Reminiszere

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Nr.
Datum
Anlass
18
24. Februar 2013
Reminiszere
Titel
Untertitel
Lied vor der Predigt
Lied nach der Predigt
Predigttext
Joh. 8, (21) 26b30
Autor
Bernd
Rapp
Jesu ermutigende Drohung
93 (Nun gehören unsere Herzen) alle 4
366 (Wenn wir in höchsten Nöten sein) 1.2.5-7
Die beiden kursiv gedruckten Zitate passen gut für eine „Begrüßung“ am Anfang des
Gottesdienstes…
P-Text im Verlauf der Predigt („Gute Nachricht Bibel“)
Liebe Gemeinde,
Ich möchte gern ein kurzes Gedanken-Experiment mit ihnen durchführen. Nehmen Sie sich mal ein
paar Augenblicke Zeit und stellen Sie sich einmal Jesus vor. Überlegen sie mal, welche Vorstellung
sie von ihm haben, welche Bilder da in ihnen aufsteigen, wenn sie an Jesus Christus denken. Also
kurz: An was denken sie, wenn sie an JC denken!? (Pause)
Sicher ist ihnen ganz unterschiedliches eingefallen. Aber ich glaube einmal, dass sich viele einen
jungen Mann, wahrscheinlich mit langen Haaren und Bart vorgestellt haben. Mit weißem Umhang
und Sandalen, eine Gruppe von Menschen um ihn herum. Vielleicht kamen sie auch dazu, sich
diesen Jesus genauer vorzustellen. Sicher hatte er sympathische Züge, Wörter wie „barmherzig“,
„geduldig“, „hilfsbereit“, die würden sie sicher Jesus zuordnen. Vielleicht haben sie auch die
Szenen vor Augen gehabt, als Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, mit ihnen Abendmahl feiert
oder wie er sich liebevoll einem kranken Menschen hinwendet und ihn heilt. Ja und vielleicht hat
ihr Jesus ja sogar gelacht!
In unserem Predigttext dagegen, da begegnen wir einem Jesus, der uns ganz schön unangenehm
werden kann. Ich weiß nicht, ob sie sich Jesus eben so vorgestellt haben. Ein strenger Jesus, fast
sogar überheblich, wütend und drohend begegnet er uns gleich im Bibeltext. In ein Streitgespräch
ist er verwickelt, ist vielleicht damals zornig und laut geworden. Fast ein bisschen unheimlich kann
einem dieser Jesus werden. Fast so unheimlich und unfassbar wie sein Weg ans Kreuz. Jesu
freiwilliger Weg ans Kreuz, für uns und für alle Menschen –
Wir hören den Predigttext aus dem Johannes-Ev (Kap 8, 21-30 GNB)
Mir fällt es immer schwer, mich auf die Passionszeit einzulassen. Ich höre lieber freudige
Geschichten, von Heilung und Bewahrung, von Verständnis und Liebe, von Aufmunterung und
Wegzehrung. Ganz im Gegensatz dazu scheint die Passionszeit zu stehen. In der Schriftlesung ging
es ja schon um böse Weingärtner, undankbare Pächter, die sogar den Sohn des Besitzers erschlagen.
Und auch im Predigttext ist ganz viel Distanz zu spüren: Ich werde fortgehen – ihr werdet
vergeblich nach mir suchen, heißt es da. Ihr werdet in eurem Unglauben zugrunde gehen. Wo ich
hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen. Ihr seid von unten, ich aber von oben. Ihr gehört zu dieser
Welt, aber ich bin nicht von dieser Welt.
Ganz viel Distanz, da steht vieles zwischen Jesus und seinen Gegnern im Johannes-Evangelium.
Ganz viel Distanz und ganz viel Unverständnis.
Nähe, die scheint es nur zwischen Jesus und dem Vater zu geben. Beide scheinen fast
unzertrennbar, ja ein bisschen fast ununterscheidbar zu sein. Ganz klar: das Johannes-Evangelium
sieht Jesus ganz nah beim Vater, nichts kann sie trennen, beide haben den gleichen Ursprung. Jesu
Weg kommt vom Vater im Himmel und führt zu ihm zurück. Schwierige Theologie – klare,
deutliche, ja drohende Worte gegen seine Gegner, aber zum Schluss heißt es: Als Jesus das sagte,
kamen viele zum Glauben.
Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite, diese für uns heute schwer verständliche Theologie,
diese schroffe Auseinandersetzung mit den Gegnern – aber zugleich auch der letzte Satz in dem es
heißt: Als Jesus das sagte, kamen viele zum Glauben an ihn.
