Erneuerung des Gnadenverständnisses

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Erneuerung des Gnadenverständnisses
Horst Krüger, s. auch Buch Sind wir denn nicht frei? Leuchter-Edition
(FFP-Tagung, 29. April 2002 in Kirchheim/Hessen)
Vorbemerkungen
1. Wenn wir sprechen
Unsere deutsche Sprache muss einfach und klar sein, so weit wie möglich
frei von Fremdwörtern. Keine umständlichen Sätze. Auch moderne
Sprache kann Kanaanssprache sein. Neue Ausdrücke, mit denen
Menschen nichts anzufangen wissen. Menschen wissen von Gnade,
Rettung, Buße tun und anderen Begriffen im täglichen Leben.
2. Entmythologisierung
Weniger Angst vor Wissenschaft und Philosophie! Ernsthaft betriebene
Philosophie stützt sich auf die Wissenschaft. Keine Angst vor Gutachten,
Diagnosen, vor der Wahrheit > Angst vor Mythen! Mythen, Fabeln,
müssen entlarvt werden. Philosophie und Wissenschaft wissen um ihre
Grenzen. Philosophie kann Theologie schädlich beeinflussen – siehe
Frühzeit des Christentums, Philo, Origenes – modern: Karl Barth (Hegel).
Zeitgeist beeinflusst die Theologie. Mythos von der unbegrenzten
christlichen Freiheit, Mythos der Wohlstandslehre (von 6.000 Jahren geht
es seit etwa 30 – 40 Jahren Menschen ziemlich gut, und zwar nur einem
Bruchteil der 6,5 Mrd., ca. 200 bis 300 Mio.). Da wird etwas hochstilisiert.
Nicht die Bibel muss entmythologisiert werden! Sie selbst
entmythologisiert! Keine Angst vor kritischem Umgang mit biblischen
Texten. Er gibt Sicherheit auf dem Weg, erweitert Erkenntnis. Ziel:
bessere Qualität der Nachfolge.
3. Gott erkennen
Gott in seinem Wort erkennen als höchste Form der Anbetung. Am Sinai
lehrt Gott, wie Menschen glücklich leben können.
Griechische Philosophie: Intellektuelle Erkenntnis > Freiheit!!!
Biblisch: Erkenntnis Gottes – Anbetung > Gehorsam (Freiheit liegt im
Gehorsam). Hillel: je mehr Tora, desto mehr Leben (mar’beh tora, mar’beh
chajim)! Pirke Avot 2,8
Kenntnis der Tora höchstes Ziel, damit man weiß, wie man lebt!
Seit Esra: Ha’amidu talmidim harbé – macht viele Jünger! Pirke Avot 1,2
Jesus kam nicht nur, um zu sterben, vor allem lebte er. Sein Leben ist
wichtig: Er lehrte und machte viele Jünger! Matthäus 28: Hingehend,
macht alle Völker zu Jüngern! Betonung nicht auf Hingehen, sondern auf
Jünger machen! R. Akiva (gest. ca. 134): Studium der Tora führt zum Tun,
zum Gehorsam.
Biblisch: Gehorsam ist höchste Tugend
Griechisch: Selbstverwirklichung, frei sein!
Biblisch: Höchste Autorität > Offenbarung
1
Griechisch: Höchste Autorität > Vernunft
Aber: ohne Verstand geht nichts (Hillel): Ein Mensch, der nichts weiß,
kann nicht fromm sein! Pirke Avot 2,6
Griechisch: Der Mensch kritisiert Gottes Wort
Biblisch: Gottes Wort kritisiert den Menschen
Durch intensives Lesen und Lernen der Schrift, biblisch (hebräisch) fühlen.
Nicht nur denken! Höchste Form der Anbetung nicht im Fühlen, Preisen,
Erleben – diese vitalen Dinge dürfen nicht fehlen! Das Studium des
Wortes zeigt uns, was Preisen ist. Wie kann ich Gott richtig preisen, wenn
ich ihn nicht verstehe?
Griechisch: Bei Plato ist der Leib eine Höhle, in der der Geist gefangen
ist. Letztlich lehrt man Kinder in der Sonntagsschule, im Innern ist ein
kleines rotes Kästchen, in dem die Seele wohnt (Kinderlied).
Biblisch: Gott ist einer, der Mensch ist eine Einheit – wie Mann und Frau.
Fülle von Ausprägungen, aber eine Einheit. Hebr.: Echad.
Griechisch: Wichtig ist das Außerweltliche > überirdisch > das
Vollkommene kommt später, nach diesem Leben.
Biblisch: innerweltlich > sei vollkommen (hebr.: tamim) jetzt! >
Die zukünftige Welt ist real, aber Sinai genauso real, Sinai war ein
kosmisches Ereignis: Gott kommt herab zum Menschen > Baut mir ein
Heiligtum, ich will bei euch wohnen! Gott offenbart sich nicht mystisch
einer Einzelperson, religiösem Führer, wie andere Religionen vorgeben >
das ganze Volk nimmt teil an der Offenbarung Gottes! So ist Geistestaufe
letztlich ein kosmisches Ereignis! Es entwickelt sich nicht etwas im
Innern des Menschen, der Heilige Geist wird von außen gegeben!
Was sprach Gott am Sinai über die zukünftige Welt? Kaum. Bei uns dreht
sich alles um zukünftige Welt. Lieder, Verkündigung Sonntagmorgen. Dort
ist das Vollkommene! Die Sadduzäer glaubten nicht daran – sie waren
Schriftgelehrte -, weil sie nichts davon in der Tora fanden!
Griechisch: Das Vollkommene, Schöne im Jenseits, befreit aus Höhle.
