Wo sind sie geblieben? ...Wohin die Elmshorner Juden von den

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auschwitz
und in dieser großen qual
schweigen alle liebeslieder
und sie kehren nicht mehr wieder
asche regnet auf das land
brot aus asche stein die träne
sterne unter jedem tritt
zieht der tod als schatten mit
steigt dem leben in die kehle
hoffnungslose zeitenwende
schreie klirren in den wind
schreie niemals so sie sind
schreie ohne zeit und ende.
anna haentjens
geschrieben nach dem Besuch
des Staatlichen Museums in Auschwitz
Wo sind sie geblieben?
Wohin die Elmshorner Juden von den Nationalsozialisten
verschleppt wurden
Von Harald Kirschninck
Anders als bisher bekannt, sind von den
Juden, die in Elmshorn geboren sind, zeitweise oder auch ständig lebten, nicht 21,
sondern fast doppelt so viele, nämlich mindestens 39 Personen deportiert worden.
Hiervon verschleppten die Nationalsozialisten nach:
Fuhlsbüttel:
1
Auschwitz:
6
Bergen-Belsen:
1
Trawniki:
1
Lodz (Litzmannstadt):
2
Minsk:
8
Riga:
3
Theresienstadt:
12 Juden.
Fünf Deportationsziele sind unbekannt. Von
den Verschleppten hat keiner die Deportation überlebt, bis auf John Hasenberg. Er
überlebte das KZ Bergen-Belsen, wurde
befreit und starb im Zug auf der Fahrt in die
Schweiz an den Folgen der Misshand-lungen und an Entkräftung.
Wie
sahen
diese
Lager
und
Vernichtungsstätten aus, wo lagen sie und
wie sind sie entstanden?
Trawniki
Elmshorner Opfer:
Hermann Blumenfeldt, geb. am 30.3.1872
in Elmshorn, deportiert 28.3.1942, gestorben 1942.
Das Dorf Trawniki liegt etwa 40 km östlich
von Lublin. Auf dem Gelände einer alten
Zuckerfabrik errichteten die Nationalsozialisten im Herbst 1941 ein Zwangsarbeitslager, dem ein SS-Ausbildungslager für
angehende Wachmannschaften für die
Lager und die Deportationen von Juden
angeschlossen wurde. Diese aus Letten,
Esten, Litauern und Ukrainern bestehenden
Freiwilligen nannte die SS und die örtliche
Bevölkerung auch „Trawnikis“ oder „Hiwis“
(Hilfswillige). Seit Oktober 1941 unterstand
das Lager dem SS-Sturmbannführer Karl
Streibel. (http://www.deathcamps.org/occupation/trawniki_de.html)
Im Frühjahr 1942 wurden Juden aus
Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei nach Trawniki deportiert, unter
ihnen
der
Elmshorner
Hermann
Blumenfeldt. Viele von ihnen starben an
Hunger und Krankheiten, die Überlebenden
wurden in das Vernichtungslager Belzec
gebracht oder in der Umgebung erschossen.
Nach dem Aufstand in Sobibor am 14.
Oktober 1943 befahl Heinrich Himmler, alle
Arbeitslager im Distrikt Lublin zu liquidieren.
Die nun folgende Vernichtung wurde „Aktion
Erntefest“ genannt. Am 3. November 1943
liquidierte die SS das Lager Trawniki. 10.000
Juden wurden aus dem Lager getrieben und
in vorher ausgehobenen Gruben erschossen. Vermutlich ist Hermann Blumenfeldt
aber nie in Trawniki angekommen:
„Im Verlauf der Deportationen in den Distrikt
Lublin ab März 1942 wurde kein einziger
„Judentransport“ aus dem Reich in Trawniki
untergebracht. (…) Allerdings zeigt die
Darstellung der einzelnen Transporte, dass
der Stab des Lubliner SS- und Polizeiführers
(Anm. Verf.: Odilo Globocnik) die Züge mit
Juden aus dem „Großdeutschen Reich“ zwischen Mitte März und Mitte Juni 1942 in die
– zumeist nicht weit von Trawniki entfernt
gelegenen Ortschaften Izbica (…), Piaski
(…), Rejowiec (...), Zamosc (…) und in andere Dörfer des Lubliner Distrikts leitete.“
(Gottwaldt/Schulte, Judendeportationen, S.
137ff) Die Ermordung fand dann zumeist im
Vernichtungslager Belzec statt.
Bergen-Belsen
Elmshorner Opfer:
John Hasenberg, geb. am 8.10.1882 in
Elmshorn, deportiert am 23.6.1943, gestorben am 23.1.1945 im Eisenbahnzug in
Laupheim (Biberach).
Das KZ Bergen-Belsen lag etwa 60 km nordöstlich von Hannover in der Lüneburger
Heide. Im Jahr 1940 wurde von der deutschen Wehrmacht ein Kriegsgefangenenlager für französische und belgische Solda-
ten eingerichtet. Seit Juli 1941 wurden dort
auch etwa 20.000 sowjetische Kriegsgefangene interniert, von denen bis zum Frühjahr
1942 rund 14.000 Gefangene an Hunger,
Kälte und Krankheiten (Fleckfieber) starben.
Im April 1943 wurde ein Teil des Lagers von
der SS zu einem KZ für Juden vor allem ausländischer Nationalität umgewandelt. Diese
sollten gegen Devisen oder auch gegen im
Ausland festgesetzte Deutsche ausgetauscht werden. Daher nannte man das KZ
auch „Aufenthaltslager Bergen-Belsen der
Waffen-SS“. Seit Juni/Juli 1943 wurden die
ersten KZ-Häftlinge nach Bergen-Belsen
deportiert.
Der vorgesehene Personenkreis wurde in
den „Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes“ wie folgt beschrieben:
- Juden mit verwandtschaftlichen oder son- stigen Beziehungen zu einflussreichen
- Personen im feindlichen Ausland,
- Unter Zugrundelegung eines günstigen - - Schlüssels für einen Austausch gegen im - feindlichen Ausland internierte oder gefan- gene Reichsangehörige infrage kommende - Juden,
- Als Geiseln und als politisch oder wirt- schaftliche Druckmittel „brauchbare“ - - Juden,
- Jüdische Spitzenfunktionäre.
Das „Aufenthaltslager“ war in mehrere Abteilungen aufgegliedert, die streng von einander isoliert waren:
a) das „Sternlager“ mit Arbeitszwang und
a) sehr schlechter Verpflegung. Die
a) Gefangenen mussten einen Judenstern
a) tragen.
b) das „Neutralenlager“ mit Juden aus neub) tralen Staaten. Hier gab es keinen
b) Arbeitszwang, und die Verpflegung war
b) etwas besser.
c) das „Sonderlager“ mit polnischen Juden,
c) die Ausweise von verschiedenen c) c)
c) Ländern besaßen.
Umzäunung zwischen den Baracken. Überall im Lager verstreut lagen verwesende
menschliche Körper. Die Gräben der
Kanalisation waren mit Leichen gefüllt, und
in den Baracken selbst lagen zahllose Tote,
manche sogar zusammen mit den Lebenden
auf einer einzigen Bettstelle. In der Nähe des
Krematoriums sah man Spuren von hastig
“Die Zustände im Lager waren wirklich unbegefüllten Massengräbern. Hinter dem letzten
schreiblich; kein Bericht und keine
Lagerabteil befand sich eine offene Grube,
Fotografie kann den grauenhaften Anblick
halb mit Leichen gefüllt; man hatte gerade
des Lagergeländes hinreichend wiedergemit der Bestattungsarbeit begonnen. In einigen
Baracken,
aber nicht in vielen,
waren
Bettstellen vorhanden; sie waren
überfüllt
mit
Gefangenen
in
allen Stadien der
Auszehrung und
der Krankheit. In
keiner
der
Baracken
war
genügend Platz,
um sich in voller
Länge hinlegen zu
können. In den
Blocks, die am
stärksten überfüllt
waren, lebten 600
In Güterwaggons wurden die Juden in die Lager verschleppt.
bis
1.000
Menschen
auf
ben; die furchtbaren Bilder im Innern der
einem Raum, der normalerweise nur für hunBaracken waren noch viel schrecklicher. An
dert Platz geboten hätte. In einem Block des
zahlreichen Stellen des Lagers waren die
Frauenlagers, in welchem die FleckfieberLeichen zu Stapeln von unterschiedlicher
kranken untergebracht waren, gab es keine
Höhe
aufgeschichtet;
einige
dieser
Betten. Die Frauen lagen auf dem Boden
Leichenstapel befanden sich außerhalb des
und waren so schwach, dass sie sich kaum
Stacheldrahtzaunes, andere innerhalb der
bewegen konnten. Es gab praktisch keine
Bettwäsche. Nur für einen Teil dieser
Menschen waren dünne Matratzen vorhanden, die Mehrzahl aber besaß keine. Einige
hatten Decken, andere nicht. Manche verfügten über keinerlei Kleidung und hüllten
sich in Decken, andere wiederum besaßen
deutsche Krankenhauskleidung. Das war
das allgemeine Bild.”
