A B Wil, 6. Mai 2009, An Stadt Wil Departement Bildung und Sport Poststrasse 10, CH-9500 Wil 2 E-Mail [email protected] Telefon 071 913 53 83, Telefax 071 913 53 37 Die Werteschule in multikultureller Zukunft «Am Anfang war das Wort», aber das genügt nicht: Das Wort will gelebt und vorgelebt sein Eine Mutter brachte ihren Sohn zu Mahatma Gandhi und sagte: Bitte Meister, sagt meinem Sohn, er solle aufhören, Zucker zu essen. Gandhi sah dem Jungen in die Augen und antwortete: Bringe ihn in zwei Wochen wieder. Aber Meister, sagte die Mutter, wir sind einen weiten Weg gekommen. Bitte schickt uns nicht fort. Wieder antwortete Gandhi: Bringe mir deinen Sohn in zwei Wochen wieder. Zwei Wochen später kehrten Mutter und Sohn zurück. Gandhi sah dem Jungen in die Augen und sagte: Höre auf, Zucker zu essen. Die Mutter antwortete: Danke, Meister, danke. Aber bitte sagt mir, warum habt Ihr meinem Sohn nicht schon vor zwei Wochen gesagt, er solle aufhören, Zucker zu essen? Gandhi antwortete: Vor zwei Wochen ass ich selbst noch Zucker. Von der Notwendigkeit, Vorbild zu sein Wie sieht das Fundament guter Schulen, die sagen, was gilt und sich selbst durch sichtbares Vorleben daran halten? Gute Schulen pflegen eine gelebte Schulkultur. Sie sind Werteschulen. Gute Schulen zeichnen sich zudem aus durch eine klare Leistungsorientierung. Gute Schulen pflegen als Folge ihrer Werte- und Leistungsorientierung Ordnung und Disziplin. An guten Schulen gelten Regeln. Es wird gesagt, was gilt und durchgesetzt, was gesagt wurde. Gute Schulen sind fähig, eigene Fehler zu erkennen und die Leistung fortlaufend zu verbessern. Gute Schulen sind verantwortungsvoll geführt und haben einen bestimmten, klar definierten eigenen Entscheidungsspielraum. Dort, wo es um Wesentliches geht, entscheidet die politische Behörde. Welche erzieherische Haltung ist nötig? Als Erwachsene ist es nicht unsere Aufgabe, die «Kumpel» unserer Kinder zu sein, uns gleich zu kleiden und gleich zu benehmen wie sie. Eltern kommen nicht darum herum, konservative Werte zu vertreten, gewissermassen «von gestern» zu sein. Was wir als Erwachsene sagen, muss «out» sein, damit die Kinder ihre Position finden und das Gefühl haben, die Welt selbst zu entdecken. Leider gehört es auch zur Erwachsenenrolle, zeitweilige Ablehnung durch die Jugend zu ertragen. Erzieherische Massnahmen haben nicht selten eine «Halbwertszeit» von zwei Tagen, nachher beginnt der Internet: http://www.stadtwil.c Seite 2 A B Kampf wieder von vorne, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Deswegen keine Grenzen zu setzen, wäre ein fataler Weg, weil die Kinder dann mit zu vielen nicht altersgerechten Wahlmöglichkeiten überfordert sind. 748923991 Internet: http://www.stadtwil.ch Seite 3 A B Kopftuch statt Kreuz im Klassenzimmer? Erzieherische Haltungen sind weitgehend auch religiös kulturell bedingt. Die Vision der guten Schule muss somit mehr denn je auch auf Herausforderungen wie die folgenden eine taugliche Antwort geben: An den Schulen der Stadt Wil finden sich schon heute mehr muslimische als evangelische Kinder. Was heisst das im Schulalltag? Ein Primarschüler islamischer Religionszugehörigkeit weigert sich, seinen Platz aufzuräumen mit Begründung, das sei Frauensache. Was tun? Eine Aargauer Schule gibt dem Druck muslimischer Eltern nach, als diese ihrem siebenjährigen Sohn verbieten, ein im Rechnungsbuch abgebildetes «Säuli» mit Farbstift auszumalen, dieses sei ein unreines Tier. Korrekt gehandelt? In den schweizerischen Schulzimmern sind Kreuze an den Wänden nicht mehr erlaubt, Kopftücher bei Schülerinnen indessen zugelassen. Was ist davon zu halten? Vorurteile durch Wissen ersetzen Die Liste religiös kulturell bedingter