LW7 - Wechselstrom

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LW7
Wechselstrom
Version vom 4. März 2016
Inhaltsverzeichnis
1 Komplexe Widerstände
1.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1.2 Wechselspannung und Wechselstrom . . . . . . . . . . . . .
1.1.3 Effektivwerte von Wechselspannung und Wechselstrom . . .
1.1.4 Wechselstromwiderstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1.5 Leistung im Wechselstromkreis mit komplexen Widerständen
1.2 Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Versuchsaufbau und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.1 Messungen mit dem Multimeter . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.2 Messungen mit dem Oszilloskop . . . . . . . . . . . . . . . .
1.4 Hinweise zu Protokollierung und Fehlerrechnung . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Lehr/Lernziele
• Unterschiede von Gleich- und Wechselstrom im praktischen Umgang erfahren.
• Die Auswirkungen von komplexen Widerständen (Impedanzen) in Wechselstromkreisen besser verstehen lernen.
• Die mathematischen „Werkzeuge“ der Wechselstromtechnik besser verstehen und anwenden lernen.
• Kenntnisse zu Funktionsweise und Anwendungmöglichkeiten von Oszilloskopen festigen.
• Oszilloskope für einfache Messungen im Wechselstromkreis einsetzen können.
• Mögliche Vorbehalte und Unsicherheiten gegenüber Wechselstromtechnik abbauen.
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1 Komplexe Widerstände
1 Komplexe Widerstände
1.1 Grundlagen
1.1.1 Begriffe
Wechselstrom, Wechselspannung, Phasenverschiebung, komplexe Widerstände, Kapazität,
Induktivität, Impedanz, Wirkleistung, Scheinleistung, Blindleistung, Schwingung, Periodendauer, Frequenz
1.1.2 Wechselspannung und Wechselstrom
Bei Wechselströmen hängt der Momentanwert der Spannung bzw. der Stromstärke von
der Zeit ab. Es gibt verschiedenste Formen von Wechselstrom. Die öffentliche Elektrizitätsversorgung liefert an Haushalte und Industrie Wechselstrom mit einem periodischen
sinusförmigen zeitlichen Verlauf.
U (t) = U0 · sin(ωt + ϕU )
I(t) = I0 · sin(ωt + ϕI )
(1)
worin U0 und I0 die Amplituden(maxima) von Spannung und Strom(stärke) sind und ω als
Kreisfrequenz bezeichnet wird. Diese Darstellung basiert auf der Idee, die Winkelfunktion
„Sinus“ in eine Funktion der Zeit zu verwandeln, indem ihr Argument als ein in der Zeit
gleichmäßig veränderlicher Winkel ϕ(t) = ωt (die Phase)1 angesetzt wird. ϕU , ϕI sind die
Phasenkonstanten, d.h. die Werte der Phase zum Zeitpunkt t = 0. Sie sind i.A. verschieden,
d.h. es besteht eine Phasendifferenz ∆ϕ zwischen Spannung und Strom. Definitionsgemäß
gilt:
∆ϕ = ϕU − ϕI
(2)
Oft werden die Gleichungen 1 vereinfacht, indem durch geeignete Wahl des Nullpunktes
der Zeit ϕU = 0 wird. Beachten Sie bitte, dass in diesem Fall ∆ϕ = −ϕI gilt.
Formelzeichen Einheit
U
V
U0
V
I
A
I0
A
ω
s−1
ϕU , ϕI
1 (rad)
∆ϕ
1 (rad)
1
Bezeichnung
Spannung
Amplitude der Spannung od. Scheitelspannung
Stromstärke
Amplitude des Stromes od. Scheitelstrom
Winkelgeschwindigkeit
Phasenkonstanten
Phasendifferenz zwischen U und I
ω ist die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich die Phase ändert; deswegen werden Kreisfrequenz und
Winkelgeschwindigkeit oft synonym verwendet, obwohl sie das streng genommen nicht sind.
