Sprecherin - Bayerischer Rundfunk

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Schulfunk
Bayern2Radio, 13./15.2.2001
Manuskript
An der Todesgrenze – Leben in extremer Umwelt
3. Taschenlampe in der Tiefsee
Autor: Florian Hildebrand
Redaktion: Petra Herrmann
O-TON C 1 Stetter 3:
Wenn man im offenen Ozean taucht, also z.B. zwischen Afrika u Florida, da ist das Wasser
völlig klar, und wenn man runtertaucht 400 m, da geht immer noch Licht runter, aber dann
wird‘s wirklich stockdunkel, und in 4.000 m Tiefe machen wir dann unsere Scheinwerfer an,
4.000 Watt, wir schieben dann 20 m über Grund dahin, manchmal gehen wir auch runter und
setzen uns auf den Grund hin, da gibt es eine ganze Menge Fische, also wir haben nicht nur
Mikroben gesehen, es gibt große Fische. Wir haben einen Leuchtfisch gesehen, der war 4, 5 m
lang, und eine ganze Menge schlangenförmiger Fische, Tiefseefische, also das ist wirklich
ganz aufregend
Extremadurum:
Die paar Tiefseefische, papperlapapp. Wir sind da unten viel wichtiger. Wir sind überall, in
der Kälte, in der Wüste und natürlich auch in der Tiefsee. Wer wir sind? Gestatten,
Extremadurum, Eobacterium extremadurum. Genau: extrahart. Müssen wir auch sein, bei dem
Wasserdruck. Sie werden sich noch wundern, was wir da unten alles machen.
Sprecherin:
Der Regensburger Mikrobiologe Karl Otto Stetter ist mit dem amerikanischen Tauchboot
Alvin hinabgeglitten in eine schwarze und sehr merkwürdige Welt. Das tun wir jetzt auch, in
einer sicheren Radio-Kapsel und mit starken akustischen Scheinwerfern, (PLATSCH) die
werden uns die letzten unbekannten Horizonte dieser Erde beleuchten (PLATSCH). Wir
kommen in eine uralte Welt, die allenfalls ein paar Dutzend Menschen kennen gelernt haben
und auch das auf höchstens einer Stippvisite. Der Kosmos tief unter der Meeresoberfläche ist
riesig, der größte Lebensraum des Planeten überhaupt und nahezu unerforscht.
Zitator:
Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht,
Sprecher:
...hatte der Philosoph Friedrich Nietzsche erkannt. In der Tat, die größte Tiefe liegt bei über
14.000 Metern unter der Meeresoberfläche. Jules Verne hatte in seinem Roman “20000
Meilen unter den Meeren” so seine Vermutungen, was da unten alles kreucht und fleucht:
Zitator:
Das Meer allein, das sich nie verändert, könnte in seinen unermesslichen Tiefen noch einige
Warenmuster der urzeitlichen Schöpfungen enthalten.
Sprecherin:
Wir sehen uns das an und fahren hinunter; bei tausend Meter hält die Radiokapsel ruckartig
an. Da vorne halb im Kegel unseres Scheinwerfers bewegt sich ein riesiger Schatten. Das
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wird doch nicht eins jener seltenen Wesen sein, die Jules Verne zu Beginn seiner Reise
“20.000 Meilen unter dem Meer” zu treffen hoffte?
Zitator:
Vielleicht finden sich auch heute in den unerforschlichen Tiefen noch Mollusken von
unbeschreiblicher Größe. Die Tiere der Urzeit hatte der Schöpfer in gigantische Formen
gegossen, erst vom Verwitterungsprozess der Jahrmillionen wurde ihr Ausmaß reduziert.
Sprecherin:
Die Tiefsee ist der ursprünglichste Lebensraum der Erde. Mochten an der Oberfläche die
Kontinente auseinander treiben, die Meteoriten einschlagen und fast alles Landleben
auslöschen, mochte das Klima mal wärmer, mal kälter werden, die Eiszeiten kommen und
gehen, mochten die Saurier aussterben, die Säugetiere immer größer werden – in der Tiefe des
Meeres herrschte und herrscht ewige Ruhe und kühle Finsternis. Allenfalls
Meteoritenbeschüsse brachten Wirbel in die ewige Monotonie.