(http://www.bergenbelsen.niedersachsen.de
/pdf/zurgeschichte.pdf). Allein zwischen
Januar und April 1945 starben in BergenBelsen 35.000 Menschen. Am 15. April 1945
wurde das Lager durch die britische Armee
befreit.
Lodz (Litzmannstadt)
Elmshorner Opfer:
Änne Rosenberg, geb. 29.10.1894 in
Elmshorn, deportiert 25.10.1941 nach
Litzmannstadt, weiter am 8.11.1941 nach
Minsk, sowie ihr Bruder
Julius Rosenberg, geb. 29.8.1884 in
Elmshorn, deportiert 25.10.1941 nach
Litzmannstadt, weiter am 8.11.1941 nach
Minsk.
In Lodz wohnten zu Beginn des 2.
Weltkrieges zirka 180.000 Juden. Am 11.
April 1940 wurde die Stadt nach dem
General Karl Litzmann (1850-1936), einem
NS-Würdenträger, in Litzmannstadt umbenannt. Am 8. Februar 1940 wurden aus der
Altstadt, dem Proletarierviertel Baluty und
dem Vorort Marysin das Ghetto gebildet. Es
bestand aus anfangs 4,13 Quadratkilometern mit insgesamt 28.400 Wohnräumen.
Am 30. April 1940 wurde es endgültig von
der Außenwelt isoliert. Das Gelände war
nicht kanalisiert, es konnten daher auch
keine Kontaktaufnahmen mit der übrigen
Stadtbevölkerung stattfinden. Rund um das
Ghettogelände waren Stacheldrahtsperren
gezogen und im Abstand von maximal 100 m
Posten der Schutzpolizei aufgestellt, die
jeden Juden, der das Ghetto verlassen wollte, ohne Vorwarnung erschießen durften.
Die tschechischen Überlebenden Vera Arnsteinnovà und Mája Randová berichteten:
„Fäkalien flossen den Bürgersteig entlang.
Bei der Ankunft fanden wir Hinterhöfe vor,
die voller Müll waren. Baluty bestand aus
Stein- und Holzhäusern mit großen Höfen,
die untereinander verbunden und völlig verwahrlost waren. Erst als eine Epidemie drohte und die Deutschen Angst vor Epidemien
hatten, ließen sie den Müll wegräumen. Es
drohten Cholera, Gelbsucht, Typhus. Für
Mutters Kleider tauschten wir Waschschüsseln und Kübel ein, um existieren zu können.
Laufend gingen aus dem Ghetto die ersten
Transporte ab, und niemand wusste, wohin.
Reihenweise starben die Menschen an
Hunger und Krankheiten. Wir zogen in eine
freigewordene Wohnung um – vier Personen
in einem Zimmer mit zwei Pritschen. Tausende Wanzen, derer man nicht Herr wurde.
(…) Wanzen, Flöhe, Kleiderläuse. Bei der
Essensausgabe lange Schlangen, und man
konnte beobachten, wie die Läuse von
einem zum anderen sprangen. Die Läuse
übertrugen Flecktyphus. Für die ausgehungerten und erschöpften Menschen war es
schrecklich schwer, im Winter für tägliche
Hygiene zu sorgen. Als wir ankamen, teilte
man uns irgendeine Rübensuppe aus. Wir
konnten sie nicht essen, aber die Einwohner
bettelten darum. Bald haben auch wir sie
geschluckt. Die ganzen Jahre war der
Hunger im Ghetto am schlimmsten, vor
Hunger starben Alte und Junge.“ (zit. nach:
www.shoa.de)
Am 26. Oktober 1941 wurden die Geschwister Rosenberg mit dem Transport von 1063
Menschen aus Hamburg deportiert. Ob die
Geschwister tatsächlich am 8. November
1941 nach Minsk weitertransportiert wurden,
Blick in eine Lagerbaracke des KZ Auschwitz. Sie waren hoffnungslos überbelegt, Häftlinge mussten sich Pritschen teilen.
oder ob sie nicht doch entweder im Ghetto
oder im Vernichtungslager Chelmno in
Gaswagen ermordet wurden, wie der größte
Teil der 145.000 Opfer von Litzmannstadt, ist
nicht mit Sicherheit zu sagen. Allein zwischen Dezember 1941 und Herbst 1942 sollen 85.000 Bewohner des Ghettos getötet
worden sein. Am 17. Januar 1944 wurde
Lodz befreit. Vorher sind bis auf kleine
Reste alle Einwohner des Ghettos nach
Auschwitz deportiert worden.
Theresienstadt (Terezin)
Elmshorner Opfer:
Minna Bachrach, geb. 11.1.1873 in
Elmshorn, deportiert am 15.7.1942, gestorben 7.8.1942
Rosa Goldschmidt, geb. Oppenheim, geb.
23.12.1868
in
Elmshorn,
deportiert
15.7.1942, gestorben 17.12.1942
Ferdinand Hertz, geb. 7.11.1861 in
Elmshorn, dep. 15.7.1942, gest. 28.7.1942
Regine Hertz, geb. 25.4.1868 in Elmshorn,
dep. 23.6.1943, gestorben 31.10.1943
Emma Israel, geb. Oppenheim, geb. am
2.12.1858 in Elmshorn, deportiert 19.7.1942,
weiter nach Minsk, gestorben 1942
Paula Israel, geb. 19.8.1892 in Elmshorn,
deportiert 19.7.1942, weiter nach Minsk,
gestorben 1942
Henriette Lippstadt, geb. Rothgiesser, geb.
am 8.8.1872 in Hamburg, wohnte in
Elmshorn, dep. 15.7.1942, gest. 15.11.1943
Lea Nemann, geb. 15.5.1868, wohnte in
Elmshorn, deportiert vermutlich Juli 1942,
gestorben 18.10.1942
Recha Oppenheim, geb. Gumpel-Fürst,
geb. 13.2.1863 in Lübeck, wohnte in
Elmshorn, dep. 19.7.1942, gestorben 1942
Minni Petersen, geb. Hertz, geb. 23.6.1905
in Elmshorn, dep. 12.2.1945 (!), überlebte,
wurde befreit und am 19.6.1945 entlassen.
James Philipp, geb. 12.1.1872 in Elmshorn,
deportiert 9.6.1943, gestorben 18.10.1943
Johanna Simon, geb. Susmann, geb.
20.6.1864 in Elmshorn, deportiert 19.7.1942,
gestorben 8.2.1944.
Das Ghetto Theresienstadt (Terezin) lag im
Nordwesten der Tschechischen Republik.
Erstmals erwähnt wurde das Ghetto am 10.
Oktober 1941. Zunächst sollten vor allem
Juden aus Böhmen und Mähren über
Theresienstadt nach Osten deportiert werden. Die Nationalsozialisten planten dann
bei der Wannseekonferenz am 20. Januar
1942 ein Altersghetto, in das alle
Reichsjuden über 65 Jahren, schwerkriegsbeschädigte Juden, ehemals jüdische
Soldaten
mit
Kriegsauszeichnungen,
Prominente und Juden aus anderen westeuropäischen Ländern deportiert werden sollten. Der Aufenthalt sollte nur vorübergehend
sein, das Ziel waren die Vernichtungslager
im Osten.
Nachdem Dänemark mit ausländischem
Druck den Verbleib seiner jüdischen
Landsleute herausfinden wollte, gestatteten
die Nationalsozialisten dem Internationalen
Roten Kreuz im Juni 1944 Theresienstadt zu
besuchen. Dazu war das Ghetto in den vorhergehenden Wochen und Monaten „verschönert“ worden. So wurden, um die Überbelegung des Lagers zu senken, die
Transporte nach Auschwitz verstärkt. Die mit
dieser Aktion transportierten Juden wurden
zunächst in Auschwitz isoliert, damit sie
eventuell bei einer Kontrolle des Roten
Kreuzes präsentiert werden konnten. Nach
der Aktion wurden sie ermordet. Als Krönung
wurde noch der Propagandafilm „Der Führer
schenkt den Juden eine Stadt“ gedreht. Die
Darsteller wurden anschließend getötet. Ein
Viertel der 140.000 Häftlinge starb durch die
entsetzlichen
Lebensumstände
und
Seuchen, etwa 90.000 wurden in die
Vernichtungslager Auschwitz, Treblinka,
Majdanek , Sobibor u.a. weiterdeportiert.
Zwei Wochen bevor die Rote Armee am 8.
Mai 1945 das Lager erreichte, wurde es dem
Roten Kreuz übergeben. (vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Theresienstadt)
Minsk
Elmshorner Opfer:
Heinrich Basch, geb. 27.3.1900 in Wien,
deportiert 18.11.1941, gestorben 1941
Hertha Basch, geb. 16.12.1900 in
Hamburg, dep. 18.11.1941, gestorben 1941
Jeanette Basch, 22.2.1872 in Hamburg,
deportiert 18.11.1941, gestorben 1941
Otto Cohn, geb. 10.5.1898 in Elmshorn,
deportiert 8.11.1941, gestorben 1941
Ilse Lippstadt, geb. 31.12.1905 in
Elmshorn, deportiet 18.11.1941, gestorben
1941, auf dem Feld erschossen
John Löwenstein, geb. 23.10.1886 in
Elmshorn, deportiert 8.11.1941
Gustav Stern, geb. 27.3.1877 in Hannover,
wohnte in Elmshorn, dep. 8.11.1941, gest.