Biblisch: Auferstehung: schon wieder ein Leib! Das Neue Jerusalem
kommt von oben herab! Wir sind nicht Höhle, Tempel des Heiligen
Geistes. Kath. Kirche: Der Hl. Geist flieht aus dem Zimmer, wenn Mann
und Frau intim sind. Zwei Tempel werden zur Höhle! Abartiges Denken.
Als Partner Gottes bringen wir seine Heiligkeit und Erlösung unter die
Menschen! Wir wollen weg von Erde. Engel: Ihr Männer von Galiläa, was
steht ihr und schaut??? Gibt es spirituellen Narzissmus?
Jesus: Macht Jünger! Menschen müssen verändert werden. Lernt, wie
das geht. Studiert Wort! Lehrt Wort. Dadurch bessere Welt.
Kann Gott erkannt werden? Offenbart sich im Wort. Das Gott-erkanntHaben sieht man an unserem Tun, an Werken. Praktische Umsetzung der
Lehre. Diese Welt ist ihm wichtig. Armen und Kranken helfen, Mt. 25, usw.
Habsucht als neue Tugend entdeckt. Christen Teil des neuen
2
Materialismus, radikalen Humanismus. Durch das Wort kennen wir Gottes
Willen.
Gott wurde Mensch, um sein Ziel zu erreichen. Wir sind besorgt um
unsere kleine Entrückung, unseren kleinen Lohn, unsere Seligkeit. Er will
die ganze Welt zur Erkenntnis seiner selbst führen – durch uns! Dein
Reich komme! Dein Wille geschehe! Ich kann nicht schlafen, bis ich dir
einen Tempel gebaut habe!
Erkenntnis Gottes ist nicht Datensammlung, Informationen. Davon haben
wir genug. Buchhandlungen und Bibliotheken sind voll, Menschen
brauchen mehr denn je Hilfe. An mangelnden Daten liegt es nicht. Gott
überträgt nicht Daten, sondern (hebr.) > da’at, Erkennen, Intimität. Intimität
hat Regeln. Gottes Wort ist weniger Stimulation als intensiver Ruf zum
Hören und Tun! Kennen wir das: Zittern vor seinem Wort? Wissen wir, wer
der ist, vor dem wir stehen?
Griechisch: Wissen erwerben
Biblisch: Erkenntnis Gottes und Anbetung
Bibliotheken voll mit theologischen Werken. Jüdische Kommentare
befassen sich mit dem Tun, dem Weg, wie man lebt. Halacha. Jüdische
Weise: wenn jemand viel weiß und wenig Tora > Baum mit vielen Zweigen
und Ästen. Kommt Wind, weht er ihn um. Und Gegenteil. Oder: Steine und
darauf Ziegel. Das hält, wenn das Wasser kommt. Das Gegenteil davon:
unten Ziegel, oben Steine, dann kippt alles um. So mit Torastudium und
Tun bzw. Nichttun. Matthäus 7: Nicht alle, die Herr, Herr, sagen ... 1. Joh.
2,3 und folgende: Wenn wir tun, was er sagt, dann kennen wir ihn!
4. Keine neue jüdische Gesetzlichkeit!
Wichtig ist der verantwortungsvolle Umgang mit unserem jüdischen Erbe,
sonst gibt es einen neuen ungesunden Separatismus und Legalismus.
Neue Extreme. Eine tiefere Erkenntnis Gottes und seines Wortes muss
eine bessere Qualität des Lebens in der Nachfolge erbringen! Es geht
nicht um Judaisierung, um Jiddischkeit, Arroganz denen gegenüber, die
sich mit den Themen nicht von einem jüdischen-hebraistischen
Standpunkt aus befasst haben. Vorsicht beim Gebrauch jüdischer Artikel
wie Kippa, Gebetsmantel usw. Da kann man Juden verletzen – obwohl gut
gemeint. Es kann keinen Vorrang der Tora über der Lehre der Apostel
geben, vor allem nicht der Mündlichen Tora. Es gibt nicht zwei Wege, auf
denen Menschen erlöst werden – einen christlichen, unseren, Weg und
einen jüdischen Weg. Es gilt Jh 3,3.
Wir brauchen im Reich Gottes – es ist aktuelle Realität seit Johannes dem
Täufer -, das seinen Höhepunkt in der Zukunft finden wird, starke, reife,
informierte Gläubige an Jesus Christus. Unser Ziel ist es, zu erziehen,
aufzuerbauen und zu erweitern. Darum sind wir gegen jede bewusste
separatistische oder elitäre Bewegung.
3
1. Geschichtliches
Die Tora ist nicht nur der Pentateuch, auch nicht zusammen mit
den Propheten und den Schriften, dem Tanach, bzw. AT, sondern
sie ist ein komplexes Konzept der Lebensführung. Paulus wurde
nicht verhaftet, weil er Jesus als Messias verkündigte. Ihm wurde
vorgeworfen, Abfall von Moses zu predigen! Das war der
Hauptanklagepunkt! Die Entfernung des Judentums vom
Christentums muss zunächst unter diesem Gesichtspunkt gesehen
werden! Kaiphas hat Jesus zwar wegen dessen Aussage Du sagst
es! auf die Frage: Bist du der Christus, der Sohn Gottes? vom
Hohen Rat zum Tod verurteilen lassen. Kaiphas war Sadduzäer
und damit ein buchstabengetreuer Torabeobachter, jedenfalls
oberflächlich gesehen. R. Akiva verkündete 100 Jahre später Bar
Kochba als Messias, ohne dass man ihn deswegen getötet hätte!
