KOMPANIMA THEMA TIERLIEBE - TIERHIEBE Veranstaltung vom Samstag, 25.10.2014, 09.30 - 13.15, Universität Zürich - Irchel 1 TIERLIEBE – TIERHIEBE 1.1 EMPATHIE – WARUM? Wer mit Tieren umgeht, geht unweigerlich eine Beziehung mit ihnen ein. Im besten Fall respektieren wir Tiere als Mitgeschöpfe mit arteigenen Bedürfnissen, die es zu beachten und zu gewährleisten gilt. Im schlechtesten Fall instrumentalisieren wir die Tiere, missachten ihr Wohlbefinden, misshandeln sie gar und betrachten sie lediglich als Mittel zur Erreichung unserer egoistischen und eigenwilligen Ziele. Wie der Mensch das Tier behandelt, ist auch eine Frage seiner Fähigkeit und Bereitschaft, mit anderen Lebewesen mitzufühlen oder ihnen gegenüber Empathie zu empfinden. Das Drillen eines grossen Fisches sehen die einen als sportliche Leistung und Hobby, andere verurteilen es als rohe Tierquälerei und Ausdruck der Geringschätzung der tierischen Empfindungsfähigkeit. Die Massentierhaltung zum Zweck der Milch-, Fleisch- oder Eierproduktion gilt für viele als Notwendigkeit und legitimes Mittel zur Ernährungssicherung und zum Wohl des Menschen, für andere ist es eine Manifestation für die Verdinglichung unserer Nutztiere. Es ist somit eine spannende Frage, warum Menschen die Dinge so oder ganz anders sehen und wie sie überhaupt emotional zu den Tieren stehen. Unsere Referentinnen und Referenten ermöglichten uns an diesem Anlass Einblicke in die unterschiedlichsten Facetten der Mensch- Tierbeziehung, die Arbeit mit Tieren, in menschliche Denk- und Handlungsweisen, tierisches Verhalten sowie in die Vielfalt, wie in der Praxis Empathie gelebt werden kann. 2 REFERENTEN UND MODERATION PROF. DR. MARKUS WILD „Tiere, die empfinden können, haben in meinen Augen sogenannte negative Rechte. Sie haben das Recht, nicht getötet, nicht gefangen genommen und nicht gequält zu werden.“ Markus Wild ist Professor für theoretische Philosophie an der Universität Basel. Von 2003 bis 2012 lehrte er an der Humboldt-Universität zu Berlin zur theoretischen Philosophie und 2012 bis 2013 lehrte und forschte er als Förderprofessor des SNF (Schweizerischer Nationalfonds) an der Universität Freiburg (Schweiz). Seine Schwerpunkte liegen theoretisch in der Philosophie des Geistes, der philosophischen Anthropologie und der Tierphilosophie, historisch in der Philosophie der frühen Neuzeit und des 17. Jahrhunderts. SUSY UTZINGER „Es ist Empathie, die Tierschutz überhaupt erst möglich macht, es ist aber leider auch sehr häufig Empathie, die Tierschutzprobleme verursacht. Schlussendlich ist Empathie mein persönlicher Antrieb für meine tägliche Arbeit. Sie in die Kraft umzusetzen, die es für die professionelle Durchführung von Tierschutzprojekten benötigt, bleibt dabei eine Herausforderung - Tag für Tag!“ Susy Utzinger setzt sich in verschiedenen Organisationen und Vereinigungen für Tierschutz, vor allem im Haus- und Heimtierbereich, ein. Als freiberuflich tätige Journalistin und Tier-Fotografin publiziert sie regelmässig Arbeiten zu tierschutzrelevanten Themen in diversen Schweizer und in deutschen Medien. Als Fachexpertin vertritt sie engagiert ihre Anliegen im Bereich artgerechter Tierhaltung und –pflege. Mit der Gründung einer eigenen Stiftung, der Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz, will sich die Zürcherin verstärkt für die Qualität in Tierheimen im In- und Ausland einsetzen. HANS Z‘ROTZ „Meine Haltung, die sich durch langjährige Erfahrung gebildet hat ist, dass Empathie gegenüber dem Tier die Leistung des Tieres fördert. Wenn man das Tierwohl an erster Stelle setzt, zahlt sich dies auch aus.