Behandlung von Suizidenten im Universitätsklinikum Leipzig und

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Behandlung von Suizidenten im
Universitätsklinikum Leipzig und Analyse
der daraus resultierenden Kosten
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades
Dr. med.
an der Medizinischen Fakultät
der Universität Leipzig
eingereicht von:
Sören Dölling
geboren am 09.01.1985 in Oelsnitz/Vogtland
angefertigt an:
der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig
in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie
Betreuer:
Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl
Dipl.-Psych. Nicole Koburger
Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Psych. Roland Mergl
Beschluss über die Verleihung des Doktorgrades vom: 17.12.2013
S e i t e | II
Gewidmet meiner Frau und meinen Eltern,
ohne deren Rückhalt ich dieses Ziel
wohl nicht erreicht hätte.
S e i t e | III
Bibliographische Beschreibung
Sören Dölling
Behandlung von Suizidenten im Universitätsklinikum Leipzig und Analyse der
daraus resultierenden Kosten
Universität Leipzig, Dissertation
131 S., 195 Lit., 16 Abb., 20 Tab., 6 Anhänge
Referat:
Suizidale Handlungen, also Suizide und Suizidversuche, sind mit großem Schmerz, großer
Trauer und auch großem Schamgefühl verbunden. Dies betrifft nicht nur die Suizidenten
selbst, sondern auch Angehörige und Freunde. Weltweit sterben etwa eine Million
Menschen jährlich durch Suizid und in Deutschland steht der Suizid auf Platz sieben der
häufigsten Todesursachen. Schätzungen zu Folge ist die Anzahl der Suizidversuche pro
Jahr, im Vergleich zu den Suiziden, bis zu 30-fach höher. Dies zeigt, dass suizidale
Handlungen zusätzlich eine hohe Relevanz für das Gesundheitssystem darstellen.
Diese Arbeit entstand im Zuge des OSPI-Projektes in Leipzig. Einem europäischen Projekt
zur Einführung eines Präventionsprogramms gegen suizidale Handlungen. Es wurden alle
Suizidenten, die innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren im Universitätsklinikum
Leipzig behandelt wurden, erfasst. Die elektronischen Patientenakten wurden dafür, unter
Verwendung der entsprechenden ICD-Kodierungen für Selbstverletzungen bzw.
Selbstvergiftungen, durchsucht.
Ziel war es, neben der lückenlosen Erfassung und epidemiologischen Auswertung aller
Fälle, Aussagen über die Art der Behandlung von Suizidenten und den damit verbundenen
direkten und indirekten Kosten zu machen.
Es zeigten sich, im Vergleich zu bereits bestehenden Studien aus anderen Ländern, keine
signifikante epidemiologischen Unterschiede, während deutlich mehr Patienten
intensivmedizinisch versorgt und psychiatrisch untersucht wurden, als dies in anderen
Ländern der Fall war.
Im Hinblick auf die Gesamtkosten, in Höhe von rund 3,9 Millionen Euro, konnte diese
Arbeit, abgesehen vom menschlichen Aspekt, die ebenfalls wichtige gesundheitsökonomische Bedeutung solcher Fälle aufzeigen.
S e i t e | IV
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung .................................................................. 1
1.1 Präventive Maßnahmen ............................................................................................3
1.2 Ausgewählte präventive Projekte gegen Suizidalität .................................................4
1.2.1 „Nürnberger Bündnis gegen Depression“ ...........................................................4
1.2.2 „Optimizing Suicide Prevention programs and their Implementation
in Europe” (OSPI Europe) ..........................................................................................5
1.3 Grundsätzliche Fragestellungen ................................................................................5
2 Theorie ....................................................................... 6
2.1 Definition Suizid und Suizidversuch .........................................................................6
2.2 Motive des Suizidversuchs .......................................................................................6
2.2.1 Parasuizidale Pause............................................................................................7
2.2.2 Parasuizidale Geste ............................................................................................7
2.2.3 Parasuizidale Handlung mit Autoaggression ......................................................7
2.3 Unterschiede zwischen Suizid und Suizidversuch .....................................................7
2.4 Der Weg zum Suizidversuch ....................................................................................8
2.5 Gründe für den Suizidversuch ..................................................................................8
2.6 Epidemiologie von Suizid und Suizidversuchen .......................................................9
2.7 Einflussfaktoren auf suizidales Verhalten ............................................................... 10
2.7.1 Psychische Erkrankungen ................................................................................ 10
2.7.1.1 Depression ................................................................................................ 11
2.7.1.2 Schizophrenie ........................................................................................... 12
2.7.1.3 Angststörungen ......................................................................................... 13
2.7.2 Alter und Geschlecht ....................................................................................... 14
2.7.2.1 Suizidversuche im Alter ............................................................................ 15
2.7.3 Body Maß Index .............................................................................................. 15
2.7.4 Serumcholesterinkonzentration/Triglyceride .................................................... 17
2.7.5 Wohnort: Stadt versus Land ............................................................................. 17
2.7.6 Risikoerhöhung durch vorausgehendes suizidales Verhalten ............................ 18
2.7.7 Suchterkrankungen - Abhängigkeit ..................................................................19
2.7.7.1 Alkoholmissbrauch/ -abhängigkeit ............................................................ 20
2.7.7.2 Drogenkonsum.......................................................................................... 20
2.7.7.3 Rauchen .................................................................................................... 21
2.7.8 Testosteronspiegel ........................................................................................... 21
Seite |V
2.7.9 Geographische Lage der Population ................................................................. 22
2.7.10 Einfluss der Medien: „Papageno versus Werther Effekt“................................ 22
2.7.11 Körpergröße ..................................................................................................23
2.7.12 weitere Faktoren ............................................................................................ 23
2.8 Saisonalität von Suizidversuchen ............................................................................ 24
2.9 Methoden des Suizidversuchs ................................................................................. 25
2.10 verwendete Medikamente beim Suizidversuch...................................................... 26
2.10.1 Vergleich zwischen TCA-Intoxikation und SSRI-Überdosierung ................... 27
2.11 Versorgung nach Suizidversuch: ambulant vs. stationär ........................................ 27
2.11.1 Wer sucht Hilfe? ............................................................................................ 28
2.11.2 Wo wird behandelt? ....................................................................................... 28
2.11.3 Wie wird behandelt? ...................................................................................... 29
2.12 Psychiatrische Untersuchung eines Suizidenten im Krankenhaus .......................... 29
2.13 Management bei Suizidrisiko ............................................................................... 30
2.14 Zeitraum bis zum Eintreffen in die Notaufnahme nach Suizidversuch ................... 32
2.15 stationäre Behandlungskosten für einen Suizidenten ............................................. 32
2.16 Verweildauer von Suizidenten im Krankenhaus .................................................... 33
2.17 Kostenanalyse im Gesundheitssystem ...................................................................34
2.17.1 Humankapitalansatz ....................................................................................... 34
2.17.2 Friktionskostenansatz..................................................................................... 35
3 Fragestellungen der Studie ....................................... 36
3.1 Hauptfragestellung ................................................................................................. 36
3.2 weitere Fragestellungen .......................................................................................... 37
3.2.1 Wie erfolgt die Behandlung? ........................................................................... 37
3.2.2 Wie hoch sind die Gesamtkosten? .................................................................... 37
4 Methodenteil............................................................. 38
4.1 Grundsätze der Datenerhebung ............................................................................... 38
4.2 Einschlusskriterien ................................................................................................. 38
4.3 Ausschlusskriterien ................................................................................................ 39
4.4 gesundheitsökonomische Aspekte .......................................................................... 39
4.4.1 direkte Kosten ................................................................................................. 39
4.4.2 indirekte Kosten .............................................................................................. 39
4.5 statistische Analyse ................................................................................................ 40
4.6 erhobene Daten ...................................................................................................... 41
4.7 Ethikantrag ............................................................................................................. 41
S e i t e | VI
5 Ergebnisse ................................................................ 42
5.1 Epidemiologische Analyse der Daten .....................................................................42
5.1.1 Alter, Geschlecht und Familienstand................................................................ 42
5.1.2 Zeitpunkt des Suizidversuchs ........................................................................... 43
5.2 vorausgegangene Suizidversuche............................................................................ 43
5.3 Ursachen des Suizidversuchs .................................................................................. 44
5.4 Methoden des Suizidversuchs ................................................................................. 45
5.2.1. Verwendung mehrerer Mittel/Medikamenten .................................................. 46
5.2.2. Verwendete Medikamente .............................................................................. 47
5.2.3. Alkohol als zusätzliches Mittel ....................................................................... 47
5.3 Behandlung ............................................................................................................ 48
5.3.1 Behandlungsart – ambulant vs. stationär .......................................................... 48
5.3.2 Art der Kontaktaufnahme mit dem UKL .......................................................... 48
5.3.3 Kontakt mit dem Rettungswagen .....................................................................48
5.3.4 Zeitpunkt des Eintreffens in die Notaufnahme ................................................. 49
5.3.5 Verbleib in der Notaufnahme ........................................................................... 49
5.3.6 ICD – Kodierungen ......................................................................................... 50
5.3.7 Aufnahme auf unterschiedliche Stationen ........................................................ 51
5.3.8 Verlegung in die klinikinterne Psychiatrie ....................................................... 52
5.3.9 psychiatrische Untersuchung ........................................................................... 53
5.3.9.1 ambulante Fälle......................................................................................... 53
5.3.9.2 stationäre Fälle .......................................................................................... 53
5.3.10 Behandlungsende ........................................................................................... 54
5.3.11 Todesfälle ...................................................................................................... 55
5.3.12 Verweildauer der stationären Fälle ................................................................. 55
5.3.12.1 Verweildauer in Abhängigkeit zur Methode ............................................ 57
5.4 Grunderkrankungen zum Zeitpunkt des Suizidversuchs .......................................... 58
5.5 Erkrankungen nach dem Suizidversuch (nach Entlassung) ...................................... 59
5.5.1 Gesundheitliche Probleme/Erkrankungen nach Suizidversuch mit
weichen Methoden ...................................................................................................59
5.5.2 Gesundheitliche Probleme/Erkrankungen nach Suizidversuch mit
harten Methoden ...................................................................................................... 59
5.6 Kosten für das Gesundheitssystem.......................................................................... 60
5.6.1 direkte Kosten ................................................................................................. 61
5.6.1.1 Gesamtkosten ........................................................................................... 61
5.6.1.2 direkte Kosten in Abhängigkeit zum Ausgang des Suizidversuchs ............ 62
5.6.1.3 direkte Kosten in Abhängigkeit vom psych. Konsil ...................................62
S e i t e | VII
5.6.1.4 direkte Kosten in Abhängigkeit von der Methode des Suizidversuchs ....... 63
5.6.1.5 direkte Kosten durch Intoxikationen abhängig von Medikament ............... 64
5.6.1.6 direkte Kosten von Mono- und Polyintoxikationen .................................... 65
5.6.2 indirekte Kosten .............................................................................................. 66
5.6.2.1 indirekte Kosten durch Arbeitsunfähigkeit ................................................ 66
5.6.2.2 indirekte Kosten durch vorzeitigen Tod..................................................... 67
5.6.2.3 indirekte Gesamtkosten ............................................................................. 69
6 Diskussion ................................................................ 70
6.1 Probleme der Datenerhebung .................................................................................. 70
6.2 Diskussion der epidemiologischen Ergebnisse ........................................................ 71
6.3 Diskussion der Behandlungscharakteristika ............................................................ 73
6.4 Diskussion der Kostenanalyse ................................................................................ 76
6.4.1 direkte Kosten ................................................................................................. 76
6.4.2 indirekte Kosten .............................................................................................. 80
6.5 Fazit ....................................................................................................................... 82
7 Zusammenfassung der Arbeit ................................... 84
8 Verzeichnisse ........................................................... 88
8.1 Tabellenverzeichnis ................................................................................................ 88
8.2 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................... 89
8.3 Literaturverzeichnis ................................................................................................ 90
9 Anhang ................................................................... 102
10 Anlagen ................................................................ 121
10.1 Erklärung über die eigenständige Abfassung der Arbeit ...................................... 121
10.2 Erklärung über die Vorbehaltlichkeit der Verfahrenseröffnung zur
Verleihung des Titels Dr. med. ................................................................................... 122
10.3 Lebenslauf .......................................................................................................... 123
10.4 Danksagung........................................................................................................ 124
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1 Einführung
„Die meisten Menschen, die Selbstmordhandlungen begehen, wollen nicht entweder
sterben oder leben. Sie wollen beides gleichzeitig, gewöhnlich das eine mehr als das
andere.“ (Stengel, 1969; Seite 74)
Zwar konnte in den vergangenen 20 Jahren, durch Präventivprogramme, durch die
Therapie von psychischen Störungen und durch eine Vielzahl weiterer Faktoren, die
Anzahl der vollendeten Suizide in Deutschland deutlich verringert werden (Felber &
Winiecki, 2008), doch wird das Thema Suizid, trotz seiner weiterbestehenden, hohen
Relevanz in allen Gesellschaften tabuisiert (Bronisch, 2007). Jährlich sterben etwa eine
Million Menschen durch Suizid. Dies entspricht weltweit, statistisch gesehen, einem Suizid
aller 40 Sekunden (Rübenach, 2007).
Seit vielen Jahren übersteigt die Anzahl der Suizidtoten die der Verkehrsopfer um das
doppelte (Bronisch, 2007). Der Suizid ist damit in Deutschland auf Platz sieben der
häufigsten Todesursachen (Schweikart & Ueberschär, 2010).
Felber und Winiecki konnten zwar aufzeigen, dass die Anzahl der Suizide im Jahr 2008
den absoluten Tiefststand seit mehr als 100 Jahren aufwiesen, doch diese Tatsache wird
durch die unbekannte Dunkelziffer getrübt. Die Schätzungen über diese Dunkelziffer
liegen, so ergab eine Recherche von Schmidtke et al. (2008), in der internationalen
Literatur zwischen 1,8 und 400 Prozent.
Nahezu jede dritte Person hat, zu einem beliebigen Zeitpunkt im Leben, einmal
Suizidgedanken (Hirschfeld & Russell, 1997) und die Beobachtungen von Mitchell und
Dennis (2006) und Devrimci-Ozguven und Sayil (2003), die im Gegensatz zur
abnehmenden Suizidrate immer mehr Selbstverletzungen und Suizidversuche, die zur
Behandlung ins Krankenhaus kommen, wahrgenommen haben, verstärken die
Dringlichkeit weiterer, ergänzender Präventionsmaßnahmen.
Es handelt sich bei Suiziden, obwohl der Verlust eines Menschen dramatisch genug
erscheint, nicht nur um ein abruptes Ende eines Lebens. Vielmehr müssen viele weitere
Faktoren betrachtet werden. So zum Beispiel die unmittelbare Umwelt des Suizidenten, die
Familienangehörigen, die Freunde und andere involvierte Menschen, die durch den Suizid
oder Suizidversuch gewiss ebenfalls traumatisiert werden. Auch sie leiden nach dem
Ereignis oft unter der emotionalen Belastung, Schamgefühlen und der eventuell
unbeantwortbaren Frage nach dem Warum (Séguin et al., 1995). Die Gesellschaft, die als
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soziales Netzwerk dem Suizidenten eigentlich andere Lösungswege aufzeigen sollte,
tabuisiert das Thema Suizid (Bronisch, 2007) und ist somit ein Teil der Problematik.
Nicht zu Letzt haben Suizidversuche aber auch wirtschaftliche Konsequenzen.
Es existieren bereits mehrere Studien, die sich mit genau dieser Frage beschäftigt haben.
Man findet verschiedene Veröffentlichungen über die wirtschaftlichen Konsequenzen von
Suizidalität, je nachdem, welche Fälle (Suizide oder Suizidversuche) und welche Kosten
(direkte und /oder indirekte) in den jeweiligen Studien betrachtet wurden.
Zum Beispiel beschrieben Ferris et al. (2007) exemplarisch, mit einer detailierten
Einzelfallanalyse der Behandlung einer Suizidentin, welche enormen Kosten (etwa
300.000 Euro) durch Suizidversuche im Gesundheitssystem entstehen können und zu
welcher finanziellen Entlastung eine adäquate Prävention führen würde (siehe Abschnitt
2.15). Während einige Studien, wie zum Beispiel die von Sut und Memis (2008) lediglich
die direkten Kosten der Behandlung (711 US $ +/- 695 pro Fall) analysierten, so
versuchten andere Studien auch Schätzungen über die indirekten Kosten, in Form von
Produktivitätsausfall, zu berechnen. Bei Corso et al. (2007) beliefen sich die Kosten, die
durch die Behandlung von suizidalem Verhalten im Jahr 2000 in den USA entstanden auf
insgesamt etwa 33 Milliarden US-Dollar. Davon entfielen, vor allem durch die fatalen
Fälle bedingt, 32 Milliarden auf Produktivitätsausfälle (indirekte Kosten). Bei dieser Studie
verstarben nur neun Prozent der Patienten an den Folgen ihres Suizidversuchs, was aber
mehr als 90 Prozent der Gesamtkosten ausmachte. Betrachtet man die Suizidversuche
(nichtfatal) separat, so entstanden im Schnitt 7.234 US-Dollar direkte Kosten und 9.726
US-Dollar indirekte Kosten pro Fall.
Das zeigt zu welchen enormen Konsequenzen, aus volkswirtschaftlicher Sicht gesehen,
Suizide und Suizidversuche führen.
Es muss erwähnt werden, dass keine dieser bisher veröffentlichten Studien aus
Deutschland stammt.
Ziel dieser Untersuchung war es somit, anhand der Daten aus Leipzig ein entsprechendes
Ergebnis für Deutschland bzw. das deutsche Gesundheitssystem zu ermitteln.
Eng verbunden mit den Kosten, die durch eine Krankheit oder deren Behandlung
entstehen, ist natürlich die Frage nach der Art der Behandlung.
Es ist wichtig zu wissen auf welchen Stationen die Patienten behandelt wurden, da die
Behandlung von Patienten die zur Therapie oder Überwachung auf eine Intensivstation
verlegt wurden, deutlich mehr Kosten verursacht, als dies auf einer Normalstation der Fall
ist (Sut & Memis, 2008). Und den Ergebnissen von Gasquet und Choquet (1994) zur
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Folge, hat die Art der behandelnden Station auch einen Effekt auf das „outcome“ der
Patienten.
Kapur et al. (2003) untersuchten die Behandlung von Suizidenten in sechs Krankenhäusern
in England und stellten dabei signifikante Unterschiede fest, was den Anteil der ambulant
behandelten Fälle und die Durchführung einer psychiatrischen Untersuchung angeht. Dies
führte dementsprechend auch zu deutlichen Unterschieden bei den entstandenen
Behandlungskosten.
Da bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Daten aus Deutschland bekannt sind, die Auskunft
über die Behandlung von Suizidenten und die daraus resultierenden Kosten im deutschen
Gesundheitssystem geben, war es das Ziel dieser Studie, Informationen dieser Art zu
gewinnen.
1.1 Präventive Maßnahmen
Sowohl der Schutz des menschlichen Lebens und die Verhinderung des menschlichen
Leides, welches mit suizidalem Verhalten eng verbunden ist, als auch die geschilderten
enormen wirtschaftlichen Konsequenzen erfordern den Aufbau, die Durchsetzung und die
Weiterentwicklung präventiver Maßnahmen, um der Suizidalität entgegen zu wirken.
Bronisch (2007) erarbeitet in seinem Werk „Der Suizid - Ursachen, Warnsignale,
Prävention“ geeignete Maßnahmen und gliederte diese, wie üblich, in primäre, sekundäre
und tertiäre Prävention.
Demzufolge versteht er unter primärer Prävention die Verhinderung eines erstmaligen
Suizidversuchs durch strukturelle und kommunikative Methoden. Kommunikativ gilt es,
eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung über Krankheitsbilder wie Depression und
Sucht durchzuführen und zusätzlich Personal zu schulen (Bsp. Hausärzte), welches in
Kontakt mit Suizidenten kommt. Strukturell, im Sinne von „closing the exits“, sollten die
Möglichkeiten für einen Suizidversuch verringert werden. Hierunter fallen zum Beispiel
der Ausbau der psychiatrisch-psychologischen Versorgung und Zugangsbeschränkungen
zu Pestiziden.
Unter sekundärer Prävention versteht Bronisch die Verhinderung eines Wiederholungssuizidversuchs. Hier spielen Institutionen wie Telefondienste und Suizidpräventionszentren eine große Rolle. Auch moderne Medien, wie das Internet könnten hier
Wirksamkeit zeigen, was bisher jedoch schlecht nachweisbar ist.
Unter tertiärer Prävention versteht Bronisch eine Art „Individualprävention“ (Bronisch
2007; Seite 97).
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1.2 Ausgewählte präventive Projekte gegen Suizidalität
Bereits 1993 verfasste die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sechs Ziele um die
Suizidalität zu verringern. Dabei handelte es sich um die Behandlung von Patienten mit
psychischen Störungen (1), Kontrolle von Waffenbesitz (2), Entgiftung von Gasen die im
Haushalt verwendet werden (3), Entgiftung von Autoabgasen (4), Kontrolle über die
Zugänglichkeit von toxischen Substanzen (5) und Verringerung von Pressemitteilungen
über Suizide (6).
Dabei sollte sich jedes Land auf die Dinge fokussieren, die in den jeweiligen Ländern das
größte Problem darstellten (Goldney, 2002).
Die Einführung präventiver Maßnahmen ging in einigen Ländern mit einer Verringerung
der Suizidzahlen einher. So konnten Studien in Kanada, Australien, Neuseeland, Österreich
und Großbritannien aufzeigen, dass es nach der Einführung bzw. Verschärfung von
Waffengesetzen zur Verringerung der waffenabhängigen Suizide kam (Rodríguez &
Hempstead, 2011). Althaus und Hegerl (2003) verweisen allerdings darauf, wie schwierig
es ist die Effizienz solcher Präventionsmaßnahmen zu prüfen, da der Einfluss von
unspezifischen, in den Studien nicht erhobenen Variablen schwer zu erfassen ist. Des
Weiteren verfügte keine der oben genannten Studien über eine Kontrollgruppe, so dass
zufällige Effekte, wie zum Beispiel zeitliche Schwankungen, nicht sicher ausgeschlossen
werden können.
Im Folgenden sollen nun das „Nürnberger Bündnis gegen Depression“ und das Projekt
OSPI Europe1 vorgestellt werden. Es handelt sich um Projekte, bei denen jeweils eine
Kontrollregion (ohne suizidpräventive Maßnahmen) einer Interventionsregion (mit
suizidpräventiven Maßnahmen) gegenübergestellt wurde, um neben der Verringerung der
suizidalen Handlungen auch die Effizienz der Maßnahmen im Interventionsgebiet zu
untersuchen. Diese Arbeit entstand im Zuge des OSPI-Projektes in Leipzig.
1.2.1 „Nürnberger Bündnis gegen Depression“
Im Jahre 2001 wurde das Nürnberger Bündnis gegen Depression gegründet. Gemäß den
Zielen der WHO initiierte man eine Intervention auf vier Ebenen. Erstens Schulung von
Hausärzten, zweitens öffentliche Aufklärung, drittens Fortbildung von Multiplikatoren (=
nicht-medizinisches Personal wie Pfarrer, Polizisten usw.) über Depression und
Suizidalität und viertens, spezielle Angebote für Risikogruppen. Besonders ist die Tatsache
hervorzuheben, dass es sich um eine kontrollierte Studie handelt. Als Kontrollregion diente
die Stadt Würzburg. Man konnte somit zeigen, dass auf Grund der Interventionen die
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„Optimizing Suicide Prevention programs and their Implementation in Europe”
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suizidalen Handlungen (Suizidversuche und Suizide) signifikant um mehr als 20 Prozent
gesenkt werden konnten. Seit 2004 wird das Projekt, gefördert durch die Europäische
Kommission, als „European Alliance Against Depression (EAAD)" in 17 europäischen
Ländern umgesetzt. 2007 wurde es mit dem "European Health Forum Award"
ausgezeichnet (Informationsdienst Wissenschaft, 2007).
1.2.2 „Optimizing Suicide Prevention programs and their Implementation
in Europe” (OSPI Europe)
Die Grundlage für das OSPI Projekt wurde durch die Arbeit der EAAD gelegt. In
Deutschland wurde Leipzig als Interventionsregion und Halle/Saale als Kontrollregion
auserwählt. Ziel ist es, im Zeitraum zwischen 2008 und 2012, ein modernes Konzept für
Suizidprävention zu erarbeiten, dieses in vier europäischen Ländern zu testen und zu
evaluieren um schlussendlich diese Interventionen für ganz Europa einzuführen.
Zusätzlich zu den vier Ebenen des „Nürnberger Bündnisses gegen Depression“ wurde das
OSPI Projekt um eine weitere Ebene ergänzt. Der Zugang zu letalen Suizidmethoden soll
eingeschränkt werden (Hegerl et al., 2009). Dass dies ein weiterer Erfolg in Richtung
optimierte Suizidprävention ist konnten Florentine und Crane (2010) darstellen. Demnach
zeigt sowohl die Limitierung des physischen Zugangs zu Suizidmethoden durch
Waffengesetze oder Entgiftung von Haushaltsgasen, als auch die Begrenzung des
kognitiven Zugangs, in Form von eingeschränkter Berichterstattung durch die Medien,
einen Erfolg.
1.3 Grundsätzliche Fragestellungen
Diese Arbeit entstand im Rahmen des OSPI-Projektes. Das Hauptziel war, zu untersuchen,
welche Kosten durch die Behandlung von Suizidenten am Universitätsklinikum Leipzig
entstanden und wie diese Behandlung erfolgte. Weiterhin war es das Ziel zu analysieren,
ob sich die direkten Kosten der Akutbehandlung in Abhängigkeit zur Methode des
Suizidversuchs unterschieden.
Wie viele Patienten wurden also ambulant, wie viele stationär behandelt? Und wie lange
war die Verweildauer? Wie hoch war der Anteil der Intensivstationspatienten und erhielten
alle eine psychologische Betreuung oder ein psychiatrisches Konsil? Alle diese Fragen
haben einen Einfluss auf die Gesamtkosten und sollten daher auch beantwortet werden.
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2 Theorie
2.1 Definition Suizid und Suizidversuch
Der Begriff Suizid leitet sich vom neulateinischen „sui-cidium“ (aus dem Präfix „sui“ =
sich und „caedere“ = töten) ab (Pajonk & D´Amelio, 2009).
Die WHO definiert Suizid als “act of deliberately killing oneself.” 2, also als Akt der
vorsätzlichen Selbsttötung und kann daher weitergehend vom Opfertod abgegrenzt werden.
Ein Suizidversuch ist „ein selbstinitiiertes, gewolltes Verhalten eines Patienten, der sich
verletzt oder eine Substanz in einer Menge nimmt, die die therapeutische Dosis oder ein
gewöhnliches Konsumniveau übersteigt und von welcher er glaubt, sie sei
pharmakologisch wirksam“ (Kreitman, 1986).
Diese Definition zeigt ein aktives Handeln und Wollen des Menschen und schließt ein
suizidales Handeln aus Versehen heraus, wie zum Beispiel häufig bei Kindern, aus.
Andere veraltete Definitionen von Suizidversuchen beinhalten zum Beispiel
Abhängigkeiten (Alkohol, Drogen, Medikamente), Risikosportarten und Risikoverhalten.
Dabei wird dem Menschen der dies tut ein unbewusster Todeswunsch, jedoch kein aktives
Verlangen danach zugeschrieben (Menninger, 1989).
Abzugrenzen davon ist der Begriff des Parasuizids, bei dem der Wunsch nach dem Tod
nicht im Vordergrund steht. Stengel (1969, S.74) schrieb dazu: „Die meisten Menschen,
die Selbstmordhandlungen begehen, wollen nicht entweder sterben oder leben. Sie wollen
beides gleichzeitig, gewöhnlich das eine mehr als das andere.“
Die Person die einen Suizidversuch begeht wird, in Anlehnung an die Arbeit von Bronisch
(2007), im Folgenden als Suizident bezeichnet.
2.2 Motive des Suizidversuchs
Ein Motiv ist „ein subjektiver Beweggrund für ein bestimmtes Verhalten“ (Pschyrembel,
2002; S.1087).
Bronisch (2007) unterscheidet drei wesentliche Motive eines Suizidversuchs. Die
parasuizidale Pause, parasuizidale Geste und die parasuizidale Handlung mit
Autoaggression.
2
http://www.who.int/topics/suicide/en/; geprüft am 02.06.2011
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2.2.1 Parasuizidale Pause
Hier steht beim Patienten der Wunsch nach einer Unterbrechung im Vordergrund. Die
betroffenen wollen Ruhe haben. Der direkte Wunsch zu sterben ist nicht vorhanden.
Allerdings begehen viele Betroffene im Verlauf weitere Suizidversuche, welche
gegebenenfalls erfolgreich enden.
2.2.2 Parasuizidale Geste
Steht der Appell an den Mitmenschen im Vordergrund spricht man von einer
parasuizidalen Geste. Oft wird der Suizidversuch mit weniger toxischen Mitteln oder
gefährlichen Methoden durchgeführt und der Zeitpunkt wird so gelegt, dass mit einem
rechtzeitigen Auffinden zu rechnen ist.
Meist ist die Person, die den Suizidenten auffindet auch derjenige, dem dieser Appell gilt
(Beispiel: Ehepartner).
2.2.3 Parasuizidale Handlung mit Autoaggression
Bronisch (2007) definiert dieses Motiv als missglückten Suizid bzw. erfolglosen
Suizidversuch, bei dem vor allem die Autoaggression im Vordergrund steht. Der Suizident
will sterben und der Zeitpunkt wird so gelegt, dass ein rechtzeitiges Auffinden weniger
realistisch ist. Des Weiteren werden hier, im Gegensatz zur parasuizidalen Pause und
Geste, eher „harte Methoden“ verwendet, so die Meinung des Autors.
2.3 Unterschiede zwischen Suizid und Suizidversuch
Nach Erwin Stengel (1969) unterscheiden sich Suizid und Suizidversuch in einigen
Punkten:
1. Es gibt Unterschiede bezüglich des Alters und des Geschlechts. Suizide begehen eher
Männer und ältere Personen. Suizidversuche hingegen eher Frauen und Personen jüngeren
Alters.
2. Der fatale Suizid ist der Endpunkt des Lebens, wobei hingegen der reine Suizidversuch
häufig zu entscheidenden Veränderungen im Leben des Patienten führt. Es ist jedoch
unklar, ob dies immer eine positive Veränderung ist, da mit häufigeren Suizidversuchen
die Wahrscheinlichkeit eines vollendeten Suizides steigt (Bronisch, 2007).
3. Die Anzahl der Suizidversuche ist deutlich höher als die der vollendeten Suizide.
Des Weiteren ist bekannt, dass Suizidenten, die einen eigentlich sehr schweren und im
Normalfall letalen Suizidversuch überlebten, in ihrem klinischen und psychosozialen Profil
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eher Patienten gleichen, die einen fatalen Suizid vollführten als Patienten mit weniger
schweren Suizidversuchen (Mann, 2002).
2.4 Der Weg zum Suizidversuch
In den seltensten Fällen handelt es sich bei der Durchführung eines Suizidversuchs um eine
spontane Entscheidung. Vielmehr durchläuft der oder die Betreffende eine Entwicklung
(Abb. 1), so Pajonk und
D´Amelio (2009). Zunächst
erwägt der Patient einen
Suizidversuch, da er sich in einer
ausweglosen und für ihn
schwierigen Situation befindet.
Eine Phase, in der ein zunächst
niedriges Risiko besteht, das
allerdings nach außen hin
versteckt ist. Im folgenden AmbivalenzStadium ist der Betroffene zwischen dem
Wunsch dem Leid ein Ende zu setzen und
Abbildung 1 – Stadien der suizidalen
Entwicklung nach W. Pöldinger.
Aus Pajonk & D´Amelio, (2009)
dem Gedanken des Weiterlebens hin- und hergerissen. Erst im dritten Stadium steht der
Entschluss fest, sich das Leben zu nehmen. Problematisch ist in dieser Situation, dass der
Patient eine gewisse Ruhe ausstrahlen kann, welche dem Umfeld eine Beurteilung der
kritischen Situation erschwert. Eine ähnliche Schilderung findet sich bei Althaus und
Hegerl (2004). Die beiden Autoren fügen hinzu, dass es sich bei dieser Entwicklung
keinesfalls um ein Kontinuum handeln muss und dass nur wenige, die im ErwägungsStadium an einen Suizid denken, diesen dann auch wirklich ausführen.
2.5 Gründe für den Suizidversuch
„Man muss wohl davon ausgehen, dass der Trennungsschmerz beim Kind wie beim
Erwachsenen einen der intensivsten seelischen Schmerzen darstellt und soziale Isolation
als eine der größten Bedrohungen menschlichen Seins erlebt wird. Trennungsschmerz und
Angst vor sozialer Isolation scheinen demnach so stark ausgeprägt zu sein, dass sich die
menschliche Natur mit ihrem Überlebenswillen nicht mehr durchsetzen kann.“ (Bronisch,
2007; Seite 82)
Nach einem Suizid (-versuch) stellt sich für Angehörige und Freunde, aber auch für die
Polizei und das hinzu gerufene medizinische Personal häufig die Frage nach dem
„Warum?“.