-2-
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1 Komplexe Widerstände
Als Wechselspannungsquellen dienen z.B. Generatoren diverser Elektrizitätswerke, Windkraftanlagen aber auch Solarpaneele (mit nachgeschaltetem Wechselrichter2 ). Solche Wechselströme sind in zweifacher Hinsicht von Bedeutung:
• Die Höhe von Wechselspannungen kann ohne Schwierigkeiten und ohne große Verluste mit Transformatoren in weiten Bereichen verändert und so den technischen
Anforderungen leicht angepasst werden. Diese leichte Transformierbarkeit ist auch
der Grund dafür, dass der Transport elektrischer Energie mittels Wechselspannungen (Hochspannungstransport) viel einfacher und verlustärmer durchzuführen als
mit Gleichspannungen. Außerdem ist die Erzeugung von Wechselspannung (mittels
Drehstromgeneratoren) technisch einfacher und effizienter zu realisieren.
• Jede beliebige andere, zeitlich veränderliche Spannung kann in eine Fourierreihe von
einfachen sinus- und cosinusförmigen Spannungen zerlegt werden.
Die Frequenz des Haushaltsstromnetzes beträgt 50 Hz, also f = 50 s−1 , das entspricht
einer Kreisfrequenz von ω = 2 · π · f = 314 s−1 und einer Periodendauer T = 20 ms.
1.1.3 Effektivwerte von Wechselspannung und Wechselstrom
Eine Wechselspannung U (t) = U0 · sin ωt, die an einem ohmschen Widerstand anliegt,
erzeugt einen Wechselstrom I(t) = I0 · sin ωt mit I0 = UR0 (siehe Abb. 1)
Abbildung 1: Wechselstrom und Wechselspannung an einem ohmschen Widerstand
Damit ist die elektrische Leistung P (t) = U (t) · I(t) = U0 · I0 · sin2 ωt ebenfalls eine zeitlich
periodische Funktion (siehe Abb. 2).
2
Solarzellen sind Gleichstromquellen, sie müssen erst technisch zu Wechselstromquellen „gemacht“ werden
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1 Komplexe Widerstände
Abbildung 2: Wechselstrom, Wechselspannung und Leistung an einem ohmschen Widerstand
Die vom ohmschen Widerstand während einer Periode verbrauchte Energie (umgesetzte
Wärme) ist dabei:
Z T
U0 · I0 · sin2 ωt dt
(3)
WT =
0
Für das zeitliche Mittel der elektrischen Leistung (Arbeit pro Zeiteinheit) erhält man
damit:
Z
1
1 T
U0 · I0 · sin2 ωt dt = · I0 · U0
(4)
P =
T 0
2
Unter dem Effektivwert Uef f einer Wechselspannung bzw. Ief f eines Wechselstroms versteht man den Wert einer Gleichspannung bzw. eines Gleichstroms, der an einem ohmschen
Widerstand R die gleiche Leistung erbringt wie die betrachtete Wechselspannung U (t):
2
Uef
1
1 U02
f
· U0 · I0 =
=
2
2 R
R
bzw.
1
1
2
· U0 · I0 = I02 · R = Ief
f ·R
2
2
U0
Uef f = √
2
⇒
⇒
I0
Ief f = √
2
(5)
(6)
In Abbildung 3 wird der Zusammenhang noch einmal veranschaulicht. Das Rechteck Uef f , Ief f , T
RT
hat die gleiche Fläche wie 0 U0 · I0 · sin2 ωt dt.
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1 Komplexe Widerstände
Abbildung 3: Zusammenhang der Effektivwerte mit der Leistung von Wechselstrom
Die obige Herleitung gilt nur für Sinusspannungen. Eine allgemeinere Definition der Effektivwerte, die für periodische Wechselspannungen beliebiger Form gilt, selbst wenn sie noch
von einem Gleichspannungsanteil UDC überlagert sind, lautet:
v
v
u
u
ZnT
u ZT
u
1
u1
u
Uef f = t
(U (t) + UDC )2 dt = t
(U (t) + UDC )2 dt (n = 1, 2, 3, ....).
T
nT
0
0
Es werden also die momentanen Spannungswerte quadriert, diese Quadrate über die Periodendauer (bzw. einem ganzzahligen Vielfachen davon) gemittelt und hinterher die Wurzel
aus diesem Mittelwert der Quadrate gezogen. Diese Operation heißt im Englischen root
mean square (RMS) und ein Messgerät, das nach diesem Prinzip arbeitet heißt folglich
RMS-Meter. Weil aber ein solches Messgerät im allgemeinen keine Information über die
Periodendauer hat, wird in der Regel eine fest eingestellte Zeit TI für die Mittelwertbildung verwendet. Der so erhaltene Wert wird dann als True-RMS-Wert URM S bezeichnet.
