Wann beginnen, welches Regime wählen?

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CME DER MMW
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG– FOLGE xxx
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Priv.-Doz. Dr. med. Michael Hummel
Institut für Diabetesforschung, Helmholtz-Zentrum München &
Forschergruppe Diabetes e.V., Helmholtz-Zentrum München &
Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Suchtmedizin, Klinikum
Schwabing, Klinikum München GmbH
In Zusammenarbeit mit der
Bayerischen Landesärztekammer
Direkt online teilnehmen unter www. cme-punkt. de
280
Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes in der Praxis
Wann beginnen, welches Regime wählen?
In Deutschland werden etwa zwei Millionen Typ-2-Diabetiker mit
Insulin behandelt. Trotz dieser hohen Zahl besteht im Alltag oft
Unsicherheit, wann mit einer Insulintherapie begonnen, welche
Insulinart gewählt werden soll und welches Insulinregime geeignet
ist. Der folgende Beitrag gibt konkrete Handlungsanweisungen.
In den Therapieentscheidungsprozess
müssen auch neue Erkenntnisse integriert werden. Seit 2007 steht mit den
GLP-1-Analoga eine potenziell das Gewicht reduzierende Wirkstoffgruppe zur
Verfügung, die alternativ zu einer frühen Insulintherapie eingesetzt werden
kann. Darüber hinaus wird es aus kardiovaskulärer Perspektive immer wichtiger, bisher unterschätzte Komplikationen der Therapie – Hypoglykämien
und Gewichtszunahme – zu vermeiden.
Indikation zur Insulintherapie
Die neue Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) empfiehlt, bei
Versagen der Kombination von zwei
oralen Antidiabetika (OAD) eine Therapie mit Insulin zu beginnen. Versagen
bedeutet hier, dass über drei bis sechs
Monaten der HbA1c nicht unter 6,5% –
bzw. dem individuellen HbA1c-Zielwert
– gehalten werden kann. Im Mittel setzt
dieses Sekundärversagen ca. zehn Jahre
nach Krankheitsbeginn ein. In dieser
katabolen Situation verliert der Patient
oft auch an Gewicht.
Pathophysiologisch ursächlich ist der
zunehmende Insulinsekretionsverlust:
Die endogene Insulinproduktion reicht
MMW-Fortschr. Med. Nr. 23 / 2011 (153. Jg.)
Insulintherapie so früh wie nötig!
Aufgrund von Vorurteilen, Aversionen
aber teils auch berechtigten Bedenken
hinsichtlich Hypoglykämien und Gewichtszunahme – sowohl der Patienten
als auch der behandelnden Ärzte – wird
die Insulintherapie oftmals zu spät begonnen. Patienten in der USA haben im
Mittel kumulativ zehn Jahre einen
HbA1c-Wert über 7,0% bzw. fünf Jahre
einen HbA1c-Wert über 8,0%, ehe die
Insulintherapie initiiert wird [2]. Aktuelle Behandlungsstudien zeigen aber,
dass eine frühe optimale Therapie des
Diabetes den größten Benefit für den
Patienten bringt [3]. In den ersten 15
Krankheitsjahren reduziert eine intensive Diabetestherapie mit strengem
HbA1c-Ziel die Rate an kardiovaskulären Ereignissen sowie die Mortalität.
nicht mehr aus, um die Insulinresistenz
auszugleichen. Folgerichtig muss nun
exogenes Insulin substituiert werden.
Weitere Indikationen für eine Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes (T2D)
sind Medikamentenunverträglichkeiten
bzw. -kontraindikationen gegen OAD.
Bei eingeschränkter Nierenfunktion mit
einer GFR < 30 ml/min gibt es quasi keine Alternative zur Insulintherapie.
Wird bei einem schlanken und/oder
jungen Patienten ein T2D diagnostiziert,
sollte diese Diagnose immer hinterfragt
werden. Wie die UKPDS-Studie zeigt,
weisen ca. 10% der als Typ-2-Diabetiker
klassifizierten Personen Inselautoantikörper – insbesondere GADA (Glutamatdecarboxylase-Autoantikörper) – auf
[1]. Sie leiden also an einer Spätform des
Typ-1-Diabetes, dem sog. LADA (Latent
Autoimmune Diabetes of the Adult).
