Der magische Klang Jodeln kommt von Johlen

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Der magische Klang
Altere Bilder stellen Jodler dar, die das eine Ohr mit dem Zeigfinger zustopfen. Diese typische
Haltung erlaubt es dem Jodler, die eigene Stimme von innen zu horen. 5ie wird als magischer
Klang bezeichnet.
Zauberhaft Hint auch die Oberlieferte Ursprungsgeschichte des Jodelns:
Ein junger Senne darf sich von dre! unheimlichen Fremden ein Geschenk wahlen. Kraft und Vieh
bietet der Rote Riese an. Mit Gold und dem schonsten Madchen loch der Grune Jager. Aber der
Bursche erbittet sich yom blassen Dritten nicht mehr und nicht weniger als die Beaabuna zum
Jodeln.
Jodeln kommt von Johlen
Johlen bedeutet: aus Freude laut singen und ist dem Wort. (Jubelrufe der Hirten) wurden im Jahr 397 in den (Nonsberger Martyrerberichtem erwiihnt. Emanuel Schikaneder, Wolfgang Amadeus Mozarts librettist, verwendete das Wort jodeln im ,Der Tiroler Wastl> von 1795. Diese iilteste bekannte Verwendung des Beariffes lau­
tet: «5ie (die Tiroler) jodeln und singen und tun sich bray um.»
Der deutsche Dichter Clemens Brentano schrieb 1817: "Der Tiroler zag hintendrein und jadeite
aus der Fistel.»
Von herumreisellden Tirolern berichtete 1828 auch Goethe: «Es sind wieder Tiroler hier. Ich will
mir doch jene Liedchen vorsingen lassen, obgleich ich das beliebte Jodeln nur im Freyen ertrag­
lich linde.»
Das Wort jodeln lasst sich erst am Ende des 18. Jahrhunderts nachweisen. Die Jodelpraxis sei­
ber ist aber alter.
1751 wurde ein Hirte aus der Schweiz in die Pariser Opera gefUhrt. Ais er die Triller der Kastra­
ten horte, vergass er sich, «steckte die Finger in die Ohren und stimmte den Kuhreihen an. Der
grosse ludWig und sein Hof erstaunten Ober das Wirbeln und Krauseln» (Helvetischer Calender
fUrs Jahr 1780, Zurich).
Gabriel Lory pere, Appenzeller Ruguser Titelblatt aus: ,Sammiuna von Schweizer-KOhreihen und Volksliederm, Bern 1826. Dieses Kunstlied im Volkston zur Klavier- oder Gitarrenbegleitung konnte erst als vereinfachte
Jauchzer
Chorfassung zum allgemein beliebten Volkslied werden.
Der Juchzer, Jutz (Jauchzer), ein textloser, atonaler Schrei in der hochsten lage der menschli­
chen Stimme klingt schrill und durchdringend. Er wird meistens abwarts in einem einzigen Alter Naturjodel mit Chorbegleitung
Atemzug gesungen und ist somit kurz. Der Jauchzer wird als Signal- zum Beispiel vor dem Batt­
Der Naturjodel besteht bloss aus bedeutungslosen Silben. «Daher sieht man bei diesem
ruet (gesungenes Abendgebet katholischer Alpler der deutschen Schweiz) - oder als Zeichen gar keine oder nur geringe Bewegung der Kinnladen und ihrer Muskeln., stellte der
Oberschaumender lebenslust eines Berglers ausgestossen. Gottfried Ebel 1798 fest.
Freudenschreie sind schon im Alten Testament dokumentiert. 1m 20. Psalm heisst es: «Dann Der einstimmige Naturjodel, ein Arbeitslied der Alphirten, kommt noch vereinzelt im Muotatal,
wir ob deinem Siege und
unseres Gottes Namen.»
Kt. Schwyz, vor. 1m geselligen Kreis wird der solistische Naturjodel chorisch begleitet, wie es
sich im Muotatal und im Appenzellerland beobachten lass!.
Lockrufe
«Auf den Alpen werden die Kuhe durch den Gesang des Sennen zusammengerufen. Sein lock­
In Innerrhoden heisst der mehrstimmige Naturjodel Ruggusse/i, ein
bezeugt ist. In Ausserrhoden nennt man den etwas ruhigeren mehr,timmin~n ~bt"';Artol
gesang fur KOhe ist verschieden von dem fur Schafe und Schweine», beobachtete Johann Gott­
1874 lauer/i. Die Appenzeller bezeichnen die chorische Ronloit"nn
fried Ebel1798 im Appenzellerland. Der Leipziger Arzt notierte in <Schilderung der Gebirgsvol­
hohen Tonen als Gradhebe
ker der Schweiz> zudem einen Ruguser (oder locker). In Lock/em kommt oft das so genannte
Alphorn-Fa vor. Dieser Ton zwischen Fis und F klingt fUr unsere, ans temperierte Tonsystem
na,,,nhnton Ohren falsch und weist auf das hohe Alter einer Melodie hin.