Im Spezialfall sinusförmiger Wechselspannungen (ohne Gleichspannungsanteil) erhält man
aus dieser Formel wieder den oben hergeleiteten Effektivwert.
Messgeräte für Wechselspannung und Wechselstrom zeigen stets die Effektivwerte an und
auch in den technischen Daten elektrischer Geräte werden sie stets angegeben. Bei unserem
3
einphasigen Wechselstromnetz liegt zwischen den Polen der Steckdose
eine Effektivspan√
nung Uef f = 230 V , das entspricht einer Scheitelspannung U0 = 2 · 230 V ≈ 325 V .
Wie lässt sich somit die zeitliche Funktion dieser Wechselspannung angeben?
3
Die Pole der 230 V - Steckdose sind Phase und Nullleiter. Bei Starkstromsteckdosen erlangt man eine
Effektivspannung von 400 V indem man beide Pole mit einer Phase belegt. Jeder Haushalt verfügt
über einen Anschluss mit 3 unterschiedlichen Phasen. Das sind sinusförmige Spannungssignale mit 325
V Scheitelspannung, die um je 120◦ phasenverschoben sind. Sie werden im Kraftwerk mit Drehstromgeneratoren gewonnen.
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1 Komplexe Widerstände
1.1.4 Wechselstromwiderstände
Bei Wechselstrom kann ein Verbraucher zusätzlich zum ohmschen Widerstand noch einen
kapazitiven oder induktiven Widerstand besitzen. Ein kapazitiver Widerstand entsteht z.B.
durch das elektrische Feld zwischen den Platten eines Kondensators, ein induktiver durch
das magnetische Feld einer Spule.
Für kapazitive und induktive Widerstände gilt:
• Es hängen die Widerstände von der Frequenz des Wechselstroms ab.
• Es kommt an induktiven und kapazitiven Widerständen zu einer Phasenverschiebung
∆ϕ zwischen Strom und Spannung, d.h. die Funktionen von Strom und Spannung
durchlaufen nicht gleichzeitig ihre Maxima und Minima (vgl. Abb. 4). Am ohmschen
Widerstand entsteht keine Phasenverschiebung; am Kondensator eilt der Strom um
90◦ bzw. π/2 voraus, an der Spule hinkt er um 90◦ bzw. π/2 hinterher.
Also ist auch die Beziehung U/I nicht zeitunabhängig, was eine unmittelbare Darstellung
dieses Zusammenhanges mit Hilfe eines zeitunabhängigen Faktors analog des ohmschen
Gesetzes im Allgemeinen unmöglich macht. Abb. 4 zeigt schematisch die Verläufe von
Strom und Spannung an den drei Typen von Wechselstromwiderständen.
Abbildung 4: Verlauf von Strom und Spannung als Funktion der Phase a)am Ohm’schen
Widerstand, b)am Kondensator und c)an der Spule.
Nur (ideale) ohmsche Widerstände verhalten sich im Wechselstromkreis genauso wie im
Gleichstromkreis. Die Berechnung von Wechselstromschaltungen ist deswegen schwieriger
als die von Gleichstromschaltungen. Eine Vereinfachung wird erzielt, wenn man sämtliche
Wechselstromgrößen mittels komplexer Zahlen darstellt. Das wird durch die Euler’sche Relation eiωt = cos ωt + i sin ωt möglich. Größen wie Spannung, Strom, Widerstand werden
durch komplexe Zahlen beschrieben:
Û = U0 ei(ωt+ϕU ) , Iˆ = I0 ei(ωt+ϕI ) und Z
(7)
Der Vorteil dieser Methode: die bekannten Gesetze und Regeln für Gleichstromschaltungen
(Ohm’sches Gesetz, Kirchhoff’sche Regeln) gelten vollkommen analog für diese komplexen
Größen. Dazu zwei Beispiele:
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1 Komplexe Widerstände
• Das ohmsche Gesetz für einen beliebigen Wechselstromwiderstand Z (einzelner Bauteil, Gesamtwiderstand einer Schaltung ) lautet in komplexer Schreibweise:
ˆ
Û (t) = Z · I(t).