Weisen die Patienten zwei Inselautoantikörper auf, sind 80% innerhalb von sechs
Jahren insulinpflichtig. Speziell bei
LADA sollte wegen des raschen Insulin-
Aus Angst vor Hypoglykämien und
Gewichtszunahme wird die Insulintherapie oft zu spät begonnen.
© Klaus Rose
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sekretionsverlustes auf eine rechtzeitige
Insulinierung geachtet werden.
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FORTBILDUNG – ÜBERSICHT
– Abbildung 1
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Optionen der Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes
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BOT: Basal unterstützte
orale Therapie
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BOT plus: BOT plus kurz wirksames
Insulin
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CT: 2–3 x täglich Mischinsulin
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SIT: Prandiale Insulintherapie
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ICT: Basis- und Bolus-Insulin
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Abb. 1 Jede der o. g. Therapieformen kann (und soll) mit oralen Antidiabetika,
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insbesondere Metformin kombiniert werden.
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Verschiedene Insulinregime
Wichtig ist, eine individuell passende
Therapie zu finden. Prinzipiell ist nicht a
priori ein Insulinregime dem anderen
überlegen. Es sollten folgende Faktoren
berücksichtigt werden:
Hypoglykämierisiko
Potenzielle Gewichtszunahme
Ausmaß der HbA1c-Absenkung
Erhöhte Nüchtern- (nü-BG) oder postprandiale Blutglukose (pp-BG) führend
Komplexität der Therapie
Akzeptanz/Mitarbeit des Patienten,
Zahl der Blutglukoseselbstkontrollen
Lebensqualität
Reduktion der kardiovaskulären Endpunkte
Kosten.
Zahlreiche, i. d. R. von der Pharmaindustrie gesponserte Studien sowie Meta- und Cochraneanalysen geben Hinweise, welche Therapieregime hinsichtlich der obigen Charakteristika jeweils
Vorteile bieten. Es gibt aber keine Endpunktstudien, die die Überlegenheit
eines der u. g. Insulinschemata bei T2D
beweist. Der rechtzeitige Beginn einer
Insulintherapie ist wichtiger als die Wahl
des Therapieregimes. Unterschieden
werden (s. auch Abb. 1): BOT (basal unterstützte orale Theapie), BOT plus, SIT
(supplementäre Insulintherapie), CT
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BOT
(Basal
unterstützte
orale Therapie)
Hier wird zusätzlich zu dem/den oralen
Antidiabetika einmal täglich Basalinsulin verabreicht. Vorteile sind:
Einfach: 1–2 Tabletten, 1 Insulininjektion, 1 x täglich morgens nüchtern
Blutglukoseselbstkontrolle (und gelegentlich um 2.00 h nachts).
Leicht zu steuern: die Nüchternblutglukose soll unter 110 mg/dl liegen.
Häufig erfolgreich: ca. 50% der Patienten schaffen einen HbA1c < 7%.
Geringe (nächtliche) Hypoglykämiegefahr (0,2% schwere Hypoglykämien/Jahr).
Geringe Gewichtsproblematik.
Flexibel vom Timing. NPH-Insulin
wird vor dem Schlafen injiziert, Basal-Analoga können entweder auch
zum Abendessen (Insulindetemir)
oder zu jeder Tageszeit (Insulin­
glargin) verabreicht werden.
Aber wichtig: rechtzeitig den nächsten Schritt = Intensivierung der Therapie tun.
Der Therapiebeginn ist einfach. Zusätzlich zu den bisher verabreichten OAD
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Praktisches Vorgehen und
Titrationsschema bei BOT [4]
Nüchtern-Blut
glukose (nü-BG)
Dosisan­
passung
> 120 mg/dl
> 6,7 mmol/l
> 140 mg/dl
> 7,8 mmol/l
> 160 mg/dl
> 8,9 mmol/l
> 180 mg/dl
> 10,0 mmol/l
< 70 mg/dl
< 3,9 mmol/l
+ 2 I.E.
+ 4 I.E.
+ 6 I.E.
+ 8 I.E.
– 2 I.E.
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Beibehalten der oralen Therapie
Beginn mit 8–10 I.E. Basalinsulin
Dosisanpassung nach drei Tagen in
Abhängigkeit von der erreichten
nü-BG
Ziel nü-BG: < 110 mg/dl
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(konventionelle
Insulintherapie),
ICT
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(intensivierte konventionelle Therapie),
CSII (Insulinpumpentherapie, bei T2D
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i. d. R. nicht nötig und nicht sinnvoll).