“ Hans Z’Rotz übernahm 1988 den Betrieb für Schweinezucht, Schweinemast und Junghennenaufzucht seines Vaters. Seit 1995 produziert er für das Label Coop-Naturafarm, wozu er vorgängig die damit verbundenen baulichen Massnahmen für BTS (besonders tierfreundliche Stallhaltung) umsetzte. Stetige Weiterbildung in diversen Bereichen rund um seine Tiere und der Tierhaltung (z.B. Homöopathie) ist ihm ein wichtiges Anliegen. PROF. DR. HANNO WÜRBEL „Tierschutz ist als Anliegen ethisch, d.h. vom Menschen her begründet, was Tiere zu ihrem Schutz brauchen, ist hingegen biologisch, d.h. vom Tier her, zu begründen.“ Hanno Würbel hat an der Universität Bern Zoologie mit Schwerpunkt Verhaltensbiologie studiert und an der ETH Zürich mit einer Dissertation über Verhaltensstörungen bei Labormäusen promoviert. Nach Forschungsaufenthalten an verschiedenen Universitäten wurde er 2002 auf die Professur für Tierschutz und Verhaltensbiologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen berufen und wechselte von dort 2011 auf die neu etablierte Professur für Tierschutz an der Universität Bern. Seine Forschungserkenntnisse zur tiergerechten Haltung von Versuchstieren und zur Verbesserung der Aussagekraft von Tierversuchen fanden Eingang in die Tierschutzrichtlinien der EU und der USA und wurden mit namhaften Tierschutz-Forschungspreisen gewürdigt. STEFI DALLA TORRE „Für mich ist es sehr wichtig, das Tier zu respektieren und obwohl ich eine unsachgemässe Behandlung im Sinne einer Vermenschlichung ablehne, spüre ich, dass Tiere Wesen mit arteigenen Bedürfnissen sind.“ Stefi Dalla Torre arbeitet als selbständige Humanphysiotherapeutin in einer Gemeinschaftspraxis in Zürich. Seit über 10 Jahren arbeitet sie als eidgenössisch diplomierte Tierphysiotherapeutin auch mit Pferden und Hunden und ist unter anderem am Tierspital Zürich tätig. Als begeisterte Pferdesportlerin hat sie mehrere Pferde erfolgreich ausgebildet. PROF. DR. CHRISTOPHE BOESCH „Bevor wir nach Unterschieden zwischen Schimpansen und Menschen suchen, sollten wir erst auf Gemeinsamkeiten achten.“ Christophe Boesch ist Professor und einer der Direktoren am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Er schloss 1975 mit einer Arbeit über Berggorillas sein Biologie-Studium in Genf ab. Seit 1979 beobachtet und erforscht der Primatologe zusammen mit seiner Frau Hedwige das Leben der Schimpansen im afrikanischen Urwald. Hinzu kommt sein Engagement bei der von ihm gegründeten Wild Chimpanzee Foundation, die sich den Schutz der Lebensräume der Schimpansen zum Ziel gesetzt hat. KURT AESCHBACHER Kurt Aeschbacher hat nach seinem Studium der Nationalökonomie den Weg in die Medien gefunden. Heute gehört er zu den bekanntesten Gesprächsleitern und Moderatoren. Seit 1981 arbeitet er beim Schweizer Fernsehen und hat seit 2001 seine eigene Talkshow «Aeschbacher». Ausserdem ist er UNICEFBotschafter, Berater und Verwaltungsrat diverser Firmen, im Beirat der Axpo Holding und präsidiert eine grosse Tierschutzstiftung. 