(8)
wobei Z ein zeitunabhängiger Faktor ist:
Z=
U0 i∆ϕ
e
= Re(Z) + iIm(Z)
I0
(9)
• Die Serienschaltung der komplexen Widerstände Z1 , Z2 hat den Gesamtwiderstand
Zges :
Zges = Z1 + Z2 .
Alle komplexen Wechselstromgrößen können in einem Zeigerdiagramm in der Gauß’schen
Zahlenebene (=komplexe Zahlenebene) dargestellt werden.
Komplexe Wechselstromwiderstände werden auch als (komplexe) Impedanzen bezeichnet.
Die drei Grundtypen von Wechselstromwiderständen sind: Ohm’scher Widerstand R, Kondensator mit Kapazität C und Spule mit Induktivität L).
Eine einfache Rechnung, die in einführenden Lehrbüchern zur Physik vorgeführt wird4 ,
ergibt für den Quotienten der Amplituden von Spannung (U0 ) und Stromstärke (I0 ), gemessen am jeweiligen Wechselstromwiderstand:
U0
= R (ohmscher Widerstand)
I0
U0
= XC = 1/ωC (Kondensator)
I0
U0
= XL = ωL (Spule)
I0
(10)
(11)
(12)
welche als reelle Wechselstromwiderstände bezeichnet werden können. Der Wechselstromwiderstand des Ohm’schen Widerstandes ist gleich seinem Gleichstromwiderstand (die Bezeichnung XR ist somit überflüssig) und frequenzunabhängig, während Kondensator und
Spule frequenzabhängige Wechselstromwiderstände haben.
Ihre komplexen Größen (Impedanzen) sind:
ÛC
= ZC = −iXC = −i/ωC (Kondensator)
IˆC
(13)
ÛL
= ZL
IˆL
(14)
= iXL
= iωL (Spule)
(15)
4
z.B. D. Halliday, R. Resnik, J. Walker, Physik, Wiley-VCH 2003, S. 941f.
-7-
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1 Komplexe Widerstände
Der reelle Wechselstromwiderstand wird mit i oder −i multipliziert, um die entsprechende
komplexe Impedanz zu erhalten. Das unterschiedliche Vorzeichen ist notwendig, um die
entgegengesetzte Phasenverschiebung an Spule und Kondensator zu beschreiben. Offensichtlich gilt:
Die reellen Wechselstromwiderstände sind die Beträge der komplexen Impedanzen.
Mit konventionellen Messgeräten sind daher nur die Beträge von Spannung und Strom
messbar 5 . Frequenzen und Phasen können z.B. mit einem Oszilloskop gemessen werden.
Der Quotient aus gemessener Spannung und gemessenem Strom ist somit der Betrag des
komplexen Wechselstromwiderstandes. Wurden z.B. an einem Kondensator die Spannung
UC und der Strom IC gemessen, dann ergibt der Quotient UC /IC nach Gleichung 8 den
Betrag der Impedanz des Kondensators:
1
UC
= |ZC | =
≡ XC .
IC
ωC
XC hat, wie oben beschrieben, die Dimension eines Widerstandes und ist als reeller Wechselstromwiderstand des Kondensators bezeichnet worden.
Wir wollen den Fall der Serienschaltung in Abb. 5 näher betrachten, weil er für das aktuelle
Praktikumsbeispiel wichtig ist. (Achtung: im Folgenden sind alle Ströme und Spannungen
als Effektivwerte, also messbare Werte zu betrachten!) Die Gesamt-Impedanz Zges dieser
Schaltung ist:
i
= R − iXC .
(16)
Zges = ZR + ZC = R −
ωC
Abbildung 5: Serienschaltung eines Kondensators und eines ohmschen Widerstandes.
Misst man die Gesamtspannung Uges und den Gesamtstrom I, so ist der Quotient nach
obigen Ausführungen gleich dem Absolutbetrag der Gesamtimpedanz Zges . I fließt durch
5
Das ist ein bisschen ungenau. Messgeräte messen eigentlich den sog. Effektivwert, der mit dem Betrag der
komplexen Größe durch einen konstanten Faktor verknüpft ist. Bei der Berechnung von Widerständen
kürzt sich der Faktor weg, ist also in diesem Zusammenhang irrelevant.
