Schumann - Philologisch

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Universität Augsburg
Philologisch-Historische Fakultät
Lehrstuhl für Neue deutsche Literaturwissenschaft
Proseminar: Das Kunstlied
Dozent: Stefan Schmid M.A.
WS 2009/2010
SEMINARARBEIT ZUM THEMA
Das Kunstlied als Antwort auf die romantische Forderung nach dem
„höheren Kunstganzen“
erläutert anhand Robert Schumanns Liederzyklus Opus 39
nach Gedichten von Joseph von Eichendorff
Vorgelegt von: Pia Grünwald
Semesterzahl:
3
Matrikelnummer:
Studiengang: Lehramt Deutsch, Geschichte für Gymnasium
Anschrift:
E-Mail:
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.........................................................................................................................................1
2. Auswirkungen des romantischen Gedankenguts auf Literatur und Musik......................................2
3. Die romantische Vorstellung vom Kunstlied...................................................................................3
4. Der Liederkreis.................................................................................................................................6
4.1. Allgemeine Daten des Werkes..................................................................................................6
4.2. Interpretation.............................................................................................................................7
4.2.1. Waldesgespräch................................................................................................................7
4.2.2. Mondnacht......................................................................................................................10
4.2.3. Zwielicht.........................................................................................................................13
5. Resümee.........................................................................................................................................15
6. Quellen- und Literaturverzeichnis..................................................................................................17
Quellenverzeichnis.........................................................................................................................17
Literaturverzeichnis.......................................................................................................................17
1. Einleitung
Um 1800 beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte des menschlichen Geistes. Ein
Abschnitt, der die Epoche der Romantik genannt wird. Zunächst ist die Bewegung, die um die
Gebrüder Schlegel herum entsteht eine rein literarische Bewegung, doch schon bald wird das
neue Gedankengut auch von den Vertretern der anderen Künste begeistert aufgenommen und
weiterentwickelt. In der Tat ist die Romantik wohl die Epoche, in der sich die verschiedenen
Künste immer mehr annähern, sodass neue Kunstformen entstehen, die diese verschiedenen
Künste zu einem Kunstwerk zu vereinen suchen. Die Gattung, die wohl am meisten von
diesen neuen Ideen profitiert hat ist das Lied, als Verbindung von Wort und Ton. Ja es wird
sogar soweit gegangen, das Lied als ein neues „höheres Kunstganzes“1 zu sehen, das nur in
Verbindung von Lyrik und Musik existieren kann. Denn bis dahin wurde das Lied auch in den
einschlägigen Lexika und Werken abgetan als „erste Stufe der Vocalmusik [...], die einfache
Melodie, welche die in ein lyrisches Gedicht niedergelegte Stimmung in ihrer einfachen
Allgemeinheit musikalisch wiedergibt [...]“2. Dies bedeutet nichts anderes, als dass das Lied
fast vollständig nur auf die Singstimme reduziert wird und die Begleitung als so unwichtig
erachtet wird, dass sie noch nicht einmal Erwähnung findet. Das heißt, dass in der bis dahin
weit verbreiteten Auffassung vom Lied, aufgrund dieser Gegebenheiten, nicht von einem
ausgewogenen Verhältnis zwischen Lyrik und Musik gesprochen werden kann. Unterstützt
wurden solche Auffassungen von Autoritäten wie Johann Wolfgang von Goethe. Als Dichter
bevorzugte er selbstverständlich eine Liedkunst, in der die Musik nur eine bescheidene
Hintergrundsuntermalung für einen freien Gedichtvortrag war. So war Goethe der Meinung,
dass sich der Komponist an die äußeren Gegebenheiten des Gedichts in seiner Vertonung
halten solle: Strophische Lieder verlangen beispielsweise nach einer strophischen Vertonung,
da eben mit der einen Melodie nur die Hauptempfindung des Gedichts hervorgehoben werden
sollte. So würde beim Durchkomponieren „der allgemein Lyrische Charakter ganz
aufgehoben und eine falsche Teilnahme am Einzelnen gefordert und erregt.“3 Es wird also
gefordert, dass der Komponist seine individuelle Interpretation des Textes und deren
musikalische Umsetzung zum Vorteil von äußeren Strukturen und der Intention des Autors
aufgibt.4
1
Nägeli, G., Die Liederkunst, in: Allgemeine Musikalische Zeitung, Leipzig 1817, Nr.45., Sp.766. Im Folgenden
zitiert als: „Nägeli, Liederkunst“.
2
Schmierer, E., Geschichte des Liedes, Laaber 2007, S.101.
3
Platinga, L. Theorie und Praxis bei der Liedkomposition bei Robert Schumann, in: Scher, S. (Hrsg.), Literatur
und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes, Berlin 1984, S.
117-137, S.117. Im Folgenden zitiert als: „Platinga, Liedkomposition“.
4
Vgl. Platinga, Liedkomposition, S.119ff.
1
So bleibt zu fragen übrig, welche Entwicklungen und Ideen der Romantiker in solch starkem
Maße gewirkt haben, dass das Kunstlied schließlich zu einer echten Verbindung von Dichtung
und Musik wurde, in welcher Text und Musik, Singstimme und Begleitung als gleichwertige
Partner eine Einheit, ein neues Ganzes bilden. Deshalb sollen nun zunächst die theoretischen
Grundlagen der Romantik erläutert werden, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben und
vor allem soll dabei gezeigt werden, welche besondere Bedeutung die Musik für die
Romantiker hatte. Anschließend seien die konkreten romantischen Vorstellungen dann, wie
ein solches Kunstganzes auszusehen habe, dargestellt. Zuletzt soll an Beispielen aus
Schumanns Liederzyklus op. 39 versucht werden, die Mittel, mit welchen dieses Kunstganze
letztendlich entsteht, aufzuzeigen.
