Internationale Kooperation trotz Anarchie

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ÜV Internationale Beziehungen 12.11.02
Internationale Kooperation trotz Anarchie:
Rationaler („neoliberaler“) Institutionalismus
Voraussetzungen
internationale Beziehungen nicht nur materielle (Macht-)
Strukturen, sondern auch soziale Strukturen
 internationale Institutionen (Regime, Organisationen),
stabile Strukturen internationaler Kooperation
Definitionen
Internationale Institutionen = „dauerhafte und miteinander
verbundene Regel- und Normensysteme (formell und informell), die Verhaltensanweisungen vorschreiben, Aktivitäten beschränken und Verhaltenserwartungen bestimmen“ (nach Keohane 1989b, S. 3)
Internationale Regime = „Institutionen mit expliziten und von
Regierungen vereinbarten Regeln, die sich auf bestimmte
Sachbereiche der internationalen Politik beziehen“
Internationale Organisationen = „zwischenstaatliche Institutionen mit bürokratischer Organisation (Postanschrift!)
mit expliziten Regeln und Rollenzuschreibungen für Individuen und Gruppen; Akteursqualität!“ (vgl. Rittberger
1994)
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Grundannahmen
Zur Erinnerung: Realismus und internationale Kooperation:
internationale Kooperation unwahrscheinlich und gefährdet
wg.
 Anarchie-Annahme und Überlebenskampf
 Problem der relativen Gewinne
ABER:
 Allianzen (Militärbündnissen) als begrenzte Kooperation
im Rahmen einer Politik des Mächtegleichgewichts
 Ordnungsstiftende Funktion von Hegemonialmächten in
einer unipolaren Welt (Theorie hegemonialer Stabilität,
vgl. Gilpin 1981; Kindleberger 1973)
Institutionalistische Modifikation des realistischen Ansatzes
 realistische Grundannahmen: Anarchie; Welt als Staatenwelt; Staaten als rational handelnde, egoistische Nutzenmaximierer
 ABER: Internationale Kooperation trotz Anarchie und ohne
Hegemonialmacht möglich (vgl. Keohane 1984; Oye 1986;
Zürn 1992)
 internationale Kooperation "strategisch-rationaler" Staaten
möglich, wenn
 unilaterales Handeln zu suboptimalen Ergebnissen führt
 unkoordiniertes Handeln ("Markt") öffentliche Güter
nicht bereitstellt, nach denen aber privater Bedarf besteht (z.B. Sicherheit, stabile Rahmenbedingungen für
Weltwirtschaft)
 private Übernutzung öffentlicher Güter ("Tragödie der
Allmende"), z.B. Überfischung, Ozonloch, Treibhauseffekt
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Ideengeschichte (vgl. Krell)
 Hugo Grotius (1583-1645) und das moderne Völkerrecht
 John Locke, Second Treatise on Government (1689): Liberale Theorie des Sozialvertrags
 Angell, Norman, The Foundations of International Peace,
(1914): “Idealistische” Friedenstheorie
 David Mitrany 1966/1943, A Working Peace System: Funktionalismus und der Zwang zur Kooperation
 Hedley Bull 1977, The Anarchical Society: “Englische
Schule”
 Keohane und Nye 1977: Komplexe Interdependenz und die
Folgen für internationale Kooperation (auch Keohane 1984;
Keohane 1989b; Krasner 1983; Oye 1986)
 Volker Rittberger und die „Tübinger Schule“ der Regimetheorie (z.B. Rittberger 1993; Zürn 1992; Efinger u. a.
1990; Hasenclever u. a. 1997; vgl. Müller 1993)
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Rationaler Institutionalismus und das Beispiel des Sicherheitsdilemma (vgl. Krell; Herz 1950; Jervis 1978)
 Staat A: defensives Motiv (Überleben) + Unsicherheit über
Motive von B  Anhäufung von Machtressourcen (z.B.
Rüstung)
 Staat B: ebenfalls
Realistische Interpretation: 
Rüstungswettlauf, Krisen, Krieg
Abschreckungssystem,
Spieltheoretische Modellierung des Sicherheitsdilemma =
"Gefangenendilemma" (vgl. Krell):
Rüsten (D) oder kooperieren (C)?
A
B
Rüsten (D)
Rüsten (D)
Kooperieren (C)
-:-
++ : --
-- : ++
+:+
Kooperieren (C)
 Präferenzordnungen A/B: DC > CC > DD > CD
 1 Runde = 
 mehrere Runden =  oder 
Regimebildung (Rüstungskontrolle, beiderseitige
rüstung) möglich wg. "Schatten der Zukunft"
 Axelrod 1984: "Tit for Tat" als optimale Strategie
Ab-
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Funktionen internationaler Regime/Organisationen (Keohane
1989a; Müller 1993)
 Erwartungsstabilität bzgl. des künftigen Verhaltens des
Partners; Reduzierung von Ungewißheit, Bereitstellung
von Informationen
 Reduktion von Transaktionskosten; Bereitstellung dauerhafter Kommunikationskanäle
 Bereitstellung von Entscheidungsregeln für eine Handlungssituation
 Bereitstellung von Überwachungsmechanismen ("monitoring") für die Einhaltung der Regimenormen
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Literatur
Axelrod, Robert A. 1984: The Evolution of Cooperation, New York.
Bull, Hedley 1977: The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics, New York.
Efinger, Manfred, Volker Rittberger, Klaus Dieter Wolf und Michael Zürn 1990: Internationale Regime und internationale Politik, in: Theorien der Internationalen Beziehungen,
PVS-Sonderheft, hrsg. von Volker Rittberger, Opladen, 263-285.
Gilpin, Robert 1981: War and Change in World Politics, New York.
Hasenclever, Andreas, Peter Mayer und Volker Rittberger 1997: Theories of International
Regimes, Cambridge.
Herz, John 1950: Idealist Internationalism and the Security Dilemma, in: World Politics 2:
Nr. 2, 157-180.
Jervis, Robert 1978: Cooperation Under the Security Dilemma, in: World Politics 30: Nr. 2,
167-214.
Keohane, Robert O. 1984: After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political
Economy, Princeton NJ.
--- 1989a: The Demand for International Regimes, in: International Institutions and State
Power, hrsg. von Robert O. Keohane, Boulder CO,
--- 1989b: International Institutions and State Power, Boulder CO.
Keohane, Robert O. und Joseph S. Jr. Nye 1977: Power and Interdependence, Boston.
Kindleberger, Charles P. 1973: The World in Depression, 1929-1939, Berkeley.
Krasner, Stephen D., (Hrsg.) 1983: International Regimes, Ithaca NY.
Mitrany, David 1966/1943: A Working Peace System. An Argument for the Functional Development of International Organization, Chicago.
Müller, Harald 1993: Die Chance der Kooperation, Darmstadt.
Oye, Kenneth, (Hrsg.) 1986: Cooperation under Anarchy, Princeton, NJ.
Rittberger, Volker 1994: Internationale Organisationen. Politik und Geschichte, Opladen.
---, (Hrsg.) 1993: Regime Theory and International Relations, Oxford.
Zürn, Michael 1992: Interessen und Institutionen in der internationalen Politik. Grundlegung
und Anwendung des situationsstrukturellen Ansatzes, Opladen.
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