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– Tabelle 1
werden i. d. R. vor dem Schlafen 8–10 I.E.
Basalinsulin verabreicht. Manche Autoren empfehlen auch je nach Körpergewicht deutlich höhere Startdosen. Die
Dosis wird dann abhängig vom nü-BGWert auftitriert („fix fasting first“) (Tab. 1)
[4]. Idealerweise wird die BOT bei Patienten gewählt, die bei Sekundärversagen
primär erhöhte nü-BG-Werte aufweisen
(und deren pp-BG-Werte noch akzeptabel sind). Pathophysiologisch gesehen gelingt es mit der Insulinierung über Nacht,
die pathologische Glukosefreisetzung aus
der Leber zu hemmen.
Diese Therapie bietet auch aus psychologischer Sicht den idealen Einstieg in
die Insulintherapie: Die Patienten sind
relativ einfach von einer einmaligen Insulingabe zu überzeugen. Eine später
notwendige Intensivierung der Therapie
gelingt meist problemlos, da die Patienten die Angst vor Insulininjektionen
bereits abbauen konnten (s. BOT plus).
Auch die Leitlinien der DDG empfehlen die BOT als initiale Insulintherapie bei Sekundärversagen. Wichtig zu
wissen ist aber, dass die BOT im Vergleich zu komplexeren Insulintherapien
am wenigsten lang in der Lage ist, den
HbA1c-Wert im Zielbereich zu halten.
Das bedeutet, eine notwendige Intensivierung der Therapie, z. B. in Richtung
MMW-Fortschr. Med. Nr. 23 / 2011 (153. Jg.)
FORTBILDUNG – ÜBERSICHT
BOT plus, muss rechtzeitig initiiert
werden.
Kennzeichen der BOT ist auch, dass
weiterhin OAD verabreicht werden,
wenn möglich immer Metformin zusätzlich zum Basalinsulin. Bei Verträglichkeit und hoher nü-BG morgens
kann die Metformingabe von nach dem
Abendessen auf vor dem Schlafengehen
verschoben werden. Gelegentlich lässt
sich hierdurch noch ein kleiner positiver
Effekt erzielen.
Metformin reduziert den Insulinbedarf um bis zu 30%, ist gewichtsneutral
und bzgl. kardiovaskulärer Endpunkte
protektiv. Zur Fortführung der anderen
OAD gibt es keine gute Datenbasis. Es
erscheint sinnvoll, lang wirkende Sulfonylharnstoffe auszuschleichen. Sind
noch Insulinsekretionsreserven vorhanden, kann ein DPP4-Hemmern (Sitagilptin) ■■ bzw. ein Glinid zur Absenkung von pp-BG-Werten sinnvoll sein.
Alternativ zu BOT sollte bei stark
übergewichtigen Patienten auch ein Versuch mit einem GLP-1-Analoga (Exena­
tide, Liraglutide) erwogen werden. Dadurch wird allerdings die pp-BG- besser
als die nü-BG-Erhöhung adressiert. Der
Einsatz sollte möglichst frühzeitig(er)
im Krank­heits­prozess erfolgen.
Pathophysiologisch steht hier der Insulinsekretionsdefekt (beeinflusst v. a.
die pp-BG) im Vergleich zu eher geringer beeinträchtigten Insulinresistenz
(beeinflusst v. a. die nü-BG) im Vordergrund. Nach Untersuchungen von Monnier ist der Anstieg der pp-BG-Werte ein
Kennzeichen früher Diabetesstadien.
Die nü-BG erhöht sich erst im späteren
Verlauf [5]. Seitdem bekannt ist, welchen
großen Einfluss die pp-BG-Werte hinsichtlich kardiovaskulärer Komplika­
tionen haben, hat die SIT an Bedeutung
gewonnen. Der pp-BG-Wert ist enger
mit dem best evaluierten Arteriosklerosemarker, der Intima-Media-Dicke der
A. carotis und dem kardiovaskulären
Risiko assoziiert als der nü-BG-Wert [6,
7]. Oxidativer Stress und endotheliale
Dysfunktion werden durch die pp-BGOszillationen getriggert und vermitteln
so das kardiovaskuläre Risiko [8, 9].
