„WieweitreichtdasParadies?WunschundWirklichkeitinderLiebe“ PredigtreiheimRahmenderUniversitätsgottesdienste2010/11 UlrikeWagner-Rau Universitätsgottesdienstam24.10.2010 Predigtüber Gen3 „JenseitsderMauer“ GnadeseimiteuchundFriedevondem,derdaistundderdawarund derdakommt.Amen. „Plötzlichwarensieda,dieFrauen.SieerschienenausdemNichts, angetanmitseinenKleidern,Hosen,Röcken,BlusenundMänteln. Manchmalwarihm,alsträtensieausdemWeißhervoroderalswären sieeinfachaufgetaucht,alshättensieendlichdieOberfläche durchbrochenundsichgezeigt.ErmusstenurdieSchalemitder Entwicklerflüssigkeitetwasankippen,mehrbrauchteernichtzutun. Erstwarnichtsunddannetwas,aufeinmalwaresda.Dochder AugenblickzwischendemNichtsunddemEtwasließsichnichtfassen, ganzso,alsgäbeesihnnicht. DasgroßeBlattglittindieSchale.Adamwendeteesmitder Plastezange,stupsteestiefer,wendeteesabermals,starrteaufdas Weiß–undbetrachtetedannsoandächtigdasBildeinerFrauim langenKleid,daseineSchulterfreiließundsichspiralförmigumden üppigenKörperwand,alswäreeinWundergeschehen….“(Ingo Schulze,AdamundEvelyn,München2010,dtv13876,11) So,liebeGemeinde, beginntderRoman„AdamundEvelyn“vonIngo Schulze. AdamistSchneider.ErliebtEvelyn,mitdererimAugust1989 ineinemGartenhausinderDDRzusammenlebt.Abererliebtesauch, sichandereFrauennachseinenWünschenzuerschaffen:indemer ihnenKleidernäht,diesieelegantundbegehrenswertmachen.Erzieht siean,erphotographiertsie,ersiehtzu,wieihrBildimEntwicklerbad entsteht:seineschönenGeschöpfe,dieihnanlachenmit ausgebreitetenArmen,nurihn. Ähnlich,aberentscheidendanders,klingtesimdrittenKapitelder Genesis: 1 „21 UndGottderHERRmachteAdamundseinerFrauRöckevonFellenundzog sieihnenan.“ HieristGottderSchneider,derAdamundEvadieKleidernäht,damit sienichtsoausgesetztundnacktindieWeltjenseitsderGrenzendes Paradiesgartensgehenmüssen.IhnenwirdnochetwasWärmendes, Schützendesübergezogen,ehesiedieHärtendesDaseinszuspüren bekommen. AuchAdam,derSchneider,erfährtschnellgenugdieGrenzenseines Paradiesesundseiner„göttlichen“Kräfte:Alsermiteinerseiner KundinnennacktinderWannesitzt,hörter,wieüberraschendEvelyn nachHausunddieTreppeheraufkommt,unddasIdyllnimmteinjähes Ende.ZwarwillAdamsichnichtvorGott,sondernvorallemvorEvelyn verstecken,aberdieNacktheitisthierwiedortzumProblemgeworden: „9 UndGottderHERRriefAdamundsprachzuihm:Wobistdu?10 Under sprach:IchhörtedichimGartenundfürchtetemich;dennichbinnackt,darum versteckteichmich.11 Undersprach:Werhatdirgesagt,dassdunacktbist? HastdunichtgegessenvondemBaum,vondemichdirgebot,dusolltestnicht davonessen?“ EshateinenBruchinderSituationundinderWahrnehmunggegeben, derallesverändert.IneinerInselungetrübtenundwunschlosen WohlbehagenshatsichdieHärtederRealität zurGeltunggebracht. UnddasmachteinenUnterschied:StattLustundwarmesBadewasser sindplötzlichScham,schlechtesGewissen,Wut,Verletzung.Das GartenhaushatseinenCharmeverlorenundistkeineHeimatmehrfür die,diedaringelebthaben. „22 UndGottderHERRsprach:Siehe,derMenschistgewordenwieunsereiner undweiß,wasgutundböseist.Nunaber,dassernurnichtausstreckeseine HandundbrecheauchvondemBaumdesLebensundesseundlebeewiglich! 23 DawiesihnGottderHERRausdemGartenEden,dasserdieErdebebaute, vonderergenommenwar.“ EvelynverlässtdasHausundfährt–stattwiegeplantmitAdam–mit einerFreundinundderenCousinnachUngarnindieFerien.Adamreist ihrnach.UndmittenimBeziehungsstressgeratensieindie FluchtbewegungderDDR-BürgernachWesten,inRichtungFreiheit. EvelynhatimmerschonvomReisengeträumtunddavon,studierenzu können.Jetzterscheintdasallesgreifbarnahe. 