Die Sternstunde der Verklärung

Werbung
Die Sternstunde der Verklärung
Die vierte Geheimnisse des „lichtreichen Rosenkranzes“
Es gibt Sternstunden im Leben, die sich dermaßen einprägen, dass man sie nie mehr vergisst.
Es fällt aber gleichzeitig ungeheuer schwer, dieser Erfahrung anderen so begreiflich zu
machen, dass sie irgendwie miterleben können, was da tatsächlich geschehen ist. Jedes Wort
wird zum Hilfsbegriff, weil nichts das tatsächliche Geschehen wirklich erfassen kann.
Eine solche Sternstunde erlebten Petrus, Jakobus und Johannes bei der sogenannten
„Verklärung Jesu“. Schon das Wort „Verklärung“ weist darauf hin, dass keiner der drei
Apostel mitteilen konnte, was da auf dem Berg tatsächlich passiert ist. Liest man die Berichte
der Evangelisten Markus (9,2-10), Matthäus (17,1-9) und Lukas (9,28-36), dann wird dies
noch deutlicher.
Weißer als Weiß
Jesus wird in strahlend weißes Licht verwandelt. Es ist ein Licht und ein Weiß, dass niemand
je gesehen hat. Leuchtender als die Sonne, weißer als je ein Bleicher ein Weiß herstellen
kann. Ein unbeschreiblicher Glanz geht von Jesus aus.
Dazu gesellen sich zwei weitere lichtvolle Gestalten der biblischen Geschichte: der große
Mose, der das Volk aus der Sklaverei Ägyptens herausgeführt und durch die Wüste ins
gelobte Land geführt hatte. Und Elija, der Größte der Profeten, der die Baalspriester vom
Blitz erschlagen ließ, am Berg Horeb Gott im Säuseln begegnete und am Ende seines Lebens
mit einem leuchtenden Wagen in den Himmel aufgenommen wurde. In alter jüdischer
Tradition ist Elija nicht gestorben, sondern erscheint immer wieder auf dieser Erde, vor allem
an wesentlichen, ganz entscheidenden Eckpunkten der Geschichte.
All das bringt die drei Jünger völlig durcheinander. Sie wollen drei Hütten bauen. Dahinter
steckt der verzweifelte Versuch, dieses unfassbare Erlebnis für immer festzuhalten. Die drei
großartigen Gestalten biblischer Geschichte sollen auf der Erde bleiben. Das, was hier
geschieht, soll nie wieder verschwinden.
Aber auch Angst wird spürbar und Schrecken. Eine verständliche Reaktion. Die Jünger
fürchten sich vor dem – im wahrsten Sinne des Wortes – „ungeheuer“ Schönen, weil
„ungeheuer“ Unbegreiflichen.
Gott beruhigt: Habt keine Angst. Das ist mein geliebter Sohn. An ihm habe ich mein Gefallen
gefunden. Es wiederholen sich die Worte, die schon bei der Taufe Jesu gesprochen wurden.
Gott bestätigt auf noch gewaltigere Weise, dass dieser Jesus, der hier auf Erden seine
Botschaft verkündet, niemand Geringerer ist als sein geliebter Sohn.
Die Sternstunde der Verklärung bleibt allerdings auch in der Bibel nur ein kurzes,
unbeschreibliches Intermezzo. Die Evangelisten lassen in ihre Erzählungen bereits das
einfließen, was noch kommen wird, den Tod Jesu auf Golgota. Am Ende steht die Frage der
Jünger: Was war das jetzt und was sollen wir davon halten, vor allem davon, dass Jesus
auferstehen wird. „Auferstehung“, auch so ein Hilfswort, das im Grunde nicht fassen kann,
was am Ostermorgen tatsächlich geschah, als Jesus die Fesseln des Todes zerriss.
Das Geheimnis des Lichtes schlechthin
Diese unfassbare Sternstunde der Verklärung Jesu steht im Zentrum des vierten Geheimnisses
des Lichtreichen Rosenkranzes: „Jesus, der auf dem Berg verklärt wurde“. Unfassbarkeit,
Unbegreiflichkeit, Glanz und Glorie sind die Begriffe, die dieses Geheimnisses umschreiben.
