Neuere psychologische Fachliteratur

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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
Seminararbeit
zur
Lehrveranstaltung:
Forschungsseminar: Neuere psychologische
Fachliteratur
(WS 07/08)
unter der Leitung von:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Karl Leidlmair
Eingereicht von:
1. Anne Dallago
Matrikelnummer: 0516319
Studienkennzahl: C 298
2. Anita Waldner
Matrikelnummer: 0316278
Studienkennzahl: C 298
3. Nadine Juen
Matrikelnummer: 0415497
Studienkennzahl: C 298
Innsbruck, am 27.11.2007
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
1
Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
Inhaltsverzeichnis
1.
2.
3.
4.
Einleitung - Fallbeispiel……………………………………………….....3
Suchtdefinition…………………………………………………………...4
Definition Onlinesucht – Chatsucht……………………………………...4
Synonyme……………………………………….......................................5
• Internationale Synonyme
• Nationale Synonyme
5. Chronologie der Internetsuchtforschung…………………………………5
6. Symptome eines Chatsüchtigen………………………………..................7
• 5 Kriterien:
o Fokussierung
o Kontrollverlust
o Negative Konsequenzen
o Entzugssymptome
o Unfähigkeit zur Verhaltensänderung
• Kriterien nach DSM – IV
• Untersuchung von Bernard Batinic
7. Pathologischer Internetgebrauch (PIG)…………......................................9
• Kriterien
• Drei Stadien:
o Gefährdungsstadium
o Kritisches Stadium
o Chronisches Stadium
8. Chatten – „Kampfchatter“……………………………………................10
9. Statistische Fakten………………………………………………………11
10. Gefährdung……………………………………………………………...11
• Celin Berens: 3 Typen von Internetsüchtigen
o Subjektsucht - Internetsuchttyp
o Objektsucht – Internetsuchttyp
o Mischtyp
11. Triebfeder – Mögliche Ursachen……………………………..................12
12. Behandlung…………………………………………………..................13
13. Mögliche Maßnahmen für einen Ausstieg……………………………...13
14. Dr. Nicola Döring……………………………………………………….14
15. Suchtgefahr durch das Internet – Dr. Kimberly Young………………...16
16. Kritiker der Suchttheorie – Dr. John Grohol……………………………17
17. Schlussbemerkung………………………………………………………18
18. Quellenverzeichnis……………………………………………………...21
19. Anhang: Fragebogen – Dr. Kimberly Young…………………………...23
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
Onlinesucht – Chatsucht
Kann chatten süchtig machen?
1. Internetsucht: Fallbeispiel
Fallbeispiel aus der Therapeutischen Praxis, Psychotherapeut Dipl.-Psych. Friedrich Gocht –
20. Oktober 1999
Im Erstgespräch stellte sich mir ein Mann vor. Mitte 30, verheiratet, Kinder. Er berichtet, ihm
sei fristlos gekündigt worden, weil ihm vom Arbeitgeber nachgewiesen werden konnte
(anhand von Log-Dateien), dass er erhebliche Anteile seiner Arbeitszeit in Chats verbrachte.
Er sei für das Netzwerk einer großen Firma zuständig gewesen. Einige Monate vor der
Kündigung sei er beauftragt worden. Die Internet-Präsentation seines Unternehmens
vorzubereiten. Per Zufall sei er auf die Seiten eines Fernsehkanals geraten und habe sich dort
in die Chats „geklickt“. Er sei überrascht gewesen, wie offen dort über sehr intime Details
gechattet wurde, habe sich davon angezogen gefühlt und habe begonnen, mit zu chatten. Nach
und nach sei ihm die Geschichte „aus dem Ruder gelaufen“, er habe immer mehr Zeit damit
verbracht. Zunächst sei niemandem aufgefallen, dass er immer weniger Zeit für seine
eigentliche Arbeit hatte.
Im Nachhinein aber sei ihm bekannt geworden, dass nach einigen Wochen Kollegen sich
beim Vorgesetzten beschwert hätten, weil er auf Konferenzen und auch im Gespräch mit den
Kollegen immer häufiger recht unkonzentriert gewirkt habe, auch nichts substanzielles mehr
zu den Diskussionen habe beitragen können. Schließlich aber habe es eine Überprüfung des
Fortschrittes seiner Aufgabe (Netzpräsentation) gegeben, dabei habe sich herausgestellt, dass
er wenig mehr als nichts dafür getan hatte. Eine Überprüfung der Log-Dateien habe dann
schließlich zur Kündigung geführt.
Der Patient besitzt privat keinen Computer. Seine Netzaktivitäten während der Arbeitszeit
aber führten zu enormen Überstunden (ca. 180 in 6 Monaten), er habe sich kaum noch um
seine Familie gekümmert, sei nur noch zum Schlafen nach Hause gekommen. Manche
Freunde hätten sich abgewandt, er selbst habe auch keine Lust mehr gehabt zu sozialen
Aktivitäten, habe sich „regelrecht
Entzugsprobleme
gehabt
davor gescheut“. An den Wochenenden habe er
(Nervosität,
Gereiztheit),
habe
dem
Montagmorgen
„entgegengefiebert“.
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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2. Definition von Sucht:
„Unter
Sucht
versteht
unwiderstehlichen,
man
wachsenden
ein
bestimmtes
Verlangen
nach
Verhaltensmuster,
einem
das
bestimmten
mit
Gefühls-
einem
und
Erlebniszustand beschrieben wird.“ (Blaues Kreuz; Suchtkrankenhilfe)
Grundsätzlich kann jeder Mensch süchtig werden. Da Sucht nicht auf den Umgang mit
bestimmten Stoffen beschränkt ist, kann jede Form menschlichen Verhaltens zur Sucht
werden (z.B. Magersucht, Arbeitssucht, Spielsucht, unkontrolliertes Verlangen nach sexueller
Befriedigung und Onlinesucht)
Jene Formen von Sucht zählen zu der nicht substanzgebundenen Abhängigkeit im Gegensatz
zu substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen, wie beispielsweise Alkohol – oder
Opiatabhängigkeit.
In Bezug auf stoffgebundene Süchte wird
in der wissenschaftlichen Sprache der etwas
unspezifische Begriff “Sucht“ häufig durch den Begriff “Abhängigkeit“ ersetzt.