Seite |9
Die Studienlage ist hier recht eindeutig. Nahezu alle Studien, die Suizidenten nach der Tat
diesbezüglich befragten, liefern das Ergebnis, dass vorrangig wegen
zwischenmenschlichen Konflikten, wie zum Beispiel die Trennung vom Lebenspartner,
Familienkonflikte, romantische Enttäuschungen oder Untreue des Partners der
Suizidversuch begangen wurde. Dies scheint vor allem bei jüngeren Menschen der Fall zu
sein (Ferris et al., 2007; Farzaneh et al., 2010; Gasquet & Choquet, 1994; Marks, 1979).
Erst an zweiter Stelle stehen psychische Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen
(Fürst & Habscheid, 1993; Harkavy-Friedman et al., 1999). Richtungsweisend für eine
Verbesserung der Prävention könnte sein, dass diese Tatsache seit vielen Jahren
unverändert ist, denn bereits 1982 veröffentlichten Hawton et al. identische Ergebnisse.
Kurz et al. (1982) konnten durch ihre Studie zeigen, dass Menschen bei einem
Wiederholungssuizidversuch meist Probleme in mehreren Lebensbereichen nebeneinander
aufwiesen, während Patienten beim ersten Selbsttötungsversuch bei der Befragung eher
nur ein Problem angegeben hatten (p < 0,01).
Suizidversuche im Alter sind häufig durch „Partnerverlust, Verlust des sozialen
Netzwerkes, Angst vor den Folgen physischer Erkrankungen und Verlust von
Handlungsfreiheitsgraden.“ bedingt (Schmidtke et al., 2008).
2.6 Epidemiologie von Suizid und Suizidversuchen
Im Jahr 2009 verstarben in Deutschland 9616 Menschen durch Suizid. Diese Anzahl ist
mehr als doppelt so hoch, wie die Todesopfer durch Verkehrsunfälle, Mord, AIDS und
malignem Melanom zusammengenommen (Statistisches Bundesamt, 2010). Vor allem im
Alter zwischen 15 und 20 Jahren
stellt der Suizid damit die
zweithäufigste Todesursache dar
(Bronisch, 2007; Mann, 2002;
Möller-Leimkühler, 2003).
Die Schätzungen über das Verhältnis
zwischen Suizid und Suizidversuch
liegen in der Literatur zwischen 1:10
(Althaus & Hegerl, 2004) und 1:30
Abbildung 2 – Altersverteilung von
Suizidversuchen. Aus Schmidtke et al. (2008)
(Bronisch, 2007). Die Anzahl der Suizide die während einer stationären Behandlung in
einem Krankenhaus durchgeführt werden ist 4- bis 5-fach höher als die Suizidrate in der
Allgemeinbevölkerung. 250 von 100.000 Patienten einer Psychiatrie begehen während des
Aufenthalts Suizid, so Martelli et al. (2010).
S e i t e | 10
Suizidversuche im Alter sind seltener, steigen jedoch bei den sehr alten Menschen wieder
an (Abb. 2). Generell aber sind die Raten, auf Grund eines hohen Anteils indirekter
Methoden, also Unterlassungshandlungen, stark unterschätzt (Schmidtke et al., 2008).
2.7 Einflussfaktoren auf suizidales Verhalten
In der Literatur werden viele Faktoren beschrieben, die Einfluss auf das suizidale
Verhalten eines Patienten haben sollen. Dabei sind einige Faktoren, wie zum Beispiel
vorbestehende psychiatrische Erkrankungen, wissenschaftlich gesichert (Hirschfeld &
Russell, 1997), während über andere Faktoren, zum Beispiel die Körpergröße, große
Diskussionen geführt werden. Fest steht, es handelt sich um ein komplexes,
multifaktorielles Geschehen.
Mann et al. (1999) entwickelten daher, auf der Grundlage ihrer prospektiven Studie, das
„Stress-Diathese-Modell“ welches besagt, dass ein Suizidversuch meist nicht nur auf einer
psychischen Erkrankung (Stressor) beruht, sondern zeitgleich ein zweiter Faktor vorhanden
sein muss (Diathese), wie zum Beispiel ein erhöhtes Aggressionspotential oder
Impulsivität. Dieses Model entwickelte Heeringen (2001) weiter. Demnach kommt es bei
Menschen mit genetischer und biologischer Vulnerabilität durch Stressoren zu suizidalen
Krisen. Mögliche Stressoren sind ein oder mehrere der im Folgenden genannten Faktoren,
die in der Literatur beschrieben und hier teilweise näher beleuchtet werden. Allerdings
kann kein Anspruch auf Vollständigkeit bestehen.
2.7.1 Psychische Erkrankungen
„Der große französische Psychiater des 19. Jahrhunderts, Jean Etienne Dominique
Esquirol, sah in dem Suizid alle Merkmale der Geisteskrankheiten versammelt. In dieser
Ansicht folgten ihm viele Psychiater nach“ (Bronisch, 2007; Seite 10).
Bis zu 90 Prozent aller Suizide sind assoziiert mit psychischen Erkrankungen und nahezu
alle Patienten, die einen
Suizidversuch begehen haben eine
psychische Störung (Foster et al.,
1997; Lineberry, 2009; Mann, 2002).
Dieser Zusammenhang wurde
genauer untersucht und man stellte
fest, dass affektive Störungen,
Abbildung 3 – Verteilung von Psychiatrischen Erkrankungen bei Patienten mit
Suizidversuch außerhalb von stationären Einrichtungen. Aus Bertolote &
Fleischmann (2002)
S e i t e | 11
hauptsächlich Depressionen, die führende Begleit- bzw. Grunderkrankung von Suizidenten
darstellen. Gefolgt von „Substanz-bezogenen Störungen“ (vorrangig Alkohol),
Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie (siehe Abb. 3). Die Komorbidität zwischen
affektiven und Substanz-bezogenen Störungen wurde mit Abstand am häufigsten
beschrieben (Bertolote & Fleischmann, 2002). Diese Verteilung scheint jedoch abhängig
vom Alter, Wohnort und Geschlecht der betreffenden Personen zu sein. So diagnostizierten
Farzaneh et al. (2010) bei Suizidversuchen von Schülern nur in 23,6 Prozent eine
psychische Störung. Führend waren hier vorrangig Anpassungsstörungen (84,3 %) im
Vergleich zu Depressionen (18,1 %). Diese Thematik ergänzend, untersuchten Groholt und
Ekeberg (2009) Jugendliche 8 bis 10 Jahre nach ihrem Selbsttötungsversuch und
diagnostizierten dort allerdings bei 79 Prozent eine psychiatrische Störung.
Eine chinesische Studie ergab eine signifikant geringere Inzidenz der Depression bei
Suizidversuchen im asiatischen Raum (Bi et al., 2010) und Nordentoft und Branner (2008)
zeigten auf, dass Männer im Vergleich zu Frauen bei Suizidversuchen ein besseres
Selbstwertgefühl und eher weniger depressive Symptome zeigen.
Viele weitere Autoren sehen in den psychischen Erkrankungen den größten Prädiktor für
einen Suizid (-versuch) (Adams, 1986; Beghi & Rosenbaum, 2010; Hirschfeld & Russell,
1997; Möller-Leimkühler, 2003; Tidemalm et al., 2008). Das relative Risiko eines
Patienten mit psychischen Störungen für die Durchführung eines Suizidversuchs im Laufe
seines Lebens ist doppelt so hoch, wie für vergleichbare Personen ohne eine solche
Erkrankung (Magnusson et al., 2006). Mann (2002) sieht die Lebenszeitmortalität durch
einen Suizid bei Patienten mit bipolarer Störung bei etwa 20 Prozent, für Alkoholabhängige bei 18 und für Patienten mit Depression bei 15 Prozent.
Die Risikofaktoren Depression, Schizophrenie und Angststörungen sollen nun an dieser
Stelle näher beleuchtet werden.
2.7.1.1 Depression
Unter einer Depression versteht man eine Verstimmung und/oder Freudlosigkeit, die
länger als 2 Wochen anhält sowie eine Anzahl von begleitenden Symptomen wie zum
Beispiel Gewichtsabnahme, Schlaflosigkeit, Unruhe, Appetitmangel, Müdigkeit, Gefühl
der Wertlosigkeit, Schuldgefühle, verminderte Denk-, Konzentrations- oder
Entscheidungsfähigkeit, sowie wiederkehrende Suizidideen ohne einen genauen Plan
(Bronisch, 2007).
S e i t e | 12
Studien zeigen ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken und –versuche bei Patienten mit
Depression. Die Stärke dieses Zusammenhangs wird in der Literatur mit einer Odds Ratio
zwischen 7,6 (Legleye et al., 2010) und 33 (Brunner et al., 2006) angegeben.
Dennoch begehen weniger als die Hälfte aller Depressiven einen Suizidversuch (Mann,
2002). Mann (2002) erklärt diese Problematik mit zwei Theorien. Zum einen vermutet er,
dass diejenigen, die einen Suizidversuch begehen im Gegensatz zu den Nichtsuizidenten
eine subjektiv stärkere depressive Stimmung, größere Hoffnungslosigkeit und mehr
Suizidgedanken aufweisen. Eventuell durch persönliche Erfahrungen in Zeiten von
Krankheit und/oder Stress begründet. Zum anderen vermutet er eine größere Aggressivität
bei den Suizidenten.
Bezüglich der subjektiven depressiven Stimmung fanden Malone et al. (1995) jedoch
keinen Unterschied im Vergleich zwischen beiden Gruppen. Sie stellten allerdings eine
Hypothese auf, dass das Risiko für einen Selbsttötungsversuch abhängig von der Schwere
der Depression ist. Sie selbst konnten diese These in ihrer Studie nicht beweisen. Dies
gelang 15 Jahre später aber Holma et al. (2010). Erwartungsgemäß zeigten die Autoren
auf, dass das Risiko eines Versuches in einer depressiven Episode am höchsten und in
vollständiger Remission nur noch geringgradig erhöht war. Sie registrierten 73 Prozent
aller Versuche innerhalb einer depressiven Episode. Generell war das Risiko umso größer,
je länger ein Patient depressiv war.
Im Gegensatz dazu fanden Nakagawa et al. (2009) keinen Zusammenhang zwischen der
Schwere der Depression und der Planung eines Suizidversuchs.
Malone et al. (1995) berichteten, dass das größte Risiko in ersten drei Monaten nach
Beginn der Episode beziehungsweise in den ersten fünf Jahren nach dem Einsetzen der
depressiven Erkrankung besteht. Auch scheint sicher zu sein, dass Patienten mit affektiven
Störungen häufiger, im Vergleich zu Suizidenten ohne affektive Störung, nach einem
Suizidversuch in einem Krankenhaus behandelt werden und dass sie bereitwilliger über
ihre Suizidgedanken berichten (Pompili, Innamorati, Giupponi et al., 2010).
2.7.1.2 Schizophrenie
Bei der Schizophrenie handelt es „sich um eine psychische Störung/Erkrankung, die durch
einem hohen Grad von Realitätsverlust gekennzeichnet ist. Der Realitätsverlust äußert sich
in Symptomen wie Wahn, Halluzinationen, Denkstörungen, einer abnormen Psychomotorik
und einem abnormen Affekt.“ (Bronisch, 2007; Seite 46)
Laut Fenton et al. (1997) lautet die häufigste Todesursache bei Patienten mit
Schizophrenie: Suizid. In einer schwedischen Studie mit knapp 40.000 untersuchten
Personen war das Suizidrisiko für Schizophrene am größten (Tidemalm et al., 2008).
S e i t e | 13
Schätzungen zu Folge begehen etwa 25 Prozent aller schizophrenen Patienten im Laufe
ihres Lebens einen Suizidversuch (Shrivastava et al., 2010). Problematisch scheint vor
allem die Tatsache zu sein, dass diese Patienten zu Selbsttötungsmethoden mit höherer
Letalität tendieren (Harkavy-Friedman et al., 1999) und dass sie ihre suizidale Intention
weniger stark gegenüber Dritten äußern (Fenton et al., 1997).
Entscheidend für die Behandlung und Prävention der Suizidalität scheint auch hier die
Frage zu sein, durch welche Variablen diejenigen Personen charakterisiert sind, welche ein
besonders hohes Risiko haben. Während einige Studien hier keine sozio-demographischen
oder klinischen Variablen ausfindig machen konnten (Harkavy-Friedman et al., 1999;
Shrivastava et al., 2010) gelang es Fenton et al. (1997) die Abhängigkeit der Suizidalität
vom Vorhandensein von Negativ- und Positivsymptomen zu zeigen. Demnach scheint das
Langzeitrisiko durch eine stark ausgeprägte Negativsymptomatik verringert, während die
beiden von Fenton et al. beschriebenen Positivsymptome Misstrauen („suspiciousness“)
und Wahn („delusions“) das Risiko erhöhen. Dementsprechend hat der paranoide Subtyp
der Schizophrenie das höchste Risiko für die Durchführung eines Suizidversuchs.
2.7.1.3 Angststörungen
Nakagawa et al. veröffentlichten 2009 eine Studie mit dem Ergebnis, dass depressive
Patienten die gleichzeitig unter Angst- oder Panikstörungen leiden einen protektiven
Effekt, was die Planung von Suizidversuchen angeht, aufweisen. Ausgenommen sind
Phobien und posttraumatischer Stress. Angststörungen könnten auch die Letalität von
Suizidversuchen vermindern, so die Autoren. Dem widersprechend zeigten andere Studien,
dass auch ein großer Anteil der Suizidversuche von Patienten mit Panikstörungen
durchgeführt wird. Angaben dazu liegen in der Literatur zwischen 37,6 Prozent (Ma et al.,
2009) und 42 Prozent (Groholt & Ekeberg, 2009).
S e i t e | 14
2.7.2 Alter und Geschlecht
Während bei den Suiziden vorrangig Männer im mittleren und vor allem im höheren Alter
betroffen sind (Möller-Leimkühler, 2003), zeigt sich bei den Suizidversuchen ein anderes
Bild.
Das Statussymbol „Männlichkeit“, geht bei Männern mit einem erhöhten Risikoverhalten,
schlechteren Problemlösungsstrategien und einem mangelnden Ausdruck von Emotionen
einher. Diese Faktoren und weitere, wie zum Beispiel Alkoholmissbrauch, können
wiederum suizidales Verhalten fördern (Möller-Leimkühler; 2003).
Untersucht man hingegen die Alters- und Geschlechterverteilung bei den Suizidversuchen,
stellt man fest, fast alle Studien zeigen, dass hier vorrangig jüngere Menschen und meist
Frauen betroffen sind. Die Altersangaben liegen in der Literatur zwischen 16,1 und 40,2
Jahren (Adams, 1986; Barr et al., 2005; Bittner et al., 2010; Farzaneh et al., 2010; Gasquet
& Choquet, 1994; Güloğlu & Kara, 2005; Kapur et al., 1999; O´Donovan et al., 1993;
Serinken et al., 2008; Slama et al., 2009; Yeo, 1993).
Slama et al. (2009) konnten zeigen (Abb. 4), dass zwei Gauss´sche Kurven die Verteilung
von Suizidversuchen wiedergeben. Er fand das erste Maximum bei 19,5 Jahren (SD = 4,3)
und das zweite Maximum bei
38,5 Jahren (SD = 12,4).
Während beim ersten Maximum
hauptsächlich Personen mit
Angststörungen,
Cannabismissbrauch und
anamnestisch (sexuellen)
Missbrauch betroffen waren,
waren dies beim zweiten
Maximum vornehmlich Personen mit
Abbildung 4 – Altersverteilung bei
Suizidversuchen. Aus Slama et al. (2009)
Depression. Der deutlich höhere Peak bei 19,5 Jahren konnte durch weitere Studien
bestätigt werden. Cengiz et al. (2006) untersuchten 86 Fälle mit Vergiftung in suizidaler
Absicht auf einer Intensivstation und errechneten, dass über 50 Prozent der Patienten
zwischen 15 und 24 Jahren alt waren. Ähnliche Ergebnisse veröffentlichten Islambulchilar
et al. (2009), Güloğlu und Kara (2005) und Serinken et al. (2008).
Auch die Tatsache, dass mehr Frauen einen Suizidversuch begehen wurde bislang durch
viele Studien bewiesen. Das Verhältnis Mann:Frau liegt je nach Studie zwischen 1:1,1 und
1:6,3 (Barr et al., 2005; Farzaneh et al., 2010; Gasquet & Choquet, 1994; Güloğlu & Kara,
2005; Islambulchilar et al., 2009; Kapur et al., 2004; Serinken et al., 2008; Slama et al.,
2009; Yeo, 1993).
S e i t e | 15
Lediglich Kapur et al. (1999) und Bittner et al. (2010) haben in ihren Studien mehr Männer
erfasst, wobei Bittner et al. (2010) den Unterschied zwischen Suizidversuchen mit und
ohne Waffenverwendung untersuchte. Mehr als die Hälfte der von ihm erfassten Fälle
verwendeten Waffen, was die Abhängigkeit des Geschlechts von der Methode des
Suizidversuchs aufzeigt.
2.7.2.1 Suizidversuche im Alter
Suizidversuche im Alter werden häufig mit „harten“ Methoden, wie Erhängen (55 %),
begangen. Damit sind diese Versuche mit einer wesentlich größeren Letalität verbunden.
„Für die Altersverteilung der Suizidziffern findet sich immer noch das so genannte
„ungarische Muster“, d.h. die Suizidgefährdung nimmt mit dem Alter sowohl für Männer
als auch für Frauen deutlich zu“ (Schmidtke et al., 2008).
Schaller (2008) liefert hierfür das „transaktionale Erklärungsmodel des Alterssuizids“, in
das „Umwelt-, biologisch-somatische, persönlichkeitsspezifische sowie (kompensatorische)
Verhaltensaspekte“ einfließen.
2.7.3 Body Maß Index (BMI)
Der Body-Maß-Index, kurz BMI, wird berechnet als Körpergewicht in Kilogramm geteilt
durch Körpergröße in Metern zum Quadrat. Als Normwerte werden, so auch in den
meisten Studien, Ergebnisse zwischen 18,5 und 25 kg/m2 angesehen. Darunter spricht man
von Untergewicht. Bei größeren Werten spricht man bis 30 kg/m2 von übergewichtig,
während Ergebnisse > 30 kg/m2 der Kategorie Fettleibigkeit entsprechen (nach Batty et al.,
2010).
Viele neuere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass ein hoher BMI einen protektiven Effekt
auf das suizidale Verhalten einer Person hat. Magnusson et al. (2006) errechneten eine
Risikominimierung für einen Suizid zwischen 10 und 15 Prozent je BMI-Zuwachs um 5
kg/m2, unabhängig vom Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein einer psychischen
Störung. Grundlage dieses Ergebnisses waren Daten, die bei der Musterung von über einer
Million junger Männer aus Schweden erhoben und über 31 Jahre hinweg, hinsichtlich der
Todesursache, nachbeobachtet wurden. Weitere Studien konnten dieses Ergebnis
bestätigen (Bjerkeset et al., 2008; Kaplan et al., 2007). Mukamal et al. (2007) zeigten, dass
in ihrer Studie die Suizidrate von Männern in der Gruppe mit einem BMI < 21 kg/m2 mit
52 je 100.000 deutlich höher lag, als bei Männern in der Gruppe mit einem BMI > 30
kg/m2 (13 je 100.000).
Einen gleichartigen Effekt konnte Kaplan et al. (2007) für fettleibige Frauen aufzeigen.
S e i t e | 16
Während sich alle diese Studien nur mit Suizid als Endpunkt beschäftigten, untersuchten
Batty et al. (2010) erneut die gleiche Population wie Magnusson et al. (2006) hinsichtlich
von Suizidversuchen. Die Autoren fanden einen nahezu linearen Zusammenhang zwischen
dem BMI und den durchgeführten Suizidversuchen. Je höher der BMI bei der
Datenerfassung war, desto geringer war das Risiko für einen Suizidversuch in den
Folgejahren (Abb. 5).
Kritisiert wurde diese Darstellung
von Mukamal und Miller (2010)
hinsichtlich der geringen
Beachtung von psychischen
Erkrankungen und den, wie bereits
bei Magnusson et al. (2006),
fehlenden BMI-Messungen im
Verlauf.
Allerdings existieren auch
wissenschaftliche Arbeiten, die
diesen Ergebnissen widersprechen.
Abbildung 5 – relatives Suizidversuchsrisiko in
Abhängigkeit zum BMI. Aus Batty et al. (2010)
Dong et al. beschrieben 2006 ein
erhöhtes Suizidrisiko für Patienten mit Fettleibigkeit (bestätigt durch Mather et al., 2009)
und Eaton et al. (2005) konnten zeigen, dass eher das subjektive Gefühl über das eigene
Körpergewicht wichtig zu sein scheint. Laut den Autoren neigen Menschen die sich sehr
unter- oder übergewichtig fühlen eher zu Suizidversuchen (Odds Ratio 3,04 bzw. 2,74) und
Suizidgedanken (Odds Ratio 2,29 bzw. 2,5).
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei dem Krankheitsbild der Depression um einen
Hauptrisikofaktor für suizidales Verhalten. Dementsprechend haben einige Autoren
untersucht, ob dieses Krankheitsbild eher bei Personen mit niedrigen oder höheren BMI zu
finden ist. Da eine Depression den Appetit sowohl vermindern als auch steigern kann, hätte
dies Einfluss auf dem BMI. Aber auch hier finden sich kontroverse Ergebnisse (Bjerkeset
et al., 2008). Carpenter et al. (2000) konnten eine U-Verteilung aufzeigen. Demnach sind
höhere und niedrige BMI-Werte mit dem Krankheitsbild der Depression assoziiert.
Abschließend muss erwähnt werden, dass dicke Menschen auf Grund von
kardiovaskulären Risiken, Diabetes mellitus und Krebserkrankungen eine höhere
Sterblichkeit aufweisen (Allebeck & Bergh, 1992). In einigen Studien weist zwar ein hoher
BMI einen protektiven Effekt gegenüber suizidalem Verhalten auf, jedoch kann es nicht in
unserem Interesse liegen, im Sinne einer Suizidprävention, eine Gewichtszunahme zu
empfehlen (Magnusson et al., 2006).
S e i t e | 17
2.7.4 Serumcholesterinkonzentration/Triglyceride
Die These, dass ein hoher BMI das Risiko für die Durchführung eines
Selbsttötungsversuchs vermindern könnte führte zu der Annahme, dass bedingt durch den
höheren Fettanteil freie Fettsäuren im Blut erhöht sind. Diese wiederum erhöhen den
Serumspiegel der Aminosäure Tryptophan , die für die körpereigene Produktion des
Neurotransmitters Serotonin erforderlich ist (Bjerkeset et al., 2008; Magnusson et al.,
2006). Ein Mangel an Serotonin scheint suizidales Verhalten zu fördern (Asberg et al.,
1976).
Muldoon, Manuck und Matthews (1990) konnten in einer Metaanalyse eine höhere
Mortalität durch Suizide und Unfälle bei Patienten mit lipidsenkenden Medikamenten
(Statine) aufzeigen. Kritisiert wurde dieses Ergebnis von Brunner et al. (2002), da in allen
der sechs beteiligten Studien unterschiedliche Medikamente verwendet wurden und die
Blutfettwerte nur um 10 Prozent gesenkt werden konnten, während eine andere Studie ein
erhöhtes Risiko für Suizidversuche erst unter einem Wert von 160 mg/dl feststellten
konnten (Kaplan et al., 1997). 2001 führten Muldoon et al. erneut eine Metaanalyse,
diesmal mit 19 Studien durch und konnten keine Erhöhung der Suizidraten unter einer
Therapie mit Statinen nachweisen.
Dennoch existieren Arbeiten, die diese These untermauern. Perez-Rodrigues et al. (2008)
veröffentlichten ihre Studie mit dem Ergebnis, dass niedrigere Cholesterol- und
Triglyceridwerte mit einem erhöhten Risiko für Suizidversuche einhergehen. Das Risiko
ist demnach, im Falle des zeitgleichen Vorliegens einer psychiatrischen Erkrankung, noch
größer. Eventuell besteht auch ein Geschlechtsunterschied, denn Golier et al. (1995)
konnten diesen Effekt nur bei Männern aufzeigen. Des Weiteren scheint der
Cholesterolwert bei Patienten mit Depressionen, Persönlichkeitsstörungen und
Schizophrenie, die einen Suizidversuch begingen niedriger zu sein als bei Gesunden oder
vergleichbaren Patienten ohne Suizidversuch (Kim et al., 2002; Marcinko et al., 2008).
Kontroverse Ergebnisse stammen von Studien aus Deutschland und Italien, in denen
entweder der gegenteilige Effekt (Brunner et al., 2006) oder kein Zusammenhang
nachgewiesen werden konnte (Pompili, Innamorati, Lester et al., 2010).
2.7.5 Wohnort: Stadt versus Land
„In die Städte wandern instabile Individuen, und der Stress eines Großstadtlebens spiegelt
sich in den hohen Suizidraten wider“, so Bronisch (2007; Seite 70). Des Weiteren berichtet
er von einer Wohnortanalyse in Mannheim, die ergab, dass die Suizidversuchsrate für
einzelne Straßen deutlich erhöht war, teilweise doppelt so hoch. Bronisch sieht hier ein
Zeichen für Imitationssuizide. Bestätigung findet dieser Verdacht durch einen Bericht des
S e i t e | 18
„Centers for Disease Control (CDC)“ (1988) aus New Jersey. Hier kam es nach dem
Suizid von 4 Jugendlichen, trotz erheblicher Sicherheitsvorkehrungen, wie Aufklärung in
den Schulen, Überwachung von nahestehenden Freunden und Personen mit einem
anamnestischen Suizidversuch und der Einrichtung einer Beratungshotline, sechs Tage
später zu einem weiteren Suizidversuch von zwei Teenagern. Dieser fand in derselben
Garage und durch die gleiche Methode statt. Die folgende 5-Jahres-Suizidrate der
betroffenen Gemeinde, lag nach den Vorfällen deutlich höher, als die der betreffenden
Altersgruppe des gesamten Landes.
Bewohner von Städten scheinen einem entsprechend höherem Risiko ausgesetzt zu sein.
Bei Islambulchilar et al. (2009) kamen 81 Prozent der Suizidenten aus städtischen
Gebieten. Ähnliche Ergebnisse lieferten Afshari et al. (2004). Während diese beiden
Arbeiten Daten aus dem Iran hervorbringen, so kamen bei einer Studie in Hongkong 85
Prozent der Suizidenten aus ländlichen Gebieten (Chandrasekaran & Gnanaselane, 2008),
was die Abhängigkeit von unterschiedlichen regionalen Bedingungen aufzeigt.
2.7.6 Risikoerhöhung durch vorausgehendes suizidales Verhalten
Unter suizidalem Verhalten werden alle eindeutigen vollendeten Suizide sowie
Suizidversuche, unabhängig vom Grad der Letalität, zusammengefasst (Mann, 2002).
Unterscheiden kann man demnach, so der Autor, zwei Dimensionen. Erstens, den Grad der
Letalität der Methode und zweitens die Stärke der suizidalen Intention, also wie der
Suizidversuch vorbereitet ist und welche Hoffnung oder Möglichkeit für eine Rettung
besteht. Viele Arbeiten konnten zeigen, dass vorausgegangenes suizidales Verhalten das
Risiko für einen folgenden Suizid oder erneuten Suizidversuch erhöht (Beghi &
Rosenbaum, 2010; Borg & Ståhl, 1982; Høyer et al., 2009; Kuo & Gallo, 2005). Zwischen
6 und 86 Prozent aller Suizidenten begehen innerhalb eines Jahres erneut einen
Suizidversuch, so das Ergebnis der Übersichtsarbeit von Nordentoft (2007). In einer
europaweiten Studie von Schmidtke et al. (1996) waren mehr als 50 Prozent
„Wiederholungstäter“. Wobei, in einer weiteren Studie untersucht, kein signifikanter
Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern zu bestehen scheint (Nordentoft &
Branner, 2008).
Wong et al. (2008) konnten mit ihrem „crescendo-Modell“ zeigen, dass ein Suizidversuch
Depressionen, Angst, Suizidgedanken und Familienverhältnisse verschlechtert und somit
das Risiko für einen weiteren Selbsttötungsversuch erhöht.
Meistens findet der Folgeversuch innerhalb eines Jahres statt (Bronisch, 2007; Schmidtke
et al., 1996). Gunnell et al. (2008) konnten in einer repräsentativen Untersuchung mit
S e i t e | 19
75.400 Suizidenten das höchste Risiko auf die ersten vier Wochen nach der
Krankenhausentlassung eingrenzen.
Besonders für einen Folgeversuch gefährdet scheinen junge Patienten zu sein, wie auch
Patienten mit Depression, Schizophrenie, bipolaren Störungen, Abhängigkeit, größerer
Hoffnungslosigkeit, sozialer Isolation, kürzerer Verweildauer im Krankenhaus und
Arbeitslose (Chandrasekaran & Gnanaselane, 2008; Gunnell et al., 2008; Høyer et al.,
2009; Kurz et al., 1982).
Mehr als die Hälfte der Suizidenten, die einen erneuten Suizidversuch begehen, wählen
dabei eine Methode die vermutlich letaler ist, als beim ersten Versuch (Malone et al.,
1995).
Ein Aufsehen erregendes Ergebnis veröffentlichten Runeson et al. (2010). Demnach kann
man das Risiko für einen Suizid, der einem Suizidversuch folgt, anhand der Methode des
vorausgegangenen Suizidversuchs abschätzen. Menschen die „harte Methoden“ nutzen,
sind den Ergebnissen zu Folge mehr gefährdet, als Suizidenten die sogenannte „weiche
Methoden“ für ihren Suizidversuch nutzten (Abb. 6).
Abbildung 6 – Risiko für Suizid abhängig von der Methode des vorausgegangenen
Suizidversuchs. Aus Runeson et al. (2010)
2.7.7 Suchterkrankungen - Abhängigkeit
Viele Menschen versuchen mit Alkohol oder Tabletten ihre Probleme zu lösen oder zu
verdrängen, weil sie auf diese Art und Weise eine zumindest subjektive Erleichterung
erleben (Battegay, 1965). Da dies allerdings zur Abhängigkeit führt und die Problematik
auf Grund von sozialem Abstieg, Arbeitslosigkeit, Verschuldung, depressiven Episoden
usw. sich noch verschlimmert, sind jene Menschen durch die Summe der Risikofaktoren
einem besonders hohen Suizidrisiko ausgesetzt (Bronisch, 2000; Murphy et al., 1992).
Diese enge Verbindung zwischen Abhängigkeit und Suizidalität beschreiben da Silva et al.
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(2009) mit der Aussage: „Alkoholmissbrauch bei Männern kann eine Alternative zum
Suizidversuch sein“.
Im Folgenden, werden Alkohol-, Drogen und Tabakabhängigkeit und deren Assoziation zu
Suizidversuchen näher beschrieben.
2.7.7.1 Alkoholmissbrauch/ -abhängigkeit
In Deutschland geht man derzeit von etwa 9,5 Mio. Menschen aus, die Alkohol in
gesundheitlich riskanter Weise trinken, davon sind circa 1,3 Mio. alkoholabhängig. Etwa 2
Prozent aller Krankenhausaufnahmen sind allein wegen Alkohol bedingt und verursachen
geschätzte Kosten in Höhe von 8,4 Mrd. Euro jährlich. Jeder fünfte Todesfall einer Person
zwischen 35 und 65 Jahren ist, statistisch gesehen, alkoholbedingt (Deutsche Hauptstelle
für Suchtfragen e.V, 2010 - Alkohol). Bei Jugendlichen in ländlicher Gegend ist der
Alkoholkonsum weiter verbreitet als in Stadtgebieten (Donath et al., 2011).
Alkoholabhängigkeit bzw. – missbrauch ist einer der größten Risikofaktoren für einen
Suizidversuch (Battegay, 1965; Bittner et al., 2010; Mann et al., 1999; Tidemalm et al.,
2008; Uzun et al., 2009).
Cherpitel et al. (2004) konnten in ihrer Übersichtsarbeit nachweisen, dass zwischen 10 und
73 Prozent aller Suizidversuche unter dem Einfluss von Alkohol stehen. Vor allem
betroffen sind hier Männer (Battegay, 1965; Boenisch et al., 2010; Hovda et al., 2008),
wobei alkoholabhängige Männer eher niedrig letale Methoden verwenden (Boenisch et al.,
2010). Auch die Entstehung einer Depression durch den Alkoholkonsum ist denkbar.
Öfters jedoch ist die Abhängigkeit durch die Depression bedingt, so das Ergebnis von
Möller-Leimkühler (2003).
2.7.7.2 Drogenkonsum
Laut Bundeskriminalamt wurden 2009 18.139 Menschen als sog. „Erstauffällige
Konsumenten“ illegaler Drogen erfasst. Der Hauptteil der Betroffenen war zwischen 21
und 29 Jahren alt. Hauptdrogen waren Amphetamine (53 %). Deutschlandweit geht man
von etwa 2,4 Mio. Cannabiskonsumenten und 645.000 Konsumenten anderer illegaler
Drogen aus (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., 2010 – Illegale Drogen). Demnach
hat jeder fünfte der 18-39 jährigen mindestens schon einmal illegale Drogen konsumiert,
wobei meist Alkohol, Antidepressiva oder Tranquilizer zusätzlich eingenommen werden
(Wirtz, 2004).