-8-
LW7
1 Komplexe Widerstände
R und durch C. Für die Teilspannungen an den beiden Elementen gilt daher:
UR = I · R
UC = I · XC .
Aus diesen Gleichungen folgt sofort XC , falls R bekannt ist!
Beachten Sie: die Spannung an R hat keine Phasenverschiebung gegenüber dem Strom,
die Spannung an C jedoch schon! Also sind die beiden Spannungen gegeneinander phasenverschoben. Konsequenz: die Teilspannungen können nicht einfach zur Gesamtspannung
addiert werden: UR + UC 6= Uges . Warum das so ist, zeigt am einfachsten eine grafische
Auftragung der komplexen Impedanzen.
Beachten Sie außerdem: Die in Gleichung 16 dargestellte (einfache) Beziehung gilt ausnahmslos für die RC-Serienschaltung (bzw. analog für die RL-Serienschaltung bei Vernachlässigung des ohmschen Widerstands der Spule)). In keiner anderen Schaltung ist der
ohmsche Widerstand alleine der Realteil des komplexen Widerstandes Re(Z) = R bzw.
der kapazitive Widerstand alleine der Imaginärteil Im(Z) = XC
Sie finden ein Beispiel für komplexe Widerstände von einfachen Schaltungen
auf der eLearning-Seite des Anfängerpraktikums.
Bekanntlich kann jede komplexe Zahl als Vektor in der Gauß’schen Zahlenebene dargestellt
werden. Für die Gesamtimpedanz Zges (Gleichung 16) ist dies in Abb. 6 (schematisch)
gezeigt, wo jeder Vektor mit seiner Länge beschriftet ist. Die Längen entsprechen den
Beträgen der komlexen Widerstände, also den gemessenen Widerständen. Zges ist offenbar
die Vektorsumme von ZR und ZC . Die Anwendung des Pythagoräischen Lehrsatzes ergibt:
q
|Zges | = R2 + XC2 .
Die messbaren Teilwiderstände addieren sich also nicht linear, sondern quadratisch zum
gemessenen Gesamtwiderstand. Das ist eine Folge der Phasenverschiebung der beiden Teilspannungen an diesen Widerständen. Denken Sie sich jetzt jeden Vektor in Abb. 6 mit der
gemessenen Stromstärke I multipliziert und Sie erhalten ein völlig analoges Bild für die
Spannungen Uges , UC , UR . Daraus folgt: die quadratische Addition gilt auch für die Gesamtund Teilspannungen.
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1 Komplexe Widerstände
Abbildung 6: Die Gesamtimpedanz Zges der Schaltung in Abb. 5 in der Gaußschen Zahlenebene.
Manchmal wird der Betrag der Gesamtimpedanz |Zges | als Scheinwiderstand, der Realteil
Re(Z) als Wirkwiderstand und der Imaginärteil Im(Z) als Blindwiderstand bezeichnet.
(Achtung: nur in dem in Abb. 6 behandelten Beispiel der RC-Serienschaltung gilt der
direkte und einfache Zusammenhang Re(Z) = R und Im(Z) = XC ).
Aus Abb. 6 ist auch die Phasenverschiebung ∆ϕ abzulesen:
tan ∆ϕ = −
XC
R
⇒
∆ϕ = − arctan
XC
R
(17)
Das negative Vorzeichen vor XC kommt daher, dass ZC negativ ist. Der Strom eilt am
Kondensator der Spannung voraus, daher ist hier die Phasenkonstante ϕI positiv (siehe
Gleichung 1) und damit die Phasenverschiebung (nach Konvention!) negativ. Bei einer
Spule würde die Verhältnisse umgekehrt liegen.
Ebenso kann aus Abb. 6 leicht abgeleitet werden, wie sich eine Serienschaltung aus 2
ohmschen Widerständen R1 , R2 verhält (versuchen Sie es!).
Beachten Sie hierzu die Simulation von Wechselstromwiderständen im
Stromkreis auf der eLearning Seite des Anfängerpraktikums.