1941
Friederike Stork, geb. Rosenberg, geb.
20.3.1883 in Elmshorn, dep. 8.11.1941,
gest. 1941, war die Schwester von Änne und
Julius Rosenberg (dep. nach Litzmannstadt)
Mit den zwei Transporten vom 8.11.1941
und 18.11.1941 wurden 1420 Juden aus
Hamburg (darunter auch acht Elmshorner)
nach Minsk deportiert. Dort hat man von
dem ursprünglichen Ghetto ein abgetrenntes
„Sonderghetto“ eingerichtet, in dem die
Juden aus Deutschland untergebracht wurden. Innerhalb des „Sonderghettos“ wurden
noch einmal je nach geographischer
Herkunft der Deportierten drei Gruppen
unterschieden.
Vor
Ankunft
der
Deportationszüge wurden
vom 7.-11.
November 1941 etwa 6000 weißrussische
Juden im Wald von Blagowschtschina, 13
km südöstlich von Minsk, erschossen. Seit
Mai 1942 waren die ausgehobenen 3 m breiten und tiefen, 50 m langen Massengräber
im Wald die zentrale Mord- und
Hinrichtungsstätte der deutschen Besatzer.
Das größte Pogrom im Ghetto fand vom 28.30. Juli 1942 statt, dem etwa 30.000 Juden
zum Opfer fielen. Die Vorgehensweise war
immer die gleiche:
Kommandos trieben die Menschen aus ihren
Unterkünften zusammen. Dann wurden sie
in Gruppen mit Lastwagen zu der Exekutionsstätte, in diesem Falle der Wald von
Blagowschtschina oder Maly Trostenez
transportiert. Hier hatten sich die Opfer vollkommen zu entkleiden, dann wurden sie zu
der Grube getrieben. Je nach Länge des
Massengrabes waren bis zu zwanzig Mann
mit Pistolen an der Grube postiert, unterstützt von Mannschaften, die das Gelände
umstellten und absicherten. Es wurden
immer Pistolen benutzt. In der Regel bekam
jeder der zwanzig Mann 25 Schuss bis zur
nächsten Gruppe von Opfern. Die Juden
wurden mit einem Genickschuss getötet und
fielen in die Grube. Wenn der Verdacht aufkam, dass der Schuss nicht tödlich war,
wurde erneut geschossen. Abschließend
wurde mit einem Maschinengewehr so lange
in die Grube geschossen, bis sich nichts
mehr regte. Darüber hinaus wurde nicht
mehr untersucht, ob alle gestorben waren.
Es kam die nächste Gruppe an die Grube
oder sie wurde zugeschüttet (vgl.: Mosel:
Hamburg Deportation Transport to Minsk).
„Direkt vor der Massenerschießung hatten
sich alle zu entkleiden und ihre Kleidung auf
einen Haufen zu werfen. Zwei junge Frauen
beobachteten eine ältere verwirrte Frau, die
aufgeregt herumlief, keinen Versuch machte, sich zu entkleiden. Darauf gingen die
zwei Frauen zu ihr, überredeten und entkleideten sie. Dann, ohne ein Wort des Pro-
testes, nahmen die beiden jungen Frauen
die ältere Frau zwischen sich, jede hielt sie
an einer Hand, und legten sich auf die noch
warmen Körper der soeben Erschossenen,
um ihren Tod zu erwarten. Weder sie noch
andere baten die Mörder um Gnade.“ (Karl
Löwenstein, Minsk im Lager der deutschen
Juden. Löwenstein stammt aus Berlin und
überlebte die Auflösung des Lagers und die
Todesmärsche). Neben den Massenerschießungen kamen auch drei Gaswagen
zum Einsatz, große geschlossene Lastwagen, in die man Autoabgase einleitete, so
dass die Menschen qualvoll starben (zitiert
und übersetzt nach: Wilhelm Mosel:
Hamburg Deportation Transport to Minsk).
Seit dem Pogrom befanden sich noch 9000
Juden im Ghetto. Der größte Teil von ihnen
wurde bei der Auflösung am 21.10.1943
ermordet. Im Oktober 1943 wurden die 34
Massengräber wieder geöffnet und die
150.000 Leichen verbrannt, um Spuren zu
beseitigen. Nach Auflösung des Lagers und
den Todesmärschen waren nur noch 20
Juden aus Minsk am Leben.
Riga (KZ Jungfernhof)
Elmshorner Opfer:
Selma Levi geb. Löwenstein, geb. 7.6.1883
in Elmshorn, dep. 6.12.1941, gest. 1941.
Karl Löwenstein, geb. 17.8.1880 in
Rehberg, wohnte in Elmshorn, deportiert
6.12.1941, gestorben 1941.
Günther Simon Valk, geb. 4.4.1921 in
Altona, wohnte in Elmshorn, deportiert (vermutlich 6.12.) 1941, gestorben 1941
Albert Hirsch, geb. 24.9.1878 in Mogilno,
nach Zustellung des Deportationsbefehls für
diesen Transport nahm er sich auf dem
Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf am 1.12.1941
das Leben.
Am 6. Dezember 1941 verließ ein
Deportationszug um 0:11 Uhr den
Hannoverschen Bahnhof in Hamburg. Im
Zug waren 753 Juden, darunter
drei
Personen aus Elmshorn und der Oberrabbiner Joseph Carlebach mit seiner Familie aus
Hamburg. Nach Erhalt der Deportationsbescheide verübten 13 Juden Selbstmord,
darunter auch Albert Hirsch. Das Ziel des
Zuges war Riga in Litauen, das er am
9.12.1941 erreichte. Die Opfer dieses
Transportes wurden in das Konzentrationslager Jungfernhof, drei Kilometer südlich
des Bahnhofes, getrieben, bei Temperaturen
unter 40 Grad. Sofern die Elmshorner nicht
gleich bei der Ankunft erschossen wurden
oder im Lager an Hunger oder Krankheiten
und Misshandlungen starben, sind sie wahrscheinlich bei der „Aktion Dünamünde“ am
26.3.1942 ermordet worden, wo der Hauptteil des Hamburger Transportes getötet worden ist. Ein Überlebender aus Hamburg
berichtete:
“Lager-Kommandant Seck
befahl dem Lagerältesten Kleemann, er solle
eine Liste der auszusondernden Juden
erstellen. Seck selbst benannte 440 Juden,
die in Jungfernhof bleiben sollten. Dieses
waren gesunde, starke Leute, die man gut in
der Landwirtschaft einsetzen konnte und
Juden, die spezielle Fähigkeiten und Berufe
aufweisen konnten. Ausgesondert wurden:
-
Alte und Kranke
Kinder bis 14 Jahren mit ihren
Müttern
Juden über 46-50 Jahren, die nicht voll
arbeiten konnten.
Insgesamt waren es 3000 Leute. Ihnen
wurde erzählt, sie würden nach Dünamünde
gebracht, wo sie bessere Lebensbedingungen und leichtere Arbeit in einer
Konservenfabrik erhalten sollten. Am 26.
März 1942 wurden diese mit Bussen und
Lastkraftwagen abtransportiert. Das gesamte Gepäck sollten sie zurücklassen.
Eine zynische Warnung am Lagerzaun von Auschwitz.
Es war ein Shuttle-System eingerichtet worden, bis alle weggefahren worden sind. Die
Busse und Lkw kamen immer nach 15 bis 20
Minuten leer zurück. Die Opfer wurden in
den Wald von Bikerneiki in der Nähe von
Riga gefahren, wo Arbeitskommandos große
Gruben ausgehoben hatten. Dort wurden
alle
erschossen.
Hier
kam
auch
Oberrabbiner Carlebach ums Leben. Eine
Einwohnerin berichtete: „Mein Haus ist
ungefähr 1 bis 1,5 km vom Wald entfernt. Ich
konnte daher sehen, wie die Leute in den
Wald gebracht wurden und konnte hören,
wie man sie erschoss. (…) Es war am
Karfreitag und Ostersonnabend 1942. Die
Leute wurden mit Bussen und grauen
Fahrzeugen gebracht (…) Allein am Freitag
zählte ich 41 Busse bis 12. (…) Tag und
Nacht hörten ich und andere Einwohner die
Schüsse von Gewehren und automatischen
Waffen. (…) Am Ostersonntag war alles
ruhig.(…) Wie viele andere gingen ich und
meine Familie in den Wald. (…) Unter den
vielen Gräbern sahen wir ein offenes Grab
mit erschossenen Leichen. Die Körper lagen
durcheinander, nur leicht angezogen oder in
Unterwäsche. Es waren Körper von Frauen
und Kindern. Die Körper zeigten Anzeichen
von brutalen Misshandlungen und Quälereien, bevor sie erschossen wurden. Viele
hatten Schnitte im Gesicht, Schwellungen an
den Köpfen, einige mit abgetrennten
Händen, ihre Augen herausgerissen oder
ihre Bäuche aufgeschlitzt. Neben dem Grab
waren Blutlachen, Haare, abgetrennte
Finger, Gehirne, Knochen, Schuhe von
Kindern und andere persönliche Gegenstände… Ausländische Juden wurden also
erschossen. Man konnte es an den verschiedenen zurückgelassenen Sachen erkennen.