Laut Legleye et al. (2010) haben Drogenkonsumenten ein deutlich erhöhtes Risiko für
suizidales Verhalten (OR 4,01). Auch andere Studien konnten diese Einschätzung
bestätigen (Brunner et al., 2006). In der Studie von Battegay (1965) führte jeder zweite
S e i t e | 21
Drogenabhängige einen Suizidversuch durch. Angaben anderer Studien liegen bezüglich
der Prävalenz von Drogenkonsum beim Suizidversuch zwischen 7 und 42 Prozent (Bittner
et al., 2010; Hovda et al., 2008; Roesler et al., 2009). Auch das Wiederholungsrisiko für
solche Patienten ist deutlich erhöht (Battegay, 1965).
2.7.7.3 Rauchen
Etwa 32 Prozent aller Deutschen sind Raucher. Dies entspricht 16,6 Mio. Menschen.
Aufgegliedert in Altersgruppen zeigt sich jedoch, dass rund 40 Prozent aller 18- bis 29jährigen, also derjenigen, die altersbedingt der Risikogruppe für Suizidversuche
zuzurechnen sind, rauchen (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., 2010 - Tabak).
Während in einigen Studien, wie zum Beispiel bei Farzaneh et al. (2010) nur 15 Prozent
der Suizidenten Raucher waren, konnten viele andere Untersuchungen zeigen, dass
Rauchen mit einem erhöhten Risiko für suizidales Verhalten verbunden ist (Clarke et al.,
2010; Fergusson et al., 2003; Frank & Dingle, 1999; Kessler et al., 2007; Legleye et al.,
2010; Riala et al., 2009). Einer neuen Studie zu Folge haben auch noch Ex-Raucher ein
erhöhtes Risiko (Clarke et al., 2010), während 2007 Kessler et al. dies nicht aufzeigen
konnten.
Laut Hemmingsson und Kriebel (2003) zeigt sich auch ein klarer Trend. Je mehr
Zigaretten pro Tag konsumiert werden, desto höher das Risiko, vor allem in
Zusammenhang mit hohem Alkoholkonsum. Dies wurde durch Kessler et al. (2007)
bestätigt (OR 3,5). Einen Hinweis auf die Ursache für die Suizidalität bei Rauchern konnte
Mitchell (1999) geben, der bei Nikotinabhängigen eine größere Impulsivität nachwies und
diese ist, ähnlich der Aggression, ein Prädiktor für suizidales Verhalten (Mann, 2002).
Des Weiteren kann auch das Rauchen, analog zur Alkoholabhängigkeit, zur Entstehung
von depressiven Störungen beitragen (Fergusson et al., 2003).
2.7.8 Testosteronspiegel
Aggression ist ein Verhalten, welches mit hohen Testosteronwerten in Verbindung zu
stehen scheint (Brooks & Reddon, 1996) und es wurde suggeriert, dass suizidales
Verhalten eine Art Aggression gegen sich selbst ist (Bronisch, 2007). Tripodianakis et al.
(2007) untersuchten daher den Zusammenhang zwischen Suizidversuchen und
Serumtestosteronwerten. Überraschenderweise waren aber die Werte bei Suizidenten
niedriger als in der Kontrollgruppe. Markianos et al. (2009) konnten dies bestätigen und
fanden zusätzlich heraus, dass keine begleitende Erhöhung der LH Konzentration
(Luteinisierendes Hormon) vorlag. Die Autoren vermuten daher eine Fehlfunktion in der
S e i t e | 22
hypothalamisch-hypophysären Achse bei Suizidenten. Alle diese Daten beziehen sich
jedoch nur auf Männer, da für Frauen vergleichende Studien fehlen.
2.7.9 Geographische Lage der Population
Dieser Punkt wird kontrovers diskutiert. Beghi und Rosenbaum (2010) zeigten auf, dass
die Suizidversuchsrate abhängig zur geographischen Lage einer Population ist. Sie fanden
in Europa, diesbezüglich ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Auch die Wiederholungsrate
schien in den nördlichen Ländern höher zu sein als in den mediterranen Gebieten.
Schmidtke et al. (1996) kamen mit ihrer Studie zu ähnlichen Ergebnissen.
Bronisch (2007) berichtet im Gegensatz dazu eher von einem Ost-West-Gradienten und
bezieht sich auf die Suizidzahlen der deutschen Bundesländer. Die Zahlen von SchleswigHolstein und Bayern unterscheiden sich kaum, was Felber und Winiecki (2008) beweisen
konnten. Jedoch besteht ein erheblicher Unterschied zwischen Sachsen und zum Beispiel
Niedersachsen. Auch die Ergebnisse von Schweikart und Ueberschär (2010) stützen diese
These.
Über die grundlegende Ursache kann nur spekuliert werden. Kulturelle, religiöse und
genetische Hintergründe müssen in Betracht gezogen werden (Felber & Winiecki, 2008).
2.7.10 Einfluss der Medien: „Papageno versus Werther Effekt“
Unser Leben wird stark von den Medien geprägt. So auch, wenn diese über
Suizid (-versuche) berichten. Beispielhaft soll hier die Arbeit von Schmidtke und Häfner
(1988) bertachtet werden, die diesen Zusammenhang aufzeigt.
Anfang der 80er Jahre wurde in der BRD eine Serie ausgestrahlt, die vom fiktiven
Eisenbahnsuizid eines Schülers handelte. Rund um den Zeitraum der Ausstrahlung konnte
eine Erhöhung der Suizidzahlen, in der vergleichbaren Altersgruppe (15-19 jährige), um
bis zu 175 Prozent registriert werden. Dieser Effekt wurde bereits nach der
Veröffentlichung von Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ erkannt und wird
seitdem als Werther-Effekt bezeichnet (Ziegler & Hegerl, 2002).
Pressemitteilungen über Suizide sollten demnach abstrakt und ohne große Details,
nüchtern und emotionslos sein, nicht über Motive oder Hintergründe Auskunft geben, um
so Imitationen zu verhindern (Ziegler & Hegerl, 2002). Dennoch können Medien durch
eine geeignete Berichterstattung, wie zum Beispiel durch Beiträge über die Bewältigung
von suizidalen Krisen, dazu beitragen die Suizidalität zu verringern. Dieser Effekt wird, in
Anlehnung an den Vogelfänger Papageno aus Mozarts Zauberflöte, der sich in letzter
Sekunde auf das Leben besinnt, Papageno-Effekt bezeichnet (Niederkrotenthaler et al.,
2010).
S e i t e | 23
2.7.11 Körpergröße
Studien, die eine Korrelation zwischen der Körpergröße eines Menschen und seinem
suizidalen Verhalten aufzeigen, stammen hauptsächlich von Untersuchungen, die ein und
denselben Datensatz auswerteten. Sie beziehen sich auf schwedische Männer, deren Daten
durch die Musterung erhoben und gespeichert wurden (siehe Kapitel 3.6.3.). Unterschiede
finden sich lediglich im Beobachtungszeitraum. Während bei Allebeck und Bergh (1992)
zunächst eine größere Sterblichkeit bei Personen unter 165cm festgestellt wurde, so zeigten
Jiang et al. (1999) eine Risikoerhöhung für Suizidversuche bei kleineren Männern
innerhalb von 2 Jahren nach der Datenerhebung. Magnusson et al., mit 15 Jahre „followup“, beschrieben daraus 2005 einen nahezu linearen Zusammenhang. Je Größenzunahme
um 5 cm sinkt, so die Autoren, das Suizidrisiko um 9 Prozent. Diesen Effekt konnten,
wenn auch nur im geringen Ausmaß, Song et al. (2003) in einer anderen Population in
Südkorea bestätigen.
Bjerkeset et al. (2008) und Mann et al. (1999) konnten in ihren Studien jedoch keinen
Zusammenhang zwischen Körpergröße und Suizidversuchen herstellen.
2.7.12 weitere Faktoren
In der Literatur werden viele weitere Faktoren genannt, die häufig bei Suizidenten
registriert werden. Sie sollen hier, um das Gesamtbild und die Komplexität der Suizidalität
aufzuzeigen, ergänzend erwähnt werden:
Demnach besteht größere Gefahr bei allein Lebenden, Unverheirateten, Geschiedenen oder
Verwitweten (Bronisch, 2007; Dong et al., 2006; Goldney, 2002; Güloğlu & Kara, 2005;
Islambulchilar et al., 2009; Legleye et al., 2010). Auch (chronische) Erkrankungen wie
zum Beispiel Krebs, AIDS; Chorea Huntington, Migräne, Epilepsie, Multiple Sklerose und
Querschnittslähmungen erhöhen das Risiko (Dong et al., 2006; Hirschfeld & Russell,
1997; Kaufmann & Struck, 2010; Mann, 2002). Ebenso ist das bei Patienten der Fall,
denen häusliche Gewalt widerfährt oder die (sexuell) missbraucht werden (Legleye et al.,
2010; Frank & Dingle, 1999; Sheikholeslami et al., 2008). Auch Homosexuelle,
Transsexuelle und Menschen mit sexueller Abstinenz unterliegen einem erhöhten Risiko
(Goldney, 2002; Legleye et al., 2010). Weitere solche Faktoren sind die Zugehörigkeit zur
weißen Rasse (Mann et al., 1999; Mann, 2002), niedriger Intellekt (Jiang et al., 1999; Osler
et al., 2008), Waffenbesitz (Mann, 2002); Stress (Hu et al., 2010) und ein niedriges
Geburtsgewicht (Magnusson et al., 2006; Mittendorfer-Rutz et al., 2004). Ebenso
unterliegen Jugendliche, die regelmäßig weniger als 5 h oder mehr als 10 h schlafen einem
höheren Risiko (Fitzgerald et al., 2011).
S e i t e | 24
Gefängnisinsassen (Goldney, 2002) und Menschen, deren Eltern eine schlechte Beziehung
hatten (Legleye et al., 2010) werden als Risikogruppen beschrieben. Da Suizidversuche
meist gehäuft in Familien vorkommen, muss auch eine Art Vererbung oder erworbene,
neurobiologische Veränderung in Betracht gezogen werden (Mann, 2002). Veränderungen
im noradrenergen System im Locus coeruleus (Arango et al., 1996) und im serotonergen
System (Mann et al., 2001) wurden bei Suizidenten identifiziert.
Viele Autoren sehen in der Arbeitslosigkeit einen weiteren Risikofaktor (Bronisch, 2007;
Chandrasekaran & Gnanaselane, 2008; Høyer et al., 2009; Legleye et al., 2010; Stuckler et
al., 2009). Dem widersprechen aber die sinkenden Suizidzahlen bei steigender
Arbeitslosigkeit (Felber & Winiecki, 2008). Die beiden Autoren führen dies auf die
anscheinend gut funktionierende soziale Absicherung zurück. Generell wurde aber ein
niedriger sozioökonomischer Status, charakterisiert durch ein schlechteres soziales
Netzwerk, Armut oder eine schlechtere Schulbildung, gehäuft bei Suizidenten beschrieben
(Batty et al., 2010; Dong et al., 2006; Osler et al., 2008; Schmidtke et al., 1996; Steenland
et al., 2003; Veiel et al., 1988).
Das Vorhandensein von Kindern wird einerseits als protektiv (Bronisch, 2007), an anderer
Stelle als bedeutungslos (Mann et al., 1999) beschrieben. Weiterhin wird die Religion als
protektiver Faktor diskutiert (Mann et al., 1999), ebenso wie eine Insulinresistenz ohne
Manifestation eines Diabetes mellitus, da diese den Serumserotoninwert (siehe Kapitel
3.6.4) beeinflusst (Lawlor et al., 2003).
2.8 Saisonalität von Suizidversuchen
Entgegen der Meinung der Allgemeinbevölkerung, die den höchsten Peak der Suizide in
den „dunklen, kalten“ Wintermonaten vermutet, konnte in einigen wissenschaftlichen
Studien belegt werden, dass die meisten Suizide in den „hellen, warmen“ Sommermonaten
durchgeführt werden.
Als beispielhafte Studie soll hier die Arbeit von Güloğlu und Kara (2005) erwähnt werden.
Sie untersuchten 170 suizidale Selbstvergiftungen, die im Jahr 2000 in ein türkisches
Universitätsklinikum in Diyarbakir eingeliefert wurden. 93 Fälle wurden dabei zwischen
April und Juli aufgenommen (= 54,7 %). Ähnliche Ergebnisse wurden im Iran registriert
(Islambulchilar et al., 2009).
Dem widerspricht eine deutsche Studie (Mergl et al., 2010). Hier wurden insgesamt knapp
2300 Suizidversuche in Bayern untersucht. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass
keine „Saisonalität“ der Suizidversuche bestand. Sie erhielten lediglich eine um 13,1
Prozent, unter dem Erwartungswert liegende Suizidversuchsrate für Frauen im Frühling.
S e i t e | 25
Long et al. (1991) berichten hingegen in ihrer mexikanischen Studie in den Jahren 1986 bis
1989 über eine verminderte Rate an Suizidversuchen in den Monaten Juni, Juli und
August.
2.9 Methoden des Suizidversuchs
Generell kann man „harte“ (erhängen oder erschießen) und „weiche“ Methoden
(Tabletteneinnahme, Drogenkonsum, oberflächliches Ritzen der Handgelenke) voneinander unterscheiden (Bronisch, 2007), wobei dies nicht bedeutet, dass „weiche
Methoden“ nur ein geringes Potential für einen fatalen Ausgang haben (Mann, 2002).
Bereits Ende der 70ger Jahre untersuchte Marks (1979) die Methoden des Suizidversuchs.
Die meisten Suizidenten vollzogen bei ihm damals ihren Versuch mittels Intoxikation.
Dieses Ergebnis deckt sich mit denen von anderen und auch aktuellen Studien (Adams,
1986; Batty et al., 2010; Borg & Ståhl, 1982; Cengiz et al., 2006; D´Mello et al., 1995;
Devrimci-Ozguven & Sayil, 2003; Islambulchilar et al., 2009; Yeo, 1993).
Die zweithäufigste Methode ist laut einer europaweiten Studie von Schmidtke et al. (1996)
die Verletzung mit scharfen Gegenständen. Bestätigung fand dies durch Runeson et al.
(2000), Batty et al. (2010) und Boenisch et al., (2010), wobei das Aufschneiden der
Pulsadern am Handgelenk die meist frequentierte Lokalisation für eine selbstzugefügte
Verletzung darstellt (Batty et al., 2010).
Studien die gegen diese Aussagen sprechen wurden hauptsächlich in Amerika
durchgeführt. So konnten Kuo und Gallo (2005), in ihrer Längsschnittstudie über 17 Jahre,
eine Verwendung von Waffen, bei 57 Prozent berechnen. Gefolgt von Tod durch Erhängen
(29 %) und Intoxikationen (14 %). Diese Daten wurden aus dem Todesursachenregister
entnommen und beziehen sich daher auf Suizide. Bittner et al. (2010) kamen in ihrer
retrospektiven, amerikanischen Studie, über Suizidversuche auf vergleichbare Ergebnisse.
Die Sterberate lag bei den Personen mit Waffenverwendung erwartungsgemäß am
Höchsten (84 %). Auffällig ist, dass in diesen beiden Studien deutlich mehr Männer erfasst
wurden (71 und 83 %). Männer scheinen demnach stärker letale Methoden zu nutzen
(Boenisch et al., 2010; Hanna, 2004; Mann, 2002; Sam et al., 2009).
Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigt sich auch beim Vergleich der Mittel,
die Männer und Frauen zur Vergiftung nutzen. Nordentoft (2007) beschreibt dies
exemplarisch für Dänemark. Während Männer, im Jahr 2000, vorrangig Autoabgase
inhalierten um sich zu vergiften, nahmen Frauen meist Tabletten.
Ein weiterer Unterschied zwischen den Geschlechtern besteht in der Fatalität der
jeweiligen Suizidversuche. Cibis et al. (2012) konnten mit den Daten des erwähnten
Projektes „Nürnberger Bündnis gegen Depression“ aufzeigen, dass weniger Frauen als
S e i t e | 26
Männer, trotz gleicher Methode, bei den Selbsttötungsversuchen sterben. Dieser
Unterschied war signifikant für die Methoden Erhängen, Intoxikation mit Tabletten oder
anderen Mitteln, Verletzungen mit scharfen Gegenständen und bei Suizidversuchen mit
„bewegten Objekten“ (Autos etc.).
2.10 verwendete Medikamente beim Suizidversuch
Abbildung 7 zeigt, dass abhängig von Zeit und Region, unterschiedliche Medikamente
zum Suizidversuch verwendet werden. Generell sind jedoch Paracetamol, NichtsteroidaleAntirheumatika (NSAR) und Benzodiazepine führend. Devrimci-Ozguven und Sayil
(2003) schätzen, dass sich jede zweite Frau und etwa jeder dritte Mann beim Suizidversuch
mit Analgetika, vorrangig Paracetamol (Kapur et al., 1999), überdosiert.
Aber auch andere Medikamente, wie Antibiotika (Serinken et al., 2008) und Opioide,
werden genauso wie Drogen und Alkohol angewendet (Hovda et al., 2008). Bei älteren
Patienten stehen Benzodiazepine an erster Stelle (Hu et al., 2010).
Myers et al. 1981 (England)
O´Donovan et al. 1993 (Irland)
Hovda et al. 2008 (Norwegen)
Islambulchilar et al. 2009 (Iran)
Serinken et al. 2008 (Türkei)
0%
20%
NSAR incl. Paracetamol
Antidepressiva
Benzodiazepine
Andere
40%
60%
80%
100%
Neuroleptika
Abbildung 7 – Literaturangaben über verwendete Medikamente beim Suizidversuch
In den genannten Arbeiten liegen die Angaben über die zeitgleiche Einnahme von  2
Medikamenten zwischen 28 und 55,6 Prozent (Adams, 1986; Islambulchilar et al., 2009;
Serinken et al., 2008).
Eddleston (2000) kam zu der Erkenntnis, dass Pestizide eher in der ländlichen Gegend und
in Entwicklungsländern, vor allem in Teilen Afrikas und Asiens (hier vor allem Indien),
für Selbsttötungsabsichten verwendet werden und häufiger zu einem letalen Ausgang
führen. Hingegen werden in städtischen Gebieten eher Medikamente verwendet und haben
S e i t e | 27
auf Grund der Verfügbarkeit von Antidots, in den meisten Fällen, eine geringere Letalität.
Dieses Ergebnis lieferten auch O´Donovan et al. (1993) und Islambulchilar et al. (2009).
2.10.1 Vergleich zwischen TCA-Intoxikation und SSRI-Überdosierung
Einige Studien beschäftigten sich mit dem Unterschied zwischen Intoxikationen mit
trizyklischen Antidepressiva (TCA) und neueren Selektiven-SerotoninReuptakeinhibitoren (SSRI).
Wong et al. (2010) konnten zeigen, dass immer mehr SSRI verschrieben werden und dass
dieser Trend einen Effekt auf die Suizidversuche hat. So wurden zunehmend mehr Fälle
mit SSRI-Intoxikationen registriert. Zu diesem Ergebnis kamen bereits 2002 von Mach und
Weilemann. Diese beiden Arbeitsgruppen untersuchten auch den Effekt, beziehungsweise
die Schwere der Intoxikation, in Abhängigkeit zum verwendeten Medikament. Demnach
führen Intoxikationen mit SSRI, im Vergleich zu TCA und auch Serotonin-NoradrenalinReuptakeinhibitoren (SNRI), zu weniger Komplikationen (von Mach & Weilemann, 2002;
Whyte et al., 2003) und weniger Symptomatik (Chan et al., 2010; Wong et al., 2010).
Diese Ergebnisse decken sich mit denen von Naderi-Heiden et al. (2009 ). Allerdings ist
das Risiko für einen Suizidversuch beim Absetzen der Medikamente für SSRI und TCA
gleich (Yerevanian et al., 2004).
Man weiß auch, dass Antidepressiva eine prosuizidale Nebenwirkung aufweisen, welche
vorrangig bei TCA beschrieben ist, da hier zunächst die psychomotorische Aktivität
gesteigert und erst danach, mit etwas Zeitverzug, die Stimmung des Patienten verbessert
wird (Mihanovic et al., 2010). Zwar sind solche Effekte auch unter der Therapie mit SSRI
beschrieben worden, aber Ludwig et al. (2009) konnten deutlich zeigen, dass der Einsatz
von SSRI die Suizidraten senkt. Weiterhin haben diese Medikamente auch im
therapeutischen Bereich weniger Nebenwirkungen wie zum Beispiel Mundtrockenheit,
Schläfrigkeit oder kardiale Rhythmusstörungen.
2.11 Versorgung nach Suizidversuch: ambulant vs. stationär
Bronisch (2007) unterscheidet bei der Therapie drei Bereiche. Erstens, die akute
Krisenintervention zur Lebensrettung, zweitens, die Pharmakotherapie mit Antidepressiva,
Anxiolytika usw. und drittens, die psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung
zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, die einer Weiterbehandlung mit guter
Patientencompliance dienen soll. Das Problem ist, das diese Compliance bei einer rein
ambulanten Therapie schlecht ist. Mehr als 50 Prozent entziehen sich einem regelmäßigen
„follow-up“, wobei bestehende Suizidgedanken, depressive Symptome und
S e i t e | 28
vorausgegangene Suizidversuche als Prädiktoren für eine schlechte Compliance
identifiziert wurden (Stewart et al., 2002).
Wenn es um die Behandlung von Suizidenten geht, stellen sich generell drei Fragen:
1. Wer sucht Hilfe?
2. Wo wird behandelt?
3. Wie wird behandelt?
Die sich anschließende vierte Frage: „Wann empfiehlt sich eine stationäre Aufnahme?“
wird im Kapitel 2.13 abgehandelt.
2.11.1 Wer sucht Hilfe?
Milner und Leo (2010) konnten herausarbeiten, dass es sich bei Patienten die Hilfe suchen
meist um weibliche Suizidenten handelt, welche größere Mengen Tabletten einnahmen,
vorher suizidale Intentionen zeigten, bereits früher psychische Probleme hatten und/oder
bereits früher einen Suizidversuch durchführten.
Im Unterschied dazu suchen Männer, die noch nie Hilfe in Anspruch genommen hatten
und meist harte Methoden (Strangulation) verwenden, keine ärztliche Hilfe auf.
2.11.2 Wo wird behandelt?
Während vor gut 20 Jahren noch viele Patienten nach einem Suizidversuch stationär
aufgenommen wurden, geht heute der Trend zu einer ambulanten Betreuung.
Adams untersuchte dies bereits 1986 in England und stellte fest, dass nur 24,7 Prozent
(N = 828) eine ambulante medizinische Behandlung erhielten. Bei Lechleitner et al. (1983)
waren dies rund 30 Prozent.
Jüngere Studien zeigen hier deutliche Unterschiede (Gunnell et al., 2005; Hovda et al.,
2008). Serinken et al. (2008) berichteten, dass 88,5 Prozent ambulant behandelt wurden.
Einige Studien behaupteten, dass eine stationäre Aufnahme keinen präventiven,
protektiven Effekt im Sinne eines nachfolgenden Wiederholungsversuchs zeigt (Kennedy
et al., 2004; Stewart et al., 2002; Waterhouse & Platt, 1990). Andere Studien wiederum
beweisen sehr wohl einen solchen Effekt durch eine stationäre Behandlung (Gunnell et al.,
2008; Høyer et al., 2009; Malone et al., 1995). So sehen Gunnell et al. (2008) einen der
größten Risikofaktoren für einen Wiederholungssuizidversuch in einer kürzeren
Verweildauer im Krankenhaus.
S e i t e | 29
2.11.3 Wie wird behandelt?
Die Behandlung ist natürlich abhängig von der Schwere einer Vergiftung bzw. generell
von der Methode des Suizidversuchs.
Meist erhalten die Patienten ein Monitoring, Sauerstoff, eine Blutabnahme und eine
intravenöse Flüssigkeitszufuhr. Je nach klinischem Erscheinungsbild gehören eine
Magenspülung oder eine Magensonde, die Applikation von Medizinalkohle oder Antidots,
sowie eine chirurgische Behandlung zu den häufigsten Therapieoptionen in der
Akutversorgung (Adams, 1986; Runeson et al., 2000; Serinken et al., 2008; Yeo, 1993).
Der Anteil der intensivpflichtigen Suizidenten an allen stationären Patienten variiert, je
nach Studie zwischen 2,1 Prozent (Yeo, 1993) und 90 Prozent (Prescott et al., 2009;
Serinken et al., 2008).
Generell zeigt sich jedoch der positive Trend, dass, innerhalb der letzten 20 Jahre, immer
mehr Patienten mit suizidalem Verhalten (Gedanken, Pläne) einer Therapie zugeführt
werden, was die Anzahl der Versuche weiter minimieren kann (Kessler et al., 2005).
2.12 Psychiatrische Untersuchung eines Suizidenten im Krankenhaus
Es wird empfohlen, dass jeder Patient, der wegen einem Suizidversuch oder einer
Selbstverletzung in einer Notaufnahme behandelt wird, eine psychiatrische Begutachtung
erhält, um psychische Störungen, Suizidrisiko und weitere Probleme zu evaluieren (Barr et
al., 2005). Die Realität sieht allerdings anders aus.
Je nach Studie, erhalten nur zwischen 30 und 66 Prozent aller Suizidenten eine
psychologische Einschätzung, wobei sich innerhalb der letzten 20 Jahre kaum eine
Veränderung zeigt (Adams, 1986; Barr et al., 2005; Gunnell et al., 2005; Hickey et al.,
2001; Kapur et al., 1999; Reulbach & Bleich, 2008; Runeson et al., 2000; Yeo, 1993).
Den größten Unterschied konnten Runeson et al. (2000) nachweisen. Sie verglichen die
Versorgung von Suizidenten in Schweden und Italien, und stellten fest, dass in Schweden
signifikant mehr Suizidenten eine psychiatrische Untersuchung erhielten (92 vs. 30 %;
p < 0,001). Die Durchführung einer psychosozialen Begutachtung verringert allerdings
signifikant die Wiederholungsrate (p < 0,005), so die Ergebnisse von Kapur et al. (2003).
Auch bei Hickey et al. (2001) vollführten, innerhalb des Folgejahres nach dem
Suizidversuch, 37,5 Prozent der Patienten ohne psychiatrische Behandlung einen weiteren
Selbsttötungsversuch, im Vergleich zu 18,2 Prozent der Patienten mit einer solchen
Behandlung.
Nur die wenigsten Patienten (10 – 22 %) werden nach einem Suizidversuch stationär in
einer Psychiatrie behandelt (Adams, 1986; Gunnell et al., 2005; Marks, 1979). Auch hier
zeigen sich internationale Unterschiede (Runeson et al., 2000).
S e i t e | 30
Sicher ist jedoch, dass die stationäre Aufnahme in eine Psychiatrie und den damit
verbundenen Kontakten zu anderen suizidalen Patienten das eigene suizidale Verhalten des
Patienten nicht erhöht (American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 2001).
Laut Studien sind Patienten, die eine psychiatrische Begutachtung erhalten vorrangig ältere
Menschen, mit fehlendem sozialem Netzwerk, aktuell bestehender Abhängigkeit (jeder
Art) und anamnestischen Suizidversuchen (Barr et al., 2005; Kapur et al., 2004). Patienten,
die zwischen 17 und 9 Uhr aufgenommen werden und ein schwieriges Verhalten in der
Notaufnahme zeigen, erhalten hingegen seltener eine solche Begutachtung (Hickey et al.,
2001).
Russell und Owens (2010) widmeten sich der Frage, wer eine solche psychologische
Einschätzung vornehmen sollte. Im Gegensatz zu speziell ausgebildetem Pflegepersonal,
konnten in Gesprächen mit Psychiatern sowohl höhere stationäre Aufnahmeraten, als auch
eine höhere Compliance zur ambulanten „follow-up“-Therapie erzielt werden. Ähnliche
Ergebnisse lieferten Barr et al. (2005). Die Effizienz dieser „follow-up“-Therapie belegten
Kapur et al. (2004).
Generell besteht die größte Herausforderung darin, die Compliance des Patienten zu
sichern, eine weiterführende psychologisch/psychiatrische Behandlung in Anspruch zu
nehmen. Bei Runeson und Wasserman (1994) wurden zwar 96 von 97 Patienten an einen
Psychiater überwiesen, aber nur 34 Prozent stellten sich auch wirklich bei einem
entsprechenden Facharzt vor. Dies scheint auch abhängig vom Ort der Behandlung zu sein.
In einer französischen Studie wurde untersucht, ob es Unterschiede im „outcome“ von
jugendlichen Suizidenten gibt, wenn diese auf einer Normalstation oder einer
Kinderstation behandelt werden. Ein „follow-up“-Termin wurde bei 87 Prozent der
Patienten der Kinderstation und nur bei 63 Prozent (p < 0,001) der Normalstation geplant
(Gasquet & Choquet, 1994).
2.13 Management bei Suizidrisiko
Die Fragen „Wann empfiehlt sich eine stationäre Aufnahme?“ und „Was sollte ein Arzt
diesbezüglich in einer Notaufnahme tun“, sind wohl eine der wichtigsten im klinischen
Alltag. Hier werden in der Akutsituation drei Schritte empfohlen. Zum einen die
systematische Suche und anschließende Behandlung psychischer Erkrankungen. Die
Beurteilung des Suizidrisikos, inklusive einem Screening auf Alkohol- und Substanzabusus
und zum anderen die Eliminierung der Ursachen des suizidalen Verhaltens sowie die
Einschätzung und Begrenzung der Verfügbarkeit von Waffen und toxischen Mitteln
(Hirschfeld & Russel, 1997; Lineberry, 2009; Mann, 2002).
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Zur Abschätzung des Risikos empfehlen Pajonk und D´Amelio (2009) direkte Fragen,
nach Suizidgedanken, Plänen, vorausgegangenen Suizidversuchen, Hoffnungslosigkeit,
und der Qualität und Quantität des sozialen Netzwerks des Patienten. Die Mehrzahl würde
ehrlich antworten und fühle sich durch das Ansprechen erleichtert, so die Autoren.
Kennedy et al. (2004) empfehlen eine stationäre Aufnahme bei psychiatrischen
Erkrankungen, Drogen- oder Alkoholabhängigkeit, Verletzungen jeglicher Art, vorausgegangenen Suizidversuchen, bei einem schlechten sozialem Netzwerk des Patienten,
wenn keine vertrauensvolle Beziehung zum behandelnden Arzt aufgebaut wird oder wenn
keine Compliance zur weiterführenden ambulanten, psychologischen Betreuung vorhanden
zu sein scheint. Die American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (2001) fügt in
ihren Richtlinien ergänzend hinzu, dass bei Kindern und Jugendlichen stets der Kontakt zu
den Erziehungsberechtigten zu suchen ist und vorher keine Entlassung stattfinden soll.
Einen abschließenden Überblick sollen die Empfehlungen der International Association for
Suicide Prevention (IASP) in Abbildung 8 geben (Goldney, 2002).
Erster Kontakt: offene Fragen durch geschultes Personal
Suizidrisiko beurteilen: Bestehen Pläne? Sind
(letale) Methoden verfügbar?
Initiales Management: medikamentöse Therapie;
je nach Risiko - stationäre oder ambulante
Versorgung; "follow-up" vereinbaren
weiterführende Betreuung: In Kontakt bleiben;
Familie oder Freunde mit einbeziehen;
Problemlösungsstrategien entwicklen
Langzeitbetreuung: vor allem bei Patienten mit
psychischne Erkrankungen; Ziel: Behandlung
der Krankheit + Problemlösungsstrategien
Abbildung 8 – Empfehlungen der IASP bei suizidalem Verhalten. Nach Goldney (2002)
S e i t e | 32
2.14 Zeitraum bis zum Eintreffen in die Notaufnahme nach Suizidversuch
Einige Studien untersuchten auch die Länge des Zeitintervalls, welches zwischen
Einnahme einer toxischen Substanz und der Vorstellung in einer Notaufnahme liegt.
Die Angaben aus fünf unterschiedlichen Ländern (Türkei, England, Indien, Italien und
Schweden) besagen, dass sich der Großteil der Patienten zwischen 3,3 und 8 Stunden nach
dem Suizidversuch bei einem Arzt vorstellt, wobei die Tendenz zu erkennen ist, dass die
ärztliche Hilfe bei Vergiftungen mit sehr toxischen Substanzen (Pestizide) früher in
Anspruch genommen wird (Adams, 1986; Güloğlu & Kara, 2005; Runeson et al., 2000;
Sam et al., 2009; Serinken et al., 2008).
2.15 stationäre Behandlungskosten für einen Suizidenten
Wie bereits einführend erwähnt ist jeder Suizidversuch ein persönliches Drama, von dem,
neben dem Suizidenten, vor allem Freunde und Familienangehörige betroffen sind. Doch
auch wirtschaftliche Aspekte müssen in Betracht gezogen werden.
Um hier einen Vergleich zu erleichtern wurden alle Angaben, mit den entsprechenden
Wechselkursen, in „Euro“ umgerechnet (Deutsche Bundesbank, 2007, 2011). Für Angaben
vor der Einführung des Euros am 01.01.2002 in Deutschland gilt: 1 EUR = 1,95583 DM 3.