Das Jodellied im 19. Jahrhundert
Von 1799-1805 notierte Gottlieb Jakob Kuhn (1775-1849) iVolkslieder aus dem Mund des
Volkes). Er sammelte diese Strophentexte aber nicht in ethnnologischer Absicht, sondern, um
sich im so genannten Volkston zu schulen. 1818 erschienen
Mundartgedichte des Dich­
ter-Pfarrers in Vertonungen von Ferdinand Furchtegott Huber (1791-1863). Dieser Komponist
aus St. Gallen wirkte von 1816-1824 als Musikehrer in Hofwil, Kt. Bern. Auf Wanderungen im
Berner Oberland schrieb er Alphornweisen, Volkslieder und Tilnze als Vorbilder fUr seine eige­
nen Werke auf.
Geschult an Jauchzern, Kuhreihen, Volksliedern und am Tiroler lodel schufen Gottlieb lakob
Kuhn und Ferdinand Furchtegott Huber 1818 das erste schweizerische lodellied: <Der Ustig
wott (ho>.
«Plotzlich begann einer. Er sang nur einen einzigen Ton, stark und langangehalten, ein
Zweiter fiel tiefer ein, und beide sangen nun langgezogene Tone in choralahnlichen Fol­
gen und Akkorden, eine einfache Urmusik, ergreifend schwermutig. Ein Dritter fiel ein,
und die anderen stiessen in ungleichen Zwischenraumen seltsame lodler aus - kurze,
raubvogelartige, Gberraschende und aufregende Schreie. Die Stimmen, an Berghohen
und unendliche Raume gewohnt, klangen machtvoll beherrschend. und das Ganze mit
seiner Schwermut und naiven Klage mutete mich an, als habe dieses frohliche und kraft­
volle Volk ein instinktives BedGrfnis, zu Zeiten in ahnunasvollen Tonen den verboraenen
dunklen Lebensmachten zu
Hermann Hesse
Am 31. Dezember oder am allen Silvester (13. Januar) ziehen in Urnasch, Kt. Appenzell Aus­
serrhoden, kleine Gruppen von Klausen von Haus zu Haus, um ein gutes neues Jahr zu wun­
schen und ein hinter den Masken urtlimlich klinqendes Zauerli zu singen.
Alter Naturjodel mit Instrumentalbegleitung
1m Santisgebiet wird der mehr5timmige Naturjodel oft mit Schellen oder Talerschwingen
tet. Das 50 genannte Schil/leschiitte hat 51ch aus einer seit 1826 dokumentierten Schutzmass­
nahme bei der Alpfahrt ergeben. Bei aufsteigendem Weg werden die drei Schellen der LeitkGhe
abgeschnallt und von zwei Hirten getragen. Der eine Mann buckelt zwei Schellen an einem
eigens mitgebrachten Jochstecken, der andere hat an 5einem Stab nur eine Schelle angehangt.
Aus diesem unbewussten hat sich das bewusste Schellenschutteln entwickelt.
Dabei stehen sich zwei Manner gegenuber. Der eine tragt die grosse und die mittlere Schelle an
den Unlerarmen, der andere die kleine am einen Arm. Durch Hin- und Herbewegungen erklingt
ein rhythmisches Geliiute.
Auch das Talerschwinge ist eine Bordunbegleitung, die also immer gleich hoch klingt. Dabei
wird ein Fiinffrankenstuck in ein konisches Milchbecken, das der Spieler auf der Hand halt,
Durch leichle Drehbewegungen des Unterarms kreist das Geldstuck dem Rand ent­
lang und bringt das Geschirr durch Reibung zum Klingen. Diese ausschliesslich in der Ost­
schweiz meistens mit drei unterschiedlich grossen und sam it unterschiedlich hoch
Talerbecken geGbte Praxis ist erst seit dem fruhen 20. Jahrhundert bekannt.
Zauerli und Ruggusseli werden auch auf die Musikinstrumente der Original Appenzeller Streich­
musik (2 Violinen, Violoncello, Kontrabass, Hackbrett) und in der experimenteilen Appenzeller
Musik verarbeitet.