SIT (supplementäre Insulintherapie)
Bei der SIT wird ein kurz wirksames Insulin zu den Hauptmahlzeiten gegeben,
i. d. R. also drei Insulingaben pro Tag.
Abb. 3 zeigt den Therapiestart, der etwas
aufwendiger und anspruchsvoller als die
BOT ist. SIT sollte gewählt werden, wenn
nach ausgereizter Therapie mit OAD die
pp-BG-Werte deutlich erhöht, die nüBG-Werte aber noch akzeptabel sind.
MMW-Fortschr. Med. Nr. 23 / 2011 (153. Jg.)
In der Heart2D-Studie wurde SIT mit
BOT hinsichtlich kardiovaskulärer Endpunkte verglichen. Diesbezüglich konnten keine Unterschiede gezeigt werden.
Allerdings ist die Studie statistisch durch
eine deutlich zu niedrige „Power“ gekennzeichnet [10]. Bei der SIT wurden
höhere Insulindosen benötigt und die
Gewichtszunahme war größer als bei
der BOT, während die Zahl der Hypoglykämien und der erreichte HbA1c vergleichbar waren. Hingegen war in einer
SIT und BOT vergleichenden Non-inferiority-Studie (APOLLO) bei vergleichbaren HbA1c (primärer Zielparameter)
und vergleichbarer Gewichtszunahme
die Zahl der Hypoglykämien unter BOT
geringer; die Lebensqualität wurde unter BOT besser als unter SIT bewertet
[11]. Die Entscheidung zwischen BOT
und SIT bleibt somit individuell, wobei
– Abbildung 2
Start der Insulintherapie
Bedtime-NPH oder Basal-Analog
bedtime oder morgens
10 E oder 0,2 E/kg
Dosisanpassung mit
Ziel nü-BG 70–130 mg/dl
nach 2–3 Monaten
BOT plus
Bei dieser Therapieform wird zusätzlich
zu BOT zunächst einmal am Tag kurz
wirkendes Insulin gespritzt. Sind z. B.
bei/trotz BOT insbesondere die pp-BGWerte nach dem Frühstück erhöht (2 h
pp > 160 mg/dl; nach IDF-Guidelines ab
> 140 mg/dl), dann wird vor dieser Mahlzeit mit Human- oder kurz wirksamen
Analog-Insulin behandelt. Diese Therapieform kann über die Zeit zur kompletten ICT ausgebaut werden (Abb. 2).
Vergleich SIT und BOT
HbA1c < 7%
HbA1c ≥ 7%
wenn nü-BG weiter 70–130 mg/dl:
check BG vor ME, AE und spät
Weiter so, check
alle 3 Monate
je nach Ergebnis weiteres Insulin
BG  vor ME:
prandiales Insulin
morgens
BG  vor AE:
NPH morgens oder
prandiales Insulin mittags
BG  spät:
prandiales Insulin
abends
Abb. 2 Konsensus-Statement der amerikanischen und europäischen Diabetesgesellschaft
zum Start der Insulintherapie [17]. Hier wird ein nü-BG-Zielwert von 70–130 mg/dl und ein
HbA1c-Zielwert von < 7,0% vorgeschlagen. ME = Mittagessen, AE = Abendessen.
– Abbildung 3
Start der SIT (supplementären Insulintherapie)
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Bestimmung des
Tagesinsulinbedarfs:
nü-BG (in mg/dl) x 0,2
Verteilung nach
Verhältnis
Ve rh ä ltn is
:
oder
Einheiten
3/6
8 IE
F rü h s tü ck
1/6
2-3 IE
M itta g e s s en
2/6
5-6 IE
A b e n d ess en
3
FORTBILDUNG – ÜBERSICHT
– Abbildung 4
Hypoglykämierate
(Ereignisse/100 Patientenjahre)
200
35%
NPH-Insulin
Insulinglargin
150
139
p = 0,021
100
90
50
0
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HbA1c (%)
9
10
Abb. 4 Bei Erreichen des gleichen HbA1c-Wertes kann durch ein Basal-Analog- im
Vergleich zu einem NPH-Insulin ca. 1/3 der Hypoglykämien vermieden werden [15].
das BG-Tagesprofil eine besonders
wichtige Rolle bei der Wahl spielt.