2. Auswirkungen des romantischen Gedankenguts auf
Literatur und Musik
Da die Ideen der Romantik ihren Keim in der Literaturtheorie haben, liegt es nahe, dass auch
die Gedanken der Gattungsauflösung zunächst auf der Ebene der Literatur entstehen. Als
erster fasst Friedrich Schlegel mit seiner Theorie der „progressiven Universalpoesie“ diese
Entwicklung in Worte:
„Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht
bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen [...]. Sie will und soll auch
Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald
verschmelzen [...].“5
Literarisch gesehen ergibt sich daraus die Konsequenz, alle bisherigen Gattungen, wie Drama
und Prosa, Lyrik, Lieder und Erzählungen aufzulösen, sodass sie als universales
Gesamtkunstwerk die Einheit und Unendlichkeit der Welt spiegeln. Die bisherigen Formen
erschienen den Romantikern zu starr und beengt, als dass man mit ihnen eine solche Vision
hätte umsetzen können. Deshalb wendete man sich in der Literatur einer bisher
unbedeutenden Gattung, dem Roman, zu. Er hatte die nötigen Kapazitäten sämtliche andere
Gattungen in sich aufzunehmen, was sich deutlich in den eingearbeiteten Liedern, Gedichten
und Briefen romantischer Romane zeigt. 6
Doch die Literatur genügte den Romantikern bald nicht mehr und so fordert Novalis wenig
später:
5
Uerlings, H. (Hrsg.), Theorie der Romantik, Stuttgart 2000, S.79.
6
Grenzmann, L., Romantik, in: Bark, J., Steinbach, D. (Hrsg.), Geschichte der deutschen Literatur, Leipzig
2002.
2
„Die Welt muss romantisiert werden. [...] Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem
Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem
Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es [...].“7
Die Kunst im Allgemeinen soll also die Welt der Menschen romantisieren, indem sie dem
Geheimnisvollen, Unbekannten und Unendlichen, das heißt in gewisser Weise auch dem
Mystischen und Übernatürlichen, einen Platz in der von rationellem Denken geprägten Welt
einräumt. Damit werden neben der Literatur auch die Bildende Kunst und die Musik
aufgefordert sich in diesen Prozess einzubringen. Am umfassendsten erscheint die
Romantisierung, wenn alle Künste zusammenwirken. Damit erschließt sich nun auch die
gewichtige Bedeutung und Funktion, die die Musik für die Romantiker hatte. E.T.A.
Hoffmann bezeichnet sie sogar als
„die romantischste aller Künste, beinahe möchte man sagen, allein echt romantisch, denn nur
das Unendliche ist ihr Vorwurf. [...] die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich
auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußeren Sinneswelt [...].“8
Die Romantiker, welchen das ureigenste Gefühl und nicht rationale Überlegungen als
Urteilskriterium galten, waren sich der überaus mächtigen Wirkung der Musik auf das Gemüt
des Menschen durchaus bewusst. In diesem Sinne erscheint den Romantikern die Musik als
wichtiges Mittel, ihr Ziel, die Poetisierung der Welt und dem Übernatürlichen, Sinnlichen, das
nicht mit Ratio zu Fassende, einen Platz in der Welt zu geben, umzusetzen. So ist es nicht
weiter verwunderlich, dass bald Versuche gemacht werden, Gedichte mithilfe von Musik aus
ihrer fassbaren Begrifflichkeit zu befreien, indem man die Gattung des Kunstliedes schafft
und damit eine neues höheres Kunstganzes.
3. Die romantische Vorstellung vom Kunstlied
Auch wenn die Romantiker eindringlich eine Verschmelzung aller Kunstgattungen fordern, so
findet man relativ wenig theoretische Schriften darüber, wie eine Verbindung zunächst von
Wort und Ton aussehen solle, damit tatsächlich ein solches Kunstganzes entsteht.
Eine Ausnahme bildet hier Georg Nägeli, der in seinem Aufsatz „Die Liederkunst“ in der
Allgemeinen Musikalischen Zeitung aufzeigt, wie die literarischen und musikalischen
Komponenten des Liedes zu vereinigen sind, damit ein neues Gesamtes entsteht.
7
Novalis, Das theoretische Werk, in: Schulz, G. (Hrsg.), Novalis Werke, München 1969, S.384.
Hoffmann, E.T.A., Kreislerianer, in: ders., Fantasiestück in Callots Manier, Poetische Werke in sechs Bänden,
Berlin 1963, Bd.1, S.98.
8
3
Zunächst beschreibt er, wie die beteiligten Größen, Stimme, Sprache – also der Gedichttext –
und Spiel, hervorgehoben werden können. Bei der Sprache kann das normale regelmäßige
Metrum des Gedichts, indem man „die Längen mehrfach längt und [...] die Kürzen mehrfach
kürzt“9 zu einem „höhern Sang-Rhythmus gesteigert“10 werden. Des Weiteren wird der
Gedichttext durch syllabische Vertonung und Wiederholung der bedeutsamen Stellen
unterstrichen. Die Aufmerksamkeit des Zuhörers wird durch einen großen Ambitus und
schnellen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme auf die Singstimme gelenkt. Auch wird
der Einsatz von Melismatik zur Hervorhebung der Singstimme propagiert, da diese als „eine
Perle“11 der Liederkunst gesehen wird. Auch die sogenannten „Schwelltöne“12 – gemeint sind
lang ausgehaltene Töne in der Singstimme - heben die Stimme hervor. Hier schon lassen sich
also erste Neuerungen zu Goethes althergebrachter Meinung feststellen, da durch die
Singstimme, welche die engste Verbindung zwischen Dichtung und Musik darstellt, die
musikalische Komponente in den Vordergrund rücken darf, dies sogar erwünscht wird. Somit
ist also schon ein großer Schritt hin zur Gleichberechtigung der beiden Künste geschehen.
Doch Nägeli geht in seinen Forderungen noch weiter, um dem musikalischen Part mehr
Spielraum zu geben. Dieser tritt laut Nägeli hervor, „wenn das Instrument einen andern,
hauptsächlich geschwindern [...] Rhythmus hat, als der Rhythmus der Singstimme.“ 13 Es soll
zu einer wirklichen Umspielung der Melodie kommen, indem die Begleitung „fortschreitet,
während die Stimme weilt.“14. Dies sei der „wahre Styl des obligaten Accompagnements.“15
Genauso betont er die Wichtigkeit der Vor- Zwischen- und Nachspiele, welche das Gedicht
unterteilen und damit schon einen Hinweis auf die hinter den greifbaren Worten liegende
Intention der Dichtung geben. So wird dem musikalischen Part eine eigenständige
Lebensberechtigung zugestanden, der seinen Beitrag zum Kunstwerk liefert und nicht mehr
zur bloßen Hintergrundsuntermalung degradiert wird.
