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Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Michael Kösling
Sonntag Reminiscere, 21. Februar 2016, 10 Uhr
Predigt über Römer 5, 1-5
Die Gnade unserer Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei
mit euch allen.
Warum backen Sie eigentlich immer nur kleine Brötchen? Warum geben Sie sich mit Weniger zufrieden,
als Sie haben könnten? Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr! Also:
Denken Sie groß!
Geben Sie nicht auf und leben Sie den Traum,
dafür muss man kein Genie sein. Denken Sie groß!
In jedem Menschen steckt ein Visionär.
Setzen Sie die Energie frei.
Ich geb’ Ihn’ einen Tipp, denken Sie groß!
Was zweifeln Sie so, übernehmen Sie die Show.
Mit dem richtigen Riecher sind Sie der Leader
und spielen schon bald in der obersten Liga.
Trinken Sie den Baikalsee auf Ex,
zum Frühstück Blattgold auf die Smacks.
Starten Sie durch wie die Antonov,
denken Sie an Dollars und entfliehn’ Sie dem Molloch.
Hier geht es um höher, schneller, weiter.
Kaufen Sie kein Weed, Mann, kaufen Sie Jamaica.
Bauen Sie kein Reihenhaus, bauen Sie ein’ Vorort
und herrschen dort als glücklicher Warlord.
(Deichkind, Denken Sie groß, 2015)
Kommt Ihnen das ein bisschen übertrieben vor, liebe Gemeinde? Etwas zu dick aufgetragen? Das, wozu
uns die Band Deichkind rät, die vor 11 Tagen hier in Berlin aufspielte, ist noch gar nichts im Vergleich
zu dem, woran uns Paulus im Brief an die Römer erinnert, den er vor ziemlich genau 1957 Jahren an die
Christen in Rom schrieb. Der Predigttext für diesen Sonntag steht in diesem Brief, im 5. Kapitel.
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus
Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns
der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns
auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber
Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen
durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. (Röm 5, 1-5)
Große Worte, aufgeladen sind sie, bedeutungsschwer, jedes für sich ein Monolith in unserer
Seelenlandschaft, auf dem Grund unserer Herzen unverrückbar und wie Wegzeichen in unserem Leben:
Glauben und Frieden, Gnade, Hoffnung und Herrlichkeit. So schillernd und erhaben sich die einen vor
unserem Lebenshorizont abzeichnen, so dunkel und bedrohlich stehen die anderen da: Bedrängnis,
Geduld und Bewährung. Paulus zeichnet mit spitzer Feder, nicht detailverliebt, sondern mit der Absicht
in fünf Versen den großen Wurf zu landen: Das ist die Karte, die uns durch das undurchsichtige und
unübersichtliche Gebiet unseres Lebens führt. Mit ihr kommen wir durch. Nicht irgendwie, sondern so,
als wären wir schon angekommen am anderen Ende. Eine besondere Art der Gewissheit, im Modus des
Vertrauens. Diese 5 Verse zu denken und vor allem zu glauben ist wirklich groß. Es ist, als tränke man
vom lebendigen Wasser. Dagegen nimmt sich der Baikalsee wie eine trübe Pfütze aus. Diese Worte
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führen in eine ganz andere Liga. Dorthin wo Blinde sehen, Taube hören, Stumme singen und Lahme
tanzen. Sie geben sich nicht mit einem Vorort in unserer Seele zufrieden, sie meinen uns ganz und
nehmen die Welt und die Zeit seit Anbeginn in den Blick.
Denn die Frage ist doch, worauf wir hoffen. Was wir erwarten? Ob wir überhaupt noch was erwarten!
Und von wem! Oder ob wir nicht schon längst hoffnungssatt sind und nur noch Hunger nach wenig
haben. Low Fat. Low Carb. Low Hope. Mit ihrer karikaturistischen Überzeichnung dessen, was groß ist
und wofür es sich lohnt zu leben, aufzustehen und die Energie freizusetzen, legen Deichkind den Finger
auf die makellose Haut der oberen 10 Prozent, zu denen auch wir gehören und die in der Beletage des
gemeinsamen Hauses auf die großen Dinge hoffen und sich damit um den Schlaf bringen. Aber das ist
alles nichts. Das sind die kleinen Brötchen!
Der Frieden mit Gott, an den Paulus uns erinnert! Das wäre so etwas. Das wäre wirklich mal etwas
Neues. Das wäre inmitten einer gewalttätigen Welt der Anbruch einer Welt des Friedens. Schon jetzt.