Anmerkung: Kondensatoren und Spulen im Gleichstromkreis
Für Gleichstrom wirkt der (ideale) Kondensator wie eine Unterbrechung. Sein Widerstand
ist nahezu unendlich. Die (ideale) Spule wirkt wie ein Kurzschluss. Ihr Widerstand ist
nahezu Null. In Gleichspannungsschaltungen beeinflussen Spulen und Kondensatoren nur
während der Einschalt- und Ausschaltphase den Strom- und Spannungsverlauf.
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1 Komplexe Widerstände
1.1.5 Leistung im Wechselstromkreis mit komplexen Widerständen
Befinden sich in einem Wechselstromkreis komplexe Widerstände, so kommt es (wie bereits
erwähnt) zu Phasenverschiebungen zwischen Spannung und Strom. Ist das der Fall, so muss
es bei der Berechnung der Leistung berücksichtigt werden.
Zieht man für die Berechnung der Leistung die komplexen Größen von Spannung Û und
Strom Iˆ heran und bildet das zeitliche Mittel, so erhält man als Realteil der Leistung
die Wirkleistung P und als Imaginärteil die Blindleistung Q. Ihr Betrag ist (analog zur
Bezeichnung der Wecheslstromwiderstände) die Scheinleistung S.
Wirkleistung P = Uef f · Ief f · cos ∆ϕ
Die Wirkleistung entspricht dem Realteil der komplexen Wechselstromleistung. cos ∆ϕ
wird auch Leistungsfaktor genannt. Er ist ein Maß dafür, wieviel aufgenommene elektrische
Leistung tatsächlich umgesetzt werden kann und dient daher etwa bei Elektromotoren als
Gütekriterium.
An einem ohmschen Widerstand beträgt die Phasenverschiebung bekanntlich ∆ϕ = 0,
daher ist cos ∆ϕ = 1 und P = Uef f · Ief f
Blindleistung Q = Uef f · Ief f · sin ∆ϕ
Die Blindleistung entspricht dem Imaginärteil der komplexen Wechselstromleistung. sin ∆ϕ
wird auch Blindfaktor genannt. An einem induktiven oder kapazitiven Widerstand beträgt
die Phasenverschiebung bekanntlich ∆ϕ = ±π/2, daher ist sin ∆ϕ = 1 und Q = Uef f · Ief f
(die Wirkleistung hingegen wird 0).
Scheinleistung S = Uef f · Ief f
Es gilt (analog zum Betrag der Gesamtimpedanz (=Scheinwiderstand)):
q
p
Scheinleistung = Wirkleistung2 + Blindleistung2 S = P 2 + Q2
(18)
Die Scheinleistung S bezeichnet für sinusförmige Ströme das Produkt der Effektivwerte für
Strom und Spannung ohne Berücksichtigung der Phasenverschiebung.
Die Abb. 7 veranschaulicht grafisch den Zusammenhang von Leistung und Phasenverschiebung (Phasenwinkel) zwischen Spannung und Strom.
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LW7
1 Komplexe Widerstände
Abbildung 7: Funktionen von Strom, Spannung und Leistung bei unterschiedlichen Phasenwinkeln
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1 Komplexe Widerstände
1.2 Aufgabenstellung
1. Messungen mit dem Multimeter
a) Bauen Sie eine Spannungsteilerschaltung (Serienschaltung) aus einem bekannten und einem unbekannten ohmschen Widerstand R, Rx auf, legen Sie Wechselspannung an die Schaltung an und bestimmen Sie den unbekannten Widerstand
und seine Messunsicherheit mittels Spannungsmessungen mit dem Digitalmultimeter.
b) Bauen Sie eine Spannungsteilerschaltung (Serienschaltung) aus einem bekannten ohmschen Widerstand R und einer unbekannten Kapazität XC auf, legen
Sie Wechselspannung an die Schaltung an und bestimmen Sie die unbekannte Kapazität und ihre Messunsicherheit mittels Spannungsmessungen mit dem
Digitalmultimeter.
c) Stellen Sie den Zusammenhang zwischen der Gesamtspannung und den Teilspannungen dar und vergleichen Sie diesen für die ersten zwei Schaltungen.
d) Stellen Sie die Gesamt-Impedanz ZGes in der Gauß’schen Zahlenebene dar.
e) Bestimmen Sie den Scheinwiderstand |ZGes | der Serienschaltung aus R und XC
durch gleichzeitige Messung von Gesamtstrom und Gesamtspannung und überprüfen Sie Ihr Ergebnis durch Nachrechnen und grafisch durch nachmessen in
der Gauß’schen Zahlenebene.
