Text-Nummer: 0011 Schaltung am: 01.06.1996 Rubrik(en): Forschung und WissenschaftUmfang des Textes in Zeichen: 21274 Verfasser(in): Christian Kupke Geschrieben am: Kürzel: CK Originaltitel: Was heißt "Psyche"? Ein Diskussionspapier Copyright: Christian Kupke Veröffentlichungsabsicht von/am: Veröffentlicht von/am: Übersetzungstitel: Übersetzer(in): Copyright Übersetzung: Diskussion/Leserbriefe: Christian Kupke Was heißt "Psyche"? Ein Diskussionspapier (vorgelegt in der Gesellschaft für Philosophie und Wissenschaften der Psyche am 10.6.95) 1. Was interessiert mich daran und was heißt es für mich, "Psyche" zu thematisieren? 1.1. Ich werde im vorliegenden Text einige Thesen aufstellen, deren Erkenntnisanspruch womöglich als sehr weitreichend eingeschätzt werden dürfte. Ich möchte jedoch betonen, daß es sich bei meinen Überlegungen zum Thema "Psyche" lediglich um Modellvorstellungen handelt, die eine bestimmte Richtung der Arbeit anzeigen, aber noch nicht deren Ergebnisse vorwegnehmen sollen. Ich bin, das gestehe ich offen zu, hinsichtlich der gestellten Frage ziemlich ratlos. Daß ich mich aber dennoch in diesem Papier zu gewissen philosophischen Spekulationen über Psyche habe hinreißen lassen, hat seinen Grund in einem prinzipiellen methodologischen Interesse: Weder habe ich ein ausreichenden Hang dazu, das mit dem Titel "Psyche" gestellte Problem sogleich naturwissenschaftlich auf die Frage nach den sogenannten "Gehirnfunktionen" zu verengen (obwohl diese Frage mittlerweile einen wesentlichen Einfluß auf meine Auffasung gewonnen hat), noch auch Interesse an einem philosophiewissenschaftlichen Ausweichen vor der eigentlichen Frage, indem ich begriffs- und wissenschaftsgeschichtliche Versatzstücke zu einer Theorie der Psyche versammle. Denn diese mögen zwar geeignet sein, eine gewisse meinetwegen philosophische - Bildung zu demonstrieren, aber auch sie müssen doch letztlich zu der ganz unzweifelhaften Tatsache ins Verhältnis gesetzt werden, erstens: daß wir, bislang jedenfalls, nicht wissen und vielleicht auch niemals wissen können, was das ist: die Psyche, und zweitens: daß das daraus resultierende Nicht-Wissen (oder bloß scheinbare Wissen) dennoch die massivsten Effekte auf unseren praktischen Umgang mit diesem Phänomen gehabt hat und weiterhin haben wird. Eben deshalb aber scheint es mir sinnvoller zu sein, darüber nachzudenken, was vielleicht - jenseits eines verifizierbaren Wissens (und jenseits auch aller disziplinären Verengung) - Psyche sein könnte oder sein sollte, wenn uns an einem veränderten Umgang mit diesem Phänomen gelegen ist. 1.2. Im Sinne dieses Interesses möchte ich daher zunächst umreißen, wie meines Erachtens die Fragestellung lauten sollte, anhand derer Psyche in einem philosophischen Kontext thematisiert werden müßte. - Die Frage dürfte nicht lauten: "Was ist das, die Psyche?", sondern allenfalls: "Was ist Psyche?" oder noch besser: "Was heißt Psyche?" Denn das "ist" in Kombination mit dem bestimmten Artikel "die" in der ersten Frage legt nahe, daß es sich bei Psyche um einen einzelnen real spezifizierten und deshalb auch wissensmäßig spezifizierbaren Gegenstand handelt. Dem ist aber, wie ich bereits in meinem damaligen Vortrag "Ist Philosophie eine Wissenschaft, und kann es eine Philosophie der Psyche geben?" ansatzweise ausgeführt habe, nicht so. Vielmehr ist Psyche ein je unterschiedlich auftretendes Phänomen (und zwar ein Übersetzungsphänomen), das uns in seiner Unterschiedlichkeit auf das verweist, was in der Tradition als "Individuum" bezeichnet worden ist. Damit soll