Christuskirche Kassel – Bad Wilhelmshöhe 24.Juli 2016 Predigtreihe: Paare, die die Welt bewegen 2. Teil: Dietrich Bonhoeffer Maria von Wedemeyer Begrüßung: Über dem Haupteingang von Westminster Abbey, der berühmten Kirche mitten in London, im Regierungsviertel, sind in Stein gehauene Figuren. Dieser Eingang wurde vor einigen Jahren neu gestaltet. Man hat nicht die Jünger Jesu oder nur alte Heilige dargestellt, sondern auch Menschen des 20. Jahrhundert, die herausragende Christinnen und Christen waren, Vorbilder für die Welt. Da sind zum Beispiel der Befreiungstheologe Oscar Romero und der Menschenrechtler Martin Luther King zu sehen. Und auch Dietrich Bonhoeffer. Er war ein deutscher Theologe und ein Widerstandskämpfer im Dritten Reich. Er wurde mit 39 Jahren gehenkt, einen Monat vor Kriegsende. Um ihn und seine Verlobte, Maria von Wedemeyer, geht es heute im Gottesdienst. Was hat sie bewegt und was konnten sie in dieser Welt bewegen? Liebe Gemeinde! Ich beginne heute mit einer tragisch-schönen Liebesgeschichte: Maria von Wedemeyer wuchs auf dem gut Pätzig in der Neumark auf, 50 km östlich der Oder, im heutigen Polen. Sie ist 18 Jahre alt, als sie sich in den 19 Jahre älteren Pastor Dietrich Bonhoeffer verliebt. Sie kennt ihn, weil sie bei ihm eine Art Konfirmandenunterricht hatte und weil er regelmäßiger Gast bei ihrer Großmutter auf dem Gut Schönrade ist. Auch bei dem damals sehr anerkannten und bekannten Theologen hat es gefunkt. Aber die Großmutter ist skeptisch. Wie soll eine Beziehung mit solch einem Altersunterschied gut gehen? Deshalb schlägt sie vor, dass das Paar sich ein Jahr lang nicht sieht. Wenn die Liebe trotzdem Bestand hat, dann sollen sie heiraten - auch mit ihrem Segen. Sie sind also seit Januar 1943 verlobt, aber sehen sich nicht. In diesem Jahr, im April 1943, wird Dietrich Bonhoeffer verhaftet. Er hatte sich im Widerstand gegen Hitler und Nazideutschland engagiert. Und hier mache ich gleich mal einen Einschub, einen Exkurs: Es gab damals zwei Erneuerungsbewegungen in der Kirche. Maria gehört von ihrer Herkunft her der einen an und Dietrich Bonhoeffer der anderen. Der Vater von Maria gehörte zur Berneuchner Bewegung. Sie wollte die Kirche durch gute Gottesdienste, Ernsthaftigkeit bei den Sakramenten und eine Haltung erneuern, die alles von der Zuwendung Gottes erwartet und sie mit Lobpreis in Singen, Beten und Tun beantwortet. Die Emmausgemeinde am Brasselsberg ist stark von dieser Bewegung geprägt. Aus dieser Tradition stammt Maria. Dietrich Bonhoeffer gehörte zur Bekennenden Kirche, einer anderen Erneuerungsbewegung. Sie bezogen auch politisch Stellung. Sie haben schon früh den falschen Weg Hitlers und der Nazis erkannt. Die Barmer theologische Erklärung von 1934 ist ein Zeugnis, dass in unserem evangelischen Gesangbuch abgedruckt ist. Dietrich Bonhoeffer leitete das Predigerseminar der Bekennenden Kirche. Er grenzt sich leidenschaftlich gegenüber der Berneuchner Bewegung ab. So sagt er zum Beispiel: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.“ Beiden Bewegungen ging es um den gelebten Glauben und um die Erneuerung der Kirche. Weil Dietrich Bonhoeffer öffentlich Stellung bezog, hatte er seit 1940 Schreibverbot, d.h. er durfte nichts mehr veröffentlichen. Das Predigerseminar, dass er geleitet hatte, wurde aufgelöst. Weil er gute Verbindungen nach England, Schweden und Amerika hatte, war er 1940 in den Dienst der Abwehr getreten und dort im geheimen Widerstand tätig. Im April 1943, also lange vor dem Attentat Stauffenbergs am 20. Juli 1944, war Dietrich Bonhoeffer verhaftet worden und ins Militärgefängnis in Berlin Tegel gekommen. Maria und er sahen sich nie wieder in Freiheit. 