Bayreuth, den 28.11.10 Jeremia 23,5

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Bayreuth, den 28.11.10 Jeremia 23,5-8
Liebe Gemeinde!
Im Unterricht habe ich einmal einen neuen Schüler
bekommen.
Grüne
Haare,
Irokesenschnitt,
schwarz
gewandet, Schnürstiefel, ein Punker eben. Ich frage ihn,
wo er herkommt. „Aus Thüringen.“ „Und lebst du bei
deinen Eltern?“ „Nö, bei der Schwester.“ Die ist 20 Jahre
alt, erfahre ich von ihm. Früher lebte er bei seinem Vater,
dann kurz bei seiner Mutter. Aber ihr neuer Freund will
nichts von ihm wissen. So wohnt er eben bei der Schwester.
Schulsachen nimmt er nicht mit. Er will hier nur seine Zeit
absitzen. Auf meine Frage, wie er sich seine Zukunft
vorstellt, zuckt er mit den Achseln. So manches von seinem
provozierendem
Auftreten
wird
mir
durch
diese
Vorgeschichte klar.
Was mag in diesem Teenager vorgehen? Wie tief wird sich
diese Erfahrung des Abgeschobenwerdens in sein Leben
eindrücken, wie sehr seine Zukunft bestimmen? Wird er
noch im Alter daran denken? - Nur zu oft bleiben Narben
des Lebens, und ab und zu kommen sie wieder hoch und
schmerzen.
Wieviel
Teenager
mögen
ähnliche
Erfahrungen gemacht haben? Und wieviel Menschen
können
von
enttäuschter
Liebe
und
enttäuschten
Hoffnungen erzählen? Und wieviel Seufzen und wieviel
Weinen mag es wohl geben, das eine Sehnsucht nach einer
heilen Welt anzeigt?
Die Sehnsucht nach einer heilen Welt kann auch in
Rebellion gegen Gott umschlagen. Ich wollte einmal eine
Frau zu ihrem Geburtstag besuchen. „Es gibt keinen
Gott!“ schleuderte sie mir an der Wohnungstür entgegen.
„Denn es gibt in dieser Welt keine Gerechtigkeit!“ Zu
einem weiteren Gespräch war sie nicht bereit. In ihre
Wohnung kam ich nicht hinein.
Louis von Gaal, der Trainer vom FC Bayern München,
sagte nach dem Krebstod seiner Frau: „Wenn es Gott
geben würde, würde er das nicht zulassen. Dann hätte er ...
meine Frau nicht leiden lassen.“
Anklagende Worte eines vom Leben gebeutelten Mannes.
Vielleicht steckt auch in diesen Äußerungen noch ein Rest
einer Sehnsucht nach einer heilen Welt.
Auch Menschen, die an Gott und an Jesus glauben, können
an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln, wenn sie schwere
Dinge erleben, die sie nicht verstehen. So erging es auch
einmal einem Johannes dem Täufer, der mutig Gottes
Willen verkündigte und dafür im Gefängnis landete. „Und
Jesus, ist er wirklich der Heilsbringer, auf den wir
Jahrhunderte gewartet haben?“ So fragt er sich. So wurde
die Sehnsucht nach einer heilen Welt bei diesem
Gottesboten – zu mindest eine Zeitlang – enttäuscht.
Die Sehnsucht nach einer heilen Welt gab es zu allen
Zeiten. Die gute alte Zeit gab es wohl nie. Auch der heutige
Predigttext ist in einer heillosen Welt gesprochen. In Israel
ging die Angst um vor den heranrückenden babylonischen
Truppen. Die Kriminalität stieg an. Auf der Straße
wurden Menschen ermordet, selbst Jeremia entging nur
knapp einem Mordanschlag seiner Verwandten. Es waren
unsichere Zeiten. Und die Zukunft sah noch düsterer aus,
weil man damit rechnen musste, dass die Babylonier sehr
grausam und brutal im Land hausen würden: die Häuser
würden geplündert, die Frauen vergewaltigt, die Männer
getötet, die Städte in Brand gesteckt.
Dieses drohende Unheil würde nicht wie ein blindes
Schicksal auf das Volk Israel zukommen. Nein, es war die
Folge von Schuld. Zuerst verließen die Israeliten den
lebendigen Gott und liefen anderen Göttern nach, danach
richteten sie sich nicht mehr nach seinen Geboten und
schließlich verloren sie Gottes Segen. Gott schützte sie
nicht mehr vor den Feinden.