CT (konventionelle Insulintherapie)
Sie wird bei ca. 40% der Typ-2-Diabetiker angewendet. I. d. R. wird zweimal
täglich ein Mischinsulin verabreicht. Das
kurz und lang wirkende Insulin ist im
Verhältnis 25/75, 30/70 oder 50/50 vorgemischt. Morgens werden ca. zwei Drittel
der Gesamtinsulinmenge verabreicht, vor
dem Abendessen ein Drittel. Mindestens
zwei Blutglukoseselbstkontrollen pro Tag
sind notwendig. Diese Behandlungsform
erfordert einen relativ stabilen Tagesablauf mit wenigen Änderungen der körperlichen Aktivität und Essgewohnheiten.
In der 4T-Studie wurde die CT mit
BOT und SIT verglichen und konnte
sich bzgl. Gewichtszunahme und Hypoglykämierisiko (bei BOT am geringsten)
und Stärke der HbA1c-Absenkung andererseits (bei SIT am stärksten) jeweils in
der „Mitte“ platzieren. Sie stellt oft einen
Kompromiss zwischen der notwendigen
intensiveren Insulinierung und der
Praktikabilität und Therapieadhärenz
dar. Gerade wenn Spritzdienste zum
Einsatz kommen, ist sie oft die praktikabelste Therapie. Stehen hohe pp-BGWerte im Vordergrund, sollte ein Mischungsverhältnis von 50/50 gewählt
werden. Dieses Insulin kann dann ggf.
dreimal täglich vor den Hauptmahlzeiten verabreicht werden. Auch hier gilt
also: die CT ist nicht „out“ oder altmodisch, sondern kann für den passenden
Patiententyp durchaus richtig sein.
4
ICT (intensivierte konventionelle
Therapie)
Lang und kurz wirkendes Insulin wird
unabhängig voneinander nach dem Basis-Bolus-Konzept verabreicht. Dieses
Regime stellt den Standard bei Typ-1Diabetes dar. Wegen der großen Flexibilität und der optimalen HbA1c-Absenkung wird sie aber zunehmend auch bei
T2D verwendet. T2D-Studien konnten
eine Überlegenheit der ICT gegenüber
CT nicht herausarbeiten. Die meis­ten
Studien dauerten lediglich sechs (oder
zwölf) Monate. Die aktuelle GINGERStudie zeigte zwar bei gleicher Hypoglykämiefrequenz eine bessere HbA1c-Senkung bei ICT, aber eine größere Gewichtszunahme als bei CT [12].
Wichtige Voraussetzung für den Erfolg der ICT ist die Mitarbeit und gute
Schulung des Patienten. Mindestens
viermal täglich ist eine Blutglukoseselbstkontrolle notwendig. Als Hilfe
kann ein Spritzplan erstellt werden, sodass Anhaltsdosen zu den Mahlzeiten in
Abhängigkeit vom BG-Ausgangswert
vorgegeben werden. Oft wird eine BOToder SIT-Therapie bei längerem Krankheitsverlauf in eine ICT überführt.
Temporäre Insulintherapie?
Studien zeigen, dass eine frühe Insulintherapie bei T2D-Manifestation auch
langfristig zu einer höheren Remissionsrate und zu einer besseren β-Zellfunktion
führt [13]. Im Krankenhaus wird deswegen oft in den ersten Tagen bei neumanifestem T2D mit Insulin therapiert, auch
um die Effekte der Glukosetoxizität (= erhöhte Blutglukose, die die Fähigkeit der
β-Zelle zur Insulinausschüttung direkt
verringert) zu minimieren. Ambulant ist
diese transiente Insulintherapie aber nur
schwer zu realisieren.
Welche Insuline? Analog-Insuline?
Die verschiedenen Therapieformen können mit konventionellem Humaninsulin
oder mit kurz bzw. lang wirksamen Analog-Insulinen erfolgen. Da keine Endpunktstudien vorliegen, ist keine Insulinart der anderen zwingend überlegen.
Trotzdem zeigen die Analog-Insuline einige Vorteile, sodass sie individuell und
zielgerichtet eingesetzt werden sollten.
