Wahlprüfstein: die Werbekampagnen der Zigarettenindustrie Deutsche Herzstiftung befragt die Parteien im Bundestag Zigarettenrauchen ist mit Abstand der wichtigste beeinflussbare Faktor, der die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigt. Jedes Jahr sterben über 106 000 Personen an den Folgen des Rauchens (Deutsches Krebsforschungszentrum 2007). Das sind am Tag 292 Todesfälle. Diese Zahl ist erschreckend hoch: Sie entspricht den Todesopfern, die zu beklagen wären, wenn jeden Tag ein Airbus A330-300 abstürzen würde. Trotzdem rauchen 30 % der Erwachsenen, und Frauen nehmen hier die Spitzenposition in Europa ein. Es schien deswegen ein wichtiger Schritt vorwärts, als die Bundesregierung 2003 das WHORahmenübereinkommen zur Tabakkontrolle (FCTC) unterzeichnete und der Bundestag dieses Übereinkommen im Dezember 2004 ratifizierte. In diesem Übereinkommen wurde den Tabakkonzernen die Tabakwerbung, die Verkaufsförderung und das Sponsoring von Veranstaltungen umfassend untersagt. Aber die darin eingegangene Verpflichtung zur Eindämmung des Tabakkonsums wurde in Deutschland, anders als in anderen EU-Ländern, nie umgesetzt – trotz der katastrophalen Auswirkungen des Tabakkonsums auf die Gesundheit der Bevölkerung. Wie wichtig ein umfassendes Werbeverbot für Zigaretten ist, hat dieses Jahr die Werbekampagne für Marlboro mit dem Slogan Don’t be a Maybe gezeigt. Damit wurden erfolgreich Jugendliche angesprochen. Es wurde ihnen suggeriert, dass der Entschluss zu rauchen von Entscheidungsfreude und Charakterstärke zeugt. Die Zigarettenindustrie weiß, dass, wer jung mit Rauchen anfängt, wegen seiner Nikotinabhängigkeit kaum noch davon loskommen kann. 28 Es besteht also politischer Handlungsbedarf. Deswegen hat die Deutsche Herzstiftung vor der Bundestagswahl fünf Fragen an die im Bundestag vertretenen Parteien gerichtet: einen Wahlprüfstein. Sie sollten ihre Positionen zu den Werbekampagnen der Zigarettenindustrie, zum Schutz vor Passivrauchen und zu neuen Warnungen auf Zigarettenpackungen darlegen. Die wichtigste Frage lautete: Ist Ihre Partei dafür, die Werbekampagnen der Zigarettenindustrie weiter ungestört laufen zu lassen? Darauf haben die Parteien wie folgt geantwortet: CDU/CSU: Aufgrund des Sucht- und Krankheitspotenzials und der Belastung Unbeteiligter gerade in geschlossenen Räumen ist die Möglichkeit der Werbung für Rauchwaren gänzlich untersagt bzw. stark eingeschränkt. Betroffen sind vor allem elektronische sowie gedruckte Medien und grenzüberschreitende Großereignisse. Diese strengen Einschränkungen wollen wir beibehalten und somit die Möglichkeiten der Zigarettenhersteller, Werbekampagnen durchzuführen, weiterhin eng begrenzen. SPD: Nach wie vor ist Tabakkonsum das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in Deutschland. Die SPD wird sich deshalb auch weiterhin für verstärkte Anstrengungen bei der Tabakprävention und beim Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens einsetzen. Tabakkonsum zu reduzieren ist seit 2003 nationales Gesundheitsziel. Diesem Ziel näher zu kommen, kann nur durch ein gesamtgesellschaftliches Engagement aller gesellschaftlichen und politischen Akteure in den Lebenswelten gelingen. Im November 2006 wurde die Umsetzung der EU-Tabakwerberichtlinie u. a. mit den Stimmen der SPD beschlossen. Danach ist seit 01.01.2007 Tabakwerbung nicht nur im Radio und Fernsehen, sondern auch im Internet, in Zeitungen und Zeitschriften verboten. Darüber hinaus ist die Umsetzbarkeit eines umfassenden Werbeverbots – wie in dem WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs gefordert – zu prüfen. FDP: Genussmittel, die frei verkäuflich und legal handelbar sind, dürfen nicht durch Werbeverbote und Handelsbeschränkungen vom Markt gedrängt werden. Eine derartige Bevormundung der Verbraucher ist mit dem Leitbild des mündigen Bürgers nicht in Einklang zu bringen. Solche Eingriffe in die Marktwirtschaft und in die Entscheidung mündiger Verbraucher lehnen wir grundsätzlich ab. Der Jugendschutz bei Tabak ist jedoch strikt zu gewährleisten. DIE LINKE: DIE LINKE hat als einzige Fraktion einen Antrag zur vollständigen Umsetzung der UN-Tabakrahmenkonvention in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 17/12838), insbesondere um das dort vereinbarte vollständige Verbot der Tabakwerbung endlich in deutsches Recht zu überführen. Alle bisherigen Bundesregierungen, insbesondere aber die rotgrüne, haben sich als Bremser für eine gute Tabakpräventionspolitik gezeigt und werden von der Tabakindustrie auch öffentlich als Verbündete bezeichnet (vgl. etwa fr-online vom 02.11.2012). Nicht umsonst stehen in Deutschland die größten Zigarettenfabriken Europas. Die mehr als halbherzige Politik in Sachen Tabakprävention der letzten Bundesregierungen schlägt sich nicht zuletzt in den Werbeausgaben der Tabakindustrie nieder. Diese sind trotz einiger Werbeverbote nicht gesunken, sondern tendenziell eher gestiegen. DIE LINKE kritisiert diese Politik auf das Schärfste und fordert, endlich die Gesundheit der Menschen vor die Interessen der Industrie zu stellen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein. Wir befürworten in Umsetzung der Tabakrahmenkonvention und der darin enthaltenen Empfehlungen zur Tabakkommunikation auch die Abschaffung der öffentlichen Tabakwerbung. Kommentar: Mehr oder weniger verklausuliert besagen die Antworten, dass die etablierten Parteien mit Ausnahme der Grünen und der Linkspartei den Ernst der Lage nicht wahrnehmen. Entgegen den europarechtlichen Vorgaben, entgegen dem Mehrheitswillen der Deutschen Bevölkerung und entgegen der grundgesetzlichen Verpflichtung zum Schutz der Bevölkerung unterstützen die drei ältesten Parteien weiterhin die Lobby der Zigarettenindustrie. Wenn gesundheits- und umweltbewusste Wähler sich von diesen Parteien abwenden, dürfen sich die Verantwortlichen nicht wundern. Prof. Dr. med. Helmut Gohlke Prof. Dr. med. Martin Kaltenbach Die Antworten auf die vier weiteren Fragen können bei der Herzstiftung angefordert werden. 29