2 EsisteineverwickelteundsehrschönzulesendeGeschichte,die SchulzevomweiterenWegderbeidenerzählt.EineGeschichtevoll unbändigerWünscheundvollharterRealität,diemancheWünsche erfülltundanderedurchkreuzt.Nichtsgehteinfachnurleicht.Esgibt Streit,Missverständnisse,Angst.SchließlichkommenbeideimWesten an,sindsogarwiederzusammenundEvelynstudiertundistschwanger –vielleichtsogarvonAdam.Längstnichtallesistgut.– DieParadieserzählungistkeineLiebesgeschichte.Abersieisteine Erzählung,dieerklärenwill,warumdieWirklichkeitunterden Menschenoftsoschmerzlichundmühseligandersist,alswirsieuns wünschen.UnddieseErfahrungmachenwirjabesondersintensivdort, wowirunsganznahekommen:inderPaarbeziehung,inderFamilie, untersehrnahenFreundinnenundFreunden. AmAnfang,sowirderzählt,nachdemGottamEndeseines SchöpfungswerkesdieMenschenerschaffenundsieinden Paradiesgartengesetzthat,gibteskeineDissonanzzwischenihnen.In Gen2,25heißtes: „UndderMenschundseineFrauwarennackt,undsieschämtensichnicht voreinander.“ ImParadiesalsoistdasMenschenpaarbeieinander,ohnedassFragen, ReibungspunkteodergarVerletzungenauftauchen.Wergerade verliebtist,kenntsolchereineFreudeaneinanderauchjenseitsvon Eden:VorbehalteundFurchtsindwieausgelöschtundallesistgut– jedenfallsvorübergehend. AberdieErzählerdieserGeschichtewissen,dassderparadiesische ZustandnichtvonDauerist.DarumerzählensievomKonflikt,deraus derErkenntnisunddemUnterscheidungsvermögenerwächst,undsie erzählenvon derVergänglichkeit.ImGartenstehtderBaumder Erkenntnis,vondemGottgesagthat,dassderMenschseineFrüchte nichtessenkönne,ohnedassersterbenmüsse.AberdieMöglichkeitzu erkennenübtaufdieMenschenfrauunddannauchaufden MenschenmanneinenunwiderstehlichenReizaus: „1 AberdieSchlangewarlistigeralsalleTiereaufdemFelde,dieGottderHERR gemachthatte,undsprachzuderFrau:Ja,sollteGottgesagthaben:Ihrsollt nichtessenvonallenBäumenimGarten?2 DasprachdieFrauzuderSchlange: 3 nichtessenvonallenBäumenimGarten?2 DasprachdieFrauzuderSchlange: WiressenvondenFrüchtenderBäumeimGarten;3 abervondenFrüchtendes BaumesmittenimGartenhatGottgesagt:Essetnichtdavon,rühretsieauch nichtan,dassihrnichtsterbet!4 DasprachdieSchlangezurFrau:Ihrwerdet keineswegsdesTodessterben,5 sondernGottweiß:andemTage,daihrdavon esst,werdeneureAugenaufgetan,undihrwerdetseinwieGottundwissen,was gutundböseist.6 UnddieFrausah,dassvondemBaumgutzuessenwäreund dassereineLustfürdieAugenwäreundverlockend,weilerklugmachte.Und sienahmvonderFruchtundaßundgabihremMann,derbeiihrwar,auch davonunderaß.7 DawurdenihnenbeidendieAugenaufgetanundsiewurden gewahr,dasssienacktwaren,undflochtenFeigenblätterzusammenund machtensichSchurze.“ DieFruchtderErkenntnisalsoisteineverwandelte Selbstwahrnehmung,einEinbruchindaswunschloseGlück,demnichts gefehlthat. Bisdahinhabendie MenschenmitderUnbefangenheit unschuldigerKinderdenGartenbewohnt,jetztistdieUnmittelbarkeit zerstört,eineDifferenzeingezogen,dienichtmehrverschwindenwird. SieerschreckenundnehmenihreNacktheitwahr.DasEssenderFrucht, dasErkennenunddasErwachenderSchamgeschehenfastgleichzeitig. IndemdieMenschenessen,werdensieklug.Siesehenihre VerletzlichkeitundihreGrenzenja:auchdasssiewerdensterben müssen.Unvollkommensindsie,kleinundangewiesen.DieMühender Ebenehabensieeingeholt. WennimLebeneinesPaaresdieersteBegeisterungfüreinander