3 DAS PROGRAMM 3.1 BEGRÜSSUNG UND EINFÜHRUNG Bernhard Trachsel, Zoologe und Geschäftsleiter von Kompanima, hiess das Publikum zur Veranstaltung willkommen und schilderte in wenigen Sätzen, wie aus einer Idee schliesslich Kompanima, das TierschutzKompetenzzentrum Schweiz, entstanden war. Er stellte seine Mitarbeitenden Dr. med. vet. Kathrin Herzog und Nina Dänzer vor und erwähnte dabei auch den Stiftungsrat der Haldimann-Stiftung, welcher das Projekt überhaupt erst möglich machte. Stiftungsrats - Präsident Dr. Andreas Baumann gab einige Einblicke in die Tätigkeiten der Haldimann-Stiftung und würdigte bei dieser Gelegenheit die Weitsicht der beiden Stifter Iris und Edgar Haldimann. Im Anschluss präsentierte Kathrin Herzog die vielseitigen Ziele von Kompanima (siehe dazu auch www.kompanima.ch), bevor Moderator Kurt Aeschbacher das Zepter übernahm und wie gewohnt professionell und kompetent durch den Vormittag führte. Er stellte alle ReferentInnen vor und führte mit ein paar Einstiegsfragen ins jeweilige Thema. 3.2 REFERATE MARKUS WILD – TIERPHILOSOPH (EINFÜHRUNGSREFERAT ZUR EMPATHIE) Markus Wild erläuterte die Entstehung und Prägung des Begriffs der Empathie und zeigte auch ihre Vielschichtigkeit auf. Diese reicht von der kognitiven Empathie, also dem reinen Erkennen, was ein anderer fühlt und denkt, bis hin zur emotionalen und der besorgten Empathie, dem Akt des Mitfühlens und dem Impuls zu helfen. Manipulation, mangelnde Distanz, aber auch Paternalismus führt er als Schattenseiten und potenzielle Gefahren der Empathie auf. Die kognitive, sehr weitgreifende Empathie mit Tieren entwickeln wir am ehesten, wenn wir eine gemeinsame Praxis mit ihnen aufbauen. Bei Tieren, die uns biologisch und kulturell nahe stehen (z. B. Hunde, Pferde, Affen) sind wir bald geübt darin, einen direkteren Zugang zu Emotionen, Absichten und Wahrnehmung zu haben. Bei Tieren, die uns biologisch und kulturell ferner stehen (z. B. Wespen, Kröten, Forellen) sollten wir uns hüten, den direkten Zugang anzuwenden. Dies kann dazu führen, dass wir falsche oder negative Einstellungen und Vorurteile gegenüber diesen Tieren entwickeln, denn Verhalten ist kein unmittelbarer Ausdruck eines inneren Zustands. Zum Beispiel können Gesichtsausdruck oder Geräusche fehlen wie z.B. bei Fischen. Der direkte Zugang wird hier immer schwieriger. Entsprechend benötigen wir viel mehr Hintergrundwissen und damit einen intellektuelleren und kognitiveren Zugang. Markus Wild griff im Hinblick auf die Komplexität vor allem der emotionalen Empathie auch die Fleischthematik auf. Jeder Mensch weiss, dass ein Grossteil der Fleischproduktion nicht ohne Tierleid und Schädigung des Tieres erfolgen kann, trotzdem essen die meisten Menschen täglich Fleisch. Dass Empathie in unserer Gesellschaft vorhanden ist, streitet keiner ab, jedoch wird sie oft sehr selektiv angewandt und auch leicht mit egoistischen Motivationen verwechselt. Empathie mit Tieren führt nämlich nicht zwingend dazu, dass wir mitfühlen. So löst Empathie beim Anblick von Menschen oder Tieren in Not negative Gefühle in uns aus. Wir versuchen diese möglichst schnell wieder loszuwerden oder sie ganz zu vermeiden. Dies gelingt am besten, wenn wir die Leidenden gar nicht erst sehen. Das hat aber nichts mehr mit Mitfühlen zu tun, sondern mit dem Versuch sich selber wohler zu fühlen. An dieser Stelle ging Markus Wild noch einmal auf ein Zitat von Sigmund Freud ein: „Ein Erzieher kann nur sein, wer sich in das kindliche Seelenleben einfühlen kann, und wir Erwachsenen verstehen die Kinder nicht, weil wir unsere eigene Kindheit nicht mehr verstehen. Unsere Kindheitsamnesie ist ein Beweis dafür, wie sehr wir ihr entfremdet sind.