1 Bayreuth, den 29.5.16 1. Johannes 4,16-21 Liebe Gemeinde! Um Liebe geht es hier in den Worten, die ich eben vorgelesen habe. Liebe, das ist das größte Sehnsuchtswort. Nach Liebe sehnen wir uns alle. Pfarrer Busch erzählt einmal von einem alten Mann. Der lebte in einem Altenheim. Und Busch besuchte ihn immer wieder mal. Der alte Herr war nicht glücklich. Die Frau war schon gestorben, die Tochter verheiratet und besuchte ihn nicht. Eines Tages hatte der alte Mann eine neue Wolljacke an. „Die ist aber schön warm. Wo ist denn die her?" „Von meiner Tochter." „Hat sie Ihnen ein Paket geschickt? Das ist aber nett." „Ja", erwidert er, „sie sorgt schon für mich, wie es nötig ist, da kann ich nicht klagen. Es war allerhand Schönes in dem Paket, aber ..." Busch unterbricht ihn. „Das ist doch fein, da gibt's doch kein Aber!" Er will sich abwenden. Der Pfarrer hält ihn fest: „Nun sagen Sie mir, was Sie am Paket Ihrer Tochter auszusetzen haben!" Da schaut er Busch unendlich bitter und traurig an und sagt: „Es war keine Liebe drin!" Nach Liebe sehnen sich die alten Menschen in den Seniorenheimen wie jener Mann, von dem Pfarrer Busch erzählt. Sie brauchen nicht nur gute äußere Versorgung. 2 Sie brauchen auch Zuwendung, Liebe. Nach Liebe sehnen sich unsere Kinder und unsere manchmal so kratzbürstigen Teenager. Sie brauchen keine Vorwürfe sondern Verständnis, eben Liebe. Nach Liebe sehnen sich Frauen. Deshalb schauen sie ja so gerne die Filme von Rosamunde Pilcher oder Inga Lindström. Auch wenn wir Männer versucht sind, bei solchen Liebesfilmen zu denken: "So ein romantischer Kitsch!" Unsere Frauen brauchen nicht unsere überheblichen Frotzeleien. Sie brauchen tatsächlich immer mal ein wenig Romantik. Sie brauchen es, dass wir sie in den Arm nehmen und zu ihnen sagen: "Ich liebe dich!" Auch wenn solche Sätze uns Männern vielleicht schwer über die Lippen kommen wollen. Und auch wir Männer brauchen Liebe. Auch wenn wir uns schwer tun, das zuzugeben. Auch wenn wir oft so cool tun, so sachorientiert reden und zumindest versuchen, uns von unserem Verstand und nicht von unseren Gefühlen leiten zu lassen. Auch wir brauchen echte Anerkennung oder ein Mut machendes Wort. Auch wir brauchen Liebe. Deshalb fordert hier Johannes in unserem Predigtabschnitt auf: "Lasst uns lieben!" Wie ein roter Faden zieht sich dieser Begriff "Liebe" durch seinen Brief. Dieses Wort "Liebe" zieht sich auch durch sein ganzes 3 Leben. Man erzählt von Johannes, dass er am Ende seines langen Lebens, schon in großer Schwäche, immer wieder die Christen dazu aufrief: "Liebt einander!" Die Liebe war für ihn das Größte. Woher kommt diese Faszination für die Liebe? Antwort: Weil er von Gott fasziniert ist, der selber Liebe ist. Gott ist die Liebe, schreibt er. Das klingt wie eine mathematische Gleichung. Wenn ich Gott sage, sage ich im gleichen Atemzug auch Liebe. Das ist ein herausfordernder Satz: Wenn du Liebe suchst, dann suche sie bei Gott. Dort bei ihm findet du sie sicher. So lautet die Botschaft der ganzen Bibel, im Neuen wie auch im Alten Testament. Im Koran, der heiligen Schrift der Muslime, ist das ganz anders. Dort wird Gott nicht als der beschrieben, dessen Wesen Liebe ist. Allah ist zu fürchten, ihm muss man gehorchen. Allah liebt nicht. Gott ist Liebe. Ich weiß: So manche moderne Menschen zweifeln an dieser Aussage. Sie weisen auf die vielen schrecklichen Dinge hin, die Tag für Tag passieren, Kindesmissbrauch, Vergewaltigungen, Krieg, Mord, Folter, Entführungen, das qualvolle Sterben durch schlimme Krankheiten. Und sie fragen: Warum? Kann das ein Gott der Liebe sein, der das zulässt? In der Bibel beschäftigt sich mit dieser Frage das Buch 4 Hiob. Hiob war fromm und gottesfürchtig. Trotzdem wurde ihm in einer Nacht sein Reichtum und alle seiner Kinder genommen. Später litt er an einer schlimmen Krankheit. Warum? So kann man natürlich fragen. Das Buch Hiob gibt darauf keine Antwort. Aber es weist auf Gott hin. Der sich dem Hiob zeigt und mit ihm redet. Aber Hiob erhält keine Antwort auf die Frage nach dem "Warum?". Sondern dieser bekommt von Gott nur zu hören: Ich habe diese Welt geschaffen mit erstaunlichen Tieren wie dem Krokodil und dem Nilpferd. Ich bin der Allmächtige und ich weiß, was ich tue. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich keinen Fehler mache. Ja, Gott ist oft geheimnisvoll und rätselhaft. Aber er ist trotzdem Liebe. Es gibt so viel Schlimmes in dieser Welt, und oft auch in unserem Leben. Aber das ist ja nicht alles. Es gibt auch eine gute und heilende Wirklichkeit in dieser Welt. Gott kann auch aus etwas Bösem etwas Gutes machen. Ich denke an Dave Roever. Der war im Vietnamkrieg und ist dort furchtbar verwundet worden. Alles Fleisch seiner rechten Gesichtshälfte war völlig verbrannt. Er sah aus wie ein Zombie. Seine Frau hielt zu ihm, trotz seines entstellten Aussehens. Die Liebe seiner Frau und sein Glaube an Gott halfen ihm aus seiner Verzweiflung. 5 Die Ärzte haben versucht, ihm ein halbwegs menschliches Aussehen zu verleihen. Durch unzählige Operationen. Dave erzählte überall seine Geschichte. Besonders junge Leute und auch Randsiedler, Punks, Skinheads, Junkies, hingen an seinen Lippen. Heute ist Dave ein bekannter Jugendpfarrer. Wo Menschen auftreten, schöpfen Menschen Mut und Zuversicht. Diesem Mann nahmen sie es ab, wenn er von Glaube, Hoffnung und Liebe sprach. Diesem Mann konnten sie glauben, dass es auch einen Ausweg aus ihrer Verzweiflung gab, dass es keine hoffnungslosen Fälle gibt. Gott ist Liebe. Das ist nicht nur ein dogmatischer Satz, den man ablehnen kann oder halt zu glauben hat. Nein, Gott ist erfahrbare Liebe. Viele Menschen, auch ich, haben diese Liebe erfahren. Sie haben Jesus kennengelernt, seine Liebe, seine Vergebung, seine Hilfen. Sie alle verbindet die gleiche Erfahrung: Durch Jesus haben sie zu Gott gefunden und seine Liebe erlebt. Ich denke an Eveline, die Gottes Liebe erfahren hat. Sie lebt in Berlin und hat alles ausprobiert: Marxismus, Yoga, Buddhismus. Seit kurzer Zeit ist sie Christin. Warum? Sie antwortete auf diese Frage: "Nur im Christentum begegnet mir ein Gott, der sich nicht zu fein ist, sich mit meinem Leben, meinem Versagen und meinem Schaden zu 6 befassen. Er kommt in eine armselige Krippe, in einen stinkenden Stall, zu einem verachteten Volk, lässt sich verhöhnen und foltern und stirbt … den übelsten Verbrechertod. Und das alles, um den Menschen zu zeigen, dass Gott sie liebt und will. Das habe ich nirgendwo anders gefunden." Gott ist Liebe. Am deutlichsten kommt uns die Wahrheit dieses Satzes in der Person von Jesus entgegen, in seinem Leben und vor allen Dingen in seinem Leiden und Sterben. Es ist eine Liebe, die nun nichts mit Sentimentalität und Romantik zu tun hat. Es ist eine Liebe, die Folter und Tod nicht scheute. Wir kennen die Kreuzigungsgeschichte: Da floss Blut. Da müssen wir entsetzliches Elend mit anschauen: den Todeskampf von Jesus. Da verblutet der Heiland am Kreuz. Davon zutiefst bewegt hat Tersteegen den Vers gedichtet: "Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart." Es ist eine Liebe, die alles für uns gegeben hat. Gott hat sich unter allen Umständen entschlossen, uns zu lieben. Sie bleibt uns treu. Daran brauchen wir nicht zu zweifeln. Das ist wichtig, festzuhalten. Denn es gibt viele Menschen, die zweifeln daran, dass Gott sie liebt. Es gibt junge Leute, die denken: "Meine Eltern waren nicht wirklich an mir interessiert. Ich selber mag mich auch nicht. Wieso sollte 7 Gott mich lieben?" Ich kenne auch so manche ältere Menschen. Die glauben an Jesus. Aber zweifeln daran, ob er sie wirklich lieb hat. Ich habe mit so manchem von ihnen gesprochen. Immer wieder habe ich solche Sätze wie diese gehört: "Ich kriege meine Probleme nicht in den Griff. Ich komme mit meinen Trieben nicht klar. Mein Temperament geht immer wieder mit mir durch. Ich habe mit meinen Süchten zu kämpfen. Da kann mich Gott doch nicht lieb haben. Da kann ich doch kein rechter Christ sein." Da muss ich immer wieder sagen: "Gerade solche Typen