Ausschließlich für den privaten Gebrauch der Studierenden der PTHV bestimmt !! M 03-4 Seminar: Einführung in die Fundamentaltheologie PTHV; SoSe 2015 Theologie – Biographie – Nachfolge Grundlegende Literaturempfehlungen zum Einstieg und als Überblick: • • • • 2 Seckler, Max: Fundamentaltheologie. Aufgaben und Aufbau, Begriff und Namen. HFTh IV (2000), 331—402. 1 [gegenüber der Fassung in HFTh stark überarbeitet] 4 Sölle, Dorothee: Gott denken. Einführung in die Theologie. Stuttgart 1992. Schneider, Michael: Theologie als Biographie. St. Ottilien 1997. Gutierrez, Gustavo: Aus der eigenen Quelle trinken. Mainz 1986. Heiliger Gott, du bist unsagbar größer als wir Menschen je begreifen, du wohnst in unzugänglichem Licht, und doch bist du uns nahe. Du bist da! Deine Gegenwart umhüllt und durchdringt uns wie die Luft die wir atmen, ohne die wir nicht leben können. Gib, dass wir dir ganz vertrauen – und leben und sterben können ohne Angst. Der Ursprung der Fundamentaltheologie ist zu suchen in der Tradition der „Apologetik“ (απολογια → Rechenschaft ablegen, sich erklären, sich verteidigen, seine Beweggründe offenlegen … → eine Redeform, bei der es darum geht, dass der jeweils andere, der der mich und mein Denken und Handeln in Frage stellt, den λογος, den Sinn, die Vernünftigkeit, die Gründe … hinter meinem Denken und Handeln versteht). Ein erstes „fundamentaltheologisches Programm“ findet sich schon in den Schriften des NT, es ist für viele Fundamentaltheologen bis heute eine Art „Grundsatzerklärung“: 1Petr 3,15f. „Haltet in euren Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen (απολογια zu leisten), der nach der Hoffnung (eigentlich: nach dem λογος, dem „Grund“, dem Sinn, der Begründung der Hoffnung) fragt, die euch erfüllt. (Der Kontext zeigt, dass das genannte „fragen“ nicht harmlos ist: es geht um anklagen, für gefährlich und verrückt erklären, in einen im Extremfall lebensbedrohlichen Rechtfertigungsdruck bringen …) Aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig.“ 1 Fundamentaltheologie als „Apologetik“ hat also ein doppeltes Interesse: Die systematische Auseinandersetzung mit den „Fundamenten“, den Grundfragen und Grundprinzipien des Glaubens dient 1. der Fähigkeit, gegenüber Infragestellungen von „außen“ Rechenschaft geben zu können, was der λογος meines Glaubens ist; 2. der Selbstvergewisserung, die notwendig ist, um zu solcher Rechenschaft wirklich fähig zu sein. Längst bevor Infragestellungen von außen ins Blickfeld treten, dient die FTh dem „Prozess der Selbstfindung des Volkes Gottes“ (dem intellectus fidei): In diesem Sinn ist die erste Aufgabe der FTh „die kognitive Erschließung und methodisch geordnete, vernunftwissenschaftlich verfasste Ausarbeitung der Sache [des Glaubens; E.F.], durch deren bejahende Aufnahme sich das Volk Gottes bildet und die Inhalte seiner Sendung empfängt“ (Seckler, 375). Hinzu kommt als zweite Herausforderung, durch Argumentation „die Wahrheitsbewandtnis des christlichen Glaubenslogos in die Verstehensräume und in die Vernunftwelten außerhalb des Christentums hinaus- bzw. hineinzuvermitteln“ (Seckler, 386). Es geht der FTh als „Disziplin der Grenze und der grenzüberschreitenden Vermittlung“ darum, „den Wahrheitsanspruch des Christentums … in andersartigen Wahrheitswelten und Geltungsräumen zu vertreten“ (Seckler, 390). Hierbei stehen wir vor dem grundsätzlichen Problem einer „inhomogenen Arbeitssituation“: Sowohl mit dem Blick nach „innen“ (auf den Prozess der Selbstfindung der Glieder der Kirche) als auch nach „außen“ (auf die Fragen, Unterstellungen, Anklagen derer, die unsere Bereitschaft zur απολογια einfordern) sind wir in der fundamentaltheologischen Arbeit konfrontiert mit „Welten der Vernunft und Welten der Unvernunft, Welten vielfältigen Gläubigseins und Welten des Unglaubens, mit unterschiedlichen Verstehensbedingungen, Erkenntnissen, Weltbildern und Philosophien“ (Seckler, 390). Diese zwei „Grund-Aufgaben“ (Selbstvergewisserung und Fähigkeit/Bereitschaft zur Rechenschaft) sind für die Theologie unverzichtbar – wie sie sich innerhalb der Vielfalt theologischer Disziplinen verorten bzw. ausprägen, ist dabei kontextuell sehr unterschiedlich. So trennt etwa die evangelische Theologie traditionell nicht scharf zwischen Dogmatik und FTh, sondern spricht einfach von „Systematischer Theologie“ (das ist im katholischen Raum auch an kleineren, nicht als Voll-Fakultät ausdifferenzierten Instituten die Regel); die hoch- und spätmittelalterliche Theologie kennt ebenfalls keinen eigenen, in sich geschlossenen Bereich der Apologetik, ihr Grundanliegen prägt einfach das theologische Nachdenken als Ganzes. Vgl. hierzu etwa das