So schildert es jedenfalls Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischem Schreiben
„Rosarium virginis mariae“ („Der Rosenkranz der Jungfrau Maria“):
„Geheimnis des Lichtes schlechthin ist die Verklärung, die sich nach der Überlieferung auf
dem Berg Tabor ereignet hat. Auf dem Antlitz Christi erstrahlt göttliche Glorie, während der
Gottvater ihn vor den verzückten Aposteln beglaubigt, damit sie ‚auf ihn hören’ (vgl. Lk 9,35
par.) und sich darauf einstellen, mit ihm auch die schmerzvollen Augenblicke seiner Passion
zu leben, um mit ihm zur Freude der Auferstehung und zu einem im Heiligen Geist verklärten
Leben zu gelangen.“
Die Worte „Licht“, „Glorie“ und „Verzückung“ geben in dieser päpstlichen Darstellung den
Ton an. Es sind mystische Worte, die eher darauf hinzielen, dass hier – in diesem kurzen
Augenblick des Lebens Jesu – etwas offenbart wird, das noch gar nicht in unsere Welt hier
auf Erden gehört und daher kaum anders beschrieben werden kann, außer durch Hilfsbegriffe,
mit denen sich schon die Mystiker oder Evangelisten Abhilfe schafften, um in Worte zu
fassen, was nicht in Worte fassbar ist.
Johannes Paul II. spricht auch vom „Bild christlicher Kontemplation“, das in diesem
Geheimnis offenbar wird. Es soll uns demnach einen Aspekt des Glaubens vermitteln, der im
Alltag des Christen für gewöhnlich nicht so deutlich zum Tragen kommt, allerdings trotzdem
zu unserem Glauben gehört: das Transzendente, das Tremendum und Faszinosum, also das
Erschreckend-Faszinierende, das Mystische, das Kontemplative, die irdische Vorausschau all
dessen, was noch kommen wird und wofür wir einfach keine Worte finden können.
Wörtlich schreibt Johannes Paul II.: „Die im Evangelium berichtete Szene von der Verklärung
Christi, in der die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes wie verzückt von der Schönheit
des Erlösers erscheinen, kann zu einem Bild christlicher Kontemplation erhoben werden. Es
bleibt der Auftrag eines jeden Jüngers Christi, und somit auch unser Auftrag, die Augen auf
das Antlitz Christi gerichtet zu halten und darin das Geheimnis des gewöhnlichen und
schmerzlichen Weges seiner Menschheit zu erkennen, bis hin zum Begreifen des göttlichen
Glanzes, der sich endgültig im Auferstandenen, der zur Rechten des Vaters verherrlicht ist,
kundtut. Im Betrachten dieses Angesichtes öffnen wir uns, um das Geheimnis des dreifaltigen
Lebens in uns aufzunehmen und um stets aufs Neue die Liebe des Vaters zu erfahren und die
Freude des Heiligen Geistes zu verkosten. So verwirklicht sich auch für uns das Wort des
heiligen Paulus: ‚Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider
und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den
Geist des Herrn’ (2 Kor 3, 18).“
Auf einem guten Weg
Das vierte Geheimnis des lichtreichen Rosenkranzes möchte uns also eine Sternstunde in
unserem Leben und in unserem Glauben sein. Es möchte uns vermitteln, dass all das, was wir
tagtäglich erleben, nicht alles ist, egal ob es sich um Krankheit, Leid oder Tod handelt oder
um wunderbare Glücksgefühle, Freude und Erfüllung, oder eben nur um die tagtäglichen
Routinehandlungen, denen wir ausgesetzt sind. Nichts von all dem ist endgültig oder gar
vergleichbar mit jener Herrlichkeit, die wir erleben werden, wenn wir Christus, Gott Vater
und den Heiligen Geist von Angesicht zu Angesicht sehen werden.
Das Geheimnis der Verklärung macht also Mut in den Erfahrungen von Trauer, Angst oder
Leid, Sinnlosigkeit und Finsternis. Es macht demütig und holt uns wieder auf den Boden der
Wirklichkeit zurück, wenn wir die Erfahrung von Erfolg, Glück und Freude erleben dürfen.
Und es sagt uns: Du bist auf einem guten Weg, wenn im Alltag einmal gar nichts Besonderes
geschieht und du eigentlich nur tust, was getan werden muss, mit täglicher Routine zwischen
Sonnenaufgang und –untergang.
Jenen Aspekt, den der Papst mit dem Hinweis auf den Apostel Paulus einfließen lässt, sollten
wir dabei nicht vergessen, nämlich, dass jeder von uns diese Herrlichkeit des Herrn
widerspiegelt, die in seiner Verklärung für Sekunden offenbart wurde. Durch die Taufe haben
wir „Christus angezogen“ – so heißt es in der Taufliturgie. Das bedeutet: So wie Menschen
uns erleben, erleben sie in verhüllter Form Jesus selbst. Unsere Aufgabe wäre es, dass wir
Jesus so erlebbar machen, dass seine Botschaft der Liebe, die er in unsere Welt gebracht hat,
wirklich spürbar wird. Ein gewaltiger Auftrag, der in diesem lichtreichen Geheimnis
mitschwingt.