Die Angst vor einer bösen Zukunft geht auch in unserem
Volk um. Zurecht erinnern geistig wache und gläubige
Menschen an die Zusammenhänge, die ich eben geschildert
habe: Aus der Gottlosigkeit erwächst der Ungehorsam
Gottes
Geboten
gegenüber.
Und
als
Folge
des
Ungehorsams wird Gott seinen Schutz und seinen Segen
wegnehmen.
Düstere Aussichten, damals wie heute. Und was gibt Halt?
Nicht die Hoffnung auf das, was Menschen tun, sondern
auf das, was Gott tut. Jeremia sagt hier im Namen Gottes
eine wunderbare Zukunft voraus. Gott wird mit dem Volk
Israel nicht Schluss machen. Nein er wird mit ihm noch
einmal neu anfangen. Er wird helfen und eingreifen, so wie
er es in der Vergangenheit schon oft getan hat.
Die Hoffnung, von der Jeremia spricht, verdichtet sich in
einer Person, einem Herrscher aus dem Königshaus
Davids. Dieser Herrscher wird regieren, wie noch nie
jemand regiert hat. Wenn der regiert, wird die Sehnsucht
der Menschen nach Gerechtigkeit gestillt. Wenn er an der
Macht ist, dann wird er sie einsetzen, damit die Menschen
Gerechtigkeit erleben. Da wird man einander wieder
vertrauen können; dann braucht man keine Angst mehr zu
haben, alleine unterwegs zu sein, dann kann man wieder
Türen offen stehen lassen. Dem, was ein anderer sagt, darf
man vertrauen.
Jeremia hat diese Zeiten nicht mehr erlebt. Im Gegenteil,
es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Und doch hatte
Jeremia das Wort, das Gott ihm gegeben hatte. Er wird
kommen, der König, der Sohn Davids. Jeremia wusste:
Gott lügt nicht. Deshalb musste er nicht verzweifeln.
Und wie sieht es mit den uralten Worten des Propheten
Jeremia heute am ersten Advent aus? Man könnte meinen,
Jeremia hatte diese Zeit, von der er sprach, noch vor sich,
und wir haben sie schon hinter uns. Vor 2000 Jahren kam
dieser gerechte Herrscher in unsere Welt. Als Nachkomme
Davids wurde Jesus in Bethlehem geboren. Er half jedem,
der zu ihm kam und Hilfe wollte. Wo er war, brauchte
man keine Angst zu haben. Wo er war, da spürte man
etwas
von
einer
neuen,
gerechten
Herrschaft.
In
Gleichnissen erzählte er oft von dieser Herrschaft, dem
Reich Gottes. In seinen Wundern machte er dieses Reich
sichtbar.
Er
forderte
nicht
sondern
schenkte
Gerechtigkeit. Am Kreuz starb Jesus für unsere Schuld.
Jeder, der an diesen Herrscher Jesus Christus glaubt, ist
deshalb recht vor Gott. Wir dürfen Heimat und
Geborgenheit finden im Vaterhaus Gottes. Jesus kam,
damit wir zum Volk Gottes gehören können.
Wir wissen um sein Kommen. Und trotzdem sind wir
immer noch voller Sehnsucht nach einer heilen Welt. Die
alten Geschichten vom Kommen Jesu in diese dunkle Welt,
die wir immer wieder in der Adventszeit hören, nützen uns
nichts, wenn sie nicht neu in uns zu leben anfangen.
Und dies darf heute neu geschehen. Deshalb feiern wir ja
Advent und Weihnachten. Heute morgen dürfen wir mit
unserer Sehnsucht nach einer heilen Welt zu Gott
kommen. Und diese Sehnsucht steckt doch in uns allen.
Eigentlich brauchen wir jemanden ...
...
der
den
Problemen
der
Welt
nicht
machtlos
gegenübersteht
... der die soziale Not erkennt und beheben kann
... der uns Frieden gibt
... der auf mich eingeht
... der mir hilft, mich zu verstehen
... der mich liebesfähig macht
... der mich befreit von Sorgen, Angst und Komplexen
... der mich braucht
... der mir verzeiht
... der nichts nachträgt
... der meine Situation beurteilen kann
... der klare Sicht gibt in Entscheidungen
... der meinem Leben Sinn gibt.