“ Empathie im Sinne von Mitgefühl empfinden zu können ist also nur dann möglich, wenn wir auch eine Beziehung zu unseren eigenen Gefühlen pflegen. Wer von seinen eigenen Emotionen abgeschnitten ist, dem wird es sehr schlecht gelingen, diese auf Andere zu übertragen. Wir müssen fähig sein, uns selbst in verletzlichen Situationen vorzustellen. Dann ist es möglich, Empathie für andere Wesen zu entwickeln und dies aus anderen Gründen als nur mit der Absicht, ein schlechtes Gefühl vermeiden zu wollen. SUSY UTZINGER – TIERSCHÜTZERIN Susy Utzinger zeigte anhand diverser Beispiele auf, dass Empathie ein ständiger Begleiter in der Tierschutzarbeit darstellt. Jedoch ist sie nicht nur förderlich. Im Gegenteil, unprofessionelle und egoistisch ausgelebte Empathie ohne kompetente, fachliche Umsetzung löst oft noch mehr Tierleid aus, anstatt es zu mindern. So werden an Touristenorten im Ausland immer wieder Hunde und Katzen gefüttert, die sich so viel zu schnell vermehren. Nach der Touristensaison sind die hungernden Tiere für die Einheimischen eine Plage und werden dann erschossen, vergiftet und vergast. Empathie im Fall des Tierschutzes ist meist mitgefühlter Schmerz, der selbstverständlich das Bedürfnis nach schneller Schmerzausschaltung zur Folge hat. Es ist Empathie, die Menschen dazu bringt, leidenden Tieren zu helfen. Es ist aber ganz sicher Egoismus und falsch verstandene Tierliebe, wenn etwa in einer Auffangstation so viele Tiere aufgenommen werden, dass in der Folge das Wohl der Tiere nicht mehr gewährleistet werden kann. Es wird nicht mehr darauf geachtet, ob genügend Futter, Wasser oder veterinär-medizinische Versorgung vorhanden sind. Es ist dann reine Selbstbefriedigung, die Tiere um sich zu haben, sie zu pflegen und zu streicheln. So wird die Schweiz jährlich von Hunden, die aus dem Ausland importiert werden, überschwemmt. Die Tiere wurden auf der Strasse aufgelesen, übers Internet bestellt oder auf einem Markt aus Mitleid gekauft. Die Vierbeiner sind dann mit ihrer Situation überfordert, nicht sozialisiert und können so den Ansprüchen und Vorstellungen ihrer neuen Besitzer nicht gerecht werden. So müssen sie schliesslich oft nach langer Odyssee eingeschläfert werden. „Wer sich ernsthaft mit der Lösung von Tierschutzproblemen befasst, überspringt den ersten Reflex nach sofortiger Schmerzausschaltung und demzufolge auch nach Selbstbefriedigung“, so Susy Utzinger, „man nimmt einen Moment lang den Schmerz in Kauf und befasst sich damit, die Probleme nachhaltig zu lösen.“ Das Fazit: Empathie macht ohne Verantwortungsbewusstsein, Intelligenz und Fachwissen für die Arbeit im Tierschutz keinen Sinn. Einem Tier wird durch gut geplante und nachhaltige Massnahmen geholfen, nicht durch unüberlegte, rein empathisch getriebene Handlungen. HANS Z’ROTZ – SCHWEINE- UND GEFLÜGELHALTER Hans Z’Rotz stellte dem Publikum als erstes seinen Mastbetrieb in der Innerschweiz vor, in welchem er Schweine sowohl züchtet als auch mästet. Seit er für das Label Coop Naturafarm produziert, ist auf seinem Betrieb einiges anders geworden. Nicht nur Ställe und Einrichtungen waren an die erhöhten Anforderungen bei der Labelproduktion anzupassen, sondern es hat sich vor allem auch seine Einstellung zu den Tieren verändert. Durch die Reduktion auf einen Teilbereich der landwirtschaftlichen Produktion konnte Hans Z’Rotz zudem Zeit gewinnen. Diese investiert er heute hauptsächlich in die aufwändigere Pflege und Betreuung seiner Tiere. Durch genaues Beobachten der Tiere auch hinsichtlich ihrer Gesundheit kann er Verletzungen und Erkrankungen frühzeitig erkennen und dadurch auch den Einsatz von Antibiotika stark reduzieren. Hans Z'Rotz setzt in seinem Betrieb auch komplementärmedizinische Verfahren wie die Homöopathie