Auf nach Golgota
In der Bewertung traditioneller Mystiker ist die Verklärung Jesu eine Sternstunde, die wir
durchaus in unserem Dasein vor Gott immer wieder genießen sollten, damit wir dann nach
dem Abstieg in die Niederungen des Alltags daraus Kraft schöpfen können. Wir sollten
allerdings nicht den Boden der Realität verlieren, gleichsam in kontemplativer Verzückung
auf Wolke Sieben weiterschweben. Das wäre nicht nur lebensfremd, sondern auch unbiblisch.
Für den heiligen Franz von Sales stellt der Tabor zwar eine sehr wichtige Episode im Leben
Jesu und auch im eigenen Glaubensleben dar, aber viel bedeutender ist Golgota, jener Berg
also, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. Aus diesem Berg wächst für ihn die Siegespalme
empor, die den Tod und die Sünde ein für alle mal vernichtet hat. Das Kreuzesereignis ist die
„Hochschule der Liebe“, die Verklärung zeigt uns nur für einige Sekunden das Ziel dieser
Hochschule an, um uns auf unserem Weg Kraft zu geben. Sehr nüchtern schreibt Franz von
Sales daher in einem Brief: „Sie sollen wissen, dass unser Anteil an dieser Welt das Kreuz ist;
in der anderen Welt wird es die Verklärung sein. Amen. Es lebe Jesus!“
Die Verklärung ist eine ungewöhnlich schöne Sternstunde, von der wir zehren können, für
gewöhnlich aber bietet das Leben solche Sternstunden eben nicht. Seine Konsequenz lautet
daher: „Sollten wir auch nie mehr in unserem Leben irgendwelche seelischen Freuden
empfangen, so müssen wir lernen, auf dem Kalvarienberg ebenso wie auf dem Tabor zu
sagen: ‚Herr, hier ist gut sein mit Dir, ob Du am Kreuz oder in der Glorie bist’“.
Wetterleuchten der Auferstehung
Wer also dieses vierte Geheimnis des lichtreichen Rosenkranzes betet, sollte wie die Jünger
Jesu nicht dabei verharren, sondern sich mit ihm nach Jerusalem aufmachen, ohne jedoch zu
vergessen, welche Kraft diese Sternstunde einem geben kann, vor allem wenn man den
schmerzhaften Weg des Kreuzes durchwandern muss.
Dazu noch einmal Franz von Sales, der in einer Predigt am Fest der Verklärung Jesu seinen
Zuhörern Folgendes sagte: „Man muss auf den Berg Tabor steigen, um getröstet zu werden,
werdet ihr sagen, denn das drängt und führt die schwachen Seelen voran, die nicht den Mut
haben, das Gute zu tun, ohne dass sie dabei eine Befriedigung finden. Aber glaubt mir, die
wahre Frömmigkeit erwirbt man nicht inmitten des Trostes. Seht ihr das nicht im heutigen
Geheimnis? Obwohl die drei Apostel die Herrlichkeit Unseres Herrn gesehen hatten,
verließen sie ihn später in seinem Leiden, und der hl. Petrus, der stets so kühne Reden führte,
beging doch eine schwere Sünde, indem er seinen Meister verleugnete. Vom Berg Tabor
steigt man als Sünder herab, vom Kalvarienberg dagegen gerechtfertigt (Lk 18,14). Das gilt
dann, wenn man sich dort fest am Fuß des Kreuzes hält wie Unsere liebe Frau, der Ausbund
alles Schönen und Vorzüglichen im Himmel und auf Erden. Der hl. Johannes harrte dort treu
zu Füßen seines Meisters aus, und man sieht ihn nie mehr eine Sünde begehen. In der
Tröstung ist man wahrhaftig sehr in Sorge, denn man weiß nicht, ob man die Tröstungen
Gottes liebt oder vielmehr den Gott der Tröstungen (2 Kor 1,3). In der Trübsal dagegen gibt
es nichts zu befürchten, wenn man treu ist, weil es da nichts Liebliches gibt.“
Der Tabor ist nur eine Zwischenstation, oder, wie Romano Guardini einmal schrieb, das
„Wetterleuchten der kommenden Auferstehung des Herrn“.
P. Herbert Winklehner OSFS
Herunterladen