Bodo v. PAPE, Oldenburg Voronoi-Parkette – Eine Schnittstelle zwischen gesundem Menschenverstand und subtiler Mathematik Ein Klagen darüber, dass es mit der Bewilligung der Forschungsmittel nicht so klappt, wie es eigentlich geboten wäre, gehört zu den Eingangsritualen von wissenschaftlichen Kongressen. Die Hauptursache für dies Manko wird nicht selten gesehen in der Ferne der universitären Standorte zu den zuständigen Ministerien – so auch etwa im Falle von Oldenburg oder Würzburg. Eine Lösung für genau dies Problem haben die Mathematiker allerdings schon seit langem in der Schublade. Der Ansatz, den Hauptstädten der Bundesländer als Zuständigkeiten künftig jeweils ihre Nahebereiche zuzuweisen, liegt auf der Hand. Genau dies beinhaltet der Vorschlag, die föderale Struktur der Bundesrepublik als Voronoi1-Parkett aufzuziehen. Ein Missstand bleibt: Einige Hauptstädte liegen sehr nahe beieinander, vor allem Wiesbaden und Mainz. Das ließe sich in einem zweiten Schritt beheben: Man verlagert die Hauptstädte in die Schwerpunkte der neu zugeschnittenen Bundesländer. Die Iteration dieses DoppelDeutschland schritts2 führt auf ein schwerals Voronoi-Parkett punktzentriertes Voronoi-Parkett. Bei den Voronoi-Parketten an sich geht es nur um die Aufteilung der Ebene in Nahebereiche von Punkten. Auf diese Thematik kommt man etwa, wenn man sich daran macht, die Raumbeherrschung im Fussball zu visualisieren. Eine andere Anregung liefert ein Kunstobjekt, das sich nicht in einem Kunstmuseum befindet, sondern in dem Science-Haus „Phaeno“ in Wolfsburg: Georgii Voronoi, 1868-1908 Die Feierlichkeiten zum 100. Todestag liegen erst wenige Monate zurück. 2 Zu diesem Doppelschritt in der Kunst: http://www.janethansen.com/pages/art11.html 1 Bei der Installation „Boundary Function“3 von Cord Snibbe bewegen sich mehrere Personen auf einer dunklen Platte; auf dieser Platte zeichnen sich dann die Grenzen der Nahbereiche der Personen ab. In der Dokumentation heißt es: „The regions which surround each person are mathematically referred to as Voronoi diagrams or Dirichlet tessellations. These diagrams are widely used in diverse fields; spontaneously occurring at all scales of nature. In anthropology and geography they are used to describe patterns of human settlement; in biology, the patterns of animal dominance and plant competition; in chemistry the packing of atoms into crystalline structures; in astronomy the influence on stars and star clusters; in marketing the strategic placement of chain stores; in robotics path planning; and in computer science to closest-point and triangulation problems.” In der Geographie wie auch in der Meteorologie und im Marketing bezeichnet man derartige Muster als „Thiessen-Polygone“. Sie dienen hier zur Interpolation von Punktverteilungen. Das „strategic placement of chain stores“ spielt in der Informatik eine Rolle als „Waste-Dump-Problem“. (Die Knoten des Voronoi-Parketts sind die Zentren der größten noch freien Kreise!) Auch bei Geoinformationssystemen greift die Informatik auf Voronoidiagramme zurück. Mit der Wendung „triangulation problems“ schließlich wird Bezug genommen zu einem ganzen Feld von technischen Anwendungen – von der Computergrafik bis hin zur Materialforschung: Die zu den Voronoi-Parketten dualen Delauny-Triangulationen – sie verbinden jeweils den erzeugenden Punkt einer Zelle mit denen aller Nachbarzellen – sind optimiert im Hinblick auf die Vermeidung von kleinen Winkeln bei einer Triangulation. Das ist erstrebenswert sowohl von der Ästhetik her als auch im Hinblick auf die Praktikabilität der Konstruktion und die Stabilität des Produkts. Der Schlußsatz der Dokumentation zu “Boundary Function” lautet schlicht: “The diagrams represent as strong a connection between mathematics and nature as the constants e or π.” Etwas mehr in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt wurde das Thema “Voronoi-Parkette” mit einem Artikel der FAZ-Sonntagszeitung4 zur Einweihung des Richterfensters im Kölner Dom im Sommer 