Angaben über die Durchschnittskosten für die stationäre Behandlung von Patienten,
welche sich durch eine Tablettenüberdosierung das Leben nehmen wollten, liegen in der
Literatur umgerechnet zwischen 115 ( 72) und 626 Euro (Kapur et al., 1999; Serinken et
al., 2008; Yeo, 1993). Vergiftungen mit toxischeren Substanzen, wie Pestiziden, führten zu
deutlich höheren Kosten, genauso wie dies bei Suizidenten, die auf einer Intensivstation
behandelt werden mussten, der Fall war (Serinken et al., 2008; Sut & Memis, 2008).
Suizidenten verursachten in einer Studie von Hu et al. (2010), im Vergleich zu Personen
mit einer unbeabsichtigten Vergiftung, höhere Kosten bei der Versorgung in der
Notaufnahme (p < 0,001) und bei D´Mello et al. (1995) war die Versorgung von TCAIntoxikationen viermal so teuer wie die Behandlung von SSRI Überdosierungen (p < 0,05).
Auch eine bessere bzw. intensivierte Therapie, das heißt: Stationäre Behandlung und
psychiatrisches Konsil, zeigt wirtschaftliche Konsequenzen. Kapur et al. (1999) gelang der
Vergleich von vier Krankenhäusern in England was die Behandlung von Suizidenten
betrifft. Während in Manchester nur 1/3 stationär behandelt wurden und weniger als 40
Prozent ein psychiatrisches Konsil erhielten, wurde in Leeds die Mehrheit aufgenommen
3
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Mark; geprüft am 22.01.2011
S e i t e | 33
und mehr als 2/3 erhielten eine psychiatrische Begutachtung. Die mittleren Fallkosten
waren in Leeds dadurch doppelt so hoch (260 Euro vs. 520 Euro).
Die größte wirtschaftliche Ersparnis kann jedoch nur mit effektiver Prävention erreicht
werden. So beschreiben Ferris et al. (2007) einen Suizidversuch eines Teenagers mittels
Paracetamol. Die Gesamtkosten der Therapie beliefen sich umgerechnet auf mehr als
300.000 Euro. Die Prävention, also die Diagnose und anschließend adäquate Therapie der
Depression, hätte monatliche Kosten in Höhe von etwa 105 Euro verursacht.
2.16 Verweildauer von Suizidenten im Krankenhaus
In den letzten Jahren sank in Deutschland die mittlere Verweildauer von Patienten in einer
Psychiatrie um etwa 40 Prozent auf 24 Tage. Diese Veränderung zeigt sich auch
international, wobei Verweildauern von unter 14 Tagen, vor allem bei Suchtpatienten mit
einer erhöhten Wiederaufnahmerate verbunden sind (Spießl et al., 2006).
In Akutkrankenhäusern zeigt sich eine große Spanne der Verweildauer, die für Suizidenten
angegeben wird. Sie liegt zwischen 2,3 und 14 Tagen, wobei sich in den aktuellsten
Studien die Tendenz zu kürzerer stationärer Behandlung hin zeigt (Adams, 1986; Bittner et
al., 2010; Gasquet & Choquet, 1994; Islambulchilar et al., 2009; Marks, 1979; Runeson et
al., 2000; Runeson & Wasserman, 1994; Serinken et al., 2008).
Vergiftungen mit Pestiziden führten jedoch, genauso wie eine notwendige,
intensivmedizinische Betreuung zu längeren stationären Aufenthalten (Cengiz et al., 2006;
Serinken et al., 2008).
D´Mello et al. (1995) konnten zeigen, dass die Dauer des stationären Aufenthalts bei
Suizidenten mit Intoxikation durch trizyklischen Antidepressiva im Vergleich zu
Suizidenten mit SSRI-Intoxikationen mehr als doppelt so lang war (7 vs. 3 Tage).
Bratberg (1997) führte eine Studie in einer Psychiatrie in Norwegen durch und stellte fest,
dass Patienten mit Suizidversuch eine etwas kürzere Verweildauer als Patienten ohne
Suizidversuch hatten. Dies wurde durch eine weitere Studie in Australien bestätigt (Smith
et al., 2002).
S e i t e | 34
2.17 Kostenanalyse im Gesundheitssystem
Im Gesundheitssystem können direkte, indirekte und sogenannte intangible Kosten
unterschieden werden.
Unter direkten Kosten versteht man die monetäre Bewertung des Ressourcenverbrauchs,
der unmittelbar im Zusammenhang mit einer erbrachten Leistung, wie zum Beispiel eine
Entgiftung nach Intoxikation oder eine chirurgische Wundversorgung nach
Schnittverletzungen, entsteht. Auch Personal- oder Medikamentenkosten oder Kosten, die
durch diagnostische Maßnahmen entstehen (Bsp. Computertomographie) werden als
direkte Kosten bezeichnet.
Indirekte Kosten (auch Produktivitätsausfall bezeichnet) hingegen zeigen den Effekt einer
Krankheit oder deren Behandlung auf die Volksgemeinschaft. Hierbei handelt es sich
vorrangig um die Verringerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, die auf Grund
von Arbeits- und/oder Erwerbsunfähigkeit oder vorzeitigen Tod eines Patienten entsteht.
Voraussetzung hierfür ist die Annahme, dass durch die Behandlung von Patienten, deren
Fähigkeit einen Beruf auszuüben wiederhergestellt bzw. verlängert wird. Somit stellen
Behandlungskosten auch immer eine Investition in das Humankapital dar.
Am schwersten oder gar nicht zu erfassen sind die intangiblen Kosten einer Krankheit,
welche als mit der Krankheit verbundenen Leiden, Einschränkungen und Schmerzen des
Patienten definiert sind.
Schlussfolgernd kann man die Kosten einer Krankheit aus mehreren Perspektiven
betrachten. So zum Beispiel aus Patientensicht oder aus der Sichtweise des
Leistungserbringers, wie zum Beispiel den Krankenkassen. (Greiner, 2008)
Indirekte Kosten können mit zwei unterschiedlichen Methoden berechnet werden. Dem
Humankapitalansatz und dem Friktionskostenansatz.
2.17.1 Humankapitalansatz
Beim Humankapitalansatz werden alle potentiellen, zukünftigen Produktivitätsverluste, die
durch Arbeits-, Erwerbsunfähigkeit und vorzeitigen Tod eines Patienten entstehen
zusammenaddiert und auf den Gegenwartszeitpunkt diskontiert (abgezinst). Zur
Berechnung wird die gesamte Ausfallzeit mit einem Lohnsatz (Durchschnittslöhne oder
geschlechts- und altersadaptierte Löhne) multipliziert. Rentenzahlungen und Krankengeld
stellen keine Zahlungen im Sinne von indirekten Kosten dar. Es handelt sich hierbei aus
volkswirtschaftlicher Sicht nicht um Kosten, die auf Grund eines Ressourcenverbrauchs
entstehen, sondern um eine staatlich geregelte, soziale Absicherung.
S e i t e | 35
Zwar weist dieses Modell einige Probleme auf, wie zum Beispiel die Diskriminierung von
Erwerbslosen und Arbeitsmarktteilnehmern mit niedrigen oder geringfügigen Einkommen,
es stellt aber dennoch auf Grund der guten Durchführbarkeit die zur Zeit meist genutzte
Methode zur Berechnung von indirekten Kosten dar. (Greiner, 2008)
2.17.2 Friktionskostenansatz
Da in den meisten Industrieländern keine Vollbeschäftigung vorliegt, geht man im
Friktionskostenansatz davon aus, dass eine freie Stelle auf dem Arbeitsmarkt nach einer
gewissen Zeit (Friktionsperiode) neu besetzt wird. Eine weitere Annahme in diesem
Modell ist, dass ein kurzfristiger Ausfall eines Arbeitnehmers von anderen teilweise
kompensiert werden kann. Diese Methode misst daher den tatsächlichen
Produktivitätsverlust, der durch eine Krankheit entsteht.
Allerdings weist auch diese Methode Probleme auf. So sind zum Beispiel Angaben über
die korrekte Dauer der Friktionsperiode (branchen-, alters-, geschlechtsabhängig) schwer
zu treffen. Auch werden die Kosten durch den vorzeitigen Tod eines Patienten nicht
adäquat berücksichtigt und die Annahme, dass nach dem Ablauf der Friktionsperiode
keinerlei indirekte Kosten mehr anfallen ist empirisch nicht belegbar. (Greiner, 2008)
Zusammenfassend kann man sagen, dass mit dem Humankapitalansatz die indirekten
Kosten eher überschätzt werden, während der Friktionskostenansatz dazu neigt, den
Produktivitätsverlust zu unterschätzen.
S e i t e | 36
3 Fragestellungen der Studie
Im folgenden Abschnitt sind die detailierten Fragestellungen dieser Arbeit aufgeführt.
3.1 Hauptfragestellung
Wie unterscheiden sich die direkten Kosten in der Akutbehandlung von Suizidenten,
abhängig von der Methode des Suizidversuchs?
Hinweise auf die Unterschiede der Behandlungskosten geben die Ergebnisse von Serinken
et al. (2008). Die Autoren beschrieben einen signifikanten Unterschied in den
Behandlungskosten zwischen Patienten mit Tablettenintoxikation und Inhalation von
Gasen, wie Kohlenmonoxid (p < 0,001). Dies wurde durch die Arbeit von Sut und Memis
(2008) bestätigt (p = 0,003).
D´Mello et al. (1995) und Ramchandani et al. (2000) untersuchten die Behandlungskosten
zwischen Patienten mit TCA-Intoxikationen im Vergleich zu Intoxikationen mit
moderneren Antidepressiva (SSRI). Ihren Ergebnissen zu Folge entstehen erstens, bis zu
vierfach höhere Kosten in der Versorgung von TCA-Intoxikationen und zweitens resultiert
aus diesen Vergiftungen eine längere Verweildauer im Vergleich zu suizidalen SSRIEinnahmen.
Corso et al. (2007) beschreiben, dass Männer eher zu harten Methoden beim Suizidversuch
greifen und daher auch mehr Kosten bei deren Behandlung entstehen.
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse sollen, im Kontext des deutschen
Gesundheitssystems, die Unterschiede in den Behandlungskosten der folgenden Gruppen
untersucht werden:
1. Direkte Kosten in Abhängigkeit zur Methodenklasse (hart vs. weich)
2. Direkte Kosten in Abhängigkeit zum outcome (fatal vs. nonfatal)
3. Direkte Kosten zwischen unterschiedlichen Medikamentengruppen
4. Direkte Kosten zwischen Antidepressiva (TCA vs. SSRI)
5. Direkte Kosten zwischen Poly- und Monointoxikationen von Tabletten.
S e i t e | 37
3.2 weitere Fragestellungen
3.2.1 Wie erfolgt die Behandlung?
Wie bereits einführend erwähnt sind die Behandlungskosten eng mit der Art und Weise der
Behandlung verbunden. Es stellt sich also grundsätzlich die Frage, wie diese im
Universitätsklinikum Leipzig erfolgte. Folgende Schwerpunkte sollen deskriptiv
beschrieben werden:
Wie viele Patienten werden ambulant, wie viele stationär behandelt? Wie lange ist die
Verweildauer der Patienten im Uniklinikum? Auf welchen Stationen werden die
Suizidenten behandelt und wie groß ist der Anteil der intensivpflichtigen Patienten, da dies
deutliche Auswirkung auf die Gesamtkosten zeigt (Prescott et al., 2009).
Wie hoch ist der Anteil der Patienten, die eine psychiatrische Untersuchung erhielten?
Die theoretischen Grundlagen dazu wurden bereits in den Abschnitten 2.11.2, 2.12 und
2.16 besprochen, auf die hier verwiesen wird.
Fest steht, sowohl der Ort, als auch die Art der Behandlung zeigen einen Effekt auf das
outcome (siehe Kapitel 2.12) der Patienten (Gasquet & Choquet, 1994) und die daraus
resultierenden Behandlungskosten (Kapur et al., 1999).
3.2.2 Wie hoch sind die Gesamtkosten?
Betrachtet man Kosten im Gesundheitssystem, so kann man zwischen direkten, indirekten
und intangiblen Kosten unterscheiden (Greiner, 2008). Beispielhaft soll hier die Studie von
Corso et al. (2007) vorgestellt werden, welche die Kosten für suizidales Verhalten in den
USA im Jahr 2000 im „top down-Ansatz“ (Schöffski, 2008) untersuchte. Die Autoren
berechneten, auf der Grundlage offizieller Statistiken, Gesamtkosten in Höhe von 33
Milliarden US-Dollar, wovon etwa 32 Milliarden durch Produktivitätsausfälle entstanden.
Auf Grund der hohen Relevanz der indirekten Kosten, war es Ziel dieser Studie, neben der
Analyse der direkten Kosten eine Berechnung des potentiellen Produktivitätsverlustes in
Folge der Behandlung, der Arbeits-, und/oder Erwerbsunfähigkeit sowie dem
gegebenenfalls vorzeitigem Tod der Patienten durchzuführen.
S e i t e | 38
4 Methodenteil
Im Folgenden finden sich detailierte Informationen zum Studiendesign dieser Arbeit.
4.1 Grundsätze der Datenerhebung
Die in der Studie verwendeten Daten wurden im Universitätsklinikum Leipzig erhoben. Es
handelt sich um ein Krankenhaus der Maximalversorgung mit 1273 Betten im
vollstationären Bereich.
Diese Studie ist ein Teil des bereits erwähnten OSPI-Projektes, welches einen Zeitraum
von 4 Jahren (01.10.2008 – 30.09.2012) umfasst. In Leipzig wurden die Interventionen zur
Suizidprophylaxe ab 01.06.2009 (bis März 2011) implementiert und in einer
anschließenden 22-monatigen follow-up-Untersuchung evaluiert (bis 31. März 2011).
In dieser Arbeit wurden retrospektiv, über einen Zeitraum von 3 Jahren (01. Juni 2008 –
31. Mai 2011), alle Patienten erfasst, die auf Grund eines suizidalen Verhaltens ambulant
oder stationär innerhalb des Klinikums behandelt wurden. Die Datenerhebung beinhaltet
somit 1 Jahr „Baseline“ und Daten aus 2 Jahren nach der Einführung der OSPI –
Intervention. Eine Übersicht über diese Interventionen befindet sich im Anhang (A1).
4.2 Einschlusskriterien
Erfasst wurden zunächst alle Suizide und Suizidversuche (Definition siehe Abschnitt 2.1).
Zur Datenerfassung wurde die klinikinterne Krankenhaussoftware „SAP ERP 6.0 –
Produktivsystem PRD“ verwendet. Zur Filterung der Daten dienten die in der ambulanten
und stationären Versorgung verwendeten ICD-10-GM-Kodierungen (Versionen 2008 –
2011)4.
Im genannten Zeitraum wurden, neben den für „Selbstschädigung“ entsprechenden Codes
„X84.9“ und „Z91.8“, zusätzlich die T - Kodierungen (T71; T75.1; T75.4 und T36 bis
T60; ohne T41 und T56) untersucht. Ziel dieser Erhebung war es, anhand der Daten
(Arztbrief; psychologische Begutachtung etc.) zu untersuchen, wie viele suizidale
Handlungen als T-Code dokumentiert wurden. Dies ermöglichte eine Schätzung darüber,
ob auf Grund von Dokumentationsvarianten, von einer höheren Inzidenz von suizidalen
Handlungen ausgegangen werden muss.
Eine genaue Gliederung der Kodierungen findet sich im Anhang (A2).
4
http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/ls-icdhtml.htm; geprüft am 11.07.2011
S e i t e | 39
Die Daten wurden von den jeweiligen behandelten Ärzten und dem Pflegepersonal erfasst
und dokumentiert.
4.3 Ausschlusskriterien
Durch die angegebenen Suchkriterien konnten insgesamt 377 Fälle identifiziert werden.
Alle diese Fälle wurden zur Analyse der epidemiologischen Daten verwendet.
In zwei Fällen begingen die Patienten während der stationären Behandlung einer anderen
Grunderkrankung im Uniklinikum Suizid. Da es bei diesen beiden Fällen, auf Grund des
fatalen Ausgangs, zu keiner Behandlung kam, wurden diese beiden Fälle bei der Analyse
der Behandlungscharakteristika ausgeschlossen (N = 375).
Für die Analyse der Kosten, die durch die Akutbehandlung von Suizidenten abhängig von
der Methode entstanden, wurden weitere 41 Patienten ausgeschlossen (N = 334). Davon
10, die noch während der Behandlung verstarben und weitere 31 Patienten, die zur
Akutbehandlung direkt in der Psychiatrie behandelt wurden (siehe 5.6.1).
4.4 gesundheitsökonomische Aspekte
4.4.1 direkte Kosten
Die direkten Kosten beziehen sich auf den Erlös, den das Uniklinikum für die einzelnen
Fälle gegenüber den entsprechenden Versicherungsträgern geltend gemacht hat. Hierzu
wurde den jeweiligen Fallnummern der entsprechende Erlös zugeordnet und dann, für die
angegebenen Kategorien, gemittelt. Erfasst wurden die Kosten für die akute ambulante
und/oder stationäre Versorgung der Patienten. Die Daten wurden vom „Bereich 3 –
Finanzen, Planung und Controlling“ des Universitätsklinikums bereitgestellt.
4.4.2 indirekte Kosten
Die Berechnung der indirekten Kosten erfolgte, entsprechend der Empfehlung der
deutschen AG Reha-Ökonomie (Krauth et al., 2005) mittels Humankapitalansatzmethode
(siehe Kapitel 2.17.1). Verwendet wurde der bottom up-Ansatz. Das heißt, es wurden
direkte Patientendaten akquiriert und verdichtet, um aus der Gesamtheit der Patienten so
eine Aussage über die indirekten Kosten der 377 Fälle machen zu können (Schöffski,
2008).
Hierzu wurden zunächst alle Fälle in fünf Gruppen eingeteilt. Jeweils eine Gruppe für
ambulant behandelte Männer und Frauen und jeweils eine Gruppe für stationär
behandelten Männer und Frauen. Die Patienten, die definitionsgemäß einen Suizid
vollzogen oder deren Suizidversuch im Verlauf der Behandlung einen fatalen Ausgang
S e i t e | 40
nahm, wurden der fünften Gruppe zugewiesen. Innerhalb dieser Gruppe wurden dann die
Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeitstage der Patienten addiert, die sich im erwerbsfähigen
Alter (18-65 Jahre)5 befanden. Eine ambulante Behandlung wurde dabei mit einem Tag
Arbeitsunfähigkeit berechnet. Die Dauer der Erwerbsunfähigkeit durch den vorzeitigen
Tod eines Patienten wurde, auf Grund der Anhebung des Renteneintrittsalters ab 2012,
individuell berechnet 5.
Als Grundlage für die Berechnung diente die Veröffentlichung der Verdienststrukturerhebung, des Arbeitsvolumens und der Arbeitslosenqote im Freistaat Sachsen
(Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 2008; 2009 und 2011), sowie die
Veröffentlichung der Verdienste und Arbeitskosten 2008 (Statistisches Bundesamt, 2009).
Als jährliche Diskontierungsrate wurden, entsprechend den deutschen Empfehlungen zur
gesundheitsökonomischen Evaluation der Hannoveraner Konsensgruppe, 5 Prozent
angesetzt und die Ergebnisse im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse mit höheren und
niedrigeren Diskontierungssätzen (0 %; 3 %; 8 % und 10 %) überprüft (Graf v.d.
Schulenburg et al., 2007).
4.5 statistische Analyse
Die Auswertung der Daten erfolgte unter der Verwendung der Software SPSS („Statistical
Package for the Social Sciences“) Version 17.0.0 (vom 23.08.2008).
Das Signifikanzniveau wurde auf α = 0,05 festgelegt.
Zur Anwendung kamen der X2-Quadrat-Test, zur Überprüfung von Häufigkeitsverteilung
bei Variablen mit nominalem Skalenniveau und die observed-to-expected-ratio6 (OER)
zum Vergleich von beobachteten und erwarteten Ereignissen, sowie die Effektstärke.
Die Testung der Variablen auf Normalverteilung erfolgte mittels Kolmogorow-SmirnowTest. Zur Überprüfung der Signifikanz, bei nicht-normalverteilten Variablen, wurde der
Kruskal-Wallis-Test beziehungsweise bei nur 2 Variablen der Mann-Whitney-U-Test
verwendet. Zur Überprüfung der Variablen auf Varianzhomogenität (als Voraussetzung für
eine univariate Varianzanalyse) kam der Levene-Test zum Einsatz.
5
6
http://www.planetsenior.de/renteneintrittsalter; Zugriff am 09.02.2012
http://www.sph.emory.edu/~cdckms/exact-midP-SMR.html
S e i t e | 41
4.6 erhobene Daten
Die Daten die erhoben wurden, werden in folgender Tabelle 1 aufgeführt.
Tabelle 1 – erhobene Daten
Projektbezogene Stammdaten (OSPI-Europe)
1. Laufende Nummer
2.Land (der Datenerhebung)
3. Region (der Datenerhebung)
4. Notfallkarte ausgegeben
5. Info über Branddirektion
Daten für diese Studie
1. OSPI-Code
2. Geschlecht
3. Geburtstag
4. Alter
19. Klassifizierung des Suizidversuchs
20. Kontakt mit Gesundheitssystem nach
aktuellem Suizidversuch
21. Kontakt mit Notarzt/RTW
22. vorausgegangener Suizidversuch
5. Geburtsort
23. Art der Behandlung
6. Staatsangehörigkeit
7. Geburtsland
24. Behandlungsende
25. Aufnahme auf welche Stationen
8. Ständiger Wohnsitzes zur Zeit des SV
26. Verweildauer je Station
9. Religionszugehörigkeit
27. Gesamtverweildauer im Krankenhaus
10. Familienstand
28. psychologisch-psychiatrisches Konsil
11. Fallnummer
12. Zeitpunkt des Suizidversuchs
13. ICD-Code
14. Medikament
15. mehrere Medikamente verwendet?
29. Begleiterkrankung
30. Suizidversuchs abh. Komplikationen bei
der stationären Versorgung
31. Suizidversuchs abhängige Erkrankungen
nach/bei Entlassung
32. Ursache des Suizidversuchs
33. Fallnummer (in der Psychiatrie)
16. Name weitere(s) Medikament(e)
17. Eintreffen in die Notaufnahme
34. Erlös
35. Bemerkungen
18. Verbleib in der Notaufnahme (Dauer)
Weitere Details zeigt die Kopie des verwendeten Datenerhebungsbogens im Anhang (A3).
4.7 Ethikantrag
Der Ethikantrag für die „Evaluation eines suizidpräventiven Awareness-Programms in
Leipzig“ wurde mit allen seinen Erweiterungen von der Ethik-Kommission der
Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig genehmigt.
S e i t e | 42
5 Ergebnisse
Im Beobachtungszeitraum wurden mit den angegebenen Suchkriterien (siehe Kapitel 4.2)
2720 Fälle identifiziert und analysiert. Bei 377 dieser Fälle (13,9 %) wurde im
Entlassungsbrief die Krankheitsursache als suizidale Handlung dokumentiert, so dass diese
Fälle in die Studie eingeschlossen wurden. Bei den ausgeschlossenen Fällen handelte es
sich um unbeabsichtigte Intoxikationen oder akzidentelle Ereignisse, weswegen die
Behandlung im Universitätsklinikum Leipzig erfolgte.
5.1 Epidemiologische Analyse der Daten
5.1.1 Alter, Geschlecht und Familienstand
Von 377 Suizidversuchen wurden 65,8 Prozent (N = 248) von Frauen vollzogen.
Das Durchschnittsalter betrug 37,7 Jahre (SD = 19,9) mit einem Minimum von 13 Jahren
und einen Maximum von 93 Jahren. Der Median liegt bei 32 Jahren.
Abbildung 9 zeigt die Verteilung der Suizidversuche nach Alter und Geschlecht.
Abbildung 9 – Verteilung der Suizidversuche nach Alter und Geschlecht
S e i t e | 43
Ein Großteil der Patienten (N = 151; 40,0 %) war zum Zeitpunkt des Suizidversuchs ledig.
Allerdings konnte bei einem erheblichen Anteil (40,6 %), auf Grund einer fehlenden
Dokumentation, keine Aussage zum Familienstand gemacht werden.
5.1.2 Zeitpunkt des Suizidversuchs
In dieser Datenerhebung konnten keinerlei signifikante Unterschiede bzgl. des Zeitpunktes
der Suizidversuche aufgezeigt werden.
Untersucht wurde eine Häufung an den Wochentagen, innerhalb der Quartale und
innerhalb eines 30-tägigen Intervalls vor und nach dem Geburtstag der jeweiligen
Suizidenten. Auch dieser, in der Literatur als „birthday-blues“ beschriebene Effekt
(Reulbach et al., 2007) konnte bei dieser Datenerhebung nicht nachgewiesen werden.
Auch lies sich keine signifikante Häufung spezieller Suizidversuchsmethoden (hart/weich)
über das Jahr nachweisen. Detailierte Angaben hierzu finden sich im Anhang (A4).
5.2 vorausgegangene Suizidversuche
Bei 78,2 Prozent (N = 295) handelte es sich bei dem erfassten Fall um den ersten
Suizidversuch. Dem entsprechend hatten 21,8 Prozent bereits einen oder mehrere
Suizidversuche in ihrer Anamnese. Das Maximum lag bei 5 vorausgegangenen
Suizidversuchen. Bei 7 Patienten war die genaue Anzahl unbekannt und wurde lediglich
als „mehrere“ dokumentiert. Abbildung 10 zeigt die Verteilung.
Anzahl vorausgegangener
Suizidversuche
Mehrere
7
5
4
4
3
3
8
2
13
1
47
0
10
20
30
40
50
Häufigkeiten
Abbildung 10 – Anzahl der Patienten mit Suizidversuchen in der Anamnese
S e i t e | 44
5.3 Ursachen des Suizidversuchs
Auf Grundlage der Dokumentation konnte bei 211 Fällen (56 %) die Erhebung der
Ursache des Suizidversuchs durchgeführt werden. In 2 Fällen wurden jeweils zwei Gründe
dokumentiert, so dass es sich um insgesamt 213 Gründe handelt, deren Verteilung in
Tabelle 2 dargestellt ist.
Tabelle 2 – Gründe des Suizidversuchs
Männer
Frauen
Gesamt
20
51
71
Verlust o. Erkrankung eines Angehörigen, Partners, etc.
4
17
21
finanzielle Schwierigkeiten
2
0
2
körperliche/sexuelle Misshandlung
0
7
7
körperliche Erkrankung
14
15
29
psychische Erkrankung
16
44
60
juristische Schwierigkeiten
2
0
2
Sonstige
4
17
21
Gesamt
62
151
213
interpersoneller Konflikt (Familie; Partner, etc.)
Unter „Sonstige“ sind folgende Gründe zusammengefasst:
Angst vor kommenden Ereignissen, wie Abitur oder Operation (N = 4), Transsexualität
(N = 1), Umzug ins Pflegeheim (N = 1), Liebeskummer (N = 1), Mobbing (N = 2),
(drohender) Arbeitsplatzverlust (N = 4), Schwangerschaft (N = 3) und nicht näher
bezeichnete Belastungssituationen (N = 5).
Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, stellen Probleme im zwischenmenschlichen Bereich, im
Sinne von Konfliktsituationen oder dem Verlust von Familienangehörigen, Partnern oder
Freunden die Hauptursache für Suizidversuche dar (43,2 %).
S e i t e | 45
5.4 Methoden des Suizidversuchs
Mit 83 Prozent stellten in dieser Datenerhebung die Intoxikationen die häufigste Methode
des Suizidversuchs dar. Am zweithäufigsten (6,6 %) wurden Patienten mit suizidalen
Selbstverletzungen durch Schnitte an Handgelenken oder am Hals behandelt (N = 25).
13 Patienten versuchten durch einen Sprung in die Tiefe sich das Leben zu nehmen.
Tabelle 3 zeigt die Verteilung der Methoden in Abhängigkeit zum Geschlecht.
Tabelle 3 – Methoden in Abhängigkeit vom Geschlecht
Methode
Männer
Frauen
Gesamt (%)
1) Intoxikation mit Tabletten
83
197
280 (74,3 %)
2) Intoxikation mit Chemikalien o.ä.
3
8
11 (2,9 %)
3) Intoxikation mit Alkohol (ausschließl.)
9
13
22 (5,8 %)
4) Schnittwunde Unterarm/Hals
9
16
25 (6,6 %)
5) Stich in(s) Abdomen/Thorax
6
0
6 (1,6 %)
6) Insulin s.c. spritzen
0
4
4 (1,1 %)
7) Inhalation von Kohlenmonoxid
2
1
3 (0,8 %)
8) Strangulation
6
0
6 (1,6 %)
9) Sprung in die Tiefe
6
7
13 (3,4 %)
10) vor Zug werfen
1
0
1 (0,3 %)
11) Andere
4
2
6 (1,6 %)
Unter “Andere“ wurden folgende Methoden zusammengefasst:
Injektion von Luft in den Port (zentraler, venöser Zugang), mehrere Hammerschläge auf
den Hinterkopf, der Versuch sich unter Alkoholeinfluss zu ertränken, Verletzung mit
Bolzenschussgerät am Hinterkopf und Ingestion von Rasierklingen (N = 2).
In Anlehnung an die in Deutschland, durch das „Nürnberger Bündnis gegen Depression“,
erhobenen Daten werden im Folgenden die Methoden 1 - 6 als „weiche“ und die Methoden
7 – 11 (siehe Tabelle 3) als „harte“ Methoden des Suizidversuchs bezeichnet (Althaus,
2004).
Hinsichtlich weicher und harter Selbsttötungsmethoden zeigen sich folgende Unterschiede,
welche Tabelle 4 zusammenfasst.
S e i t e | 46
Tabelle 4 – Unterschiede zwischen harten und weichen Methoden
N=
Weiche Methode
Harte Methode
348 (92,3 %)
29 (7,7 %)
238/110
10/19
37,2 Jahre (SD = 19,8)
44,4 Jahre (SD = 21,0)
32,0 Jahre
43,0 Jahre
Frauen/Männer
Altersdurchschnitt
Alter (Median)
Behandlung *A
Psychiatrische
Untersuchung *B
ambulant
75
stationär
273
ambulant
4
stationär
23
Erhalten
313 (89,9 %)
Nicht erhalten
35 (10,1 %)
Erhalten
23 (79,3 %)
Nicht erhalten
4 (13,8 %)
Kontakt mit
Ja
Nein
Ja
Rettungswagen *C
301
45
25
* hier wurden die 2 Suizide, die im Krankenhaus stattfanden ausgeschlossen
A
weiche vs. harte Methode: x2 (1) = 0,684; p = 0,408
B
weiche vs. harte Methode: x2 (1) = 0,609; p = 0,435
C
weiche vs. harte Methode: x2 (1) = 0,872; p = 0,647
nein
2
Signifikant mehr Männer (14,7 %), im Vergleich zu Frauen (4,0 %), begingen einen
Suizidversuch mittels harter Methode (x2 (1) = 13,674; p < 0,001). Demnach nutzten 96
Prozent der Frauen eine weiche Methode bei ihrem Suizidversuch.
5.2.1. Verwendung mehrerer Mittel/Medikamenten
Von den 317 Patienten, die sich durch Intoxikation (Medikamente/Chemikalien/Alkohol
und Insulin) das Leben nehmen wollten, verwendeten 47,3 Prozent (N = 150) mehrere
Mittel oder Medikamente beim Suizidversuch. Männer nutzten, im Vergleich zu Frauen
(55,8 % vs. 43,7 %), signifikant häufiger mehrere Medikamente (x2 (1) = 3,905;
p = 0,048).
Maximal wurden 4 Medikamente gleichzeitig verwendet. Durchschnittlich fielen auf jeden
Suizidversuch durch Intoxikation 1,67 Medikamente (SD = 0,820).
S e i t e | 47
5.2.2. Verwendete Medikamente
Abbildung 11 gibt einen Überblick über die Verteilung der genutzten Medikamente beim
Suizidversuch. Diese wurden entweder allein oder in Kombination mit anderen Mitteln
oder Methoden verwendet.
Benzodiazepine
18%
Antikonvulsiva unbekannt
Antihistaminika
2%
1%
8%
andere
5%
NSAR 7%
Antibiotika
1%
Analgetika
22%
TCA
5%
Paracetamol 8%
ASS 3%
Alkohol
18%
moderne
Antidepressiva
5%
Neuroleptika
10%
Antihypertensiva
5%
Opiate 4%
Abbildung 11 – beim Suizidversuch verwendete Medikamente
Es wird deutlich, dass Analgetika, Benzodiazepine und Alkohol, mit einem Gesamtanteil
von 58 Prozent, zu den am häufigsten genutzten Substanzen gehören. Bei den Analgetika
stehen Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Paracetamol im Vordergrund.
5.2.3. Alkohol als zusätzliches Mittel
Bei 20,6 Prozent (N = 67) der Fälle, bei denen sich die Patienten mittels weicher Methoden
versuchten zu suizidieren, wurde Alkohol als zusätzliches Mittel verwendet.
Ebenso erfolgten 24,1 Prozent (N = 7) der „harten Suizidversuchsmethoden“ unter
Alkoholeinfluss.
Bei 22 Suizidversuchen (5,8 %) wurde ausschließlich Alkohol verwendet.
S e i t e | 48
5.3 Behandlung
Von insgesamt 377 Suizidversuchen wurden 375 im Universitätsklinikum Leipzig
behandelt. 2 Suizidversuche wurden im UKL, während der Behandlung einer anderen
Grunderkrankung durchgeführt, endeten beide letal und wurden deswegen für die
folgenden Punkte (5.3 bis 5.6.1.2) nicht mit berücksichtigt.