zwar nicht gesagt sein, daß alles, was psychisch ist, individuell ist, aber doch, daß die Individualität eines Menschen immer psychischen Charakters ist. Das heißt: Psyche ist in ihrer Phänomenalität eher eine Eigenschaft denn ein Gegenstand, "Psyche" eher ein Attribut denn ein Nomen, sprachanalytisch gesprochen: eher ein genereller denn ein singulärer Terminus; und solchen Termini gegenüber stellen wir vorzugsweise, in einem ersten Schritt, nicht die Seins- bzw. Wesensfrage, sondern die Bedeutungsfrage (also in diesem Falle: "Was heißt Psyche?"). Zwar könnten wir dann, in einem zweiten Schritt, auch noch die Seins- bzw. Wesensfrage stellen ("Ist Psyche? Und was ist sie dann?"), indem wir bspw., wie die Sprachanalyse, behaupten, generelle Termini bezeichneten durchweg abstrakte, sogenannte immaterielle Gegenstände; aber ungeachtet dieses Problems (auf das ich später noch kurz zurückkommen werde) scheint mir doch wichtig zu sein, daß eben diese Frage erst den zweiten Schritt darstellt, während sich bei konkreten, sogenannten materiellen Gegenständen die Schrittfolge der Fragestellung umkehrt. Was ich damit meine wird deutlich, wenn wir - wie es die gegenwärtige Wissenschaftsentwicklung fordert - nach dem naturwissenschaftlich erforschbaren Äquivalent psychischer Phänomene fragen: nach dem Gehirn. Denn dies, das Gehirn, ist (existiert) offensichtlich, und es ist deshalb auch ein solcher konkreter, materieller Gegenstand. Für ihn gilt vorzugsweise nicht die Bedeutungs-, sondern die Seins- bzw. Wesensfrage. Wir fragen nicht zunächst (und vielleicht sogar niemals): "Was heißt Gehirn?", sondern: "Was ist das, das Gehirn?" Diese Frage steht am Anfang aller Hirnforschung (und der mit ihr verbundenen Neuroanatomie und Neurophysiologie), und sie wird, wenn überhaupt, offensichtlich erst dann überschritten, wenn diese Forschung an die Grenzen ihres Gegenstandes gerät, also z.B. veranlaßt wird zu fragen, ob das, mit dem sie sich ab einer gewissen Forschungstiefe beschäftigt, überhaupt noch "Gehirnfunktionen" und nicht vielmehr schon "psychische Funktionen" sind. Und umgekehrt wird wohl auch die philosophische Frage nach der Bedeutung von "Psyche" irgendwann einmal an ihre Grenzen kommen, nämlich genau dann, wenn das, was ich ihre Bedeutungskonstitution nenne, sich erschöpft hat und die Frage entsteht, ob es für die von ihr aufgewiesenen Bedeutungen nicht auch ein materielles, konkret gegenständliches Substrat, also einen Anhalt in der sogenannten empirischen, raum-zeitlichen Wirklichkeit gibt. Die philosophische Frage nach dem Bedeutungsgehalt von Psyche und die naturwissenschaftliche Frage nach Form und Funktion des Gehirns laufen also, idealiter zumindest, aufeinander zu. Da wo die eine aufhört - wo sie keine befriedigende Antwort findet -, müßte die andere anfangen und umgekehrt; während nach dem mittlerweile veralteten und obsolet gewordenen Grundlegungsanspruch der klassischen Philosophie diese den eigentlichen Anfang darstellen sollte: »Das Reden von einer Grundlegung erzeugt den Schein, als käme die Philosophie den Fachwissenschaften ... zuvor; es suggeriert, daß die Fachwissenschaften eigentlich auf die Philosophie warten müßten, um richtig anfangen zu können.« (Michael Theunissen, Möglichkeiten des Philosophierens heute, in: ders., Negative Theologie der Zeit, Frankfurt/M. 1991, S.24). - Eben deshalb aber, weil der Weg das Ziel ist und beide eine unterschiedliche Richtung einschlagen, unterscheiden sie sich auch voneinander; und das was idealiter aufeinander zuläuft, läuft realiter auseinander. 