Die Vollendung des Kunstliedes ist erreicht, wenn alle diese Kunstmittel in gleichen Teilen
Berechtigung finden. Dadurch werden poetische und musikalische Ideen zu einem Ganzen
verschmolzen – „Sprach-, Sang- und Spiel-Rhythmus [werden] zu einem höhern Kunstganzen
verschlungen“. Damit sieht Nägeli beinahe hellsichtig einen „höheren Liederstyl und daraus
eine neue Epoche der Liederkunst [...] hervorgehen“16.
9
Nägeli, Liederkunst, Sp.761.
Nägeli, Liederkunst, Sp.762.
11
Nägeli, Liederkunst, Sp.764.
12
Nägeli, Liederkunst, Sp.764.
13
Nägeli, Liederkunst, Sp.763.
14
Nägeli, Liederkunst, Sp.763.
15
Nägeli, Liederkunst, Sp.764.
16
Nägeli, Liederkunst, Sp.765.
10
4
Auch Robert Schumann, dessen Liederkreis im Anschluss interpretiert werden soll, äußerte
als einer von wenigen Komponisten theoretische Gedanken zur Liederkunst. Er war als
Rezensent für die Neue Zeitschrift für Musik tätig und entwickelte in Zusammenhang damit
selbst Theorien und Prinzipien, wie Liederkunst aussehen sollte. Auch er sieht wie Nägeli
eine neue Blüte des Kunstliedes kommen, da dies die einzige musikalische Gattung sei, „in
der seit Beethoven ein wirklich bedeutender Fortschritt geschehen.“17. Doch er geht in seinen
Forderungen nach einer Gleichberechtigung und damit nach einer Einheit der Künste in einem
neuen Kunstwerk noch weiter als Nägeli. Es genügt ihm weder, dass die Klavierbeleitung die
Singstimme nur umspielt, noch, dass sie - wie Goethe fordert – nur die Hauptempfindung des
Gedichts wiedergibt. Er möchte, dass „sie [die Musik] jeder Bewegung des Gedichts
nachfolgt [... und] den Sinn des Textes bis auf das einzelne Wort genau in der Musik“18
ausprägt. Er ist also der Meinung, dass auch einzelne emotionale Wechsel und Schattierungen
des Gedichts in der Musik wiedergegeben werden müssen. Diese sind natürlich vom
subjektiven Empfinden des Komponisten abhängig und dessen Interpretation des Textes. So
gesteht Schumann auch diesem einen kreativen Anteil am Schaffungsprozess des Liedes zu,
sodass das Lied als etwas Neues und Eigenständiges erscheint. Die Musik soll also den
feineren, ästhetischen Wert des Gedichtes aufzeigen und den wahren Wert der Dichtung, der
hinter den eigentlichen Worten liegt, deutlich machen. So lehnt es Schumann konsequent ab,
strophische Gedichte, strophisch zu vertonen, da die emotionale Entwicklung eines Gedichts
nicht nur mit einer einzelnen Melodie nachgezeichnet werden kann. Er geht noch weiter und
vertritt die Ansicht, dass eben „die Singstimme allein nicht alles wirken, nicht alles
wiedergeben kann; neben dem Ausdruck des Ganzen sollen auch die feineren Züge des
Gedichts hervortreten [...]“19. Hier zeigt sich, dass Schumann nicht nur eine generelle
Gleichstellung von Wort und Ton favorisiert, sondern auch die Begleitung gegenüber der
Singstimme deutlich an Gewicht gewinnen lässt. Die Expressivität eines Liedes hängt
nämlich vor allem, so Schumann, von einer ausdruckstarken, beweglichen Klavierbegleitung
ab.
Welche musikalischen und dichterischen Mittel im einzelnen dazu beitragen, das hohe Ziel
eines höhere Kunstganzen aus Literatur und Musik zu schaffen, zu erreichen, soll nun im
Folgenden versucht werden aufzuzeigen.
17
Robert Schumann, in: Schumann, R. (Hrsg.), Neue Zeitschrift für Musik, Leipzig 1843, Bd. 19, S.34f. Im
Folgenden zitiert als: „Schumann, NZfM“.
18
Schumann, NZfM, 1840, Bd. 13, S.118.
19
Schumann, NZfM, 1843, Bd. 18, S.120.
5
4. Der Liederkreis
4.1. Allgemeine Daten des Werkes
Die Entstehung des Eichendorffschen Liederzyklus fällt in die Zeit der zermürbenden
Auseinandersetzungen Schumanns mit Friedrich Wieck und der daraus resultierenden
Schaffenskrise. Erst im Januar 1840 schöpft er neue künstlerische Kraft und er beginnt –
nachdem er zunächst 23 reine Klavierwerke geschrieben hatte – Lieder zu komponieren. An
seine Braut Clara schreibt er: „Ach Clara, was das für eine Seeligkeit ist für Gesang zu
schreiben, die hatt’ ich lange entbehrt!“20 Damit zeigt er schon wie sehr er das romantische
Programm der Gattungsverschmelzung, vielleicht unterbewusst, verinnerlicht hat.
Er komponiert den Eichendorff-Liederzyklus im Mai 1840 innerhalb nur weniger Tage.
Dieser spiegelt teilweise auffallend genau die äußeren Lebensumstände Robert Schumanns
und seiner Braut wider und auch seine Ängste, Clara zu verlieren.