5.3.1 Behandlungsart – ambulant vs. stationär
Von 375 Patienten erhielten insgesamt 296 (78,9 %) eine stationäre Versorgung.
Von den 79 ambulant behandelten Fällen wurden 25 (31,6 %) direkt in eine externe
Psychiatrie überwiesen, 1 Patient (1,3 %) verstarb noch in der Notaufnahme und 9
Patienten (11,4 %) verließen die Notaufnahme gegen ärztlichen Rat, so dass nur 55,7
Prozent (N = 44) aller ambulanten Fälle absichtlich ambulant behandelt wurden. Des
Weiteren wurden 7 dieser 44 Patienten einer kontinuierlichen, ambulanten, psychiatrischen
Weiterbehandlung zugewiesen.
5.3.2 Art der Kontaktaufnahme mit dem UKL
Der Großteil der Patienten (86,4 %) stellte sich in der Notaufnahme des
Universitätsklinikums vor bzw. wurde dort hin gebracht (siehe 5.3.3).
8 Patienten wurden zunächst in der Notaufnahme der Psychiatrie behandelt. 43 weitere
Patienten (11,5 %) wurden von externen Krankenhäusern übernommen, wobei davon 19
aus einem Krankenhaus, das außerhalb von Leipzig liegt, kamen.
5.3.3 Kontakt mit dem Rettungswagen
86,9 Prozent der 375 Fälle wurden durch den Rettungsdienst in das Universitätsklinikum
gebracht. 12,5 Prozent (N = 47) stellten sich aus Eigeninitiative oder in Begleitung von
Familienangehörigen oder Freunden im UKL vor und nur bei 2 Fällen (0,5 %) konnte
keine Angabe diesbezüglich gefunden werden.
Alle Fälle, die aus einem externen Krankenhaus in das UKL eingeliefert worden sind,
wurden ebenfalls zu der Gruppe, die mit dem Rettungsdienst in Kontakt kamen, gezählt, da
der Transport stets auf diese Weise erfolgte.
S e i t e | 49
5.3.4 Zeitpunkt des Eintreffens in die Notaufnahme
43 Fälle wurden von externen Kliniken in das UKL eingeliefert und weitere 2 Patienten
begingen ihre Suizidversuche während einer Behandlung im Uniklinikum. Die
verbleibenden 332 Fälle wurden in die Erhebung für den Zeitpunkt des Eintreffens in der
Notaufnahme mit eingeschlossen.
So zeigt sich folgende Verteilung: 28 Prozent (N = 93) erreichten die Notaufnahme
zwischen 06 und 14 Uhr, 38,9 Prozent (N = 129) zwischen 14 und 22 Uhr und 33,1 Prozent
(N = 110) zwischen 22 und 06 Uhr.
Ein durchgeführter x2-Test zeigte, im Vergleich zum Erwartungswert, keinen signifikanten
Unterschied zwischen den Zeitintervallen (x2 (2) = 5,861; p = 0,053), jedoch besteht eine
statistische Tendenz für Häufungen im Zeitraum von 14 bis 22 Uhr (OER = 1,17 (95% KI
[0,98 – 1,38]); p = 0,08).
5.3.5 Verbleib in der Notaufnahme
Tabelle 5 gibt einen Überblick über die unterschiedliche Verweildauer in der Notaufnahme
in Abhängigkeit zur Behandlungsart. Bei 283 Fällen (75,5 %) konnten Angaben
diesbezüglich gemacht werden. Zur besseren Beurteilung sind in der Tabelle die
Gesamtfälle je Kategorie und die dazugehörigen „gültigen Fälle“ (= Daten vorhanden)
angegeben.
Es zeigt sich, für die Gesamtheit der Fälle eine mittlere Verweildauer von 99 Minuten
(SD = 187,01). Es fällt weiterhin auf, dass Patienten die ausschließlich ambulant behandelt
und regulär entlassen wurden, im Gegensatz zu den stationären Fällen mindestens 73
Minuten (vs. 1 Minute) in der Notaufnahme blieben.
Stationäre Fälle wurden durchschnittlich 50,70 Minuten (SD = 124,49), ambulante Fälle
hingegen im Schnitt 329,65 Minuten (SD = 254,43) in der Notaufnahme behandelt.
S e i t e | 50
Tabelle 5 – Verweildauer in der Notaufnahme, abhängig von Behandlungsart
Kategorie
Gesamt- gültige
fälle
Fälle
Häufigkeiten
Min
Max
MittelStandardwert
abweichung
Angaben in Minuten
Stationär
296
234
1
960
50,7
124,5
ambulant (alle)
79
49
2
1074
329,7
254,4
Gesamt
375
283
1
1074
99,0
187,0
alle ambulanten
Fälle – ohne Fälle
mit Entlassung
gegen ärztlichen
Rat
70
42
2
1074
352,8
262,8
ambulante Fälle
mit Überweisung
in ext. Psychiatrie
25
16
2
739
258,3
264,5
ambulante Fälle
mit regulärer
Entlassung
37
22
73
1074
391,6
247,2
7
4
253
855
517,0
268,0
Details
ambulante Fälle
mit ambulanter
Weiterbehandlung
Bemerkung: Die Zeiten spiegeln wider, wann die Patienten im Computerprogramm SAP
aufgenommen bzw. weiterverlegt/entlassen wurden. Verweildauern unter 15 – 30 Minuten
müssen kritisch hinterfragt werden und entsprechen wahrscheinlich nicht dem wahren,
organisatorischen Ablauf (siehe Kapitel 6.3).
5.3.6 ICD – Kodierungen
Der in Deutschland, in der stationären und vertragsärztlichen Versorgung verwendete
ICD–10–GM Katalog beinhaltet 2 Codes, mit denen man „absichtliche Selbstschädigung“
(X84.9) und „versuchte Selbsttötung“ (Z91.8) kodieren kann. Bei dieser Datenerhebung
wurden aber nur 38,7 Prozent (N = 146) der Fälle mit diesen Diagnoseschlüsseln versehen.
Auf Grund der häufigen Einnahme bzw. Verwendung mehrerer Mittel (s.u.) wurden oft
auch mehrere ICD-Kodierungen vergeben. In der folgenden Abbildung 12 sind daher die
Kodierungen angegeben, die im Programm SAP als „Hauptdiagnose“ deklariert worden
sind.
S e i t e | 51
Anzahl
160
140
140
120
100
90
80
60
40
34
26
20
1
4
33
27
3
10
1
1
1
6
0
T38.1 T39.0 T40.1 T42.3 T43.0 T44.3 T45.0 T47.3 T50.6 T51.0 T55.0 T58.0 X84.9 Z91.8
T39.3 T40.2 T42.7 T43.8 T44.7 T45.5
T50.9 T51.9
Abbildung 12 – vergebene ICD-Diagnosen (Hauptdiagnose)
Die fünf am häufigsten verwendeten ICD–10–GM–Codes waren „Z91.8“ (N = 140),
„T50.9“ (N = 89), „T39.1“ (N = 20), „T51.0“ (N = 17) und „T51.9“ (N = 16).
5.3.7 Aufnahme auf unterschiedliche Stationen
Abbildung 13 zeigt die Verteilung der ersten Stationen, auf denen die 296 stationären Fälle
primär behandelt wurden. Demzufolge erhielten 77,4 Prozent (N = 229) zunächst eine
intensivmedizinische Überwachung. 12,2 Prozent (N = 36) konnten primär auf einer
Normalstation betreut werden und nur 10, 4 Prozent (N = 31) wurden direkt stationär
psychiatrisch behandelt.
Hinsichtlich der intensivmedizinischen Aufnahme zeigen sich, abhängig davon ob es sich
um einen Suizidversuch mit weicher oder harter Methode handelte, keine Unterschiede
(x2 (1) = 0,170; p = 0,680).
Wie erwartet wurden Patienten mit harten Suizidversuchsmethoden vorrangig auf die
chirurgische Intensivstation verlegt (OER = 5,65 (95% KI [3,14 – 9,42]); p < 0,001).
Eine detailierte Aufschlüsselung der stationären Aufnahme in Abhängigkeit zur genauen
Suizidversuchsmethode findet sich im Anhang (A6).
S e i t e | 52
Kinder- und
Jugendpsychiatrie
1 (0,3%)
Psychiatrie
30
10,1%
internistische
Normalstation
15
5,1%
Intensivstation pädiatrisch
36
12,2%
Intensivstation interdisziplinär
internistisch
164
55,4%
chirurgische
Normalstation; 6;
2%
pädiatrische
Normalstation
15
5,1%
Intensivstation chirurgisch
29
9,8%
Abbildung 13 – primär behandelnde Station
Patienten die auf eine pädiatrische Station aufgenommen wurden waren zwischen 13 und
18 Jahren alt und im Durchschnitt 15,65 Jahre (SD = 1,339) alt.
Die Patienten, die intensivmedizinisch (ohne pädiatrische Intensivstation) betreut wurden
waren im Mittel 41,48 Jahre (SD = 19,003) alt und die Patienten der Normalstation (ohne
pädiatrische Normalstation) lagen im Altersdurchschnitt bei 57,76 Jahren (SD = 23,110).
5.3.8 Verlegung in die klinikinterne Psychiatrie
2 Patienten (9,5 %) die zuerst auf einer Normalstation (chirurgisch oder internistisch)
behandelt wurden (N = 21), wurden anschließend in die klinikinterne Psychiatrie verlegt.
48 Patienten (24,9 %), die zuerst auf einer Intensivstation behandelt wurden (ohne
pädiatrische ITS), wurden direkt im Anschluss an die Intensivtherapie in die klinikinterne
Psychiatrie überwiesen.
Weitere 31 Patienten (16,1 %) der internistischen und chirurgischen Intensivstation wurden
im Anschluss auf eine weitere Station zur Akuttherapie verlegt. Von diesen 31 Patienten
wurden 8 anschließend in die Psychiatrie der Uniklinik überwiesen.
Fünf (9,8 %) der pädiatrischen Intensivstationspatienten wurden auf der pädiatrischen
Normalstation weiterbehandelt. Von beiden Stationen zusammen wurden insgesamt 18
(35,3 %) in die klinikinterne Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen.
S e i t e | 53
Neben den 31 Patienten, die primär in der Psychiatrie behandelt wurden, wurden also
weitere 76 Patienten in die klinikinterne Psychiatrie oder Kinder- und Jugendpsychiatrie
überwiesen.
5.3.9 psychiatrische Untersuchung
5.3.9.1 ambulante Fälle
55 der 79 ambulanten Patienten (69,6 %) erhielten ein psychiatrisches Konsil während der
Behandlung in der Notaufnahme des Universitätsklinikums Leipzig. Bei 18 (22,8 %) dieser
Patienten wurde durch das Konsil die Indikation zur stationären Aufnahme in einer
Psychiatrie gestellt. Diese Patienten wurden an eine externe Psychiatrie überwiesen.
7 weitere Patienten (8,9 %) wurden, ohne Konsil, direkt in eine Psychiatrie überwiesen und
erhielten dort die Behandlung durch einen entsprechenden Facharzt.
17 ambulante Patienten (21,5 %) erhielten keine Begutachtung durch einen Psychiater.
5.3.9.2 stationäre Fälle
Bei den stationären Fällen (N = 296) erhielten insgesamt 226 (76,4 %) eine psychiatrische
Begutachtung während der Behandlung im Universitätsklinikum. Weitere 48 Patienten
(16,2 %) wurden auch ohne ein solches Konsil nachfolgend in eine Psychiatrie überwiesen
und dort einem entsprechenden Facharzt vorgestellt.
Durch die Untersuchung wurde bei 124 Patienten (41,9 %) die Indikation zur stationären
Therapie in einer Psychiatrie gestellt, während dies bei 102 Fällen (34,5 %), nach
Einschätzung des jeweiligen Psychiaters, nicht nötig war.
22 stationär behandelte Patienten (7,4 %) erhielten keine psychiatrische Untersuchung.
Von 375 Patienten wurden also insgesamt 39 (10,4 %) nicht bei einem Facharzt für
Psychiatrie vorgestellt.
Von diesen 39 Patienten wurden 5 (12,8 %) in ein anderes externes Krankenhaus
überwiesen. 10 Patienten (25,6 %) verstarben noch in der Akutphase bevor ein Konsil
möglich war. Ein Patient (2,6 %) wurde in die ambulante Weiterbehandlung entlassen und
weitere 11 Patienten (28,2 %) verließen das Krankenhaus auf eigene Verantwortung
entgegen des ärztlichen Rates.
Insgesamt wurden also nur 12 von 375 Patienten (3,2 %) ohne eine psychiatrische
Begutachtung regulär aus der Klinik entlassen.
S e i t e | 54
5.3.10 Behandlungsende
Eine Aufschlüsselung über den Behandlungsverlauf bzw. das Behandlungsende der
ambulanten Fälle wurde im Kapitel 5.3.1 dargelegt, so dass hier ausschließlich auf die
stationären Fälle eingegangen wird.
Abbildung 14 stellt das Ergebnis graphisch dar.
reguläre Entlassung
mit ambulanter
Weiterbehandlung;
45; 15%
Tod; 11; 3%
reguläre
Entlassung; 125;
42%
Entlassung gegen
ärztlichen Rat; 29;
10%
Überweisung
extern; nicht näher
bezeichnet; 17; 6%
Überweisung in
externe Psychiatrie
; 71; 24%
Abbildung 14 – Behandlungsende der stationären Fälle
Demnach wurden 42 Prozent aller stationären Patienten regulär nach Hause entlassen.
Insgesamt 30 Prozent wurden in externe Häuser überwiesen und 15 Prozent wurden einer
ambulanten, psychiatrischen Weiterbehandlung zugewiesen.
Tabelle 6 zeigt den weiteren Verlauf bei der Behandlung der Patienten in Abhängigkeit zur
erstversorgenden Station.
S e i t e | 55
Tabelle 6 – Behandlungsende in Abhängigkeit zur primären stationären Versorgung
Pädiatrie
ITS u .
Normalst.
Häufigkeiten
Normalst.
chir. + intern.
ITS
chir. u. intern.
Psychiatrie
(+ KJP)
verlegt in externes
Krankenhaus
9
75
4
0
reguläre
Entlassung
9
81
17
18
ambulante
Weiterbehandlung
1
18
26
0
Entlassung gegen
ärztlichen Rat
1
12
3
13
verstorben
1
7
1
0
21
193
51
31
Gesamt
(chir. = chirurgisch; intern. = internistisch; KJP = Kinder- und Jugendpsychiatrie;
ITS = Intensivstation; Normalst. = Normalstation).
5.3.11 Todesfälle
Insgesamt verstarben im Beobachtungszeitraum von 3 Jahren zwölf Patienten an den
Folgen ihres Suizidversuchs. Bei allen Fällen handelte es sich jeweils um den ersten
Suizidversuch des Patienten. Weitere Informationen zu den einzelnen Fällen finden sich im
Anhang (A5).
5.3.12 Verweildauer der stationären Fälle
Die mittlere Gesamtverweildauer aller stationären Patienten betrug 13,8 Tage (SD = 21,3).
Ein Patient wurde maximal 127 Tage lang stationär behandelt.
Unterscheiden muss man hier jedoch zwischen der Verweildauer in der Akutbehandlung
(ohne Psychiatrie) und der reinen Verweildauer bei der nachfolgenden stationären,
psychiatrischen Behandlung.
Von 296 stationären Patienten wurden 265 zunächst auf einer somatischen Intensiv- oder
Normalstation behandelt. Die restlichen 31 Patienten wurden direkt zur Akutbehandlung in
die klinikinterne Psychiatrie überwiesen.
S e i t e | 56
Tabelle 7 zeigt die Verweildauer (Akutphase) der Patienten, die zunächst auf einer
Intensiv- oder Normalstation behandelt wurden in Abhängigkeit zum Behandlungsende.
Tabelle 7 – Verweildauer der zuerst auf Intensiv- oder Normalstation behandelten
Patienten (Akutphase)
Kategorie
Gesamtfälle
Anzahl
Min/Max
MittelStandardwert
abweichung
in Tagen
Patienten mit „ambulanter
Weiterbehandlung“
45
1/20
3,2
3,2
Patienten mit „regulärer
Entlassung“
107
1/66
5,4
9,0
Patienten mit „Überweisung in
externe Krankenhäuser“
88
1/57
6,2
11,0
Patienten mit „Entlassung
gegen ärztlichen Rat“ oder
„Tod“
25
1/22
3,6
4,2
alle Patienten (Gesamt)
265
1/66
5,1
8,7
Die „bereinigte“ Verweildauer der Akutbehandlung aller Patienten betrug im Schnitt also
5,1 Tage (SD = 8,7).
Die Verweildauer der 31 Patienten, die direkt, zur Akutbehandlung, in der Psychiatrie des
Uniklinikums stationär behandelt wurden, betrug im Mittel 20,6 Tage (SD = 28,8) und die
Verweildauer aller 107 Patienten, die in der klinikinternen Psychiatrie behandelt wurden,
betrug im Mittel 25,6 Tage (SD = 26,6), mit einem Maximum von 124 und einem
Minimum von 1 Tag.
Die mittlere Verweildauer der Patienten, die zwar stationär behandelt wurden aber dennoch
an den Folgen ihres Suizidversuchs verstarben, betrug 5,7 Tage (SD = 6,4).
S e i t e | 57
5.3.12.1 Verweildauer in Abhängigkeit zur Methode
Im Folgenden wurde auf Unterschiede in der Verweildauer in Abhängigkeit zur Methode
des Suizidversuchs untersucht. Hierzu wurde die Verweildauer während der
Akutbehandlung, also der Behandlung auf einer Intensiv- oder Normalstation (ohne
Psychiatrie) betrachtet (N = 265), da wie angegeben die stationäre Verweildauer der
psychiatrisch aufgenommenen Patienten deutlich höher ist und die tatsächliche
Verweildauer von Patienten, die in eine externe Psychiatrie überwiesen wurden, unbekannt
ist.
Zunächst zeigte ein Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest dass die Variable
„Verweildauer während Akutphase“ nicht normalverteilt ist (Z = 5,455; p < 0,001).
Nachfolgend konnte, mittels einem Mann-Whitney-U-Test, ein signifikanter Unterschied
(Z = -4,37; p < 0,001) zwischen Suizidenten mit Einsatz weicher Suizidmethoden und
Suizidenten mit Einsatz harter Suizidmethoden in der stationären Verweildauer während
der Akutbehandlung (Median 2,0 Tage vs. 6,0 Tage) aufgezeigt werden.
Demnach ist die Verweildauer bei harten Suizidversuchsmethoden signifikant länger.
In Anlehnung an das Kapitel 2.10.1 war ein zusätzliches Ziel dieser Untersuchung, einen
Unterschied im Behandlungsverlauf zwischen Intoxikationen mit trizyklischen (TCA) und
moderneren Antidepressiva zu untersuchen.
Hierzu wurden 4 Gruppen gebildet (siehe Tabelle 8).
Tabelle 8 – Verweildauer Akutphase in Abhängigkeit bestimmter Antidepressiva
Gruppe
Anzahl Fälle
Verweildauer Akutphase
(in Tagen)
Mittelwert (SD)
Median
TCA allein eingenommen
12
4,33 (3,87)
3,00
TCA in Kombination mit
anderen Mitteln eingenommen
5
2,40 (0,55)
2,00
5
3,40 (2,07)
3,00
9
2,67 (0,71)
3,00
Modernes Antidepressiva allein
eingenommen
Modernes Antidepressiva in
Kombination mit anderen
Mitteln eingenommen
Mit einem anschließend durchgeführten Kruskal-Wallis-Test konnten keine signifikanten
Unterschiede zwischen den Gruppen aufgezeigt werden, was die Verweildauer in der
Akutphase betrifft (x2 nach Kruskal-Wallis (3) = 3,373; p = 0,338).
S e i t e | 58
5.4 Grunderkrankungen zum Zeitpunkt des Suizidversuchs
Von 377 Patienten hatten lediglich 56 (14,9 %) keine Grunderkrankung. Bei 3 weiteren
Patienten (0,8 %) war die Anamnese (laut Entlassungsbrief) diesbezüglich unbekannt.
64 Patienten litten an kardiovaskulären Erkrankungen, 32 an endokrinologischen
Störungen und 13 Patienten hatten anamnestisch eine maligne Krankheit. 33 weitere
Personen hatten Erkrankungen, die unter „Sonstige“ zusammengefasst wurden. Dabei
handelte es sich um chronische Schmerzen, Epilepsien, Niereninsuffizienz, chronisch
entzündliche Darmerkrankungen und weitere zerebrale Erkrankungen.
Der größte Anteil der Patienten (N = 277) hatte eine psychiatrische Grunderkrankung.
Die Abbildung 15 zeigt die detaillierte Verteilung der psychiatrischen Grunderkrankungen.
Alkoholabusus
14%
Andere
1%
Drogenabusus
8%
Schizophrenie
10%
schizoaffektive
Störung
3%
bipolare Störung
2%
Störung des
Sozialverhaltens
1%
Depression
29%
sonstige
Persönlichkeitsstörung
2%
emotional instabile
Persönlichkeit
18%
Essstörungen
akute
2%
Belastungssituation
Anpassungsstörung
3%
5%
Angststörung
2%
Abbildung 15 – Verteilung der psychiatrischen Grunderkrankungen bei den
Suizidenten
Unter „Andere“ (Abb. 15) wurden die Erkrankungen Demenz, Hirnorganisches
Psychosyndrom und Transsexualität zusammengefasst.
Der Formenkreis der depressiven Erkrankungen zusammen mit Substanzmissbrauch und
den Persönlichkeitsstörungen waren somit die häufigsten psychiatrischen Grund- bzw.
Begleiterkrankungen. Unter den Persönlichkeitsstörungen war die emotional instabile
Persönlichkeitsstörung (= Borderline-Erkrankung) die häufigste Diagnose.
S e i t e | 59
5.5 Erkrankungen nach dem Suizidversuch (nach Entlassung)
Generell konnten bei insgesamt 19 Patienten gesundheitliche Probleme nach der
stationären Versorgung erfasst werden. Sechs dieser Patienten vollführten ihren
Suizidversuch mittels weicher Methoden, 13 nutzten harte Methoden.
5.5.1 Gesundheitliche Probleme/Erkrankungen nach Suizidversuch mit
weichen Methoden (N = 6)
Zwei der 6 Patienten nutzten Rohrreiniger bei ihrem Suizidversuch. Bei beiden kam es
dabei zu großflächigen Verätzungen der Schleimhäute des Verdauungssystems, was bei
einem der Patienten dazu führte, dass auf Grund der vernarbten oberen Atemwege die
dauerhafte Indikation für ein Tracheostoma bestand. Bei dem anderen Patienten kam es zur
großflächigen Darmischämie mit zusätzlichem hypoxischen Hirnschaden auf Grund eines
septischen Schocks. Auf Grund der notfallmäßigen Darmresektion entstand ein
Kurzdarmsyndrom.
Ein weiterer Patient nutzte WC-Reiniger beim Suizidversuch und entwickelte im Verlauf
eine chronische Dysphagie.
Ein Patient steht seit seinem Suizidversuch mit Paracetamol und anschließender
Lebertransplantation unter Immunsuppression, und der fünfte Patient (Diphenhydraminintoxikation) behielt eine obere Plexuslähmung zurück, die auf die zu lange Liegezeit in
unphysiologischer Lage bis zum Auffinden des komatösen Patienten zurückzuführen ist.
Ein weiterer Patient litt noch nach der stationären Behandlung unter Parästhesien im
Bereich seiner Einstichstelle (Suizidversuch durch Stich ins Abdomen).
5.5.2 Gesundheitliche Probleme/Erkrankungen nach Suizidversuch mit
harten Methoden (N = 13)
Eine Übersicht über die gesundheitlichen Probleme nach dem Suizidversuch mit harten
Methoden zeigt Tabelle 9.
S e i t e | 60
Tabelle 9 – Erkrankungen nach Suizidversuch mit harten Methoden
Methode
vor Zug werfen (N = 1)
Notwendige Behandlungen/Erkrankungen
Rehabilitation - Gehprobleme, Metallentfernungen
(Frakturversorgung) nötig
Hammerschläge auf
Hinterkopf (N = 1)
V.a. Entwicklung eines hirnorganischen Psychosyndroms
Sprung (N = 9)
Infertilität (N = 1)
Rehabilitation – Bewegungsapparat (N = 4)
Coxarthrose (N = 1)
weitere Operationen (elektiv) nötig (N = 5)
neurologische Defizite (N = 3)
Aphasie (N = 1)
Amputaion (N = 1)
Strangulation (N = 1)
Rehabilitation, Training der kognitiven Fähigkeiten und
Maßnahmen zur Alltagsbewältigung
Bolzenschuss
Wirbelsäule (N = 1)
Parese rechter Arm
Bei 1,72 Prozent der Suizidversuche mit weichen Methoden bestanden zum Zeitpunkt der
Entlassung noch, durch den Selbsttötungsversuch bedingte, behandlungsbedürftige
Erkrankungen, während dies bei 44,8 Prozent der Suizidversuche mit harten Methoden der
Fall war. Ein durchgeführter x2-Test konnte einen signifikanten Unterschied diesbezüglich
aufzeigen (x2 (1) = 103,922; p < 0,001).
5.6 Kosten für das Gesundheitssystem
Zu den einzelnen Fällen wurde der jeweilige Erlös, definiert als die Kosten, die dem
entsprechenden Versicherungsträger in Rechnung gestellt wurden, erfasst. Dies diente zur
Berechnung der direkten Kosten. Die indirekten Kosten wurden gemäß dem Abschnitt
4.4.2 berechnet.
Da die Variable „direkte Kosten“ keine Normalverteilung (Kolmogorov-Smirnov-Test
Z = 7,946; p < 0,001) und in den folgenden Untergruppen auch keine Varianzhomogenität
(Test mittels Levene-Statistik) zeigte, wurde für die Vergleiche der entsprechenden
Kategorie der Mann-Whitney-U-Test oder der Kruskal-Wallis-Test für nicht-parametrische
Variablen verwendet.
S e i t e | 61
5.6.1 direkte Kosten
Mit Ausnahme der Berechnung der Gesamtkosten (Abschnitt 5.6.1.1) ging es bei der
Berechnung der direkten Kosten in den folgenden Abschnitten darum, Kostenunterschiede
zu untersuchen, die durch die Akutbehandlung entstanden sind. Daher wurden zunächst die
Fälle bei der Analyse ausgeschlossen, die primär in der Psychiatrie behandelt wurden (N =
31), da es sonst durch die deutlich längere Verweildauer und ein anderes
Kostenerstattungsprinzip zu Verzerrungen bei den Ergebnissen gekommen wäre. Weitere
zwei Fälle, bei denen der Suizid während der Behandlung einer anderen Erkrankung im
Krankenhaus vollzogen wurde, wurden nicht mit betrachtet, da die Behandlungskosten
nicht durch die suizidale Handlung entstanden waren.
5.6.1.1 Gesamtkosten
Insgesamt entstanden in den 3 Jahren durch die 375 Fälle Behandlungskosten in Höhe von
1.698.239,16 Euro. Dies entspricht einem gerundeten Wert von 4.529 Euro pro Fall.
Tabelle 10 gibt einen Überblick über den Unterschied zwischen den stationären und
ambulanten Fällen.
Tabelle 10 – direkte Kosten für das Gesundheitssystem aller Fälle
Anzahl
Mittelwert
SD
Angaben in Euro
82,61
Summe
ambulante Fälle
79
92,15
stationären Fälle
296
5.712,70
11.527,61
1.690.959,17
Gesamt
375
4.528,64
10.492,13
1.698.239,16
7.279,99
Bemerkung: SD = Standardabweichung
Die Gesamtkosten die durch die stationäre, psychiatrische Behandlung entstanden sind (N
= 107 Fälle) belaufen sich auf 711.344,10 Euro. Dies entspricht im Schnitt 6.648,08 Euro
(SD = 6944,75) pro entsprechendem Fall.
S e i t e | 62
5.6.1.2 direkte Kosten in Abhängigkeit zum Ausgang des Suizidversuchs
Hier zeigte ein Mann-Whitney-U-Test (Z = -3,255; p < 0,001), dass es signifikante
Unterschiede zwischen den Kosten gab, abhängig davon ob es sich um einen Suizid
(fataler) oder um einen Suizidversuch (nicht-fatalen Ausgang) handelte. Tabelle 11
verdeutlicht dies.
Tabelle 11 – direkte Kosten abhängig vom Ausgang des Suizidversuchs
Gruppe
fatal
non-fatal
N
Mittelwert
10
334
15.453,06
2.488,98
SD
Angaben in Euro
21.915,84
8.972,59
Median
5.239,19
781,05
Auf Grund der geringen Fallzahl (N = 10) der Gruppe mit fatalem Ausgang, aber der
dennoch starken Beeinflussung der direkten Kosten wurden bei den folgenden
Kostenvergleichen diese Fälle ebenfalls ausgeschlossen, so dass es sich bei den folgenden
Ergebnissen um Kostenvergleiche von Suizidversuchen während der Akutbehandlung
(ohne Psychiatrie) handelt (N = 334).
5.6.1.3 direkte Kosten in Abhängigkeit vom psych. Konsil
Tabelle 12 zeigt die unterschiedlichen Kosten in der Akutbehandlung abhängig davon, ob
bei den Fällen eine psychiatrische Untersuchung durchgeführt wurde oder nicht. Bei den
stationären Fällen „mit Konsil“ handelt es sich nur um Patienten, die ihre psychiatrische
Begutachtung während der Akutbehandlung erhielten, nicht aber um Patienten, die erst
während der folgenden stationären, psychiatrischen Behandlung einem entsprechenden
Facharzt vorgestellt wurden.
Tabelle 12 – direkte Kosten abhängig vom psychiatrischen Konsil
ambulant mit Konsil
(N = 55)
Ambulant ohne
Konsil (N = 23)
stationär mit Konsil
(N = 223)
Min / Max
Spannweite
49,77 / 721,08
671,31
49,77 / 128,18
78,41
421,09 / 68.327,90
67.906,81
stationär ohne
521,25 / 100.303,81
Konsil
99.782,56
(N = 33)
Bemerkung. Angegebene Werte in Euro;
Mittelwert
(SD)
Median
99,06
(97,79)
77,34
75,39
(17,53)
77,34
3.022,35
(8.601,31)
1.072,12
4.550,71
(17.439,71)
743,48
S e i t e | 63
Demnach liegt der Mittelwert bei stationären Fällen ohne Konsil höher, als bei Fällen mit
psychiatrischer Untersuchung. Dieser gering ausgeprägte Effekt lässt sich auf das
Vorhandensein von „Ausreißern“ zurückführen (cohens d = 0,15; 95% KI = [-0,22; 0,52]).
Die deutlich höhere Spannweite bei den Fällen „ohne Konsil“ verdeutlicht diese
Problematik. Betrachtet man hingegen den Median beider Gruppen, so zeigt sich, genauso
wie bei den Mittelwerten der ambulanten Fällen, die Tendenz, dass Fälle mit
psychiatrischen Konsil, wie erwartet, mehr Kosten verursachen.
5.6.1.4 direkte Kosten in Abhängigkeit von der Methode des Suizidversuchs
Zur Berechnung von Unterschieden in den Behandlungskosten während der Akutphase in
Abhängigkeit von der Methode des Suizidversuchs wurden nun die Fälle gefiltert, bei
denen ausschließlich eine Methode oder ein Medikament beim Selbsttötungsversuch
verwendet wurde (N = 171). Die Tabelle 13 zeigt die Details zu den einzelnen Methoden.
Tabelle 13 – Unterschiede der direkten Behandlungskosten verschiedener Methoden
Methode
1 Intoxikation Tabletten
N
120
Mittelwert
Median
(SD)
Angaben in Euro (gerundet)
1.907 (± 7.197)
788
Ambulante
Behandlung
Absolut (%)
28 (23,3 %)
2 Intoxikation Chemikalien
5
12.061 (± 22.834)
1.645
1 (20 %)
3 Alkohol (ausschließlich)
21
602 (± 503)
559
7 (33,3 %)
4 Schnitt (Armen/Hals)
7
744 (± 901)
707
3 (42,9 %)
5 Stich (Abdomen/Thorax)
5
2.564 (± 1.058)
2.236
0 (0 %)
6 Insulin s.c.
3
6.913 (± 9.357)
1.962
0 (0 %)
7 Kohlenmonoxid
2
381 (± 467)
381
1 (50 %)
8 Strangulation
2
1.956 (± 1.463)
1.956
0 (0 %)
9 Sprung
5
18.432 (± 16.904)
11.984
0 (0 %)
10 Zug
1
63.737
0 (0 %)
Nun wurde untersucht, inwieweit sich die Behandlungskosten von weichen (Nr. 1-6,
Tabelle 13) und harten (Nr. 7-10, Tabelle 13) Methoden unterschieden. Tabelle 14 stellt
dies deskriptiv dar.
S e i t e | 64
Tabelle 14 – Kostenunterschiede harter und weicher Methoden
Methode
N
weiche Methode
161
Mittelwert
Median
(SD)
Angaben in Euro (gerundet)
2.115 (± 7.529)
781
harte Methode
10
16.057 (± 21.950)
Ambulante
Behandlung
Absolut (%)
39 (24,2 %)
6.069
1 (10 %)
Mittels Mann-Whitney-U-Test konnte ein signifikanter Unterschied zwischen beiden
Gruppen nachgewiesen werden (Z = -2,883; p = 0,004). Demnach entstehen in der
Akutbehandlung signifikant mehr Kosten durch die Therapie von Suizidenten die ihren
Suizidversuch mittels harter Methode vollführten.