Sprecher:
In diesem abgeschlossenen schwarzen Universum leben Tiere fort, die bereits das Erdaltertum
vor über 500 Millionen Jahren geboren hatte, Krebse, Muscheln und sonstige Weichtiere, und
darunter auch er: Archeteuthis.
Sprecherin:
Die Ahnengalerie dieses Riesenkraken ist beeindruckend, sie geht über eine halbe Milliarde
Jahre zurück. Meereszoologen finden keine Tiergruppe, die sich länger auf der Erde gehalten
hat. Archeteuthis hat es immerhin zu so gewaltigen Ausmaßen gebracht, dass er selbst dem
Kampf mit dem Pottwal nicht aus dem Weg geht.
O-TON C 2 Pörtner 2:
Diese Riesenkraken sind eigentlich Kosmopoliten, d.h. sie kommen in vielen Weltmeeren vor,
aber es gibt Bereiche, in denen sie in relativ hoher Dichte vorkommen, wo sie vielleicht näher
an die Wasseroberfläche herankommen als anderswo; mir fällt gerade ein, der Bereich vor
Neuseeland, wo es gerade Versuche gibt, ihrer habhaft zu werden u zwar in einer Weise, dass
man d Tiere in ihrer Lebensweise beobachtet; bisher hat man das nicht tun können, weil die
Tiere in einer Tiefe von 1000, 1500 m vorkommen und die noch lebenden Exemplare, die
man gesehen hat, waren sterbend, als sie an die Wasseroberfläche kamen, weil dort die
Temperaturen für die Tiere oft zu hoch sind.
Sprecherin:
Hans-Otto Pörtner ist Kraken-Spezialist am Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung in
Bremerhaven. Einen ganzen, lebenden Archeteuthis hat noch niemand gesehen. Deswegen
wollen amerikanische Wissenschaftler jetzt vor der neuseeländischen Küste auf tausend Meter
Tiefe nach Archeteuthis fahnden. Ein abenteuerliches Unterfangen, denn selbst ein 40 Meter
großes Ungetüm in den unendlichen Weiten der Tiefsee aufzuspüren, ist nur mit
unglaublichem Glück zu schaffen.
Sprecher:
Der Riesenkrake hat aber Spuren hinterlassen, und die sitzen auf Pottwalen. Es sind
kreisrunde, tellergroße Narben, Zeugen von Kämpfen zwischen den Meeresgiganten. Einige
wenige Male verfingen sich Archeteuthen in Fischernetzen, wurden mit der übrigen Beute
hochgezogen und gingen dabei ein; 18 Meter lang waren sie. Einige Tentakelteile, die man
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ebenfalls gefunden hat, lassen aber darauf schließen, dass die Tiere offenbar eine Länge bis zu
40 Metern erreichen können. Wie kommt der Riesenwuchs zustande?
O-TON C 3 Pörtner 5:
Das ist eine interessante Frage, die generell derzeit noch relativ ungeklärt ist. Es gibt im
kalten Wasser Formen, die zum Gigantismus neigen... Es wurde diskutiert, dass das mit dem
Alter der Organismen zu tun hat, dass Tiere in kalten Gewässern größer werden, weil sie älter
werden und ihr Leben lang wachsen. Eine neuere Arbeit, die mir in diesem Zusammenhang
einfällt, bezieht sich auf die Sauerstoffverhältnisse in den verschiedenen Bereichen des
Meeres. In kalten Gewässern ist physikalisch mehr Sauerstoff gelöst, es ist leichter für die
Tiere, an den Sauerstoff heranzukommen und sie könnten deswegen größer werden.
Extremadurum:
Stellt euch mal vor, unsere Tiefsee-Kollegen machen das auch so. Die kämen dann so
millimeter- oder sogar zentimetergroß daher. Bakterien! Würde euch wohl einen ziemlichen
Schrecken einjagen, schätze ich. Also was sich diese Kraken so rausnehmen...
Sprecherin:
Bei 1.000 Meter Tiefe lassen wir uns jetzt in ruhigere Gefilde absinken...zweitausend
Meter...dreitausend Meter...