Eigentlich brauchen wir Jesus. Denn so ist er, wie ich ihn
eben beschrieben habe. Er ist nicht wie einer der ganz
Großen dieser Welt, die man zwar vom Fernsehen und
großen Auftritten kennt, aber die uns nicht kennen, die
vielleicht ein großes Land regieren sich aber nicht um die
kleinen Probleme der einzelnen Leute kümmern können.
Jesus ist zwar ein Herrscher, ein König, aber einer, der für
alle da ist.
In dem Buch "Anna schreibt an Mister Gott" steht ein
Brief der kleinen Anna:
"Lieber Mister Gott!
Die Leute sagen, Du bist so was wie ein König. Nur, wenn
ein König in unsere Straße kommt, dann weiß der
bestimmt nicht, wo ich wohne. Aber ich glaub, Du weißt
das. Du hast keine Krone auf'm Kopf, dafür kennst du
jeden ganz genau. Sogar den Leberfleck auf meiner Backe
kennst du, wetten? Und wenn ich die Hände nicht
gewaschen hab, weißt du das bestimmt auch. So genau
guckst Du Dir jeden an. Ein König würde nie so genau
hingucken. Die Arbeit macht der sich nicht. Nur Du
machst Dir mit mir so viel Arbeit..."
Jesus, der König, der genau hinguckt, genau so beschreibt
hier Jeremia auch die Herrschaft des kommenden Messias.
Der gerechte König wird "wohl regieren", so übersetzt es
Martin Luther. Im Hebräischen steht für dieses Wort als
Grundbedeutung "hinsehen". Dieser König sieht hin. Er
hat Augen im Kopf, die wirklich sehen. Er schaut auf den
Willen Gottes. Er ist Gott ganz gehorsam. Und er sieht die
Not dieser Welt. So regiert er wohl. Und so schafft er
Recht und Gerechtigkeit.
Jesus sieht auf Gott und sieht die Not der Welt. So wird er
uns im Neuen Testament immer wieder geschildert.
Und heute? Auch heute morgen sieht er hier in dieser
Kirche die Not des Einzelnen, auch deine und meine Not.
Er sieht unsere innere Leere. Er sieht den Hunger nach
wirklichem Frieden auf dieser Erde. Er sieht uns, wenn
wir kaputt und müde sind und nicht mehr weiterkönnen.
Er sieht uns, wie wir uns mit unserer Schuld abplagen und
will sie uns abnehmen und vergeben. Er sieht, wie wir
immer wieder die gleichen Fehler begehen und will uns
von ihnen los machen. Er sieht auch unsere Sorge und
Angst vor der Zukunft und will uns Zuversicht und Mut
geben. Er will alles recht machen in unserem Leben und
uns die Gerechtigkeit schenken, die wir brauchen, um vor
Gott bestehen zu können.
Diese uralten Worte des Propheten Jeremia gelten auch
uns. Es ist nicht so, dass sie sich vor 2000 Jahren mit dem
Kommen Jesu erfüllt haben, und damit hat sich's. Nein, sie
haben noch eine Zukunft, sie gelten auch uns.
Es mag uns mit diesen wunderbaren Zusagen so gehen wie
Jeremia. Es tut sich zunächst gar nichts. Unsere Not wird
eher noch größer wie vorher. Und die Zeiten werden
dunkler und verworrener. Keine Spur anscheinend von
einem König, der genau hinsieht und hilft. Wir verlassen
diesen Gottesdienst, sind vielleicht froh und erfüllt aber
am nächsten Tag scheint alles wieder beim alten zu sein.
Aber das ist eigentlich typisch für das Handeln Gottes.
Wenn er etwas verspricht, dann kommt in der Regel die
Erfüllung nicht sofort, ohne Warten, ohne Beten, ohne
Glauben ohne danken, dass Gott sein Wort schon noch
erfüllt, - zu seiner Zeit.
Wir brauchen oft Geduld, bis wir wirklich sehen, wie die
Versprechen Gottes sich in unserem Leben erfüllen
werden. Dies ist ja auch der Sinn der Adventszeit, die eine
Zeit des Wartens ist.
Da will eine Frau mit ihrem blindem Mann eine Zugreise
machen. Sie geht mit ihm in den Großstadtbahnhof. Und
dann führt sie den Blinden in eine kleine stille Ecke abseits.