2007. Gerhard Richter beschränkt sich hier darauf, die Farbgebung in einem Rechteckmuster vom Zufall steuern zu lassen. Es lässt sich aber zeigen, dass sich „der Zufall mit ein wenig am Ende gar nicht so schwieriger Mathematik noch stärker für die Gestaltung von Kirchenfenstern heranziehen lässt“ – über die Erzeugung der Felder als Polygone des Voronoi-Parketts einer Punktmenge, die – mit unterschiedlichen Vorgaben – zufällig erzeugt wird. 3 4 http://www.youtube.com/watch?v=1p96bTARFK n n c Ulf Rauchhaupt, Frankurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9. September 2007, S. 67 Phyllotaxis Euklid 3-Geometrie Voronoi-Parkettierung auf der Basis des goldenen Schnitts Mit geschickter Wahl der Vorgaben kommt man auch auf Figuratives.Will man sich von der Geradlinigkeit der Begrenzungen lösen, so kann man in der euklidischen Abstandsformel den Exponenten 2 abändern in einen beliebigen Wert >1. Bereits im Standardwerk des Japaners Okabe5 taucht daneben auch die sog. „Karlsruhe-Metrik6“ auf. Mit einer Kugelmetrik kann man eine Voronoi-Parkettierung von Kugeln darstellen, mit Perspektivmetriken kann man Fußbodenparkette in alten Bildern perspektiv richtig aufmöbeln. Georg Nees widmet der „Regentengrafik“ ein Kapitel seines Werkes „formel farbe form“7. Hier verkündet er: „Erst der Begriff der Pseudodistanz macht Regentengrafik in ähnlich hohem Maß für die Ästhetik interessant wie die Welt der Fraktale.“ Zur Genese von entsprechenden Strukturen in der Natur geht man aus von einem „Präriefeuer-Modell“: Die Feuer breiten sich von Punktquellen so weit aus, bis der Ausbreitungsbereich des nächsten Brandherds erreicht ist. Löst man sich von den Voraussetzungen, dass Startzeitpunkt und Ausbreitungsgeschwindigkeit gleich sind, so erhält man „gewichtete“ Voronoidiagramme. Die Begrenzungslinien sind hier Hyperbelabschnitte bzw. Kreissegmente. Bei Diagrammen höherer Ordnung dagegen wird jedem Punkt P derjenige Bereich der Ebene zugeordnet, für den P der zweit-, dritt-, …nächste ist. Okabe, Boots, Sugihara: Spatial Tesselations - Concepts and Applications of Voronoi Diagrams, 1992 6 Wege sind beschränkt auf Strahlen von einem Zentrum Z und Kreise um Z. 7 Georg Nees: formel - farbe – form Computerästhetik für Medien und Design, 1996 5 Natürlich lässt sich das Konzept auch in den Raum ausweiten. Für räumliche Voronoi-Zellen (in der Chemie: „Wigner-Seitz-Zellen“) und DelaunyTetraedrisierungen werden Darstellungsmöglichkeiten vorgestellt. Im Theorieteil des Vortrags geht es insbesondere um Umkreiskonstruktionen in den Alternativgeometrien. Ein Desiderat ist ein Satz von Kriterien, mit denen man über das Vorliegen und die Korrektheit der Konstruktion von Voronoi-Parketten entscheiden kann. Hierzu werden Sätze formuliert, sie kommen in Beispielen zum Einsatz. Ein erhöhtes Interesse der Fachdidaktik Multiplikative Gewichtung am Thema erklärt sich schon damit, dass sich im Umfeld reizvolle Aufgabenstellungen ergeben. Sie decken den Gesamtbereich der mathematischen Erziehung ab, angefangen bei der Vorschulerziehung - einfache Kolorierungen von Hand - über die Mittelstufengeometrie – Zirkel- und Linealkonstruktionen, Parabeln als Ortslinien –, Stochastik und numerische Verfahren in den höheren Klassenstufen bis hin zur „Algorithmischen Geometrie“, einer Hochschuldisziplin im Zwischenbereich von Mathematik und Informatik. Als überschaubarer Algorithmus zur Lösung eines ganz einfach zu konstatierenden Problems - auch seine Lösung ist im konkreten Fall kinderleicht! – bleibt nur etwas, für dessen Umsetzung die Mittel der Mathematik nicht mehr ausreichen, etwa der Algorithmus von Fortune: Bei der Umsetzung kommt man ohne Datenstrukturen aus der Informatik nicht aus. Praktisch kommt man aber bereits mit MS-Excel zum Ziel. Dafür werden verschiedenartige Möglichkeiten aufgezeigt. Fortunes Algorithmus Abschließend ist festzuhalten: Über die klassische Alternative der Mathematikdidaktik - Nützliche Mathematik oder Schöne Mathematik? ist diese Thematik erhaben.