ein und verfeinert die Behandlungen aufgrund seiner Erfahrungen ständig. Durch das Bewusstsein, dass den meisten Tieren in seinem Betrieb nur ein unnatürlich kurzes Leben beschieden ist, legt Hans Z‘Rotz umso mehr Wert auf ihr Wohlbefinden. Beispielsweise hat er für die Schweineställe ein Wasseraufbereitungs- und Tränkesystem ausgetüftelt, welches den Tieren das Wasser ganzjährig in der biologisch adäquaten Temperatur zur Verfügung stellt. Hans Z'Rotz betonte auch, dass er mit seinen Tieren eine Art Freundschaft pflegt, mit ihnen regelmässig spricht und für ihn der Zuchteber der Boss im Stall sei. HANNO WÜRBEL – TIERSCHUTZPROFESSOR Hanno Würbel ging in seinem Referat der Frage nach, warum wir Menschen überhaupt das Bedürfnis haben, Tiere zu schützen und welche Mechanismen dazu führen, dass bei uns Mitgefühl entsteht? Schaut man in die Geschichte, so findet man weltweit in allen Zeiten und Kulturen immer wieder in irgendeiner Form die Rücksichtnahme des Menschen gegenüber dem Tier. Irgendwo scheint dieses Bedürfnis also in uns zu sein. Es ist ein stark verankertes, menschliches Verhalten. Aber wieso zeigt der Mensch Mitgefühl mit einem getöteten Wildschwein, jedoch aber nicht mit dem geernteten Kopfsalat? Beides sind Lebewesen und beide enden als menschliche Nahrung. Und beide konnten bis zu ihrem Tod ihrer natürlichen Bestimmung in der freien Natur nachgehen. Geht man davon aus, dass das Wildschwein durch einen präzisen Schuss schmerzlos und schnell gestorben ist und der Kopfsalat als Pflanze keine Schmerzen empfinden kann, so besteht aus ethischer Sicht kein Unterschied. Warum aber ist es für die meisten Menschen schlimmer, das Bild eines getöteten Wildschweins zu sehen, als das eines geernteten Kopfsalats? Dies hat sehr viel damit zu tun, dass der Mensch für Tiere Mitgefühl empfinden kann, weniger aber für Pflanzen. Aus der Forschung ist bekannt, dass Mitgefühl aus der Entwicklung des Menschen als soziales Lebewesen entstanden ist. Es erfüllt in unserem sozialen Leben eine wichtige Funktion. So macht Mitgefühl aus biologischer Sicht Sinn, etwa wenn eine Mutter mit ihrem bedrohten oder leidenden Kind Mitgefühl empfindet und sich daher besser darum kümmert. Das Entscheidende ist deshalb, dass wir uns diesem Gefühl nicht entziehen können. Unser Mitgefühl für Tiere hat sich nicht separat entwickelt. Es ist das gleiche Mitgefühl, welches wir gegenüber Menschen empfinden. Es ist also ein psychologischer Nebeneffekt von dem, was in unserer menschlichen Gesellschaft entstanden ist. So ist auch wissenschaftlich untersucht worden, dass es bestimmte Formen und Gesichtsproportionen gibt, die in besonderem Masse als Stimulus auf uns wirken und so auch im Zusammenhang mit Mitgefühl eine Emotion hervorrufen. Berühmtes und bekanntestes Beispiel ist das Kindchenschema. Doch Mitgefühl ist unzuverlässig. Gerade anatomische Merkmale können unser Mitgefühl täuschen. Ein grinsender Delphin muss nicht unbedingt glücklich sein. Das anatomische Erscheinungsbild muss nicht mit dem inneren Empfinden des Tieres übereinstimmen. Wir Menschen sind darauf geeicht, auf Signale aus der menschlichen Sprache zu reagieren, nicht aber auf die Signale der Tiere, welche wir oft nicht verstehen können. Auch ist Mitgefühl häufig ungerecht. Ein junger Hund, der dem Kindchenschema entspricht, lässt uns schneller und stärker Mitgefühl empfinden, als ein Lebewesen, das uns in viel geringerem Masse oder eben gar nicht ähnlich ist. Empathie ist zwar ein starker und wichtiger Antrieb