In drei Punkten möchte ich gerne dieser Frage nachgehen und damit auch den Predigttext näher
verständlich machen:
Zum ersten: Jesus, der Kritiker:
Niemand lässt sich gerne kritisieren. Lieber geben wir uns der Illusion hin, dass das, was wir tun
und machen so in Ordnung ist. Aber schon am Anfang des Gottesdienstes habe ich einen Satz
zitiert, den ich irgendwo gelesen habe: „Wer manchmal hart gebürstet bzw. kalt geduscht wird,
kann mit belebtem Blutkreislauf rechnen“ (J. Hempel). Hart gebürstet werden, kalt geduscht werden
– das ist nicht angenehm, das sucht sich keiner aus, da drückt man sich davor. „Wir glauben gerne
gemütlich und bequem!“ Aber vielleicht braucht es manchmal diesen Anstoß, diese Kritik, das
Hinterfragen der eigenen Gewohnheiten, die den Blutkreislauf, und eben auch den Blutkreislauf des
Glaubens, wieder auf Vordermann bringen.
Jesus geht mit seinen Gegner im Joh-Ev hart ins Gericht. Unglauben wirft er ihnen vor, sie seien
von unten, er aber von oben. Er wirft ihnen vor, dass sie ganz in dieser Welt verhaftet seien.
Ungläubig zu sein, das könnte Jesus so uns Menschen heute nicht vorwerfen. Umfragen zufolge
glaubt ein Großteil der Deutschen an ein höheres Wesen, an irgendetwas da draußen, halt irgendwas
Höheres. Vorwerfen könnte Jesus so vielen Menschen, dass sie sich mit so wenig zufrieden geben!
Das tut nicht weh und das verlangt einem auch nichts ab, an irgendetwas Höheres zu glauben – aber
es bringt uns auch nicht weiter. An der Aussage, „da gibt es irgendein höheres Wesen“, an der kann
ich mich nicht festhalten, die gibt mir keinen Halt, wenn es hart auf hart geht. Denn Glaube heißt
doch nicht in erster Linie: ich halte es für möglich, dass es ein höheres Wesen gibt – das glauben
wie gesagt die meisten Deutschen. Trotzdem würde Jesus das als Unglauben bewerten und uns
wohl ziemlich hart abbürsten. Denn Glaube, das ist doch ein Vertrauen, Glaube, das ist doch etwas,
was mich persönlich bewegt, was mich im innersten angeht, was mein Leben ausmacht, ja ganz
einfach: worauf ich im Leben und Sterben vertrauen kann. Hart gebürstet werden wir hier, wenn wir
uns mit zu wenig in Sachen Glaube zufrieden geben.
Die zweite Kritik, die Jesus seinen Gegner vorwirft ist: ihr seid von unten, ihr seid von dieser Welt.
Wieso ist das eigentlich ein Vorwurf. Das steht uns doch gut an, als Christinnen und Christen mitten
im Leben zu stehen, mit zwei Beinen auf der Erde. Aber manchmal, da wachsen einem die eigenen
Probleme doch fast sogar über den Kopf. Da ist man so verstrickt in die eigenen Sorgen und Nöte,
dass einem der Blick nach oben und der Blick in die Zukunft verstellt ist. „Ihr seid von unten“,
diesen Satz Jesu, den kann man häufig leidvoll unterschreiben. Suchen wir dann überhaupt noch
den Ausweg? Suchen wir gerade dann auch noch, welche Hilfe uns von oben zukommen kann?
