Predigt von Pfr.in Griet Petersen zu Jeremia 20,7-11a anlässlich der Einführung und Verpflichtung von Vikar Norbert Ehrensperger in sein Vikariat in der Kirchengemeinde der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche am Sonntag Okuli, 11. März 2007 Liebe Gemeinde, “Ja” haben Sie, Herr Ehrensperger, heute gesagt. Ja zu dieser Gemeinde, diesem Beruf, tiefer noch gesagt: Ihrer Berufung. Ein Ja in Vorfreude, in Bereitschaft, kennenzulernen und sich einzubringen, ein Ja, das sich der Schwere und der Schönheit der kommenden Aufgaben in so manchem schon bewusst ist, während anderes noch mehr im Ungewissen liegt. Was wohl der zu diesem Anlass zu sagen hätte, dessen Worte uns allen zusammen heute zu hören und zu bedenken aufgetragen sind, der Prophet Jeremia nämlich? So wie wir ihn gleich reden hören, kann einem die freudige Stimmung durchaus ein wenig abhanden kommen. So lesen wir bei Jeremia im 20. Kapitel: 7 8 9 10 HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muß ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muß ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, daß ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht läßt er sich überlisten, daß wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Ein Ausbruch förmlich, den man nicht zurückgelehnt hören kann, die Worte springen einen geradezu an. Fast kommt mir Jeremia hier zu nah. Sein Innerstes kehrt er nach außen, nicht uns, sondern seinem Gott gegenüber. Doch sind diese Worte bewusst aufbewahrt, aufgeschrieben auch für uns - aber wozu? Um uns zu erschrecken, was dieser Gott mit einem anfangen kann? Du hast mich überredet, Herr - eigentlich: Du hast mich betört, verführt, gepackt, missbraucht - ich konnte mich nicht entziehen. Ein Gott, von dem ein gefährlicher Sog ausgeht, tatsächlich hier in einer Sprache angegriffen, mit der eine Frau einen Mann der Vergewaltigung anklagen könnte. Ich finde es geradezu gruselig, so von Gott sprechen zu hören, vielleicht hat Martin Luther deshalb auch nur so abmildernd vom Überreden Gottes gesprochen. Jeremia vergleicht sich mit einer verführten und missbrauchten Frau, und fällt damit ganz aus der Rolle des Propheten, der fest im Glauben seinen Mann steht. Schont sich nicht und seinen Gott auch nicht. Eine verzweifelte, verworrene Liebesbeziehung - Enttäuschung, Wut, Hass brechen aus dem Menschen hervor, der sich hier in seiner Liebe so bitter ausgenutzt vorkommt, nichts mehr steuern kann, ausgeliefert ist. Und sicher wäre es das Verkehrteste, wenn auch durchaus verständlich, sich nun als Reaktion darauf gleichsam verteidigend vor diesen Gott zu stellen und zu sagen: Jeremia, so darfst du doch von Gott nicht reden! Gott ist kein Vergewaltiger. So hast du das bestimmt nicht gemeint. So hat Gott das auch nicht gemeint. Gott meint es doch gut mit dir. Das würde Jeremia eher noch weiter in seine Verzweiflung stoßen. Solche Verzweiflung auszuhalten, einen Menschen in der Krise auszuhalten, das ist ja immer wieder auch Aufgabe derer, die als Haupt- oder Ehrenamtliche in der Seelsorge auch Begleiter in Krisensituationen sind. Aushalten, die Wut aushalten, den Hass auf Gott, der den geliebten Menschen hat sterben lassen, der die schreckliche, verzehrende Krankheit nicht abgewehrt hat. Aushalten und sich manchmal auch stellvertretend für unseren Gott mit beschimpfen lassen. Jeremias Erschöpfung und Wut rühren dabei nicht aus persönlichen Katastrophen her. Die prophetische Botschaft mit der Kritik an den Mächtigen, den Herrschenden, die er ausrichten muss in Gottes Namen, sie lässt ihn leiden, bringt ihn in gefährliche Situationen, er wird verspottet, verfolgt, kurz vor den überlieferten Worten veranlasst der Priester Paschhur, dass er geschlagen und in den Block geschlossen wird, weil er ständig Unheil für Israel weissagt. Weil er Frevel und Gewalt schreit und sich den Mund nicht verbieten lässt angesichts von Frevel und Gewalt ringsherum. Weil er den faulen Frieden stört und dauernd Unruhe stiftet. Lästig, dieser Jeremia. So wenig verbindlich. Unvernünftig. Ungeschickt. Aber er kann ja nicht anders. Wenn er schweigt, brennt es wie Feuer in ihm. Er würde vergehen, wenn er nicht das prophetische Wort ausrichtete. Und er ist nicht der erste und der letzte, dem es so erging. So schreibt Dietrich Bonhoeffer in seiner Londoner Predigt über Jeremia 20,7 im Jahr 1934: Tausende von Gemeindegliedern und Pfarrern sind heute in unserer Heimatkirche in der Gefahr der Unterdrückung und Verfolgung um ihres Zeugnisses für die Wahrheit willen. Wie wünschten sie oft, dass endlich Friede und Ruhe und Stille käme, wie wünschten sie oft, sie brauchten nicht immer wieder zu drohen, zu warnen, zu protestieren, die Wahrheit zu bezeugen. Aber ein Zwang