Jede Sucht entsteht über den Prozess. Betrachtet man das Verhalten “häufiges Surfen/Chatten
im Internet“, lassen sich Übergänge von Gebrauch zu Genuss,
bis hin zum Abusus
(Missbrauch), welcher eine Vorstufe der Abhängigkeit darstellt, bis schließlich zur
Abhängigkeit selbst, gut beschreiben.
Wie stellt man sich einen typischen Internetuser vor? Vielleicht entsteht das Bild eines
pickligen Informatikers, der seine einsamen Nächte im Internet verbringt, mit virtuellen
„Freunden“ e-mailt und der seinen Rechner höchstens dann verlässt, wenn er tatsächlich
einmal etwas wichtiges zu erledigen hat, was zu seinem großen Schrecken online nicht zu
erledigen ist. Doch inwieweit trifft dieses Vorurteil auf den Großteil der Nutzer des Internets
überein? Gibt es wirklich so etwas wie "Internet-Sucht"?
3. Definition Onlinesucht - Chatsucht:
Der Begriff “Onlinesucht“ wurde von dem New Yorker Psychiater Ivan Goldberg, der selbst
ein intensiver Internet - Nutzer ist, zunächst eher scherzhaft, geprägt. Doch dieser Scherz von
der "Internet Addiction" entwickelte sich schnell zum Gesprächsthema nicht nur einiger
kleinen Internetgemeinden.
Der “Witz“ entwickelte sich zum Selbstläufer und seitdem die New York Times im Februar
1995 in einem Artikel über die Gefahr der Internetsucht aufklärte, mehren sich laufend die
Untersuchungen zu diesem Thema.
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Onlinesucht nennt man den exzessiven Gebrauch des Mediums Internet, wobei das Verhalten
wissenschaftlichen Suchtkriterien genügen muss. (z.B. DSM – IV; ICD-10) Onlinesucht tritt
vor allem in den Kommunikationsbereichen des Internets auf. Ein Verzicht auf das Internet
erscheint dem Onlinesüchtigen völlig undenkbar. Der Betroffene wird vom Internet
beherrscht, statt es selbst zu beherrschen. Der Bezug zur realen Welt geht zunehmend
verloren und er findet in der virtuellen Welt seine Anerkennung, seine Freunde, sein neues
Leben.
4. Synonyme:
Internationale Synonyme:
Nationale Synonyme:
¾ (Inter-) Net Addiction
¾ Internetsucht
¾ Online Addiction
¾ Onlinesucht
¾ Internet Addiction Disorder (IAD)
¾ Internetabhängigkeitssyndrom (IAS)
¾ Pathological Internet Use (PIU)
¾ Pathologischer Internetgebrauch (PIG)
¾ Cyberdisorder
¾ Internetabhängigkeit
Für das Web 2.0, das viele Medien, vornehmlich Mobiltelefonie und Internet, miteinander
verbinden soll, definiert man schon ein neues Syndrom: Mobile and Internet Deficit
Syndrome (MAIDS)
5. Chronologie der Internetsuchtforschung:
1995:
Dr. KimberlyYoung (University of Pittsburg) verwendete erstmals den Begriff: “IAD“,
welcher für “Inter Addiction Disorder“ steht. Die Wissenschaftlerin verfasste mehrere Bücher
und richtete in den darauf folgenden Jahren eine Online-Beratungsstelle für Betroffene ein.
Diese Beratungsstellte trägt den Namen “COLA“, was “Center Of Online Addiction“
bedeutet. Die von Dr. Young anfangs behaupteten 20% an Abhängigen wurden in ihrer letzten
Publikation auf 6% reduziert.
1996:
Dr. Maressa Orzack (McLean Hospital, Massachusetts) stimmte Dr. Kimberly Young in
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Bezug auf die “Internet Addiction“ im Ausmaß von 6 - 9% der User zu und vermutete diese
vor allem in Chatrooms.
1997:
Dr. Victor Brenner und sein Kollege Dr. John Suler aus den USA bestätigten die vorliegenden
Untersuchungen, beurteilten sie aber teils durchaus eher zurückhaltend. Dr. Nicola Döhring
aus Deutschland wendete sich gegen verallgemeinernde Einschätzungen und ortete
Suchtphänomene vor allem bei Online-Spielen.
1998:
Dr. Hans Zimmerl verfasste die erste deutschsprachige Studie, die aber ausschließlich auf den
Bereich “Chatroom“ basiert, und konnte hier 12,7 % Abhängigkeitsrate nachweisen.
1999:
Gabriele Farke eröffnete den ersten deutschen Selbsthilfeverein, welcher aber wegen
mangelnder öffentlicher Förderung mittlerweile eingestellt werden musste, und betreibt als
“Ex - Süchtige“ massive und sehr gründliche Öffentlichkeitsarbeit.
Dr. Jerusalem und Dr. Hahn von der Humboldt - Universität Berlin begannen eine weit
gefächerte Forschungsstaffel mit rund 10.000 Teilnehmern. Aus dem Ergebnis wurde
geschlossen, das 3% der Befragten als süchtig galten.
2000:
Dr. Oliver Seemann aus München bezeichnete laut seiner Studie 4,6% der User als abhängig.
2001:
Dr. Franz Eidenbenz aus der Schweiz führte mit Dr. Hahn die vierte Staffel einer Studie
durch. Zuvor
gründete Eidenbenz in Zürich die erste Schweizer Beratungsstelle für
Onlinesüchtige und betreute diese. Laut Dr. Eidenbenz besteht eine Anhängigkeit von 2.3%.
2005:
“China Youngsters Network Addiction Data Report“ wies als erste chinesische Studie bei
Teenagern
eine
Prävalenzrate
von
rund
13%
Internetabhängigen.
(http://winfuture.de/news,23176.html , Zugriff, am 9.11. 2007)
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6. Symptome eines Chatsüchtigen:
Um von einer Onlinesucht oder Chatsucht sprechen zu können, sollen fünf Kriterien erfüllt
sein:
1. Fokussierung:
Der Brennpunkt (Fokus) des Denkens und der Handlungsintention richtet sich darauf online
zu sein. Offline treten „quälende“ Fantasien darüber auf, was man versäumen könnte. Eine
Art von “craving“ (Gier) ist zu beobachten. Die Folge ist die Einengung des
Verhaltensraumes, der Internetgebrauch erlangt erste Priorität.