2. Was könnte Psyche philosophisch sein, und was ist Psyche offensichtlich nicht? 2.1. Offensichtlich ist Psyche (wie bereits aus dem ersten Abschnitt deutlich geworden sein sollte) kein x-beliebiger materieller Gegenstand. Denn ihre eigentümliche, introspektiv unmittelbar einleuchtende Immaterialität, die Unmöglichkeit, sie in irgendeiner Weise räumlich oder zeitlich zu verorten, verbietet meines Erachtens ihre genaue, definitive Abgrenzung gegenüber anderen Gegenständen bzw. umgekehrt: ermöglicht es gerade, sie nicht als Gegenstand, sie nicht als etwas Substanzielles und auch nicht als ein bloßes Epiphänomen im Sinne des Epiphänomenalismus zu begreifen (einer Auffassung, die davon ausgeht, daß jedes psychologische Ereignis vollkommen und ausschließlich durch die Physiologie des Gehirns determiniert sei). Andererseits aber darf man meines Erachtens auch nicht den Fehler machen, "Psyche" vorschnell gegenüber dem abzugrenzen, was man gemeinhin den "Körper" nennt (einmal abgesehen davon, daß wir oftmals noch nicht einmal wissen, was wir meinen, wenn wir vom "Körper" sprechen). Im Gegenteil: Es scheint mir ein mittlerweile unabweisbares Ergebnis aller derjenigen Wissenschaften zu sein, die sich mit Psyche auseinandersetzen, daß diese sich immer nur ausgehend vom Gehirn und vermittels körperlicher Aktionen und Reaktionen artikuliert, niemals aber in ihrer ganzen Reinheit als "Psyche". Und weil eben deshalb bezweifelt werden kann, daß es überhaupt einen solchen, von allen körperlichen Innervationen freien, reinen Gegenstand der "Psyche" gibt, sollte man - trotz aller Kritik am Epiphänomenalismus vorsichtig damit sein, sie in einem derart krassen Dualismus von diesen ihren Innervationen zu scheiden, wie dies bspw. (kaum überraschend, denn positivistische Wissenschaft ist Metaphysik) der Gehirnphysiologe John C. Eccles und der Psychologe Daniel N. Robinson in ihrem Buch "The wonder of being human. Our brain and our mind" (New York 1984) tun. 2.2. Wenn ich behaupte, daß das, was wir Psyche nennen, sich immer nur ausgehend vom Gehirn und vermittels körperlicher, sensuell wahrnehmbarer Aktionen und Reaktionen artikuliert, so will ich unter solchen Aktionen und Reaktionen, neben Gestik, Mimik und körperlichem Handeln, auch (aber selbstverständlich nicht ausschließlich) das Sprechen verstanden wissen. Denn wenn wir auch, wie Lacan einmal sagte, hinter dem, was wir sprechen, oftmals vergessen machen - und vergessen machen lassen -, daß wir sprechen, so muß man doch folgendes im Auge behalten: Zunächst ist die Motorik des Sprechens eine körperliche Motorik und eben deshalb auch die Wahrnehmung dieses Sprechens eine sensuelle, also körperliche Wahrnehmung. Zum zweiten aber - und das ist weitaus wichtiger - hat die Sprache (hier verstanden als Sprechen, als parole und nicht als langue) ihre eigene Körperlichkeit. Sie, die wir oft genug als eine immaterielle Größe zu betrachten neigen, trägt in sich selbst die Differenz von Materialität und Immaterialität aus, nämlich als die Differenz von Signifikant und Signifikat. Der Laut oder der Buchstabe, in all seinen Modulationen, hat materiellen Charakter, und das Signifikat, das er, dieser Laut (oder dieser Buchstabe) als seine Bedeutung transportiert, hat - zumindest nehme ich das an (und ich halte daran vorläufig fest) - immateriellen Charakter. 