Dabei ist auffällig, dass Schumann die Lieder Im Walde und Auf einer Burg zunächst an das
Ende des Zyklus stellen wollte. Das Bild einer verfremdeten Hochzeit Im Walde erscheint vor
dem kalten, hoffnungslosen Lied Auf einer Burg. Dabei ist anzunehmen, dass der versteinerte
Ritter mit Friedrich Wieck gleichgesetzt werden kann und der Schlusssatz „Und die schöne
Braut die weinet“ von der Hoffnungslosigkeit Schumanns zeugt, Clara doch nicht als Braut
heimführen zu können
Doch in der Endfassung bildet das euphorisch gestimmte Frühlingsnacht den Schluss. Als
Grund für diese Veränderung unschwer zu erkennen, ist wohl die vom Gericht erteilte
Heiratserlaubnis am ersten August 1840. Damit besitzen die Gefühle, aus welchen heraus der
Zyklus zunächst entstand, kein Lebensrecht mehr, ebenso wie der Urzyklus. Deshalb ist der
Eichendorffzyklus nicht als programmatische Folge, sondern vielmehr als eine Einheit
romantischer Vielfältigkeit von Stimmungen und Erlebnissen zu sehen.
Gemäß seiner theoretischen Ausführungen versucht Schumann auf mehreren Ebenen die
Gedichttexte musikalisch zu interpretieren. Einerseits mit der Melodie der Singstimme,
andererseits mit der Klavierbegleitung, die insbesondere in den Vor- und Nachspielen einen
Kommentar zu den Geschehnissen liefert. Des Weiteren spielt die Tonartengebung bei
Schumann eine wichtige Rolle, da Tonarten in langer Tradition der Musikgeschichte als
symbolbeladen galten. So bedient sich Schumann ihrer oft um den generellen Charakter und
die Stimmung des Gedichtes umzusetzen.
20
Dannenberg, P., Das kleine Schumann-Buch, Reinbek bei Hamburg 1983, S.74.
6
Im Folgenden soll nun der Versuch einer Interpretation - anhand ausgewählter Lieder, um den
Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen - gemacht werden und gleichermaßen die Mittel, mit
welchen Schumann die Intention der Eichendorffgedichte umgesetzt hat, herauszuarbeiten,
ohne den Anspruch zu stellen, die Gesamtheit differenzierter Kunst, klanglicher
Charakterisierung und Darstellung erfassen zu wollen.
4.2. Interpretation
4.2.1. Waldesgespräch
Waldgespräch
Es ist schon spät, es ist schon kalt,
Was reit’st Du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, Du bist allein,
Du schöne Braut! Ich führ dich heim!
„Groß ist der Männer Trug und List,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh! Du weißt nicht wer ich bin.“
So reich geschmückt ist Roß und Weib,
So wunderschön der junge Leib,
Jetzt kenn ich Dich – Gott steh mir bei!
Du bist die Hexe Loreley.
„Du kennst mich wohl – von hohem Stein,
Schaut still mein Schloß tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es ist schon kalt,
Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“21
Ursprünglich wird das Gedicht Waldgespräch in dem Roman Ahnung und Gegenwart (1811)
von zwei Charakteren gesungen, die mit einer Jagdgesellschaft abends am Rheinufer lagern.
Es wird also schon durch die äußeren Umstände Bezug auf den Loreleistoff genommen22.
Dem Titel – Waldgespräch – folgend, nimmt das Gedicht die Form eines Zwiegesprächs an,
wobei die erste und dritte Strophe von einem Mann gesprochen werden, die Zweite und Vierte
von einer Frau.
21
Eichendorff, J., Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. Historisch-Kritische Ausgabe,
1913/1923, Bd.3. Im Folgenden zitiert als: „Eichendorff, sämtliche Werke“.
22
Bernsmeier, H., Literaturwissen Joseph von Eichendorff, Stuttgart 2000, S.128. Im Folgenden zitiert als:
„Bernsmeier, Literaturwissen“.
7
In der ersten Strophe ruft der Mann selbstsicher und siegesbewusst die Frau an, um Besitz von
ihr zu ergreifen, „ohne sie überhaupt nur zu fragen“23; daraufhin erhält er eine Zurückweisung
auf seine doch recht dreiste Forderung, wohl auch, da die Reisende schon zuvor schlechte
Behandlung durch Männer erfahren musste und so gibt sie ihm den Rat zu fliehen (vgl.
Strophe 2). Als er nun in der dritten Strophe in ihr die „Loreley“ erkennt und damit auch die
Gefahr, in der er schwebt, dämonisiert er sie sofort als „Hexe“ (V12). 24 In der vierten
Strophe bestätigt sie seine Vermutung und verdeutlicht ihm seine nunmehr auswegslose
Situation: „Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“(V16).
Das Gedicht ist in volksliedhaften Strophen abgefasst, mit streng durchgehaltenen vierhebigen
Jamben, Paarreimen und ausnahmslos männlichen Kadenzen. Dieses formale Korsett spiegelt
die Starrheit des Verzaubertseins und auch die auswegslose Situation des Sängers wider.
Auch das „Waldhorn“ (V7) symbolisiert in diesem besonderen Kontext den durch den Wald
irrenden Menschen. Dem Wald, als Ort für das Gespräch, kommt ebenfalls symbolische
Bedeutung zu. In der Romantik versinnbildlicht der Wald den Ursprung des Mystischen und
ist gleichzeitig Symbol der „verführerischen heidnischen Gottheiten […] die den falschen
Weg weisen“25, in diesem Fall verkörpert durch die „Hexe Loreley“(V12). Der Mann ist
geblendet von Schönheit und Reichtum der Lorelei, was durch die ausdrucksstarken,
bildreichen Adjektive wie „reich geschmückt“ (V9) und „so wunderschön“ (V10)
veranschaulicht wird, welche durch Hyperbation und Wiederholung am Versanfang noch
betont werden.
Dieses Gedicht vertont Schumann in E-Dur. In diesem Fall steht E-Dur für „glänzende
Naturbilder“26 und versinnbildlicht schon so den Wald als Rahmen des Geschehens. Nach
jeder Strophe kehrt die Melodie zu dieser Ausgangstonart zurück. Dieses Gefangen-Sein in
der Tonart steht somit auch als Symbol für das Gefangen-Sein des Sängers im Zauberwald.27
Im viertaktigen Klaviervorspiel wird eine Melodie vorgestellt, deren Hornquinten im Bass (EH) symbolträchtig für den Zauberwald stehen.