1944 schreibt er ihr: „Du schreibst glücklicherweise keine Bücher, sondern tust, weißt, erfährst, erfüllst mit dem wirklichen Leben das, wovon ich nur geträumt habe… Das ist es, was ich brauche, was ich in dir gefunden habe, was ich liebe - das Ganze, Ungeteilte.“ Der Briefwechsel zwischen ihr und ihm ist erst 1992 veröffentlicht worden. Er erschien unter dem Titel: „Brautbriefe, Zelle 92“ Aus dem Briefwechsel merkt man, wie sie ihm gewachsen war, wie sie theologisch und menschlich sich ergänzten und wie sie ihm gut tat. Nach fast zwei Jahren Haft wird Dietrich Bonhoeffer in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht und nach zwei Monaten im Konzentrationslager Flossenbürg standrechtlich verurteilt und am 9. April 1945 zusammen mit anderen Widerstandskämpfern erhängt. Einen Monat vor Kriegsende. Maria hat von seinem Tod erst im Sommer erfahren. Sie war aus Pätzig zu ihrer Tante auf das Gut Oberbehme bei Kirchlengern geflohen. 1948 geht sie in die USA und lebt dort bis zu ihrem Tod 1977, zuletzt als Leiterin der Entwicklungsabteilung für Computer bei Honeywell in Boston. Sie hat zweimal geheiratet, bekam zwei Töchter, aber an ihren Traummann Dietrich Bonhoeffer kann keiner herankommen. Sie stirbt durch eine Krebserkrankung mit 53 Jahren. Im April 1944 schrieb sie an Dietrich Bonhoeffer: „Ich habe einen Kreidestrich um mein Bett gezogen etwa in der Größe deiner Zelle. Ein Tisch und ein Stuhl steht da, so wie ich es mir vorstelle. Und wenn ich dasitze, glaube ich schon beinah, ich wäre bei dir.“ Wie haben nun Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer die Welt bewegt? Dazu nenne ich 6 Punkte. Es sind einige Punkte, die mir eindrücklich sind, auch wenn mir bewusst ist, dass ich nicht alles in diesem Gottesdienst benennen kann. 1. Dietrich Bonhoeffer ist der erste, von dem ich weiß, dass er mit seinen Konfirmanden eine Freizeit durchführte. Es gibt ein Foto, dass ihn 1932 mit Konfirmanden vom Prenzlauer Berg im Harz zeigt. Da war er 26, und hatte schon promoviert und sich habilitiert. Er hatte Vikariat in Barcelona gemacht und ein Studienjahr in Amerika. Aber er war immer praktischer Theologe. Er hat gelebt, was er von Gott und vor Gott erkannte. 2. 1939 veröffentlicht er ein Buch unter dem Titel: „Gemeinsames Leben“. Als Predigerseminardirektor, wo die zukünftigen Pfarrer zusammen lebten, begründete er geistlich, theologisch und praktisch, wie gemeinsames Leben aussehen soll und kann. Aus diesem Buch nenne ich ein Thema: wie oft reden wir Menschen über andere. In der Schule wird über Mitschüler/innen geredet, an der Arbeit und in der Nachbarschaft über Kolleg/innen. Wie schnell kommt es so zu Verdächtigungen, falschen Informationen und Mobbing. Dietrich Bonhoeffer gab deshalb eine Regel mit auf den Weg: Rede nicht über andere, was du ihnen nicht auch selber ins Gesicht sagen kannst. Seitdem ich dieses Buch gelesen habe, hat sich mir dieser Satz eingeprägt: Rede nur so über andere, wie du ihnen es auch selber sagen kannst. Das prägt und fördert gemeinsames Leben. 3. Dietrich Bonhoeffer hat die Begriffe „billige Gnade“ und „teure Gnade“ geprägt. „Billige Gnade“ ist es, wenn ich die Vergebung Jesu gerne annehme, aber immer wieder schnell gegen Gott handle, weil ich denke, er vergibt mir sowieso. Wenn ich nicht sehe, was es Jesus gekostet hat, um uns mit Gott zu versöhnen, dann habe ich keinen Ernst vor Gott. Es ist die Haltung: Ich kann leben ohne Rücksicht auf Gott, er vergibt ja sowieso. Die „teure Gnade“ ruft in Erinnerung, dass Jesus für uns sein Leben gab, dass es Gott seinen Sohn gekostet hat, damit wir leben können, damit unsere Sünde vergeben wird. Die „teure Gnade“ ermahnt uns, immer wieder daran zu denken und dem entsprechend zu leben, dass Jesus alles gegeben hat. Also sollten wir auch unser Bestes geben, um Jesus und Gott die Wertschätzung zu geben, die sie verdienen. 