2.2.1. In einem ersten Schritt hebe ich damit auf die wesentliche Zeichenhaftigkeit von Psyche ab, auf diejenige semiotische Phänomenalität des Psychischen, die zunächst, wie jedes Zeichen, den Schein erzeugt, "hinter" ihr - gleichsam im metaphysischen "Hinterland" Nietzsches "verberge" sich das Eigentliche, das Wesen des psychischen Aktes. Dieses berühmte Mißverständnis des Phänomens als Erscheinung, auf das sich bereits Heidegger kritisch bezog, als er das Phänomen als »das Sich-an-ihm-selbst-Zeigende, das Offenbare« bestimmte (Marin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1979, S.28) - dieses Mißverständnis läßt sich auch zeichentheoretisch leicht aufklären: Es verwechselt das Zeichen, die Einheit von Signifikant und Signifikat (von Ausdruck und Inhalt), mit dem Signifikanten. Damit entsteht zunächst die Täuschung, "hinter" dem Signifikanten "verberge" sich etwas, nämlich das Signifikat, erneut. Sie läßt sich aber in einer Weise beheben, daß deutlich wird: Die Metaphysik der Psyche, als die eines allen psychischen Akten zugrundeliegenden und sie begründenden Wesens (des Ichs, der Person, des selbstbewußten Geistes etc.) hebt sich auf in einer Konzeption von Psyche als eines psychosemiotischen Textes. Denn wie, so müssen wir fragen, könnten wir das, was wir unter einem bestimmten Signifikanten als das Signifikat dieses Signifikanten (also bspw. auch unter dem Signifikanten "Psyche") verstehen, anders verdeutlichen, anders übersetzen, als indem wir wiederum einen bestimmten Gebrauch von Signifikanten machten? Und wie könnten wir, als mit dem Signifikanten Psyche bezeichnete psychische Wesen, uns selbst artikulieren, uns selbst übersetzen, wenn nicht in dieser - für uns als psychische Wesen irreduziblen - Differenz von Signifikant und Signifikat? Indem wir, gleichsam in der Tiefe, das die psychischen Akte als Signifikantenrelationen begründende Signifikat, die Psyche, suchen, und indem wir, gleichsam aus der Tiefe, uns selbst als psychische Wesen, als dieses Signifikat setzen, werden und bleiben wir verwiesen auf die Fläche der Signifikantenrelationen selbst, - auf den Text unseres psychischen Seins, den psychosemiotischen Text. Psyche mithin, das ist die These, ist die Übersetzung eines Textes in einen anderen Text. Sie ist das Wechselverhältnis einer Übersetzung vom Materiellen ins Immaterielle und vom Immateriellen ins Materielle, eine Übersetzung ihrer selbst in ein materielles Artikulationsmedium, aus dem - und aus dem allein - sie sich zugleich rückübersetzt in ein immaterielles Artikulationsmedium. Eben darin aber konstituiert sie sich als das, was sie ist, konstituiert sie sich nicht als Epiphänomen, sondern als eigenständiges, an sich selbst offenbares Phänomen, - als psychosemiotischer Text. 2.2.2. In einem zweiten Schritt ist aber nun zu fragen, ob man nicht durch eine solche These - in der vom Immateriellen und vom Materiellen die Rede ist - die klassische, als Paradoxon gemeinte Frage nach der zugleich materiellen und immateriellen Seinsweise des Bewußtseins wieder stellen oder gar die alte Theorie wiederbeleben will, nach der die Psyche im Gehirn durch sogenannte "Spiritus Animales", seltsamen Zwitterwesen zwischen realem und geistigem Sein vertreten sei. Aber zu einem solchen Mißverständnis kann man im Grunde nur dann gelangen, wenn man die Charakterisierung des Signifikanten als materiell und die des Signifikates als immateriell in einem metaphysischen und nicht in einem streng strukturalistischen Sinne verstünde. Zumindest dürfte ein metaphysisches Verständnis dieser Differenz dadurch erschwert werden, daß sich aus der Hjemslevschen Unterscheidung zwischen einer Ausdruckssubstanz und einer Ausdrucksform (auf der Seite des Signifikanten) und einer Inhaltssubstanz und einer Inhaltsform (auf der Seite des Signifikats) kaum noch - unter dem Titel der Substanz - ein einheitlicher bzw. klassisch-metaphysischer Materiebegriff gewinnen ließe. Aber andererseits ist klar, daß eine Darstellung wie die vorliegende, die sich, zugegebenermaßen, an einem introspektiven Begriff des Psychischen orientiert, zumindest einen der in der klassischen Metaphysik kurrenten Binarismen - da sie von ihm ausgeht und, in einer Theorie der Über-Setzung, auch von ihm ausgehen muß - nicht aufzuheben oder zu reduzieren vermag, einen Binarismus, an dem auch die Unterscheidung zwischen (materiellem) Signifikant und (immateriellem) Signifikat grundsätzlich gebunden bleibt. Es ist der Binarismus von Innen und Außen, genauer: der Binarismus zwischen der Introspektion, in welcher ich selbst meiner eigenen psychischen Akte unmittelbar derart bewußt werde, daß ich sie zunächst in keiner Weise räumlich zu verorten weiß (eben das macht ihre Immaterialität aus), und der Extrospektion, in welcher ich diese Akte nicht nur, wie es die vorliegende Darstellung anstrebt, als in raum-zeitlichen Konstellationen vermittelt wissen, sondern sie mir - bedingt durch die Fortschritte in der neurophysiolgischen Forschung - gleichsam auf dem Bildschirm des Elektroenzephalogramms auch "anschauen" kann (aber eben nicht, und das ist entscheidend, in der Form, in welcher ich mir dieser Akte ursprünglich inne geworden bin oder inne werde). Genau an dieser Stelle aber - an welcher, wie man sieht, die philosophische Problematisierung allererst in Gang kommt und die Neurophysiologie und die Neuroanatomie bereits ihre Ergebnisse präsentieren - zeigt sich eine eigentümliche Konvergenz. Denn auch die Gehirnforschung muß auf ihrer Suche nach dem "missing link" zwischen Gehirn und Geist schließlich feststellen, daß »die neurale Information, die das Verhalten steuert, ... eine nichtphysikalische [sprich immaterielle, - C.K.] Eigenschaft von physikalischen bzw. physiologischen [sprich materiellen, C.K.] Eigenschaften (ist) und ... daher eine eigene funktionale Realität besitzt.« Oder, in anderer Formulierung: »Es sind die .. verobjektivierbaren organischen Funktionen von den mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht verobjektivierbaren, d.h. nicht direkt an den Gehirnereignissen beobachtbaren kognitiven Funktionen zu unterscheiden.« (Erhard Oeser/Franz Seitelberger, Gehirn, Bewußtsein und Erkenntnis, Darmstadt 1995, S.116 und S.214) Damit aber schließt sich nun der Kreis: Denn wenn, wie Oeser und Seitelberger annehmen, die Neuroepistemologie »der Versuch des menschlichen Geistes (ist), durch die Erfassung des Gehirns sich selbst zu erkennen« (ebd., S.152), so ist auch dieser Versuch, wie weit er auch immer geht, eine faktische Übersetzungsleistung des Psychischen selbst, ein psychisches Phänomen, das ebenso - und in derselben Weise - zu analysieren, zu psycho-analysieren ist wie jedes andere auch. - Eben das aber verweist mich auf die Psychoanalyse. 3. Folgerungen Ich frage: Was treibt den Menschen (oder überhaupt einen Menschen) dazu, sich selbst in einem physiologischen Organ zu verorten (noch dazu in einem Organ, das ihm schließlich sagt, daß es nichts ist mit diesem Ort)? Und ich halte fest: Die philosophische Zugangsweise zum Psychischen muß nicht dem angeblichen organischen Grund, sondern der Phänomenalität dieses Phänomens gerecht werden. Das heißt, sie darf nicht - was immer wieder verführerisch ist - hinter dem jeweiligen Ausdruck von Psyche das suchen, was sie als "die" Psyche "des" Menschen (oder eines einzelnen