Sprecherin:
4.000 Meter! Hier kocht und brodelt es, und unser Tauchboot wird ordentlich
durchgeschüttelt, dass einem ganz bange werden kann. Und das in der schwärzesten Nacht der
Tiefsee, wo absolut nichts zu erkennen ist. Wir schalten daher unsere akustischen
Scheinwerfer an, und – haben eine merkwürdig bizarre Landschaft vor uns. Vom Boden
wachsen haushohe Schlote auf, Kamine, aus denen es schwarz herauskocht. Eine ziemlich
ungemütliche Ecke.
Sprecher:
Hier reiben sich die Kontinentalplatten der Erdkruste aneinander. Magma tritt aus dem
Meeresboden heraus; im Untergrund verschwindet Meereswasser und kommt mit ungeheurem
Druck durch die Schlote wieder heraufgeschossen. Vor uns ist allerdings schon der
Mikrobiologe Karl-Otto Stetter hier gewesen.
O-TON C 4 Stetter 7:
Dort kommen Wassertemperaturen vor mit über 300 Grad,
Sprecher:
Da müsste das Wasser eigentlich längst verdampft sein, aber:
O-Ton C 4 Stetter
durch den enormen Druck in der Tiefsee ist dort das Wasser noch flüssig und aufgeheizt wird
es durch die Erdwärme, praktisch im Erdmantel, und da bilden sich Heißwasserkamine, und
auch da drinnen gibt es ganz viele von den superheißen, hyperthermophilen Archaebakterien,
die man dann für alle möglichen wissenschaftlichen und dann auch praktischen
Fragestellungen einsetzen können.
Sprecherin: ‚
Hyperthermophile Archaebakterien‘ hat Stetter gerade gesagt. ‚Hyper-thermo-phil‘...Manche
Bakterien mögen es also offenbar ganz besonders heiß und wagen sich sogar an vulkanische
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Quellen heran. ‚Archäbakterien‘ heißen sie, ‚archä‘ – ziemlich urtümlich scheinen sie also zu
sein.
Sprecher:
Licht und Sauerstoff haben und brauchen die Archäbakterien für ihren Stoffwechsel nicht hier
unten; was sie an Mineralien benötigen, entnehmen sie dem heißen Wasser, das aus dem
Erdinneren durch die Schlote schießt und satt von Schwefel ist. Für diese Mikroorganismen
gibt es überhaupt nichts Vergleichbares in der gesamten Biologie: sie fühlen sich erst bei
mindestens 100 Grad Hitze wohl. Das Erstaunliche dabei ist: trotzdem bestehen die
Archaebakterien aus den gleichen Eiweißstoffen, wie z.B. das Hühnerei. Normalerweise
würden diese Eiweiße 100 Grad nicht aushalten; schon bei 60 Grad verschrumpeln sie.
Extremadurum:
Da staunt ihr! Was wir alles können. Hat übrigens noch keiner richtig herausgebracht, wie wir
das machen. Und ich werd‘ das hier auch nicht verraten.
Sprecherin:
Mit unserem Tauchboot entfernen wir uns jetzt von dieser geologischen Aufruhr in der
Tiefsee. Doch quasi gleich um die Ecke wartet schon die nächste Überraschung. Hier ist das
Meerwasser nicht mehr kochend heiß, sondern nur noch tropisch warm, aber das – wie gesagt
- bei immerhin 4.000 Metern Tiefe, wo die Temperatur normalerweise bei gerade einmal 1,4
Grad liegt. Da sehen wir im Kegel unseres Scheinwerferlichts meterhohe Röhren vom Boden
her sich leicht im Wasser wiegen.
Sprecher:
In der Nähe der heißen Quellen leben erstaunlich viele und unterschiedliche Tiere. Sie sind
auf Bakterien angewiesen, die für sie anorganisches Material verdaulich machen. Der
Hamburger Meeresbiologe Hjalmar Thiel war einmal unten und hat sich eine solche Kolonie
an Ort und Stelle angesehen.