Neben beinahe jedem Grab waren Rückstände eines Feuers. An den Feuerstellen
und neben den Gräbern lagen verschiedene
Dokumente, Fotografien und Ausweise. Aus
diesen konnte man die Herkunft der Leute
erkennen… Ich sah, dass sie aus Österreich, Ungarn, Deutschland und anderen
Ländern kamen… Vor ihrer Flucht beseitigten die Faschisten alle Spuren. Im Sommer
des gleichen Jahres öffneten sie die Gräber
im Bikernieki-Wald, exhumierten die Körper
und verbrannten sie.“ (zit. u. übersetzt nach:
Wilhelm Mosel: Hamburg Deportation
Transport to Riga.)
Das KZ Jungfernhof bestand als Judenlager
bis Sommer 1942. Die meisten Arbeitskräfte
wurden dann in das Ghetto von Riga
gebracht, das am 2. November 1943 aufgelöst wurde. Ungefähr 20.000 Juden sind
nach Riga deportiert worden. Im Herbst
1944 waren nur noch 30 Juden vom
Hamburger Transport am Leben. Diese wurden auf die Todesmärsche Richtung
Deutschland geschickt. (vgl. Prof. Dr.
Wolfgang Scheffler: Zur Geschichte der
Deportation jüdischer Bürger nach Riga
1941/1942.
Vortrag
anlässlich
der
Veranstaltung des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e. V. am 23. Mai 2000
zur Gründung des Riga-Komitees im LuiseSchröder-Saal des Berliner Rathauses).
Auschwitz
Birkenau)
(Auschwitz-
Elmshorner Opfer:
Martin Bachrach, geb. 26.11.1899, nach
Augenzeugenberichten in Auschwitz ermordet.
Frieda Dieseldorff geb. Sternberg, geb. am
16.1.1884 in Elmshorn, dep. 11.7.1942.
Moritz Meyers, geb. 20.1.1894 in Stadtlohn,
wohnte in Elmshorn, deportiert 11.7.1942.
Georg Rosenberg, geb. 9.6.1886 in
Elmshorn, deportiert 12.2.1943.
Elsa Stoppelmann geb. Vogel, geb.
1.8.1877 in Bad Kreuznach, wohnte in
Elmshorn , dep. nach Auschwitz mit Sohn:
Hans-Daniel
Stoppelmann,
geb.
30.10.1912 in Elmshorn, deportiert nach
Auschwitz.
Das Konzentrationslager Auschwitz lag in
der Kleinstadt Oswiecim (dt. Auschwitz),
zirka 60 Kilometer von der polnischen Stadt
Kraków (dt. Krakau) entfernt und bestand
eigentlich aus drei Hauptlagern und ungefähr 40 Außenlagern. Die drei Hauptlager
waren:
KZ Auschwitz
I,
das
sogenannte
Stammlager, ab Mai 1940, nach ersten
Plänen als Durchgangslager, aber schon im
Bau als KZ- und Arbeitslager eingerichtet.
Der erste Häftlingstransport erreichte
Auschwitz I am 20.5.1940. Bereits im März
1941 ordnete Himmler die Vergrößerung des
Lagers an. Dies führte zu
KZ Auschwitz II – Birkenau, dem größten
deutschen Vernichtungslager, drei Kilometer
vom Stammlager entfernt und
KZ Auschwitz III-Monowitz im Ort Monowitz,
zunächst unter der Bezeichnung BUNALager, zeitweilig organisatorisch ein eigenständiges Arbeitslager für verschiedene
Industrieansiedlungen, z.B. IG Farben.
Auschwitz-Birkenau wurde zu einem Symbol
für den Holocaust. Es wurde zu einem
Vernichtungslager mit insgesamt sechs
Gaskammern und vier Krematorien. Unter
unvorstellbar grausamen Bedingungen wurden hier diejenigen Hunderttausende von
Men-schen, die nicht gleich an der berüchtigten Rampe aussortiert (selektiert) und
sofort nach der Ankunft in den Gaskammern
durch Zyklon B (Blausäuregas) vergast wor-
den waren, gefangen gehalten, gefoltert,
durch Zwangsarbeit, Erfrieren, Verhungern,
Erschöpfung, medizinische
Versuche,
Exekutionen und letztendlich doch durch
Vergasen getötet.
Die meisten Opfer (nicht nur jüdische)
kamen in Viehwaggons nach tagelangen
Reisen in Auschwitz-Birkenau an. Meist fanden auf einer Verladerampe, zirka einen
Kilometer vom Lagertor entfernt, die
Selektionen durch die Lagerärzte statt, nur
durch bloßen Augenschein, nicht durch
Untersuchungen. Die „Schwachen“ und
nicht „Arbeitsfähigen“, Mütter mit Kindern,
alte Menschen, Kranke wurden gleich nach
der Ankunft zur Gaskammer geführt, die
anderen kamen zunächst ins Lager und
mussten in den an das Lager angrenzenden
Industriebetrieben arbeiten, wofür die
Firmen eine kleine „Miete“ bezahlen mussten. Bei der Ankunft im Lager wurde den
Opfern ihre Identität genommen, es wurde
ihnen wie Vieh Nummern eintätowiert.
rigen Arbeiter mussten im Laufschritt
Ziegelsteine schleppen oder schwere Loren
schieben. Jeder Versuch, sich etwas auszuruhen, hatte die Versetzung in eine Strafkompanie zur Folge, evtl. auch die sofortige
Erschießung. Angehörige dieser Strafkompanien hatten kaum eine Überlebungschance. Am frühen Morgen und nach der
Arbeit mussten sich die Gefangenen auf den
diversen Appellplätzen versammeln. Die
Appelle dauerten manchmal stundenlang.
Viele hielten das Strammstehen in der
Sommerhitze oder bei Frost nicht aus, kipp-
In Auschwitz-Birkenau vegetierten die
Gefangenen in hölzernen oder gemauerten
Baracken dahin. Die Konzeption dieser
Baracken basierte auf einem Plan für
Pferdeställe. Bis zu 800 Menschen waren in
jeder Baracke eingepfercht, die für 52 Pferde
gedacht war. Es gab nur wenige, dazu noch
sehr primitive Toiletten und Waschgelegenheiten. Tag und Nacht bestand Lebensgefahr.
Das Lagergelände war durch eine doppelte Zaunreihe gesichert.
„Arbeit“ bedeutete unmenschliche Sklavenarbeit in Fabriken, Minen, auf dem Land oder
auf Baustellen. Sogar die schwersten
Erdarbeiten mussten ohne ausreichendes
Werkzeug verrichtet werden. Die stets hung-
ten um und wurden deswegen ins Gas
geschickt.
Die tägliche Mahlzeit bestand aus einem
Becher wässriger Rüben- oder Kohlsuppe,
300g Brot und etwas Schmalz oder
Margarine. Selten „bereicherte“ ein 100g
schweres Stück gepökeltes Schweinefleisch
das Hungermahl. Als Folge der schweren
Arbeit und der unzureichenden Versorgung
mit Essen magerte man stark ab. Nach kurzer Zeit bestand der Körper nur noch aus
Haut und Knochen …“ (http://www.deathcamps.org/occupation/auschwitz_de.html)
Am 27. Januar 1945 erreichten und befreiten
sowjetische Truppen das Lager und konnten
noch 7650 Menschen befreien. Da nur die in
den Lagern aufgenommenen und nicht die
schon an der Rampe und bei der Selektion
im Lager direkt in die Gaskammern
geschickten Opfer gezählt wurden, ist man
auf Schätzungen angewiesen. Nach neuerer
Forschung wurden allein in Auschwitz zirka
1.100.000 Menschen ermordet, davon etwa
1.000.000 Juden, 70 bis 75.000 nichtjüdische Polen, 21.000 Roma, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene und zirka 10 bis
15.000 Menschen sonstiger Herkunft. Neben
den Opfern der hier aufgeführten
Konzentrationslager gibt es noch weitere
jüdische Opfer aus Elmshorn:
KL Fuhlsbüttel
später Gestapo-Gefängnis
Alfred Oppenheim, geb. 13.5.1897 in
Elmshorn, 1942 verhaftet, gest. 6.4.1943.
Unbekannte Todesorte:
Julius Dreiblatt, geb. 2.1.1890 in Hamburg,
Verbleib unbekannt
John Ely, geb. 9.8. 1873 in Elmshorn, gest.
in Polen
Olga Ely, geb. Lippstadt, geb. 14.2.1875 in
Elmshorn, Verbleib unbekannt
Walter Ely, geb. 8.8.1903 in Elmshorn,
gestorben angeblich In Lodz
Franz Goldschmidt, geb. am 7.3.1904 in
Elmshorn, 1942 deportiert mit Frau Reine
und Tochter Leah.
Scheffler, Prof. Dr. Wolfgang: Zur Geschichte der Deportation jüdischer Bürger
nach Riga 1941/1942. Vortrag anlässlich der
Veranstaltung des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e. V. am 23. Mai 2000
zur Gründung des Riga-Komitees im LuiseSchröder-Saal des Berliner Rathauses.