2. Kontrollverlust:
Der online verbrachte Zeitrahmen kann nicht kontrolliert werden. (obwohl das Bewusstsein
für dadurch verursachte persönliche oder soziale Probleme vorhanden ist) Oft, aber nicht
immer, findet sich auch das Phänomen der "Toleranzsteigerung", das heißt, dass der User zur
Befriedigung sein online - Verhalten quantitativ und qualitativ ständig intensivieren muss.
Um dieselbe Befriedigung wie zu Beginn zu erlangen, muss die Onlinedauer ständig erhöht
werden.
3. Negative Konsequenzen:
Durch das exzessive online - Verhalten treten sowohl körperliche Schäden auf, wie
beispielsweise Mangelernährung, Vernachlässigung des Schlafbedürfnisses, Schäden am
Bewegungsapparat
(durch eine falsche Sitzhaltung können Verspannungen bis hin zu
Wirbelsäulen und Genickschäden auftreten), Schäden am Sehapparat,
Gewichtsprobleme
(individuell
Erschöpfungszuständen,
als
auch
verschieden)
bis
psychosozialen
hin
zu
Folgeschäden,
vital
wie
Kreislauf und
bedrohlichen
z.B.
soziale
Selbstisolierung durch Vernachlässigung aller Sozialkontakte, Arbeitsplatzverlust, schulisches
Versagen bzw. mögliche Verschlechterung psychischer Grundkrankheiten.
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4. Entzugssymptome:
Wie bei anderen Abhängigkeitserkrankungen findet man bei Internetsüchtigen dann, wenn sie
unfreiwillig offline sind, psychovegetative Entzugssymptome wie Reizbarkeit, Affektlabilität,
Unruhe oder Unkonzentriertheit.
5. Unfähigkeit zur Verhaltensänderung:
Trotz der Offensichtlichkeit der negativen Folgen des Verhaltens ist der Internetsüchtige
selbst
nicht
fähig,
sein
Verhalten
zu
korrigieren.
Suchttypische
intrapsychische
“Abwehrmechanismen“ - von der Verleugnung/Bagatellisierung über die Projektion bis hin
zur Rationalisierung, also dem Erfinden gefinkelter Rechtfertigungsstrategien - sind ebenfalls
festzustellen.
Diese vorgeschlagenen Kriterien verstehen sich als normativ-deskriptive Merkmale der
Phänomenologie der Internet- und Chatsucht und thematisieren dies im Übrigen auch für
substanzgebundene Abhängigkeiten, wie der Alkoholabhängigkeit Es handelt sich hierbei
aber nicht um ätiologischen Merkmale.
Weiters kreierte die American Psychological Association analog zur Definition der
krankhaften Onlinesucht nach DSM-IV folgende 10 Kriterien für eine Beurteilung:
•
Das Internet beschäftigt mich; ich denke daran, auch wenn ich Offline bin.
•
Ich brauche immer mehr Zeit im Internet, um zufrieden zu sein.
•
Ich bin unfähig, meinen Internet-Gebrauch zu kontrollieren.
•
Ich werde unruhig und reizbar, wenn ich versuche, meinen Internet-Konsum
einzuschränken oder darauf zu verzichten
•
Das Internet ist für mich ein Weg, um vor Problemen zu fliehen oder schlechtes
Befinden (Hilflosigkeits- oder Schuldgefühle, Angst, Depression) zu bessern.
•
Ich lüge meine Familie oder Freunden gegenüber, um das Ausmaß meiner
Beschäftigung mit dem Internet zu verbergen.
•
Ich habe schon Arbeit, Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten
zwischenmenschliche Beziehungen wegen des Internets in Gefahr gebracht.
•
oder
Ich gehe ins Netz zruück, auch wenn ich exzessive Beträge für Gebühren zahlen
musste.
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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•
Ich bekomme im Offline-Zustand Entzugserscheinungen.
•
Ich bleibe immer wieder länger Online, als ich mir vorgenommen habe.
Positive Antworten für mindestens vier der Kriterien sollen auf Internet-Sucht schießen
lassen.
Eine Untersuchung von Bernard Batinic deutete darauf hin, dass zumindest zwei
„Symptome“ der Internet-Sucht weit verbreitet sind:
•
Fast 70% der befragten Personen gaben an, dass sie häufiger länger im Netz surfen, als
sie ursprünglich wollten
•
Über 50% der Probandengaben an, dass sie manchmal im Internet surfen, obwohl sie
Wichtigeres zu erledigen hätten.
Laut Bernard Batinic ist aber der Anteil der User, die beim Surfen im Internet ihre täglichen
Sorgen vergessen können oder bei denen sich nach ein oder zwei Tagen offline “eine
Spannung aufgebaut hat, die sie veranlasst wieder zu surfen“ dagegen recht gering. Ob dies
reicht, um von einem "Massenphänomen" Internet-Sucht zu sprechen oder gar als Anlass
genommen werden sollte, neue Therapieangebote zu entwickeln, sei dahingestellt. Dann wäre
es aber wohl auch an der Zeit gezielt, gegen andere Massensüchte wie die Fernseh-, Telefon-,
Lese- oder Sportsucht anzugehen!
7. Pathologischer Internetgebrauch (PIG):
Zimmerl, Panosch und Masser erstellten 2001 eine psychiatrische Verdachtsdiagnose und
empfehlen als diagnostische Kriterien:
•
Häufiges unüberwindliches Verlangen, ins Internet einzuloggen
•
Kontrollverluste (d.h. längeres Verweilen "online" als intendiert) verbunden mit
diesbezüglichen Schuldgefühlen
•
sozial störende Auffälligkeit im engsten Kreis der Bezugspersonen
•
PIG- bedingtes Nachlassen der Arbeitsfähigkeit
•
Verheimlichung/ Bagatellisierung der Gebrauchsgewohnheiten
•
Psychische Irritabilität bei Verhinderung am Internet- Gebrauch
•
Mehrfach fehlgeschlagene Versuche der Einschränkung
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Die Autoren unterscheiden drei Stadien:
1. Gefährdungsstadium: Vorliegen von bis zu 3 der oben genannten Kriterien in einem
Zeitraum von bis zu 6 Monaten
2. Kritisches Stadium: Vorliegen von zumindest 4 der oben genannten Kriterien in
einem Zeitraum von bis zu 6 Monaten
3. Chronisches Stadium: Vorliegen von zumindest 4 oder mehr der oben genannten
Kriterien über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten und das damit einhergehendem
Vorliegen irreversibler psychosozialer Schäden wie beispielsweise Jobverlust, Trennung vom
Partner, soziale Selbstisolation, sowie mögliche somatische Schäden.