für den Schutz der Tiere. Denn ohne Mitgefühl für Tiere, ohne emotionale Betroffenheit durch positive wie negative Tierbilder und -geschichten, ohne konkretes Mit-Leiden mit leidenden Tieren, wäre Tierschutz nicht das Thema, das es heute ist. Tierschutz aus Mitleid aber schützt nicht - oder nicht nur - die Tiere, sondern vor allem uns Menschen vor dem MitLeiden. Damit der Schutz auch wirklich bei den Tieren ankommt, müssen wir unser Mitgefühl richtig kanalisieren und die Biologie der Tiere kennen. So können wir Tierschutz vom Tier her begründen und nicht von uns Menschen her. STEFI DALLA TORRE – PFERDESPORTLERIN UND (TIER)PHYSIOTHERAPEUTIN Stefi Dalla Torre erzählte den Anwesenden von ihrem Pferd, welches sie Geduld und Empathie lernte. In ihrer Arbeit mit Pferden ist es ihr sehr wichtig, dass dem Wohl des Tieres Rechnung getragen wird. Eine artgerechte Haltung und ein liebevoller Umgang mit dem Tier im Training ist ihr ein grosses Anliegen. Auch die erfolgreichsten Sportpferde sollten ihrer Meinung nach besser für Alltagssituationen trainiert werden. „Oft sind wunderschöne Anlagen, Reithallen und grosse Boxen vorhanden, aber trotzdem benehmen sich die Pferde manchmal so, wie wenn sie auf der Flucht wären“ berichtet Stefi Dalla Torre aus ihrem Alltag. Weil die Besitzer Angst vor Verletzungen haben, gibt es für die Pferde oft nur eine begrenzte Anzahl bekannter und meist reizarmer Orte, wo sie sich aufhalten. Sie dürfen in die Führanlage, in den Paddock oder auch mal an der Hand eine Zeit lang grasen. Werden solche Pferde nun aus ihrer gewohnten Umgebung genommen, ist Unbehagen und Stress oft schnell im Spiel. In ihrer Arbeit als Physiotherapeutin fällt Stefi Dalla Torre dies z.B. dann auf, wenn ein Pferd nur in der Halle oder an der Longe vortraben kann, der Gang über den Hofplatz in gelassener Haltung jedoch nicht möglich ist. An Turnieren müssen diese Pferde trotz relativ reizarmem Alltag dann plötzlich mit sehr vielen ungewohnten Einflüssen klar kommen. Würde man diese Aspekte mit gleich viel Engagement angehen wie die rein reittechnischen Bereiche, so wäre es durchaus möglich, diesen Pferden einen besseren, stressfreieren Umgang mit Transporten, Auftritten im Parcours und dem alltäglichen Handling zu lernen. Dies sollte das Ziel eines jeden Reiters sein, unabhängig vom Erfolg oder dem Wert des Pferdes. CHRISTOPHE BOESCH – SCHIMPANSENFORSCHER Christophe Boesch entführte das Publikum in eine spannende Welt der Primatenfamilien in seinen Forschungsgebieten in Westafrika. Er startete sein Referat mit der Frage, ob wir Menschen denn wirklich die einzigen seien, die Empathie empfinden können? In der klassischen Ansicht des Menschen heben wir uns von den Tieren ab durch unsere Fähigkeit zur Kooperation, Empathie und zu altruistischem Verhalten. Doch ist es tatsächlich so, dass uns diese Eigenschaften einmalig machen? Dieser Frage geht die Wissenschaft immer wieder nach und versucht vor allem auch durch die Erforschung der uns nahe verwandten Schimpansen herauszufinden, ob sie diese Fähigkeiten ebenfalls besitzen. Die meisten Forschungsergebnisse sprechen dagegen. Aber Chistophe Boesch bemängelt hierzu, dass die meisten dieser Forschungsprojekte mit Schimpansen in Gefangenschaft durchgeführt werden. Seine langjährigen Beobachtungen freilebender Tiere liefern andere Ergebnisse. Wo die Tiere in Gefangenschaft nur selten Verhalten von Kooperation, Teilen von Futter oder von gegenseitiger Hilfe zeigen, kommt dies bei ihren in Freiheit lebenden