2. Messungen mit dem Oszilloskop
a) Bauen Sie aus einem bekannten Widerstand R0 und einem unbekannten Widerstand Rx eine Spannungsteilerschaltung (Serienschaltung) auf und messen
Sie mit dem digitalen Speicher-Oszilloskop (DSO) gleichzeitig die Gesamtspannung und die Teilspannung an R0 . Bestimmen Sie den Wert von Rx , sowie
die Phasenverschiebung ∆ϕ zwischen Strom und Spannung (falls vorhanden).
Abschließend stellen Sie den funktionalen Zusammenhang zwischen den beiden
Spannungen auf dem DSO dar (XY-Betrieb).
b) Ersetzen Sie in der Schaltung Rx durch einen Kondensator mit der Kapazität
C und führen Sie die gleichen Messungen durch wie in der vorigen Aufgabe.
Bestimmen Sie den Wechselstromwiderstand XC des Kondensators und daraus
C, sowie ∆ϕ. Überprüfen Sie ∆ϕ mittels Rechnung nach Gl. 17. Sehen Sie sich
die Spannungen wieder im XY-Betrieb an.
c) Ersetzen Sie den Kondensator durch eine Spule und führen Sie wieder die gleichen Messungen und Auswertungen durch, inklusive XY-Betrieb. Als Ergebnis
sind anzugeben: XL , L und ∆ϕ. Überprüfen Sie ∆ϕ mit Gl. 17.
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LW7
1 Komplexe Widerstände
1.3 Versuchsaufbau und Durchführung
1.3.1 Messungen mit dem Multimeter
Bauen Sie eine Spannungsteilerschaltung (Serienschaltung) aus einem bekannten und einem
unbekannten ohmschen Widerstand auf und bestimmen Sie den unbekannten Widerstand
und Messunsicherheit mit Hilfe von Spannungsmessungen mit dem Digitalmultimeter. Die
Spannungsteilerschaltung wurde bereits für Gleichstrom durchgeführt (LS11). Der einzige
Unterschied besteht in der verwendeten Spannung: Sie verwenden Wechselspannung mit
einer Frequenz von 50 Hz, bereitgestellt durch einen Funktionsgenerator (siehe Abb. 8,
Bedienungserklärung weiter unten im Text). Wählen Sie die größtmögliche Amplitude.
Danach tauschen Sie einfach den unbekannten ohmschen Widerstand gegen eine unbekannte Kapzität. Der reelle Wechselstromwiderstand XC der Kapazität hat den Betrag
1
. Kennt man den Spannungsabfall an der Kapazität, so lässt sich C aus XC bestimmen.
ωC
Nun können Sie die Gesamtimpedanz ZGes der Serienschaltung in komplexer Schreibweise
angeben und in der Gauß’schen Zahlenebene abbilden.
Stellen Sie den Zusammenhang zwischen den Teilspannungen bei den beiden untersuchten
Spannungsteilern dar. Diskutieren Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Ermitteln Sie im nächsten Schritt die Gesamtimpedanz ZGes der RC-Schaltung durch
gleichzeitiges Messen von Strom und Spannung (Wählen Sie dabei selbst die Schaltungsart
und den Einsatz der Messgeräte). Vergleichen Sie Ihr Ergebnis und dessen Unsicherheit
mit einer Berechnung des Scheinwiderstandes aus der Gesamtimpedanz.
Lassen Sie jede Schaltung vor Inbetriebnahme durch eine Betreuungsperson kontrollieren.
Bedienung des Funktionsgenerators
Abbildung 8: Funktionsgenerator der Firma HAMEG. Die Bedienungselemente mit den
Nummern werden im Text beschrieben.
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LW7
1 Komplexe Widerstände
Die für Sie wichtigen Bedienungselemente sind in Abbildung 8 mit einer Nummer versehen
- außer dem Einschaltknopf (der rote Knopf in der Mitte).
