Keyboard Angefangen hat die Entwicklung im Jahr 1934, als es dem Amerikaner L. Hammond gelang, eine elektrische Klangerzeugung durch rotierende Profilscheiben aus Metall an elektromagnetischen Tonabnehmern zu produzieren. Ging es anfangs zunächst um orgelähnliche Klang(re)produktion, begann man Anfang der 60er Jahre dazu überzugehen, auch andere Instrumentalklänge zu imitieren; die Orgel wurde zusehends als Orchestrion aufgefasst in Anlehnung an das Vorbild der großen Kinoorgel. Aber alle Entwicklungs- und Verbesserungsversuche krankten daran, letztendlich keine klangliche Authentizität zu erreichen, was dazu führte, daß viele Musiker die elektronischen Klangerzeugungsversuche mitleidig belächelten. Der bis dahin eingeschlagene Weg des analogen Verfahrens, d.h. einen elektrischen Schwingungskreis aufzubauen und ihn so zu manipulieren, daß die Klänge einem akustischen Instrument ähnlich werden, erwies sich als Sackgasse. Der Wendepunkte kam am Anfang der 80er Jahre durch die Einführung der digitalen Technik, mit deren Hilfe es gelang, Instrumentalklänge so real wiederzugeben, daß selbst geschulte Ohren die digital erzeugten Klänge von denen akustischer Instrumente nicht mehr unterscheiden können. Beim digitalen Verfahren werden akustisch erzeugte Schallwellen aufgenommen und ihre Schwingungsbewegungen digital nachgezeichnet und festgelegt. Dieses Verfahren ist so präzise, daß sogar die Anblasgeräusche einer Trompete oder Schwanken, Vibrieren und Kratzen eines Geigentones mit einbezogen werden können. Keyboard Digitale Technik und Musik Ein Beitrag von Wolfgang Pütz-Liebenow Wolfgang Pütz-Liebenow ist Dozent für Keyboard und Klavier an der Musikschule Meckenheim Rheinbach Swisttal Keyboards der ersten Generation litten allerdings noch unter dem Nachteil, daß die nachgespielten Instrumente sehr trocken und steril klangen. Die nächste Phase lag in der Entwicklung und Einführung des "Raumeffektes", durch den ein imitiertes Instrument lebhafter und echter klingen konnte. Die ursprünglich vorhandene Penetranz der Töne wurde damit aus dem Weg geräumt. Ein weiterer Schritt in der technischen Verbesserung bestand in der Einbeziehung der Anschlagsdynamik. Heute sind einige wenige Mikrochips so leistungsfähig, daß ein nicht mehr als 5 kg wiegendes Keyboard ein schier unendliches Klangspektrum entfalten kann und sich ungeahnte Möglichkeiten seiner Nutzung offerieren. Im Folgenden soll versucht werden, das Keyboard in seinem spieltechnischen Aufbau und den damit einhergehenden Einsatzmöglichkeiten darzustellen. Das Instrument enthält drei Sektionen: diverse Spielhilfen, rhythmische Begleitfunktionen und solistisch einsetzbare Instrumente. Letztere werden in die Kategorien: Tasten-, Streich-, Zupf-, Blas- und Schlaginstrument aufgeteilt. Hinzu gesellen sich futuristische Klangmodi und Geräuschimitationen wie Meeresrauschen, Türenschlagen usw. Alle diese Stimmen sind nun polyphon einsetzbar. So läßt sich ein Barockpräludium stilgetreu auf einem Cembalo realisieren, Stücke von Schumann natürlich auf einem Konzertflügel und Country-Music auf einem Western-Piano, denn alle diese Instrumente enthält ein Keyboard unter der Kategorie "Tasteninstrumente". Aber auch ein Blockflötenensemble oder ein Posaunenchor lassen sich klanglich realisieren, auch dann, wenn die Stimmkomplexität eines polyphonen Satzes von einem Spieler allein nicht mehr ausgeführt werden kann. Hier besteht die Möglichkeit, einen Teil der Stimmen einzuspielen und zu speichern. Anschließend läßt man sie wieder ablaufen und ergänzt die noch fehlenden Stimmen. Natürlich eignet sich das Keyboard auch zum Ensemblespiel, in dem man mehrere Instrumente: Geigen, Flöten, Klavier usw. miteinander konzertieren läßt. Bei dieser Art des Musizierens läßt sich durch Einbeziehen schlagtechnischer Klänge: Trommeln, Pauken, Rasseln eine Verfeinerung erzielen, die dem polyphonen Klangkörper eine rhythmische Struktur unterlegen - sehr gut geeignet für mittelalterliche Tanzstücke. Durch die variabel einstellbare Teilung der Tastatur können auch zwei selbständige Instrumente gegeneinander spielen, in der linken Hand z.B. die Baßlinie eines Kontrabasses gegen eine Violine in der rechten Hand. Hier sind der spielerischen