Die Gründe liegen tiefer – wie auch der Galaterbrief deutlich macht.
Die Juden waren nicht bereit – und damit verstanden sie Paulus
falsch! -, ihre Toragläubigkeit aufzugeben.
Nach Justin dem Märtyrer gehen alle Segnungen auf die Kirche
über, alle Flüche auf die Juden. Es war möglich,, die Patriarchen zu
ehren und ihre Nachkommen zu töten! Marcion legte den
Grundstein mit der Verkündigung eines unversöhnichen Dualismus
zwischen Gesetz und Evangelium, indem lehrte, der Gott des AT
sei nicht der Vater Jesu und das AT müsse abgeschafft werden. Es
entstand bald eine tiefe Kluft zwischen Judaismus und Christentum
durch den wachsenden Antinomismus und eine extrem formulierte
Ersetzungstheologie. Luther setzte diese Tradition kräftig fort,
indem er den Protestantismus mit dem Christentum an sich und
den Katholizismus mit dem gesetzlichen Judentum gleichsetzte. Ein
verhängnisvoller Fehler. Das setzt sich fort bis in die heutige
Theologie hinein (Tübinger Schule u. a.).
Gal 3, 17 sagt klar, dass der Sinai-Bund nicht aufgehoben ist. Wir
sehen eine andere Folge in der linearen Entwicklung von Gottes
Plan der Erlösung, und zwar in Bezug auf den einzelnen Menschen
als auch – in Zukunft – auf ein ganzes Volk, Israel.
2. Die Lehre des Mose (Tora – Nómos – Gesetz)
2.1. Der Begriff:
Nicht: Gesetz im Sinne erlassener Gesetze (pers.-aram.: dat;
griech.: nómos). Die Religion in Geschichte und Gegenwart
(RGG) definiert Gesetz: „Als Gesetz gelten im allgemeinen
formulierte d. h. in Sätze gebrachte, oft kodifizierte Regeln des
Lebens und Zusammenlebens, insbesondere Prinzipien der Natur
und Normen des Handelns“ Von Gesetzgebern bzw.
Religionsstiftern (z. B. Mose) mit Berufung auf Gott verordnet
4
worden. In Griechenland um 594 v. Chr. durch Solon, der
Mesopotamien besucht hatte, nómos genannte Gesetzgebung, eine
schriftlich fixierte Rechtsordnung im Gegensatz zur physis,
Naturgegebenheit. Sokrates und Plato konzipierten Gesetze in
Übereinstimmung mit menschlicher Natur (Natur überhaupt). Für
Griechen war Gesetz mehr Sein als Sollen und trug, ähnlich wie
Judentum, stark göttlichen Charakter.
Das Ziel der Lehre: Der Messias (Rö 10,4). Das haben schon die
alten Kirchenväter erkannt, Clemens, Chrysosthomus und viele
andere. Nicht: Des Gesetzes Ende.
Oder: Der Messias ist das Ende aller religiösen Vorschriften.
Warum ist die Bibel so dick? Sie belehrt uns darüber, wie wir zu
leben haben. Um in den Himmel zu kommen, reicht eine Seite, um
40 oder 70 Jahre in der Nachfolge und im Schalom zu leben,
brauchen wir 1.200 Seiten.
Lehre Ausdruck der Gnade (chessed) Gottes. Im Hebräischen
zwei Begriffe: chen und chessed – griech.: charis und éleos
2.2. Chen
Wurzel ch-n-n: grundsätzliche Bedeutung von Gnade, Gunst,
Wohlwollen. Chen drückt vor allem Schönheit aus. Das Verb wird
fast ausschließlich im Sinn von Gunst zeigen, Gunst erweisen,
Wohlwollen erweisen gebraucht, aber auch Lieblichkeit besitzen,
lieblich sein (Spr 26,25). chen LXX in der Regel cháris.
Man bittet um eine Gunst, ein Vorrecht, wie verwandte nahöstliche
Sprachen (ugaritisch, aramäisch, arabisch u. a.) zeigen. Auch der
Ausdruck Sympathie zeigen hat damit zu tun. (Sympathie griech.:
Mit-Leiden). Deutlich die Situation, dass man sich vorher von
jemandem innerlich entfernt, bzw. den man zurückgewiesen hat.
Ihm wendet man seine Gunst zu. Ausdruck Gnade in den Augen
Gottes (des Herrn) nicht nur in der Bibel, sondern auch in
außerbiblischen Zeugnissen und Inschriften.
Auffällig wiederkehrender Ausdruck: Noah fand Gnade in den
Augen des Herrn. Nicht bloße blumige Sprachform, hier wird
gesagt, was sich im Angesicht eines Menschen widerspiegelt,
darum wird an einigen Stellen das hebräische Wort für Angesicht –
panim – auch als Gunst bzw. Gnade wiedergegeben. Z. B. wende
mir dein Angesicht zu: sei mir gnädig! Hanna findet Gnade in Elis
Augen, geht fort, ihr Angesicht ist nicht länger traurig.
In Tempelgebet Salomos Bitte (techina), Bitte um Gunst. Gott erhört
sie (1Kö 9,3) und erfüllt den Tempel mit Herrlichkeit. Wenn Israel
sich bekehrt, wird es seine Gnade erfahren. Jes: 30,19: Ja, du Volk
aus Zion, das in Jerusalem wohnt, du wirst nicht mehr weinen! Er
wird dir gewiss Gnade erweisen auf die Stimme deines
Hilfegeschreis. Sobald er hört, wird er dir antworten.
5
Göttliche Gnade wird in der Regel fremden Völkern, besonders den
Kanaanitern nicht gewährt, jedoch macht Jona klar, dass er auch
den Assyrern gnädig ist, weil sie umkehren (J. 4,2).