Theologie-Ideal bei Eckhart von Hochheim (Meister Eckhart; ca. 1260—1327), der ausdrücklich sagt, es gehe ihm bei all seiner Arbeit darum, die Wahrheit des Evangeliums mit Hilfe der „rationes naturales philosophorum“, der „natürlichen Vernunftgründe der Philosophen“ (vgl. Eckhart: InIoh 2: LW III; 4,5—6), zu erklären. Praktisch zeigt sich das darin, dass seine Vorlesungen ausnahmslos philosophische Schriftkommentare sind … eine Trennung zwischen Philosophie, Apologetik, Dogmatik und Exegese gibt es eigentlich nicht! Eckhart ist einfach „magister theologiae“, Lehrer der Theologie. Was ihn auszeichnet, ist dabei das stark philosophische Interesse an Selbstvergewisserung und Vermittlung … die Frauen und Männer, die bei ihm studieren oder seine Predigten hören, sollen befähigt werden, ihren Intellekt zu schulen, ihren Glauben zu vertiefen und dann „unserem Herrn Jesus vernünftig nachzufolgen“! 2 „Und dar umbe sol man sich vlîzen, daz man vernünfticlîchen künne nâchvolgen.“ Darum soll man sich darum bemühen, dass man vernünftig nachfolgen könne! (Eckhart; RdU 17) Es lassen sich geschichtlich – grob verkürzt – vier Phasen der Entwicklung des Fachbereichs der Apologetik/Fundamentaltheologie beobachten: 1. Die Phase der „frühchristlichen Apolegetik“: Hier sind wir ganz nah am Kontext des bereits zitierten Petrusbriefs. Die Christen, als „Anhänger des neuen Weges“, müssen sich gegenüber Anfeindungen von „außen“ (von Seiten der jüdischen Glaubensgemeinschaft, aus der sie hervorgehen, als auch von Seiten der römisch-hellenistischen Umwelt, in die sie sich als „Fremdkörper“ hineinbewegen) verteidigen, erklären, verständlich machen. Prominente Vertreter sind etwa Justin der Märtyrer, Clemens von Alexandrien, Tertullian … Nicht zufällig zeigt sich hier die Bereitschaft zur απολογια auch und vor allem in der Bereitschaft zum Martyrium (bis heute eine Grunddimension christlichen Lebens: μαρτυρια – „Zeugnis geben“, gemeint ist vor allem das Zeugnis gelebten Lebens, im Extremfall auch der Lebens-Hingabe!) Hierzu zur Vertiefung empfohlen: Fiedrowicz, Michael: Frühchristliche Apologetik. Die Kontroverse um den 3 christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. Paderborn 2000. 2. Die Phase des jedes theologische Arbeiten begleitenden „apologetischen Interesses“ als prägendes Merkmal – ohne dass es eines gesonderten „Fachbereichs“ bedarf. Diese Art der Theologie reicht von Augustinus, im 4./5. Jhd., über das Hochmittelalter (vgl. etwa Anselm von Canterbury im 11. Jhd. – „Cur deus homo“, warum eigentlich soll Gott wirklich Mensch geworden sein?) bis zum ausgehenden Spätmittelalter (etwa Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Dietrich von Freiberg, Eckhart von Hochheim …). 3. Mit der Reformationszeit rückt das „apologetische Interesse“ – allerdings nun nicht aus der Perspektive der Minderheit, wie in den ersten Jahrhunderten, sondern unter „umgekehrtem Vorzeichen“ als Verteidigung des eigenen Wahrheitsanspruchs aus einer gesicherten eigenen Machtposition heraus – wieder mehr in den Vordergrund (die Auseinandersetzung „nach außen“ wird vor allem mit den anderen christlichen Konfessionen geführt). Es entstehen eigene apologetische Lehrstühle, es bildet sich ein eigener theologischer „Spezial-Bereich“, der für die Auseinandersetzung mit den reformatorischen „Häretikern“ zuständig ist. Ein Musterbeispiel hierfür ist etwa die Person des Robert Bellarmin (1542—1621), mit dessen Namen als Frucht der tridentinischen Reform der erste römische Lehrstuhl „De controversiis“ verbunden ist. Aus der nachreformatorischen Zeit stammen die drei „Haupt-Themenbereiche“, die bis heute oft der Gliederung der fundamentaltheologischen Traktate dienen. Zurückgehend auf Pierre Charron (1541—1607) werden der Kontroverstheologie seit der Reformationszeit drei „demonstrationes“ (Beweisgänge) zur Aufgabe gemacht: • Die „demonstratio religiosa“: Erweis der Vernünftigkeit des Glaubens angesichts der Infragestellung durch „Gottes-Leugner“, d.h. Agnostiker und Atheisten; 3 • • Die „demonstratio christiana“: Erweis der Vernünftigkeit der christlichen Offenbarung angesichts der Infragestellung durch Anhänger anderer Religionen; Die „demonstratio catholica“: Erweis der Vernünftigkeit des umfassenden Wahrheitsanspruchs, der Universalität der römisch-katholischen Kirche und ihrer Identität mit der Kirche Jesu Christi angesichts der Infragestellung durch „Häretiker“, d.h. Angehörige anderer christlicher Konfessionen. 