Innerhalb der weichen Selbsttötungsmethoden wurden nun 3 Gruppen (Intoxikation mit
Tabletten [N = 120]; Intoxikation durch Chemikalien, Alkohol oder Insulin [N = 29] und
Schnitt- und Stichverletzungen [N = 12]) gebildet.
Nach Testung mit einem Kruskal-Wallis-Test konnten hier keine signifikanten
Unterschiede bezüglich der Behandlungskosten zwischen diesen drei Gruppen festgestellt
werden (x2 nach Kruskal-Wallis (2) = 1,812; p = 0,404).
5.6.1.5 direkte Kosten durch Intoxikationen abhängig von Medikament
Bei dieser Fragestellung wurde geprüft, ob sich die Behandlungskosten abhängig von den
verwendeten Medikamenten unterschieden. Die hierfür gebildeten Gruppen und deren
Details zeigt Tabelle 15.
Tabelle 15 – Unterschiede der Behandlungskosten verschiedener
Medikamentengruppen
Medikament
N
Mittelwert
Median
(SD)
Angaben in Euro (gerundet)
3.977 (± 13.116)
1.067
Ambulante
Behandlung
Absolut (%)
6 (21,4 %)
Analgetika (incl. Opiate)
28
Benzodiazepine
18
602 (± 660)
131
10 (55,6 %)
Neuroleptika
19
2.781 (± 8.419)
990
3 (15,8 %)
Antidepressiva
17
1199 (± 802)
1.082
2 (11,8 %)
Antihistaminika
23
867 (± 439)
733
2 (8,7 %)
Andere
13
864 (± 672)
742
4 (30,8 %)
S e i t e | 65
Auch hier konnten keine signifikanten Unterschiede aufgezeigt werden (x2 nach KruskalWallis (5) = 6,651; p = 0,248).
Ein weiteres Ziel dieser Untersuchung war es zu prüfen, ob innerhalb der Gruppe der
Intoxikationen mit Antidepressiva (Monointoxikation), die Behandlungskosten während
der Akutphase Unterschiede aufzeigten. Verglichen wurden ältere Antidepressiva (TCA)
versus modernere Antidepressiva (AD) wie zum Beispiel SSRI (Tabelle 16).
Tabelle 16 – Unterschiede der Behandlungskosten verschiedener Antidepressiva
Gruppe
(Monointoxikationen)
N
ältere AD
11
Modernere AD
6
Mittelwert
Median
(SD)
Angaben in Euro (gerundet)
1.429 (± 810)
1363
776 (± 645)
Ambulante
Behandlung
Absolut (%)
0 (0 %)
760
2 (33,3 %)
Mittels Mann-Whitney-U-Test (Z = -1,66; p = 0,097) konnte hier kein signifikanter
Unterschied aufgezeigt werden. Dies liegt jedoch wahrscheinlich in der geringen Fallzahl
begründet. Dennoch zeigt sich die Tendenz, dass Intoxikationen mit moderneren
Antidepressiva, trotz keinem signifikanten Unterschied in der Verweildauer (siehe
Abschnitt 5.3.12.1), eher geringere Behandlungskosten verursachen als Intoxikationen mit
älteren Antidepressiva (cohens d = 0,86; 95% KI = [-0,22; 1,85]).
5.6.1.6 direkte Kosten von Mono- und Polyintoxikationen
Ebenfalls wurde auf einen Unterschied geprüft im Vergleich zwischen Patienten mit Polyund Monointoxikation mit Tabletten. Tabelle 17 zeigt die deskriptiven Daten.
Tabelle 17 – Kostenunterschiede von Mono- und Polyintoxikationen
Gruppe
N
Monointoxikationen
120
Polyintoxikationen
136
Mittelwert
Median
(SD)
Angaben in Euro (gerundet)
1.907 (± 7.197)
788
964 (± 1.730)
742
Ambulante
Behandlung
Absolut (%)
28 (23,3 %)
34 (25 %)
Die Mittelwerte der Gruppen zeigen zwar die anscheinende Tendenz, dass die Kosten der
Akutversorgung von Patienten mit Tablettenpolyintoxikation geringer sind, doch erweist
sich im Mann-Whitney-U-Test dieser Unterschied als nicht signifikant (Z = -1,194; p =
0,233). Auch die Effektstärke dieser Tendenz ist gering (cohens d = 0,19; 95% KI = [-0,06;
0,43]).
S e i t e | 66
5.6.2 indirekte Kosten
Die Berechnung der indirekten Kosten erfolgte, entsprechend der Empfehlung der AG
Reha-Ökonomie (Krauth et al., 2005) mittels Humankapitalansatzmethode (siehe Kapitel
2.17.1). Die Vorgehensweise wurde im Abschnitt 4.4.2 dargestellt. Verwendet wurden die
Angaben der statistischen Ämter (Statistisches Landes- bzw. Bundesamt) für das Jahr
2008, da nur für dieses Jahr, welches innerhalb des Zeitraums der Datenerhebung liegt, alle
benötigten statistischen Angaben zur Verfügung standen. Eine Ausnahme stellt die
Verdienststrukturerhebung des Statistischen Landesamtes Sachsen dar, welche in
aktuellster Form aus dem Jahr 2006 vorliegt.
5.6.2.1 indirekte Kosten durch Arbeitsunfähigkeit
Zunächst wurden ambulante und stationäre Fälle, getrennt nach Geschlecht, in 4 Gruppen
eingeteilt und der Anteil der Patienten im arbeitsfähigen Alter (18-65 Jahre)7 ermittelt
(siehe Tabelle 18). Anschließend wurden die Arbeitsunfähigkeitstage addiert. Bei den
stationären Fällen entspricht die Summe der AU-Tage der Summe der Behandlungstage
(stationäre Verweildauer). Ambulante Fälle wurden mit jeweils einem AU-Tag berechnet.
Tabelle 18 – Altersgruppen nach Geschlecht und Behandlungsart
Unter 18 Jahre
Frauen –
ambulant
2
Männer ambulant
1
Frauen –
stationär
47
Männer –
stationär
8
Über 65 Jahre
4
4
32
10
Im Arbeitsalter
40
28
123
76
Summe AU-Tage
40
28
2084
1116
In einem nächsten Schritt wurde die Summe der AU-Tage innerhalb der jeweiligen
Gruppen entsprechend der Arbeitslosenquote des Landes Sachsen korrigiert. Die
Arbeitslosenquote entspricht dem „Anteil der Arbeitslosen an den abhängigen zivilen
Erwerbspersonen (sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte, Beamte,
Arbeitslose sowie ab Mai 2007 Personen in Arbeitsgelegenheiten der
Mehraufwandsvariante)“ (Statistisches Landesamt Sachsen, 2009; Seite 4) und lag 2008 in
Sachsen für Frauen bei 14,7 Prozent und für Männer bei 14,0 Prozent. Dieser korrigierte
Wert wurde dann mit dem Arbeitsvolumen multipliziert. Das Arbeitsvolumen gibt
Auskunft über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit aller Erwerbstätigen (Arbeitnehmer,
Selbstständige und mithelfende Familienangehörige) die einer Tätigkeit, im
7
http://www.planetsenior.de/renteneintrittsalter; Zugriff am 09.02.2012
S e i t e | 67
wirtschaftlichen Sinne nachgehen8 und wird für das Jahr 2008 mit 5,8 Stunden je
Kalendertag angegeben (Statistisches Landesamt Sachsen, 2011). Die so ermittelte
Arbeitsausfallzeit in Stunden, wurde mit den Arbeitskosten pro Stunde in Höhe von 29,60
Euro multipliziert (Statistisches Bundesamt, 2009). „Die Arbeitskosten umfassen die
Gesamtheit aller den Arbeitgebern im Zusammenhang mit der Beschäftigung von
Arbeitskräften entstehenden Aufwendungen.“ (Statistisches Bundesamt, 2009; Seite 27).
Tabelle 19 zeigt die Ergebnisse.
Tabelle 19 – indirekte Kosten durch Arbeitsunfähigkeit
Gruppe
Ambulante
Männer
Ambulante
Frauen
Stationäre
Männer
Stationäre
Frauen
Summe
AUTage
korrigierte Summe
AU-Tage (abzgl.
Arbeitslosenquote)
korrigierte AUTage x
Arbeitsvolumen
Verlorene
Arbeitszeit x
Arbeitskosten
28
24,08
139,66 h
4.134,05 €
40
34,12
197,90 h
5.857,72 €
1116
959,76
5.566,6 h
164.771,60 €
2084
1777,652
10.310,4 h
305.187,84 €
Gesamt
479.951,22 €
Die indirekten Kosten, durch die, in Folge der ambulanten oder stationären Behandlung im
Uniklinikum Leipzig bedingte Arbeitsunfähigkeit, betragen also 479.951,22 Euro.
5.6.2.2 indirekte Kosten durch vorzeitigen Tod
Innerhalb des Zeitraumes der Datenerhebung verstarben 12 Personen durch Suizid. Zur
Berechnung der daraus resultierenden indirekten Kosten, im Sinne des
Humankapitalansatzes, wurden auch hier die Fälle gefiltert, bei denen sich die Patienten
noch im arbeitsfähigen Alter befanden (N = 5). Bei den sieben anderen Fällen handelte es
sich bereits um Patienten im Rentenalter. Für die 5 verbleibenden Patienten wurde das
Renteneintrittsalter individuell berechnet. Bei jedem dieser Patienten wurde dann ein
jährlicher, alters- und geschlechtsabhängiger Durchschnittsverdienst (Statistisches
Landesamt Sachsen, 2008) gemäß dem Humankapitalansatz mit der verlorenen Arbeitszeit
multipliziert. Als jährliche Diskontierungsrate wurden, entsprechend den deutschen
Empfehlungen zur gesundheitsökonomischen Evaluation der Hannoveraner
Konsensgruppe, 5 Prozent angesetzt und die Ergebnisse im Rahmen einer
8
http://www.statistik.sachsen.de/html/543.htm
S e i t e | 68
Sensitivitätsanalyse mit höheren und niedrigeren Diskontierungssätzen (0 %; 3 %; 8 % und
10 %) überprüft (Graf v.d. Schulenburg et al., 2007).
Tabelle 20 zeigt das Ergebnis für die fünf Patienten und Abbildung 16 demonstriert die
Summe der indirekten Kosten durch vorzeitigen Tod in Abhängigkeit zur gewählten
Diskontrate.
Tabelle 20 – indirekte Kosten durch vorzeitigen Tod
Geschlecht
Alter (Jahre/Monat)
Jahrgang
Renteneintritt
(Jahre/Monat)
Verlorene
Arbeitszeit in
Monaten (Jahren)
jährlicher BruttoDurchschnittsverdienst
indirekte Kosten
0 % diskontiert
indirekte Kosten
3 % diskontiert
indirekte Kosten
5 % diskontiert
indirekte Kosten
8 % diskontiert
Indirekte Kosten
10 % diskontiert
Frau
Mann
Mann
Mann
Mann
15/0
23/1
32/5
43/0
59/6
1993
1987
1977
1965
1951
67/0
67/0
67/0
67/0
65/5
588
(49)
527
(43,916)
415
(34,583)
288
(24)
71
(5,916)
13.836
19.800
28.332
29.976
29.100
677.964,00 869.550,00
979.815,00
719.424,00 172.175,00
363.426,15 494.181,35
622.751,81
522.889,60 160.289,35
263.951,56 367.009,50
484.892,36
434.309,49 153.215,03
182.484,89 258.197,49
355.769,33
340.858,86 143.682,26
150.769,86 214.486,73
300.112,51
296.259,36 137.959,49
S e i t e | 69
4.000.000 €
3.418.928,00 €
3.500.000 €
3.000.000 €
2.163.538,26 €
2.500.000 €
1.703.377,94 €
2.000.000 €
1.280.992,83 €
1.099.587,95 €
1.500.000 €
1.000.000 €
500.000 €
0€
0%
3%
5%
8%
10%
Summe der indirekten Kosten durch vorzeitigen Tod, abhängig von der Diskontrate
Abbildung 16 – Summe der direkten Kosten durch vorzeitigen Tod, abhängig von der
Diskontrate
5.6.2.3 indirekte Gesamtkosten
Die indirekten Kosten, durch die Arbeitsunfähigkeit, beliefen sich auf 479.951,22 Euro.
Hinzu kommen, wie gezeigt, noch weitere 1.703.377,94 € (basierend auf der empfohlenen
5 % Diskontrate), die durch den vorzeitigen Tod von 5 Patienten entstanden.
Neben den direkten Kosten der Behandlung in Höhe von 1.698.239,16 Euro, entstanden
also durch die 377 Fälle, die auf Grund von suizidalem Verhalten im Uniklinikum
behandelt wurden, weitere 2.183.329,16 € an indirekten Kosten.
Die Todesfälle machten in dieser Berechnung etwa 78 Prozent der indirekten Kosten aus.
Addiert ergibt dies Kosten in Höhe von 3.881.568,32 Euro.
Das bedeutet, dass sich bei jedem Fall, neben den mittleren direkten Behandlungskosten in
Höhe von 4.528,64 Euro, die durchschnittlichen indirekten Kosten auf weitere 5.791,32
Euro belaufen.
S e i t e | 70
6 Diskussion
6.1 Probleme der Datenerhebung
Bei dieser Studie gab es mehrere Probleme, welche die Auswertung der Daten
erschwerten.
Zum einen gibt es keine lückenlose Erfassung von Suizidversuchen in Deutschland. Da
nicht jeder Suizidversuch in einem Krankenhaus behandelt wird, sollte man davon
ausgehen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt, als die erfassten Fälle. Althaus und
Hegerl (2004) schätzen, dass allein die Dunkelziffer der vollendeten Suizide 10-fach höher
ist, als die registrierten Fälle. Für Suizidversuche schätzt Bronisch (2007) diesen Anteil auf
20 bis 30 Prozent.
Zum anderen ergeben sich Schwierigkeiten durch die zunehmende Komorbidität, vor allem
der älteren Patienten. So lässt es sich zum Beispiel nur schwierig klären, ob ein alter
Mensch der seine Tabletten nicht mehr nimmt, dies in suizidaler Absicht tut oder nur die
Einnahme vergessen hat (Bronisch, 2007).
Natürlich ergeben sich auch Probleme durch die retrospektive Auswertung. Fälle unklarer
Intoxikationen oder Verletzungen konnten nicht mehr objektiv bewertet oder
weiterführend untersucht werden. Somit konnten unerkannte Suizidversuche, im Sinne
einer fehlenden Dokumentation, nicht berücksichtigt werden. Umgedreht war es aber
natürlich auch möglich, dass eine akzidentielle Verletzung als Suizidversuch kodiert wurde
und so in diese Studie eingeschlossen wurde.
Diese Problematik konnten Hovda et al. (2008) in ihrer prospektiven Studie aufzeigen.
Dort wurden 947 Fälle auf Grund akuter Intoxikation stationär aufgenommen, von denen
im Nachhinein 95,9 Prozent als „absichtliche Selbstvergiftung“ identifiziert werden
konnten. Allerdings wurde in etwa 40 Prozent der Fälle die Ursache der Intoxikation aus
ärztlicher Sicht als „Unfall“ eingeschätzt. Hinzu kommt noch das Problem, dass nicht alle
Patienten ehrliche Angaben machen, was den Zeitpunkt der Einnahme, die Menge und den
Namen des verwendeten Mittels angeht (Adams, 1986).
Ein weiteres Problem stellten in dieser Datenerhebung auch die geringen Fallzahlen dar.
So konnten die Voraussetzung für eine univariate Varianzanalyse (Varianzhomogenität
und Normalverteilung) bei allen Kostenvergleichen nicht erfüllt werden. Deutlich wurde
dies vor allem bei dem Vergleich der Behandlungskosten von Patienten mit Intoxikation
durch ältere oder modernere Antidepressiva. Während hier doch eine deutliche
Effektstärke zu sehen war (cohens d = 0,86; 95% KI = [-0,22; 1,85]), so konnte trotzdem
kein signifikanter Unterschied aufgezeigt werden. Ein Ergebnis, welches durch höhere
Fallzahlen zumindest denkbar erscheinen würde.
S e i t e | 71
6.2 Diskussion der epidemiologischen Ergebnisse
In dieser Studie konnten retrospektiv, anhand der angegebenen Suchkriterien 377 Fälle
identifiziert werden, die auf Grund von suizidalen Handlungen im Universitätsklinikum
Leipzig behandelt wurden (davon 365 Suizidversuche und 12 Suizide). In 65,8 Prozent der
Fälle handelte es sich um weibliche Patienten, was, basierend auf der Tatsache, dass
größtenteils Suizidversuche registriert wurden, zu erwarten war. Das Verhältnis Mann:
Frau betrug damit 1:1,9. Dieses Ergebnis und der relativ junge Altersdurchschnitt von 37,7
Jahren (SD = 19,9) ist konform mit den Ergebnissen früherer Studien (Adams, 1986; Barr
et al., 2005; Bittner et al., 2010; Farzaneh et al., 2010; Gasquet & Choquet, 1994; Güloğlu
& Kara, 2005; Kapur et al., 1999; O´Donovan et al., 1993; Serinken et al., 2008; Slama et
al., 2009; Yeo, 1993).
Weiterhin konnte in dieser Arbeit kein signifikanter Unterschied gezeigt werden, was den
Zeitpunkt der Suizidversuche betrifft. So wurden keine Häufungen an bestimmten
Wochentagen (p = 0,285) oder in bestimmten Quartalen (p = 0,810) registriert. Auch eine,
über das Jahr verteilte, unterschiedliche Häufung von weichen und harten Methoden
konnte nicht belegt werden (p = 0,382). Dies ist konform mit aktuellen Studienergebnissen
von Mergl et al. (2010) und Prescott et al. (2009).
Des Weiteren wurde untersucht, ob es einen Anhalt für den in der Literatur als „birthdayblues“ beschriebenen Effekt gab, dass suizidale Handlungen vermehrt innerhalb eines
Intervalls um den Geburtstag des jeweiligen Suizidenten vollzogen werden. Die Grundlage
für diese Annahme lieferten Barraclough und Shepherd im Jahr 1976. Sie beschrieben eine
derartige Häufung von Suiziden bei älteren Suizidenten. Ein Effekt, den Shaffer (1974)
bereits bei Kindern beschrieben hatte. Eine neuere Studie von Williams et al. (2011)
beschränkt das erhöhte Risiko für Suizid zumindest auf Männer und den Tag des
Geburtstages (IRR = 1.39, 95% CI = 1.18-1.64, p < .01). Reulbach et al. (2007), die hierfür
11.378 Suizidfälle untersuchten konnten diesen Effekt nicht nachweisen.
In dieser Arbeit wurde bei jedem der Fälle überprüft, ob der Suizid oder Suizidversuch
innerhalb eines Intervalls von 30 Tagen vor und nach dem Geburtstag der jeweiligen
Suizidenten vollzogen wurde. Es zeigten sich aber keine Häufungen innerhalb dieses
Intervalls (OER = 1,048 (95% KI [0,82 – 1,33]); p = 0,70) und auch kein geschlechtsspezifischer Unterschied (x2 (1) = 0,476; p = 0,490).
Diese Ergebnisse sprechen eher dafür, dass Suizidversuche den Effekt des „birthday-blues“
nicht aufweisen.
S e i t e | 72
Als häufigste Ursache für den Suizidversuch wurden von den Patienten in dieser Studie
vorrangig Probleme im zwischenmenschlichen Bereich angegeben (43,2 %). Meist
handelte es sich um Konfliktsituationen mit oder den Verlust von nahen Bezugspersonen,
wie Partnern oder Freunden.
Situationen wie diese scheinen derartig belastend, dass Menschen die entsprechend
vulnerabel sind in solchen Fällen keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihrem Leben ein
Ende zu setzen. Das Ergebnis bestätigt die Arbeiten von (Gasquet & Choquet, 1994; Ferris
et al., 2007; Farzaneh et al., 2010; Marks, 1979).
Mit 313 Fällen (83 %) stellten in dieser Datenerhebung die Intoxikationen (Tabletten,
Chemikalien, Alkohol) die meist genutzte Suizidversuchsmethode dar. An Stelle 2 stehen
hier die selbstzugefügten Schnittverletzungen an Hals und Armen und die
Stichverletzungen (6,6 %). Diese Ergebnisse decken sich exakt mit den in der Literatur
beschriebenen (siehe Theorie, Abschnitt 2.9) Hauptmethoden und entsprechen damit den
Erwartungen.
Analog zu den Ergebnissen von Batty et al. (2010) waren die Schnittverletzungen meist im
Bereich der Handgelenke lokalisiert.
Über den hohen Anteil von Polyintoxikationen bei Suizidversuchen (bis zu 55,6 %)
berichteten bereits Islambulchilar et al. (2009) und Serinken et al. (2008). Auch in dieser
Datenerhebung nutzte fast jeder zweite mehr als ein Medikament, wobei Frauen signifikant
häufiger polyintoxikiert waren (p = 0,048). Analog zu den Ergebnissen von Prescott et al.
(2009) entfielen auf jeden Intoxikationsfall etwa 1,7 Medikamente.
Auch die Angaben über die unterschiedlichen Häufigkeiten der verwendeten Medikamente
unterscheidet sich nicht deutlich von vorhergehenden Studien (Hovda et al., 2008).
Im Gegensatz zu amerikanischen Studien (Bittner et al., 2010; Kuo & Gallo, 2005) wurde
kein einziger Fall, bei dem eine Schusswaffe verwendet wurde, registriert. Dies kann
neben dem erschwerten Zugang zu Feuerwaffen (auf Grund des deutschen
Waffengesetzes) auch daran liegen, dass Verletzungen mit Schusswaffen eine höhere
Letalität aufweisen (Bittner et al., 2010) und dementsprechend seltener noch in die Klinik
zur Behandlung gebracht werden.
Nur etwa 4 Prozent der Frauen begingen ihren Suizidversuch mittels harter Methode,
während dies bei etwa 14,7 Prozent aller Männer der Fall war (p < 0,001). Eine Tatsache,
die in der Literatur bereits häufiger beschrieben wurde (Boenisch et al., 2010; Hanna,
2004; Mann, 2002; Sam et al., 2009).
S e i t e | 73
Bei etwa jedem vierten harten und jedem fünften weichen Suizidversuch stand der
Suizident zusätzlich unter dem Einfluss von Alkohol. Ähnliche Angaben (mit etwa 25 %)
finden sich in der norwegischen Studie von Hovda et al. (2008).
6.3 Diskussion der Behandlungscharakteristika
Wie im Kapitel 5.3.1 ersichtlich wird, wurden nur 21,1 Prozent aller Patienten ambulant
versorgt. Dieses Ergebnis unterscheidet sich deutlich von den in der Literatur aktuell
beschriebenen Angaben von Serinken et al. (2008 - Türkei) mit 88,5 Prozent und von
Hovda et al. (2008 - Norwegen) mit 69 Prozent. Zwar untersuchten diese beiden Studien
nur Patienten mit Intoxikationen, aber auch wenn man die Ergebnisse dieser Arbeit auf die
Fälle mit selbstinduzierten Vergiftungen (N = 317) beschränkt, so wurden trotzdem immer
noch 77 Prozent stationär behandelt. Bei Prescott et al. (2009 – Großbritannien) beträgt
dieser Anteil 59 Prozent. Diese Ergebnisse scheinen die Studie von Runeson et al. (2000)
zu bestätigen, welche europäische Unterschiede in der Versorgung von Suizidenten
aufzeigte. Entsprechend den Ergebnissen von Baca-Garcia et al. (2004) empfiehlt sich aber
generell eine stationäre Aufnahme, wenn die Patienten Äußerungen über einen geplanten
erneuten Versuch machen, dabei besonders tödliche Methoden nutzen wollen oder vorher
bereits in stationärer, psychiatrischer Behandlung waren. Ebenso sollte ein Fehlen eines
sozialen Netzwerkes oder ein Suizidversuch im vorausgegangen Jahr zur Aufnahme
führen, so die Autoren. Durch das retrospektive Design dieser Arbeit, konnten jedoch diese
Variablen nicht erhoben werden. Somit ist unklar, ob in dieser Studie vorrangig Patienten
mit den benannten Risikofaktoren im Klinikum versorgt wurden oder ob andere Gründe für
den deutlich höheren, stationär behandelten Anteil vorlagen.
Rund 87 Prozent der Patienten wurden mit dem Rettungswagen/Notarzt in das
Uniklinikum gebracht. Hier stehen deutsche Daten aus Würzburg zum Vergleich zur
Verfügung. Bei Fürst und Habscheid (1993) betrug der Anteil 86 Prozent, der durch den
Hausarzt oder den Notarzt eingewiesen wurde. In anderen europäischen Ländern
(Schweden: 62 %; Italien: 44 %) sind es tendenziell weniger (Runeson et al., 2000).
Prescott et al. (2009) beschrieben den Effekt, dass Patienten, die auf Grund von
Suizidversuchen in der Notaufnahme behandelt wurden, eher in den späteren Tagesstunden
dort vorgestellt wurden. Ähnliche Daten veröffentlichten Gunnell et al. (2005).
Die Ergebnisse aus Leipzig stützen diese These. Zwar konnten keine signifikanten
tageszeitlichen Schwankungen gezeigt werden (p = 0,053), aber es bestand die Tendenz für
Häufungen suizidaler Fälle zwischen 14 und 22 Uhr (OER = 1,17 (95% KI [0,98 – 1,38]);
p = 0,08).
S e i t e | 74
Die Zeit, die Patienten in der Notaufnahme verbrachten, variierte erwartungsgemäß
zwischen stationären und ambulanten Patienten. Allerdings war die Analyse dieser
Zeiträume sehr anfällig für Fehler, da die Zeiten lediglich aussagen, wann die betreffenden
Patienten im Computerprogramm SAP auf die nächste Station verlegt oder entlassen
wurden. Im Normalfall sollte dies natürlich den wahren Verlauf der Behandlung abbilden,
jedoch sollten Verweildauern in der Notaufnahme von weniger als 15 bis 30 Minuten
kritisch bewertet werden. Bei Serinken et al. (2008) verbrachte die Mehrheit der Patienten
zwischen 4 und 8 Stunden, bei Prescott et al. (2009) etwa 3,5 Stunden in der Notaufnahme.
Allerdings finden sich dort keine genauen Unterteilungen zur Abhängigkeit der weiteren
Behandlung der Patienten. Im Uniklinikum Leipzig zeigt sich die Tendenz, dass stationäre
Patienten kürzer als ambulante Patienten in der Notaufnahme verweilen und betrachtet
man den Zusammenhang, dass sich die Patienten eher in den Abendstunden in der
Notaufnahme zur Behandlung vorgestellt haben oder vorgestellt wurden, so erklären sich
die mittleren Verweildauern ambulanter Patienten von etwa 5,5 Stunden. Dies lässt darauf
schließen, dass auch bei vielen solcher Patienten eine Überwachung in der Notaufnahme
bis zum nächsten Morgen stattgefunden hat.
Innerhalb dieser Studie wurde auch untersucht, durch welche ICD-Codes die
Suizidversuche codiert wurden. Es fiel auf, dass nur 38,7 Prozent mit den entsprechenden
Codes (X84.9 und Z91.8) versehen waren. Prinzipiell muss man daher von einer deutlich
höheren Inzidenz von Behandlungen suizidaler Patienten ausgehen, insofern man eine
retrospektive Analyse nur auf die beiden erwähnten Codes beschränkt.
Mehr als 77 Prozent aller stationären Patienten mussten primär auf einer Intensivstation
versorgt werden. Waren dies bei Yeo (1993) nur 2,1 Prozent, so berichten aktuelle Studien
über ähnliche Ergebnisse (Prescott et al., 2009; Serinken et al., 2008). Es zeigten sich aber
keine Unterschiede zwischen Suizidenten mit harten oder weichen Methoden, was die
Häufigkeiten der intensivpflichtigen Überwachung angeht (p = 0,680). Harte
Suizidversuchsmethoden wurden jedoch, wie erwartet, vorrangig auf einer chirurgischen
Intensivstation behandelt (OER = 5,65 (95% KI [3,14 – 9,42]); p < 0,001).
Eine psychiatrische Untersuchung erhielten insgesamt 89,6 Prozent aller Patienten.
Betrachtet man nur die Fälle, die regulär aus dem Krankenhaus entlassen wurden, so waren
es 96,8 Prozent aller Patienten, die von einem Facharzt für Psychiatrie hinsichtlich ihrer
Suizidalität eingeschätzt wurden. Es war auf Grund der retrospektiven Datenerhebung
allerdings nicht möglich zu erheben, ob bei einigen Patienten die primäre Versorgung
eventuell schon durch einen Psychiater erfolgte und daher eine weitere, dokumentierte,
psychiatrische Begutachtung nicht nötig war.
S e i t e | 75
Die Ergebnisse verweisen aber, entsprechend den Forderungen von Barr et al. (2005), dass
jeder Suizident einem entsprechendem Facharzt vorgestellt werden sollte, auf eine gute
Behandlungsstruktur am Universitätsklinikum Leipzig. Eine ähnlich hohe Rate an
psychiatrischen Konsilen ermittelten Runeson et al. (2000) in Schweden (92 %), während
viele andere Studien diesbezüglich deutlich geringere Zahlen (im Schnitt 55 %)
veröffentlichten (Gunnell et al., 2005; Barr et al., 2005).
Die Verweildauer der stationären Patienten, die nicht in der klinikeigenen Psychiatrie
behandelt wurden betrug im Mittel 5,1 Tage (SD = 8,7) und gleicht damit den Angaben
anderer aktueller Studien (Islambulchilar et al., 2009; Runeson et al., 2000; Serinken et al.,
2008).
Die Verweildauer der 107 Patienten, die in der klinikinternen Psychiatrie behandelt
wurden, betrug im Mittel 25,6 Tage (SD = 26,6), was dem deutschlandweitem Schnitt
entspricht (Spießl et al., 2006).
Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die Verwendung von harten Methoden zu einer
signifikant längeren Verweildauer führte (p < 0,001). Der Median beider Gruppen lag für
weiche Methoden bei 2 versus 6 Tagen für harte Methoden. Dieses Ergebnis ist konform
mit vielen anderen Veröffentlichungen wie zum Beispiel von Cengiz et al. (2006) und
Serinken et al. (2008). Demnach ist die Behandlungsdauer von Suizidenten mit harten
Methoden oder toxischeren Substanzen im Vergleich zu weichen Methoden länger, was die
Arbeiten von Bittner et al. (2010) und O'Donovan et al. (1993) bestätigt.
Laut Bronisch (2007) verlassen zwischen 68 bis 80 Prozent aller stationär behandelten
Suizidenten ihre Suizidgedanken innerhalb von weniger als 2 Tagen und 90 bis 99 Prozent
in weniger als 10 Tagen. Eine mittlere Verweildauer von 5,1 Tagen scheint demnach eine
adäquate Zeitspanne für eine Beobachtung der Patienten darzustellen.
In Anlehnung an die Arbeit von D´Mello et al. (1995), der die unterschiedliche
Verweildauer von Intoxikationen mit älteren und moderneren Antidepressiva untersuchte,
wurde auch in dieser Studie eine dementsprechende Analyse durchgeführt.
Es konnte jedoch kein signifikanter Unterschied diesbezüglich aufgezeigt werden (p =
0,338). Problematisch war hier die geringe Fallzahl von 17 Patienten (12 TCA- und 5
SSRI-Monointoxikationen). Allerdings beziehen sich die Berechnungen von D´Mello et al.
(1995) auch nur auf 24 Fälle, so dass ein Vergleich beider Ergebnisse möglich ist.
Bei 73,5 Prozent aller Patienten wurde zum Zeitpunkt ihres Suizidversuchs eine psychische
Grunderkrankung diagnostiziert. Analog zu anderen Studien stellt also das Vorhandensein
einer solchen Erkrankung eines der größten Risiken dar (Bertolote & Fleischmann, 2002;
Foster et al., 1997; Groholt & Ekeberg, 2009; Lineberry, 2009; Mann, 2002).
S e i t e | 76
6.4 Diskussion der Kostenanalyse
6.4.1 direkte Kosten
In dieser Arbeit wurden die Kosten betrachtet, die durch die Behandlung von Suizidenten
im Uniklinikum entstanden. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen Teil der
finanziellen Konsequenzen von Suizidversuchen für das Gesundheitssystem, da die
Kosten, die durch den Einsatz von Polizei, Feuerwehr oder dem Rettungswesen entstanden,
keinen Einfluss in die Auswertung hatten. Auch konnte keine Aussage über die Kosten der
poststationären, weiterführenden ambulanten Versorgung getroffen werden, obwohl klar
ist, dass hier durch folgende ambulante Arztbesuche oder Rezepteinlösungen in Apotheken
weitere Kosten anfielen und anfallen. Dementsprechend fehlen auch die
Versorgungskosten der Behandlung der bleibenden Schäden oder Erkrankungen, wie in
Kapitel 5.5 dargestellt. Aus ganzheitlicher Sicht betrachtet, müssen die tatsächlichen
direkten Kosten für das Gesundheitssystem also höher geschätzt werden.