Darauf wäre zu hoffen. Das zu denken, wäre doch mal groß. Und dafür aufzustehen und die Energie
freizusetzen erst einmal! Was hindert uns eigentlich daran? Und wenn es uns schon so schwer fällt.
Worauf hoffen denn dann unsere Schwestern und Brüder zum Beispiel in Aleppo, 300 Kilometer
nördlich von Damaskus, der Stadt, vor der Saulus überhaupt erst zum Paulus wurde?
Am Sonntag Reminiscere denken wir Christen an unsere verfolgten und bedrohten Schwestern und
Brüder in der Welt und wir beten für sie. Und so soll heute ihre Stimme in diesem Dom zu hören sein.
Wie damals die Christen in Rom die Worte des Paulus gelesen haben, lesen wir heute Worte aus der
armenisch-evangelischen Gemeinde in Aleppo. Hören wir:
Die Bibel lehrt uns Christen, dass wir uns mit all unserer Kraft für den Frieden in der Welt einsetzen
sollen. Sie lehrt uns aber auch, dass es in der Welt schon immer Kriege und Bedrängnis gegeben hat und
dass –trotz all unserer Bemühungen – das Leben niemals frei sein wird von Krieg und Mühsal. Wir
Christen sollten uns niemals schicksalsergeben Krieg und Gewalt fügen und trotzdem: Krieg und Gewalt
werden immer Teil des Lebens in dieser Welt sein.
Haroutune Selimian, Pfarrer der armenisch-evangelischen Gemeinde in Aleppo und Präsident der
evangelisch-armenischen Gemeinden in Syrien schreibt diese Worte. Nüchtern. Irgendwie Ernüchternd.
Krieg wird es immer geben. Wie soll dieser Mann auch noch groß denken und glauben, denke ich selbst,
als ich seine Worte lese. Wenn man in ständiger Nachbarschaft mit dem Tod lebt, wie soll man da noch
einen weiten Horizont haben? Wenn man nicht weiß, was die nächste Stunde bringt, wie soll man denn
da noch Jahre in den Blick nehmen? In Aleppo, wo es kein fließendes Wasser mehr gibt, trinkt niemand
selbst ein Glas auf Ex. Gepflegte Vororte? Da gibt es doch nicht ein intaktes Haus mehr! Brötchen. Ach
vergessen Sie Brötchen. In dieser für uns nicht vorstellbaren Bedrängnis, aus der Geduld und dann
Bewährung und daraus Hoffnung erwachsen. Ach wie soll man denn da noch hoffen? Die Menschen hier
in Syrien sind zutiefst verzweifelt. Schreibt er. Ein Ende des Krieges, ein Ende der Not scheint nicht in
Sicht.
Ach Syrien, liebe Gemeinde. Es ist die Region die für das Versagen von uns Menschen steht. Wir, die
wir immer gerne groß denken! Wir, die wir in die Stratosphäre fliegen und uns von dort oben
wagemutig der Erde entgegenstürzen. Wir, die wir Milliarden verschieben in Sekundenbruchteilen. Die
Golf in Wüsten spielen. Die dem Meer Land abringen und Raketen draufstellen. Die im Kajak Ozeane
durchpflügen. Wir, die wir seit neuestem auf Gravitationswellen dem Ursprung allen Seins
entgegensurfen. Wir schaffen es nicht, Frieden zu machen!
Was soll denn da noch kommen? Trotzdem! Ein Wort. Und das ist es tatsächlich. Und dieses Trotzdem
des evangelischen Pfarrers Haroutune Selimian bindet die gewalttätige Welt trotzig an die zukünftige
Herrlichkeit die Gott geben wird und in der Anfang und Ende verborgen liegen. Die Welt wird der
Herrlichkeit Gottes überantwortet: bittend, dankend und klagend.
Trotzdem werden wir immer weiter darum beten, schreibt er. Es sind nicht unsere Politiker, nicht
unsere Regierungen, nicht unsere Armeen, die uns Hoffnung, Zuversicht und Sicherheit schenken. Dass
wir Hoffnung und Zuversicht haben können, verdanken wir allein Gott, der uns nahe ist, der uns sieht
in all unserer Verzweiflung und Not.