Herausforderungen und Stolpersteine wird immer länger. Wir müssen uns mit dem unbekannten Fremden ernsthaft befassen. Wenn Behörden nicht wissen, was eine Religion – verknüpft mit Tradition – von «ihrem» Menschen in dessen Herkunftsland verlangt, dann besteht keine Chance, aufrichtig gelebte Religionsausübung von vorgeschobenen religiösen Argumenten zu unterscheiden, welche einzig dazu dienen, für sich unzulässige Sonderrechte zu beanspruchen. Dennoch: Ganz ausweglos ist die Situation nicht. Denn der Islam greift derart erheblich ins Alltagsleben «seines» Menschen ein, dass die Unterscheidung echter und vorgeschobener Argumente vergleichsweise einfach ist. Hierin liegt unsere Chance für die Bewältigung im schulischen Alltag. Es ist an uns, diese zu nutzen. Wissen gezielt als Chance nutzen Die Bundesverfassung beinhaltet die Grundrechte des Menschen. Diese Rechte sind unverzichtbar und nicht verhandelbar. Ignoriert eine Person dies beharrlich, muss der Staat in seiner Rolle als «Schiedsrichter» intervenieren, indem er – ähnlich wie im Sport – die «rote Karte» zeigt. Wie sieht das im praktischen Alltag aus? Hierzu einige Beispiele: Beim vorstehend erwähnten Fall des Primarschülers, der sich von seiner Lehrerin nichts sagen lässt, geht es nicht um legitime religiöse Sonderrechte, sondern um mangelnden Anstand. Die Schule muss sich durchsetzen. Die «rote Karte» gehört in diesem Beispiel den Eltern, aber auch der Schule, falls diese sich nicht entschieden positioniert. Im ebenfalls erwähnten Aargauer Schulfall wurde das «Säuli» mit einem Abziehbildchen überklebt, so dass es von der Bildfläche verschwand. Der verantwortliche Schulleiter erklärte in einem TVInterview stolz, diese integrationsfördernde Lösung sei im Einvernehmen mit den Eltern gefunden worden. Was ist davon zu 748923991 Internet: http://www.stadtwil.ch Seite 4 A B halten? Effektiv gibt es im Koran keine Stelle, die das Schwein als unrein bezeichnet. Wohl gibt es Vorschriften betreffend den Verzehr von Fleisch bestimmter Tiere, was insbesondere in heissen Ländern zum damaligen Schutze der Gesundheit durchaus vernünftig war. Vorliegend hat eine Schule – zwar gut gemeint, aber im Ergebnis kontraproduktiv – vor einer behaupteten religiösen Pflicht kapituliert. Sie hat mit Eltern über Unverhandelbares eine Verhandlung geführt und damit falsche, nicht integrationsfördernde Signale gesetzt. Wem gehört hier die «rote Karte»? Wiederum den Eltern, ebenso aber auch der Schule. Eine Zürcher Sonderschule, die seit Jahren mit viel Erfolg einen ausgebildeten Therapiehund im Unterricht mit behinderten Kindern einsetzt, darf das nicht mehr tun, weil muslimische Eltern gestützt auf den Koran verlangten, dieses unreine Tier sei zu entfernen: Auch hier liegt ein folgenreiches Beispiel falsch verstandener «Multikulti-Toleranz» vor. Das deutsche Bundesverfassungsgericht und das Schweizer Bundesgericht halten fest, es sei muslimischen Kindern an öffentlichen Schulen aus Gründen der Religionsfreiheit nicht zumutbar, ein Kreuz im Schulzimmer anschauen zu müssen. Beide Urteile gaben intensiv zu reden – dies zu Recht. Über Unverhandelbares nicht verhandeln Die obigen Beispiele lassen sich beliebig erweitern. Dialog allein genügt nicht. Wir müssen uns mit Fleiss und Interesse Wissen über Fremdes aneignen. Wir – nicht die Zugewanderten – müssen dafür sorgen, dass den Zugewanderten klar ist, welche Regeln bei uns gelten. Wir müssen sagen, was gilt, überprüfen, ob das Gesagte effektiv verstanden worden ist und das Gesagte schliesslich nach aussen sichtbar durchsetzen. Das Ganze tun wir mit Wertschätzung, Respekt und Toleranz. Wertschätzung, Respekt und Toleranz dürfen gross sein. Sie müssen aber dort aufhören, wo