Literatur und Quellen:
Links:
Gillis-Carlebach (Hrsg.): Memorbuch zum
Gedenken an die jüdischen, in der Shoah
umgekommenen Schleswig-Holsteiner und
Schleswig-Holsteinerinnen. Hamburg 1996.
Kirschninck, Harald: Datei der jüdischen
Einwohner Elmshorns 1685-1945
Kirschninck, Harald: Die Geschichte der
Juden in Elmshorn. 1918-1945. Band 2.
Norderstedt 2005.
Kirschninck, Harald: Interviews mit Heinz
Hirsch, Rudolf Baum (verst.), Rudolf
Oppenheim und Anna Lötje geb. Lippstadt
(verst.)
Kirschninck, Harald: Juden in Elmshorn,
Teil 1: Diskriminierung, Verfolgung,
Vernichtung. Elmshorn 1996. (Beiträge zur
Elmshorner Geschichte Band 9).
Kirschninck, Harald: „Wer beim Juden
kauft, ist ein Volksverräter!“ Der Untergang
der jüdischen Gemeinde Elmshorn. In:
Gerhard Paul / Miriam Carlebach (Hrsg.):
Menora und Hakenkreuz. Zur Geschichte
der Juden in und aus Schleswig-Holstein,
Lübeck und Altona 1918 – 1998.
Neumünster 1998. S. 283 – 296.
Mosel, Wilhelm: Hamburg Deportation
Transport to Riga
Mosel, Wilhelm: Hamburg Deportation
Transport to Minsk
http://www.deathcamps.org/
occupation/auschwitz_de.html
http://www.geschichtswerkstatt-dueren.de/
juden/a_z/depo.html
http://www.deathcamps.org/
occupation/trawniki_de.html
http://www.bergenbelsen.niedersachsen.de/
pdf/zurgeschichte.pdf
http://www.shoa.de
http://www.deathcamps.org/
occupation/lodz%20ghetto_de.html
http://www.deathcamps.org/
reinhard/terezin_de.html
http://de.wikipedia.org/
wiki/KZ_Theresienstadt
Albert Hirsch
Lornsenstraße 35
(Plan Nr. 9)
Von Harald Kirschninck
Albert Hirsch wurde am 24. September 1878
in Mogilno (Posen) geboren. Seine Eltern
waren Fleischermeister Wilhelm Hirsch und
Ernstine, geb. Baszynska. Albert heiratete
am 15. November 1919 in Elmshorn seine
Frau Gertrud, geb. Schmerl. Gertrud war
Witwe und brachte ihren Sohn Horst mit in
die Ehe.
Albert und Gertrud bekamen am 16. Oktober
1920 einen gemeinsamen Sohn, den sie
Heinz-Walter nannten. Die Familie Hirsch
wohnte in der Lornsenstr. 35. Albert Hirsch
war der Besitzer der Konservenfabrik Hirsch
am Gerlingsweg. Im Israelitischen Kalender
von 1926/27 erschien folgende Anzeige:
"Gemüse- und Obstkonserven in feinster
Qualität, hergestellt unter Aufsicht des
Oberrabbiner Dr. Carlebach, Altona Holsteiner Konservenfabrik Albert Hirsch,
Elmshorn."
Albert Hirsch war ein sehr angesehener
Mitbürger. Er war Ersatzdeputierter und über
mehrere Jahre Vorsteher der Elmshorner
Gemeinde. Albert Hirsch war der letzte freigewählte Vorsteher. Mit Beginn des
Nationalsozialismus begann auch der
Niedergang der Fabrik und schwere Jahre
für die Familie Hirsch.
Seit Juni 1935 durfte auf den Geschäftspapieren der Fabrik nicht mehr das
Elmshorner Stadtwappen stehen. Dieses
wurde in der Beigeordnetensitzung vom
12.6.1935 beschlossen. 1938 wurde die
Fabrik schließlich “arisiert”, d.h. von einem
Nationalsozialisten praktisch enteignet.
Wilhelm Bull, der neue Besitzer, verschickte
am 1. August 1938 Briefe, in denen er sich
der Kundschaft empfahl. Jetzt prangte auf
dem Briefkopf auch wieder das Elmshorner
Stadtwappen. Am 16. September 1938 verstarb Gertrud Hirsch. Ihr Sohn aus erster
Ehe war mittlerweile nach Peru ausgewandert. Zurück blieben Albert und Heinz Hirsch.
Beide wurden in der Nacht vom 9. auf den
10. November 1938 verhaftet und in das
Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Sie kamen nach einiger Zeit wieder
frei.
Heinz Hirsch wanderte im Februar 1939
ebenfalls wie sein Stiefbruder nach
Lima/Peru aus. Dort eröffnete er einen AutoImporthandel, der sehr erfolgreich war. Er
lebt heute in Florida und ist dort trotz des
schon sehr hohen Alters ein angesehener
Geschäftsmann.
Zurück blieb Albert Hirsch, der letzte
Vorsteher der Gemeinde. Die Nationalsozialisten erpressten von ihm noch am 5.
September 1940 die Vereinbarung, dass
künftig keine Beisetzungen mehr auf dem
jüdischen Friedhof stattfinden sollten, da
man beabsichtigte, diesen Friedhof nach
einer Übergangsfrist aufzulösen und zu
bebauen.
nen Deportationsbescheid nach Riga. Er
begab sich am 1. Dezember 1941 auf den
jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs, wo
seine Frau Gertrud beerdigt worden war, und
Albert Hirsch und seine Frau Gertrud.
erhängte sich um 15.30 Uhr.
In den Elmshorner Nachrichten erschien am
4.12.1941 darüber eine kleine Notiz:
"Freiwillig aus dem Leben geschieden ist der
frühere Besitzer der Holsteinischen
Konservenfabrik H. Man fand ihn in einem
Toilettenraum auf dem Ohlsdorfer Friedhof
erhängt auf."
Pate für Albert Hirsch ist
Zu dieser Zeit wohnten in Elmshorn noch
sechs Juden, darunter vier Glaubensjuden.
Im November 1941 erhielt Albert Hirsch sei-
Harald Kirschninck
Fotos oben und unten: die Konservenfabrik von ...
... Albert Hirsch am Gerlingweg.
Ausgeplündert: Der neue Besitzer zeigt seinen Geschäftsfreunden die
“Arisierung” der Konservenfabrik an, die zuvor Albert Hirsch gehört hatte.
Karl Löwenstein
John Löwenstein
Selma Levi geb. Löwenstein
Peterstraße 29
(Plan Nr. 5-7)
Von Harald Kirschninck
Moses Löwenstein war ein streitbarer, kräftiger Mann. Er wurde 1848 geboren, ein halbes Jahr, bevor sein Vater im Befreiungskrieg 1848 fiel.
Er erlernte wie dieser das SchlachterHandwerk, welches er in Elmshorn über
lange Zeit ausübte. Er war Kriegsteilnehmer
von 1870/71 und hatte vier Kinder, zwei
Töchter (Bertha, geboren 1883 und Selma,
geboren 1885) und zwei Söhne (Karl, geboren 1881 und John, geboren 1886).
Moses Löwenstein war zwar ein Mitglied der
hiesigen jüdischen Gemeinde, aber er galt
als nicht sehr religiös, weshalb die
Elmshorner Juden ihr Fleisch auch nicht bei
ihm kauften, da es als nicht koscher galt.
Dennoch sandte er seine Kinder auf die hiesige jüdische Schule.
Als diese um 1890 geschlossen und in eine
Religionsschule umgewandelt werden sollte,
protestierte er bei dem Landrat Scheiff und
dem Kreisschulinspektor Probst Buchholz
und forderte, den damaligen Lehrer
Bacharach durch einen neuen Lehrer zu
ersetzen. Zu dieser Zeit besuchten allerdings nur noch die Löwenstein-Kinder die
Schule, sodass die Umwandlung von
Löwenstein nicht mehr aufgehalten werden
konnte.
Am 1. Weltkrieg nahmen Karl und John als
Soldaten teil. Moses Löwenstein starb 1924
und brauchte nicht mehr mitzuerleben, dass
drei seiner Kinder deportiert und schließlich
ermordet wurden.
Die Täter waren Bürger des Landes, für das
er, sein Vater und auch seine Söhne in drei
Kriegen gekämpft hatten. Alle drei Kinder
wurden innerhalb eines Monats im Jahr
1941 deportiert und schließlich ermordet.
John Löwenstein, der jüngste, war im
Transport nach Minsk am 8.11.1941, Karl
und Selma verschleppte man mit dem
Transport am 6.12.1941 nach Riga.
Karl Löwenstein war krank, pflegebedürftig
und lebte im Pflegeheim Sandberg 102. Hier
wurde er zunächst am 4.12.1941 der
Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Kiel übergeben. Schon drei Wochen vor dem
Transport
verschickte
die
Gestapo
Vermögenserklärungen, die die Juden auszufüllen hatten.
Damit man auch alles erfassen konnte, bat
man darum "gut leserlich auszufüllen, wenn
möglich mit Schreibmaschine".
Mitnehmen durften die Ausgeplünderten:
"1. Ein Koffer mit Ausrüstungsstücken im
Gewicht bis zu 50 kg.