Im aaronitischen Segen ist der Ausdruck von Gunst und
Wohlwollen kunstvoll eingewebt: der Herr lasse sein Angesicht
scheinen über dir und sei dir gnädig (we-jechunecha). Ähnlich Ps
67,2: Gott sei uns gnädig und segne uns und lass dein Angesicht
leuchten über uns! Qumranrollen: chen etwa 20 mal.
Das Konzept von chen ist nicht so tiefgründig wie chessed und
anders. Selten findet man beide Begriffe beieinander. Obwohl beide
mit Freundlichkeit, Gnade, Güte usw. übersetzt werden können.
2.3. Chessed – Liebe, Gnade, Güte, immer währende Liebe
Etymologie unbekannt. LXX: éleos 213 x. 2 x charis, 8 x dikaiosyne
Substantiv 245 x. Nicht in 3. Mose, 2. Kön., Hesekiel, Amos, Haggai
und Maleachi. In den narrativen Berichten 49 x, in der
prophetischen Literatur weniger. 131 x in der poetischen Literatur,
etwa ¼ der insgesamt 245 Male säkular. Chasdei Dawid 2 x (Jes.
55,3; 2Chr 6,42). Tun an - asa mit im (25 x) auch asa mit le sowie
asa mit et. Beziehungen: Sara Abraham (1Mo 20,13), Laban und
Bethuel und Isaak, Joseph und Israel, Orpa/Ruth und
Machlon/Chilion, Naomi, Rahab und die Kundschafter. David und
Mephiboscheth, Huschai und David. Lot und Rahab werden wegen
chessed verschont. Wenn jemand chessed erfährt, erwidert er
chessed (David und Jonathan), weil ein Brit (Bund) Jahwes dahinter
steht.
Möglich chessed we emet Hendiadys > treue, andauernde Güte
und Gnade. Chessed aktiv, sozial und dauernd. Chessed nicht nur
Haltung, sondern auch Akt der aus dieser Haltung erwächst. Eine
Intervention zugunsten eines Dritten, der leidet oder im Unglück ist.
Spr. 31,26 Ihren Mund öffnet sie mit Weisheit, und freundliche
Weisung ist auf ihrer Zunge: (be-chochma we-torat-chessed). Ihre
Lehrgabe, durch die sie andere für ein glückliches Leben
unterweist. Chessed eng mit Familien- und Clanleben.
Viele haben darauf hingewiesen: chessed ist eng verbunden mit brit
- Bund. Es geht um das Verhalten zwischen zwei Parteien, die
einen Bund eingegangen sind (Martin Buber). Der Bund betont die
Intensität und Dauer einer Freundschaft, die Gnade ihre
innewohnende Freundlichkeit und Güte. Abimelechs Freundlichkeit
und Gnade ist die Basis für den Bund mit Abraham (1Mo 21).
Gnade bezieht sich auf das Verhalten in Übereinstimmung mit
sozialen Normen. Das Konzept allerdings beruht nicht auf
gesetzlichen Bestimmungen, einer gesetzlichen Terminologie. Es
ist gesagt worden: Gnade ist die Tugend, die eine Gesellschaft
zusammen fügt.
6
Gott sendet Gnade, schenkt Gnade, erinnert sich der Gnade, setzt
Gnade fort, zeigt Gnade, krönt mit Gnade. Seine Gnade ist das
Gegenteil von Zorn. Sein Gericht aber geschieht im Rahmen seiner
Gnade. Er ist der Wächter über seinen Bund und seine Gnade
(schomer ha-brit we-ha-chessed). In diesem Fall der doppelte
Gebrauch des Artikels Hinweis auf Sinai-Bund. Man kann Gottes
Gnade vergessen (Ps 106,7): Unsere Väter in Ägypten begriffen
nicht deine Wunder, sie gedachten nicht der Menge deiner
Gnadenerweise, sie waren widerspenstig am Meer, am Schilfmeer.
Bund in 5. Mose immer mit Volk verbunden, nicht mit König.
Zusammengefasst: Tora ist Ausdruck der Gnade (chessed)
Gottes. Gnade ist eng mit dem Bund verbunden, und zwar im
Sinne, dass die Gnade, Güte, immer währende Liebe Gottes den
Inhalt dieses Bundes bildet. Gott steht zu seinem Bund wegen
seiner Gnade, nicht umgekehrt, d. h. er übt nicht Gnade wegen
seines Bundes; denn Chessed ist sein Wesen. Das bedeutet: Wer
chessed empfängt, gibt chessed zurück! Chen kann man nicht
zurückgeben.
Zuerst zeigt Gott seine Gnade einer Familie, dann dem Volk Israel
und zuletzt der ganzen Welt. Wir kennen die liturgische Formel:
Gnädig und barmherzig ist der Herrn, langsam zum Zorn, groß an
Gnade. Von größter Bedeutung Feststellung: Gottes Gnade und
Freundlichkeit einer Einzelperson gegenüber stellt sie in eine neue
Beziehung zu ihrem Nächsten, eine Beziehung, die auf der Gnade
Gottes beruht. In seinen täglichen Begegnungen und Kontakten mit
andern muss er die Gnade, die er selbst erlebt hat, weitergeben
(Schalksknecht). So gibt es Gnade nicht nur in der Beziehung GottMensch, sondern Mensch-Mensch.
Qumran-Literatur – s. W. Zimmerli, Chessed im Schrifttum von
Qumran – chessed ca. 60 x. Meist in Verbindung mit brit – Bund
und nicht im Sinne von chen, Gunst, d. h. der Mensch, der sich Gott
ergeben hat, lebt in einem Chessed-Bund mit Gott.