Die in der Studie ermittelten, durchschnittlichen, direkten Gesamtkosten pro Fall, in Höhe
von etwa 4.529 Euro, können jedoch nicht ohne weiteres für Deutschland verallgemeinert
werden, da, wie dargestellt, diese Angaben sehr abhängig von der Art der Behandlung
sind. Kapur et al. (2003) konnten dies exemplarisch, mit ihrem Vergleich von 6
Krankenhäusern in Großbritannien zeigen. Es müssen also weitere Untersuchungen in
Deutschland erfolgen um die hier berechneten Kosten, im Hinblick auf ihre Aussagekraft,
zu prüfen.
Dennoch unterscheiden sich die berechneten Kosten von entsprechenden
Veröffentlichungen anderer Studien und liegen deutlich höher als zum Beispiel bei
Prescott et al. (2009). Die Autoren schätzten, mittels Fallpauschalen, die Kosten für 1.598
Patienten mit suizidalem Verhalten in Großbritannien auf etwa 1,9 Millionen Euro, was
einem Durchschnitt von etwa 1.196 Euro pro Fall entspricht. Dies sind deutlich weniger als
in dieser Arbeit, obwohl die Populationen beider Studien, was den Anteil stationärer (59 %
vs. 79 %) und überwachungs- bzw. intensivpflichtiger Patienten angeht (90 % vs. 77,4 %),
miteinander vergleichbar sind.
Die Arbeitsgruppe von Corso et al. (2007) berechneten für die USA, auf der Grundlage
von repräsentativen Datenbanken, durchschnittliche Kosten in Höhe von 7.234 Dollar und
kommen damit dem Ergebnis dieser Studie am nächsten. Eingeschlossen wurden in dieser
Arbeit sowohl harte als auch weiche Suizidversuchsmethoden, doch finden sich keine
Angaben über die genaue Behandlung der Patienten.
S e i t e | 77
Beim Vergleich der Behandlungskosten zwischen den verschiedenen Gruppen zeigte sich
zunächst, dass signifikant mehr Kosten bei der Versorgung von Suizidopfern, im
Gegensatz zu Fällen mit nicht-fatalem Ausgang, entstanden (p < 0,001). Während durch
die Arbeit von Corso et al. (2007) diesbezüglich genau das Gegenteil aufgezeigt werden
konnte (non-fatale Fälle verursachten im Schnitt das 2,8-fache an Kosten), so fanden Sut
und Memis (2008) keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen. Der
Hintergrund dieser Unterschiede ist schwer zu evaluieren, denn in keiner der beiden
Arbeiten finden sich detailierte Angaben über die Behandlung der fatalen Fälle. Die
Autoren Sut und Memis (2008) berichten lediglich, dass die täglichen Kosten für alle ihrer
Fälle gleich waren und Kostenunterschiede demnach nur durch längere Verweildauern
entstanden. Vor dem Hintergrund betrachtet, dass in der vorliegenden Arbeit die mittlere
Verweildauer der fatalen Fälle höher ist, als die aller stationären Patienten (5,7 vs. 5,1
Tage), so stellt dies einen möglichen Ansatzpunkt dar, warum fatale Fälle bei dieser
Datenerhebung im Schnitt etwa sechs mal höhere Kosten verursachten. Weiterhin ist auch
anzunehmen, dass durch eine intensivere Versorgung (Operationen, Intensivüberwachung
etc.) der lebensbedrohlich verletzten Patienten, die später doch verstarben, höhere Kosten
entstanden.
Auf Grund dieser Tatsache wurden für die weiteren Vergleiche, die fatalen Fälle
ausgeschlossen, so dass es sich folgend nur um Behandlungskosten von Suizidversuchen
handelt.
Basierend auf der Arbeit von Kapur et al. (1999) wurde weiterhin erwartet, dass die
Behandlungskosten abhängig von der Durchführung eines psychiatrischen Konsils
variieren.
In Leipzig konnte diesbezüglich kein signifikanter Unterschied zwischen Patienten mit und
ohne psychiatrische Untersuchung gezeigt werden. Im Gegenteil, die Kosten stationärer
Fälle mit einer solchen Untersuchung waren im Mittel niedriger. Allerdings war dieser
Effekt sehr gering ausgeprägt (cohens d = 0,15; 95% KI = [-0,22; 0,52]) und verschwand
bei der Betrachtung des Medians beider Gruppen, der erwartungsgemäß bei Fällen ohne
Konsil niedriger lag (743 vs. 1.072 Euro). Es ist anzunehmen, dass die geringe Fallzahl der
Fälle ohne Konsil (N = 33) zu einer statistischen Verzerrung führten, worauf die hohe
Spannweite der Behandlungskosten in dieser Gruppe einen Hinweis gibt (99.782,56 Euro).
Wie bereits in anderen Studien dargelegt, kostet die Versorgung von harten Methoden
(oder high-risk-Methoden), mehr als die Behandlung weicher Suizidversuchsmethoden
(Serinken et al., 2008; Sut & Memis, 2008). Die vorliegende Arbeit führte diesbezüglich
zu dem gleichen Ergebnis. Begründet ist diese Tatsache sicherlich auch darin, dass, wie
S e i t e | 78
beschrieben, Patienten mit harten Methoden deutlich länger im Klinikum behandelt
wurden (p < 0,001), da diese meist einer intensiveren Therapie zugeführt werden müssen,
was die Verweildauer entsprechend verlängert (Bittner et al., 2010).
Innerhalb der weichen Methoden wurden 3 Gruppen (Tablettenintoxikation, Intoxikation
mit Chemikalien, Alkohol oder Insulin und Schnitt- und Stichverletzungen) hinsichtlich
ihrer Behandlungskosten auf Unterschiede überprüft. Im Gegensatz zu zwei Studien, die
hier signifikante Unterschiede veröffentlichten (Serinken et al., 2008; Sut & Memis, 2008),
kam es in dieser Arbeit zu keinen signifikanten Differenzen zwischen den jeweiligen
Behandlungskosten (p = 0,404), obwohl die zu Grunde liegenden Populationen aller 3
Arbeiten, was die Fallzahlen und Geschlechterverteilung betrifft, durchaus vergleichbar
erscheinen. Allerdings betrachteten Sut und Memis (2008) bei der Kostenanalyse sowohl
suizidale (N = 62) als auch akzidentielle (N = 32) Fälle zusammen. Eine getrennte
Darstellung für die Fälle mit suizidalem Verhalten fehlt.
Bei den Daten aus Leipzig liegt der Mittelwert der Intoxikationen mit Chemikalien, im
Vergleich zu Tabletten, dennoch deutlich höher (12.061 vs. 1.907 Euro), was eher für die
Ergebnisse der beiden erwähnten Studien spricht. Kritisch zu bewerten ist hier vor allem
die geringe Fallzahl der Gruppe mit Intoxikationen von Chemikalien (N = 5). Allerdings
beziehen sich die Ergebnisse von Serinken et al. (2008) auch nur auf 6 Fälle dieser Art.
Erwähnenswert ist, dass sich die Versorgungskosten von Tablettenintoxikationen und
Stich- und Schnittverletzungen nicht signifikant unterscheiden. Vergleichbare
Untersuchungen sind zum derzeitigen Zeitpunkt diesbezüglich nicht bekannt.
Ebenfalls neu war die Untersuchung der Behandlungskosten zwischen unterschiedlichen
Medikamentenklassen. Auch hier zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen
Analgetika-, Benzodiazepin-, Antihistaminika-, Antidepressiva- und
Neuroleptikavergiftungen (p = 0,248). Auffallend war aber, dass bei fast allen
Medikamentenklassen (Ausnahme: Benzodiazepine) die mittleren Behandlungskosten über
den in der Literatur beschriebenen Kosten durch Tablettenintoxikationen lagen (> 626
Euro; siehe Abschnitt 2.15).
Weiterhin wurde bereits im Theorieteil darauf hingewiesen, dass einige Studien die
Unterschiede zwischen Vergiftungen mit älteren und neueren Antidepressiva untersuchten
(Kapitel 2.10.1). Ziel dieser Arbeit war ebenfalls ein derartiger Vergleich.
Wie bereits dargelegt, unterschieden sich beide Gruppen hinsichtlich ihrer Verweildauer
nicht und auch bezüglich der Behandlungskosten wurde der Unterschied zwischen beiden
Gruppen im Mann-Whitney-U-Test nicht signifikant (p = 0,097). Betrachtet man jedoch
S e i t e | 79
sowohl den Mittelwert als auch den Median beider Kategorien, so zeigen sich nahezu
doppelt so hohe Kosten für die Versorgung von Patienten mit Intoxikationen von älteren
Antidepressiva. Dieser starke Effekt (cohens d = 0,86; 95% KI = [-0,22; 1,85]) bestätigt
die Arbeiten, die die Behandlung von Vergiftungen mit modernen Antidepressiva als
kostengünstiger darstellten (D´Mello et al., 1995; Ramchandani et al., 2000), wobei die
Ergebnisse von Ramchandani et al. (2000) auf deutlich mehr Fällen basieren (N = 220).
Da sich in dieser Arbeit ein derartiger Effekt bei den Behandlungskosten, jedoch aber
keine unterschiedliche Verweildauer beider Gruppen, zeigte, spricht dies auch dafür, dass
Vergiftungen mit älteren Antidepressiva zu mehr behandlungspflichtigen Komplikationen
und Symptomen führen, wie dies bereits durch andere Autoren beschrieben wurde (Chan et
al., 2010; von Mach & Weilemann, 2002; Whyte et al., 2003; Wong et al., 2010).
Auf Grund des hohen Anteils an Patienten (47,3 %), die bei Tablettenintoxikationen mehr
als ein Medikament einnahmen, wurde abschließend untersucht, ob dies Einfluss auf die
Behandlungskosten nimmt. Es zeigte sich die Tendenz, dass Polyintoxikationen weniger
Kosten bei der Versorgung verursachten. Dieser Unterschied, der im Gegensatz zur
Erwartung steht, wurde aber weder statistisch signifikant (p = 0,233) noch zeigte sich eine
große Effektstärke (cohens d = 0,19; 95% KI = [-0,06; 0,43]). Über die Ursachen dieser
Tendenz lässt sich jedoch nur spekulieren. Zum Beispiel ist es möglich, dass es zu
statistischen Verzerrungen, auf Grund von Ausreißern kam.
Des Weiteren muss erwähnt werden, dass, wie bei allen Kostenvergleichen vorher auch,
nur in wenigen Fällen Informationen über die genaue Menge der eingenommenen
Substanzen vorlagen. Diese Variable wurde in den Analysen daher nicht mit bertachtet und
erscheint als eine der wichtigsten Störvariablen, die womöglich Einfluss auf den Vergleich
zwischen Mono- und Polyintoxikationen zeigte.
S e i t e | 80
6.4.2 indirekte Kosten
Die indirekten Kosten, die in dieser Arbeit mittels Humankapitalansatz berechnet wurden,
belaufen sich für die 377 Fälle mit suizidalem Verhalten auf etwa 2,2 Millionen Euro.
Dieses Ergebnis wurde, entsprechend den Empfehlungen der Hannoveraner
Konsensgruppe für gesundheitsökonomische Evaluationen, im Zuge einer
Sensitivitätsanalyse mit höheren und niedrigeren Diskontierungssätzen (0 %; 3 %; 8 % und
10 %) überprüft (Graf v.d. Schulenburg et al., 2007). Somit ergibt sich bezüglich des
Produktivitätsverlustes eine Spannweite zwischen 1,6 (10 % Diskontrate) und 3,9
Millionen Euro (0 % Diskontrate).
Pro Fall entstanden damit, basierend auf der empfohlenen Abzinsung mit 5 Prozent (Graf
v.d. Schulenburg et al., 2007), neben den direkten Versorgungskosten, weitere indirekte
Kosten in Höhe von etwa 5.800 Euro.
Angaben über die indirekten Kosten sind natürlich immer stark abhängig von der Anzahl
der Fälle die betrachtet wurden und auch von der Methode die zur Berechnung zum
Einsatz kam. Zwar existieren in der Literatur einige Studien, die sich mit den indirekten
Kosten von Suizidversuchen auseinandersetzten, doch finden sich lediglich bei Corso et al.
(2007) Angaben zu den entsprechenden Kosten pro Fall. Wie bereits erwähnt berechneten
die Autoren dieser amerikanischen Studie die Kosten anhand von repräsentativen
Datenbanken und folgten damit einem anderen Ansatz als in der vorliegenden Arbeit.
Allerdings war die Stichprobe dadurch deutlich größer (N = 324.000). Der
Produktivitätsverlust wurde pro Fall mit 1 Million Dollar für fatal endende und mit 9.726
Dollar für nicht-fatale Suizidversuche angegeben (Preise basieren auf das Jahr 2000) und
unterscheidet sich damit von den Ergebnissen aus dem Universitätsklinikum. Beide
Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Fälle mit fatalem Ausgang einen sehr hohen
Anteil an den indirekten Gesamtkosten verursachten (91 % bzw. 78 %).
Allgemein müssen noch einige Faktoren diskutiert werden, die Einfluss auf die
Berechnung des Produktivitätsverlustes nahmen.
Generell werden die indirekten Kosten, wie bereits bekannt, mit dem Humankapitalansatz
tendenziell zu hoch berechnet (Greiner, 2008). Jedoch berücksichtigt diese Methode, im
Gegensatz zum Friktionskostenmodel, die Produktivitätsverluste durch den vorzeitigen
Tod von Patienten adäquat. In diesen Fällen (N = 5) wurde bei der Berechnung zu Grunde
gelegt, dass diese Patienten nicht arbeitslos waren und dies Zeit ihres Lebens bis zum
Eintritt in das Rentenalter auch nicht wurden. Studien zeigen hier jedoch ein anderes Bild.
Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Schizophrenie, sind
signifikant häufiger arbeitslos, als mental gesunde Menschen. Dies konnte die Studie von
S e i t e | 81
Marwaha et al. (2007) zeigen, die unter anderem Daten aus Leipzig diesbezüglich
analysierte.
Bei dieser Datenerhebung wurde aber versucht, diese Schwachpunkte auszugleichen. So
erfolgte durch die Bereinigung mittels Arbeitslosenquote eine Anpassung an den
regionalen Arbeitsmarkt und durch die Verdienststrukturerhebung eine alters- und
geschlechtsspezifische Ermittlung der regionalen Durchschnittslöhne. Durch die
Verwendung des Arbeitsvolumens, welches die tatsächliche Arbeitszeit aller Beschäftigten
abbildet, wurden somit auch Berufsgruppen mit Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung
in die Analyse integriert.
Betrachtet man weiter die Grunderkrankungen der fünf betreffenden Todesfälle dieser
Studie, so stellt man fest, dass nur bei zwei Patienten eine psychiatrische Erkrankung
bekannt war (Drogenabusus; Borderline-Persönlichkeitsstörung), während ein Patient an
keiner derartigen Grunderkrankung litt und bei den zwei weiteren Fällen die Anamnese
diesbezüglich unbekannt war.
Generell existieren aber auch einige Argumente dafür, dass die potentiellen indirekten
Kosten zu niedrig geschätzt wurden. So ist die Dauer der gesamten stationären Behandlung
von Patienten, die aus dem Uniklinikum in andere Krankenhäuser verlegt wurden
unbekannt. Ebenso, wie dies bei Patienten der Fall ist, die aus externen Kliniken ins
Universitätsklinikum gebracht wurden. Auch nahmen Angaben über die Dauer von
notwendigen, poststationären Rehabilitationsmaßnahmen keinen Einfluss in die
Berechnung, genauso wie Informationen über eine ambulant fortgeführte
Arbeitsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit nicht vorlagen. Betrachtet man weiterhin, dass
immer mehr Patienten mit psychischen Erkrankungen früher aus dem Arbeitsleben
ausscheiden und Frührente erhalten (Wedegärtner et al., 2007) und dass, wie im Theorieteil
dargestellt, bis zu 86 Prozent aller Suizidenten einen erneuten Suizidversuch begehen
(Nordentoft, 2007; Schmidtke et al., 1996), so muss man tendenziell eher von höheren
indirekten Kosten ausgehen, da alle diese Faktoren aus wirtschaftlicher Sicht die
Produktivität der jeweiligen Patienten vermindern.
Auch die Tatsache, dass bei den fünf Todesfällen im arbeitsfähigen Alter bei der
Berechnung keine Lohnsteigerung berücksichtigt wurde, lässt eine Unterschätzung der
Kosten vermuten.
Es existieren also vielfältige Faktoren, die eine genaue Schätzung der indirekten Kosten
beeinflussen und deren genaue Gewichtung nicht klar beurteilt werden kann.
S e i t e | 82
6.5 Fazit
In einem Zeitraum von drei Jahren wurden 377 Suizide bzw. Suizidversuche erfasst, die im
Universitätsklinikum Leipzig behandelt wurden. Es zeigten sich bei diesen Fällen keine
großen epidemiologischen Unterschiede zu bereits vorher existierenden Untersuchungen
aus anderen Ländern. Auch in dieser Arbeit waren die meisten Suizidenten eher im
jüngeren Alter. Frauen nutzten vorrangig weiche und Männer öfters harte Methoden.
Generell wurden aber die meisten Fälle auf Grund von Intoxikationen behandelt.
Die Behandlung am Uniklinikum erfolgte zum größten Teil stationär. Viele dieser
Patienten erhielten eine intensivmedizinische Betreuung. Auch wurden fast alle Patienten
bei einem Facharzt für Psychiatrie vorgestellt, um von diesem hinsichtlich der Suizidalität
beurteilt zu werden. Dies weißt, im Gegensatz zu anderen Studienergebnissen, auf eine
gute Behandlungsstruktur am Uniklinikum hin und zeigt auch eine Sensibilisierung mit
dem Thema Suizidalität, die durch den Einfluss der Interventionen des OSPI-Projektes in
Leipzig zu erwarten war.
Suizide oder Suizidversuche sind mit großem Schmerz, großer Trauer und auch großem
Schamgefühl verbunden. Dies betrifft nicht nur die Suizidenten selbst, sondern auch
Angehörige und Freunde. Diese Arbeit konnte zeigen, dass neben all´ dem auch große
wirtschaftliche Konsequenzen aus solchen Fällen resultieren, die somit Einfluss auf die
gesamte Umwelt nehmen.
Es zeigten sich im Vergleich zu anderen Studienergebnissen im Durchschnitt relativ hohe
direkte Behandlungskosten und tendenziell etwas geringere indirekte Kosten pro Fall.
Vor allem bei der Versorgung von Patienten mit harten Suizidversuchsmethoden
entstanden hohe Kosten, während innerhalb der weichen Methoden keine signifikanten
Unterschiede diesbezüglich festgestellt werden konnten. Es zeigte sich lediglich die
Tendenz, dass Intoxikationen mit älteren Antidepressiva, im Vergleich zu Neueren, zu
mehr Behandlungskosten führen.
Diese Studie, welche zum ersten Mal im Kontext des deutschen Gesundheitssystems, eine
Kostenanalyse der Behandlung von Suizidenten untersuchte, zeigt neben dem
menschlichen Leid, welches mit dem Selbsttötungsversuch eines Menschen verbunden ist,
den ebenfalls wichtigen gesundheitsökonomischen Aspekt solcher Fälle. Ergebnisse wie
diese helfen, die Bedeutsamkeit von suizidalem Verhalten aufzuzeigen und sind wichtig
für die genaue Planung und Einführung von Präventionsmaßnahmen in einem System mit
begrenzten Ressourcen.
S e i t e | 83
In Anlehnung an das eingangs erwähnte Zitat von Erwin Stengel muss es, auch in
Anbetracht dieser Ergebnisse, eines der größten Ziele im Gesundheitssystem sein,
Menschen, die Suizidversuche begehen wollen, zu identifizieren und zu schützen und sie
dahin gehend zu motivieren therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
S e i t e | 84
7 Zusammenfassung der Arbeit
Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Dr. med.
Titel:
Behandlung von Suizidenten im Universitätsklinikum Leipzig
und Analyse der daraus resultierenden Kosten
eingereicht von:
Sören Dölling
angefertigt an der: Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig
in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
betreut von:
Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl,
Dipl.-Psych. Nicole Koburger
Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Psych. Roland Mergl
Juni 2012
Suizidale Handlungen, also Suizide und Suizidversuche, sind mit großem Schmerz, großer
Trauer und auch großem Schamgefühl verbunden. Dies betrifft nicht nur die Suizidenten
selbst, sondern auch Angehörige und Freunde die durch solch ein Ereignis ebenfalls
traumatisiert werden. Weltweit sterben etwa eine Million Menschen jährlich durch Suizid
und besonders in Europa werden hohe Suizidraten registriert. So übersteigt
deutschlandweit die Anzahl der Suizide seit vielen Jahren die der Verkehrsopfer um das
doppelte. In Deutschland steht der Suizid somit auf Platz sieben der häufigsten
Todesursachen und in der Altersgruppe der 15 bis 20-jährigen sogar auf Platz zwei.
Schätzungen zu Folge ist die Anzahl der Suizidversuche pro Jahr, im Vergleich zu den
Suiziden, bis zu 30-fach höher. Dies zeigt, welche enorm große Relevanz dieses Thema für
das deutsche Gesundheitssystem hat.
Während bei den Suiziden vorrangig Männer im mittleren und vor allem im höheren Alter
betroffen sind, zeigt sich bei den Suizidversuchen ein anderes Bild. Hier sind die
Betroffenen vor allem Frauen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren.
In zahlreichen Studien konnten Risikofaktoren identifiziert werden, die häufig bei
Suizidenten festgestellt wurden. Einer der wichtigsten dieser Faktoren sind psychiatrische
Grunderkrankungen, die bei bis zu 90 Prozent aller Suizidenten diagnostiziert werden.
S e i t e | 85
Vor allem die Depression und die Schizophrenie sollen hier beispielhaft erwähnt werden.
Aber auch zahlreiche andere Einflüsse, wie zum Beispiel vorausgegangenes suizidales
Verhalten, Suchterkrankungen, Untergewicht und die Auswirkung medialer
Berichterstattungen sind in Studien als risikoerhöhende Faktoren für die Durchführung von
Suizidversuchen analysiert worden. Weiterhin besteht eine größere Gefahr für suizidales
Verhalten bei Alleinstehenden, bei Menschen, denen häusliche Gewalt widerfährt oder die
sexuell missbraucht wurden, bei Patienten mit unheilbaren malignen oder neurologischen
Erkrankungen und bei Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status, charakterisiert
durch ein schlechteres soziales Netzwerk, Armut oder eine schlechtere Schulbildung.
Alle diese und weitere Faktoren, die in ihrer Gesamtheit das Risiko für die Durchführung
eines Suizidversuchs erhöhen, stellen somit einen möglichen Ansatzpunkt für präventive
Maßnahmen dar.
Diese Arbeit entstand im Zuge des OSPI-Projektes in Leipzig, einem europäischen Projekt
dessen Aufgabe es ist, ein modernes Konzept für Suizidprävention zu erarbeiten, dieses in
vier europäischen Ländern zu testen und zu evaluieren (darunter auch Deutschland; Region
Leipzig) um schlussendlich diese Interventionen für ganz Europa einzuführen.
Ziel dieser Arbeit war somit die lückenlose Erfassung aller Fälle, die auf Grund von
suizidalem Verhalten im Universitätsklinikum Leipzig behandelt wurden, um Aussagen
über die Art der Behandlung und den damit verbundenen direkten und indirekten Kosten
machen zu können.
Hierzu wurden retrospektiv, über einen Zeitraum von 3 Jahren (01. Juni 2008 bis 31. Mai
2011) alle suizidalen Handlungen erfasst, die ambulant oder stationär im Uniklinikum
Leipzig behandelt wurden. Zur Datenerfassung wurde die klinikinterne Software „SAP 6.0
– Produktivsystem“ verwendet. Zur Filterung der Daten dienten die in der ambulanten und
stationären Versorgung verwendeten ICD-10-GM Kodierungen für Selbstverletzungen und
Intoxikationen. Um Aussagen über den gesundheitsökonomischen Aspekt dieser Fälle
machen zu können, wurden die direkten und indirekten Kosten (Produktivitätsausfall)
ermittelt. Die direkten Kosten, definiert als den Erlös, den das Uniklinikum gegenüber den
entsprechenden Versicherungsträgern geltend gemacht hat, wurden vom „Bereich 3 –
Finanzen, Planung und Controlling“ des Universitätsklinikums bereitgestellt. Die
indirekten Kosten wurden mittels Humankapitalansatzmethode im bottom-up-Ansatz
errechnet und an die Arbeitsmarktsituation im Freistaat Sachsen angepasst.
Folgende Fragestellungen sollten untersucht werden:
1.) Wie erfolgte die Behandlung von Suizidenten im Universitätsklinikum Leipzig?
2.) Wie unterscheiden sich die direkten Kosten in der Akutbehandlung von Suizidenten,
abhängig von der Methode des Suizidversuchs?
3.) Wie hoch sind die Gesamtkosten (direkte und indirekte Kosten)?
S e i t e | 86
Mit den angegebenen Suchkriterien wurden 2720 Fälle analysiert, von denen 377
(13,9 %), anhand der Informationen aus dem Entlassungsbrief, als Suizidversuche
identifiziert werden konnten. Bei den restlichen Fällen handelte es sich um unbeabsichtigte
Intoxikationen oder akzidentelle Ereignisse.
Epidemiologisch zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zu bereits bestehenden
Studienergebnissen. Beim Großteil der Fälle handelte es sich um Suizidversuche von
Frauen (65,8 %) mit einem Durchschnittsalter von 37,7 Jahren (SD = 19,9). Am häufigsten
waren Suizidversuche durch Intoxikation mit Tabletten, Alkohol oder Chemikalien (83 %),
wobei Analgetika, Benzodiazepine und Alkohol die meist genutzten Mittel waren. Männer
begingen im Gegensatz zu Frauen häufiger suizidale Handlungen mit harten Methoden,
wie Strangulation, Sprung in die Tiefe oder Inhalation von Kohlenmonoxid (p < 0,001). Es
zeigte sich keine Saisonalität der Versuche.
Bei der Analyse der Behandlung wurde deutlich, dass im Unterschied zu Studien aus
anderen Ländern, ein Großteil der Patienten stationär behandelt wurde (78,9 %). Auch
erhielten 77,4 Prozent aller Patienten eine intensivmedizinische Überwachung, wobei hier
kein Unterschied zwischen Fällen mit harten und weichen Suizidversuchsmethoden
bestand (p = 0,680). Die mittlere Verweildauer in der Akutphase (ohne psychiatrische
Station) betrug 5,1 Tage (SD = 8,7). Hier zeigte sich, wie erwartet, der signifikante
Unterschied (p < 0,001), dass Patienten mit harten Methoden deutlich länger stationär
behandelt wurden, als Patienten die beim Selbsttötungsversuch weiche Methoden nutzten
(Median: 6 vs. 2 Tage). Auf der Basis vorbestehender Untersuchungen wurde ebenfalls
geprüft, ob Patienten mit Intoxikation mit älteren Antidepressiva (TCA) eine längere
Verweildauer aufwiesen, als Patienten mit Selbstvergiftungen mit moderneren
Antidepressiva (SSRI). Hier zeigte sich jedoch kein Unterschied (p = 0,338).
Eine psychiatrische Grunderkrankung fand sich anamnestisch (Information aus
Entlassungsbrief) bei 73,9 Prozent der Fälle. Fast alle Patienten (96,8 %) erhielten zur
Einschätzung ihrer Suizidalität ein Konsil bei einem Facharzt für Psychiatrie. Dies weist,
im Vergleich zu vielen anderen europäischen Studien, auf eine gute Behandlungsstruktur
am Universitätsklinikum Leipzig hin.
Insgesamt wurden 107 Patienten (28,5 %) in der klinikeigenen Psychiatrie behandelt und
weitere 96 Patienten (25,6 %) in eine externe psychiatrische Klinik überwiesen. Im
gesamten Zeitraum verstarben 12 Patienten an den Folgen ihres Suizidversuchs.
Insgesamt entstanden in den 3 Jahren durch alle Fälle direkte Behandlungskosten in Höhe
von 1.698.239,16 Euro. Dies entspricht einem gerundeten Wert von 4.529 Euro pro Fall.
Es zeigte sich jedoch, dass abhängig vom Ausgang des Suizidversuchs (fatal vs. nonfatal)
S e i t e | 87
deutliche Kostenunterschiede entstanden. Demnach verursachten Fälle mit fatalem, im
Vergleich zu nonfatalem Ausgang, nahezu 7-fach so hohe Kosten (p < 0,001). Ebenso
entstanden höhere Behandlungskosten bei der Versorgung von Suizidenten mit harten
Methoden (p = 0,004). Wie erwartet führten auch die Fälle, in denen die Patienten eine
psychiatrische Untersuchung erhielten zu höheren Kosten.
Innerhalb der weichen Suizidversuchsmethoden (Intoxikationen, Insulininjektionen und
Schnitt-und Stichverletzungen) und im Vergleich der einzelnen Medikamentengruppen
(Analgetika, Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva und Antihistaminika)
untereinander, konnten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der
Behandlungskosten nachgewiesen werden. Allerdings zeigte sich innerhalb der Gruppe der
Antidepressiva die Tendenz, analog zu anderen aktuellen Studien, dass Patienten mit
Intoxikation mit älteren Antidepressiva (TCA) höhere Kosten verursachten, als Patienten
mit Selbstvergiftungen mit moderneren Antidepressiva, wie Selektiven-SerotoninReuptake-Inhibitoren (cohens d = 0,86; 95% KI = [-0,22; 1,85]).
Die errechneten indirekten Kosten, auch Produktivitätsausfall genannt, die auf Grund der
Arbeitsunfähigkeit während der Behandlung im Uniklinikum entstanden, belaufen sich auf
knapp 500.000 Euro. Weitere rund 1,7 Millionen Euro indirekte Kosten entstanden durch
den vorzeitigen Tod von fünf Patienten, die sich zum Zeitpunkt ihres Suizides im
arbeitsfähigen Alter befanden. Auf Grund fehlender Daten bzw. Informationen konnten
keine Angaben zum Produktivitätsausfall in Folge einer Erwerbsunfähigkeit gemacht
werden.
Addiert ergibt dies Kosten (direkt und indirekt) in Höhe von rund 3,9 Millionen Euro.
Diese Studie, welche zum ersten Mal im Kontext des deutschen Gesundheitssystems, eine
Kostenanalyse der Behandlung von Suizidenten untersuchte, zeigt neben dem
menschlichen Leid, welches mit dem Selbsttötungsversuch eines Menschen verbunden ist,
den ebenfalls wichtigen gesundheitsökonomischen Aspekt solcher Fälle. Ergebnisse wie
diese helfen, die Bedeutsamkeit von suizidalem Verhalten aufzuzeigen und sind wichtig
für die genaue Planung und Einführung von Präventionsmaßnahmen in einem System mit
begrenzten Ressourcen.
S e i t e | 88
8 Verzeichnisse
8.1 Tabellenverzeichnis
TABELLE 1 – ERHOBENE DATEN ........................................................................................ 41
TABELLE 2 – GRÜNDE DES SUIZIDVERSUCHS .....................................................................44
TABELLE 3 – METHODEN IN ABHÄNGIGKEIT VOM GESCHLECHT ......................................... 45
TABELLE 4 – UNTERSCHIEDE ZWISCHEN HARTEN UND WEICHEN METHODEN ...................... 46
TABELLE 5 – VERWEILDAUER IN DER NOTAUFNAHME, ABHÄNGIG
VON BEHANDLUNGSART .............................................................................. 50
TABELLE 6 – BEHANDLUNGSENDE IN ABHÄNGIGKEIT ZUR PRIMÄREN
STATIONÄREN VERSORGUNG ........................................................................ 55
TABELLE 7 – VERWEILDAUER DER ZUERST AUF INTENSIV- ODER NORMALSTATION
BEHANDELTEN PATIENTEN (AKUTPHASE) ..................................................... 56
TABELLE 8 – VERWEILDAUER AKUTPHASE IN ABHÄNGIGKEIT BESTIMMTER
ANTIDEPRESSIVA ......................................................................................... 57
TABELLE 9 – ERKRANKUNGEN NACH SUIZIDVERSUCH MIT HARTEN METHODEN ................. 60
TABELLE 10 – DIREKTE KOSTEN FÜR DAS GESUNDHEITSSYSTEM ALLER FÄLLE ................... 61
TABELLE 11 – DIREKTE KOSTEN ABHÄNGIG VOM AUSGANG DES SUIZIDVERSUCHS ............. 62
TABELLE 12 – DIREKTE KOSTEN ABHÄNGIG VOM PSYCHIATRISCHEN KONSIL ...................... 62
TABELLE 13 – UNTERSCHIEDE DER DIREKTEN BEHANDLUNGSKOSTEN
VERSCHIEDENER METHODEN ...................................................................... 63
TABELLE 14 – KOSTENUNTERSCHIEDE HARTER UND WEICHER METHODEN ......................... 64
TABELLE 15 – UNTERSCHIEDE DER BEHANDLUNGSKOSTEN VERSCHIEDENER
MEDIKAMENTENGRUPPEN .......................................................................... 64
TABELLE 16 – UNTERSCHIEDE DER BEHANDLUNGSKOSTEN VERSCHIEDENER
ANTIDEPRESSIVA ....................................................................................... 65
TABELLE 17 – KOSTENUNTERSCHIEDE VON MONO- UND POLYINTOXIKATIONEN................. 65
TABELLE 18 – ALTERSGRUPPEN NACH GESCHLECHT UND BEHANDLUNGSART .................... 66
TABELLE 19 – INDIREKTE KOSTEN DURCH ARBEITSUNFÄHIGKEIT....................................... 67
TABELLE 20 – INDIREKTE KOSTEN DURCH VORZEITIGEN TOD............................................. 68
S e i t e | 89
8.2 Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 1 – STADIEN DER SUIZIDALEN ENTWICKLUNG NACH W. PÖLDINGER.