2. Vollständige Bekleidung, möglichst festes
Schuhwerk.
3. Bettzeug mit Decke.
4. Verpflegung für 14 Tg. bis 3 Wochen.
5. Bargeld bis zu RM 50,-."
Was mit dem übrigen Vermögen geschah,
wurde in dem Schreiben ebenfalls klargestellt: "Das Vermögen der für die
Evakuierung vorgesehenen Juden ist rückwirkend ab 15.10.41 beschlagnahmt."
Patin für Karl Löwenstein ist
Anna Haentjens
Pate für John Löwenstein ist
Kai Lohse
Patin für Selma Levi geb. Löwenstein ist
die Frauengeschichtswerkstatt des
Industriemuseums Elmshorn
Penibel listete die Kieler
Gestapo auf, was Karl
Löwenstein und Albert
Hirsch zur Deportation
mitbringen durften. NaziDeutschlands Verwaltung
hatte sie bereits mit dem
Zwangsvornamen
für
männliche Juden, “Israel”,
gedemütigt.
Das Bahnticket für die
Anreise zur Deportation
hatten die Todeskandidaten selbst zu bezahlen.
John Hasenberg
Kirchenstraße 40
(Plan Nr. 10)
Von Maximilian Jermies
Geboren am 8. Oktober 1892 in
Neunmünster als eines von sieben Kindern
des jüdischen Ehepaares Henny Hasenberg
(geb. Lippstadt) und Julius Hasenberg, zog
John Hasenberg gegen Ende des 19.
Jahrhunderts mit seiner Familie nach
Elmshorn, wo sein Vater in der
Kirchenstraße 40 eine Immobilienfirma
betrieb. John ging von 1902 bis 1909 auf die
Bismarckschule und schloss diese mit dem
Abschluss des Realgymnasiums ab.
Auch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges
erlebte er hier und zog bald an die Front.
Sein Einsatz blieb nicht ohne Konsequenzen
- für seine Verdienste wurde er mit dem
Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet.
Nach dem Ersten Weltkrieg hielt es ihn nicht
mehr lange in Elmshorn; im Jahr 1922 zog er
nach Hamburg, wo er als Kaufmann in der
Bank von Willi Seligmann am Gänsemarkt
35 arbeitete und unter anderem am
Schwanenwik 29 wohnte. Die Blaue Steuerkartei der Jüdischen Gemeinde belegt seinen Fortgang im Jahre 1927. Auf Hamburg
folgte sein letzter deutscher Wohnsitz –
Berlin.
Hier heiratete er Gertrud (geb. Meyer), geboren am 28. Oktober 1903 in Berlin. Auch die
beiden Kinder des Paares, ein Sohn, 1928
geboren, und die Tochter Irene Hasenberg,
geboren im Jahr 1930, erblickten hier das
Licht der Welt.
Zwei Jahre nach der Proklamation der
„Nürnberger Rassengesetze” bekam John
Hasenberg die Möglichkeit, Deutschland zu
verlassen. Die Firma „American Express”
hatte ihm zwei Alternativen geboten: einen
Job in Curacao oder in Amsterdam. Mit seiner Frau, seinem neunjährigen Sohn und
seiner siebenjährigen Tochter zog John
Hasenberg im Jahr 1937 von Berlin nach
Amsterdam, um der Verfolgung durch die
Nationalsozialisten zu entgehen.
Als die Nazis im Jahr 1940 in die
Niederlande einmarschierten, wurde auch
hier das Leben der Familie erheblich
erschwert. Die Benutzung der Straßenbahn
war der banale Grund für die erste
Inhaftierung der kompletten Familie
Hasenberg, aber vorerst hatte sie Glück.
Ohne Begründung wurde die Familie wieder
freigelassen. Was blieb, war die Angst.
Weil es American Express verboten wurde,
Juden zu beschäftigen, verlor John seine
Arbeit und arbeitete nun für den “Joodsraad”, eine von den Nazis eingerichtete
Organisation. Seine Aufgabe war es, den
durch plötzliche Razzien deportierten Juden
Das Wohnhaus John Hasenbergs in der Kirchenstraße 40.
ihr Gepäck in die Sammellager nachzuschicken. John hatte die Erlaubnis, mit einem
Team in die Wohnungen der deportierten
Juden einzudringen und die benötigten
Gepäckstücke zu beschaffen.
Irene Hasenberg sagte in einem Interview
im Jahr 1986, dass ihr Vater gehofft hatte,
mit der Mitarbeit beim “Joodsraad” anderen
Juden zu helfen. Wie so oft zögerte die Mit-
arbeit im Joodsraad die Deportation nur hinaus, anstatt sie zu verhindern. Am 23. Juni
1943 kreiste die SS auch das Wohnviertel
der Hasenbergs ein. Irene Hasenberg erinnerte sich, dass es ungefähr um 10 Uhr morgens an einem ungewöhnlich heißen Tag
gewesen sein muss, als die SS auch an ihre
Tür klopfte.
Der Familie Hasenberg war es noch erlaubt,
ein wenig Proviant und anderes Gepäck mitzunehmen, dann wurde sie mit anderen
Juden zu Sammelplätzen getrieben und in
Güterwaggons gepfercht. Die Erfahrung, mit
zirka 60 anderen Menschen den ganzen Tag
in einem Güterwaggon gefangen zu sein,
beschreibt Irene Hasenberg als grausam.
Am 23.Juni 1943 erreichte der Zug dann
seine Endstation, das Sammellager
Westerbork, wo die Familie acht Monate verbringen musste.
Noch in Amsterdam hatte John jedoch über
einen Freund von einem Schweden erfahren, der gefälschte Pässe beschaffen konnte. Auf Johns briefliche Anfrage erhielt die
Familie Hasenberg nun aus Schweden vier
ecuadorianische Pässe. Wie diese Pässe
ihren Weg von Schweden über Amsterdam
bis nach Westerbork gefunden haben, konnte niemand erklären. Fest stand aber, dass
die Pässe den Status der Familie Hasenberg
entscheidend veränderten.
War ursprünglich die Deportation der
Hasenbergs nach Auschwitz vorgesehen, so
bewirkte der Nachweis einer nichtdeutschen
Staatsbürgerschaft die Streichung der
Familie von der Transportliste.
Am 16.Februar 1944 erfolgte die Deportation
in das Konzentrationslager Bergen-Belsen,
wo Irene Hasenberg auch Anne Frank kennenlernte. Die Situation in Bergen-Belsen
war wegen der Größe des Camps und der
Menge an Menschen, die auf noch kleinerem Raum zusammengepfercht waren,
schlimmer als in Westerbork. Mangelernährung, harte Arbeit und, im Falle von John
Hasenberg, Prügelstrafen, schwächten
besonders Hasenberg und seine Frau. Doch
trotzdem erlangte die Familie Hasenberg
aufgrund eines glücklichen Zufalls schließlich die Freiheit. Bei einem Gefangenenaustausch
zwischen
Amerikanern
und
Deutschen waren auf deutscher Seite nicht
genügend Amerikaner für den Austausch
vorhanden.
Die Recherchen zu John Hasenberg hat der
Leistungskurs
Geschichte
des
12.
Jahrganges der Elsa-Brändström-Schule
Elmshorn unter der Leitung von Doris
Hannig-Wolfsohn in einem Projekt der
Referendarin Julia Störzel im Jahr 2007 vorgenommen.
Deswegen wählten die Nazis Häftlinge nichtdeutscher Nationalitäten aus, um die geforderte Anzahl zu erreichen. Wegen ihrer
gefälschten Pässe gehörten die Hasenbergs
zu den glücklichen Auserwählten, die den
Zug Richtung Schweiz besteigen durften.
Trotz des unglaublichen Glücks war es für
John Hasenberg schon zu spät.
Quellen:
Stadtarchiv Elmshorn;
Archiv der
Elmshorner Nachrichten; Staatsarchiv
Hamburg; Interview mit Irene Hasenberg
(www. http://holocaust.umd.umich.edu/
butter/).
Seine letzte Prügelstrafe hatte ihm bei seiner
sowieso schlechten körperlichen Verfassung
die letzten Kräfte geraubt. Er starb auf dem
Weg in die Freiheit am 23. Januar 1945 bei
Laubheim. Seine Familie zog weiter nach
Amerika.
Die folgenden Schüler haben daran mitgearbeitet:
Lisa Arendt, Uwe Dahlke, Pia Heyne, Kerry
Howard, Maximilian Jermies, Kevin Klüver,
Maria Koch, Martin Krempa, Patrick Meißner
Jana Mohr, Franziska Ortlinghaus, Milord
Said, Tanja Schumann, Jessica Vokuhl,
Janine Walter, Isabel Werner.
Patin für John Hasenberg ist
die Elsa-Brändström-Schule
Georg Rosenberg
Kirchenstraße 4
(Plan Nr. 11)
Von Jürgen Wohlenberg, Mark Seeland,
Thorben Walter und Anna Zier
Georg Rosenberg führte bis 1926 einen
Papiergroßhandel in der Kirchenstraße 4.
Dieser war von seinem Vater Alexander
Rosenberg im September 1883 als kleines
Ladengeschäft am Markt gegründet worden.