In Takt fünf setzt nun die Singstimme mit dem männlichen Part ein, während die Melodie des
Klaviervorspiels weiterläuft. Wie sehr sich der Mann in der Rolle des der Frau Überlegenen
sieht (V2: „was reit’st Du einsam durch den Wald?“) wird zusätzlich durch die chromatisch
aufsteigende Modulation nach dis-moll erhellt (Takt 10f). Das Siegesbewusstsein des
23
Bernsmeier, Literaturwissen, S.125.
Bernsmeier, Literaturwissen, S.125.
25
Bernsmeier, Literaturwissen, S.125.
26
Knaus, H., Musiksprache und Werkstruktur in Robert Schumanns „Liederkreis“, München/Salzburg, 1974,
S.32. Im Folgenden zitiert als: „Knaus, Liederkreis“.
27
Vgl. Knaus, Liederkreis, S.32.
24
8
Mannes, die schöne Frau heimzuführen, wird durch den „Paukenwirbel des Basstrillers“28
(Takt 13) der Klavierunterstimme unterstrichen und in Takt 14 durch den markanten
Rhythmus, unisono in Klavier und Singstimme, noch verstärkt.
Die zweite Strophe leitet Schumann in einem fremd wirkenden C-Dur ein, das wie seine
Sängerin nicht von dieser Welt zu sein scheint. Die gebrochenen Akkorde, welche die
Melodie der Lorelei begleiten, erinnern an Harfenklänge und bilden, da piano gespielt, einen
weiteren Kontrast zur ersten Strophe. Das gebrochene Herz der Lorelei wird durch die
Viertelpause in Takt 21 und den verminderten Septakkord auf „Herz“ (V6) kongenial
musikalisch umgesetzt. In Takt 24 ändert sich nun der überirdische Charakter der Strophe,
denn statt der „Harfenbegleitung“ wird durch einen chromatischen Abstieg in der
Klavierstimme ein Spannungsaufbau hervorgerufen. Bedrohlich wird so die Gefahr, die von
der Hexe ausgeht, gleichzeitig aber auch das schmerzliche in sich Gefangensein des
Zauberwesens, dargestellt. Dem Hin- und Herirren des „Waldhorns“ (V 7) korrespondieren
Oktavsprünge, dir mit Achtel- Pausen durchsetzt sind.
Die dritte Strophe steht erneut in E-Dur. Musikalisch wird eine beinahe identische
Anfangssituation skizziert, unterstrichen durch die gleiche Klavierbegleitung, bis der Sänger
in Takt 40 voll Schrecken die „Loreley“ erkennt. Nachgezeichnet wird dieser Schreck durch
das unvermittelt einsetzende Forte in allen Stimmen, sowie der sprunghafte, plötzliche
Tonartenwechsel nach G-Dur. Als Überleitung zur vierten Strophe verwendet Schumann
erneut eine harfenartige Akkordbegleitung. Die grelle absteigende Chromatik stellt deutlich
den Sieg der Hexe dar. Die in Takt 55 in extremer Stimmlage einsetzenden Verwünschungen
der Hexe werden noch verstärkt durch hämmernde Akkordrepetitionen in der Klavierstimme
und besonders in Takt 59 durch Akzente. Der markante punktierte Rhythmus wird von der
Klavierstimme in Takt 61 sogar noch übernommen. Die eindringliche dreimalige
Wiederholung „nimmermehr“ (T 60-63) veranschaulicht die Endgültigkeit des Schicksals des
Sängers. Das Klaviernachspiel greift erneut das Thema des Vorspiels in E-Dur auf. Allerdings
sind die Klangfolgen des Vorspiels echoartig miteinander verwoben und dem Schaurigen
durch das beruhigende Ritardando entzogen29.
28
29
Knaus, Liederkreis, S. 33.
Vgl. Knaus, Liederkreis, S.39.
9
4.2.2. Mondnacht
Mondnacht
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Dass sie im Blütenschimmer
von ihm nur träumen müßt’.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Aehren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.30
Mondnacht, der Inbegriff romantischer Lyrik, wurde zum ersten Mal 1837 in der Sammlung
Geistliche Lieder veröffentlicht31. Der eigentliche Inhalt ist recht schnell zusammengefasst:
die beiden ersten Strophen beschreiben eine Frühlings- oder Sommernacht, während in der
dritten Strophe die Seele des lyrischen Ichs zu Gott zurückkehrt. Doch bei näherer
Betrachtung schuf Eichendorff in dieser Einfachheit versteckt eines der romantischsten
Gedichte überhaupt.
Bei diesem Gedicht ist die räumliche Struktur äußerst wichtig. Es kommt zu einer
Entgrenzung der in den drei Strophen angesprochenen Räume Himmel (erste Strophe), Luft
(zweite Strophe) und Erde (dritte Strophe), die dadurch im Ganzen eine Einheit bilden. In der
ersten Strophe kommt es zu einer vertikalen Bewegung des Himmels hin zur Erde: „Es war
als hätt der Himmel die Erde still geküßt“(V1/2). Auch die abwechselnd männlichen und
weiblichen Kadenzen scheinen die hier dargestellte Berührung von Himmel und Erde noch zu
unterstreichen. Die geradezu überirdische Schönheit dieses Augenblicks wird durch den
Neologismus „Blütenschimmer“ (V3) als Verbindung von Irdischem („Blüten“) und
Überirdischem („Schimmer“) noch verstärkt. So stellt der Autor hier, in einer einzigen großen
Metapher, den Horizont dar.
In der nächsten Strophe wird die horizontale Bewegung der Luft (vgl. V5: „Die Luft ging
durch die Felder“) beschrieben, die ebenfalls eine Verbindung von Himmel und Erde darstellt.
Die bildhaft Sprache wie zum Beispiel die Personifizierung der Luft („Die Luft ging“ V5)
oder auch der Neologismus „sternklar“ (V8) betonen, dass die dargestellte Situation der Welt
30
31
Eichendorff, Sämtliche Werke, Bd.1,1.
Vgl. Knaus, Liederkreis, S.48.