4. Nach vorbereitenden Klärungs- und Orientierungsprozessen seit Beginn des 19. Jahrhunderts (etwa das Ideal der „irenischen“, an friedlicher Verständigung orientierter „Kontroverstheologie“ in Abgrenzung zur Strömung der „polemischen“, vom πολημος, vom „in den Krieg ziehen und den Feind bekämpfen“ geprägten Form der Kontroverstheologie) wird das apologetische Feld mit dem II. Vaticanum neu orientiert: Die Apologetik, die Kontroverstheologie findet eine „neue Heimat“ in der „Fundamentaltheologie“. Bei dieser „Neu-Orientierung“ im 20. Jahrhundert ging es darum, das positive und für die Kirche notwendige Anliegen zu bewahren und zu sichern: Die Kirche kann und darf Zweifel und Widerspruch nicht einfach ignorieren, sie muss „vernünftig“ und evangeliumsgemäß auf diese Herausforderungen reagieren. Das heißt: Kirche braucht „Kontroverstheologie“ (sie muss sich mit bestehenden Kontroversen wirklich beschäftigen und kann sich nicht gemütlich auf ihren „Wahrheitsbesitz“ zurückziehen!), sie ist angewiesen auch auf „Apologetik“, diese herausfordernde „Redeweise“ mit ihrem zweifachen Anliegen der Selbstvergewisserung und der Überzeugungsarbeit nach „außen“. Um dem berechtigten Anliegen der Auseinandersetzung gerecht zu werden, muss sie jedoch genau unterscheiden lernen! Mit Blick auf die geschichtliche Entwicklung der Theologie und ihrer Einzeldisziplinen muss sie eine Unterscheidung vornehmen zwischen „gesunden und ungesunden Traditionen“, die das Leben der Kirche und auch der Theologie prägen. Aufgabe der Kirche ist es, ihre „traditiones sanae“, ihre „gesunden“ Traditionen (vgl. Vat II; PC 2) zu bewahren und zu stärken. Die Neu-Orientierung der FTh verdankt sich also einem herausfordernden Reform-Bemühen. Die Hauptfrage ist also zuerst: Wie kann die Kirche der Herausforderung gerecht werden, dass ihre Überzeugungen und ihre Lebensweise sowohl „innen“ als auch „außen“ auf Zweifel, Widerstand und Widerspruch stoßen? Es geht nicht darum, ob wir FTH (Apologetik, Kontroverstheologie) brauchen, sondern darum, wie diese Form der Theologie sinnvoller Weise aussehen kann und muss, wenn sie dem Anspruch des Evangeliums gerecht werden will – und wenn sie es ermöglichen soll, „vernünftig nachzufolgen“. Die Aufgabe des Bereichs der Fundamentaltheologie im Fächerkanon Katholischer Theologie als wissenschaftliche Disziplin ist — dies gehört unumstritten zu den Grundannahmen ihrer Fachvertreter (nicht erst) seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962—1965), in dessen Folge die Vertreter der theologischen Fachwissenschaft selbst als auch das kirchliche Lehramt hinsichtlich des Profils der Disziplin „Fundamentaltheologie“ neu in einen Klärungsprozess eingetreten sind — ein „Dialogprojekt“ 1, dessen Form und Inhalt sich jedoch bei näherem Hinsehen nach wie vor als nicht 1 4 Vgl. Werbick, Jürgen: Den Glauben verantworten. Eine Fundamentaltheologie. Freiburg i. Br. 2010. XV. 4 eindeutig beschreibbar erweist2, wenn auch die Grundherausforderung, unterschiedlichen Ansätze stehen, durchaus einheitlich gefasst werden kann. vor der die JÜRGEN WERBICK, der hier exemplarisch genannt werden soll, beschreibt diese Basisherausforderung fundamentaltheologischer Arbeit folgendermaßen: es gehe um den Glauben, „der sich theologisch Rechenschaft zu geben versucht über sein Herausgefordertsein durch das Denken und die lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten der Gegenwart“3. Es gehe, um des Ziels einer „kritischen theologischen Zeitgenossenschaft“4 willen, um das theologisch-wissenschaftliche ‚Durcharbeiten‘ von tiefgreifenden Zwiespältigkeiten jener Voraussetzungen, „die es noch vor der europäischen Aufklärung erlaubten, von Gott, Offenbarung, Erlösung, Kirche als Wirklichkeiten zu sprechen, auf die man sich vernünftigerweise einlassen durfte“.5 Theologie befinde sich demgegenüber in einer grundlegend veränderten „Diskurssituation“: „Christlicher Glaube ist vielfach angeklagt: der Unbegründetheit seiner Versprechungen, der Unvernünftigkeit seiner Voraussetzungen und Deutungen, der Unmenschlichkeit seines Lebensentwurfs und seiner Forderungen. Diese Anklagen zwingen zu einer Rechenschaft, die sich ihnen ehrlich stellt und doch zu zeigen versucht, dass man ihnen im Entscheidenden und Letzten nicht Recht geben muss; zu einer Rechenschaft, die sich von den Anklagen herausfordern, aber nicht den Rahmen vorgeben lässt, in dem sie die Glaubwürdigkeit des Christlichen mit guten Gründen zu erweisen sucht.“6 Damit schließt man sich, wenn auch unter veränderten Bedingungen, der traditionellen Fragestellung „apologetischer Theologie“ an7. Umstritten ist und bleibt dabei ebenso die Herausforderung, welche Form und Vorgehensweise, welchen „Rahmen“ sich die Fundamentaltheologie sinnvoller Weise vorgeben kann oder muss, als auch die Frage, wie — innerhalb eines solchen gewählten Rahmens — die geforderte „Rechenschaft“ material (strukturell und inhaltlich) aussehen kann oder muss. Dies liegt wohl an zwei grundlegenden Gegebenheiten, vor deren Hintergrund sich fundamentaltheologische Arbeit entfalten muss. 2 Vgl. etwa Verweyen, Hansjürgen: Gottes letztes Wort. Grundriss der Fundamentaltheologie. Regensburg 2000. 