O-TON C 5 Thiel 4:
Das Aufregendste waren die Gruppen der Bartwürmer, die dort unten in ganz besonderer
Größe vorkommen. Es gibt dort Krebse, festsitzende Krebse, Schnecken, Muscheln, die in
den speziellen Bereichen ganz besonders groß werden und die dort auf der Basis dieser
Bakterien leben. Es sind Fische dabei gewesen und also wirklich sehr viele neue Tierarten
sind da gefunden worden. Die Muscheln z.B. haben die Größe eines Handtellers von einem
Mann.
Sprecher:
Diese Tierarten werden also auch riesengroß, aber aus ganz anderen Gründen als der
Riesenkrake. Der vulkanische Untergrund setzt eine ungeheure Menge Energie in Form von
Mineralien frei und die futtern die Tiere mit Hilfe der Bakterien. Ansonsten ist die Tiefsee
nämlich außerordentlich karg an Nährstoffen.
Extremadurum:
Na, hab ich’s nicht gesagt? Wir zaubern hier. Sonst wär‘ die Vulkangegend nämlich öd und
leer. Tot. Aber wir bringen Leben in die Bude.
Sprecherin:
Nach all diesen unerwarteten und aufregenden Entdeckungen auf 4.000 Meter lassen wir uns
zum nächsten Horizont hinunter: 6.000 Meter. So tief liegt gewöhnlich der Meeresboden des
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Pazifischen Ozeans. Wir aber schweben in Richtung Mariannengraben, der knapp doppelt so
tief ist. Dort ist bei 6.000 Metern freier Ozean. Auf dem Weg dorthin tauchen wir ein in eine
schweigende, leuchtende und bizarre Tierwelt. Wir treffen die abenteuerlichsten und
märchenhaftesten Gestalten.
Sprecher:
Streng genommen sind alle Tiergruppen vorhanden, die es auch sonst im Meer gibt, im
Atlantik z.B. in der Ostsee, im Mittelmeer. Aber Thomas Soltwedel vom
Alfred-Wegener-Institut ist doch überwältigt davon, wie reich die Tiefsee an Arten ist.
O-TON C 6 Soltwedel 12:
Basierend auf Untersuchungen entspricht die Artenvielfalt nach der Anzahl der Arten der des
tropischen Regenwaldes, sie ist immens. Jedes Mal, wenn wir `rausfahren, finden wir
automatisch neue Arten.
Sprecherin:
Seit zwei Jahrzehnten boomt die Meeresbiologie: man fährt mit hochgerüsteten
Forschungsschiffen hinaus, lässt druckfeste Tauchboote und selbstfahrende Kameras hinunter,
die auch die schwärzeste Tiefe aufhellen. Die Wissenschaftler wollen wissen, was sich im
größten Lebensraum der Erde tut. Und sie wollen ihn ausbeuten. Sie möchten vom
Meeresboden Bodenschätze heraufholen und Organismen mit besonderen Eigenschaften
aufspüren, die sich technisch verwerten lassen.
Sprecher:
Gleichwohl ist die Tierwelt immer noch auch nicht annähernd bekannt, geschweige denn im
Detail beschrieben. Daher entdecken die Tiefseeforscher jedes Mal, wenn sie hinunterfahren,
beinahe zwangsläufig neue Arten.
O-TON C 7 Soltwedel 13:
Generell kann man sagen, dass bevorzugt kleine Tiere dort vorkommen. Das liegt daran, dass
die Nahrungssituation in der Tiefsee ganz anders ist als in Flachwasserbereichen.
Sprecher:
Wenn sie nicht andere Meeresbewohner fressen, müssen die Tiere auf das organische Material
warten, das von der Oberfläche zu ihnen hinabschwebt. Tief unten ist davon aber meist nicht
mehr viel übrig, denn in sämtlichen Stockwerken der See warten Lebewesen auf all das Gute,
was von oben kommt. Den Untermietern im letzten Keller bleibt da kaum mehr etwas.
Sprecherin:
Die Tiefsee wimmelt nicht von Tieren, dazu gibt es viel zu wenig zu fressen. Wer einmal eine
Beute am Schlafittchen hat, darf sie nicht entwischen lassen. Wer weiß, wann die nächste
vorbeikommt.
