Ausgegrenzt und verfolgt Frank Lunte, Altsaxophon Tatjana Blome, Klavier Werke von Erwin Schulhoff, Wolfgang Jacobi, Paul Dessau, Günter Raphael, Dietrich Erdmann und Bernhard Heiden Das klassisch gespielte Saxophon erlebte in den 1930er Jahren eine Blütezeit in Deutschland. Die nationalsozialistischen Machthaber jedoch stigmatisierten das Instrument als »undeutsch« und stuften es als »entartet« ein. Auch viele der ­Komponisten, die für das Saxophon schrieben, waren aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer künstlerischen Tätigkeit der Verfolgung durch das Nazi-Regime ausgesetzt. Wolfgang Jacobi wurde 1894 in Bergen auf Rügen geboren und siedelte 1919 nach Berlin über. Von den Nationalsozialisten als »Halbjude« mit Berufsverbot belegt, versuchte er in Italien die Gründung einer neuen Existenz, was jedoch scheiterte. Er kehrte nach Deutschland zurück und überdauerte den Krieg im inneren Exil. Erst nach 1945 konnte Jacobi wieder am musikalischen Geschehen teilnehmen. Günter Raphael, geboren 1903 in Berlin, entstammte einer evangelischen Kantoren­ familie. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft erteilten die Machthaber ihm Berufsund Aufführungsverbot. Trotz drohender Verhaftung und schwerer andauernder Tuberkulose blieb er in dieser von ihm selbst als »stumme Periode« bezeichneten Schaffensphase ein äußerst produktiver und unbeirrbarer Komponist. Erwin Schulhoff entstammte einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie aus Prag, wo er 1894 geboren wurde. Er lebte kurzzeitig in Berlin und arbeitete h ­ äufig in Deutschland, war aber ab 1933 »unerwünscht«. Seine sich dramatisch verschlech­ ternde Lebenssituation plante er durch eine Emigration in Sowjetunion zu verbessern, die jedoch durch seine Verhaftung vereitelt wurde. Er starb 1942 im Konzentra­tionslager Wülzburg an Tuberkulose. Dietrich Erdmann wurde 1917 in Bonn geboren, 1925 übersiedelte die Familie nach Berlin. 1935 gründete Erdmann mit Gleichgesinnten den »Arbeitskreis für Neue Musik«, in dessen Rahmen mit der Doktrin nicht konforme Werke aufgeführt ­wurden. Sein Vater, der Sozialist Lothar Erdmann, wurde 1939 im KZ Sachsenhausen ermordet. Nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft leistete Erdmann einen großen Beitrag zum musikalischen Wiederaufbau der Stadt Berlin. Paul Dessau wurde 1894 in Hamburg geboren, Urgroßvater und Großvater waren Kantoren an der dortigen deutsch-jüdischen Gemeinde. 1928 wurde Dessau vom Berliner Alhambra-Kino zunächst als Geiger, dann auch als Kapellmeister und Komponist engagiert. Kurz nach der Machtergreifung flüchtete er über Paris in die USA. 1948 kehrte er nach Deutschland zurück und entschied sich als überzeugter Kommunist für die sowjetische Zone als Wohnort. Bernhard Heiden (früher Levi) wurde 1910 in Frankfurt am Main als Sohn jüdischer Eltern geboren. An der Berliner Hochschule für Musik studierte er bei Paul Hindemith. 1935 emigrierte Heiden in die USA, wo er in Detroit zunächst freischaffend lebte. 1946 übernahm er die Leitung der Kompositionsklasse an der Indiana University School of Music, eine Position, die er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1981 innehatte. Curt Sachs wurde 1881 in Berlin geboren. Ab 1919 leitete er das Berliner Musikinstrumenten-Museum, als Direktor in Nachfolge von Oskar Fleischer. 