4. Dietrich Bonhoeffer hat auch die Frage nach dem Tyrannenmord bis zum Ende theologisch durchdacht: Darf ein Christ einen Herrscher töten, der so mörderisch und diktatorisch regiert, wie zum Beispiel Hitler? Das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ gilt auch hier. Wenn jemand solch einen Herrscher tötet, dann muss Gott ihn verdammen, dann muss derjenige wissen, dass er nicht in Gottes Reich kommt. Aber auch der, der ihn nicht stoppt oder nichts tut, macht sich schuldig. In solchen Extremsituationen, kann man nur noch zwischen Schuld und Schuld wählen (Ethik, DBW 6, S. 284). Diese Frage hat manche Menschen damals bewegt und umgetrieben und die Antwort war die theologische und ideologische Grundlage für alle christlichen Widerstandskämpfer im Dritten Reich. Ihnen war bewusst, was sie planten und welche Konsequenzen das für sie hatte. Auf Gnade dürfen wir immer hoffen, aber die „teure Gnade“ nimmt auch den richtenden Gott ernst. 5. Dietrich Bonhoeffer hatte die Vision von einem großen ökumenischen Konzil, welches dann nach dem Krieg mit dem Ökumenischen Rat der Weltkirchen in die Tat umgesetzt wurde. Seine Vision klingt so: „Wie wird Friede? Wer ruft zum Frieden, dass die Welt es hört, zu hören gezwungen ist? Dass alle Völker darüber froh werden müssen? Der einzelne Christ kann das nicht - er kann wohl, wo alle schweigen, die Stimme erheben und Zeugnis ablegen, aber die Mächte der Welt können wortlos über ihn hinweg schreiten. Die einzelne Kirche kann auch wohl zeugen und leiden - ach, wenn sie es nur täte -, aber auch sie wird erdrückt von der Gewalt des Hasses. Nur das eine große komische Konzil der heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, dass die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muss und dass die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.“ 6. Dietrich Bonhoeffer war ein Visionär und ein Tröster. Seine Worte und Gedanken gaben vielen Menschen Kraft - im Krieg, nach dem Krieg und bis heute. Es ist immer ein Gewinn seine Bücher zu lesen, wie zum Beispiel das Buch: „Widerstand und Ergebung“. Maria von Wedemeyer war die Frau, die ihm Kraft gab, die treu und unbefangen ihn liebte. Die ihn herauslockte mit ihren Briefen und ihm Hoffnung gab. Im letzten Brief an sie steht das wunderbare Gedicht: „Von guten Mächten treu und still umgeben…“ Ich will Ihnen diesen Brief vorlesen. Es ist sein letzter Gruß an seine Verlobte zum Jahresfest und Jahreswechsel 1944/45: „Meine liebste Maria! (Gefängnis: Prinz Albrecht Straße) 19.12.1944 Ich bin so froh, dass ich dir zu Weihnachten schreiben kann, und durch dich auch die Eltern und Geschwister grüßen und euch danken kann. Es werden sehr stille Tage in unseren Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du, die Eltern, ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keine Zweifel hat. Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: „...zwei, die mich decken, zwei, die mich wecken,...