Mit dem Drehschalter 1 kann die Amplitude der Wechselspannung geändert werden. Sie
wird auf dem Gerät nicht angezeigt, sondern muss durch Messung bestimmt werden (wie
in Abbildung 8 gezeigt).
Die Buchse 2 gibt die eingestellte Wechselspannung an die Schaltung ab. Zum Anschluss
muss ein Koaxialkabel mit einem BNC-Stecker verwendet werden, das am anderen Ende
zwei 4-mm-Stecker besitzt.
Die Schalter 3 und 4 dienen zur Einstellung der Frequenz der Wechselspannung. 4 ist eine
Grobverstellung, 3 eine Feinverstellung.
Mit dem Schalter 5 wird die Form der Wechselspannung eingestellt. Es stehen Sinusspannung, Dreiecksspannung, Rechteckspannung und Impulsspannung zur Verfügung. Für die
Messungen wählen Sie die Sinusspannung, durch mehrmaliges Drücken des Schalters (bis
der Sinus aufleuchtet).
Die anderen Schalter des Gerätes werden Sie nicht benötigen. Achten Sie darauf, dass
keiner dieser Schalter gedrückt ist!
Sie können dieses Experiment mit dem Applet LRC-Kreis auf der
eLearning-Seite des Anfängerpraktikums exakt nachsimulieren.
1.3.2 Messungen mit dem Oszilloskop
Bauen Sie eine Serienschaltung aus 2 ohmschen Widerständen auf. Achten Sie dabei darauf, dass die Außenleiter des Koaxialkabels auf Masse angeschlossen sind, das heißt auf
gleichem Spannungspotential liegen. Mit Hilfe des DSO werden die Teilspannung am bekannten Widerstand R0 und die Gesamtspannung aus einem ohmschen Spannungsteiler
(ein bekannter, ein unbekannter Widerstand Rx ) gleichzeitig dargestellt (siehe Abb. 9).
x
. Im
Gemäß der Kirchhoff’schen Regeln bestimmen Sie Rx aus dem Verhältnis UU21 = R0R+R
0
Anschluss betrachten und protokollieren Sie U2 (t) als Funktion von U1 (t). Dazu muss das
Oszilloskop in xy-Betrieb geschaltet werden. Interpretieren Sie das Ergebnis.
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LW7
1 Komplexe Widerstände
Abbildung 9: Messschaltung zum Ohm’schen Spannungsteiler
Statt des unbekannten ohmschen Widerstandes aus der vorigen Aufgabe, verwenden Sie
im Anschluss eine Kapazität C bei einer Frequenz zwischen 150 und 300 Hz und danach
eine Induktivität L bei einer Frequenz zwischen 35 und 50 kHz (siehe Abb 10). Gehen Sie
analog zur ersten Messaufgabe mit dem DSO vor und bestimmen Sie C bzw. L sowie die
Phasenverschiebung ∆ϕ und den funktionalen Zusammenhang zwischen der Teilspannung
U2 (t) am bekannten Widerstand R0 und der Gesamtspannung U1 (t). Interpretieren Sie das
Ergebnis.
Abbildung 10: Messschaltung zum Spannungsteiler mit unbekannter Impedanz
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LW7
1 Komplexe Widerstände
Bedienung des digitalen Speicher-Oszilloskops
Die Bedienung des Oszilloskops wurde in LS12 erarbeitet. In diesem
Anleitungstext finden Sie auch detaillierte Erklärungen zur Bedienung des
Gerätes und zum Aufbau und zur Verwendung von Koaxial-Kabeln.
Ein (vertontes) Video zur Bedienung des verwendeten digitalen
Speicheroszilloskops finden Sie auf der eLearning-Seite des
Anfängerpraktikums zu diesem Kurstag.
1.4 Hinweise zu Protokollierung und Fehlerrechnung
Machen Sie sich zu jedem Experiment eine Schaltskizze und achten Sie auf eindeutige Variablenbenennung um Verwechslungen zu vermeiden. Für Messungen mit dem Oszilloskop
gilt näherungsweise eine Messunsicherheit von ≤ 2% für direkt abgelesene Messwerte und
≤ 5% für daraus berechnete zusammengesetzte Messunsicherheiten.
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