8. Chatten – „Kampfchatter“:
Wer sich wie gewohnt häufiger in seinem Präferenz Stamm-Chat befindet, wird nach einiger
Zeit der Aufmerksamkeit so genannten „Kampfchattern“ begegnen. „Kampfchatter“ findet
man nahezu rund um die Uhr, zu jeder Tageszeit in den jeweiligen Chats. Ein besonderes
Kennzeichen dieser Art von Chattern, ist dass sie ihre Profile mit Hinweisen wie „habe Flat,
daher nicht immer am PC“ – womit möglichst vielen Teilnehmern signalisiert werden soll,
dass dieser immer online sind, kennzeichnen.
„Kampfchatter“ gelten nicht zwangsläufig als chatsüchtig. Sie besitzen aber deutliche
Anzeichen einer möglichen Chatsucht. „Kampfchatter“ sind der ständigen Sorge verfallen,
dass ihnen im Chat etwas entgehen könnte. Anhand von Studien wird gezeigt, dass ein
Großteil der „Kampfchatter“ keiner beruflichen Tätigkeit nachgeht. Zeit und Langeweile
bilden in diesem Kontext die Hauptmotive und Gefahren.
Experten haben erkannt, dass man sich zwar in diesem Falle zwar durchaus von einer
Abhängigkeit sprechen kann.
Bezüglich Chatrooms ist tatsächlich eine originäre, neue Abhängigkeitsform anzunehmen. Als
Risikogruppen seien Menschen mit bereits vor bestehenden Abhängigkeiten zu nennen
ebenso wie depressive und narzisstische, selbstverliebte Persönlichkeiten, andererseits spielt
auch die soziale Situation eine Rolle.
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Eine Sucht im medizinischen Sinne ist es jedoch nicht. Von einer Sucht sprechen Mediziner
dann, wenn dem Körper über längere Zeit eine chemische Substanz zugeführt wird, die bei
ihrem Absetzen messbare körperliche Entzugserscheinungen hervorruft.
Chatrooms im Internet haben aber anders als Nikotin, Alkohol oder Drogen, kein immanentes
Suchtpotenzial. Die Internet-Abhängigkeit ist daher eher das Resultat einer psychosozialen
Störung.
Experten sprechen daher nicht von „Internet Addiction“, sondern von Internet Addiction
Disorder“, einer Störung, die zur Sucht führen kann.
9. Statistische Fakten:
Nach Gallup (2001) lag die Zahl täglicher Internetbenutzer in Österreich noch bei rund einer
Million, diese Zahl stieg jedoch bis Ende 2005 laut AIM (Austrian Internet Monitor) auf rund
das Doppelte. Gemessen an den Daten der Berliner Forscher, die 3% Abhängigkeitsrate über
alle User nachwies, ist die Zahl internetsüchtiger österreichischer BürgerInnen also von
ca.30.000 auf ca. 60.000 gestiegen.
In den USA ist dieser Prozentsatz erhöht, da dort das Internet schon länger eine große Rolle
im Leben der Menschen spielt. Bereits 6% der amerikanischen Internetuser sind nach der
Meinung von Dr. Kimberly Young süchtig.
10. Gefährdung:
Gefährdet sind vor allem Jugendliche. Eine Berliner Studie verwies darauf, dass unter 18
Jahren 8,2 Prozent der Jungen und 6% der Mädchen als süchtig eingestuft werden. Sie
schätzen die Möglichkeiten des Internet oft falsch ein. Ihre Experimentierlust und ihre
unreifen Selbstzweifel finden Scheinkompensation in der scheinanonymen Kommunikation,
wie z.B. im Chat. Aber auch Sozialfaktoren spielen eine Rolle. Arbeitslose und
Alleinstehende sind stärker gefährdet, und auch Hausfrauen neigen dazu süchtig zu werden.
Weiters wirkt die Anonymität einerseits auf gehemmte, andererseits auf narzisstische
Persönlichkeiten
besonders
anziehend.
Die Relation zwischen männlichen und weiblichen Betroffenen ist mittlerweile ca. gleich
groß.
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Celin Berens definiert anhand ihrer Studie drei Typen von Internetsüchtigen:
1. Subjektsucht – Internetsuchttyp:
Dieser
Suchttyp
strebt
hauptsächlich
die
Verständigung
und
den
konstruktiven
kommunikativen Umgang mit unterschiedlichen Interaktionspartnern, wie beispielsweise im
Chat, an. Er erlebt das Internet als eine Bereicherung seines eigenen realen Lebens. Durch das
ständige und intensive Nutzen des Mediums Internet über Jahre hinweg, sowie durch die
individuellen kommunikativen Präferenzen, die mit möglichen Internetanwendungen
übereinstimmen, kommt es zu einer Vergesellschaftung des individuellen Ich seins der
Süchtigen in der kommunikativen Technikwelt des Internet. Der Entzug kann hierbei selbst oder fremd schädigend erscheinen.
2. Objektsucht – Internetsuchttyp:
Dieser Typ sucht vor allem exzessiv “nonstop“ ganz bestimmte Themenbereiche, wie
Sexualität in Verbindung mit sozialer Interaktion, über entsprechende Dienste wie den Chat.
Das Internet wird dabei als eine eigene erträumte Wunschwelt erlebt, in die der Süchtige
imaginär flüchtet und wegen der sich der Betroffene räumlich nach außen hin abschottet. Dies
und das exzessive Nonstop - Internetnutzen - wie eine „Selbstinstrumentalisierung“ - sowie
eigene individuelle kommunikative Präferenzen, die mit den sozialen Interaktionen, die über
das Internet möglich sind, Übereinstimmungen finden, führen letztendlich zu einer selbst so
formulierten psychischen und nervlichen Überlastung. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass
sich diese Sucht „selbst“ zu einem Ende führt. Andererseits aber sind sowohl Rückfälle, als
auch stellvertretende Süchte vorher und nachher nicht auszuschließen.
