Pressekonferenz anläßlich der 38. Wiesbadener Tagung des BVA, 19.11.98 Rasterbrille - Training oder Täuschung? Seit Jahren taucht sie regelmäßig und immer wieder auf: die Werbung für die Rasterbrille, eine Brillenfassung mit beidseits schwarzen Gläsern, die mit winzigen "Gucklöchern" im Abstand von 3 mm übersät sind. Die Hersteller der Rasterbrillen und auch "Sehtrainer" versprechen, durch das in "Sehtrainingsprogrammen angewandte Verfahren zur Verbesserung der Sehkraft" vielfältige erstrebenswerte Wirkungen, wie "Stimulierung der sechs Augenmuskeln", "Entspannung der Linse", außerdem werde die Durchblutung angekurbelt und Fehlsichtigkeiten am PC vorgebeugt. Auf die Wahrnehmungsfähigkeit soll die Rasterbrille einen positiven Einfluß haben, ebenso auf das Farbempfinden, die Beweglichkeit und die Lichttoleranz der Augen. Meßbare Verbesserungen der Sehkraft ließen sich schon mit wenigen Monaten Training erreichen. Auch Grüner und Grauer Star werde "verbessert". Analysiert man die Begründung der erwarteten Wirksamkeit, dann wird klar, daß die Hersteller optische und physiologische Phänomene willkürlich verknüpft und aus dem Konstrukt falsche Folgerungen gezogen haben. So beziehen sich die Befürworter der Rasterbrille auf die Wirkung der in der Augenheilkunde zur Brillenbestimmung verwendeten "stenopäischen Lücke". Dabei handelt es sich um eine schwarze Scheibe mit einer Lochblende von zirka 2 mm Durchmesser in der Mitte. Dieses Verfahren ermöglicht selbst dann die für die Sehschärfenbestimmung benötigte scharfe Abbildung, wenn die Pupille gelähmt oder mit Augentropfen erweitert worden ist. Auch zur Untersuchung monokularer Diplopie (Doppeltsehen eines Auges) dient die stenopäische Lücke. Durch die enge Blende verkleinern sich die Zerstreuungskreise der Netzhautbilder, und dadurch erhöht sich die Schärfentiefe, so daß eine Sehverbesserung erreicht wird. Allerdings geht das, was man an Abbildungsschärfe gewinnt, an Leuchtdichte - also an Helligkeit des betrachteten Objektes, zum Beispiel eines Schriftstückes - verloren. Fotografen kennen diesen Effekt von der Kamerablende. Wegen des starken Lichtverlustes und der gleichzeitig eintretenden Einschränkung des Gesichtsfeldes wird die stenopäische Lücke in der Augenheilkunde nur zur kurzzeitigen Diagnostik verwendet. Außerdem ist der stenopäische Effekt sehr variabel und im Einzelfall nicht vorhersehbar. Durch die Anordnung vieler stenopäischer Lücken nebeneinander wie bei der Rasterbrille soll die (Mikro-) Sakkaden-Tätigkeit des Auges angeregt werden. Sakkaden sind rasche Blicksprünge zwischen den Folgebewegungen des Auges.Diese kleinsten Augenbewegungen laufen dauernd unbewußt ab und schützen damit vor Ausbleichen des Sehpurpurs (Toxler-Effekt). Der Rasterbrillenträger sieht bei seinen Blicksprüngen von Loch zu Loch immer wieder für kurze Zeit den schwarzen, undurchsichtigen Teil der Gläser. Aufgrund der monokularen Fusion, der Fähigkeit eines Auges, rasch aufeinander folgende Bilder zu einem zu verschmelzen, summiert das Auge diese Sinneseindrücke "hell - dunkel - hell - dunkel..." zu grau. Dadurch entsteht eine Kontrastminderung, so daß die Sehschärfe beider Augen deutlich sinkt. Dies wiederum schränkt die binokulare Fusion ein, also die Fähigkeit beider Augen, gering unterschiedliche Bilder zu einem Bild zu verschmelzen. So kann es leicht passieren, daß Heterophorien (latente Schielformen) dekompensieren. Mit anderen Worten: Aus latentem Schielen wird sichtbares Schielen (Strabismus) mit Doppelbildern. Augenärzte müssen dringend davon abraten, Rasterbrillen zu tragen oder irgendwelche "Augenübungen" mit ihnen zu absolvieren. Ein Nutzen ist nicht erkennbar, ein Schaden für die Augen sehr wohl möglich. Schließlich sollte man auch an die Seele eines geplagten Kindes denken, das - etwa "zur Behebung einer Legasthenie" - täglich mit einer solchen Brille üben muß, zumal alle Mühen von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt sind. Grob fahrlässig ist es, die "Besserung" von Grünem und Grauen Star zu versprechen. Abgesehen von der Täuschung des Patienten, kann insbesondere beim Grünen Star, dem Glaukom, wertvolle Zeit ohne Behandlung vergehen, so daß irreversible Schäden eintreten. Prof.Dr.med. W.D.Schäfer Leiter der Sehschule der Universitäts-Augenklinik Josef-Schneider-Straße 11 97080 Würzburg Tel (0931) 201-2487 Fax (0931) 201-2245 e-mail: [email protected] http://www.augenklink.uni-wuerzburg.de/sehsch.htm