13: „Unter dem Titel ‚Fundamentaltheologie‘ wird sehr verschiedenes verstanden.“ Ausführlich hierzu: 2 Seckler, Max: Fundamentaltheologie. Aufgaben und Aufbau, Begriff und Namen. In: HFTh ( 2000) IV, 331—400. 3 Ebd. 4 Werbick, a.a.O.; XVI. 5 Vgl. Werbick: a.a.O.; XIII. 6 Werbick: a.a.O.; XV. Hierzu ausführlicher Hoff, Gregor Maria: Die prekäre Identität des Christlichen. Die Herausforderung postModernen Differenzdenkens für die theologische Hermeneutik. Paderborn 2001. „Das westliche Christentum befindet sich in einer der brisantesten Krisen seiner Geschichte. Es steht im Ganzen in Frage. Seine institutionellen Muster wie die theologischen Gehalte und ihre liturgisch-symbolischen Formen befremden. [ … ] Dieser Traditionsbruch betrifft die Identität des Christlichen durchdringend. [ … ] Thomas Meyer sieht unter modernen Bedingungen nur noch die Möglichkeit einer ‚äußerst prekären Identität‘: individuell wie institutionell. Identität gibt es nur auf Abruf, beweglich, irritiert. Die immer prekärer werdende Identität des Christentums wird in diesem Sinne von einer pluralistischen Wirklichkeit und einer sie theoretisch begleitenden Hermeneutik radikalisierter Differenz herausgefordert.“ (a.a.O.; 11). 7 Vgl. hierzu als Referenz vor allem die grundlegende Studie Fiedrowicz, Michael: Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. Paderborn 3 2000. 3 5 Zum einen stellt sich neben dem vielleicht noch universalisierbaren Anspruch der Vernunft, des Denkens, die „lebensweltliche Selbstverständlichkeit“, mit der ein Dialog zu suchen ist, in der Gegenwart äußerst differenziert dar.8 Zum anderen ist dementsprechend von ihren Anfängen an der sich neu orientierenden Disziplin durch die Kirche ein fast unbegrenzt ausdifferenziertes Feld der „Zuständigkeit“ zugewiesen. Die KONGREGATION FÜR DAS KATHOLISCHE BILDUNGSWESEN sprach 1976 von der Fundamentaltheologie als einer „Theologie des Dialogs und der vordersten Linie“, die als eine Diskurs-Wissenschaft „über die Konfrontation von Glaube und Vernunft in abstrakten Begriffen hinaus“ mit so unterschiedlichen Dialogpartnern wie den nicht-christlichen Religionen, den verschiedenen Formen des Atheismus, den verschiedenen Formen religiöser Indifferenz, der „säkularisierten Welt, die gekennzeichnet ist durch die Vorherrschaft der technischen und industriellen Prozesse und der wirtschaftlichen Werte“ in Verbindung tritt und dabei selbstverständlich auch die „Bedürfnisse der Glaubenden selber“ im Blick haben müsse, „die in der gegenwärtigen Welt neue Zweifel und Schwierigkeiten in sich erfahren und der christlichen Theologie und Katechese neue Fragen stellen“9. Dementsprechend müsse diese Disziplin ihr Selbstverständnis klären im „Verhältnis zur Geschichte, zur Sprache, zu den anderen religiösen Erfahrungen, zu den verschiedenen Formen der Mystik, der Philosophie, der Wissenschaften und der menschlichen Bedingtheiten“10. Angesichts der ausufernden Breite des Aufgabenfeldes, „sich immer neu um die Kommunikabilität des Christentums für alle denkbaren Menschengruppen zu mühen“11 ist nicht nur dem von HANS WALDENFELS vorgebrachten Ruf zur „Selbstbescheidung angesichts der Begrenztheit menschlichen Vermögens“12 dahingehend zuzustimmen, dass es nicht darum gehen kann, „dass ein einzelner Fundamentaltheologe dieser [von der Bildungskongregation formulierten; E.F.] Intention umfassend und ausführlich entsprechen kann“13. Es wird vor diesem Hintergrund auch verständlich, dass sich angesichts dieser systemischen Überforderung die Zunft der Fundamentaltheologen selbst in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts auf der Suche nach einem deutlicheren Fachprofil mehrheitlich auf eine Eingrenzung der Ursprungsintention auf ein halbwegs überschaubares Feld hin orientiert und in diesem Sinn „beschieden“ hat. Zum bevorzugten „Gesprächspartner“ der Fundamentaltheologie wurde – und das zeichnete sich bereits im 1976er Dokument der Bildungskongregation ab – die Philosophie (oder, in anderen Entwürfen im Anschluss an HANS WALDENFELS, die vergleichende Religionswissenschaft). Hatte das 8 Hierauf reagierte in ganzer Weite zuerst ausdrücklich HANS WALDENFELS mit seinem nicht mehr hintergehbaren Entwurf „Kontextueller Fundamentaltheologie“, der als lebensweltliche Diskurskontexte exemplarisch die Spaltung der Christenheit in getrennte Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, die zunehmende Entchristlichung der westlichen Welt, die Doppelgesichtigkeit der Säkularisierung, Atheismus und Agnostizismus, ideologische Formen eines gott-losen Humanismus, das Aufblühen „religiöser Ersatzformen“, die Herausforderung durch die Pluralität fremder Religionen sowie neuentstehende Formen der Religiosität benennt, ebenso wie „die das menschlich-gesellschaftliche Leben bestimmenden Faktoren und Konstellationen wie Sprache, Lebenserfahrungen, Kultur, Gesellschaftsstrukturen und –systeme, sozio-ökonomisch-politische Verhältnisse u.a.m. (Vgl. Waldenfels, Hans: Kontextuelle Fundamentaltheologie. Paderborn u. a. 1985. 