2.4. Gesetz und Gnade
sind nicht zwei unversöhnlich einander gegenüber stehende
Antipoden, sie gehören zusammen, gehören zum Wesen Gottes
und sind dazu bestimmt, dem Menschen Lebensqualität zu
verleihen. Kurz und knapp: Die Tora ist Gottes Wort an den
Menschen, um ihn in den Wegen Gottes zu unterrichten.
2.5. Gnade und Wahrheit (chessed we emet) im AT und NT
chessed al chessed, Gnade auf Gnade ... Griech.: charin anti
charitos. (Graphik Gnade auf Gnade) Jh. 1,14-17: Linguistisches
Problem: Chen we emet (charis kai aletheia) gibt es im AT nicht.
Folglich muss es chessed we emet heißen. 4 Beispiele von
insgesamt 13 im AT:
7
We assita im’adi chessed we emet (1Mo 47,29) Wenn ihr Gnade
und Treue an meinem Herrn erweisen wollt …
We assinu im’ach chessed we emet (Jos. 2,14) dann werden wir
Gnade und Treue an dir erweisen.
We ata ja’as IHWH im’achem chessed we emet (2Sam 2,6) So
erweise nun der Herr Gnade und Treue an euch!
Kol orchot IHWH chessed we emet le nosre berito we edotaw (Ps
25,10) Alle Pfade des Herrn sind Gnade und Treue denen, die
seinen Bund und seine Zeugnisse bewahren.
Bundestreue Gottes wird in Jesus neu offenbart. Menschen
nehmen in Jesus die im Gesetz Mose vielfältig bezeugte Gnade
und Wahrheit, Freundlichkeit und Güte Gottes an ihrem eigenen
Leib wahr. Sie erleben diese Wirklichkeit in Jesus von Nazareth
sichtbar und greifbar, können ihn hören, sehen, fühlen, ertasten.
Gott zum Anfassen! Wie Mose und David. Tora weist Weg zu
erfülltem Leben mit Gott, Frieden mit Menschen: Gott lieben und
Menschen lieben.
Wahrheit kein abstrakter, intellektueller Begriff wie in unseren
europäischen Sprachen. Umfasst ein wesentlich weiteres Feld. Das
hebräische Wort, emet, hat die gleiche Wurzel (amn) wie Glaube
(emuna) oder Amen. Glaube und Wahrheit sind demnach im
Hebräischen eng miteinander verbunden. Beide schließen
Zuverlässigkeit und Treue ein! Gleichermaßen ist Glaube im
Hebräischen weniger eine intellektuelle Übung als vielmehr ein
stark verwurzelter praktischer Begriff mit der Vorstellung von einer
unverbrüchlichen Treue zum Bund Gottes. Der zweimal
hintereinander von Johannes erwähnte Begriff Gnade und Wahrheit
ist darum ein überaus deutlicher Hinweis auf Gottes Bundestreue,
die sich in der Person Jesus Christus sichtbar, leibhaftig kundgetan
hat. Gnade und Wahrheit sind das Fundament im Alten wie im
Neuen Testament, bei Abraham und Mose, Jesus und den
Aposteln. Glaube ohne Treue wäre unmöglich. Die Frage nach der
Gnade im AT ist damit überflüssig.
Nur in diesem Kontext kann Jesu Wort an den Reichen Jüngling
verstanden werden, die Gebote (als Ausdruck der Treue zum Bund
Gottes) zu halten. Jesus freute sich über seine Treue. Er hob dann
aber die Diskussion auf die höhere Ebene des Jüngerseins. Darum
die Forderung nach Aufgabe der Güter und ihrer Verteilung unter
die Armen, durch zedaka, Gerechtigkeit, seine wirkliche Liebe zu
Gott zu offenbaren (das wird so nicht ausdrücklich von Jesus
gesagt, steckt aber für einen Juden der damaligen Zeit deutlich
hinter seiner Aufforderung).
Zuverlässigkeit des Bundes Gottes beim Erscheinen des Messias,
der alle Versprechen einlöst. Wenn schon bei Mose Gnade und
Wahrheit erschienen sind, jetzt in der ganzen Fülle bei Jesus
Christus, dessen göttliche Herrlichkeit am Menschen
wahrgenommen wird. Bis dahin nur mittelbare Mitteilungen der
8
Gnade Gottes durch Menschen, die mit Gott in Verbindung waren.
Jetzt durch Christus.
2.6. Sinai und Zion
Der Zeitpunkt: Sinai und Zion (Pfingsten) – gleicher Zeitpunkt
(Graphik). Bemerkung: Zentrale Verkündigung der Erfüllung mit
Heiligem Geist – nicht einer bloßen Geistestaufe, sondern eines
umfassenden Lebenskonzeptes. Gottes Absicht ist Leben, das sich
lohnt: Leben im Überfluss. Lebensqualität. Von Zion geht Tora aus,
Weisung, Lehre: Die Lehre der Apostel und Propheten!
2.7. Bund
Der Bund am Sinai Vorbild für den Ehebund. Ich habe euch zu mir
gebracht. Mose führt das Volk Gott entgegen. Das Volk aber geht
auf Distanz! Folge: schlimmste Sünde, das Goldene Kalb. Auf dem
Höhepunkt (2Mo 34,6): Und der HERR ging vor seinem Angesicht
vorüber und rief: Jahwe, Jahwe, Gott, barmherzig und gnädig,
langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue ... Kap. 21: Ich
liebe meinen Herrn, meine Frau und meine Kinder, ich will nicht als
Freier ausziehen! (Graphik Kontinuität der Bünde Gottes)
2.8. Die Mündliche Tora
Esra und Große Synagoge. Zeitgemäße Auslegung der Tora. Viele
nicht näher definierte Begriffe im Gesetz. Religiöses Gesetz.