Suchen wir noch die „bleibende Stadt“ wie es in der Jahreslosung heißt? Vielleicht sind deshalb so
viele damals nach der Rede Jesu zum Glauben gekommen, weil sie gemerkt haben, da ist jemand
von oben, der uns die Hand hinunter reicht. Da ist jemand, der uns da rausziehen will und kann aus
unserem unten, unserem Schlamassel, unserer Unzulänglichkeit. Wie gesagt: „Wer manchmal hart
gebürstet bzw. kalt geduscht wird – und das heißt hier: wer manchmal von Jesus kritisiert wird kann mit belebtem Blutkreislauf des Glaubens rechnen“
Aber Jesus ist nicht nur der Kritiker – er ist auch zweitens der ganz andere:
Manche Dinge sind für uns schwer zu begreifen. Die Menschen bei Johannes verstanden ihn auch
falsch. Sie meinten, er rede von Selbstmord als er davon sprach: Wo ich hingehe, dorthin könnt ihr
nicht kommen. Das ist typisch menschlich, dass wir alles nur mit unseren menschlichen Maßstäben
sehen und bewerten können. Gottes Maßstab und seine Möglichkeiten gehen aber weit darüber
hinaus. Wie oft man das in der Kirchengeschichte versucht hat, Jesus zu reduzieren auf einen
besonderen Menschen. Wie oft man das versucht hat, Gott als Idee der Menschen zu sehen – aber
Gott ist anders. Er passt nur bedingt in unsere Denk-Schemata, er lässt sich da auch nicht festlegen
und festhalten. Nicht umsonst ist der Sinn des Gebotes: du sollst die kein Bild von Gott machen
genau auch darin begründet: Du sollst Gott nicht festlegen, ihn dir nicht zurecht definieren, wie du
ihn brauchst und verstehst. Gott ist größer, anders als dein Verstand es begreifen kann. Er ist Gott,
er ist von oben – wir alle sind und bleiben eben Menschen – von unten.
Die gute Balance von Nähe und Distanz, das ist ein Geheimnis guter und gelingender Beziehungen.
Vertraute Nähe ist wichtig, gegenseitiges Verständnis und Liebe gehören dazu. Aber Paare, die sich
gut kennen merken trotzdem immer wieder, dass auch die Distanz wichtig und notwendig ist. Das
schützt vor Vereinnahmung und letztlich auch vor Langeweile. So auch in unserem Verhältnis zu
Gott: wir dürfen und wir können Gott nicht vereinnahmen für uns und unsere Ziele. Er ist und bleibt
ein Gott, der uns in Jesus Christus ganz nah gekommen ist. Aber er ist und bleibt auch der Gott, zu
dem wir aufblicken können, der uns erschaffen hat und der uns kritisches Gegenüber sein will.
Als dritten und letzten Punkt hören wir von Jesus, dem Entscheidenden. Warum ist der heutige
Predigttext eigentlich ein Streitgespräch? Was regt die Zuhörer von damals denn auf? Es fallen
doch gar keine unflätigen Wörter oder Beleidigungen. Warum also der Streit? Nun, in den Ohren
der Jüdischen Zuhörer, da war Jesus ein Provokateur. Denn in dem für uns unscheinbaren Satz Jesu:
Ich bin der, an dem sich alles entscheidet, da haben die Juden damals mehr gehört als wir. Ich bin
der, an dem sich alles entscheidet, das klang für sie wie die Selbstoffenbarung Gottes aus dem Alten
Testament. Da maßt sich also einer an, wie Gott, ja Gott selbst zu sein. Ein Mensch, den sie kennen,
dieser Jesus von Nazareth, der sagt von sich selbst, er sei Gott. Das war in damaligen Ohren
natürlich eine Provokation.
Wir leben schon seit fast 2000 Jahren nach Ostern, wir wissen um die Wahrheit dieses Satzes, wir
wissen und wir glauben daran, dass Jesus tatsächlich als Sohn Gottes für mich, für sie, für uns
gestorben und auferstanden ist. Ich bin der, an dem sich alles entscheidet, das sagt Jesus hier gleich
zwei mal. Und angesichts des Todes und der Hoffnung auf das ewige Leben, da ist dieses „alles“
auch gerechtfertigt. Denn vom Tod, da kann uns niemand sonst retten, ewiges Leben, das kann uns
niemand sonst versprechen als Gott allein, als der allein, der den Tod überwunden hat.
Christinnen und Christen haben aber neben all den anderen vielen Heilsversprechen dieser Welt
doch auch die Worte Jesu im Ohr: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt
zum Vater, denn durch mich.
Ich wünsche mir und ihnen, dass Jesus in all dem, wie wir unseren Glauben leben, ganz privat und
auch als Gemeinde Jesu Christi, dass Jesus da unser Kritiker bleibt, dass wir durch sein Wort –
wenn es sein muss – auch mal wieder gebürstet und kalt geduscht werden, um danach aber auch
neues Leben und einen besseren Blutkreislauf des Glaubens zu spüren.
Ich wünsche mir und ihnen, dass Jesus bei aller Vertrautheit und Nähe für uns aber auch der ganz
andere bleibt, zu dem wir aufblicken können und von dem wir Weisung bekommen können für das,
was uns bewegt.
Ich wünsche mir und ihnen, dass Jesus der Entscheidende in unserem Leben wird und dass wir uns
immer wieder für ihn entscheiden, denn er ist der, an dem sich alles entscheidet. AMEN
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