5 und 18). 9 Vgl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen (Hrsg.): Die theologische Ausbildung der künftigen Priester. Rom 1976; Nr. 109. 10 A.a.O.; Nr. 110. 11 Vgl. Waldenfels, Hans: Kontextuelle Fundamentaltheologie. Paderborn 1985. 19. 12 Vgl. Waldenfels; a.a.O.; 19. 13 Ebd. 6 oben zitierte Dokument im Anschluss an das weit eröffnete Feld der Dialogpartner zusammenfassend festgestellt: "Aber ihre [der Fundamentaltheologie; E.F.] spezifische Aufgabe bleibt doch die, mit einem Beweisgang, der für Glaubende und Nichtglaubende gültig ist, auf vernunftgemäße Weise klarzustellen, wie das Geheimnis Christi, gegenwärtig und wirksam in der Kirche, die menschliche Existenz nicht nur erhellt, sondern sie auch voll verwirklicht, ja sogar in der bereichernden und heilbringenden Beziehung zu Gott überhöht."14 — so folgerte etwa HANSJÜRGEN VERWEYEN daraus, dass es zur Erfüllung dieser Aufgabe letztlich notwendig sei, dass „die Theologie [ … ] die Vernunft in dem ihr eigenen Hoheitsgebiet, der Philosophie“ aufzusuchen habe.15 Unter der berechtigten Prämisse, dass die Intention fundamentaltheologischer Arbeit darin bestehen müsse, „Rechenschaft über den eigenen Glauben im Horizont einer Rationalität abzulegen, die im Prinzip allen Menschen verfügbar ist“16, „die Sache des christlichen Glaubens mit den Mitteln der Vernunft verständlich zu machen“17, ist doch uneindeutig geblieben – und dies wird sich im gegenwärtigen Diskurs auch nicht vermeiden lassen – von welcher „Art“ diese allen Menschen verfügbare „Rationalität“ letztlich beschaffen sein soll. Hans-Joachim Höhn formuliert die Herausforderung des Diskurses zusammenfassend: „Für viele Zeitgenossen hat die Moderne angesichts der Entgleisungen von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft längst die Brüchigkeit und Irrtumsanfälligkeit der Vernunft erwiesen bzw. deren Komplizenschaft bei der Auslösung von Krisen und Konflikten globalen Ausmaßes aufgedeckt. Die Vernunft hat in der Neuzeit das Zwielicht des Mittelalters offenbar nur durch den hellen Wahn des neuzeitlichen Rationalismus ersetzt. [ … ] Die Vernunft ist in der Moderne auf eine Weise durchgesetzt worden, welche die Welt gerade nicht vernünftiger gemacht hat. Die negativen Spätund Nebenfolgen vernunftgeleiteter Modernisierungsprozesse nähren darum den Zweifel, dass bereits die Prämissen der Vernunft prekär waren. Hat diese Vernunft nicht längst abgewirtschaftet, so dass man dem Glauben einen schlechten Dienst erweisen würde, wenn man ihn vor ihre Instanz zerren würde?“18 Es geht dabei nicht darum, in die allzu einfache Klage einzustimmen, wir hätten es mit der „Vernunft“ letztlich mit nichts anderem zu tun als mit einer „Hure“ (MARTIN LUTHER19), die sich für verschiedenste Interessen missbrauchen lässt; ein Verdikt, das gelegentlich in nicht sachgerechter 14 Kongregation für das Katholische Bildungswesen (Hrsg.): Die theologische Ausbildung der künftigen Priester. Rom 1976; Nr. 110. 15 3 Vgl. Verweyen, Hansjürgen: Gottes letztes Wort. Grundriss der Fundamentaltheologie. Regensburg 2000. 33. 16 3 Vgl. Verweyen, Hansjürgen: Gottes letztes Wort. Grundriss der Fundamentaltheologie. Regensburg 2000. 13. 17 Vgl. Höhn, Hans-Joachim: Gott, Offenbarung, Heilswege. Fundamentaltheologie. Würzburg 2011. 36. 18 Höhn, Hans-Joachim: Gott, Offenbarung, Heilswege. Fundamentaltheologie. Würzburg 2011. 