3. Mischtyp:
Dieser Typ ergibt sich aus den beiden ersten Typen. Er ist eine Mischform der beiden Arten.
11. Triebfeder – Mögliche Ursachen:
1. Realitätsflucht und Verdrängung
2. Experimentieren mit der eigenen Identität (wie z.B. das “gender switching“)
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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3. Befriedigung des Kommunikationsbedürfnisses
Als psychologischer Hintergrund ist zu bewerten, dass im Internet (vor allem im
Kommunikationsbereich der anonymen Nicknames in Chats) Eigenschaften ausgelebt bzw.
simuliert werden können, welche in der heutigen Zeit einen hohen sozialen Stellenwert
haben, wie z.B. Flexibilität, "ewige" Jugendlichkeit, persönliche Souveränität, sozialer
Aufstieg, etc.
12. Behandlung:
Die Behandlung wird sich jeweils am Einzelfall orientieren müssen. Im Gegensatz zu
stoffgebundenen
Abhängigkeitserkrankungen
mit
der
besonderen
therapeutischer
Herausforderung der Abstinenz, wir hier als Ziel der kontrollierte Gebrauch des Mediums
angestrebt.
Nach
einer
Motivierungsphase
und
kognitiv-verhaltenstherapeutischen
Maßnahmen wird die Sanierung möglicher Grundstörungen zu leisten sein.
13. Mögliche Maßnahmen für einen Ausstieg
•
Buchführung über Onlinezeiten
•
Ziele über Onlinezeit formulieren
•
Den Computer immer ganz herunterfahren
•
Problematische Bereiche konsequent meiden
•
Gespräche mit ausstiegswilligen Betroffenen oder Fachpersonen suchen
•
Freizeitbeschäftigungen oder Aufgaben in Anspruch nehmen, die dem Leben
neuen Sinn geben
Wenn man vorerst den Ausstieg selbst versuchen möchte in den Griff zu bekommen, ist der
erste Schritt seine Chatzeiten zu limitieren. Am einfachsten ist es, die Chatzeiten in einem
wöchentlichen Abstand zu reduzieren. Wer beispielsweise jeden Tag regelmäßig chattet, lässt
in der ersten Woche einen Tag, in der zweiten Woche zwei Tage weg – wobei zu den Online Auszeiten auch das surfen im Internet tabu sein sollte. Wer es vier Wochen lang geschafft hat,
zwei chatfreie Tage pro Woche zu erreichen, wird auch kein Problem damit haben, einen
dritten oder vierten chatfreien Tag zu erreichen. Wichtig ist, dass sich Freizeitaktivitäten nicht
ausschließlich auf das Chatten beschränkt!
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
13
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Neuere psychologische Fachliteratur
Sollte dies nicht funktionieren, ist eine psychologische Beratung von Nöten. Die psychosoziale Störung, die einem übermäßigen Chatten zugrunde liegen könnte, sollte auf jeden Fall
erkannt und behandelt werden.
Bezogen auf das Fallbeispiel aus der Therapeutischen Praxis, welches in der Einleitung
angeführt wurde, wird folgende Therapie angewandt:
Die anschließende Therapie richtete sich zunächst auf die depressogenen Anteile der Störung.
Sekundärer Fokus der Intervention war der Widererwerb sozialer Kompetenzen und die
Diskussion von Verlustängsten (Netzkontakte). Die Ehefrau „stand weiter zu ihm“, es gab in
dieser Hinsicht keine Komplikationen (erstaunlich!). Erleichtert wurde die Therapie durch die
erzwungene Abstinenz nach der Kündigung, weil er ja keinen privaten Computer hatte. Er
versuchte jedoch anfangs, seine Chat-Kontakte durch ausgiebige Besuche in Internet-Cafes zu
pflegen. Es kam in einem therapeutischen Kontext zu einem guten Kontakt auch mit der
Ehefrau, welche viel Verständnis und Hilfsbereitschaft zeigte. Des Weiteren hatte sie nie
konkrete Inhalte der Chats erfahren. Das angewendete Verfahren der Intervention war die
kognitive Verhaltenstherapie.
Die Therapie wurde erfolgreich beendet. Der Erfolg wurde gemessen an der
Wiederaufnahmesozialer Kontakte, Wiederentdeckung von „alten“ Hobbies, neue alltägliche
Zeit- und mittelfristige Lebensplanung, erfolgreiche Bewerbung für eine neue Stelle ( wieder
mit ähnlicher Funktionstätigkeit) und erfolgreicher (d.h. kontrollierter) Umgang mit den
Möglichkeiten des Internets (keine privaten Kontakte, ausschließliche Definition der NetzAufenthalte durch den jeweiligen Arbeitsauftrag).
14. Dr. Nicola Döring:
Dr. Nicola Döring, selbst tage- und nächtelang online, weiß um die Versuchung des Netzes
bestens bescheid. Am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg arbeitet sie derzeit
am Projekt „Virtuelle Hochschule Oberrhein“
Nicola Döring sieht das Internet durchaus als Medizin gegen Isolationsgefühle. Netznutzung
aus Informations- und Unterhaltungsmotiven sollten präventiv gegen Einsamkeitsgefühle
eingesetzt werden. In ihrer Ausführung beschreibt sie die Kommunikation über Internet als
Ergänzung zu den realen „Face-to-Face“ Kontakten und als Möglichkeit und Therapie.
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
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Mangelndes Selbstvertrauen soll dadurch wieder aufgebaut werden und es besteht die
Möglichkeit neue Kontakte zu knüpfen.
In ihrem Buch „Sozialpsychologie des Internets“ vertritt sie die Annahme, dass
computervermittelte Kommunikation im Internet dazu beitragen kann, bestehende
zwischenmenschliche Beziehungen zu verändern und neue soziale Beziehungen entstehen zu
lassen.
Der pauschale Vorwurf des Beziehungsverlustes (soziale Isolation am Computer) und des
Flüchtens in eine Schein-Beziehung (Eskapismus) sei genauso zurück zu weisen, wie die
generelle
persönlichkeitsstabilisierende
und
beziehungsintensivierende
Wirkung
der
Internetkommunikation.