hat er lieb. Die, die in ihrem Leben immer wieder versagt haben. Gott ist Liebe, vergebende Liebe, barmherzige Liebe. Und sie hat einen Namen: Jesus. Wer dieser Liebe Glauben schenkt, der braucht keine Angst davor zu haben, dass Gott ihn straft, schreibt hier Johannes. "Furcht ist nicht in der Liebe." Wer an die vergebende Liebe Jesu glaubt, braucht nicht zu denken, wenn er wieder einen Fehler gemacht hat: Jetzt wird mich Gott strafen. Oder: Dieses Schicksal, diese Krankheit ist eine Strafe für mein Fehlverhalten. Alle Strafe für unsere Sünde hat Jesus am Kreuz getragen. Deshalb hält er an seiner Liebe fest, - auch wenn wir noch so viele Fehler machen. Paulus schreibt in seinem Römerbrief: "Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel 8 mächtiger geworden." "Furcht ist nicht in der Liebe." Johannes ist dieser Satz noch aus einem anderen Grund wichtig. Die Beziehung zu Gott ist eine Beziehung der Liebe. Sie ist keine Beziehung, die auf Angst beruht. Wer Angst vor Gott hat, der meidet das Böse, aber nicht, weil er Gott traurig macht. Sondern weil er Angst davor hat, Gott könnte es ihm heimzahlen, wenn er sündigt. Er tut das Gute aus einem Pflichtgefühl heraus: Gott will, da muss es halt tun, ob ich will oder nicht. Wer so seinen Glauben versteht, der lebt ein trauriges Christsein. Der gleicht dem älteren Bruder in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn. Er setzt sich für seinen Vater ein, schuftet für ihn, arbeitet bis zum Umfallen, tut alles für ihn. Habe ich eben gesagt: für seinen Vater? Nein, nicht für ihn, für sich selber hat er es getan! Diese Haltung tritt zu Tage, als sein jüngerer Bruder wieder auftaucht, und von seinem Vater wie ein König empfangen wird. Da bricht es aus ihm heraus. Er rechnet dem Vater vor, wie viel Mühe er sich gegeben hat. "Ich habe mich abgerackert für diesen Hof, ich habe mein ganzes Leben dem Vater gewidmet, habe Opfer um Opfer gebracht. Und was habe ich davon?" Das sind die Abgründe eines frommen Herzens. Der ältere 9 Sohn hat so viel gegeben, aber letztlich für sich selbst. Durch seine Schufterei hat er nur eines gewollt: Der Vater soll ihm etwas schulden. Der Vater soll in seiner Schuld stehen. Dem Älteren ging es nur um sich selbst. Wenn jetzt Johannes hier davon spricht, wie wichtig die Nächstenliebe ist, dann meint er nicht: Du musst noch mehr tun, noch mehr sozial tätig sein, noch freundlicher zu Leuten sein, die du gar nicht leiden kannst, noch mehr dich für die Gemeinde engagieren, noch mehr zu christlichen Veranstaltungen einladen. Darum geht es nicht. Johannes schreibt hier: "Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt." Er hat uns zuerst geliebt. Das wollen wir nicht vergessen. Damit wollen wir uns immer wieder beschäftigen und dafür danken, jeden Tag neu. Wir sind oftmals nicht deshalb so lieblos, weil wir uns nicht genug anstrengen, lieb zu sein, sondern weil wir uns oft zu wenig dessen bewusst sind, wie sehr Gott uns liebt. Diese Liebe trägt Sie und erträgt dich und mich, auch – und gerade dann - wenn du denkst, du verdienst sie gar nicht. Denn diese Liebe ist grenzenlos. Sie ist nicht klein wie eine Pfütze, die schnell austrocknet, sondern unendlich groß, wie das weite Meer. Auf diese Liebe warten auch die Menschen, mit denen Sie 10 zu tun haben: Ihr Nachbar, der Ihnen so sehr auf die Nerven geht, Ihr Kollege, der Sie nicht mehr grüßt, Ihre Kollegin am Arbeitsplatz, mit der Sie manchmal Probleme haben, Ihr Geschäftspartner, der mit Ihnen knallhart verhandelt, Ihre Eltern oder Kinder, zu denen das Verhältnis schon lange gestört ist, Ihr Ehepartner, mit dem Sie vielleicht schon lange nur noch nebeneinander herleben. Gottes Liebe ist in unserem Leben fassbar und erfahrbar. Sie befreit uns zur Gegenliebe ihm gegenüber und zur Liebe gegenüber unseren Nächsten. Diese Liebe bewirkt, dass unser Leben sich nicht andauernd innerhalb unserer von uns selbst eng gesteckten Grenzen bewegt, sondern weit wird. So weit, wie wir es selber uns nicht vorstellen konnten. Amen