10
der Gefühle angehört, und ihr Sinn nicht mit Ratio erfasst werden kann. In der zweiten
Strophe verwendet Eichendorff auch viele idyllischen Bilder wie das Rauschen der Wälder
(vgl. V7) oder die wogenden Ähren (vgl. V6), die den formalen volksliedhaften Aufbau, drei
Strophen à vier Verse mit regelmäßigem dreihebigem Jambus, noch unterstreichen. In der
letzten Strophe kommt zum ersten Mal, zumindest indirekt, das lyrische Ich vor (vgl. V9:
„meine Seele“). Hier wird durch die aufsteigende menschliche Seele eine vertikale Bewegung
nach oben beschrieben, sodass die räumliche Struktur im Gesamten betrachtet einen Rahmen
bildet: die Bewegung des Himmels nach unten, die horizontale Bewegung der Luft und die
aufsteigende Bewegung der Seele. Dieser Rahmen scheint die Einheit der Welt zu
symbolisieren, die in der dritten Strophe noch näher beschrieben wird. Durch die Annäherung
Himmel und Seele zeigt sich die Eingebundensein des Menschen in die göttliche Natur. Diese
Rahmenbildung findet sich auch in der Sprache wieder. Durch die typisch romantische „Alsob“-Konstruktion in Verbindung mit dem Konjunktiv „als hätt’“(V1) und „müßt’“(V4) wird
nochmals die zauberhafte Irrealität der Szene betont. In der zweiten Strophe wird
durchgehend der Indikativ verwendet, während der letzte Vers (vgl. V12: „als flöge“) erneut
im Konjunktiv steht. Dieser bettet somit das Gedicht auch sprachlich in einen irrealen
Rahmen ein. Der letzte Vers dautet auf die für manche Romantiker typische tiefe Religiosität
hin. Durch die letzten Worte „nach Haus“ (V12) kommt vielleicht auch eine gewisse
Todessehnsucht des lyrischen Ichs zum Ausdruck und somit auch die romantische
Vorstellung, im Tode eine ewige Heimat bei Gott zu finden. So kann der Mensch nur durch
eine tiefe Hinwendung zum Glauben und zu Gott erlöst werden.
Als Tonartensymbol für überirdische Naturerscheinungen wählt Schumann erneut die Tonart
E-Dur. Das Klaviervorspiel verwirklicht auf großartige Weise die Raumgestaltung des
Gedichtes. In dem Schumann den tiefsten Ton H und den höchsten Ton Cis3 direkt
nebeneinander stellt, entsteht der Eindruck zweier weit auseinander liegender Pole, wie
Himmel und Erde. Wie im Gedicht erfolgt nun eine Annäherung. Die beiden entfernten
Tonbereiche bewegen sich durch den Aufstieg Basslinie und die absinkende Oberstimme,
ähnlich der im Gedicht beschriebenen Begegnung zwischen Himmel und Erde, auf einander
zu, bis sie sich in T6 im Sekundenintervall „aneinanderschmiegen“32. Da Schumann das Stück
mit der Dominante beginnen lässt - die Tonika wird erst in Takt zehn festgelegt - scheint die
Musik in der Schwebe zu bleiben. Sie zeichnet somit das Unwirkliche und Unbestimmte des
Textes auf das Genaueste nach. Die in Takt fünf einsetzenden pochenden Sechzehntel32
Vgl. Gerstmeier, Gerstmeier, A., Göllner, T., (Hrsg.), Die Lieder Schumanns Zur Musik des frühen 19.
Jahrhunderts, Tutzing 1982, S.24. Im Folgenden zitiert als: „Gerstmeier, Lieder.“
11
Repetitionen charakterisieren die lebendige
Nachtlandschaft, wobei speziell die
Sekundenketten das Flimmern des Mondes umzusetzen scheinen. In Takt sieben setzt nun die
Singstimme ein, wobei sie ihre dreitaktigen Phrasen immer auftaktig beginnt und so die
regelmäßigen Volksliedstrophen des Gedichtes zum Ausdruck bringt. Die Sekund H-Cis in
der Klavierstimme verkörpert das Verzauberte, Flimmernde, Unwirklich-Traumhafte der
sommerlichen Mondnacht und entspricht wohl dem sprachlichen Konjunktiv „es war als
hätt’….“ (V1). Die hohe Lage der rechten Hand scheint den Himmel zu verkörpern, wobei die
tiefe Basslinie der linken Hand die Erde versinnbildlicht. In Takt sieben bis neun zeichnet die
Melodiekurve der Singstimme die Wölbung des sich zur Erde neigenden Himmels nach, die
sich nun ihrerseits in einer nach obengerichteten Bewegung auf den Himmel zu bewegt
(T12/13). Die beiden begegnen sich in der Mitte der Oktave von E-Dur, auf der Dominante H,
die so den Berührungspunkt zwischen Himmel und Erde, also den Horizont, zu symbolisieren
scheint33.
Nach einem kurzen Klavierzwischenspiel, in dem das Thema des Klaviervorspiels
aufgegriffen wird, folgt die zweite Strophe, die relativ genau dem Muster der ersten folgt.
Zweite und dritte Strophe verbindet jedoch kein Zwischenspiel, sodass die dritte Strophe als
Coda der zweiten Strophe erscheint. Ab Takt 43 dynamisiert sich das Geschehen zusehends,
vor
allem
durch
die
Übernahme
der
pochenden
Sechzehntelbegleitung
in
der
Klavierunterstimme. So ergreift die Erregtheit der Natur nun auch das lyrische Ich, das jetzt
zum ersten Mal im Text (vgl. V3: „meine Seele“) auftaucht. Eine besonders zauberhafte
musikalische Umsetzung gelingt Schumann auch bei dem Bild der in den Himmel fliegenden
Seele. Im Klavierpart in Takt 47 greift er auf dem Wort „spannte“ das Thema aus Takt eins
wieder auf, sodass der Eindruck entsteht, die Seele befinde sich nun tatsächlich im Himmel.
Erst in Takt 53 bei den Worten „nach Haus“ sinkt die Singstimme auf den Grundton ab und
auch die Klavierbegleitung beruhigt sich nach und nach. Im Nachspiel greift diese die ruhige
Basslinie des Anfangs auf und symbolisiert so das endgültige Ruhe-finden des lyrischen Ichs.