erlahmt,daswissendiePaartherapeuten,beginnteineschwierigeZeit. PlötzlichkommtindenBlick,waseinenaneinandernervt.Plötzlichgibt esEnttäuschungen.Plötzlichnimmtmanwahr,dassauchderLiebste unddieLiebsteziemlichdüstereSeitenhat,mitdenenschwerzuleben ist.Undmanselbst?AuchnichtnureinschönerAnblick:begrenzte Liebesfähigkeit,kurzeGeduldsfäden,heftigeWut–dieNächsten könnenmanchmalwiedieärgstenFeindeerscheinen.Undwasistdann mitdenWünschen?MitderSehnsuchtnachdemParadies?Mitder Angst,dasBestezuverpassen,weilirgendwannderTodkommt?– Manchetrennensich,wenndasUnterscheidungsvermögenkommt. Manchehörennichtauf,denanderenändernzuwollen,notfallsmit Gewalt.ManchebleibenalssichziemlichfremdGewordene beieinander.Manchestreitensichundversöhnensichundsindimmer wiederziemlichglücklichmiteinander. IchkehrenocheinmalzurückzuAdam,demSchneider,undzuseinem WegmitEvelyn.WelchenWegister,welchensindsiemiteinander 4 WegmitEvelyn.WelchenWegister,welchensindsiemiteinander gegangen?EigentlichisterganzglücklichmitEvelyn,abersieisteben nichtseinGeschöpf.SiehatihreeigenenWünsche.Sielässtsichnicht allesgefallen.SieistnichteinfacheinpassgenauesGegenüber,sondern eineigenerMensch,sowieAdamselbst,beidesindjefürsicheinBild GottesunddarinvonunterschiedlicherGestaltundverschiedenem Charakter.Siebrauchensichundliebensich,abersiekönnensichnicht alleWünscheerfüllen,weilsieMenschensind. ManchmalwillAdamausdiesemspannungsvollenMiteinander aussteigenundsichdieFrauschaffen,diewirklichzuihmpasst–ohne Reibungsverluste.EsgibtMomente,indenendaszugelingenscheint. Aberletztlichgehtesschief,weilerebennureinSchneideristund nichtGott.ErmachtKleiderundBilder,aberkeineMenschen.Erhat einetiefeSehnsuchtnachdemParadies,aberesistgut,dassseine SehnsuchtunstillbarbleibtindiesemLeben.Denngeradediese SehnsuchtmachtunszuMenschen,derSchmerz,dassdasLebennicht vollkommenist.Diesbeideszeigtuns,dasswirAngewiesenesind.Und eslässtunsimmerwiederaucheinbisschenüberunsereengen Grenzenhinauswachsen.– SchließlicherkenntAdamdasaufseine Weise.AmEndedesRomanssehenwirihnwiedermitseinenBildern:Er hatsieausdemmittlerweilegeplündertenHausimOstengeholt, nachdemsichdieGrenzengeöffnethaben.AlleRäumewaren verwüstetvonderStasiodervonDieben.AuchdieBilder:Zerrissenund zerfleddertlagensieaufdenBoden.ErhatalleSchnipseleingesammelt, sienachMünchengebracht,sortiert,ineinneues Albumgeklebt.Aber amSchluss,nachallderMühe,machteretwasvölligÜberraschendes: ErzündeteinFeueranimGarten,unddannziehterdiegroßen geklebtenBilderderFrauenherausausdemAlbumundwirftsieindie Flammen,einesnachdemanderen. EvelynschautihmvomFensterauszu.„PlötzlichsahAdamüberdie Schulterzuihrherauf,alshätteerdieganzeZeitgewusst,dasssiedort stand.ErzogdenHut,lächelte,nickteihrzuundsetztedenHutwieder auf.Evelynüberliefeskalt. SieschlossdasFensterundwichinsZimmerzurück…DieLampe spiegeltesichinderScheibe.DaruntererkannteEvelynsichselbstund umsichherumdasganzeZimmer,dasnochvielgrößerschienalsin Wirklichkeit,beinahriesig,undindessenMittesahsie,kleinund farbig,ihreigenesBild.“(Schulze,314) Wieesweitergehtmitdenbeiden?Dasistoffen.Sowiefüruns.Das 5 Wieesweitergehtmitdenbeiden?Dasistoffen.Sowiefüruns.Das Paradiesistverschlossen,eineRückkehrnichtmöglich.Abervonvorne, vonvornekommtunseineLiebeentgegen,dieunsauchjenseitsder Mauernwärmtundbegleitet. UndderFriedeGottes,derhöheristalsalleVernunftundKraft, bewahreunsereHerzenundSinneinChristusJesus.Amen. 6