Menschen) diesem bloß unterstellt, sondern sie muß das Psychische in diesem Ausdruck, oder noch schärfer als diesen Ausdruck selber zu verstehen lernen. Verstehen-lernen aber heißt hier selber: übersetzen-lernen; und dieses Übersetzen-lernen ist daher seinerseits ein psychischer Prozeß. Niemand anders als Freud ist es gewesen, der in seiner Theorie von der Lehranalyse und der der Übertragung und der Gegenübertragung so genau erkannt hat, was mit einem solchen Übersetzungsvorgang auf dem Spiel steht. Aber er hat mit eben derselben Schärfe auch erkannt, daß es zu einer zweiten Übersetzung, nämlich der des Analytikers, gar nicht kommen müßte, wenn nicht doch der ersten Übersetzung, der des Analysanden, etwas verborgen bliebe, das in der analytischen Situation selber übersetzt, also als ein dem psychischen Prozeß des Analysanden selber nichts Fremdes, sondern als sein Eigenes artikuliert werden muß. Damit scheint nun allerdings doch - entgegen meiner soeben formulierten Annahme die These verbunden zu sein, daß sich hinter dem psychischen Ausdruck etwas verberge: das eigentlich Psychische dieses Ausdrucks, und daß man eben deshalb dieses Psychische auch hinter diesem Ausdruck zu suchen habe. Aber das, was man da zu suchen hat - so zumindest verstehe ich Freud - ist selber gar nichts anderes als ein Ausdruck; und weil es dieser Ausdruck ist, der sich verbirgt, nämlich hinter dem Ausdruck dieses Ausdruckes, einer bestimmten Übersetzung einer anderen Übersetzung, deshalb müssen in der analytischen Situation auch bestimmte Vorkehrungen getroffen werden, damit dieser Ausdruck sich zu artikulieren und damit Geltung zu schaffen vermag. Über diese "Methode" der analytischen Praxis (die, wie man sieht, sich von einer wissenschaftlichen Methode schon allein dadurch unterscheidet, daß es hier v.a. der "Gegenstand" ist, der spricht, und nicht der Analytiker selbst) möchte ich an dieser Stelle nur sehr wenig sagen. Daß es vornehmlich die Lautsprache des Analysanden ist, auf die sich die Analyse konzentriert, und daß es auch nicht - was man vielfach übersieht - ein eigentlicher Dialog ist, was sich da zwischen Analysandem und Analytiker abspielt (in dem dann z.B. auch die Mimik und Gestik des Analysanden sich in denen des Analytikers zu reflektieren vermögen), das hat mit einer bestimmten entwicklungstheoretischen, aber auch topologischen Auffassung darüber zu tun, wie die eine Übersetzung die andere zu verdrängen vermag und dadurch zu einer Überbesetzung führt, in die das selber sich je schon übersetzende Subjekt sich verstrickt. Worauf es mir hier ankommt, ist allein, daß offensichtlich jener "Gegenstand", von dem wir unter Voraussetzung einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise sprechen müßten, gar kein wirklicher spezifizierter Gegenstand ist, sondern ein derart individueller und besonderer (Lacan sagt: Die Psychoanalyse ist eine Erfahrung des Besonderen), daß jedes noch so diffizil formulierte Gesetz, jedes noch so subtil arrangierte Experiment diesen Gegenstand nicht - wie man so schön sagt - zu "fassen" bekäme; und daß mithin die Methode des Zugangs zu diesem "Gegenstand" nicht eigentlich - wie in der Wissenschaft - eine Methode zur Untersuchung dieses Gegenstandes ist, sondern ein Set von Vorkehrungen, mittels derer die Verstrickungen möglicher Übersetzungen gelöst, also - denn wir sind und bleiben psychische Wesen - anders übersetzt werden müssen. Die Verstrickungen der Wissenschaft müssen psychoanalysiert, und die Philosophie muß in eine Psychoanalyse übergehen, die sich selbst analysiert.