Der Mann lebt wahrhaftig im Modus des Glaubens, der Hoffnung und inmitten unfassbarer Bedrängnis
steht er so im Raum der Gnade. Haroutune Selimian ist für mich der Beweis dafür, dass Paulus die Karte
richtig gezeichnet hat. Die Monolithe stehen richtig und fest und unverrückbar selbst in den
Trümmerwüsten Aleppos. Wir beten für unsere Schwestern und Brüder dort. Wir lernen von ihnen. Sie
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geben uns viel. Gott schütze sie. Stehen diese Worte auch fest in unseren inneren Wüsten? Erheben sie
sich aus den Trümmern unseres Lebens? Oder wurden sie uns weggebombt im Kampf mit und um uns
selbst? Dann sind die Worte des Paulus für uns vielleicht die Karte, sie wieder freizulegen, vielleicht
aufzubauen. Und der Brief aus der Gemeinde in Aleppo ist wie ein Kommentar.
So könnte es gehen. Die zukünftige Herrlichkeit Gottes ist für Paulus, und nicht nur für ihn, eine
Wirklichkeit, die so wahr ist, wie wir Kinder des Lichts sind, geistbegabt aus unserer Taufe gehoben wie
gerade Jonathan und Luis. Die Hoffnung auf diese Herrlichkeit liegt diesen beiden Jungen wie uns auch
wie ein Wasserzeichen in unserer Haut. Diese Herrlichkeit ist nur hoffend existenziell erfahrbar. Also!
Worauf werden diese beiden Kinder hoffen? Worauf hoffen wir? Worüber hinaus?
Sind wir endlich wirklich unbescheiden. Und hören wir auf mit dem Kleinklein. Hoffen wir auf die
zukünftige Herrlichkeit, die Gott geben wird. Hoffen wir auch mit unseren Händen. Manch einer hält
der Kirche ja vor, sich mehr um Fremde und Andersgläubige zu kümmern, als um die eigenen Gläubigen.
Bei dem lebendigen kirchlichen Leben landauf landab kann ich das ehrlich gesagt nicht erkennen. Und
dass wir uns auch um Fremde und Andersgläubige kümmern liegt eben daran, dass wir wirklich groß
denken und glauben. Dass wir erwachsen glauben und leben. Das hat mit Parteipolitik nichts zu tun.
Das klingt nur leider immer so oft danach. Und das ist auch irgendwie schade. Doch selbst wenn sich
der politische Wind dreht werden wir nicht von unserer Hoffnung lassen und weiter groß denken. Das
hat etwas mit dem Frieden zu tun, der uns durch Christus geschenkt worden ist am Kreuz. Das wir uns
kümmern und nicht nur bei uns selbst bleiben unterscheidet uns von denen, die keine Hoffnung haben.
Wir hoffen nämlich auf den ganz großen Wurf. Dass Krieg verlernt wird und dass nicht nur die Waffen
umgeschmiedet werden, sondern auch Zynismus und Egoismus in Zutrauen und Verbundenheit. Die
Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit Gottes umfasst die ganze Welt als Schöpfung Gottes wie am
guten, sehr guten Anfang. Und sie reicht auf den Grund unserer Herzen, schafft Versöhnung und lässt
auch die Seelenwüsten blühen und die inneren Trümmerlandschaften aufleben. Das alles hoffen wir. Mit
Weniger geben wir uns nicht zufrieden. Und Frieden haben wir mit Gott und deshalb eben nicht mit
der Welt, wie sie ist und wie sie uns bedrängt im Leid noch unseres engsten Bruders und unserer
liebsten Schwester noch des Fremden und eines jeden, der wegen seines Glaubens verfolgt und
bedrängt wird. Ja überhaupt bedrängt wird von Krieg und Gewalt und Not!
Und wieder leihe ich mir Worte des evangelischen Pfarrers Selimian, die einen dünnen Pfad markieren
durch die gewalttätige Landschaft unserer Zeit, einen Pfad der Hoffnung, selten begangen, schwer
passierbar, nah am Abgrund aber auf ihm kommen wir durch, dort und hier:
Ja, das sind gewagte Worte für uns, die wir tagtäglich mit den furchtbaren Auswirkungen des Krieges
konfrontiert sind. Doch wir sind sicher: Wenn wir dankbar und vertrauensvoll beten, wird Gott durch
seinen Frieden unsere Sorgen in Hoffnung verwandeln. Gottes Frieden wird unsere Herzen und
Gedanken ergreifen und uns bewahren vor Angst und Verzweiflung. Amen
Amen.
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