37f. 19 Hierbei geht es ausdrücklich nicht um anti-reformatorische Polemik, die einer Gesamtsicht der Aussagen Luthers zum Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft, die er an anderer Stelle als „geradezu etwas Göttliches“ bezeichnet, nicht gerecht werden kann. Das was Luther als „die kluge hure, die naturliche vernunfft“ (WA 10/2; 295,16) bezeichnet und kritisiert, steht eher im Zusammenhang mit Fragen der Nutzenkalkulation und der Bequemlichkeit, der Anpassung und des menschlichen Dünkels. Deutlich zeigt sich dies etwa in seiner Schrift „Vom ehelichen Leben“ (1522): „Nu sihe tzu, Wenn die kluge hure, die naturliche vernunfft [ … ] das ehlich leben ansihet, ßo rumpfft sie die naßen und spricht: ‚Ach, solt ich das kind wiegen, die windell wasschen, bette machen, stanck riechen, die nacht wachen, seyns schreiens wartten, seyn grindt und blattern heylen, darnach des weybs pflegen, sie erneeren, erbeytten, hie sorgen, da sorgen, hie thun, da thun, das leyden und diß leyden, und was denn mehr unlust und muhe der ehestand lernet. Ey, solt ich ßo gefangen seyn. O du elender, armer man, hastu eyn weyb genommen, pfu, pfu, des iamers und unlusts. Es ist besser, frey bleyben und on sorge eyn rugig leben gefurt.“ (WA 10/2; 295,16—25). Zum Gesamtkomplex der Frage nach Rolle, Würde und Grenze menschlicher Vernunft bei Luther vgl. knapp zusammenfassend die solide Gesamtschau bei Bayer, Oswald: 3 Martin Luthers Theologie. Tübingen 2007. (besonders Kapitel VII: „Der Mensch – Gottes Ebenbild“). 7 Weise dazu genutzt wird, um die Vernunft als notwendige Erhellungsinstanz grundsätzlich in Frage zu stellen – und damit in die Falle des „gläubigen“ Anti-Intellektualismus zu tappen. Wie also muss FTh geprägt sein, welchen Prinzipien muss sie sich verpflichten, um Meister Eckharts Zielvorgabe der Förderung oder erst Ermöglichung „vernünftiger Nachfolge“ gerecht werden zu können? Als Orientierungshilfe soll im Folgenden der Traditionsrahmen der sogenannten „mystika theologia“ herangezogen werden, die in ihren systematischen Grundlinien zurückgeht auf den östlichen Kirchenvater Dionysius Areopagita (6. Jhd.). 8 Einige grundsätzliche Überlegungen zur Theologie des Dionysius Areopagita anknüpfend an die Offenbarungs-Konstitutionen des I. / II. Vaticanums Erste Annahme: Jeder Mensch ist mit Hilfe seiner Vernunft fähig, sich Antworten auf die Frage nach Gott [das Unendliche / X] zu „erarbeiten“; Jeder Mensch ist gott-fähig! „Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, kann mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen sicher erkannt werden!“ (DH 3004) Schriftbeleg: Röm 1,20 → der Weg „natürlicher Gottes-Erkenntnis“ durch Welt-Wahrnehmung und Nachdenken! Philosophische Gotteslehre („Lesen im Buch der Schöpfung“) A) Alle Dinge haben einen Ursprung und ein Ziel: Es gibt „Gott“ (das Transzendente, Un-Endliche) B) Das „Buch der Schöpfung“ verrät etwas über den Schöpfer! (wegen der „Ähnlichkeit zwischen Künstler und Kunstwerk“; vgl. Eckhart) Es gibt Gott – und er hinterlässt seine „Fußspuren“ in der Schöpfung Ein Beispiel: Die Herausforderung der Eifel-Mission im Mittelalter (Legende des Heiligen Timmerlin von Ollesheim) „Rund um seine Hütte pflanzte er einen freundlichen Garten. Darin blühten die schönsten Blumen, die köstlichen Duft verbreiteten. Auch nützliche Pflanzen gediehen in dem Gärtchen, und als es wieder Frühling wurde, da stand sogar ein Bäumchen in voller Blüte. Das sahen die Leute der Umgegend, und gern ließen sie sich von dem freundlichen Fremdling in der Kunst, die er so meisterlich verstand, unterweisen. Allein: Timmerlin lehrte sie nicht nur, wie man Obst, Gemüse und Blumen pflanzt; bei der Arbeit erzählte er ihnen von dem, der alles wachsen lässt“. Auch in der Bibel, bei Paulus, besonders aber in der Weisheitsliteratur im Alten Testament, ist, wenn es um die „ganze Wahrheit“ über Gott und seine Ordnung geht, zuerst die Rede von der „Ordnung der Welt“, zu der wir „zurückkehren“ sollen, der wir uns mit aller Aufmerksamkeit zuwenden sollen. So ist z.B. in Spr 8,22-31 die Rede vom „Ursprung der Erde“, vom Urmeer, von den wasserreichen Quellen, von Bergen und Hügeln, von der Erde, von den Fluren und Ackerschollen, vom Himmel mit seinen Wolken. Wir könnten sofort eine ganze Menge ergänzen, was da noch „fehlt“: die Blumen und Bäume, die Tiere, der Duft von Frühsommer, der in der Luft liegt. Wenn wir das alles uns vor Augen stellen, wenn wir alle unsere Sinne aufmachen, dann sind wir – so sagt es die Bibel – „Gott“, dem Geheimnis des Lebens „auf der Spur“. Das alles ist nicht ein zufälliges Chaos, dahinter verbirgt sich eine „Weisheit“, eine ordnende Kraft. „Als das alles entstand, war (die) Weisheit dabei!“ 9 1. Der Weg des Nachdenkens, der allen Menschen „offensteht“ – und sich quasi „aufdrängt“! Es ist möglich, „Gott im Denken zu berühren“ Notwendigkeit nach Dionysius Areopagita: • Den „Fußspuren Gottes“ folgen → Vat I DF 4 (DH 3016): „fleißig und nüchtern forschen!