3. Jesus und die Tora
Jesus hat sich an die religiösen Vorschriften gehalten: Feste,
Schaufäden, möglicherweise Gebetsriemen, Lehrer von Jüngern
(talmidim), vor allem lehrte er. Was sollte er anders tun? Sein Vater
offenbarte sich am Sinai als Lehrer.
3.1. Das Gesetz auflösen und erfüllen - Gerechtigkeit
Technische rabbinische Ausdrücke für falsch lehren und richtig
lehren. Wenn man richtig lehrt, wird das Gesetz erfüllt. Wenn man
falsch lehrt, wird das Gesetz aufgelöst. Theologie: Ich bin nicht
gekommen, das Gesetz zu erfüllen, sondern aufzulösen!
Gerechtigkeit: Zedaka (zidkot – Mz.) oft als Rettung, Heilstaten,
Rettungstaten Gottes (5Mo 6,25; Ri 5,11; 1Sa 12,7; Mi 6,5).
3.2 Jesus und die Vorschriften der Pharisäer (s. Mt 23,23, Lk 11,42)
3.2.1. Jesus und der Sabbat: Einige Pharisäer warfen Jesus vor,
dass Jünger Sabbat brachen (Ähren zerreiben). Offensichtlich nach
der Ernte. Ältere Handschriften sprechen vom Zerreiben. Das war
erlaubt. Jesus durfte ohne weiteres am Sabbat heilen. Der
Synagogenvorsteher, der sagte, man solle sich in der Woche heilen
9
lassen, hatte bewiesen, dass er das weder am Sabbat noch in der
Woche konnte. Keine Sabbat-Übertretung Jesu.
3.2.2. Fasten – neuer und alter Flicken, neuer und alter Wein:
Hintergrund: Fastenvorschriften der Pharisäer und Johannes dem
Täufer, die über die normalen Fasten hinausgegangen waren, um
Buße im Volk zu bewirken. Jesus sagt: Das sind neue Flicken auf
einem alten Kleid. Das Kleid zerreißt. Seine Jünger haben Buße
getan, haben ihn als Messias erkannt und brauchen keine
besonderen Fasten. Übrigens, der alte Wein, die Tora, ist besser!
4. Paulus und die Tora
Paulus und sein Lebenskreis. Diaspora und Hellenismus. Der
Pharisäer. Paulus und Philo. Proselyten und anbetende Heiden.
Paulus ein Konvertit? Irrtum, Luther mit Paulus gleich: Luther
gegen Gesetzlichkeit des vom Heidentum durchsetzten
Katholizismus. Paulus gesetzestreuer Jude, vehement dagegen,
dass man Gläubigen aus Heiden zu jüdischem Religionsgesetz
zwingen wollte.
Paulus und Juden. Liebte sein Volk, hätte sich seinetwegen töten
lassen (Rö 9,3). Wie jeder Jude, der sein Volk in alter oder neuerer
Zeit kritisierte, ging er mit Israels Ungehorsam ins Gericht, aber nie
spielte er die Bedeutung des Gesetzes herunter oder stellte er die
Gnade gegen das Gesetz. Sein erster Brief an die Korinther ist sehr
gesetzlich und bezieht sich auf die Tora, religiöse Verordnungen,
Vorschriften Jesu und der Apostel und auf seine eigenen.
Wenn das Gesetz durch eine kulturelle Brille gelesen wird, entsteht
Konfusion, wird es mit Verständnis für Tora gelesen, dann gibt es
Lösungen. Für Paulus ist das Gesetz nicht ein Fluch, sondern ein
Wächter und Protektor. Nicht Zuchtmeister, im schlechten Sinn,
Paidagogos – Lehrer: Er führte das Kind an die Gesetze der
Gesellschaft heran und machte ihn reif für die Zeit nach der
Pubertät! Gal 3,23 und 24: Bevor aber der Glaube kam, wurden wir
unter Gesetz verwahrt, eingeschlossen auf den Glauben hin, der
offenbart werden sollte. Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister auf
Christus hin geworden, damit wir aus Glauben gerechtfertigt
würden.
Paulus erinnert Timotheus (2Tim 3,15-17) an die heilsame Wirkung
der Toraerziehung durch Mutter und Großmutter. Aber: Gottes neue
Tora (die reine Liebe zu Gott und Menschen, ausgegossen in
unsere Herzen) überstrahlt alles! Glaube und Werke sind Elemente
eines Kontinuums! Letztere beweisen das Vorhandensein des
ersten!
5. Gesetzlichkeit
10
5.1.
Begriff:
Gesetzlichkeit (Legalismus oder Observantismus) ist „eine
frömmelnde Äußerlichkeit in der pedantischen Befolgung von
religiösen Gesetzen.“ RGG4,S.843) Kommt in der Bibel nicht vor.
Trotzdem könnte man sich darunter eine besondere Treue zu Tora
und gesetzlichen Vorschriften vorstellen. Wort hat festen Platz im
christlichen Sprachgebrauch. Was? Sind Christen gesetzlich, wenn
sie das Gesetz des Mose halten? Diese Definition bietet sich an.