“ so ist es diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder. Du darfst also nicht denken, ich sei unglücklich. Was heißt denn glücklich und unglücklich? Es hängt ja so wenig von den Umständen ab, sondern eigentlich nur von dem, was im Menschen vorgeht. Ich bin jeden Tag froh, dass ich dich, euch habe und das macht mich glücklich froh. Das Äußere ist hier kaum anders als in Tegel, der Tageslauf derselbe, das Mittagessen wesentlich besser, Frühstück und Abendbrot etwas knapper. Ich danke euch für alles, was ihr mir gebracht habt. Die Behandlung ist gut und korrekt. Es ist gut geheizt. Nur die Bewegung fehlt mir, so schaffe ich sie mir bei offenem Fenster in der Zelle mit Turnen und Gehen. Einige Bitten: Ich würde gern von Wilhelm Raabe: ‚Abu Telfan’ oder ‚Schüdderump’ lesen. Könnt ihr meine Unterhosen so konstruieren, dass sie nicht rutschen? Man hat hier keine Hosenträger. Ich bin froh, dass ich rauchen darf! Dass ihr alles für mich denkt und tut, was ihr könnt, dafür danke ich euch; das zu wissen ist für mich das Wichtigste. Es sind nun fast zwei Jahre, dass wir aufeinander warten, liebste Maria. Werde nicht mutlos! Ich bin froh, dass du bei den Eltern bist. Grüße deine Mutter und das ganze Haus sehr von mir. Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachtsgruß für dich und die Eltern und Geschwister. Von guten Mächten treu und still umgeben… (In der Familie von Wedemeyer wird es heutzutage selbstverständlich mit der Melodie von Siegfried Fietz gesungen!) Nachwort: Ich habe die Bücher von Dietrich Bonhoeffer als Jugendlicher und im Studium gelesen. Er schreibt so klar, dass man es gut lesen kann. Der Bruder meiner Mutter hat bei Dietrich Bonhoeffer studiert und vor der Bekennenden Kirche Examen abgelegt, mit der klaren Ansage, dass er mit diesem Examen nie in der Kirche eine Pfarrstelle bekommen wird. Nach dem Krieg wurden diese ehrlichen und bekennenden Theologen gesucht. Später war er Superintendent in Unna. Zwei Geschwister von Maria von Wedemeyer leben noch. Der Bruder Hans-Werner ist der Patenonkel meiner Frau. Diese Geschwisterriege sind Neffen und Nichten ihrer Großmutter. Wir haben immer wieder spannende theologische Gespräche - auch über die aktuelle Lage in Kirche und Politik. Im Mai gab es zum ersten Mal nach dem Krieg einen Wedemeyerschen Familientag, auf dem ich die Andacht halten durften. Zwei Wochen später waren wir in Polen und besuchten auch die Orte, an denen Maria von Wedemeyer aufgewachsen war. Geschichte kann ganz schnell dicht werden, wenn man sich mit ihr beschäftigt und offen dafür ist, aus der Vergangenheit zu lernen. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Durch die Geschichte können wir sensibel für heutige Entwicklung werden und ermutigt durch großartige Vorbilder. Ich bin Gott unendlich dankbar für diese Visionäre und Tröster, dir zu jeder Zeit in dieser Welt hat. Wir müssen sie nur finden und auf die richtigen hören. Fürbitten: In dieser Woche wurde die Welt von vielen Ereignissen erschüttert. Es gab die Anschläge in Nizza und Würzburg, der Amoklauf in München und der Putschversuch und seine Folgen in der Türkei. Einige Menschen nehmen sich die Macht über andere, reißen andere mit in den Tod und verstoßen gegen deine Gebote, Gott. Sie hinterlassen eine Spur des Leides und der Angst. Wir rufen: Herr, erbarme dich! Gott, wir rufen zu dir: Steh du den Hinterbliebenen bei. Lass die Völker nicht in Panik geraten, sondern besonnen gegen den Terror vorgehen. Gibt uns eine Haltung, die dich ernst nimmt. Wir rufen: Herr, erbarme dich! Wir dürfen in unserer Gemeinde miterleben, wie sich Menschen dir zu wenden, wie sie Jesus Christus nachfolgen, sich taufen lassen und auf dich hören wollen. Wir danken dir für jeden einzelnen, der zu dir findet und dich als Heiland erkennt. Gib Ihnen und uns die Kraft, den Glauben zu leben. Wir rufen: Herr, erbarme dich! Lass uns wachsam sein bei den politischen Entwicklungen. Gib uns Mut zum Bekenntnis - auch bei unbequemen Wahrheiten. Und hab Dank für Vorbilder, Visionäre und Tröster in der Geschichte und heute. Wir rufen: Herr, erbarme dich! Martin Becker, Baunsbergstr. 10, 34131 Kassel, Kontakt: [email protected]