Interaktion und Identität nach George Herbert Mead, Soziologie

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Geisteswissenschaft
Carolin Kulp
Interaktion und Identität nach George
Herbert Mead
Textbasis: "Theorien der Sozialisation"
Essay
Universität Augsburg
Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Wintersemester 2008/09
Seminar: BS Soziologie für EWS- Familie-Schule-Sozialisation
Dozent:
Datum: 04.02.2009
Referentin: Carolin Kulp
Essay: „Interaktion und Identität“ auf Textbasis: „Theorien der Sozialisation“
Der Artikel Kapitel 4 aus dem Buch „Theorien der Sozialisation“ von F. Baumgart
(Herausgeber) gliedert sich in zwei Teile:
Zuerst behandelt er die Sozialisationstheorien von G. H. Mead, anschließend ist ein Aufsatz
von Tillmann „Beitrag des symbolischen Interaktionismus zu einer Theorie der Schule“
angefügt. Im ersten Teil geht es wie bereits erwähnt um die Sozialisationstheorien Meads.
Dieser Abschnitt des Textes trägt die passende Überschrift „Sozialisation durch symbolische
Interaktion“. Ich möchte nun die Kernaussagen dieses Abschnitts zusammenfassen:
Mead geht in seinen wissenschaftlichen Arbeiten der Frage nach, wie die menschliche
Identität zustande kommt und welchen Einfluss die Gesellschaft, das Denken und der Geist
des einzelnen Menschen darauf haben.
Die Identität entwickelt sich nach Mead durch drei Faktoren: Sprache, Spiel und Wettkampf.
Durch das Symbolsystem Sprache kann sich eine „planvolle Interaktion zwischen Individuen,
voll entfalten“1. Das Gesagte wirkt auf den Hörer sowie auf den Sprecher selbst und löst
tendenziell bei dem Sprecher die gleichen Reaktionen aus, die wir durch Worte auch bei dem
Hörer hervorrufen.. Der Sprecher übernimmt die Perspektive des Gegenübers, um eine eigene
Identität entwickeln zu können, das bezeichnet man als Rollenübernahme oder „taking the
role of the other“. Ohne die Perspektivübernahme könnte man kein unverwechselbares Selbst,
also keine Identität entwickeln. Außerdem ist zu sagen, dass die Sprache eine soziale
Funktion ausübt, da man sich ja mit anderen unterhält und somit soziale Kontakte aufbaut und
pflegt.
Im frühen Abschnitt der Sozialisation übt man die Haltungen anderer einzunehmen (z.B. ein
Kind das „Indianer“ spielt). Dies ist das nachahmende Kinderspiel (play) bzw. das sogenannte
Rollenspiel.
1
„Theorien der Sozialisation“ S. 120
Indem man sich in andere Rollen hineinersetzt, lernt man unterschiedliche Reaktionen
kennen und auch entsprechend zu reagieren. Auch das ist natürlich wieder wichtig für die
Kommunikation mit anderen.
Das nächste Stadium beschreibt Mead am Beispiel der Wettkampfspiels (game). Hierbei muss
sich das Kind nicht nur in eine andere Haltung hineinversetzen können, sondern die
Haltungen von einer ganzen Gruppe. Durch den „verallgemeinerten Anderen“ übt die
Gemeinschaft somit Kontrolle über das Verhalten des Individuums aus, anders gesagt: die
Gemeinschaft formt die Identität des Einzelnen.
Zusammengefasst kann man also sagen: Wenn ein Individuum zu einer Gemeinschaft gehört
(wie z.B. eine Sportmannschaft, Schulklasse) und es die Institutionen dieser Gemeinschaft in
sein Verhalten nimmt (z.B. durch Sprache), dann hat es eine Identität.
Nun möchte ich auf den zweiten Abschnitt der Arbeit, den Artikel Tillmanns Bezug nehmen.
In diesem Textstück beschreibt Tillmann den Einfluss des Symbolischen Interaktionismus auf
die Theorie der Schule. Zuerst nennt er die Struktur der schulischen Kommunikation:
Kommunikation in der Schule läuft meist in Form von Unterricht ab, der wiederum von
Hierarchie und Zwang (Schulpflicht und „größere Macht“ des Lehrers) und von Leistung und
Konkurrenz (durch Noten, Zeugnisse) innerhalb der Schüler geprägt ist. Aber auch andere
Faktoren spielen eine Rolle. Der Lehrer muss einen gewissen Stoff innerhalb einer
bestimmten Zeit vermitteln können. Außerdem hat der Lehrer trotz einiger Vorgaben
genügend Möglichkeit seine eigene Identität darzustellen (z.B. durch individuellen
Unterrichtsstil). Für den Schüler hingegen sieht das dann ganz anders aus; er muss sich an
generelle Regeln der Schule und an spezielle Regeln der bestimmten Lehrer halten und will
nebenbei noch seinen eigenen Identitätsentwurf in die unterrichtliche Kommunikation
einbringen. Das führt dazu, dass er besondere Problemlösungs- und Anpassungsstrategien
(sogenannte „Taktiken“) entwickelt.