Artgenossen hingegen sehr oft vor. Ein Beispiel für empathisches Verhalten bei Schimpansen ist die Adoption verwaister Schimpansenkinder durch adulte Gruppenmitglieder. Sogar die ranghöchsten Männchen nehmen sich der Kinder an, wenn ihre Mütter sterben. Illustriert mit einigen Fotos schilderte Christophe Boesch, wie Viktor, ein stolzes Schimpansenmännchen, ein verwaistes Schimpansenkleinkind adoptiert, sein Futter mit ihm teilt und es auf seinem Rücken trägt. Genauso, wie es seine Mutter getan hätte. Empathie ist eine wichtige Grundfähigkeit, um ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Daraus entsteht auch Kultur. Auch dies ein Begriff, den wir Menschen nur uns selbst zuschreiben. Christophe Boesch zeigte anhand verschiedener Beispiele auf, dass sich auch bei freilebenden Schimpansen und Makaken unterschiedliche Kulturen entwickelt haben. Die gruppeneigenen Kulturen entstehen durch Nachahmung innerhalb der Gruppe. Einige Verhaltensweisen werden ähnlich ausgeführt, mit nur kleinen Abweichungen, andere wiederum erhalten in einer zweiten Gruppe eine völlig andere Bedeutung. So ernähren sich verschiedene Schimpansengruppen von der gleichen Ameisenart, die Technik jedoch, wie sie an diese herankommen, variiert von Gruppe zu Gruppe. Das Forscherteam von Christophe Boesch konnte beobachten, dass den gleichen Verhaltensweisen zur Kommunikation untereinander in verschiedenen Gruppen unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden. Ein Verhalten fordert in der einen Gruppe zur Fortpflanzung auf, während es bei einer zweiten Gruppe ein Spiel initiiert und bei einer dritten als Drohgebärde dient. So wird identisches Verhalten in unterschiedlichem Kontext angewandt, was in jeder Gruppe zu einer kultureigenen Verständigung untereinander führt. Christophe Boesch schloss sein Referat mit der Feststellung, dass wir noch viel zu wenig über unsere nächsten Verwandten wissen. Der Vergleich zwischen hunderten menschlichen Kulturen mit nur gerade 10 Schimpansenpopulationen weltweit lässt keine richtigen Schlüsse zu. Wir unterschätzen diese Spezies enorm. Und da Forschungsergebnisse mit gefangenen Tieren nicht repräsentativ sind, die Population freilebender Tiere aber massiv abnimmt, ist es fraglich, ob uns die Zeit bleibt, noch mehr über diese faszinierenden Tiere zu lernen. 3.3 PODIUMSDISKUSSION In der abschliessenden Podiumsdiskussion griff Moderator Kurt Aeschbacher diverse Themen aus den Referaten auf, um sie zu vertiefen. So warf er die Frage in die Referentenrunde, ob Empathie im Tierschutz gar eine Wohlstandsdiskussion sei. Alle waren sich einig, dass eine Gesellschaft einen bestimmten Grad an Wohlstand benötigt, damit sie sich überhaupt solchen Fragen wie dem Tierschutz zuwenden kann und will. Denn es ist vor allem die Tatsache, dass es unserer westlichen Gesellschaft so gut geht, wir gesund und reich sind und immer älter werden, die einen anderen Umgang mit Ressourcen und eine komplexere Fragestellung überhaupt erst zulässt. „Das heisst also“, fügte Hanno Würbel hinzu, "dass wenn man die Situation der Tiere in Afrika, Asien oder Südamerika verbessern möchte, man besser in Bildung und Wohlstand der Menschen investiert, anstatt diesen Menschen vorzuschreiben, sie sollen ihre Tiere besser halten. Dies wäre wohl die nachhaltigere Lösung!