Gabriel Lory fils, Lithographie aus:
liederm, Bern 1826.
von Schweizer-Kuhreihen und Volks­
Komponierter Naturjodel
Nach der Grlindung des Eidgenossischen lodlerverbandes, 1910, entstanden zahlreiche lodel­
kompositionen, var allem lodellieder, Volksliedstrophen mit lodelrefrains, und von 1920 an
auch die ersten komponierten Naturjodel.
Der komponierte lasst sich vom mundlich iiberlieferten Naturjodel an einem ausseren Merkmal
erkennen: Die bedeutungslosen Silben weisen beim alten lodel nur vereinzelte, beim neuen
aber mehrere Kansonanten auf. lakob Ummel (1895-1992) natierte vorerst traditionelle, spa­
ter seiber komponierte Naturjodel.
Als Meister des Lel"l.mnnniartan mahrdimm
aber Adalf Stahli (1925-1999)
aus Oberhofen am Thunsersee. «1m Naturjutz bin i ganz 1m Element)}, erklarte der Alphirten­
sohn, «i gspOre dert der slcher Bode under mer, e Bode, won I mer abe dOr my Harkunft
ha. Eneue Jutz im Stiigriif z harmonisiere mit myne Wt 1m Klub, das isch fUr ml ds
Schi5nste» Durch Adolf Stahli hat der Naturjodel einen festen Platz in den Programmen der
lodelklubs erhalten.
Das neue Jodellied
Weil die neu errichteten Talkasereien viele Sennen urn ihre Arbeit und um ihre Kultur _
hatten, wurden iiberlielerte Kuhreihen und Volkslieder im 19. lahrhundert gegen Geld fUr Tou­
risten gesungen. Sammler wie Heinrich Szadrowski, Alfred Tobler, Allred Leonz Gassmann und
Sichardt zeichneten traditionelle Jodel auf.
Die Jodellieder des 19. lahrhunderts, Kunstlieder mit Klavier- oder Gitarrenbegleitung, waren
fUr die allgemeine Bev61kerung zu anspruchsvoll. Amateursangerinnen und -sanger fanden den
Zugang zur Musik in Gesangsvereinen. Dort erklangen die ersten lodellieder vereinzelt in ver­
einlachten Chorsatzen.
Oskar Friedrich Schmalz (1881-1960) aber schul das neue lodellied, indem er alte und nach
und nach auch neue Volkslieder mit Jodelrefrains und Jodelbegleitungen erganzte. In Zusam­
menarbeit mit lohann Rudoll Krenger (1854-1925) und mit seiner Frau Hedv Schmalz-Maurer
(1895-1976) gab der lodlervater von 1913 bis 1931 in sieben Heften unler dem Titel <BIOs im Barner/and> zahlreiche lodellieder heraus, die noch heute gesungen werden. Er bezweckte mit diesen Editionen, «dem in allen Talern heimischen Tirolerlied eine Anzahl von hiesigen lodelliedern entgegenzusetzen». Jodel-Duett und -Terzett
1924 wurde die erste gemischte Jodlergruppe
Seit jenem lahr durfen auch Jodlerinnen Mitglied des EN werden.
Das erste lodel-Duett trat 1933 an einem Eidgeniissischen Jodlerfest auf. Das Jodel-Duett Vreni
Kneubuhl (1920-2007) und Jakob Ummel (1895-1992) war besonders beliebt. Vreni gewann
die Herzen schon 1939, als die Neunzehnjahrige zur ersten Soldatenweihnacht am Radio sang.
Am ersten von 61 Jodlerfesten, die Vreni KneubOhl aktiv mitmachte, lernte sie 1943 den 5010­
jodler Jakob Ummel kennen. Das Duo KneubOhl·Ummel war zwar selten 6ffentlich, dafiir von
1945 an mit uber hundert lodel-Duetten auf Schallplatten zu horen.
1969 gab der Seelander Ernst Sommer das erste von drei Helten mit lodel-Duetten unter dem
Titel <letz wei mer no chli singe> heraus. Heidi und Ernst Sommer haben das seit 1947 an Wett­
erlaubte lodel-Duett mit Schwyzerorgeli-Begleitung besonders 1958 wurde erstmals an einem ~;rlnpni\«krhpn Das geistliche Jodellied
Das Jodellied hat sich vom Solo- zum Klublied, vom rein vokalen zum handharmonikabegleite­
ten Vortrag entlaltet, aber inhaltlich und harmonisch ist es bis in die 1970er-lahre weitgehend
gleich geblieben. Danach aber wurde der Themenkreis Natur, Mensch, Heimat mit dem geistli­
chen lodellied erweitert. lost Marty (1920-1988) schrieb 1971 die erste Jodel-Messe.
ten Heinz Willisegger, DOif Mettler, Thomas Wieland und Peter Roth.