Netzaktive hätten bei entsprechender Netznutzungskompetenz und Motivation die Chance,
ihre privaten und beruflichen Kommunikations- und Beziehungsnetzwerke zu erweitern.
Intensive private Netzbeziehungen seien vor allem dann zu erwarten, wenn sich eine Person
mit der Netzkultur identifiziere, über die verschiedenen Angebote mit anderen Menschen in
Kontakt zu treten und diese Kontakte durch private E-Mails und Chats ausbaue.
Macht das Internet süchtig?
Es gibt mittlerweile eine wachsende Zahl von Menschen, die sich selbst als „internet-süchtig“
bezeichnen. Sie verbringen nicht selten 10-20 Stunden täglich mit Netzaktivitäten. Ihr
gesamter Alltag bricht zusammen, es gibt keine Anderen Interessen Mehr. Familie, Freunde,
Arbeit – alles ist gefährdet. Hinzu kommen finanzielle und gesundheitliche Belastungen.
Wirft man einen Blick in die seit 1994 bestehende Online-Selbsthilfegruppe zu Internet-Sucht
(Internet Addiction Support Group I-A-S-G), ist jeder Zweifel an der Ernsthaftigkeit des
Problems sofort zerstreut. Woche für Woche sind in dieser Mailingliste erschütternde
Erfahrungsberichte und Hilferufe von Betroffenen sowie ihren Angehörigen zu lesen. Neulich
meldete sich beispielsweise eine Schülerin zu Wort:
„Meine Mutter sitzt von morgens bis abends im Schlafanzug am Computer und plaudert per
Tastatur mit ihren Netzbekanntschaften. Sie geht überhaupt nicht mehr aus dem Haus und ist
für uns praktisch nicht ansprechbar. Ich weiß nicht, wie lange das noch so weitergehen soll.
Wenn meine Freundinnen mich fragen, warum bei uns ständig das Telefon besetzt ist, schäme
ich mich richtig.“
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
15
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15. Suchtgefahr durch das Internet
Wenn die Internetnutzung außer Kontrolle gerät, scheint professionelle Hilfe notwendig.
Deshalb hat die Psychologin Dr. Kimberly Young, einer der führenden Forschungskräfte auf
diesem Gebiet von der Universität Pittsburgh, ein Zentrum für Onlinesucht im World Wide
Web eröffnet (http://netaddiction.com/)
Sie zweifelt nicht daran, dass Internetsucht ein neues klinisches Störungsbild ist. Nach ihren
Kenntnissen und Studienergebnissen kann man eine Person als internetsüchtig oder als
potentiell internetsüchtig gefährdet bezeichnen, wenn diese ständig an ihr vergangenes oder
ihr künftiges Surfen im Internet denkt, oder wenn ein großer finanzieller und zeitlicher
Aufwand mit ihren Internetbesuchen zusammenhängt und schon des Öfteren vergeblich
versucht wurde den Internetkonsum einzuschränken.
Um diese Krankheitsbild zu erkennen und zu beschreiben entwickelte Dr. Young einen
Fragekatalog mit acht Punkten. Wer mindestens fünf dieser Punkte mit „Ja“ beantwortet, ist
laut Young’s Meinung nach potentiell gefährdet oder bereits süchtig. Inzwischen hat die
Psychologin knapp 400 Menschen untersucht, die sich selbst für süchtig halten und im
Durchschnitt 38 Stunden und mehr in der Woche online sind. Auf Basis dieser Daten
beschrieb sie das Krankheitsbild der Internetsucht.
Scheinbar sei ein Internetsüchtiger stark vom Drang geplagt, immer wieder in die digitale
Welt des Internets einzutauchen. Wie weit dieser Drang gehen kann, soll anhand des
folgenden Fallbeispiels gezeigt werden:
Ein Gericht in Israel musste zu einem ungewöhnlichen Mittel greifen. Es zwang einen jungen
Mann, das Haus seiner Eltern zu verlassen. Der Grund: Seine Sucht nach dem Internet war so
groß geworden, dass er seinen Eltern jeglichen Zugriff auf das Telefon verweigerte. Er war
ununterbrochen online, und als seine kranke Mutter einen Arzt rufen wollte, schlug er sie und
drohte, sie umzubringen. Darauf hin verbannte der Richter ihn aus dem Elternhaus.
Kimberly Young hat in ihren Studien festgestellt, dass Internetsüchtige regelrechte
Entzugserscheinungen bekommen, wenn man sie von der „elektronischen Nadel“ abhängt.
Dass das Surfen im Internet zur Sucht werden kann, davon ist Mark Griffiths, leitender
Psychologe an der Trenton-Universität in Notthingham, ebenfalls überzeugt. Der Brite war
einer der ersten, der Untersuchung über so genannte Online-Junkies durchgeführt hat.
Aufgrund seiner Erfahrung sind folgende Symptome mit der Internetsucht in Verbindung zu
setzen:
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
•
Mehrstündiges Surfen täglich
•
Stimmungsschwankungen beim Auffinden oder nicht Auffinden der gewünschten
Information
•
Flucht vor individuellen Problemen in eine Scheinwelt
•
Verlust/Vernachlässigung sozialer Bindungen
•
Entzugserscheinungen wenn sich der PC außer Reichweite befindet
Er kann aus eigenen Erfahrungen berichten:
„Als unsere Universität online ging, konnten wir immer mehr Studenten beobachten, die
plötzlich auch die Nacht hindurch und am Wochenende vor dem Computer hingen.“ Viele
Computerfreaks hätte man nur mit Gewalt von den PCs trennen können.
Dr. Kimberly Young stuft aufgrund der Internetangebote, welche süchtig machen können,
folgende Bereiche als besonders Gefährlich ein:
–
–
–
–
Chat-Räume
Multi-User-Dungeons
E-Mail
Cybersex
Chat-Räume und Multi-User-Dungeons sind virtuelle Scheinwelten. Hier kann man sich eine
neue Identität verschaffen und mit anderen Besuchern dieser Scheinwelt über allerlei
Interessantes „reden“. So kann man sich in dieser Scheinwelt ein Fantasieleben aufbauen
indem man sich als etwas anderes ausgeben, dass man im wirklichen Leben gar nicht ist,
vielleicht aber gerne sein möchte. Da alle Bewohner der Scheinwelt anonym sind, braucht
eigentlich niemand vor irgendetwas Angst zu haben.