“ • „Alles Reine und Unreine durchwandern“ Dieser erste „Weg zu Gott“ hat eine Grenze: die Grenze des Erkenntnisvermögens der menschlichen Vernunft, die unfähig ist, das Unendliche, das All-Umfassende zu erkennen und zu denken; dies würde eine Perspektive erfordern, die der Mensch nicht hat (nämlich alles zu über- und zu durchblicken) Aristoteles: Endliches kann Un-Endliches nicht verstehen – Etwas kann nur von „Gleichem“ erkannt werden! Dionysius: „Wenn ein Mensch sich aufmacht, Gott zu verstehen, dann stößt er auf eine unüberwindliche Wand“! → an dieser „Grenze“ findet der Mensch nicht nichts, sondern „Namen Gottes“, die „etwas von Gott“ sagen, aber nicht Gott selbst erreichen Philosophische Begriffe Absolutes Sein Ursprung und Ziel der Dinge // die zwei Wege: „via negationis“ und „via eminentiae“ Gott ist un-endlich Gott ist all-mächtig Gott ist über-un-begreiflich Die natürliche Gottes-Erkenntnis reicht nicht; der Mensch ist „darauf hingeordnet, an den göttlichen Gütern teilzuhaben, die das Erkenntnisvermögen des menschlichen Geistes völlig (omnino) übersteigen“ (DH 3005; Schriftverweis: 1 Kor 2,9: „kein Auge hat je gesehen, kein Ohr hat gehört …“) 2. Hilfsmittel der „übernatürlichen Offenbarung“ Offenbarung, „enthalten in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen (traditiones sine scripto)“ • Kanon der Heiligen Schriften, die Auslegung der Schrift • Kirche (die Heiligen, die Hierarchie, die kirchlichen Ämter) • Liturgie • Kunst und Musik • Austausch der Menschen untereinander, besonders über das oben Genannte • Theologie Exkurs: Bedeutung der Tradition anderer Religionen und Welt-Anschauungen?? Sie können auf ihre Weise etwas Wahres enthalten; hier ist genau hinzuschauen! Vat II unterscheidet selbst innerhalb der Kirche „gesunde“ und „kranke Überlieferung“ (vgl. PC 2) 10 Dieser zweite Weg der über-natürlichen Offenbarung erfordert den Glauben, „in dem der Mensch Gott selbst freien Gehorsam leistet, indem er seiner Gnade, der er widerstehen könnte, zustimmt und mit ihr wirkt“ (DH 3010) Durch die übernatürliche Offenbarung erhält der Mensch vertiefte Einsicht in das Wesen Gottes; dies jedoch auch hier nicht im Sinn eines vollständigen Begreifens!! IV. Laterankonzil (1215): Analogie der Gotteserkenntnis „Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf [und deshalb auch dem, was das Geschöpf über den Schöpfer sagen kann] kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre!“ (DH 806) I. Vaticanum: DF 4 (DH 3016) „Zwar erlangt die vom Glauben erleuchtete Vernunft, wenn sie fleißig, fromm und nüchtern forscht, o sowohl aufgrund der Analogie mit dem, was sie auf natürliche Weise erkennt, o als auch aufgrund des Zusammenhangs der Geheimnisse selbst untereinander und mit dem letzten Zweck des Menschen mit Gottes Hilfe eine gewisse (aliqua) Erkenntnis der Geheimnisse, und zwar eine sehr fruchtbare; niemals wird sie jedoch befähigt, sie genauso zu durchschauen wie die Wahrheiten, die ihren eigentlichen Erkenntnisgegenstand ausmachen. Denn die göttlichen Geheimnisse übersteigen ihrer eigenen Natur nach so den geschaffenen Verstand, dass sie, auch wenn sie durch die Offenbarung mitgeteilt und im Glauben angenommen wurden, dennoch mit einem Schleier bedeckt und gleichsam von einem gewissen Dunkel umhüllt bleiben, solange wir in diesem sterblichen Leben ‚ferne vom Herrn pilgern: im Glauben nämlich wandeln wir und nicht im Schauen’ (2 Kor 5,6f.).“ Beispiel: J. Ratzinger: Dogmatische Definitionen als „Grenz-Aussage, verweisende Geste ins Un-Nennbare“ „Wenn die mühsame Geschichte des menschlichen und des christlichen Ringens um Gott etwas beweist, dann doch dies, dass jeder Versuch, Gott in den Be-griff unseres Be-greifens zu nehmen, ins Absurde hineinführt. Recht können wir von ihm nur reden, wenn wir aufs Begreifenwollen verzichten und ihn als den Unbegriffenen stehen lassen.“ Die dogmatische Lehre der Kirche „kann also nicht ein Begriffenhaben Gottes sein wollen. Sie ist eine Grenzaussage, eine verweisende Geste, die ins Unnennbare hinüberzeigt; nicht eine Definition, die eine Sache in die Fächer menschlichen Wissens eingrenzt; nicht ein Begriff, der die Sache ins Zugreifen des menschlichen Geistes geben würde.“ 13 Vgl. Ratzinger, Joseph: Einführung ins Christentum. München 2000. 159. 