AUS PAJONK & D´AMELIO, (2009) .............................................................8
ABBILDUNG 2 – ALTERSVERTEILUNG VON SUIZIDVERSUCHEN.
AUS SCHMIDTKE ET AL. (2008) ..................................................................9
ABBILDUNG 3 – VERTEILUNG VON PSYCHIATRISCHEN ERKRANKUNGEN BEI PATIENTEN
MIT SUIZIDVERSUCH AUßERHALB VON STATIONÄREN EINRICHTUNGEN.
AUS BERTOLOTE & FLEISCHMANN (2002) ................................................ 10
ABBILDUNG 4 – ALTERSVERTEILUNG BEI SUIZIDVERSUCHEN.
AUS SLAMA ET AL. (2009)........................................................................ 14
ABBILDUNG 5 – RELATIVES SUIZIDVERSUCHSRISIKO IN ABHÄNGIGKEIT ZUM BMI.
AUS BATTY ET AL. (2010) ........................................................................ 16
ABBILDUNG 6 – RISIKO FÜR SUIZID ABHÄNGIG VON DER METHODE DES
VORAUSGEGANGENEN SUIZIDVERSUCHS.
AUS RUNESON ET AL. (2010) .................................................................... 19
ABBILDUNG 7 – LITERATURANGABEN ÜBER VERWENDETE MEDIKAMENTE BEIM
SUIZIDVERSUCH....................................................................................... 26
ABBILDUNG 8 – EMPFEHLUNGEN DER IASP BEI SUIZIDALEM VERHALTEN.
NACH GOLDNEY (2002) ........................................................................... 31
ABBILDUNG 9 – VERTEILUNG DER SUIZIDVERSUCHE NACH ALTER UND GESCHLECHT ......... 42
ABBILDUNG 10 – ANZAHL DER PATIENTEN MIT SUIZIDVERSUCHEN IN DER ANAMNESE ....... 43
ABBILDUNG 11 – BEIM SUIZIDVERSUCH VERWENDETE MEDIKAMENTE ............................... 47
ABBILDUNG 12 – VERGEBENE ICD-DIAGNOSEN (HAUPTDIAGNOSE) ...................................51
ABBILDUNG 13 – PRIMÄR BEHANDELNDE STATION ............................................................ 52
ABBILDUNG 14 – BEHANDLUNGSENDE DER STATIONÄREN FÄLLE ....................................... 54
ABBILDUNG 15 – VERTEILUNG DER PSYCHIATRISCHEN GRUNDERKRANKUNGEN
BEI DEN SUIZIDENTEN ............................................................................ 58
ABBILDUNG 16 – SUMME DER DIREKTEN KOSTEN DURCH VORZEITIGEN TOD,
ABHÄNGIG VON DER DISKONTRATE ........................................................ 69
S e i t e | 90
8.3 Literaturverzeichnis
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S e i t e | 102
9 Anhang
S e i t e | 103
Anhang A1 – Interventionen des OPSI-Projektes in
Leipzig (Seite 103 – 112)
MA08.05 Interim report including a description of the
implementation of the various intervention levels in the
intervention region
Introduction: the OSPI-Europe intervention concept and WP08 objectives
The implementation of the five intervention levels in Leipzig follows the intervention
concept developed within the OSPI-Europe project by WP02 (see figure 1).
Fig. 1: The OSPI-Europe multilevel-intervention programme
It further takes into account the OSPI-Europe consortium agreement on CORE and
OPTIONAL intervention measures. They were installed to assure comparability in
between the different intervention countries and can be found in the appendix to this
report.
Finally, the implementation of the OSPI-Europe intervention is one of the three objectives
of WP08. This report focuses on the explanation of how this first of the three objectives
listed unterneath are approached and realized.
WP 08 – Objectives
S e i t e | 104

To implement the OSPI-Intervention as designed in WP 02 in the city of Leipzig,
Germany in parallel and comparably with the other intervention regions (WP 06, 07,
09).

To collect baseline (T1) and outcome data (T2) in the intervention and control region
(Magdeburg) for evaluating effectiveness and efficiency of the multilevel approach to
suicide prevention.

To investigate the effectiveness of the OSPI-Intervention in Germany, using a pre-post
design and comparing intervention and control region on primary and intermediate
outcome criteria.
Intervention and Control regions in Germany – a short description
The city of Leipzig has been selected as the intervention site for implementation of the
OSPI-Europe initiative in Germany. It was assured that prior to the intervention no other
major suicide or depression prevention programme was conducted at the moment nor
prior to the OSPI-Europe intervention. The city of Magdeburg has been selected as the
control site in Germany for OSPI-Europe.
Leipzig, situated in the Mid-East of Germany and West of the state of Saxony, comprises
an area of approximately 297,36 square kilometres. With a population of about 516.430
Leipzig is the biggest city in Saxony and within the states of Germany that have been
formed after the reunification of Germany in 1990. The density of population is 1737
inhabitants per square kilometre.
Magdeburg is situated in Central Germany and has an area of 200,97 square kilometres.
As the capital city of the state of Saxony-Anhalt it has a population of about 230.540, with
a population density of 1144 inhabitants per square kilometre.
Preparation of intervention
At the beginning, according to the German Alliance Against Depression and the European
Alliance Against Depression, the German intervention region Leipzig was given the name
Leipzig Alliance Against Depression (LAAD). Referring to the success of the national and
continental alliance, this term can be seen as a brand. Using it also contributes to the
sustainability of this project. At the same time it is always pointed out, that the LAAD is
part of the OSPI project, which is funded by the 7th Framework Programme of the
European Commission.
When beginning the preparation of the campaign, an advisory group has been formed.
Due to the number of involved people and the diversity of subjects to deal with, the
original advisory group was split into four working groups:
 public relations (PR) & networking
 self-help
 trainings
 evaluation
People from various professions engaged in these working groups (e.g. General
Practitioners, psychiatrists, nurses, representatives from local self-help groups, clergy,
social workers).
Each group was working on its own subject and met regularly. At the very beginning,
meetings took place every 2 months. Later this interval was shortened so that key persons
met monthly or if demanded. Additionally there have been regular meetings of all partners
and people involved in the project. The project staff attended and monitored those
meetings and maintained intensive contact to the different working groups, who in turn
where exchanging knowledge and process information as well. For further understanding,
activities of each working group will be outlined below:
S e i t e | 105
1) Working group: Public relations (PR) & networking
One important task of the working group “PR & networking” was to support project staff in
planning and setting up the launch event as official starting point of the intervention in
Leipzig. Later, group members also supported in organizing other public events and in
distributing the materials of the awareness campaign. Furthermore, this group gained
partners for the project.
At the very beginning of the project, different stakeholders have been won to support the
intervention and public relation activities in Leipzig:
 Two initiators (additionally to Professor Hegerl as project leader):
o Mrs. Dr. Richter-Werling (head of the registered association “Irrsinnig Menschlich
e.V.”)
o Mr. Thomas Seyde (coordinator of psychiatry in Leipzig belonging to the local
health authority)
 Two well-known patrons:
o Mrs. Christine Clauß (minister of the state of Saxony of Social Affaires and
consumer protection)
o Prof. Dr. Thomas Fabian (Leipzig mayor for youth, social affaires, health and
school)
 Directive medical specialists from different cooperating clinics and medical practices.
 Active members of different self-help groups related to depression
 Coworkers from local churches
 Coworkers from the research team of the medical faculty of the university of Leipzig
Through the outline of the project, among others, the following contacts have been
established to local media:




Leipziger Volkszeitung as well as BILD Leipzig, daily newspapers
Some weekly or monthly newspapers
Leipzig Fernsehen, the local TV station
MDR, Mitteldeutscher Rundfunk, a local radio and TV station
In addition, the following cooperating partners could be won as public supporters of the
interventions in Leipzig:




AOK Plus (a public health insurance company)
Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB, the local transportation company)
Passage-Kinos (a cinema)
Maternus – Dresdner Hof (a home for caring for the elderly)
For the public awareness campaign the German Alliance Against Depression materials
were adapted to the local needs of Leipzig. Flyers as well as posters were printed for
distribution throughout the intervention period.
2) Working group: Self-help
Members of the working group “Self-help” are mainly people concerned, family members
of people concerned, or professionals working with those groups. The need for new selfhelp groups, targeting the subject of depression, was analysed as well as how existing
groups could be supported within their ongoing activities.
S e i t e | 106
3) Working group: Trainings
The working group “Trainings” supported the project staff to gain instructors for the GPs
and CFs trainings, to analyse the need for trainings in the different professional areas as
well as to contact different target groups of trainings. Within the German Alliance Against
Depression materials and slide presentations had been developed. Those had been
adapted for the Leipzig interventions. In selecting instructors for this project, the
professional background of the people to come into consideration, was of importance. All
of them have a medical or otherwise health-related education and are professionally
dealing with depression and / or suicidality.
4) Working group: Evaluation
Core task of the working group “Evaluation” was to support the project staff in establishing
a network of hospitals and psychiatrists in private practice, where data assessment of
non-fatal suicidal acts was planned to be conducted. Furthermore, contacts to statistical
bureaus were established to gather data of fatal suicidal acts.
Description of intervention activities in Leipzig
Following the OSPI-Europe five level intervention concept, interventions in Germany have
been installed. In the very beginning of the intervention phase, the intervention uptake has
been comparably slow. Apart from the launch event hold in June 2009, there were hardly
intervention activities from June until September 2009. Because of that, the OSPI
consortium agreed during the 4 th PCC meeting, held from May 9-11th, 2010 in Budapest,
to extend the OSPI-Europe intervention period for Leipzig until March 2011. In the
following, intervention activities are described in more detail. The tables summarize the
activities on each level, accumulated for the whole intervention phase (June 2009 – March
2011).
Implementation of levels 1 and 3: General Practitioner (GP) and community
facilitators (CF) training
The following actions have been done during this reporting period.
Prior to starting the actual training sessions for GPs and CFs in 2009, a Train the Trainer
(TTT)-seminar was held to train physicians and other health specialists that have a
multiplication function in the local society. This TTT was a full day interactive workshop
targeting on content (depression and suicidality) as well as didactical and methodological
issues.
The so trained 16 instructors then conducted 2,5 - 4 hours interactive workshops. Duration
of these workshops depended on the target group. All of them were aimed at optimizing
the recognition and treatment of depression and suicidality.
Aiming at a wide spreading of relevant knowledge to interested patients and relatives, in
GP trainings information materials (e.g. brochures) were handed out and sent to the
doctors’ offices after the training. Furthermore, GPs received supporting material for
diagnosing depression which could be implemented in their daily work easily. This was to
help recognize depression in primary care successfully.
Community facilitators received trainings stressing the importance of encouraging people
in suspicion of suffering from depression to seek treatment in primary care as soon as
possible.
In all trainings interactive role-plays to practice addressing the issue of depressive
symptoms and those of suicidality were essential.
S e i t e | 107
In total, 996 persons (86 GPs and 910 community facilitators) participated in 64 trainings.
The following tables list the detailed figures per target group and other activities
undertaken on levels one and three.
Implementation of level 1: General Practitioner (GP) training
Medium
Number of trainings
Participants
CORE
GP trainings
11
86
DVDs for non-participants in trainings
---
237
Trainings for other medical professionals
3
24
“Lectures” for other medical professionals
4
300
Offers by the “Psychiatriekonsil”
---
---
OPTIONAL
Implementation of level 3: community facilitators (CF) training
Medium
Number of trainings
Participants
CORE
TTT trainings
2
16
Pharmacists
5
51
Priests
3
36
Policemen
6
134
Media guidelines for journalists
1 information session with Leipzig’s
local newspaper
20
participants
Information seminars
Later distribution of guidelines via
mail and networking contacts
OPTIONAL
Information Seminars
Hotline Professionals
1
18
Teachers (Youth: 15-19)
7
160
Enterprises Health Care Professionals
2
29
Medical Secretaries
2
37
Mid-wives & paediatric/obstetric nurses
1
14
S e i t e | 108
Other Social Workers / Counselling centre workers
12
181
Carers for the Young
1
14
Carers for the Elderly
8
161
Other: agency of employment
2
50
Other: Collegiate sport
1
10
OTHER
Monitoring of media reporting: Friendly reminders in case of non-beneficial
reporting / thanks in case of beneficial reporting
8 letters / e-mails
to employers of
local press
Implementation of Level 2: Awareness campaign
Due to the fact, that depression has been identified to be the major risk factor for non-fatal
suicidal acts, the professional awareness campaign launched in Leipzig was focused on
depression.
Goals were mainly:
- increasing knowledge of depression,
- loosen stereotypes and
- encouraging help seeking behaviour when feeling depressed or having suicidal
thoughts.
The awareness campaign included:
- the gain of two well-known patrons,
- a launch event,
- broadcasting a cinema spot,
- posting A0-posters on public information pillars in the city region,
- posting A1-posters in public spaces as train platforms,
- distributing A3-posters in public institutions and via the local transport company,
- distributing informational leaflets in public institutions and private households,
- public events like talks, discussions, presentations and information tables (among
others),
- a press conference and regular press releases,
- a regional, regularly updated homepage
and
- a montly distributed newsletter about the events and activities of the Leipzig
Alliance Against Depression
In the following table those activities are underlined by concrete numbers and illustrated
by some photographs (Fig. 5 & 6).
Implementation of level 2: Awareness campaign
Medium
Distribution
Number
Flyer
public institutions, public events, public health institutions
175.200
Poster (large, A0)
public areas
625
CORE
S e i t e | 109
Poster (small, A3)
public transportation, university environment, public health
institutions
1.950
Opening Ceremony
Gewandhaus Leipzig (concert hall), ca. 250 participants
Press conference
Title: taboo subject depression - especially in Germany.
European suicide prevention project: first research results
6 media
representatives
Contents: OSPI-Europe project presentation, first results (1st
wave of telephone interviews of general public), statement
of a concerned person
22 releases
Speaker:
Prof. Hegerl, Dipl.-Psych. Sabine Schmidt, Cornelia Jurack
Well-known patron
Christine Clauß,
2
minister for social affairs and consumer protection of Saxony
Prof. Dr. Thomas Fabian,
mayor of Leipzig for youth, social affairs, health and school
Public informational events
45 events
OPTIONAL
Poster (medium, A1)
Platforms (rail station), public swimming pools
Brochures
see Level 4 (information material)
Press kits
Cinema spot
173
10 press kits
released
Passage Kino Leipzig
March 2010 – March 2011
Broadcasting of
the spot in one
cinema
OTHER
Homepage
Information about the Leipzig Alliance against Depression
(=OSPI-Germany), current events, addresses of support
and consulting, press review (regional)
Giveaways
Information screen of local
student services in
cafeterias
Press releases
800 ballpens
Information about Leipzig alliance against depression
Overall: 59 press
releases (22 after
the press
conference)
S e i t e | 110
Implementation of Level 4: Help offers for patients and relatives
Different means to address patients have been put in practice.
To high-risk patients, meaning persons after a non-fatal suicidal act, emergency cards
were handed out. A psychiatrist was ready to answer incoming calls to that number 24
hours, 7 days per week.
Since Leipzig has a history in social psychiatry, there is already an existing network of
self-help groups in the field of depression. It was hence decided to not found new groups.
By holding close contact to the working group “Self-help”, made of representatives of
different self-help groups, a dense net has been formed for supporting self-help initiatives
on the one hand, and receiving advice from this working group on the other hand. Both
were contributing to improve the care and supply for patients and their families.
Requests reaching the Leipzig Alliance Against Depression by people affected and their
relatives were answered in written manner or by phone.
Information material for people affected and their relatives were distributed by GPs, CFs,
in public events and via the homepage established in cooperation with the German
Alliance Against Depression.
Some of the public events especially addressed people affected or their relatives.
Later on in the intervention period a “running against depression” and a creative group
offer for people affected were put into practice.
All level 4 activities are summarized in the table underneath.
Implementation of level 4: Help offers for high risk groups, patients and their relatives
Medium / Activity
Distribution /Remark
Number
CORE
Support for self-help groups
for depression
Was given sporadically, but more in sense of networking
activities (more concrete support for self-help groups and
people in need for a self-help group is given by a local
self-help bureau)
Emergency card for high risk
patients
Medical staff conducting data assessment for primary
outcome with patients after suicide attempt were
instructed to hand out emergency card to all patients
Information material
Informational videos for
patients
The version developed within the Competence Net of
Depression was promoted in public events (informational
stands) and can be ordered from the webpage of the
German Alliance against Depression
Informational DVDs for
patients
Distribution via GPs that participated in the trainings to
patients and relatives
ca. 500
Informational brochures for
patients
Distribution:
ca. 3000
to GP after training sessions for further distribution to
patients / relatives
to other training participants if expressed interest in
material for further distribution
to other associations working in public health sector for
further distribution to patients / relatives
to patients / relatives / people interested from the general
public during public events and requesting information
S e i t e | 111
OPTIONAL
Self- help group for relatives
Close cooperation with a local association dedicated to
relatives and friends of mental ill people (cooperative
events and regular information exchange; referral of
relatives asking for advice to them)
OTHER
Open running group
Offered once per week from 09 – 11 2010
4-7 part. per
meeting
Open group for creative
activities
Was offered once per month from 01 – 05 2011
10 part. per
meeting
Implementation of Level 5: Restriction to lethal means
Talking about fighting lethal means several levels had to be taken into account. On the
one hand spatial conditions have to be analysed to identify suicide hotspots. Furthermore
analysing data of non-fatal suicidal acts have also identified methods and / or substances
which are used very often.
1. Suicide hotspots
To identify suicide hotspots within the city of Leipzig there has been cooperation with
the local police office department. Three buildings have been identified to have a
higher risk to be used by people having suicidal tendencies:
- a viewing tower in one of the city parks
- a skyscraper within the city centre
- the “monument of the battle of nations” – a historical monument.
Supposedly there are 3 to 4 suicides per site per year. However, exact data is not
enregistered by the sites and access to the relevant archives, which is strictly
restricted, would be necessary. Talks with responsible authorities took place and
opportunities to build additional barriers aiming at restricting unauthorized access to
those sites were discussed.
2. Pharmaceuticals used in suicidal acts
Based on the analysis of baseline data for primary outcome, pharmaceuticals most used
for non-fatal suicidal acts have been identified. Paracetamol, Ibuprofen and Diazepam are
those pharmaceuticals most used for this purpose.
The table underneath summarizes the activities undertaken within the fifth intervention
level.
Implementation of level 5: Restrict access to lethal means
Activity
Remark
CORE
Identification of suicide hot
spots
3 Suicide hot spots for Leipzig(intervention region) have been
identified in a personal talk with a local police authority (and
confirmed by other local stakeholders of the field)
Several authorities in the control region have been questioned
about the existence of hotspots
Result: no special hot spots known for Magdeburg
Number
S e i t e | 112
Construction of barriers at
jumping sites (if possible)
One local hotspot is at represent without any security
measures  talks with responsible authorities about securing
possibilities are still ongoing
Two hotspots are partly secured already; contact for
monitoring the number of suicides and about further
possibilities are regularly hold
During CME courses: warnings
concerning TCA and other
drugs with toxicity on overdose
Were given
OTHER
Poster stemming from first
data analysis of non-fatal
suicidal acts: “use of
medication in suicide
attempts”
Distribution for sensitization about pharmaceuticals most often
used in suicide attempts via post mailing (along with further
information material) to all GPs and pharmacists in Leipzig
611 letters
were
dispatched
S e i t e | 113
Anhang A2 – ICD Kodierungen nach ICD 10
Quelle: http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2011/index.htm; Zugriff am
16.06.2011)
Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive
Substanzen (T36-T50)
Einschließlich:
- Irrtümliche Verabreichung oder Einnahme falscher
Substanzen
- Überdosierung dieser Substanzen
T36
Vergiftung durch systemisch wirkende Antibiotika
T37
Vergiftung durch sonstige systemisch wirkende Antiinfektiva und Antiparasitika
T38
Vergiftung durch Hormone und deren synthetische Ersatzstoffe und Antagonisten,
anderenorts nicht klassifiziert
T39
Vergiftung durch nichtopioidhaltige Analgetika, Antipyretika und Antirheumatika
T40
Vergiftung durch Betäubungsmittel und Psychodysleptika [Halluzinogene]
T42
Vergiftung durch Antiepileptika, Sedativa, Hypnotika und Antiparkinsonmittel
T43
Vergiftung durch psychotrope Substanzen, anderenorts nicht klassifiziert
T44
Vergiftung durch primär auf das autonome Nervensystem wirkende Arzneimittel
T45
Vergiftung durch primär systemisch und auf das Blut wirkende Mittel, anderenorts
nicht klassifiziert
T46
Vergiftung durch primär auf das Herz-Kreislaufsystem wirkende Mittel
T47
Vergiftung durch primär auf den Magen-Darmtrakt wirkende Mittel
T48
Vergiftung durch primär auf die glatte Muskulatur, die Skelettmuskulatur und das
Atmungssystem wirkende Mittel
T49
Vergiftung durch primär auf Haut und Schleimhäute wirkende und in der Augen-,
der Hals-Nasen-Ohren- und der Zahnheilkunde angewendete Mittel zur topischen
Anwendung
T50
Vergiftung durch Diuretika und sonstige und nicht näher bezeichnete Arzneimittel,
Drogen und biologisch aktive Substanzen
Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten
Substanzen (T51-T65)
T51
Toxische Wirkung von Alkohol
T52
Toxische Wirkung von organischen Lösungsmitteln
S e i t e | 114
T53
Toxische Wirkung von halogenierten aliphatischen und aromatischen
Kohlenwasserstoffen
T54
Toxische Wirkung von ätzenden Substanzen
T55
Toxische Wirkung von Seifen und Detergenzien
T57
Toxische Wirkung von sonstigen anorganischen Substanzen
T58
Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid
T59
Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches
T60
Toxische Wirkung von Schädlingsbekämpfungsmitteln [Pestiziden]
Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen
(T66-T78)
T71
Erstickung – einschließlich Erstickung durch Strangulation
T75.1 Ertrinken und nichttödliches Untertauchen
T75.4 Schäden durch elektrischen Strom
Vorsätzliche Selbstbeschädigung (X84.9)
Einschließlich:
- vorsätzlich selbstzugefügte Vergiftung und Verletzung;
- Suizid
X84.9 vorsätzliche Selbstbeschädigung auf nicht näher bezeichnete Weise
Personen mit potentiellen Gesundheitsrisiken aufgrund der Familienoder Eigenanamnese und bestimmte Zustände, die den Gesundheitszustand beeinflussen (Z80-Z99)
Z91.8 Sonstige, näher bezeichnete Risikofaktoren in der Eigenanamnese, anderenorts
nicht klassifiziert (einschließlich Parasuizid, versuchte Selbsttötung und weitere)
S e i t e | 115
Anhang A3 – Datenerhebungsbogen
Seite 1
Seite 2
S e i t e | 116
Seite 3
Der Datenerhebungsbogen wurde mit dem Programm „Epi Info“ Version 3.5.3 (vom
17.07.2008) erstellt.
S e i t e | 117
Anhang A4 – Zeitpunkt des Suizidversuchs (Ergebnisse)
Verteilung über das Jahr (Quartale)
Im Folgenden wurden alle Fälle der drei Jahre in den entsprechenden Quartalen zusammen
addiert. 99 Fälle wurden jeweils in den Quartalen April – Juni und Juli – September
erfasst. Im Zeitraum von Oktober – Dezember fanden 89 der erfassten Suizidversuche statt
und im Quartal Januar – März wurden 90 Fälle registriert.
Mittels SPSS wurde zunächst ein Erwartungswert von 94,3 Fällen pro Quartal errechnet
und dieser mit den beobachteten Ereignissen je Quartal in einem x2-Test verglichen. Es
zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Sinne einer Saisonalität von
Suizidversuchen (x2 (3) = 0,963; p = 0,810).
Verteilung über Woche (Wochentage)
Die unten stehende Tabelle zeigt die Verteilung der Suizidversuche auf die jeweiligen
Wochentage. Auch hier wurde mittels SPSS ein Erwartungswert berechnet und dieser mit
den beobachteten Ereignissen verglichen. Es zeigten sich hier keine signifikanten
Unterschiede im Sinne von Häufungen an vereinzelten Tagen (x2 (6) = 7,406; p = 0,285).
Beobachtete Ereignisse
Erwartete Ereignisse
Differenz
Montag
54
53,9
0,1
Dienstag
55
53,9
1,1
Mittwoch
57
53,9
3,1
Donnerstag
42
53,9
-11,9
Freitag
54
53,9
0,1
Samstag
47
53,9
-6,9
Sonntag
68
53,9
14,1
S e i t e | 118
Verteilung der Methoden über das Jahr (Quartale)
Hier konnten ebenfalls keine jahreszeitlichen Unterschiede, was die Verwendung von
harten und weichen Methoden beim Suizidversuch angeht, aufgezeigt werden (x2 (3) =
3,063; p = 0,382). Folgende Tabelle zeigt das Ergebnis.
Methode
Hart
Beobachtet
7
Frühjahr
(Mrz. – Mai)
Erwartet
7,4
Beobachtet
9
Sommer
(Juni – Aug.)
Erwartet
7,9
Beobachtet
10
Herbst
(Sept. – Nov.)
Erwartet
7,4
Beobachtet
3
Winter
(Dez. – Febr.)
Erwartet
6,3
Bemerkung: Angaben in absoluten Zahlen
Gesamt
weich
89
88,6
94
95,1
86
88,6
79
75,7
96
103
96
82
Zeitpunkt des Suizidversuchs in Abhängigkeit zum Geburtstag
Dieser, in der Literatur als „birthday-blues“ (Reulbach et al., 2007) beschriebene Effekt
konnte bei dieser Datenerhebung nicht nachgewiesen werden. Untersucht wurde ein
Intervall von 30 Tagen vor und nach dem Geburtstag der jeweiligen Fälle. Bei insgesamt
nur 66 Fällen (17,5 %) fand der Suizidversuch innerhalb dieses Intervalls statt (OER =
1,048 (95% KI [0,82 – 1,33]); p = 0,70). Auch konnte kein signifikanter Unterschied
zwischen den Geschlechtern aufgezeigt werden (x2 (1) = 0,476; p = 0,490).
S e i t e | 119
Anhang A5 – Details zu den Todesfällen innerhalb des Erhebungszeitraumes
Geschlecht
Alter
Art des Suizidversuchs
Kontakt mit dem
Gesundheitssystem
aufnehmende
Station
Verweildauer
in Tagen
männlich
43
Schnitt Hals
Notaufnahme
Intensivstation
(chirurgisch)
2
männlich
84
Benzodiatepinintox.
Notaufnahme
Intensivstation
(chirurgisch)
22
weiblich
15
Opipramolintoxikation
Übernahme von
externen Krankenhaus
Intensivstation
(pädiatrisch)
7
weiblich
69
Sprung
Übernahme von
externen Krankenhaus
Intensivstation
(chirurgisch)
5
männlich
68
Strangulation
Suizidversuch im
Krankenhaus
männlich
80
Sprung
Suizidversuch im
Krankenhaus
Todesursache - Anmerkungen
Schnittverletzung am Hals mit folgender
Asystolie und cerebraler Ischämie - Hirntod
respiratorische Insuffizienz durch beatmungsassoziierter Pneumonie
reanimationspflichtig mit folgendem Koma und
hypoxischem Hirnschaden
Polytrauma: intraabdominale Blutungen mit
kompletter Darmischämie
Suizid im Krankenhaus bei Therapieabbruch
eines bestehenden Magencarcinoms
Suizid im Krankenhaus bei Diagnose:
Myokardinfarkt
Intensivstation
(interdisziplinär
internistisch)
Intensivstation
(chirurgisch)
Intensivstation
(interdisziplinär
internistisch)
männlich
32
Opiatintoxikation
Notaufnahme
3
männlich
23
Strangulation
Notaufnahme
weiblich
78
Sarotenintox.
Notaufnahme
männlich
59
Strangulation
Notaufnahme
weiblich
71
Farbverdünnerintox.
Notaufnahme
internistische
Normalstation
2
weiblich
88
Benzodiazepinintox.
Notaufnahme
Intensivstation
(chirurgisch)
2
6
2
reanimationspflichtig - Multiorganversagen
cerebrale Hypoxie durch septischen Schock bei
beatmungsassoziierter Pneumonie
Rechtsherzversagen durch terminale
Lungenembolie durch prolongierte Hypotonie
Patient reanimationspflichtig, verstarb noch in
der Notaufnahme
genaue Todesursache unklar
Urämie: Nierenversagen bei vorbestehender
Niereninsuffizienz
S e i t e | 120
Anhang A6 – genaue Verteilung 1. Aufnahmestation in Abhängigkeit zur Methode des Suizidversuchs
S e i t e | 121
10 Anlagen
10.1 Erklärung über die eigenständige Abfassung der Arbeit
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne unzulässige Hilfe
oder Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Ich versichere,
dass Dritte von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten
erhalten haben, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten Dissertation stehen,
und dass die vorgelegte Arbeit weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher
Form einer anderen Prüfungsbehörde zum Zweck einer Promotion oder eines anderen
Prüfungsverfahrens vorgelegt wurde. Alles aus anderen Quellen und von anderen Personen
übernommene Material, das in der Arbeit verwendet wurde oder auf das direkt Bezug
genommen wird, wurde als solches kenntlich gemacht. Insbesondere wurden alle Personen
genannt, die direkt an der Entstehung der vorliegenden Arbeit beteiligt waren.
.................................
Datum
..........................................
Sören Dölling
S e i t e | 122
10.2 Erklärung über die Vorbehaltlichkeit der Verfahrenseröffnung zur
Verleihung des Titels Dr. med.
Der erfolgreiche Abschluss des letzten Staatsexamens oder die Approbation zum Arzt ist
Voraussetzung für den Abschluss des Promotionsverfahrens und damit der Verleihung des
akademischen Grades.
Die Zulassung zum Promotionsverfahren ist insoweit nur vorläufig und steht unter der
auflösenden Bedingung des Nichtbestehens des letzten Staatsexamens oder der
Approbation zum Arzt. Dieser Abschluss ersetzt nach Regelung im § 12 der
Promotionsordnung das Rigorosum. Das Rigorosum ist essentieller Bestandteil und
notwendig zum erfolgreichen Abschluss des Promotionsverfahrens. Entsprechend den
Reglungen in § 12 wird das eröffnete Promotionsverfahrens bei Nichtbeendigung des
Studiums durch die Promotionskommission ohne Titelvergabe eingestellt.
Hiermit erkläre ich, dass mir dieser Sachverhalt im Rahmen der Eröffnung meines
Promotionsverfahrens bekannt ist und ich im Falle des Fehlens der Voraussetzung des
Abschlusses meines Promotionsverfahrens keine rechtlichen Ansprüche an eine Vergabe
eines akademischen Grades oder Titels stelle.
.................................
Datum
............................................
Sören Dölling
S e i t e | 123
10.3 Lebenslauf
S e i t e | 124
10.4 Danksagung
Ich möchte mich bei meinem Betreuer Herrn Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl für die
freundliche Überlassung des Themas, das mir entgegengebrachte Vertrauen und sein, für
meine Fragen, zu jeder Zeit offenes Ohr bedanken.
Mein besonderer Dank geht an Frau Dipl.-Psych. Nicole Koburger, die mir mit ihrer
schnellen Hilfe bei entstandenen Fragen und Problemen stets zur Seite stand. Vor allem
danke ich für die organisatorische Betreuung, die einen exzellenten Informationsaustausch
innerhalb des OSPI-Projektes ermöglichte!
Ebenso möchte ich mich bei Herrn Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Psych. Roland Mergel für die
freundliche und ausdauernde Beratung bedanken, welche mich zur statistischen
Auswertung der Ergebnisse befähigte.
Mein Dank geht auch an Frau Dr. Rüya-Daniela Kocalevent, Dipl.-Psych. Sabine Schmidt
und Dipl.-Psych. Katrin Gottlebe, die mir in den Doktorandenkolloquien viele Anregungen
gaben und mich so an das wissenschaftliche Arbeiten heranführten.
Desweiteren gilt mein Dank dem Leiter des Bereichs 3 des Universitätsklinikums Leipzig
(Finanzen, Planung und Controlling) Herrn Lothar Krüger und seinen Mitarbeitern Herrn
D. Nikelski, Herrn P. Busch und Frau M. Seriferth, durch deren Hilfe, die Erlöse der
einzelnen Fälle ermittelt und bereitgestellt wurden.
Ich möchte mich auch bei meinen Eltern bedanken, die mich ständig ermutigten diese
Arbeit voran zu bringen und mir durch ihre Fürsorge, neben vielen anderen Dingen, diesen
beruflichen Weg ermöglichten.
Abschließend danke ich meiner Frau Katrin, für ihren Rückhalt und vor allem ihr
Verständnis in den letzten zwei Jahren, in denen ich häufig dem Computer und der
Dissertation mehr Aufmerksamkeit schenkte.
Sören Dölling
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