Valottis dodlerkantate) (1989-91) verlangt neben der Kirchenorgel Schellen und Talerbe­
cken, Peter Roths ,5t. Johanner Wienacht) Klarinette, Violine und Hackbrett als
mente. Liturgisch aulgelOhrte Jodelmessen entsprechen einem inneren Bedurlnis vieler Katho­
liken, aber das geistliche Jodellied, wie zum Beispiel Ruedi Rengglis Vertonung des Vaterunser, hat auch in der evangelisch-relormierten Kirche seinen Platz In der Kirchenmusik haben Naturjodel und Jodellied einen Sinnwandel erlahren.
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Das rnoderne ]odellied
ditionellen Programms wenig Erlolg. Noch 1988 sagte Adoll Stahli: «Der Thematik im Jodellied sind keine Grenzen gesetzt. Ober einen Mondllug oder einen Schwangerschaftsabbruch sollte kein Jodellied geschrieben werden.» Schon die ersten Jodellieder, wie Gottlieb Jakob Kuhns <Uf de Barge isch guet labe) von 1818, beschonigten das harte Alplerleben. Das lodellied stellt eine alpine Welt, die es derart ideali­
siert nie gegeben hat, dar und damit eine Ersatzwelt. Sie gilt auch flir heutige Stadtjodler als Lebenshilfe und erholsamen Freiraum (dodeln ist fUr mich wie Yoaa») und hat ihre unbestrit­
tene Daseinsberechtigung. Selt seiner Entstehung 1818 hat sich das Jodellied vom klavlerbegleiteten Kunstlled zum
Klublied mit Jodel-Solo, vom neuen Jodellied Uber Jodel-Duett, -Terzett und -Quartet! mit
Handharmonikabegleitung bis zum geistlichen Jodellied mit traditionellen Musikinstrumenten
entwickelt.
Das experirnentelle ]odellied
Der Entlebucher Solojodler, Dirigent und Komponist Franz Stadelmann (geb. 1942) versuchte
Die stadtbernische Schauspielerin und Jodlerin Christine Lauterburg macht sich aber nichts vor. 1972 die Thematik der meisten Jodellieder, Heimat und Natur, mit dem Jodellied ,Zum Umwo/t­
Sie hat 1991 dem alten Oberhasler KGhreihen (Hie abe, ho lobe> von 1805 einen zeitgemassen schutz> zu durchbrechen. Auch andere Textdichter wie Beat Jaggi und Komponisten wie Marie­
und flir sie stimmenden Text unterlegt «Hie unde ar Aare, da We si geng fahre, geng Lascht­
Theres von Gunten u.a. hatten mit harmonisch modernisierten Jodelliedern ausserhalb des trawage fahre» und singt ihn zusammen mit Schwyzerorgeli und Buchel (trompetenahnlich gewundenes Christine Lauterburg singt seither traditionelle Naturjodel, mit Silben unterlegte instrumentale Tanze und lodellieder zu Techno- und anderer Begleitung und belebt mit ihren Bearbeitungen und den Arrangements ihrer Musiker Oberlieferte Melodien. Die Glarnerin Betty Legler hat die Jodeltradition mit neuen, zum Tell englisch gesungenen Lie­
dern erweitert, und die geburtige Innerschweizerin Nadja Rass ist mit ihrer schonen, nell geschulten Stimme in der Lage, jeden schweizerischen Jodelstil abzurufen und die Jodel­
arten zu einem neuen Kunstwerk zu kombinieren. Zu ihren schweizerischen Wurzeln hat die in San Francisco geborene und aufgewachsene Wal­
liserin Erika Stucky gelunden, ist sie doch in Pop, Blues und psychodelischer Musik ebenso bewandert wie 1m Jodelgesang. In Ihrer Produktion <Suicidal yodels) von 2007 mischt sie diese Gattungen unbekOmmert zu einem zeitgemassen Crossover. Mit dem Titel Das Jode/-Duo Vreni Kneubuhl
knupft die Amerikaschweizerin an die alpinen Segens- und Schutzgebete ihrer Heimat an. und Jakob Ummel um 7948.
Brigitte Bachmann-Geiser
I
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