Zugewanderte über Regeln verhandeln wollen, die bei uns als unverhandelbar gelten. Keinen «Import» fremden Rechts zulassen Das Wort Islam bedeutet Unterwerfung, vollkommene Unterordnung des Menschen unter Allah. Nicht demokratisch geschaffene, nur religiöse, göttliche Gesetze sind massgebend. Für Muslime ist es als Folge der geforderten Unterwerfung undenkbar, religiöse Gesetze – etwa jene des Koran – in Zweifel zu ziehen. In der westlichen Welt wird bekanntlich gerade das Gegenteil abverlangt: Früh schon lernen wir in der Schule, moderne wie auch historische Schriften, kritisch zu hinterfragen und sich mit möglichen Deutungen zu befassen. Damit berühren wir einen der heikelsten Konflikte zwischen Islam und Christentum: Was dort strengstens untersagt ist, ist hier nicht nur üblich, sondern eine Notwendigkeit. Es geht glücklicherweise nicht um die Frage, welche der beiden Schriften – der Koran oder die Bundesverfassung – «Recht» hat respektive «wahr» ist. Zu beantworten ist lediglich die Frage, welche der beiden Schriften Vorrang hat vor der anderen. Die Antwort lautet: Wer sich in der Schweiz aufhält, muss anerkennen, dass auf dem gesamten Territorium der Schweiz 748923991 Internet: http://www.stadtwil.ch Seite 5 A B nicht die Tora der Juden, nicht die Bibel der Christen, nicht der Koran der Muslime, sondern die Bundesverfassung Vorrang hat. Nulltoleranz gegenüber vorgeschobener Religion Was ist somit zu tun, wenn unter Geltendmachung angeblicher religiöser Pflichten beantragt wird, die Tochter habe in der Schule ein Kopftuch zu tragen? Das Bedecken des Hauptes mit einem Schal wird in Sure 24 erwähnt. Es handelt sich dabei aber nicht um eine der fünf religiösen Hauptpflichten. Somit lautet die Haltung der Schule: Das Mädchen darf, wenn es dies selbst wünscht, das Kopftuch tragen. Einzige Bedingung ist: Es erfüllt auch die Hauptpflichten des Korans vorschriftsgemäss. Gemeint sind namentlich die Gebete. Dass es dafür einen Raum benützen darf, versteht sich von selbst. Nicht auf blosse Nebenpflichten des Korans berufen darf sich indessen, wer nicht die Hauptpflichten erfüllt. Über die ausnahmsweise Bewilligung des Tragens einer Kopfbedeckung wird frühestens dann diskutiert, wenn die Hauptpflicht erfüllt ist. Diese klare Vorgabe gilt heute schon an den Wiler Schulen. Sie wurde bisher ausnahmslos akzeptiert. Respekt als Grundhaltung In die Zukunft blickend kann der modernen Schule für einen erfolgreichen Umgang mit den immer multikultureller werdenden Herausforderungen folgendes geraten werden: Wer unter dem Deckmantel der Religion versucht, patriarchalische Traditionen zu pflegen, welche nicht mit dem schweizerischen Recht vereinbar sind, verdient den Schutz der Religionsfreiheit nicht. Umgekehrt soll, wer tatsächlich die Hauptpflichten erfüllt, sich auch auf eine allfällige Nebenpflicht berufen dürfen. Religiös, kulturell oder traditionell bedingte Rechtsvorstellungen, welche unserer Verfassung widersprechen, sind in aller Schärfe zu verurteilen. Gleichzeitig ist aber auch zur Vorsicht zu mahnen: Wir haben kein Recht, uns schrankenlos damit aufzuspielen, was wir alles erreicht haben und andere nicht. Weltweit gibt es zu Hauf Frauendiskriminierungen, ohne dass dabei zwingend Kopftücher im Spiel wären. Zwar sollen – ja müssen – wir glasklar sagen, was bei uns gilt und durchsetzen, was wir gesagt haben. Unser Handeln darf aber nicht in der überheblichen Meinung erfolgen, dieser Veränderungsprozess sei bei uns abgeschlossen. Er ist es bei Weitem nicht. Vorbild zu sein, war und ist seit jeher die wirksamste Erziehungsmethode. Dies wird ungeachtet aller multikulturellen Einflüsse wohl so bleiben. 748923991 Internet: http://www.stadtwil.ch