, die das einigen
Menschen bereiten kann, bleibt die einfache aber grundlegende Tatsache bestehen, dass
das echte christliche Gebet persönliche Begegnung bedeutet.
Wenn man sich nun für eine Vision von Christus als kosmischer Christus entscheidet oder
uns die pantheistische oder panentheistische Vision von Gott zueigen macht, die für die
Schöpfungsspiritualiät, den Öko-Feminismus und einige Bereiche des New Age grundlegend
sind, dann stellt man fest, dass es für Gott als Vater, als Person oder als etwas, was
außerhalb der Schöpfung steht, keinen Platz mehr gibt. Alles fließt in das, was New Age
„Verschmelzung“ (engl. Fusion) nennt. Selbstverständlich ist jeder von uns frei, sich die
Ansichten anzueignen, die mit unseren Überzeugungen übereinstimmen. Die Wahrheit ist
größer als die Welt und die Wirklichkeit, von der wir ein Teil sind; aber es ist wichtig,
aufrichtig zu sein. Der Pantheismus und der Panentheismus verkörpern Ansichten, die nicht
in die großzügigen Grenzen des orthodoxen oder traditionellen Christentums passen. Uns für
sie zu entscheiden, bedeutet, uns anders zu entscheiden. Es ist in Ordnung, etwas anderes
zu bevorzugen, solange es uns bewusst ist.
Eine weitere große Frage, die mit diesem Aspekt der Gedankenwelt und Therapie
von New Age in Zusammenhang steht, ist die Sünde. Ich kann voll und ganz verstehen, wie
Menschen im Erwachsenwerden oder Erwachsensein die Last der Jugend abwerfen wollen.
Für viele Menschen ist es wie ein Befreiungsschlag, wenn sie erst einmal den Ballast an
irrationaler Schuld abwerfen können. Aber irrationale Schuld ist nicht dasselbe wie das
Bewusstsein für die Diskrepanz zwischen dem, wer wir sind und wer wir sein sollten, was oft
metaphorisch als die Distanz zwischen uns und Gott interpretiert wird. Ich verstehe
Menschen, die übertriebene Beschreibungen des bösen menschlichen Charakters
verabscheuen. Wir sind sicherlich nicht grundböse. Das ist eine althergebrachte Häresie, die
allzu viele Menschen blockiert. Aber das heißt nicht, dass wir nicht zu bösen Taten und
Gedanken fähig sind. Auf gesunde Art betrachtet ist die Sünde nur das Eingeständnis
unserer Unvollkommenheit, die an sich nichts Falsches ist. Die alten Scholastiker waren froh
darüber, nicht vollkommen zu sein, denn nur Gott war vollkommen; sie konnten nicht von der
irrationalen Schuld niedergedrückt werden, die ihnen vermittelte, dass sie vollkommen sein
müssten. Sie waren realistisch genug zu akzeptieren, dass Gott Platz für unvollkommene
Geschöpfe hat; denn Geschöpfe können keine Klone von Gott sein. Theosis, göttlich
werden, ist etwas anderes aus christlicher als aus New Age- (gnostischer) Sicht. In der
christlichen Tradition bedeutet es, Gott Schritt für Schritt näher zu kommen, nicht jedoch in
Gottes Schuhen zu gehen. Ein gelassenes Christentum kennt keinen Kampf um Macht
zwischen Menschen und Gott, sondern einen stetig wachsenden Prozess harmonischen
Zusammenlebens.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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