Extremadurum:
Wunderbar, jagen in der Stockfinsternis. Und sonst, warten auf die paar Segnungen, die von
oben kommen? Tolle Tiefsee, Riesen-Lebensraum, aber nichts zu fressen. Das wäre‘ nichts
für mich. Gott sei Dank sind wir Bakterien auf diese Brosamen vom Tisch der Reichen da
oben nicht angewiesen.
Sprecher:
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Genau gesagt, nimmt der Wasserdruck pro zehn Meter Tiefe um eine Atmosphäre zu. In
6.000 Meter Tiefe herrscht also der ungeheure Druck von 601 Atmosphären, das ist die eine
Atmosphäre, die an der Oberfläche bereits herrscht, aber die Tiere, die auf diesem Horizont
leben, scheint das kaum zu bedrücken.
O-TON C 8 Soltwedel 16:
Die Tiere betreiben Druckausgleich da. Sie verzichten auf gasgefüllte Körperhöhlungen, also
die Schwimmblase wird zurückgebildet, und bei eigentlichen Tiefseefischen ist sie gar nicht
mehr vorhanden.
Sprecher:
Gasgefüllte Körperhöhlungen würden unter dem Druck der Wassersäule unweigerlich
zerplatzen. Schwimmende Wassertiere brauchen aber so etwas wie eine Schwimmblase; sie
gibt ihnen Auftrieb, damit sie nicht auf den Meeresboden sinken. Wenn sie also auf eine
eingebaute Luftmatratze verzichten, wie schaffen es die Tiere dann, trotzdem unbeschwert im
Wasser zu schweben?
O-TON C 9 Soltwedel 17:
Das wird gewährleistet durch andere Körperflüssigkeiten, z.B. Fette, die eingelagert werden,
da haben sie dann die Möglichkeit, im Wasser zu schweben.
Sprecher:
Das heißt: Gas raus und Fett rein in die Schwimmblase. Oder andere ölige Substanzen. Denn
die sind leichter als Wasser, deswegen drängt es sie nach oben. Aber sie geben dem
Wasserdruck nicht nach.
Die Tiere haben sich aber noch etwas Anderes ausgedacht, wie sie dem Wasserdruck
ausweichen. Sie schwabbeln nicht wie ein Plattfisch durch die Tiefsee, sondern schwimmen
schlank und hochaufgerichtet ihres Wegs. Da hat die Wassersäule nicht soviel Angriffsfläche.
Mit Panzern bewehren sich nur Tiere, die am Meeresboden herumkriechen.
Extremadurum:
Na, das wär‘ was, wenn alle Viecher einen Panzer um sich rumbauen. Mit euren Rittern war’s
doch genauso: wenn da einer mal vom Pferd geflogen ist, lag er am Boden und ruderte auf
dem Rücken wie ein Käfer. Aber allein hochgekommen ist er nicht mehr.
Sprecherin:
Langsam geht es jetzt mit dem Tauchboot in noch tiefere Horizonte hinab. Vor dem Bullauge
ziehen gelegentlich in der Schwärze zartleuchtend schimmernde, sehr fremde und unwirklich
anmutende Erscheinungen vorüber. Da taucht aus dem Dunkel z.B. eine immateriell wirkende
Wolke von unendlichen vielen Leuchtbakterien auf. Etwas weiter steht ein zerbrechlich
wirkendes Gespinst im Wasser. Es sieht aus wie die von oben betrachteten vielen kleinen
Lichtpunkte einer entfernten nächtlichen Stadt aussieht, ein durchsichtiger und sehr fragiler
Organismus ohne Haut und Knochen.
Sprecher:
Sogenannte Staatsquallen sind das. Es ist ein Megaorganismus von winzigen und ganz
unterschiedlichen transparenten Polypen. Wie Ameisen teilen sie sich die Arbeit: manche
Individuen durchkämmen das Wasser nach Nahrung, andere erledigen die Verdauung, wieder
andere beleuchten den ganzen Staat und noch einmal andere sorgen für den Nachwuchs.
Allein hätten die Minipolypen in einem so beutegierigen wie riesigen Lebensraum der Tiefsee
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keine Chance; zu Tausenden und Abertausenden verhakt beeindrucken sie als
Großveranstaltung ihre Fressfeinde und finden im Verband eher Nahrung.