Eine Cochraneanalyse zeigt für Insulinglargin bzw. Insulindetemir eine Reduktion der nächtlichen Hypoglykämien
um 34% bzw. 37% im Vergleich zu NPH-
– Tabelle 2
Vor- und Nachteile kurz wirksamer Analog-Insuline
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Vorteile
Niedrigeres Risiko für Hypo-­
glykämien
Verbesserte HbA1c-Einstellung (nicht
wirklich gesichert)
Verbesserte postprandiale Blut­
glukosekontrolle
Höhere Patientenzufriedenheit
Annäherung an das physiologische
Insulinprofil
Kein bzw. verringerter Spritz-EssAbstand
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Geringere Gefahr von Hypo­
glykämien beimSport
Geringere Gefahr einer über­
lappenden Wirkung
Flexible Verabreichung zu den
Mahlzeiten
Verschieben von Mahlzeiten möglich
Keine Zwischenmahlzeiten nötig
Nachteile
Zwischenmahlzeiten lassen sich nicht
in Hauptmahlzeiten einberechnen
Eventuell Basalinsulinlücke
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FORTBILDUNG – ÜBERSICHT
Insulin [14]. Bei gleichem HbA1c treten
unter Insulinglargin 35% weniger Hypoglykämien auf als unter NPH-Insulin
[15] (Abb. 4). Auch die Gewichtszunahme ist bei den basalen Analog-Insulinen
geringer. Die erste direkte Vergleichsstudie zwischen Insulinglargin und Insulindetemir (ein- oder ggf. zweimal täglich)
zeigte bzgl. der HbA1c-Senkung und der
Hypoglykämiehäufigkeit keine Unterschiede, während die Gewichtszunahme
unter Insulindetemir um ca. 1 kg geringer war. Dafür traten hier mehr Haut­
reaktionen an der Einstichstelle auf [16].
Kurz wirksame Analog-Insuline
punk­ten bei T2D durch höherer Flexibilität, geringe Hypoglykämieraten und den
Vorteil, den Spritz-Ess-Abstand zu verringern (Tab. 2). Bei geriatrischen Patien­
ten kann dieses Analog-Insulin auch
nach der Mahlzeit – je nach verzehrter
Kohlenhydratmenge – gespritzt werden.
Nehmen Patienten regelmäßig Zwischenmahlzeiten zu sich und haben geregelte
Essenszeiten, ist oft ein konventionelles
kurz wirksames Insulin sehr effizient.
Begleittherapie mit OAD?
Laut DMP-Daten bekommen ca. zwei
Drittel der insulinbehandelten Typ-2Dia­betiker auch OAD, ein Drittel eine
Insulin-Monotherapie. Höhergradig evidenzbasierte Daten fehlen zu dieser Frage. Wie erwähnt sollten alle Typ-2-Diabetiker Metformin erhalten, auch wenn
mit Insulin therapiert wird (und die
GFR größer als 60 ml/min ist). Zu empfehlen ist eine Dosierung von zweimal
1000 mg täglich, Einnahme nach dem
Frühstück und Abendessen. Sulfonylharnstoffe sind u. a. wegen der Hypo­
glykämiegefahr und der potenziellen
Gewichtszunahme aus praktischen Erwägungen i. d. R. kein guter Kombinationspartner. Glitazone werden wegen der
eingeschränkten Erstattungsfähigkeit
nur noch in Ausnahmen eingesetzt. Als
potenzielle Kombinationspartner zum
Insulin bleiben noch die Acarbose, die
Glinide und die DPP4-Hemmer.
Acarbose reduziert die postprandialen
BZ-Werte, ist gewichtsneutral und induziert keine Hypoglykämien – somit theoretisch ein sinnvoller Kombinationspartner. Allerdings ist die HbA1c-Absenkung
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mit 0,5% schwach und die Einnahme
von drei Tabletten täglich relativ aufwendig. Gastrointestinale Nebenwirkungen schränken den Einsatz weiter
ein. Im Einzelfall kann diese Option
dennoch angewendet werden.
Auch die Kombination mit einem
DPP4-Hemmer ist durch Reduktion der
pp-BG-Werte, Gewichtsneutralität und
fehlendem Auslösen von Hypoglykämien
gekennzeichnet. Sitagliptin ist derzeit als
einziger DPP4-Hemmer in dieser Indikation zugelassen und kann in einem frühen
Krankheitsstadium, z. B. zusätzlich zu
Metformin und Basalinsulin (BOT), positiv auf erhöhte pp-BG-Werten wirken.