Danach stellt Tillmann Identitätsentwürfe von Schülern dar: Die Leistungsproblematik betrifft
jeden Schüler, da die Leistung in der Schule so eine große Rolle spielt. Alles ist auf
Leistungserbringung und -bewertung ausgerichtet, auch der Unterricht. An die Schüler wird
die Forderung gestellt, sich innerhalb der Kommunikationsstruktur angemessen zu bewegen
und ihre Identität zu entwickeln. Die verschiedenen Leistungskriterien werden im Erleben von
Erfolgs- und Versagenssituationen im eigenen Identitätsentwurf verarbeitet.
Abschließend kennzeichnet Tillmann den Prozess der Typisierung und Etikettierung:
Ob ein Schüler gut oder schlecht ist hängt nicht vorrangig von seinem Fleiß oder seiner
Begabung ab, sondern davon, ob er von einem Lehrer als guter oder schlechter Schüler
angesehen und behandelt wird. Der Vorgang läuft wie folgt ab: Ein Lehrer nimmt bei einem
Schüler bestimmte Verhaltensmerkmale wahr und typisiert diese, das heißt diese
Eigenschaften werden nicht mehr nur mit dem Verhalten sondern speziell mit der Person an
sich verknüpft. Im frühen Stadium können die betroffenen Schüler dies noch aufhalten durch
besonders angepasstes Verhalten oder auch Bestreiten dieser Tatsache durch Leugnen oder
Rechtfertigen beispielsweise. Wenn beides nicht gelingt, wird dann der Prozess der
Etikettierung in Gang gesetzt: hierbei erwartet sie soziale Umwelt bereits das etikettierte
Verhalten und der Schüler kann sich kaum noch anders verhalten.
An Tillmanns Ansätzen kann finde ich eigentlich keine Kritikpunkte. Seine Erklärungen und
Beispiele finde ich logisch und durch die Beispiele, also den konkreten Bezug auf die Schule
bzw. den Unterricht, sehr anschaulich und leicht nachzuvollziehen.
Anders sieht es jedoch bei Meads Theorien aus. Hier finde ich schon einige Sachen
fragwürdig und widersprüchlich. Zuerst fiel mir das Tierbeispiel auf, auf welches sich Mead
bezieht, wenn er die sprachliche Interaktion als Unterscheidung von menschlichem
Zusammenleben und von dem der Tiere anbringt. Die verschiedenen Tierarten verfügen hier
über „Gesten“, wobei die Verhaltenskoordination der Tiere einem Reiz-Reaktions-Schema
(vgl. Skinner) folgt, ohne dass sich diese über die Bedeutung ihrer Gesten bewusst sind. Beim
Menschen hingegen sind sich Hörer und Sprecher über die Bedeutung des Gesagtem bewusst,
ihre Worte haben also gemeinsame Bedeutung, das sogenannte signifikante Symbol. Aber
wieso sind sich Tiere nicht darüber bewusst, was sie mit ihren „Gesten“ bezwecken wollen,
oder aber ganz drastisch formuliert, warum können Tiere nicht denken? Tiere sind sehr wohl
fähig abstrahierend denken zu können, sie können Probleme lösen, wobei die
Denkfähigkeit/Intelligenz bei Tieren variiert. Und zusätzlich finde ich es merkwürdig, wieso
Mead ein Tierbeispiel wählt, wenn er seine Begriffe mit Blick auf die menschliche
Kommunikation ausarbeitet.
Aber das soll nicht das Einzige bleiben, was mir nicht ganz einleuchtet. Mead lässt meiner
Meinung nach konkrete ökonomische, historische und soziale Verhältnisse bei seiner Theorie
außer Acht. Er reflektiert zwar psychologische Mechanismen der Interaktion von
Persönlichkeit und Gesellschaft, aber bezieht beispielsweise den historischen Charakter nicht
mit ein. Auch geht die biografische Perspektive verloren, weil nur eine Betrachtung der
Folgen der aktuellen Interaktionssituationen erfolgt. Weiterhin habe ich überlegt, ob die
Funktion „signifikanter Symbole“ wirklich so hoch angerechnet werden muss, denn in der
modernen Gesellschaft rivalisieren die Sinnwelten, es gibt verstreute Erwartungen innerhalb
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