33
Absatz und Grafik vgl. Gerstmeier, Lieder, 1982, S.27.
12
4.2.3. Zwielicht
Zwielicht
Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken zieh’n wie schwere Träume –
Was will dieses Grau’n bedeuten?
Hast ein Reh du, lieb vor andern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger zieh’n im Wald und blasen,
Stimmen hin und wieder wandern.
Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug’ und Munde,
Sinnt er Krieg im tück’schen Frieden.
Was heute müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren.
Manches geht in Nacht verloren –
Hüte dich, bleib’ wach und munter!34
Wie das Gedicht Waldgespräch stammt auch Zwielicht aus Eichendorffs Roman Ahnung und
Gegenwart.35
In der ersten Strophe wird eine düstere, unheilschwangere Atmosphäre geschaffen: Das
lyrische Ich empfindet die beschriebene Natur als Bedrohung. Als korrespondierende
Landschaft gesehen, spiegelt die Naturbeschreibung die beklemmende Ungewissheit des
lyrischen Ichs wider, die auch am letzten Vers (V4) besonders deutlich wird: „Was soll
dieses Grau’n bedeuten?“ Der Vergleich der Wolken mit „schweren Träumen“ (V3) verstärkt
noch den Eindruck dunkler Ahnung. Der unheimliche Eindruck, den die Strophe beim Leser
hinterlässt, wird durch die Personifikation der „Bäume“ (V2) und der „Dämmrung“ (V1)
hervorgerufen, sowie die Verwendung negativer Adjektive (vgl. V2: „schaurig“).
Die folgenden Strophen lassen erahnen, woraus die Bedrohung bestehen könnte. In der
zweiten Strophe warnt das lyrische Ich davor, die Geliebte, dargestellt durch eine chiffrierte
Metapher (vgl. V5: „Reh“), allein zu lassen, da andere „Jäger“ (V7) sie verführen könnten36.
Die dritte Strophe zeigt, dass im Zwielicht selbst guten Freunden nicht mehr zu trauen ist.
Scharf hervorgehoben wird das durch die antithetische Gegenüberstellung von „Freund“ (V9)
34
Eichendorff, Sämtliche Werke, Bd. 1,1.
Nach Knaus, Liederkreis, S.77
36
Vgl. Borries, E.&E., Deutsche Literarturgeschichte, Romantik, München 1997, Bd.5.
1997, S.333. Im Folgenden zitiert als: „Borries, Literaturgeschichte.“.
35
13
und „Trau ihm nicht“ (V10) sowie „freundlich“ (11) und „Krieg im tück’schen Frieden“
(V12).
Möchte man dieser Strophe einen historischen Bezug beilegen, so zeigt sich wohl die
unsichere politische Situation in Deutschland vor den Befreiungskriegen37 als naheliegend.
Die vierte Strophe erscheint zunächst hoffnungsvoll, da sie in den ersten beiden Versen auf
den zuverlässigen Wechsel von Tag und Nacht, und damit auf das Bestehen der großen,
göttlichen Ordnung trotz ungewisser, schwerer Zeiten, hinweist. Doch dieser Trost wird
abgeschwächt durch Vers 15: „Manches geht in Nacht verloren“. Die Angst, Liebe und
Freundschaft könnten untergehen, dafür aber andere „Grau’n“ (V4) überleben. Deshalb
spricht das lyrische Ich eine Warnung aus, da nur vergrößerte Aufmerksamkeit diese dunkle
Situation abwenden kann: „Hüte dich, bleib wach und munter!“ (V16)
Dieses Gedicht vertont Schumann in e-moll, zu Recht, wenn man den „tragischen
Ausdruckscharakter“38 dieser Tonart bedenkt. Das siebentaktige Klaviervorspiel versetzt den
Zuhörer noch vor dem Einsetzten der Singstimme in die düstere, unheilvolle Atmosphäre des
Gedichts. Es beginnt auftaktig und ist mit vielen Synkopen durchsetzt. Zusätzlich setzt zu
Beginn des zweiten Taktes eine zweite Stimme ein. Die entstandene Polyphonie scheint den
hin und her wandernden Stimmen zu entsprechen. Dies alles führt zu verunklarten tonalen
und metrischen Verhältnissen und spiegelt so den Titel des Gedichts wider: „Zwielicht“ 39
Hinzu kommt als prägendes Intervall der Tritonus, aufgrund seiner scharfen Dissonanz
oftmals als diabolus in musica bezeichnet, der dem Gedicht eine noch beklemmendere Note
verleiht. Die so geschaffene Vielschichtigkeit der Musik veranschaulicht das unklar
Geheimnisvolle des Textes.
In Takt elf spiegelt sich das Regen der Bäume in dem Melisma wider, wobei der Eindruck des
Schaurigen durch den Spannungsklang der entstehenden Sekundendissonanz zwischen Singund Klavierstimme noch unterstrichen wird. Die anderen düsteren Schlagworte wie
„Dämmrung“ (V1), „Wolken“ (V3), „schwere Träume“ (V3) realisiert Schumann als analoges
Geschehen im Klavierpart, indem er Melodie und Struktur des Vorspiels während der
gesamten ersten Strophe als Kontrapunkt beibehält. Es werden also keine sprachlichen
Einzelmomente dargestellt, vielmehr wird der generelle Gedichtinhalt treffend charakterisiert.
Eine Änderung dieser musikalischen Umsetzung erfolgt erst in Takt 14, in welchem die
rezitative Stimmführung die reflexive Frage „Was will dieses Grau’n bedeuten?“ (V4) des
lyrischen Ichs aus dem zwielichten Dämmerungszustand heraushebt40.
37
Vgl. Borries, Literaturgeschichte, S.334.
Vgl. Knaus, Liederkreis, S.80.
39
Vgl. Gerstmeier, Lieder, S.74f.
40
Vgl. Knaus, Liederkreis, S.77.
38
14
Durch die kontrapunktische Stimmenverflechtung ab Takt 24 wird das trügerische,
verwirrende Geschehen der dritten Strophe nachgezeichnet: Klavier- und Singstimme werden
zahnradartig so gegeneinander verschoben, dass dissonante Sept- und Nonenklänge entstehen.