In der Praxis gelten Christen als gesetzlich, wenn sie in Bezug auf
Mode- und Kleiderfragen (Tertullian hat in seiner Schrift Gegen die
Frauen umfangreich Sittenwidrigkeit der fraulichen Eitelkeiten in
bezug auf Haare und Kleidung angegriffen und offensichtlich die
Grundlage geschaffen für bis in unsere Zeit hineinreichende
legalistische Diskussionen), Kindererziehung und andere
Verhaltensnormen eine eher konservative Meinung vertreten als
ihre Umwelt bzw. andere Christen und besonderen Wert darauf
legen, dass alle so handeln wie sie. Dinge täglichen Lebens können
für sie heilsentscheidenden Charakter annehmen. Konflikt mit
Christen mit gegenteiliger Meinung. Gesetzliche Christen werden
bewundert, aber auch gemieden und zunehmend in Gesellschaft
unbeliebt. Viel Spielraum, vor allem aufgrund kultureller
Besonderheiten.
Die angeschnittenen Fragen können national eine große Rolle
spielen. Missionare haben eine eher tolerante Sicht der Dinge, weil
sie oft genug einer schillernden Vielfalt der Kulturen begegnet sind
– manchmal innerhalb einer kurzen Zeit.
Wie würde Jesus heute urteilen? Seine Meinung aus den
Evangelien nicht einfach ersichtlich, darum mannigfache
Deutungen. Oft gab es wegen unterschiedlicher Anschauungen
Trennungen unter Christen. Aufrichtige Christen entzweiten sich
und fanden nicht mehr zueinander. Es ging für sie um den
Schmalen Weg, der keine Kompromisse zuließ. Geben die
Evangelien eine Antwort?
Gesetzlichkeit definieren wir als ein pedantisches Einhalten von
religiösen oder religiös verstandenen Verordnungen und Regeln,
die für den Kreis der Betroffenen heilsentscheidend sind. Man
erhebt dafür den Anspruch auf allgemeine Gültigkeit und verlangt
nicht nur von den Nachfolgern absoluten Gehorsam, diese Regeln
werden auch andern aufgezwungen. Die Haltung an sich, oft mit
großem Ernst betrieben, muss nicht Scheinheiligkeit bedeuten. Sie
kann zwar durchaus als solche in Erscheinung treten, trotzdem
aber ehrlich motiviert und gelebt sein. Das sicherste Zeichen für
Gesetzlichkeit ist die Verurteilung anderer!
5.2
Gesetzlichkeit der Pharisäer, Sadduzäer und Essener.
11
Pharisäer: sie führten ein neues System ein, alle konnten und
sollten lernen und lehren. Sozusagen: Allgemeines Priestertum.
Anpassung des Gesetzes an die jeweiligen Umstände und Zeit.
Viele kleine und kleinliche Gesetze, Zaun um das Gesetz.
Sadduzäer: peinlich genaue buchstäbliche Auslegung des
Gesetzes. Keine Schriften von ihnen vorhanden.
Essener: Zurückgezogene Gemeinschaft, die alle anderen
verurteilte. Scheinbar hat das Christentum von ihnen einen Teil
ihres gesetzlichen Denkens übernommen.
5.3.
Gesetzlichkeit und Erschwerungen (chumrot)
Rücksichtnahme und Freiheit. Religiöse Vorschriften – ohne geht
es oft nicht, Leitplanken. Antijüdische Entwicklungen nach Paulus.
6. Leben und Erfüllung
6.1.
Gläubige aus Juden und Heiden im Spannungsfeld zwischen
Gesetz - Gesetzlichkeit, Freiheit - Schrankenlosigkeit (Graphik).
6.2.
Jesus demonstrierte eine neue, besondere Qualität von
Frömmigkeit und Treue zu Gott.
Ihm war die Praxis von Barmherzigkeit, Güte, Liebe, rechtem
Gericht und Glauben, von tiefem Vertrauen und uneingeschränktem
Tun durch Menschen, die Gott kennen. Diese Haltung erwartete er
zuerst von seinen Nachfolgern. Er selbst lebte sie vor. Wer in Jesu
Nähe kam, erfuhr die Liebe Gottes. Darum sagte er als
Grundaussage: Liebt Gott, liebt eure Mitmenschen! Das ist das
Gesetz. Jesus lehrte nur aggadisch, nie halachisch.
Lehre muss dazu führen, dass Menschen einander lieben und
annehmen und nicht sich theologisch zerstreiten. Wo Menschen
sich über theologische Fragen uneins werden und nicht mehr
zueinander finden, haben sie Jesus, Paulus und die ganze
Botschaft der Bibel völlig missverstanden. Die richtige Lehre führt
zu einer Beziehung der Liebe, Gnade und Wahrheit mit dem
Mitmenschen.
Gehorsam gegenüber dem Gebot Gottes bedeutete ewiges Leben!
Wer seinen Glauben durch seine Treue bewies und als Jude zum
Bund gehörte, besaß ewiges Leben. Heiden gehörten nicht zum
Sinai-Bund Paulus schrieb eine Halacha für Heiden. Eine Halacha
für Judenchristen gab es nie. Einer solchen käme der Jakobusbrief
am nächsten. Dafür bestand vor 70 n. Chr. kein Anlass. Das
Konzept war den an Jesus gläubigen Juden klar.
Der Satz (Jh 1,17) Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben;
die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden ist
in vielen Variationen, die wir uns hier ersparen können, sehr
sinnreich folgendermaßen wiedergegeben worden: Durch Mose
12
gab uns Gott das Gesetz mit seinen Forderungen. Aber durch
Jesus schenkte er uns seine vergebende Liebe und Treue
(Hoffnung für Alle, Brunnen Verlag, Basel und Gießen, 1996). Eine
derartige Übersetzung des Textes lässt sowohl hebräischen
Hintergrund völlig außer acht als auch die Tatsache, dass im
griechischen Original kein aber steht und dass kein Gegensatz
ausgedrückt wird. Die Aussage A (das Gesetz wurde durch Mose
gegeben) und Aussage B (die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus
Christus geworden) ohne Konjunktion, lediglich als Feststellung.