“ Die Frage aus dem Publikum, warum sich wohl viel mehr Frauen als Männer im Tierschutz engagieren würden und ob dies bedeute, dass Frauen im Allgemeinen empathischer seien als Männer, wurde sowohl aus biologischer (Mutterinstinkt), sowie auch aus kultureller Sicht beantwortet. „In unserer Gesellschaft ist die Trennung von Vernunft und Rationalität auf der einen und Gefühlen auf der anderen Seite auch eine Trennung zwischen Mann und Frau“, meinte Markus Wild. „Mit Tieren lieb umzugehen wird in die Gefühlsecke gesteckt und ist deshalb etwas für Frauen. Als Mann wird man komisch angeschaut, wenn man sich als Tierfreund oder gar als Vegetarier outet.“ Auch Susy Utzinger begegnet dieser Problematik immer wieder: „Viele Männer haben Berührungsängste, weil die Arbeit im Tierschutz oft in die „Jö-Ecke“ gedrängt wird. Merken Sie jedoch, dass eine Tierschutzorganisation die Projekte professionell und nachhaltig aufbaut, so verlieren sie diese Ängste recht schnell.“ Für Susy Utzinger ist klar, dass die emotionale Komponente bei der Arbeit im Tierschutz in keinem Gegensatz dazu stehen muss, trotzdem rational und überlegt handeln zu können. Darüber, dass gerade für eine professionelle Tierschutzarbeit fundiertes biologisches und ethologisches Wissen nötig ist, waren sich alle Referenten einig. Die Aussage aus dem Referat von Hanno Würbel, der Empathie als unzuverlässigen und oft auch ungerechten Begleiter beschreibt, wurde ebenfalls diskutiert. Hanno Würbel führte noch einmal aus, dass alle Tierschutzorganisationen, aber letztlich auch die Behörden, die das Tierschutzgesetz umsetzen müssen, davon profitieren, dass Tierschutz ein Thema von öffentlichem Interesse ist: „Dies wird natürlich befördert durch die Empathie, die in uns ausgelöst werden kann, indem man gewisse Tierschicksale in den Vordergrund stellt. In der täglichen Arbeit aber, dort wo es darum geht, wie wir uns den Tieren gegenüber verhalten, so dass es wirklich bei den Tieren ankommt und nicht bei uns steckenbleibt, dort ist Empathie eher ein Hindernis.“ Christophe Boesch wies auf den Aspekt hin, dass empathisches Verhalten unter Menschen die Voraussetzung dafür sei, diese auch auf andere Lebewesen übertragen zu können. Er ist jedoch der Meinung, dass es der heutigen Menschheit an Empathie mangelt: „Wenn in grossen Teilen der Welt nicht einmal die Menschenrechte eingehalten werden, wird es schwierig für die Rechte der Tiere“. Markus Wild ergänzte, dass schon Nietzsche die problematische Seite des Mitleids erkannte: „Es kann passieren, dass mit Mitleid das Leid vermehrt wird, anstatt es zu lindern. Vor allem dann, wenn die Empathie mit egoistischen Motiven verbunden ist wie ich möchte einen Lohn oder eine Befriedigung haben oder ich möchte ein unangenehmes Gefühl loswerden. Um jedoch effektiv helfen und etwas sinnvoll umsetzen zu können, muss ein Mensch das Leid tragen können! Dafür muss Empathie aber stärker mit altruistischen Motivationen verbunden sein. Und da gebe ich Christophe Boesch recht, davon gibt es zu wenig, wie es vielleicht von egoistischer Empathie zu viel gibt“. Mit diesen Worten von Markus Wild schloss Kurt Aeschbacher die Diskussion und wandte sich zur Verabschiedung ans Publikum: „Viele Fragen wurden an diesem Morgen gestellt, aber viele davon kann weder die Philosophie noch die Wissenschaft abschliessend beantworten. Es ist die Verantwortung jedes Einzelnen, sich immer erneut mit solchen Themenfragen zu beschäftigen und für sich Antworten zu finden.“ Kurt Aeschbacher bedankte sich bei den Referenten und dem Publikum. Abschliessend resümierte Bernhard Trachsel die Veranstaltung aus seiner Sicht, dankte allen Beteiligten für ihr Engagement und entliess zum wohlverdienten Apéro.