Offene Räume

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Offene Räume – Steffen Vogel
ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 482 / 19.03.2004
Offene Räume
Sozialforen im Gründungsfieber
Porto Alegre war der Anfang, Genua, Florenz, Paris und Mumbai die Fortsetzung. Inzwischen
haben die Sozialforen auch Deutschland erreicht. Der folgende Beitrag befasst sich mit
Konzepten, Ansprüchen und Wirklichkeiten.
Die globalisierungskritische Bewegung hat bisher wenig festere Formen hervorgebracht. Teilweise nutzt
sie etablierte Organisationen und Einrichtungen, von Gewerkschaften bis zu besetzten sozialen Zentren.
Die Sozialforen sind daher eine der wichtigsten strukturellen Neuerungen. Häufig beruhen sie auf der
Erfahrung, dass die bisherigen politischen Konzepte, vor allem der traditionelle Kommunismus
leninistischer Prägung, gescheitert sind und an sie nicht bruchlos angeknüpft werden kann.
Neue Räume statt Organisation
Ein Sozialforum ist weder als Organisation noch als feste Struktur, sondern als offener Raum konzipiert.
Sozialforen wollen die oft isolierten Kämpfe gegen einzelne konkrete Probleme zusammenführen und
wenn möglich bündeln. Neben Einzelpersonen soll sich ein möglichst breites Spektrum von sozialen
Bewegungen und linken Organisationen hierarchiefrei austauschen und vernetzen: GewerkschafterInnen,
MigrantInnen, ChristInnen, FeministInnen, Obdachlose, radikale Linke etc. Politischen Parteien oder ihren
Gliederungen ist eine Mitarbeit verwehrt, Einzelmitgliedern hingegen steht sie offen. Damit soll verhindert
werden, dass Sozialforen zu Partei-Vorfeldstrukturen verkommen oder durch Machtpolitik gelähmt
werden. Zudem gibt es unterschiedlich begründete, prinzipielle Vorbehalte gegen Parteien; klassischer
Bündnispolitik wird eine Absage erteilt. Sozialforen dienen ganz wesentlich auch der lokalen Verankerung
globaler Kämpfe. So entwickelten sich die italienischen Sozialforen Anfang des vergangenen Jahres zu
lokalen Koordinierungsstellen für Aktivitäten gegen den drohenden Irak-Krieg.
Nachdem zunächst in Städten wie Tübingen schon vor mehr als einem Jahr Sozialforen gegründet
wurden, lässt sich in Deutschland jetzt ein Gründungsschub beobachten. Knapp 30 konstituieren sich
gerade oder existieren seit kurzer Zeit. Ein wesentlicher Anstoß dazu ging vom zweiten Weltsozialforum
(WSF) in Porto Alegre aus. Dort wurde die Kontinentalisierung und Regionalisierung des
Sozialforumsprozesses aus der Erkenntnis heraus angeregt, dass die Bewegung eine lokale Praxis
braucht, um zu wachsen und längerfristig Bestand zu haben, aber auch, um tiefer greifende Änderungen
möglich zu machen. Im Folgenden bildeten sich sowohl das Europäische Sozialforum (ESF) als auch ein
Asiatisches und Amerikanisches Sozialforum.
Das Genueser Forum gilt als gelungenes Beispiel für die Arbeit eines Sozialforums. Hier fand sich neben
zahlreichen Einzelpersonen ein weites Spektrum der italienischen Bewegungslandschaft zusammen: Von
NGOs und katholischen Organisationen über Teile der Gewerkschaften und Rifondazione Comunista bis
hin zu den Tute Bianche, insgesamt mehrere hundert Organisationen. Angesichts der unerwartet heftigen
staatsterroristischen Attacken auf die G8-Proteste im Sommer 2001 reagierte das Forum erstaunlich
souverän. Die zahlreichen Versuche, das Forum entlang der Gewaltfrage zu spalten, wurden im Konsens
abgewiesen. Solche Einigkeit ist längst nicht selbstverständlich. Die Aktivitäten gegen den EU-Gipfel
Anfang März 2002 in Barcelona beispielsweise wurden neben dem Foro Social de Barcelona wesentlich
von der campanya contra l'europa del capital i la guerra organisiert. Für die dort
zusammengeschlossenen außerinstitutionellen radikalen Gruppen (die auf der Großdemonstration
zahlenmäßig dominierten) war das u.a. von attac und der kommunistischen Gewerkschaft CC.OO.
getragene Sozialforum nicht attraktiv.
Kampf zweier Linien
Entscheidend für Brüche oder Kooperationen sind aber zumeist nicht Ausnahmesituationen wie die Gipfel
der politischen Eliten, sondern die alltägliche Arbeit. Hier erweist sich auch, ob in und durch Sozialforen
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Offene Räume – Steffen Vogel
jene Dynamiken entstehen können, die gesellschaftliche Veränderungen erst möglich machen. Dafür
lohnt ein Blick nach Italien. In größeren Städten wie Mailand und Rom nehmen Tausende von Menschen
an den Versammlungen teil. Mittlerweile zeichnen sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen den
Sozialforen kleiner und großer Städte ab. In kleineren Städten ist die Verbindung global-lokal leichter
herauszustellen. Kontakte zwischen AktivistInnen, Bevölkerung und lokalem Staat sind oft direkter, was
sich beispielsweise positiv auf den vielerorts geführten Kampf gegen die Privatisierung von
Wasserwerken auswirkt. Viele der urbanen Foren sind hingegen parteipolitisch oder gewerkschaftlich
dominiert und hauptsächlich damit beschäftigt, Straßenproteste oder Debatten zu organisieren.
Mittlerweile hat sich auch hier der Graben zwischen traditioneller, auf Wahlen orientierter linker Politik
und der Sozialforumsbewegung vertieft.
Ähnliche Entwicklungen ließen sich beim zweiten ESF vergangenen November in Paris beobachten. Die
einen wollen das Forum stärker institutionalisieren und professionalisieren. Dabei spielen auch allerdings unterschiedlich geartete - machtpolitische Erwägungen eine Rolle. Auf der anderen Seite
betonen verschiedene Kräfte den offenen Charakter des Forums und die Autonomie der Bewegungen. Zu
den ersteren zählen verschiedene Parteien unterschiedlichster Couleur, Teile von attac und einige NGOs,
zu den letzteren u.a. Feministinnen, Sans Papiers, Arbeitslosenvereinigungen und radikale
Basisbewegungen. Daraus lässt sich allerdings nicht auf eine Flügelbildung schließen. Differenzen und
Übereinstimmungen beispielsweise in der Haltung zum Sozialstaat oder zur EU verlaufen quer zu dieser
Konstellation und teilweise auch quer durch die einzelnen Bewegungen.
Steffen Vogel
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