Tabakmarketing außer Kontrolle Johannes Spatz Gesetz Methode der Studie Ergebnisse Zusammenfassung Bewertung Schlussfolgerungen Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________________ Vorläufiges Tabakgesetz: § 22 Werbeverbote „gesundheitlich unbedenklich“ „Leistungsfähigkeit günstig zu beeinflussen“ „besonders dazu geeignet sind, Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen“ Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Selbstverpflichtung „für jünger als 30 Jahre gehalten werden“ „Unzulässig sind Darstellungen solcher sportlicher Freizeitbetätigungen, bei denen üblicherweise nicht geraucht wird“ „Situationen und Umgebungen, die typisch für die Welt der Jugendlichen und Heranwachsenden sind (z.B. BeatClub, Discothek, Pop-Festival, Universitätscampus) Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Methode: Systematische Beobachtung von Mai 2009 bis November 2010 mit Schwerpunkt in Berlin 33 Anzeigen bei Lebensmittelaufsichtsämtern u.a. Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________________ Verschleppung Hamburg-Altona an Reemtsma: „Es wurde festgestellt, dass durch die allgemeine Aufmachung des Werbeplakates der Eindruck erweckt wird, dass der Genuss oder die bestimmungsgemäße Verwendung von John Player Special Red gesundheitlich unbedenklich und geeignet ist, die Funktion des Körpers, die Leistungsfähigkeit oder das Wohlbefinden günstig zu beeinflussen und diese Werbung besonders dazu geeignet ist, Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu verleiten.“ Das Verfahren wurde nach einer Anhörung der Firma Reemtsma stillschweigend eingestellt. Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Überforderung Steglitz-Zehlendorf von Berlin Gesundheitsdezernentin „Unter diesen Bedingungen nun einen Rechtsstreit gegen einen internationalen Tabakkonzern zu führen, halte ich jedoch in Anbetracht bezirklicher Personal- und Sachkostenressourcen für unangemessen und wenig aussichtsreich.“ Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Odyssee 1. Tempelhof-Schöneberg, Berlin „Da der Bezirk TempelhofSchöneberg nur eine der vielen möglicherweise betroffenen Verwaltungsbehörden sein dürfte, ist es m. E. zweckmäßig und geboten, die Anzeige gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 OwiG an die Verwaltungsbehörde der Tatverdächtigen, der Fa. JT International Germany GmbH, im Medial Park 4e, 50670 Köln, abzugeben.“ Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Odyssee 2. Stadt Köln „Da sich der Hauptsitz der Firma JT International jedoch in 54294 Trier, Diedenhofener Str. 20 befindet, habe ich noch am 23.04.2010 Ihre Unterlagen an die Lebensmittelüberwachung im Ordnungsamt Trier weitergeleitet.“ Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Odyssee 3. Die Stadt Trier schickt die Anzeige nach Berlin zurück und behauptet, nicht zuständig zu sein. Örtlich zuständig sei alleine die Ordnungsbehörde, in deren Bezirk das Plakat gezeigt wird. Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Odyssee 4. Gesundheitssenatorin, Berlin „Für Beschwerden über Werbemaßnahmen ist der Deutsche Werberat geschaffen worden.“ Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Odyssee 5. Bundesdrogenbeauftragte „Zu Ihrem Schreiben der unzulässigen Plakatwerbung der Marke „Benson & Hedges“ der Firma Japan Tobacco International habe ich den Deutschen Zigarettenverband (DZV) angeschrieben und den Verband zur Überprüfung der Werbekampagne auf der Grundlage der bestehenden Selbstverpflichtung der Tabakindustrie aufgefordert.“ Tabakmarketing außer Kontrolle ____________________________________________ Odyssee 6. Deutscher Zigarettenverband „JTI ist der Auffassung, dass kein Verstoß gegen „ 22 Abs. 2 Nr. 1b) des Vorläufigen Tabakgesetzes vorliegt.“ Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Zuständigkeit Oranienburg „Das Ministerium hat uns mitgeteilt, dass Ihre Beanstandung weder Landesnoch Kreisangelegenheit ist.“ Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Unzulässige Werbung? Potsdam „Die Ausführung eines Saltos gilt gemein hin als einfach und erfordert keine besondere Leistungsfähigkeit…“ Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Unzulässige Werbung? Potsdam „Auffallend ist des Weiteren die elektrische Gitarre, die in der heutigen Zeit wohl eher Rock-Fans und damit Generationen jenseits der 30 anspricht als jugendliche Zielgruppen.“ Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Unzulässige Werbung? Steglitz-Zehlendorf von Berlin § 22 sei „zumindest berührt“ dennoch werde es „diesen Fall ordnungsbehördlich nicht weiter verfolgen“ Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Ergebnis 33 Anzeigen, 20 Motive, 17 Behörden Örtliche Zuständigkeit abgelehnt Kein Verstoß (Aufsichtsamt) Nicht abgeschlossen Kein Verstoß (Werberat, DZV) Zuständigkeit angezweifelt Kein Verfahren (ohne inhaltliche Klärung) Keine sachliche Zuständigkeit --------------------- Weiterführende Schreiben Erinnerungsschreiben Akteneinsichtsnahme (mit Mehrfachnennungen) 17 8 3 2 2 2 1 27 14 2 Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Zusammenfassung: Keine einzige Anzeige führte zu einer Verbotsverfügung einer Behörde, zu einem Bußgeld oder zu irgendeinem anderen entschiedenen Vorgehen gegen die auf Kinder und Jugendliche bezogene Tabakwerbung. Deutlich wird, dass die für das Vorläufige Tabakgesetz zuständigen Aufsichtsämter vollständig versagen. Statt gegen gesetzwidrige Tabakwerbung vorzugehen, entziehen sie sich der Verantwortung durch Verleugnung eigener Zuständigkeit. Sie behaupten auch bei offensichtlichen Verstößen, dass es zweifelhaft sei, ob Verstöße vorliegen. Sie verschleppen die Verfahren. Niemals hat eine der Behörden berichtet, dass sie aus eigenem Antrieb Verfahren gegen gesetzwidrige Plakatwerbung für Tabak geführt hat. Das Ergebnis von 32 Anzeigen ist, dass mit keiner einzigen der Anzeigen die Tabakindustrie in ihre Schranken verwiesen wurde. Subjektiv handelt es sich um eine Überforderung der Verwaltung. Denn die auf der jeweils untersten Verwaltungsebene angesiedelten Behörden haben es mit multinationalen Tabakkonzernen aufzunehmen. Objektiv verhindert die Verwaltung durch ihre Untätigkeit eine gerichtliche Klärung. Dadurch schützt sie die Tabakindustrie und behindert den Jugendschutz. Während kleine Aufsichtsämter keine Verbotsverfügungen oder Bußgeldbescheide erlassen wollen, weil sie die Konfrontationen mit den übermächtigen Tabakkonzernen und deren hochkarätigen Rechtsanwaltskanzleien scheuen, empört umso mehr das Versagen der großen Politik. Nicht anders lässt sich das Schweigen sowohl der Berliner Gesundheitssenatorin als auch das der Bundesdrogenbeauftragten bewerten. Beide haben das Forum Rauchfrei auf die Selbstkontrolle der Industrie verwiesen. Dass diese Selbstkontrolle nicht funktioniert, hat das Forum Rauchfrei schon seit vielen Jahren nachgewiesen. Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Erklärung: Die unbehinderte Werbung um Kinder lässt sich nur durch die besondere Machtkonstellation der Tabakindustrie in Deutschland erklären. Hier konnten die internationalen Tabakkonzerne im Gegensatz zu der Situation in anderen Mitgliedstaaten der EU in den letzten Jahrzehnten eine extrem wirksame Lobby aufbauen. Die Erfolge dieser Lobby wurden gerade erst sichtbar, denn sie verhinderte in den letzten Monaten eine dringend notwendige gesundheitspolitisch relevante Erhöhung der Tabaksteuer. Auch hat sie sich bis heute gegen ein Verbot der Tabakwerbung auf den Straßen durchgesetzt. Die Verankerung der Tabakindustrie in der Politik wird in skandalösester Weise ebenfalls sichtbar durch die seit vielen Jahren in dem wichtigsten Parteiblatt der SPD, dem „Vorwärts“, erscheinenden TabakwerbeAnzeigen. Eine vom Forum Rauchfrei angestoßene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die vor drei Wochen erging, setzt zumindest einen Schlussstrich unter Werbung mit Zeigen der einzelnen Marken in dem Parteiblatt. Tabakmarketing außer Kontrolle _____________________________________ Schlussfolgerungen: Es findet öffentliche Aufmerksamkeit, wenn das Forum Rauchfrei Anzeigen gegen gesetzwidrige Tabakwerbung erstattet. Mehrfach wurde in den Medien darüber berichtet. Dennoch hat sich bis heute an der grundsätzlichen Untätigkeit der Verwaltung nichts geändert. Da die Zurückhaltung der Verwaltung gegenüber der Tabakindustrie auf einer strukturellen Unterlegenheit beruht, kann das Offenlegen des Nichthandelns allein nicht zu dem notwendigen energischen und effektiven Vorgehen gegen Tabakwerbung für Kinder und Jugendliche führen. In der Zukunft sollten wir deshalb unsere Strategie ändern. Wir müssen die Politik mit der strukturellen Unterlegenheit der Verwaltung konfrontieren. Die Tabakwerbung ist zu verbieten, wie dies in allen unseren unmittelbaren europäischen Nachbarländern schon längst geschehen ist. Von der Politik muss wieder und wieder Transparenz gefordert werden und Auskunft über die Gründe, warum sie bisher nicht als Gesetzgeber tätig geworden ist. Die entscheidende Forderung an die Politik lautet, Tabakwerbung umfassend zu verbieten. Bis dahin muss der strukturellen Unterlegenheit der Aufsichtsämter durch Bereitstellung von Unterstützung entgegen getreten werden. Gehandelt werden muss sofort, gesetzwidrige Plakatwerbung darf nicht länger geduldet werden.