Er selbst wurde am 9. Juni 1886 als erster
Sohn von Alexander und Amalie Rosenberg
in Elmshorn geboren.
Nach
seinem Abschluss an der
Bismarckschule im Jahre 1902 half er im
Betrieb aus. Der Betrieb wurde später von
ihm übernommen und im Laufe der Jahre
signifikant vergrößert, sodass ein neues
Gebäude in der Kirchenstraße 10 hinzugekauft werden musste.
Am 8. Juni 1909 heiratete Georg die
Elmshornerin Gerda Johanna Mendel. Sie
entstammte einer der angesehensten jüdischen Familien Elmshorns. Im November
1910 bekamen die beiden ihren Sohn
Günter, und im Dezember 1912 folgte die
Tochter Edel Ellen. (1)
Im Jahre 1913 wanderte Georgs Bruder
Friedrich, auch genannt Fritz, mit der „Graf
von Waldersee“ in die USA aus. Sein Vater
Alexander bezahlte die 75 US-Dollar für die
Überfahrt, und er gab als Adresse seinen
Cousin Jacob in der Nassau Street, New
York City an.(2) Der Grund für die
Auswanderung ist naturgemäß nicht
bekannt, vielleicht war es Abenteuerlust,
vielleicht auch nur die Enttäuschung, dass
sein Bruder das Geschäft bekam.
Georg und Gerda wurden offensichtlich nicht
glücklich. Mit einem Gerichtsurteil des
Landesgerichts Altona wurde die Ehe zwischen beiden im Jahre 1920 geschieden.
Gerda durfte den Namen Rosenberg-Mendel
weiterführen.(1) Sie zog bald darauf in die
Holstenstraße 10 und war dort mit ihrem
Sohn Günter gemeldet. Sie arbeitete als
Hand- und Fußpflegerin und Günter als
Messe-Steward.(3) Kurz nach der Scheidung
nahm sich seine Mutter Amalie Rosenberg
das Leben.
Am 8. November 1921 heiratete er die
Nichtjüdin Irma Schmidt.(1) Zum 40-jährigen
Jubiläum seines Geschäfts am 1. September
1923 lobt die Elmshorner Zeitung Georg
Rosenberg; er wird dort als Gönner vieler
Elmshorner Einrichtungen in Sport und
Kultur und ein Förderer des Elmshorner
Theaters genannt. Mit seinem guten
Geschäftssinn und seinen zahlreichen
Kontakten ins Ausland konnte er Devisen in
die Stadt schaffen, dies wurde von der
Elmshorner Zeitung als „praktische
Vaterlandsliebe“ bezeichnet.(4)
Doch wenig später wendete sich für ihn das
Blatt, denn die Scheidung und einige
Steuervergehen führten schließlich zum
Konkurs seines Papiergroßhandels, eine
zweimonatige Gefängnisstrafe wegen
Konkursvergehen
wurde
in
eine
Bewährungsstrafe umgewandelt.(5) Die
Kirchenstraße 4 musste im April 1926
zwangsversteigert werden, (6) und weitere
Eine Annonce der Firma Rosenberg aus
dem Jahr 1903.
Immobilien wurden verkauft oder vor dem
Konkurs an seine Ex-Frau und Kinder überschrieben.(7) Mit seiner zweiten Frau Irma
zog er dann in die Peterstraße 28, dort
betrieb sie einen Handarbeitsladen, in dem
er ihr aushalf. Bei der großen Boykott-Aktion
der Nationalsozialisten am 1. April 1933
wurde auch Irmas Laden in der Königstraße
von SA-Posten belagert und als jüdisches
Geschäft gebrandmarkt. Nach der „freiwilligen“ Schließung ihres Ladens zogen die SAPosten ab.(8)
Georg arbeitete nach seinem Konkurs auch
als Reisevertreter für eine Elmshorner
Margarinefabrik und reiste 1936 geschäftlich
wie früher nach Wyk auf Föhr. Er wohnte wie
immer im Strandhotel. Dort wurde er von
einem
SA-Mann,
dem
Sohn
der
Eigentümerin Frau P. und einem Bekannten
des Herrn P. aus dem Hotel geprügelt und
beschimpft. Bei der Polizei warfen ihm Herr
P. und der Bekannte vor, den dortigen
Kolonialwarenhändler betrogen zu haben,
wofür es aber keinerlei Beweise gab.
Georg war bereit, die Anzeige zurückzuziehen, wenn die Täter an die Winterhilfe spenden würden. Das Verfahren wurde von der
Flensburger Staatsanwaltschaft wenige Tage
nach Erhalt des Polizeilichen Führungszeugnisses Georg Rosenbergs eingestellt. Die
Elmshorner Polizei schreibt im Dezember
1936: „Der Kaufmann Georg Rosenberg,
geboren am 9. Juni 1886 in Elmshorn, wohnhaft in Elmshorn, Peterstraße Nr. 28, ist
Jude. […] Der Ruf des Rosenberg ist kein
guter. Wie bereits oben erwähnt, ist er
wegen Konkursvergehen und Betruges vorbestraft. Im Laufe dieses Jahres liefen hier
mehrere Anzeigen gegen seine Ehefrau, die
Inhaberin des Stickereigeschäfts ist, durch.
Der Frau wurde Untreue und Betrug zum
Nachteil ihrer Lieferanten zur Last gelegt.
Der Hauptbetreiber dieser Handlungen dürfte aber der Ehemann gewesen sein. […] Im
Übrigen kann gesagt werden, daß man es
bei Rosenberg mit einem typischen Juden
mit typisch jüdischem Charakter und
Einstellung zu tun hat.“ (5) Georg versuchte
jetzt irgendwie durchzukommen, nachdem
er seinen „Arierschutz“ nach der Trennung
von seiner Frau Irma irgendwann nach 1936
verloren hatte. Er wandte sich an die jüdi-
sche Gemeinde in Elmshorn und bekam
Zuflucht bei den Oppenheims. Er versteckte
sich auf deren Dachboden bis zur Flucht der
Oppenheims im Februar 1939.(13) Zu diesem Zeitpunkt musste die jüdische
Bevölkerung all ihre Besitztümer abgeben,
sodass sie nur noch ihren Hausrat besaß
und einen kleinen Zins ihres ehemaligen
Vermögens. Wie gefährlich es war, nicht all
sein Geld abzugeben, bekam Georg im Juli
1939 am eigenen Leib zu spüren.
„Festgenommen wurde am Montag, dem
24. Juli, der frühere Kaufmann, der Jude
Georg Rosenberg. Er lebte in der letzten Zeit
von Unterstützungen der jüdischen
Gemeinschaftshilfe und versuchte, bei
Behörden Hilfe in seiner angeblichen
„Notlage“ zu finden. Es wurden bei seiner
Festnahme 452,16 RM bei ihm vorgefunden.
Diese Summe hatte Rosenberg nach
jüdisch-devisenschieberischer Weise in dem
Futter seiner rechten Hosenklappe versteckt. Die Gestapo wird sich jetzt wieder
einmal mit ihm beschäftigen.“ (9)
Er wurde der Gestapo übergeben, und am
19. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz
deportiert.(10) Er ist in den Opferlisten von
Yad Vashem geführt, sein genaueres
Schicksal und der genaue Todeszeitpunkt
bleibt wohl für immer unbekannt.
1937 zog Gerda Rosenberg-Mendel nach
Hamburg. Ihre Tochter Edel Ellen war schon
1935 nach Liverpool, England, geflohen und
zog nach der Flucht Gerdas 1939 mit ihr
nach Romford/Essex, ein heutiger Stadtteil
Londons. Edel Ellen erhielt 1947 die britische Staatsbürgerschaft. Der Verbleib des
Sohnes Günter ist ungeklärt. (7)
Der Bruder Friedrich Rosenberg starb im
Jahr 1975 in San Antonio, Texas, USA.(12) In
dem Stadtteil von San Antonio, in dem er
zum Zeitpunkt seines Todes lebte, wohnen
auch heute mehrere Rosenbergs. Das Grab
der Eltern von Georg und Friedrich
Rosenberg ist heute noch auf dem jüdischen
Friedhof in Elmshorn zu finden. Es liegt von
der Feldstraße aus gesehen auf der linken
Seite der Friedhofshalle.
Quellen:
(1) Meldekarten, Elmshorner Stadtarchiv
(2) Ellis Island, Einwanderungsunterlagen
(3)
Elmshorner
Adressbuch
1934,
Elmshorner Stadtarchiv
(4) Elmshorner Zeitung, 31. August 1923
5 Landesarchiv Schleswig-Holstein 354 –
2256
(6) altes Grundbuch Elmshorn, Band 18,
Blatt 894
(7) Landesarchiv Schleswig-Holstein 510 –
3331
(8) Elmshorner Nachrichten,1. April 1933;
Band 9 der Elmshorner Geschichte
(9) Elmshorner Nachrichten, 25. Juni 1939
(10) Archiv Auschwitz, Deportationsliste vom
19. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz
(11) Landesarchiv Schleswig-Holstein 761 –
14282 und Jewish Refugee Committee
Archiv
(12) Ancestry.com
(13) Information von Harald
Kirschninck,
Verfasser des 9. Bandes der Beiträge zur
Elmshorner Geschichte.