In der Scheinwelt gibt es keine Probleme und man braucht keinen Mut, um mit einem anderen
Besucher Kontakt aufzunehmen und zu flirten. Leider ist es so, dass viele Besucher sich in
dieser Scheinwelt zu wohl fühlen, wohler als in der realen Welt. Sie setzen sich mit den realen
Problemen nicht mehr auseinander, sondern flüchten gleich in ihre geliebte neue Welt. So
kann mancher den Bezug zur Realität und die Zeit vergessen.
16. Kritiker der Suchttheorie
Es gibt Forscher die im Gegensatz zu Dr. Young bestreiten, dass das Krankheitsbild der
Chatsucht überhaupt existiert und weisen darauf hin, dass das Warnen vor
einer
Intensivnutzung eines Mediums schon veraltert ist. Als Beispiel führen sie Don Quichote an,
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
der durch übermäßiges Lesen von Ritter- und Liebesromane den Bezug zur Realität/
Wirklichkeit verlor.
Der Psychologe Dr. John Grohol, Psychologe in Ohio und Verwalter der Mental Health Page
„Psych Central“ (http://psychcentral.com ), bezweifelt zwar nicht, dass manche Menschen
viel Zeit im Internet verbringen, glaubt aber vorerst nicht an die Existenz einer neuen Störung
namens Internetsucht. Seiner Meinung nach handelt es sich vielmehr um eine Flucht aus der
Alltagswelt (z.B. ständiges Fernsehen).
Es ist unseriös ohne fungierte psychische Forschungsarbeit allein auf der Basis von ein paar
Erfahrungsberichten und Umfragedaten eine neue Krankheit zu postulieren. Die
Extremnutzung wird nicht durch das Internet selbst verursacht, sondern geht auf psychische
und soziale Konflikte zurück, die die Betroffenen selbst mitbringen.
Wenn eine Frau ihre Familie vollkommen vernachlässigt und ganz in ihren Online-Flirts
aufgeht, ist es nur eine Scheinerklärung, sie als „internetsüchtig“ zu bezeichnen. In
Wirklichkeit sucht sie vielleicht erotische Abwechslung, will den Konflikten mit ihren
pubertierenden Kindern aus dem Weg gehen oder somit depressive Verstimmungen
bekämpfen.
Wenn ein Student den Tag damit verbringt eine Menge an Diskussionsbeiträgen zu schreiben
und aufgrund dessen sein Studium scheitert, ist es ebenfalls nicht sinnvoll ihn als „internetsüchtig“ zu bezeichnen. Es könnte vielmehr damit zusammenhängen, dass er im Netz
Anerkennung sucht, die er sonst wo nicht bekommt, des Weiteren könnte eine Prüfungsangst
der Grund dafür sein und könnte ihn daran hindert sein Studium abzuschließen.
Aus psychologischer Sicht braucht man für die Internetsucht keine spezielle Therapie,
sondern soll mit den herkömmlichen Methoden jene Konflikte angehen, die hinter der
Intensivnutzung stehen.
17. Schlussbemerkung
Es ist schon sehr schwierig eine Abgrenzung von pathologischen Suchtverhalten zu „normaler
Sucht“ zu treffen in Bezug auf substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen, wie
beispielsweise Opiatabhängigkeit. Die Grenzen sind meist fließend. Noch schwieriger wird es
eine Grenze in Bezug auf Internet/Chatsucht zu ziehen.
Die Anzahl der Diskussionen, ob man von einem Massenphänomen „Intersucht“ sprechen
kann, wachsen ständig. Viele Wissenschaftler und Psychologen teilen verschiedene
Meinungen und Ansichten. Es ist schwierig die Grenze zur Intersucht zu definieren.
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
Die Onlinesucht unterliegt den wissenschaftlichen Suchtkriterien des DSM – IV, was für die
PRO – Seite spricht. Hingegen dazu, finden wir die Datenerhebungsmethode mittels
Fragebögen, wie sie Dr. Kimberly Young anwendete, nicht sehr geeignet um repräsentative
Daten zu erheben. Das Problem der sozialen Erwünschtheit fließt in großen Menge mit ein,
aber vor allem wird hier der Kontext der Internetbenützung völlig aus den Augen gelassen.
Eine Person, die beispielsweise jeden Tag seine e- mails checkt und mittels
Internetmobiletelefonie (z.B. Skype) oder via Chat mit Freunden kommuniziert die Tausende
von Kilometern entfernt wohnen, würde anhand der Items des Fragebogens von Kimberly
Young schon als onlinesüchtig bezeichnet werden. Die Methode der Fragebögen ist unserer
Ansicht nach, nicht geeignet. Es ist allerdings auch sehr schwierig, eine geeignete Methode zu
konstruieren, um das Phänomen des „Onlinesucht“ zu erforschen.
Ferner muss man unter den Internet Usern verschiedene Klassen trennen. Es gibt jene User,
die das Medium Internet als Werkzeug verwenden um z.B. nach Informationen zu suchen
oder um gebührenfrei mit Freunden zu telefonieren und es gibt solche User, die dieses
Medium als Ersatz oder Kompensation für etwas verwenden, was ihnen zu fehlen scheint.
Diese Gruppen von Interbenutzern wird man häufig in Chats finden, denn ihnen ist vor allem
die Kommunikation wichtig, wobei es egal ist, mit welchen Gesprächspartnern, man es zu tun
hat. Die Gesprächspartner können häufig gewechselt werden.
Zusammengefasst kann man die Phänomenologie „Onlinesucht“ nicht abstreiten, denn sie
scheint sehr weit verbreitet zu sein, aber ob dies reicht um eine eigene Krankheit bzw.
Störung daraus zu machen und in Folge dessen Therapieangebote anzubieten sei fragwürdig.
Selbst Wissenschaftler untereinander sind sich bezüglich des Themas der Intersucht im
Unklaren.
Die Zukunft der Forschung wird neue Richtungen und Erkenntnisse bringen.