Der Kontext macht die Sache klar. Wegen A gibt es B. B ist kein
Kontrast, sondern eine Hinzufügung. Die christlichen
Übersetzungen, die an dieser Stelle Mose mit Jesus bzw. mit der
Gnade kontrastieren, zeugen von einem gewissen Antinomismus.
Möglicherweise hatte bei den verschiedenen ähnlich lautenden
Übersetzungen der Barnabasbrief einen theologischen Einfluss
ausgeübt, der Juden als gesetzlich und ungeistlich, Christen aber
als geistlich hinstellte.
Dann: Wie kann Jesus sein Leben für Sünder geben, wenn die
Tora nur zeigt, was Sünde ist, wenn sie nicht auch Leben in sich
birgt? Bloße Beobachtung der Tora, beziehungsloser Gehorsam
rettet nicht. Tora war eine Auflage der Gnade Gottes innerhalb des
Bundes. Gnade als Fundament. Tora für Jesus und die Juden eine
Tatsache der Gnade. Bloßes Halten konnte und kann nicht helfen.
Wenn der Jude sagte, er sei durch die Tora gerettet, dann verbarg
sich dahinter sein Verständnis für zwei Dinge: Gnade und Bund: Ich
erfülle meine Seite der Auflage Gottes als Zeugnis. Nicht als
Verdienst. Das Problem (z. B. hinsichtlich Jakobus den Gerechten)
entsteht für uns, wenn wir Zusammenhänge von der griechischen
Sprache und von unserer Kultur her zu erläutern versuchen, die im
jüdischen Denken längst klar sind.
Abschließend zu diesem Thema einige Sätze des wohl
bedeutendsten zeitgenössischen jüdischen Forschers an den
Evangelien David Flusser (geb. 1917 in Wien, gest. am 15. Sept.
2000 in Jerusalem), der jahrelang über den israelischen
Militärsender Jesus und sein Evangelium dargestellt und dabei
unter anderem folgendes gesagt und geschrieben hat:
Jesus war Jude. Dem jüdischen Gesetz gegenüber war er treu. Aus
seinen Worten schöpfen wir verlorene Informationen über die Welt
seiner Lehrer, der jüdischen Weisen ... Jesus lebte in einer
jüdischen Welt, die im Rahmen der Geschriebenen Tora (der Bibel)
und der Mündlichen Tora (später Talmud) blühte. Viele christliche
Gelehrte – mit denen ich nicht übereinstimmen kann – glauben,
dass für Jesus das Halten der Gebote ein Problem darstellte. Es ist
wahr, dass wir im Neuen Testament einige Dispute haben, die
Jesus hinsichtlich einiger Gebote zugeschrieben werden. Aber da
geht es um alltägliche Dinge ... Jesus selbst war peinlich darauf
bedacht, die jüdischen Vorschriften einzuhalten ... Jesus
widersetzte sich jeder Haarspalterei und verwies immer wieder auf
den moralischen Gesichtspunkt einer Sache ... Jesus sah die Tora
13
mit all ihren Jotas und Tütteln als eine vollkommene Welt in sich
selbst an, von der die Existenz der realen Welt abhing (Mt 5,17-20),
und darum war er der Tora gegenüber in allen Dingen treu ... Die
christlichen Quellen liefern uns selbstverständlich den Kontrast
zwischen Jesus und dem jüdischen Gesetz. Matthäus präsentiert
die Ansicht Jesu in einem Gegensatz zu den Weisen. Wahr ist
jedoch, dass es zwischen der Betrachtungsweise Jesu und den
echten jüdischen Traditionen keinen Unterschied gibt. (Flusser,
Jewish Sources ... S.12-13,25).
14
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Jerusalem Post, Ed. 3.6.99
17
Judentum
Christentum
Gesetz
Gnade
Gott des Zorns
Gott der Liebe
Sklavischer Gehorsam
Freie Menschen
Partikularismus
Universalismus
Werks-Gerechtigkeit
Gerechtigkeit d. Glauben
Religion der Angst
Religion der Liebe
Graphik 1: Angebliche Gegensätze zwischen Judentum und Christentum
1. Rettung
Ägypten
2. Tora
Schilfmeer
3. Kanaan
Sinai
Ohne
Tora

und
Gebote
Israel in Sklaverei
Israel in Freiheit
Leben mit Tora
Graphik 2: Muster Rettung Israels aus Ägypten, Tora nach Rettung
Gnade um (auf) Gnade durch Jesus Christus
Gnade beim Sinaibund
Gnade bei Abraham
Gnade bei Noah
Graphik 3: Aus seiner Fülle haben wir genommen Gnade um (auf) Gnade.
18
Der Neue Bund
Bund am Sinai mit Israel
Bund mit Abraham
Bund mit Noah
Graphik Nr. 4: Kontinuität der Bünde Gottes

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Das Gesetz auf steinernen Tafeln
a
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ooiu
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Das Gesetz im neuen (fleischernen Tafeln) Herzen
Graphik Nr. 5: Das Gesetz im Alten und im Neuen Bund
19
Gesetz
Freiheit
Gesundes
Spannungsfeld
Schädliche
Extreme
Gesetzlichkeit
Schrankenlosigkeit
Graphik Nr. 6: Der Christ im Spannungsfeld zwischen Gesetz und Freiheit,
Gesetzlichkeit und Schrankenlosigkeit
20
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