1933 musste er aufgrund seiner jüdischen Herkunft emi­ grieren. Er ging zunächst nach Paris und übersiedelte 1937 nach New York, wo er 1959 starb. Curt Sachs war zugleich Musik- und Kunsthistoriker, Musikethnologe, Instrumentenkundler und Lexikograph und hat immer den Elfenbeinturm der Forschung verlassen, um mit seinen Recherchen nach außen zu wirken. Das führte 1930 zu dem damals bahnbrechenden Projekt einer klingenden Musikgeschichte auf Schallplatten – 2000 Jahre Musik auf Schallplatte. In Zusammenarbeit mit Erich ­Moritz von Hornbostel erarbeitete er eine auch heute noch angewandte Systematik der Musik­instrumente. Dass wir von Barockmusik sprechen, geht auf seinen so betitelten vielbeachteten Aufsatz von 1919 zurück. Zu seinen Publikationen gehören weiter­hin: Musikgeschichte der Stadt Berlin bis zum Jahre 1800, Musik und Oper am kurbrandenburgischen Hof, Die Musik­instrumente Indiens und Indonesiens, Handbuch der Musikinstrumenten­ kunde, Real-Lexikon der Musikinstrumente und Eine Weltgeschichte des Tanzes. 32. Lange Nacht der Museen | 16. März 2013, ab 18 Uhr Die Frau, nach der man sich sehnt Deutschland, 1929 Regie: Kurt Bernhardt Drehbuch nach Max Brod mit Marlene Dietrich, Fritz Kortner, Uno Henning, Oskar Sima, Karl Ettlinger Musikalische Begleitung an der Mighty Wurlitzer: Jörg Joachim Riehle Ausgerechnet auf seiner Hochzeitsreise verliebt sich Industriellensohn Henri (Uno Henning) in eine unbekannte Schöne: Die rätselhafte Stascha (Marlene Dietrich) weckt seine Beschützerinstinkte und bittet ihn um Hilfe. Henri folgt ihr und ihrem finsteren Begleiter Dr. Karoff (Fritz Kortner) und erlebt statt ­Flitterwochen einen Krimi. Viele Mitwirkende an diesem Stummfilm haben nach der Machteroberung der ­Nazis ihre Heimat verlassen, so Max Brod, Kurt Bernhardt, Fritz Kortner. M ­ arlene Dietrich, die schon vor 1933 in den USA zu Berühmtheit gelangt war, weigerte sich, nach Nazi-Deutschland zurückzukehren und wurde noch lange Zeit nach dem Krieg in Westdeutschland als Vaterlandsverräterin beschimpft. Jörg Joachim Riehle wurde in Stuttgart geboren und studierte in Berlin Tonmeister, Klavier und Orgel. Zusammen mit Robert Ducksch hat er die Berliner KinoorgelRenaissance gestartet. Oben links: Curt Sachs an der Glas­harmonika des Musik­instrumenten-Museums, 20er Jahre. Foto: Z. Kluger Unten links: Der Komponist ­ Erwin Schulhoff zusammen mit der ­Tänzerin Mila Mayerová, 1931. Quelle: Wikimedia Commons Mitte: Marlene Dietrich und Fritz Kortner im Film »Die Frau, nach der man sich sehnt« Quelle: MurnauStiftung Unten rechts: Tatjana ­Blome und Frank Lunte. Foto: A. ­Weber 18 Uhr Große Orgel für kleine Leute Jörg Joachim Riehle an der Mighty Wurlitzer Theaterorgel Führungen 19 Uhr: Historische Orgeln 21 Uhr: Der jüdische Direktor und Musikwissenschaftler Curt Sachs 23 Uhr: Highlights des Museums Ausgegrenzt und verfolgt Konzerte 20 und 22 Uhr Duo Blome Lunte Die Frau, nach der man sich sehnt Musikinstrumenten-Museum Staatliches Institut für Musikforschung www.mim-berlin.de Film und Theaterorgel 24 Uhr 1929, mit Marlene Dietrich und Fritz Kortner An der Mighty Wurlitzer Orgel: Jörg Joachim Riehle