Evolution und Schöpfungsglaube

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FAKULTÄT GEISTES- UND KULTURWISSENSCHAFTEN
INSTITUT KATHOLISCHE THEOLOGIE
Studientag 2009: Als die Galápagos-Schildkröten die Welt auf den Kopf stellten …
Darwin – eine Provokation für die Theologie?
Evolution und Schöpfungsglaube
Textgrundlage: Schmidt, Josef: Evolution und Schöpfungsglaube, in: Stimmen der Zeit 227 (2009), 245-256, hier: 245f.
Der evangelische Theologe Wolfhart Pannenberg schreibt: „Der Kampf gegen den Darwinismus gehört zu den folgenschwersten Fehlentwicklungen im Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft.“1 [Pannenberg und andere Theologen] stehen für die heute weithin geteilte Auffassung, dass
sich die Schöpfungslehre und die Lehre von der Evolution des Lebens nicht widersprechen. Es fällt
5 einem zuweilen nicht ganz leicht, den [… ] Streit heute so recht zu verstehen. Doch gab es für ihn vor
allem folgende Gründe.
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1. Das Verständnis der biblischen Schriften: Man nahm sie in einem Sinn wörtlich, wie selbst die biblischen Verfasser und Redakteure sie unmöglich wörtlich genommen haben konnten. Bekanntlich
existieren zwei Schöpfungsberichte: Gen 1 und 2, wobei der zweite der ältere ist. Im älteren zweiten
wird auf der noch öden Erde aus deren Lehm der erste Mensch geschaffen; dann erst wird die Erde zu
einem Garten gemacht, in den die Tiere hineingeschaffen werden, und schließlich wird die Frau aus
dem Leib des Mannes gebildet. Im ersten Schöpfungsbericht bildet die Erschaffung des Menschen
den Schlusspunkt. Ein Widerspruch? Aber wenn sogar die Bibel selbst keine Schwierigkeiten hat,
beide Berichte gelten zu lassen, warum sollen wir sie haben? Und warum sollen wir uns dann mit
Widersprüchen zu unserer heutigen Weltsicht herumquälen, die wir im ersten Schöpfungsbericht
finden? Dort werden am ersten Tag das Licht und der Wechsel von Tag und Nacht erschaffen und erst
am vierten Tag Sonne und Mond. Schon am dritten Schöpfungstag sprießen aus der Erde die Pflanzen. Sie brauchten also noch keine Sonne. Und die ganze Schöpfung soll noch dazu in sechs Tagen
geschehen sein. Carl Friedrich von Weizsäcker sagte, man könne den biblischen Schöpfungsbericht
nur entweder „ernstnehmen“ oder „wörtlich nehmen“2. Wenn man ihn nun ernstnimmt (und nicht
buchstäblich wörtlich), enthält er die einfache Aussage, dass die Welt ihren Grund in der Schöpfermacht Gottes hat. Die literarische Gestaltung ist allerdings nicht unwichtig. In ihr sind interessante
Aussagen zu finden: Zum Beispiel ist die Erschaffung von Sonne und Mond als bloßer „Lampen“
(Maar) am Himmel ein Hinweis auf ihre Nicht-Göttlichkeit (in Abgrenzung zu den babylonischen
Schöpfungsmythen, in denen das Licht vergöttlicht ist) [… ]. Diese Aussagen sind bedeutsam, aber die
Kernaussage ist jene von der Schöpfermacht Gottes.
2. Ein weiterer Grund lag darin, dass man dem Schöpfungsbericht eine feste Ordnung entnahm, die
am Anfang für alle Zeiten als unveränderlich geschaffen erschien. [… ] Charles Darwins Evolutionslehre rührte hier an eine bestimmte Metaphysik3, in der das Christentum seit der Spätantike [… ] [seinen
30 Glauben als vernunftgemäß beschrieb].
3. Schließlich verstand man den Gedanken der Entwicklung des Lebens aus einfachen zu höheren
Formen als eine Reduktion des Höheren auf das Niedere [, z.B. als Herabwürdigung des Menschen
auf ein Tier,] und damit als die Auflösung der Geistigkeit und Würde des Menschen in untergeistige
Formen des Seins hinein. [… ]
35 Mit einem besseren Verständnis der biblischen Schriften, einer Lösung von einer bestimmten We-
sensmetaphysik und mit der Einsicht, dass ein evolutives Weltverständnis keineswegs per se atheistisch sein muss, hat sich der Konflikt entspannt. Damit ist aber für den Dialog auch eine neue Ebene
erreicht. Gelassener lässt sich nun die Frage stellen, ob diese beiden großen Hinblicke auf die Welt
einander etwas zu sagen haben, so dass die eine Weltsicht durch die andere gewinnen und zu einem
40 tieferen Selbstverständnis gelangen kann. Eine solche Vermittlung ist die Aufgabe der Philosophie. Sie kann aber nur gelingen, wenn beide Seiten zu einer entsprechenden philosophischen
Selbstexplikation bereit und in der Lage sind.
1
W. Pannenberg, Systematische Theologie II, Göttingen 1991, 143.
C. F. von Weizsäcker, Zeit und Wissen, München 1992, 478f.
3
[Metaphysik = philosophische Lehre von den letzten, nicht erfahr- und erkennbaren Gründen und Zusammenhängen des Seins]
2
Darwin und die Gottesfrage
Textgrundlage: Esterbauer, Reinhold: Darwin und die Gottesfrage, in: ThG 52 (2009), 206-218.