11 Es gibt also auch durch diese Form der Offenbarung „nur“ neue, bessere, tiefgründigere „Namen“ Gottes! Aber Achtung! Das ist nicht negativ im abwertenden Sinn! → „Bilder sind Wege“ (Jürgen Werbick), aber sie sind eben auch „nur“ Wege 3. Die Möglichkeit der Gottes-Erkenntnis unter der Bedingung, dass uns in Christus wirklich Gott selbst begegnet Herausforderung: sich „Gott an-gleichen“, um zu verstehen →→ Praxis der Nachfolge 12 13 Die „Strenge“, die Ernsthaftigkeit des Lebens, das „dem Lamm folgt, wohin es geht“, erweist sich nicht in der Imitation von im Evangelium berichteten Einzelhandlungen oder in der Imitation des Lebens heiliger Vorbilder aus der Geschichte der Kirche. Der geforderte „Eintritt in die Arbeit der Heiligen“, von dem oben die Rede war, ist nicht gleichbedeutend mit der Kopie ihres Lebens, ihres Wirkens – selbst nicht des Lebens Jesu (verstanden als Sammlung von Einzelhandlungen, die zur Norm erhoben werden könnten). So betont Eckhart: Alsô ist ez nû in der gestrengicheit des nâchvolgennes. Daz merke, waz dînes nâchvolgennnes dar ane sî. Dû solt merken und gemerkt haben, war zuo dû von gote allermeist gemanet sîst; wan alle liute ensint mit nihte in éinen wec ze gote geruofen, als sant Paulus sprichet. [ ... ] Sô möhtest dû sprechen: enliget dar ane niht, wes hânt ez denne unser vorvarn, vil heiligen, getân? Sô gedenke: unser herre hât in die wîse gegeben und gap in ouch die maht, daz ze tuonne, daz sie der wîse möhten gevolgen, und im daz von in geviel; und dar inne solten síe ir bestes bekomen. Wan got enhât des menschen heil niht gebunden ze deheiner sunderlîchen wîse. [ ... ] Nû möhtest dû sprechen: unser herre Jêsus Kristus der hâte ie die hœhste wîse, So ist es auch mit der Strenge der Nachfolge. Achte darauf, in was deine Nachfolge bestehen kann. Du musst erkennen und darauf gemerkt haben, wozu du von Gott am stärksten gemahnt seist; denn mitnichten sind alle Menschen auf einen Weg zu Gott gerufen, wie Sankt Paulus sagt (1 Kor 7,24). [ ... ] Du könntest zwar sagen: Liegt nichts daran [an einer besonderen Weise der Nachfolge], weshalb haben’s dann unsere Vorfahren, viele Heilige so gemacht? So bedenke: Unser Herr hat ihnen diese Weise gegeben, gab ihnen aber auch die Kraft, so zu handeln, dass sie diese Weise durchhielten, und eben darin fand er bei ihnen sein Wohlgefallen; darin sollten sie ihr Bestes erreichen. Denn Gott hat der Menschen Heil nicht an eine besondere Weise gebunden. [ ... ] Nun könntest du sagen: Unser Herr Jesus Christus, der hatte allemal die höchste Weise; 14 dem sul wir iemer von rehte nâchvolgen. Daz ist wo wâr! Unserm herren sol man billîche nâchvolgen, aber doch in áller wîse niht. Unser herre vaste vierzic tage. Alsô ensol sich des nieman anenemen, daz er alsô volge. Kristus der hât vil werke getân, dâ mite er meinete, daz wir im geistlîchen süln nâchvolgen und niht lîplîchen. Und dar umbe sol man sich vlîzen, daz man vernünfticlîchen künne nâchvolgen.20 dem sollen wir von Rechts wegen stets nachfolgen. Das ist wohl wahr. Unserem Herrn soll man billigerweise nachfolgen und doch nicht in jeder Weise. Unser Herr, der fastete vierzig Tage; niemand aber soll es unternehmen, ihm darin zu folgen. Christus hat viele Werke getan in der Absicht, dass wir ihm geistig und nicht leiblich nachfolgen sollen. Darum soll man sich darum bemühen, dass man ihm vernünftig nachfolgen könne! Das Ideal der „geistigen“, der „vernünftigen Nachfolge“ erfordert dabei eine intellektuelle Durchdringung, ein wirkliches Verstehen der Logik der Gnade – Nachfolge bedeutet so zuerst einen „Weg der Vernunft“, des Denkens, um die „scientia sanctorum“, die die Weisheit des Evangeliums ist, zu verstehen. Die Nachfolge beginnt damit, sich „belehren zu lassen“ durch das Leben Jesu und der Heiligen, die Grundstrukturen dieses Lebens zu erkennen und sie sich (als ‚disciplina morum’) anzueignen: Omnis enim Christi actio et sermo, quae gessit et circa ipsum gesta sunt, nostra sunt instructio. [ ... ] [Augustinus dicit] de Christo loquens: ‘tota vita eius in terris per hominem, quem suspicere dignatus est, disciplina morum fuit. [ ... ] Ipse vero totius doctrinae modus, partim apertissimus, partim in similitudinibus, in dictis, in factis, 20 Jedes Werk und Wort Christi, was er tat, und was um ihn geschah, ist Belehrung für uns. [ ... ] [Augustinus sagt ...] von Christus: ‚Sein ganzes Leben auf Erden war dadurch, dass er sich herabließ, die menschliche Natur anzunehmen, die Lehre des sittlichen Lebens. [ ... ] Seine ganze Lehrweise aber, die teils ganz offen war, teils der Gleichnisse sich bediente, Eckhart: RdU 17: DW V; 250,6—253,10. 15 in sacramentis ad omnem animae instructionem exercitationemque accomodatus, quid aliud quam rationalis disciplinae regulam implevit.21 die in Worten, Taten und Geheimnissen der gesamten Unterweisung und Übung der Seele sich anpasste – was war sie anderes als die vollendete Durchführung der in der vernünftigen Lehre enthaltenen Norm?’ Das Leben Jesu offenbart für Eckhart, gerade weil es das exemplarische Sichtbarwerden der unter den Bedingungen geschöpflicher Existenz verwirklichten imago dei ist, nichts anderes als die „Durchführung“ der aus der streng vernünftigen Durchdringung der „Seinsordnung und ihrer Stufen“ erkannten „Norm“. 21 Eckhart: InIoh 173: LW III; 142,12—143,3. 16