im Islam - TERTIANUM

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„Bin ICH nicht euer Herr?“, fragt
Gott im Qur’an (Koran) den eben
erschaffenen Adam und seine
Nachkommen. Sie sagten: „Jawohl,
wir bezeugen es.“ (Qur’an 7, 172)
Diese Qur’an-Stelle ist eine Kernaussage, wenn es um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch
geht, und sie wird als „Urvertrag“
zwischen Gott und den Menschen
beschrieben.
Das Verhältnis
Gott–Mensch
im Islam
Von Rifa’at Lenzin
Nach islamischer Auffassung ist
Gott aber nicht nur der Schöpfer
der Welten, er schafft auch eine
universelle göttliche Ordnung. Islam bedeutet wörtlich Hingabe
oder Unterwerfung unter den Willen Gottes und ist gleichbedeutend
mit der Einbindung in diese göttliche Ordnung. Der Mensch, dem
diese Unterordnung gelingt, ist mit
sich und Gott sowie mit seiner
Umwelt in Frieden.
Medium göttlicher
Selbstmitteilung
Wenn von einem Muslim die vollkommene Hingabe an den Willen
Gottes erwartet wird, so muss dieser Wille für ihn erkennbar sein.
Gemäss islamischer Auffassung
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Menschenbild
hat Gott seinen Willen durch den
Qur’an offenbart, dessen Gebote
vorbehaltlos zu befolgen sind.
Ausgedrückt wird dies im Qur’an 5,
48: „Und für jeden von euch haben
wir eine Richtung und einen Weg
festgelegt.“ Daraus ergibt sich
auch die Wichtigkeit des Qur’ans
für die Muslime, nämlich als Medium göttlicher Selbstmitteilung,
Quelle und Kriterium theologischer
Aussagen sowie Richtschnur für
eine islamische Lebensführung.
Keine Meinungsfindung, keine
Rechtsnorm, keine gesellschaftliche, politische oder theologische
Anschauung, keine Tradition kann
streng genommen als islamisch
gelten, wenn sie qur’anischen
Grundsätzen widerspricht.
Der islamische Mensch ist frei von
Sünde geboren und muss deshalb
nicht erlöst werden. Zwar gibt es
auch im Qur’an eine Beschreibung
des „Sündenfalls“ analog der Bibel,
aber die Episode hatte im Islam
keine weitergehenden Konsequenzen. Was immer Adam und Eva im
Paradies verbrochen haben – es
betrifft nur sie allein und wirft
keinen Schatten auf ihre Nachkommen. Sie haben ihr Verhalten
bereut, „und Gott wandte sich
(ihnen) gnädig wieder zu“, heisst
es dazu im Qur’an (2,37). Ihm zufolge ist es übrigens auch nicht
Eva, die den Anstoss zur Übertretung von Gottes Gebot gibt,
sondern Adam und Eva handeln
gemeinsam.
deshalb soll er rechtschaffen sein
und sich um gerechtes Handeln
bemühen. Er ist für seine Taten eigenverantwortlich und Gott am
Tage des Jüngsten Gerichts darüber Rechenschaft schuldig.
„Wenn dann einer (auch nur) das
Gewicht eines Stäubchens an Gutem getan hat, wird er es zu sehen
bekommen. Und wenn einer (auch
nur) das Gewicht eines Stäubchens
an Bösem getan hat, wird er es
(ebenfalls) zu sehen bekommen“
(Qur’an 99,7-8), denn Gott ist „der
Gerechte“ und für „Gerechtigkeit
Sorgende“. Kraft seines freien Willens kann der Mensch sich also
auch für das Schlechte entscheiden.
Was Ausdruck
göttlichen Willens ist
„Und ER verbietet…
gewalttätig zu sein“
Schuldig wird ein Muslim ausschliesslich dadurch, dass er sich
Gott gegenüber ungehorsam zeigt
oder gegen Gottes Gebote verstösst. Denn Gott sagt im Qur’an:
„Allah gebietet (zu tun), was recht
und billig ist, gut zu handeln und
den Verwandten zu geben (was ihnen zusteht). Und ER verbietet zu
tun, was abscheulich und verwerflich ist, und gewalttätig zu sein.“
Das setzt voraus, dass der Mensch
in der Lage ist zu erkennen, was
recht und billig ist, und es setzt
den freien Willen voraus.
Der Mensch ist zu Wissen, Vernunft und Erkenntnis befähigt,
Die Befolgung der im Qur’an
offenbarten göttlichen Gebote,
welche für beide Geschlechter
gleichermassen gelten, ist an ein
Heilsversprechen geknüpft: Was
muslimische Männer und Frauen
sind, Männer und Frauen, die gläubig, die Gott demütig ergeben sind,
die wahrhaftig, die geduldig, die
bescheiden sind, die Almosen geben, die fasten, die darauf achten,
dass ihre Scham bedeckt ist und
die unablässig Gottes gedenken –
für sie alle hat Gott Vergebung und
gewaltigen Lohn bereit (vgl. Qur’an
33,35).
Geburt und Tod, aber auch Krankheit und Leiden gelten dem gläubigen Muslim als Ausdruck göttlichen Willens: „Gott ist es, der euch
zuerst schwach erschafft. Dann
bringt ER nach Schwäche Kraft.
Dann bringt ER nach der Kraft
Schwäche und graues Haar. ER
schafft, was er will.“ Glauben bie-
tet keinen Schutz vor Leiden: „Und
meinen die Menschen, sie würden
in Ruhe gelassen und nicht auf die
Probe gestellt werden, nur weil sie
sagten: ,Wir glauben’?“
Der Tod ist unausweichlich; er ist
für den gläubigen Muslim aber
nicht das Ende, sondern die Rückkehr zu Gott und der Anfang zu
einem neuen „Sein“. Nach Muhammad Iqbal, dem indo-pakistanischen Dichter und Philosophen,
sind Himmel und Hölle allerdings
keine Lokalitäten, sondern vielmehr „visuelle Darstellungen eines
inneren Faktums. Die Hölle ist in
den Worten des Qur’ans demnach
,Gottes entzündetes Feuer, das
über die Herzen steigt’ – die qualvolle Verwirklichung der Tatsache,
dass man als Mensch ein Fehlschlag war. Himmel hingegen ist
die Freude des Triumphs über die
Kräfte des Verfalls.“
R if a ’ a t L e nz i n , li c. p h i l. h is t . ,
Islamwissenschaftlerin und Publizisti n. Zuständig für den Be reich
Islam am Zürcher Lehrhaus.
Kalligraphie Sure112.
Menschenbild
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