liegt auf ihnen. Weh uns, wenn wir das Evangelium nicht predigen. Gott, warum bist du uns so nah? An der Botschaft leiden. Keinen Ort haben, wo man sein Haupt hinlegen kann. Alles zurücklassen. Sein Kreuz auf sich nehmen. Nicht umsonst wird die Botschaft Jeremias später gedeutet auf Christus hin. Er erntete so wie Jeremia Hohn und Spott und Feindschaft, musste den schmerzlichen Rückzug der Freunde und Gefährten erleben. Von dem roten Purpurmantel und der Spottkrone aus Dornen bis zur hämischen Aufforderung: Wenn du der Sohn Gottes bist, steig doch herab vom Kreuz. Bis zur Flucht aller, die doch seine Freunde hatten sein wollen. Jesus ist genau wie Jeremia kein Sieger nach menschlichem Maßstab, kein Erhöhter im falsch verstandenen Sinne eines Unberührtseins von Leid und Schmerz, sondern er begegnet uns als der Erniedrigte, zu seinem Gott Flehende: Lass diesen Kelch an mir vorübergehen! deram Ende sogar ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Manch einer oder eine hat damals sicher am Karfreitag im Stillen gefragt: Bist du denn am Ende auch auf der Seite der Mörder, Gott? Wer diese Leidensgeschichte miterleben musste, war wie Jeremia von Zweifeln geschüttelt, Zweifel an der Güte Gottes. Jeremia aber ist mit seinen Worten noch nicht zu Ende. Er wendet sich am tiefsten Punkt gewissermaßen um - lässt sich nicht packen, sondern greift selbst zu. Der letzte Vers des Predigttextes zeigt das: 11 Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Die Stärke, die sich zunächst gegen den Propheten zu richten schien, die Nähe Gottes, die ihn zu verbrennen drohte, sie beansprucht er jetzt als eine Kraft, die für ihn wirkt. Am Ende haben nicht die Verfolger gewonnen, sondern Gottes Sache wird den Sieg davontragen. Eine plötzliche Wende, die wir auch aus manchen Psalmen kennen, wo eine Aussage tiefen Vertrauens auf Passagen ebenso tiefer Verzweiflung und nagenden Zweifels folgt. Dazwischen mag oftmals weit mehr Zeit liegen als beim Lesen spürbar. - Die Erfahrung der Rettung steht am Ende, löscht aber den schweren Weg davor nicht aus. Wenn fromme Menschen Jeremia schon zu Beginn seiner Klage den Mund verboten hätten oder er selber es getan hätte, wäre er wohl kaum zu dieser Aussage des Vertrauens hindurchgedrungen. Der Weg des Glaubens ist keiner, der ohne Zweifel, ja ohne Verzweiflung auskäme. Die Stärke Gottes wird wohl durch uns hindurch nicht sichtbar ohne die Erkenntnis, auch die schmerzliche Erkenntnis der eigenen Schwachheit. ”Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen...” (2. Kor 4,7) ”Der Weg ist vorgeschrieben”, sagt Dietrich Bonhoeffer in seiner Jeremia-Predigt. ”Es ist der Weg des Menschen, den Gott nicht mehr loslässt, der Gott nicht mehr los wird. Von Gott nicht mehr loskommen, das bedeutet viel Angst, viel Verzagtheit, viel Trübsal, aber bedeutet doch auch im Guten und im Bösen nie mehr gott - los sein können.” Nie mehr Gott los sein, nie mehr gottlos sein können. Im Leben nicht und nicht im Sterben. Sie, die noch in Jerusalem waren am Ostermorgen und verzweifelt fragten, wie Gott dies alles hatte zulassen können, sie, die dem Toten letzte Ehre erweisen wollten und damit doch auch meinten bekennen zu müssen, dass Gott sie auf einen falschen Weg gelockt, zu trügerischer Hoffnung verführt hatte, gerade sie wurden Gott nicht los. Gerade sie hielt er neu fest, ließ sie an seiner Art Sieg, dem Sieg von unten, dem Ostersieg, teilhaben. Durch ihn wurde endgültig ein für allemal klar, auf welcher Seite Gott steht. Und das war und ist eben nicht die Seite der Mörder. Auch Dietrich Bonhoeffer hat das geglaubt. Darum hat er im Gefängnis kurz vor seinem Tod noch die Geborgenheit durch Gottes gute Mächte gespürt und besungen. Immer wieder einmal begleitet uns sein Lied in unseren Gottesdiensten, und spricht von unserer HOffnung, uns selbst auch so an Gott festhalten zu können - und daraus die Kraft zu gewinnen, Unrecht und Gottlosigkeit beim Namen zu nennen. Wir üben es gleich in gewisser Weise, dieses Festhalten, wenn wir rund um den Altar stehen und dort Brot und Kelch empfangen. Von der Nacht hören, in der er verraten wurde, und uns hineinnehmen lassen in den Bund, der durch solchen Verrat nicht zerstört werden konnte. Dabei richten wir unsere Augen tatsächlich ganz auf den Herrn, der sich uns schenkt, uns ergreift und sich von uns gleichermaßen ergreifen, ja verzehren lässt. Der sich von uns nicht losgesagt hat. Er nimmt in uns Wohnung. Er verbindet uns miteinander, damit wir einander in unseren Zweifeln aushalten und in unserem Vertrauen stärken. Damit wir uns auf dem Weg der Nachfolge ermutigen, auf dem wir nie mehr gott los sind. Bitten wir ihn dafür nun um seinen Segen. Amen. 572 “Herr, wir bitten: Komm und segne uns”