Sprecherin:
Fast alle Tiergruppe in der Tiefsee leuchten. Nicht dauernd, sondern je nach Bedarf. Droht ein
Feind, schalten sie ihr Licht aus. Sind sie auf ein Liebes-Techtelmechtel aus oder wollen sie
Beute anlocken, strahlen sie in voller Schönheit. Biolumineszenz nennt Thomas Soltwedel
das:
O-TON C 10 Soltwedel 18:
Das wird allgemein erklärt, dass die Biolumineszenz hervorgerufen wird durch Bakterien, die
der Organismus in sich trägt und die eben unter Ausnutzung von der Energie, die das
Wirtstier liefert, dieses Leuchten hervorruft.
Sprecher:
Die Wirtstiere haben die Leuchtbakterien wie elektrische Birnen in ihrem äußeren
Hautgewebe eingelagert. Liefern sie den Mikroorganismen Strom in Form von Nahrung,
schalten die ihr Licht an. Wollen sie wieder Dunkelheit, knipsen sie einfach den
Essensschalter aus.
Extremadurum:
Hab ich’s euch nicht gesagt? Ohne uns geht in der Tiefsee nichts. Wir leuchten den Viechern
da unten heim. Manche machen da auch ihre Spielchen. Kommt der böse Feind, machen sie
das Licht aus, schwimmen ein Stück und machen es dann wieder an. Kommt der Feind nach,
wird’s wieder finster und drüben hell. Das geht solange, bis der Gegner endlich merkt, dass er
an der Nase herumgeführt wird. Oder: da spreizen die Tiere extra Arme, Beine, Fühler,
Tentakel oder Stachel weit von sich. Wir sitzen am Ende und müssen dann strahlen, was geht.
Da erschrickt der Jäger: meine Fresse, das Viech ist ja ne Nummer zu groß für mich und zieht
Leine. So führen wir die Brüder hinters Licht.
Sprecherin:
So, nun lassen wir uns die letzten Meter hinunter in die tiefste Tiefe, ‚vom Abyss zum Hades‘,
hat Jaques Piccard einmal gesagt, auf den Grund des pazifischen Marianengrabens.
Sprecher:
Jaques Piccard tauchte als erster 1962 mit seiner Metallkugel “Trieste” in eine bis heute nicht
mehr erreichte Tiefe von über 11.000 Meter hinunter. Der Boden, erzählt er, war “hell und
klar, eine Wüste von zimtfarbenem Schlick”. Das erste, was Picard entdeckte, war ein
Plattfisch, etwa 30 Zentimeter lang. Der starrte die Tauchkugel mit seinen runden Augen
etwas verwundert an und zog dann gemächlich von dannen.
Sprecherin:
Piccard merkte an dieser Begegnung: in 11.000 Metern ist die Tierwelt auch nicht exotischer
als in 3.000, 6.000 oder 9.000 Metern. Je tiefer die Tiere leben, desto kleiner werden sie und
desto seltener kommen sie vor.
Sprecher:
Auf dem Meeresboden hausen zum Beispiel Fadenwürmer und Bärtierchen, das sind winzige,
aber sehr merkwürdige Gestalten mit acht Beinen, Krallen und einem Saugrüssel.
Extremadurum:
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Und von uns gibt es etliche. Die brauchen keinen Sauerstoff, sondern kommen mit Nitrat aus
und machen daraus Stickstoff. Und den Stickstoff brauchen die Pflanzen weiter oben. Ihr seht,
ohne uns geht nichts, auch im Meer nicht, wir halten den ganzen Stoffkreislauf des Meeres in
Schwung und...
Regie (unterbricht):
Das wissen wir schon. Wir müssen jetzt Schluss machen. Musik!
Sprecherin:
Steigen wir nun von 11.000 Metern Tiefe langsam wieder in Richtung Oberfläche. Wenn wir
uns erinnern, was alles vor unserem Bullauge vorüber gezogen ist, muss uns bewusst sein: das
waren allenfalls wenige Bergspitzen eines Kontinents, der immer noch im Dunkeln liegt. Erst
in diesem Jahrtausend wird er wohl richtig entdeckt.
© Bayerischer Rundfunk, 2001
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