Sie sagt zu ihm: "Warte hier, ich bin gleich wieder da!"
Sie will ihm das Gewühl ersparen, besorgt die Fahrkarten
und Platzkarten, erkundigt sich nach Bahnsteig und
Abfahrtszeit. Währenddessen steht der Mann da, lächelt
und wartet. Sie hat gesagt, sie kommt bald wieder. Er ist
jetzt hilflos und allein und doch ruhig und gelassen. Denn
er wartet. Seine Frau kommt wieder, nimmt ihn am Arm,
und sie gehen weiter. Der Zug fährt ab. Sie erreichen ihr
Ziel.
So ist das auch in unserem Leben. Jesus hat seiner
Gemeinde
wunderbare
Zusagen
gegeben.
Er
hat
versprochen, sie bald zu erfüllen. Aber dann dauert es für
unseren Geschmack doch etwas länger. Aber Jesus ist
währenddessen nicht untätig. Er muss erst noch manches
für uns regeln, bevor es weiter gehen kann. Und wir
müssen warten. Das Warten ist das Leichteste und das
Schwerste. Einfach warten, nichts tun können und doch
voller Hoffnung und Gewissheit wach sein.
Vielleicht stehen wir in einer schwierigen Situation, einer
Krankheit, einer Einsamkeit, einer Sorge oder Angst, einer
Trauer oder Verwundung. Wir können nichts tun als
warten. "Herr, ich warte auf dein Heil!" Aber Gott
handelt, er besorgt die Dinge, die wir brauchen. Wenn wir
auch im Moment nichts tun können, geschieht doch etwas.
Gott lenkt die Geschicke unseres Lebens und der Welt.
Uns bleibt die Hoffnung und frohe Gewissheit, Jesus
kommt mit seiner Hilfe und führt uns weiter. Er sorgt für
uns und bringt uns zum Ziel. Gott wird auch die Wirrnisse
deines
Lebens
in
lauter
Wunder
seines
Reiches
verwandeln.
Auf Gottes Eingreifen warten, das ist kein untätiges
Herumsitzen und Däumchendrehen und sich darauf
verlassen, dass Gott es schon richten wird. Nein, auf Gottes
Eingreifen warten ist etwas höchst Aktives.
Wer wartet, der betet auch, dass Gott seine Versprechen
noch erfüllt. Er erinnert ihn gewissermaßen daran. Und
das gefällt Gott. Denn er möchte uns dabei haben bei
seinem Handeln. Er will nicht alles für uns automatisch
tun, sondern es freut ihn, wenn wir uns leidenschaftlich
nach seiner Hilfe sehnen. Es gehört Beides zusammen: das
Versprechen Gottes und unser Gebet, dass er es auch
erfüllt. "Siehe, ich komme bald!" hat Jesus seiner
Gemeinde versprochen. Und sie macht sich dieses
Versprechen zu eigen, indem sie spricht; "Ja, Herr Jesus,
komm bald!"
Warten heißt Bitten und auch Danken, für das, was Gott
in unserem Leben schon getan hat und was er noch tun
wird. Jeder, der glaubt, hat ja schon etwas erlebt:
Vergebung, Hilfen, Trost, Führungen. Jeder Christ weiß
davon etwas zu erzählen. Daran darf ich denken, wenn ich
auf das Eingreifen Gottes warte. Das macht mir Mut. Denn
dann wird mir bewusst: Er hat ja schon einmal geholfen!
Er wird auch in Zukunft mich nicht im Stich lassen.
Deshalb kann ich jetzt schon dankbar sein, dass Gott seine
Zusagen
ganz
gewiss
erfüllen
wird.
Der
in
der
Vergangenheit geholfen hat, wird auch in der Zukunft
eingreifen. Und wenn sich noch so schwarze Wolken am
Horizont unseres Lebens oder unseres Landes oder der
ganzen Welt zusammenziehen wollen: Gottes Zusagen
bleiben nicht unerfüllt.
Und ganz zuletzt, am Ende der Weltgeschichte, dann wird
er selber kommen. Dann wird die Sehnsucht nach einer
heilen Welt endgültig und ein für allemal erfüllt werden.
Darauf dürfen wir uns jetzt schon freuen, wenn Jesus
kommt, wie er es versprochen hat und sein Reich auf
dieser Erde aufrichtet.
Amen
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