Zum Abschluss möchten wir noch ein typisches Beispiel aus dem Alltag vorstellen:
Wenn die 14-jährige Tochter sich zur leidenschaftlichen Leserin entwickelt und ganze Tage
und Nächte hinter Büchern verbringt, zeigen sich die meisten Eltern erfreut über ein so
anspruchsvolles Hobby. Stürzt sich die Tochter dagegen mit vergleichbarer Begeisterung ins
Netz, ist man plötzlich sehr besorgt: Flüchtet sie aus der Wirklichkeit? Droht Vereinsamung?
Handelt es sich um Sucht? Das Verschlingen von Romanen gilt in unserer Kultur als sinnvolle
oder zumindest unschädliche Tätigkeit, während die Beschäftigung mit dem Internet zum
belanglosen wenn nicht gefährlichen Zeitvertreib herabgewürdigt wird. Dabei bietet gerade
das Netz vielfältige neue Möglichkeiten, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten, ihre
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
Gedanken und Gefühle kennen zu lernen, Freundschaften zu knüpfen und sich
Gemeinschaften anzuschließen. Im Internetenthusiasmus offenbart sich in der Regel keine
pathologische Technik-Sucht, sondern die ganz normale „Sucht“ nach all dem, was uns
inspiriert, erfüllt und erfreut und wovon wir gerne „mehr“ habe möchten.
Im Allgemeinen ist vor einer hysterischen Überbewertung der Intensivnutzung zu warnen,
gerade Interneteinsteiger werden aus Neugierde, aber auch Unwissenheit viel Zeit im Netz
verbringen müssen, ehe sie lernen es effizient zu nützen.
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
20
Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
18. Quellenverzeichnis
Zimmerl, Hans D., Panosch, Beate, Masser, J. (1999). „INTERNETSUCHT“ - Eine
Neumodische Krankheit? Versuch einer Antwort anhand einer Untersuchung der Applikation:
Chatroom.
Berens, Celin (2001). Eine wissenschaftliche qualitative Studie zu dem Phänomen
Internetsucht.
Döring, Nicola (2003).Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für
Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen (Internet und
Psychologie - Neue Medien in der Psychologie, Band 2) Zweite, vollständig überarbeitete und
erweiterte Auflage. Göttingen: Hogrefe.
www.blaues-kreuz.de [Zugriff, am 10.11.2007]
www.netaddiction.com [Zugriff, am 2.11.2007]
http://winfuture.de/news,23176.html [Zugriff, am 9.11. 2007]
http://gin.uibk.ac.at [Zugriff, am 9.11.2007]
www.onlinesucht.de [Zugriff, am 9.11.2007]
http://www.glossar.de/glossar/z_netaddiction.htm [Zugriff, am 4.11.2007]
www.internetsucht.de [Zugriff, am 4.11.2007]
http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/SUCHT/ [Zugriff, am 4.11.2007]
http://www.studentenwerk-oldenburg.de/psb/internetsucht_test.html [Zugriff, am 15.11.2007]
http://www.bild.t-online.de/BTO/tipps-trends/digital-leben/2007/05/internetsucht/test.html
[Zugriff, am 9.11.2007]
http://de.wikipedia.org/wiki/Internetabh%C3%A4ngigkeit [Zugriff, am 28.10.2007]
http://webdesign.weisshart.de/blog.php?p=112 [ Zugriff, am 9.11]
http://internetsucht.de/publikationen/internetsucht_kurzpraesentation.pdf [ Zugriff, am 9.11]
http://www.chemieonline.de/forum/showthread.php?t=1769 [ Zugriff, am 8 .11]
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
21
Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
http://www.nicoladoering.net/Hogrefe/sucht.htm [ Zugriff, am 2.11]
http://psychcentral.com [Zugriff, am 2.11.]
http://www.dresing-pehl.de/images/Chatbefragung.pdf [Zugriff, am 16.11. 2007]
http://www.fakeschutz.de/chatsucht.htm [ Zugriff, am 31.10.2007]
http://de.wikipedia.org/wiki/Chat#Chatsucht [ Zugriff, am31.10.2007]
http://www.netaddiction.com/resources/internet_addiction_test.htm (Test) [Zugriff, am
2.11.2007]
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
19. Anhang
Fragebogen
1. How often do you find that you stay on-line longer than you intended?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
2. How often do you neglect household chores to spend more time on-line?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
3. How often do you prefer the excitement of the Internet to intimacy with your
partner?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
4. How often do you form new relationships with fellow on-line users?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
5. How often do others in your life complain to you about the amount of time you spend
on-line?
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
o Does not apply
6. How often do your grades or school work suffer because of the amount of time you
spend on-line?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
7. How often do you check your e-mail before something else that you need to do?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
8. How often does your job performance or productivity suffer because of the Internet?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
9. How often do you become defensive or secretive when anyone asks you what you do
on-line?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
10. How often do you block out disturbing thoughts about your life with soothing
thoughts of the Internet?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
11. How often do you find yourself anticipating when you will go on-line again?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
12. How often do you fear that life without the Internet would be boring, empty, and
joyless?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
13. How often do you snap, yell, or act annoyed if someone bothers you while you are online?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
14. How often do you lose sleep due to late-night log-ins?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
15. How often do you feel preoccupied with the Internet when off-line, or fantasize about
being on-line?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
Anne Dallago, Anita Waldner, Nadine Juen
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
16. How often do you find yourself saying "just a few more minutes" when on-line?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
17. How often do you try to cut down the amount of time you spend on-line and fail?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
18. How often do you try to hide how long you've been on-line?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
19. How often do you choose to spend more time on-line over going out with others?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
20. How often do you feel depressed, moody, or nervous when you are off-line, which
goes away once you are back on-line?
o
o
o
o
o
o
Rarely
Occasionally
Frequently
Often
Always
Does not apply
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Seminararbeit
Forschungsseminar:
Neuere psychologische Fachliteratur
Dieser Fragebogen von Dr. Kimberly Young dient der Erfassung der Onlinesucht. Am Ende
des Fragebogens erscheint eine Punktezahl, die jede Person in eine Kategorie einordnet:
– 20 - 49 points: You are an average on-line user. You may surf the Web a bit too long at
times, but you have control over your usage.
– 50 -79 points: You are experiencing occasional or frequent problems because of the
Internet. You should consider their full impact on your life.
– 80 - 100 points: Your Internet usage is causing significant problems in your life. You
should evaluate the impact of the Internet on your life and address the problems directly
caused by your Internet usage.
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