(Noch) nicht zugelassen ist die Kombination von Insulin und GLP-1-Analoga (Exenatide, Liraglutide). Sie wird von
Diabetologen Off-label bei stark übergewichtigen Patienten angewendet, da sie
oft eine deutliche (auch kosteneffektive)
Reduktion der Insulindosen, des Gewichts und des HbA1c ermöglicht.
Unerwünschte Wirkungen
Die Insulintherapie hat zwei relevante
potenzielle Komplikationen: Gewichtszunahme und Hypoglykämien. U. a. aus
kardiovaskulärer Sicht sind diese Komplikationen unbedingt zu vermeiden.
Gründe für eine Gewichtszunahme sind:
Durch die Beseitigung der Hyperglykämie mit Insulin kann die Glukose
wieder effektiv genutzt/gespeichert werden (vorher Verlust durch Glukosurie).
Vermehrte Nahrungsaufnahme durch
therapieinduzierte Hypoglykämien oder
Angst vor Hypoglykämien.
Zunahme der Fettmasse durch Insulin (anaboles Hormon).
Bei optimaler Therapie kann die Gewichtszunahme aber minimiert bzw.
vermieden werden. Je früher die Insulintherapie beginnt und je niedriger
der HbA1c bei Therapiebeginn liegt, des­
to geringer fällt die Gewichtszunahme
aus. Auch muss das Insulinregime so gewählt werden, das Hypoglykämien vermieden werden.
Neben der individuell zu wählenden
Insulinbehandlung werden diese beiden
Komplikationen aber nur vermieden,
wenn die Patienten sehr gut geschult
und beraten werden. Bei Beginn einer
Insulintherapie ist eine Schulung obligat. Neben der richtigen Injektionstechnik wird insbesondere auf Ernährung,
Bewegung und Blutglukoseselbstkont­
rolle eingegangen. Nur wenn alle an der
Therapie beteiligten Komponenten optimal abgestimmt werden, sind unerwünschte Wirkungen vermeidbar und
der gewünschte HbA1c-Wert erreichbar.
Literatur unter mmw.de
Anschrift des Verfassers:
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Hummel
Klinik für Endokrinologie, Diabetologie
und Suchtmedizin, Klinikum Schwabing,
Klinikum München GmbH
Kölner Platz 1, D-80804 München, E-Mail:
[email protected]
– Fazit für die Praxis
Wird das individuelle HbA1c-Ziel mit
einer kombinierten OAD-Therapie
nicht erreicht (= Sekundärversagen), ist
die Gabe von Insulin notwendig. Der
größte Behandlungsfehler ist der zu
späte Beginn der notwendigen Insulintherapie. Der frühe Beginn ist wichtiger
als die Wahl des Insulinregimes, die
individuell erfolgen sollte.
Oft – insbesondere bei erhöhten Nüchtern-Blutglukose-Werten – stellt die
BOT den idealen Start da. Die Therapie
ist einfach und durch ein geringes
Hypoglykämierisiko, geringe Gewichtszunahme und hohe Lebensqualität
gekennzeichnet. Allerdings muss
rechtzeitig auf die Intensivierung der
Insulintherapie geachtet werden.
Analog-Insuline haben einige Vorteile
gegenüber konventionellem Insulin
und sollten, wenn individuell sinnvoll,
zielgerichtet eingesetzt werden.
Metformin wird unter Beachtung der
Kontraindikationen zusätzlich zu der
Insulintherapie weitergegeben, da sich
positive Effekte auf Insulinverbrauch
und Gewicht erzielen lassen.
Der Beginn einer Insulintherapie sollte
von einer gründlichen Patientenschulung begleitet werden, da Aspekte
wie Ernährung, Bewegung und Blutglukoseselbstkontrolle nur so in ein
stimmiges Gesamtkonzept integriert
werden können.
– Keywords
Insulin Therapy in Type 2 Diabetes
Type 2 diabetes – Insulin therapy –
Body weight – Hypoglycemia – Insulin
regime
5
FORTBILDUNG – ÜBERSICHT
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P, Mackay IR, Shattock M, Bottazzo GF, Holman R.
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