Phantasie keine Grenzen gesetzt, und man erkennt sehr schnell, daß Keyboardspielen sehr viel mit Orchestrierung bzw. Instrumentierung zu tun hat. So verwendet man für die stilgetreue musikalische Realisierung eines Wanderliedes in der Begleitstimme die typische Wandergitarre und für die Melodie eine Fiedel oder Mundharmonika. (Fortsetzung S.10) Dreiklang 2/ 1999 E s gibt heute kaum eine Formation in der populären Musikwelt, in der dieses Instrument fehlt. Ob Bigband oder Alleinunterhalter: Das Keyboard hat sich als unentbehrlicher Begleiter in allen Musikbereichen etabliert. Da darf zu Recht einmal die Frage gestellt werden, wo die Wurzeln dieses knapp zwanzig Jahre jungen Instrumentes liegen und was seine Faszination ausmacht. 9 Die polyphone Spielpraxis kann nun durch die homophone ergänzt werden. In diesem Nutzungsbereich des Keyboards befinden sich sämtliche Rhythmen der Welt, die wiederum in einzelne Kategorien unterteilt sind wie Latin, Swing, Rock, Pop, Blues usw. Um sie zu aktivieren, kann der untere Oktavbereich der Tastatur für Akkorde vom übrigen Tastenbereich getrennt werden. Drückt man einen Akkord, werden dessen Töne in die gewählte Rhythmusstruktur aufgebrochen. Dabei spielt die Lage des Akkordes keine Rolle, denn die Umkehrungen werden im Keyboard automatisch erkannt, so das beispielsweise beim Swing der Baßlauf auch auf dem Grundton beginnt. Auf entsprechenden Taktteilen erklingen gleichzeitig eingeworfene Akkorde eines Pianos, Zugposaunen und andere Instrumente einer Bigband. Eine Memory-Funktion läßt das akkordische Arrangement solange weiterlaufen, bis ein neuer Akkord angeschlagen wird, in dem die gleiche Abfolge des Arrangements fortläuft. Auch hier muss auf die stilgerechte Auswahl des melodieführenden Instrumentes geachtet werden. Komfortablere Keyboards bieten noch die Möglichkeit, ein vorgefertigtes Arrangement während des Spielens durch dichtere Instrumentierung zu verändern, um einer gewissen Hörermüdung entgegenzuwirken. Wenn man eine ganze Stunde lang immer ein und dasselbe Swingarrangement hört, entsteht sonst nämlich beim Hörer schnell der Eindruck von Monotonie. Manche akustischen Instrumente zeichnen sich durch spezielle Effekte aus, die mit Tastendruck nicht realisiert werden können. Um z.B. eine Sologitarre mit ihren typischen Tonbehandlungen realistisch klingen zu lassen, kann durch eine Spielhilfe die Modulation eines Tones nachgeahmt werden, genau so wie ein Bluesspieler die Saiten seiner Gitarre verziehen kann, um eine "Bluenote" hervortreten zu lassen. Im Schnitt verfügt ein Keyboard mittlerer Größe über etwa 88 Rhythmen bzw. Begleitarrangements, die aber durch Verwendung zusätzlicher Disketten beliebig erweitert werden können. Wer die Originalbesetzung eines bekannten Tanzorchesters benötigt, kann hierzu auf ein vielfältiges Angebot zurückgreifen. Mit einigen Spielhilfen läßt sich das Musizieren weiter auflockern. So kann vor und nach dem Spiel ein "Intro" oder "Ending" abgerufen werden, aber auch während des Spielens ein Schlagzeugsolo als sogenanntes "Fill-In", um Pausen in der Melodieführung zu überbrücken. Spielt man mit einer Band, so können alle für den Ablauf geplanten Stücke in ihrer Instrumentierung gespeichert werden. Das ist nötig, weil während des Liedwechsels keine Zeit bleibt, das Keyboard immer wieder neu zu programmieren. Es würde noch Seiten füllen, wollte man alle spieltechnischen Hilfen und Raffinessen im Detail beschreiben. Nur soviel sollte erkennbar geworden sein: Das Keyboard ist ein universell einsetzbares Instrument, ein Musikcomputer mit unglaublich vielen Klangmöglichkeiten. Nur sehen leider viele angehende Musiker das Keyboard als ein Instrument an - und daran ist auch die Verkaufspraxis nicht ganz unschuldig -, das angeblich leicht und mit wenig Übungsaufwand zu erlernen sei. Dabei ist dieses Instrument eigentlich viel eher für ausgefuchste Musikprofis geeignet, die über einen großen Ausbildungsstand mit solider Spieltechnik verfügen. Dieses ist jedoch nicht allein über das Keyboard erlernbar, sondern hierfür ist ein qualifizierter Klavierunterricht unverzichtbare Voraussetzung: Wer sein Keyboard wirklich beherrschen will, braucht dazu viel Zeit und Muße. Wolfgang Pütz-Liebenow