[… ] Den menschlichen Narzissmus verletzte Darwin nach Freud dadurch, dass er behauptete, die Differenz zwischen Mensch und Tier sei eine willkürliche, dass er dem Menschen seine Sonderstellung
innerhalb der Natur nahm und ihm einen Ort im Tierreich zuwies. Damit kam Darwin in Konflikt mit
der Lehre der großen christlichen Kirchen, die in solchen Behauptungen einen Angriff auf die jeweils
5 eigene Schöpfungstheologie oder überhaupt auf die Möglichkeit einer Theologie der Natur sahen. [… ]
Entscheidender als die persönlichen Stellungnahmen zu religiösen Positionen hat Darwins Veränderung methodischer Parameter die Differenz zwischen Biologie und Theologie markiert. Darwin hat
nämlich scheinbar unproblematische Überzeugungen in Frage gestellt, um die eigene Theorie ausarbeiten und für seine Problemstellungen Lösungen finden zu können. [… ]
10 Man verstand [zu Darwins Zeiten] die Texte aus dem Buch Genesis als naturwissenschaftliche Ab-
handlungen und ging deshalb davon aus, dass Gott in sechs Tagen die Welt und alle Lebewesen bis
zum Menschen erschaffen habe. Unvorstellbar war demnach zunächst das Aussterben von Arten oder
das Auftreten neuer Arten. Erst Fortschritte in der Geologie, die allmählich aufkommende Paläontologie und Fossilfunde zeigten auf, dass Arten ausgestorben sein und dass neue Arten entstanden sein
15 mussten, die es an den vermeintlichen Schöpfungstagen noch nicht gegeben haben konnte. [… ] Solange Gott als einziger und souveräner Schöpfer angesehen wurde, konnte man das Auftauchen neuer
Arten nur so begreifen, dass Gott in späterer Zeit immer wieder in das Naturgeschehen eingegriffen
und in der Form von „Sonderschöpfungen“ dem Ensemble der Arten neue hinzugefügt hatte. [… ] Für
den Naturwissenschaftler Darwin genügte es, Gründe für wesentliche Veränderungen innerhalb der
20 Natur ausfindig zu machen, ohne Gott als unmittelbar eingreifende Erstursache ins Spiel bringen zu
müssen. [… ] Ob auch Gott bei der Entstehung neuer Arten seine Finger im Spiel hat, wird für eine
naturwissenschaftliche Erklärung sekundär. Mit diesem Gedankengang gelingt es Darwin, Gott als
relevante Größe aus naturwissenschaftlichen Erklärungszusammenhängen zu eliminieren. [… ] Für
viele war dadurch freilich nicht bloß eine methodische Ausklammerung Gottes verbunden, sondern
25 dessen Leugnung, also ein religiöser Atheismus, den Darwins Theorie aber weder ein- noch ausschloss.
Einen zweiten wissenschaftstheoretischen Paradigmenwechsel mit Konsequenzen für damalige theologische Konzeptionen hat Darwin dadurch ausgelöst, dass er in Zweifel zog, dass der Naturverlauf
finalen Strukturen unterliege. Eine Theologie, die die Erlösungsbedürftigkeit der Natur und des Men30 schen betont und zugleich Gott die Erlösung der Welt überantwortet, setzt voraus, dass der rettende
Gott auch die Natur zu einem Ziel hinlenken kann, das er selbst bestimmt bzw. in die Natur hineingelegt hat. [… ] Im Zusammenhang der Ausarbeitung seiner Evolutionstheorie ging es Darwin darum,
eine planende Intelligenz, die außerhalb der Natur angesiedelt ist, aber in der Natur wirkt, methodisch
auszuschließen. Denn eine solche Größe ist nach Darwin mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht
35 in den Griff zu bekommen, weil sie sich eines solchen Zugriffs entzieht. [… ] Es gibt demnach kein
intelligent design, das man naturwissenschaftlich nachweisen könnte, als Motor für die Entfaltung des
Lebendigen, sondern nur die zufällige und daher nicht vorhersehbare Evolution im Wechselspiel von
– wie man heute weiß – Mutation und Selektion. [… ]
Eine dritte für die Theologie wesentliche methodische Änderung hat Darwin insofern geltend ge40 macht, als er seine Theorie auch auf den Menschen angewandt wissen wollte und dadurch die Grenze
zwischen Mensch und Tier verwischt hat. In seinem erstmals 1871 erschienenen Werk "The Descent
of Man, and Selection in Relation to Sex" geht es Darwin in den Kapiteln 3 bis 5 vornehmlich darum,
die Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier herauszuarbeiten und sie vor etwaige Differenzen zu
stellen. [… ] Ziel solcher Versuche ist die Eingliederung des Menschen in das Tierreich, was nicht nur
45 zur schon von Freud konstatierten Kränkung des menschlichen Narzissmus führt, sondern auch religiös irritierend wirkt. Der Mensch steht dann nicht mehr im Zentrum der Naturordnung, sodass alles
auf ihn hin geordnet wäre. Wenn er nämlich als biologische Art homo sapiens sapiens in den Blick genommen wird, die sich ohne Plan und daher zufällig im Lauf der Evolution entwickelt hat, ist die
christliche Überzeugung, dass der Mensch das von Gott gewollte und aus Liebe geschaffene Gegen50 über sei, in Zweifel gezogen. Die Lehre, dass der Mensch das Ebenbild Gottes sei, verblasst durch die
Zurückstellung des Menschen in die Zoologie zu der Vorstellung, dass der Mensch weder gewollt
noch ungewollt, sondern ein Zufallsprodukt ist, das sich auch ohne Gott verstehen lässt.
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