Paten für Georg Rosenberg sind
Jürgen Wohlenberg und Hans-Joachim
Wohlenberg sowie Mark Seeland,
Thorben Walter und Anna Zier von der
Gesamtschule Elmshorn (KGSE)
Hans-DDaniel Stoppelmann
Adele-EElsa Stoppelmann
Norderstraße 28
(Plan Nr. 12 + 13)
Von Rudi Arendt und Maren Josephi
Als Schleswig-Holstein 1945 von britischen
Truppen besetzt und damit vom NSTerrorregime befreit wurde, war das jüdische
Leben zerschlagen: die Gemeinden waren
längst liquidiert, die Synagogen geschändet,
jüdischer Besitz „arisiert“ und die jüdische
Bevölkerung verjagt, deportiert und ermordet. „Hier riecht es nach Leichen, nach
Gaskammern und nach Folterzellen“,
schrieb der Journalist und Schriftsteller
Robert Weltsch nach einem Besuch im
besiegten Deutschland im Jahre 1946.
Doch das ganze Ausmaß der Katastrophe
wurde erst später offenbar. „Ich hätte niemals geglaubt, dass allein wir über 1600
umgebrachte Juden zu beweinen haben“,
zeigte sich Schimon Monin – 1934 zusammen mit seiner Familie von Flensburg nach
Palästina geflohen und heute Sprecher des
Schleswig-Holstein-Komitees in Israel –
erschüttert.
Oktober 1912, lebte er zusammen mit seinen beiden Brüdern Richard (geboren am
22. Februar 1910) und Max Heinz (geboren
am 24. Januar 1908) sowie seinen Eltern.
Die Eltern, Vater Julius Stoppelmann, geboren 1874 im holländischen Belingwolde und
Mutter Adele Elsa, geb. Vogel, bewohnten
anfangs mit ihren Kindern ein Haus in der
Gärtnerstraße.
Hans Daniel Stoppelmann ging, so ein
Zeugnis aus dem Jahre 1927, auf die nahe
gelegene Bismarckschule. Sie wurde derzeit
als „städtisches Realgymnasium mit
Realschule“ geführt. In einer Schulklasse
(eine U-IIa) dieses Jahrganges, das belegt
dieses Dokument, lernten zwischen 34 und
38 Schülerinnen und Schüler in einem
Raum. Sein Bruder Max-Heinz hatte zu dem
Zeitpunkt schon seine achtjährige Schulzeit
an der Bismarckschule (1917 bis 1925)
absolviert.
Erinnert werden soll hier an die Familie
Stoppelmann. An die Mutter, Adele-Elsa und
an Hans Daniel, jüngster Sohn dieser fünfköpfigen Elmshorner Familie, die dem jüdischen Glauben angehörte. Geboren am 30.
Kaum
begann
Hitler
nach
der
Machtübertragung 1933 damit, sein von
Rassismus, Ausgrenzung und Willkür getragenes Regime zu etablieren, erklärte
Rabbiner Dr. Leo Baeck, „der letzte große
repräsentative deutsche Jude, der in der kritischen letzten Periode auch zum politischen
Führer
wurde“,
die
tausendjährige
Geschichte der Juden in Deutschland für
abgeschlossen. Dieser düsteren Prophezeiung – ausgesprochen bereits auf der ersten
Sitzung der im selben Jahr gegründeten
„Reichsvertretung der deutschen Juden“,
deren Präsident Baeck war – wollten
zunächst nur wenige Juden Glauben schenken – ein für sie tragischer Trugschluss. Die
Frage „Gehen oder bleiben?“ beantworteten
viele von ihnen mit „Abwarten“. Auch die
Familie Stoppelmann. Sie gerieten zusehends
in
die Ausgrenzungsund
Vernichtungsmaschinerie der Nazis.
Die Familie zog noch um. Von der
Gärtnerstraße in die heutige Norderstraße,
damals Schlageterstraße, in das Haus Nr.
28. Sie wohnte damit unweit des Parteilokals
der NSDAP, Stüben und des Café Koch. Hier
kamen regelmäßig dienstags die örtlichen
Schläger von SA und SS zusammen.
Im Jahr 1936 starb der Vater im Alter von 62
Jahren an Herzversagen. Er war in seinem
Leben Viehhändler gewesen. Seine
Arbeitsstätte befand sich am Flamweg 7.
Julius Stoppelmann gehörte noch zur
Generation der Teilnehmer des 1.
Weltkrieges. Mit ihm verlor die jüdische
Gemeinde einen aktiven Gläubigen – er fungierte als Deputierter der Elmshorner
Glaubensgemeinschaft in den Jahren 1929
bis 1932 – und Elmshorn verlor ein Mitglied
und einen Ehrenförderer der Elmshorner
Männer- und Turnvereinigung (EMTV).
Der Tod des Vaters bedeutet einen tiefen
Einschnitt für die übrige Familie. Die
„Arisierung“ von Mietgrundstück, Stallgebäude und Weidegrund durch die Nazis
raubt ihnen die Existenzgrundlage. Und
dann kommt die Nacht vom 9. auf den 10.
November 1938.
In der „Hauptstadt der Bewegung“, in München, hat sich zum Gedenken an den missglückten Hitler-Putsch vom 8./9. November
1923 fast die gesamte NS-Prominenz – darunter auch Schleswig-Holsteins Gauleiter
Hinrich Lohse – versammelt, als die
Nachricht eintrifft, dass Ernst vom Rath,
Diplomat der deutschen Botschaft in Paris,
den schweren Verletzungen erlegen ist, die
ihm zwei Tage zuvor der 17-jährige Jude
Herschel Grynszpan mit einem Revolver
zugefügt hatte. Den Nazis kommt dieses
Attentat gelegen. Sehen sie doch den willkommenen Anlass, eine „Nacht des
Schreckens“ zu inszenieren, in der sich der
braune Mob auf Anweisung „spontan“ austoben sollte – so die offizielle Sprachregelung
und die Darstellung in der längst gleichgeschalteten Presse.
In Elmshorn wird das alte SA-Kampflied
„Hallo, die Synagoge brennt“ grausame
Wirklichkeit: SA-Männer haben von der nahe
gelegenen Tankstelle Benzin zum jüdischen
Gotteshaus am Flamweg geschleppt und
das Gebäude in Brand gesteckt. Erst als das
Zerstörungswerk vollbracht ist, wird die
Feuerwehr alarmiert.
Die Mutter und ihre Söhne (Hans Daniel war
zwischenzeitlich auch in Kiel gemeldet) emigrieren noch einen Monat später – am 12.
Dezember 1938 – nach Assen/Holland, wohl
zu Verwandten des verstorbenen Vaters.
Auf den Angriff auf Polen, am 1. September
1939 – der Entfesselung des Zweiten
Weltkrieges – folgt der Überfall der
Wehrmacht auch im Westen auf neutrale
Staaten wie die Niederlande, Belgien und
Luxemburg. Am 15. Mai 1940, nach dem
verheerenden Luftangriff auf Rotterdam,
kapituliert die niederländische Armee. Die
Vernichtung der jüdischen Menschen auch
in West-Europa beginnt.
Der frühere Wohnsitz der Familie Stoppelmann in der Norderstraße 28.
Hans Daniel Stoppelmann und seine Mutter,
Adele Elsa Stoppelmann, werden 1942 in
das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau
deportiert. Die Mutter wird kurz nach der
Ankunft am 26.10.1942 dort ermordet. Für
das Ende in der Gaskammer gibt es keine
persönlichen
Zeichen.
Durch
Nachforschungen
vor
Ort
in
der
Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem ist
auch das Todesdatum von Hans Daniel
Stoppelmann bekannt. Es ist der 30.6.1944.
Dennoch gab es Überlebende der Familie
Stoppelmann. Richard Stoppelmann emigrierte am 22.10.1939 mit dem Schiff
„Statendam“ von Rotterdam nach New York.
Ziel der zehntägigen Überfahrt: die 1440 4th
Str. Des Moines in Iowa/USA, die Wohnung
des zuvor schon emigrierten Bruders MaxHeinz. Im November 1942 lebten gerade
noch 59 Juden in Schleswig-Holstein, verteilt
auf 18 Orte.
:
Quellen für Hans-Daniel und Adele Elsa
Stoppelmann
G. Paul/M. Gillis Carlebach: Menora und
Hakenkreuz zur Geschichte der Juden in
und aus Schleswig-Holstein, Lübeck und
Altona, Seite 713; Gedenkbuch – Opfer der
Verfolgung der Juden unter der NSGewaltherrschaft in Deutschland 1933 bis
1945, Bundesarchiv Koblenz 1986 und
Stadtarchiv Elmshorn, Schularchiv der
Bismarckschule, H.Diercks/F.Bringmann,
„Die Freiheit lebt“, Seite 24, Gedenkstätte
Yad Vashem/Israel, Liste von Opfern aus
den Niederlanden, Erich Koch/Schleswig,
Center of Research on Dutch Jewry, Harald
Kirschninck/Elmshorn.
Patin für Hans-Daniel Stoppelmann ist
die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde
Elmshorn
Patin für Adele-Elsa Stoppelmann ist
die Jüdische Gemeinde Elmshorn
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