Dadurch wird sehr tonmalerisch die Falschheit des Freundes dargestellt.41
In der vierten Strophe ähnelt die Singstimme zwar sehr den vorausgegangenen Strophen, aber
die Klavierstimme zeigt ein völlig anderes Verhalten: Kompakte Akkordgebilde schaffen
gemäß der Intention des Textes, dass die göttliche Ordnung bestehen bleibt, klare
musikalische Verhältnisse.
Dennoch hat die sentenzenhafte Warnung am Schluss „Hüte dich, bleib wach und munter!“
(V16) durch einen „Sprung in die Tiefe“42 einen geradezu „paranoiden Affekt und zeigt
deutlich die…nicht hoffnungsvoll vertrauende Persönlichkeit des Komponisten, dem das
Gedicht eben nicht anders interpretierbar war.“43
5. Resümee
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Schumann die Verschmelzung von Gedicht und
Musik auf mehreren Ebenen in seinen Liedern verwirklicht.
Zuerst zu nennen wäre hier die Melodie, die im Liederkreis fast ausschließlich der
Singstimme vorbehalten ist. Dadurch, dass in der Melodie Wort und Ton am engsten
miteinander verbunden sind, erscheint die Verschmelzung zu einem neuen Kunstwerk an
dieser Stelle besonders plausibel. Die Melodie als musikalisch realisierte Interpretation des
Textes nimmt am unmittelbarsten Bezug auf diesen, wirkt aber auch rückbezüglich auf das
Textverständnis und die Textintention. Damit stellt sie eine erste Erweiterung des Gedichts
dar.44
„Die Singstimme allein kann allerdings nicht alles wirken; neben dem Ausdruck des Ganzen
sollen auch die feineren Züge des Gedichts betont werden“45 schreibt Schumann und in
diesem Sinne wird der Instrumentalpart ein wichtiges Mittel „um den Sinn des Textes bis auf
das einzelne Wort genau in der Musik nachzuprägen“46. Eine Funktion der Klavierbegleitung
ist es, die Stimmung des Gedichtinhalts musikalisch zu verwirklichen. So wird sie zum
gleichwertigen Partner der Singstimme. Wie aus diesen Zitaten ersichtlich, soll der
41
Vgl. Gerstmeier, Lieder, S.77.
Knaus, Liederkreis, S.82.
43
Knaus, Liederkreis, S.82.
44
Vgl. Busse, E., Die Eichendorff-Rezeption im Kunstlied. Versuch einer Typologie anhand von Kompositionen
Schumanns, Wolfs und Pfitzners, Würzburg 1975, S.52. Im Folgenden zitiert als: „Busse, Kunstlied.“
45
Schumann, NZfM, 1843, Bd. 18, S.120.
46
Schumann, NZM, 1842, Bd.16, S.207.
42
15
Instrumentalpart als „Symbolträger“47 für das Gedicht fungieren. Deutlich erkennbar wird dies
im Vorspiel zu Mondnacht, in welchem die räumliche Struktur des Gedichts musikalisch
beschrieben wird. Betrachtet man den Klavierpart als Träger der Stimmung und Symbolik, die
Melodie als persönliche Interpretation des Gedichts durch den Komponisten, so wird auch die
Funktion des stellenweise eingesetzten Unisono zwischen Singstimme und Begleitung klar.
Es ist nichts anderes als eindringlichste Darstellung intensiver Emotionen.48
Wenn man die Begleitung als Träger von Symbolik und Stimmung sieht, so wird auch die
bedeutende Funktion der Vor- und Nachspiele deutlich. Beispielsweise wird im
Waldesgespräch oft die Melodie der Singstimme zitiert. Somit wird Schumanns romantische
Einstellung zur Musik fühlbar. Dort wo die Sprache das emotionale Erleben des Einzelnen
nicht mehr darzustellen vermag, tritt die reine Musik an ihre Stelle. Sie drückt das nicht mehr
mit rationalen Worten Greifbare aus, ist aber dennoch nur allein durch die Worte definiert,
zieht aus ihnen allein Dasein und Form.49
Auf Schumann hat die Eichendorffsche Lyrik, die erst diese vielfältigen Stimmungen und
Emotionen aus der kaum greifbaren Welt unseres Innersten hervorzaubert, nachhaltig gewirkt.
Er verstand es wie kein anderer, diesen Inbegriff romantischen Gefühlsausdrucks aus seiner
sprachlichen Begrifflichkeit zu befreien und diese Welt der Seele in seiner Musik zur
Darstellung zu bringen. Die glänzenden Naturbilder der Mondnacht in flimmernden
Sekundenketten, die Hornquinten im vollen Symbolgehalt des hin- und herirrenden
Waldhorns – dies alles erfasst lautmalerisch und intuitiv den ganzen romantischen Charakter
der Eichendorffgedichte. Deshalb zum Abschluss noch ein kleines Zitat von Eichendorff
selbst, das zu erkennen gibt, dass auch er das höhere Kunstganze, welches diese Lieder als
romantisches Kleinod darstellen, erkannt hat: „Schumann hat meinen Gedichten erst Leben
gegeben.“50
47
Busse, Kunstlied, S.53.
Vgl. Busse, Kunstlied, S.53.
49
Vgl. Busse, Kunstlied, S.53.
50
Borries, Literaturgeschichte, S.336.
48
16
6. Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
Notentext:
Köhler, H.J., (Hrsg.), Robert Schumann, Liederkreis nach Gedichten von Joseph von
Eichendorff op. 39 für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, Frankfurt am Main, Verlag
Edition C.F. Peters.
Gedichttexte:
Eichendorff, Joseph von, Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. HistorischKritische Ausgabe, 1913/1923, Bd.1,1/ Bd.3.
Literaturverzeichnis
Bernsmeier, Helmut, Literaturwissen Joseph von Eichendorff, Stuttgart 2000.
Borries, Erika u. Ernst von, Deutsche Literarturgeschichte, Romantik, München 1997, Bd.5.
Busse, Eckart, Die Eichendorff-Rezeption im Kunstlied. Versuch einer Typologie anhand von
Kompositionen Schumanns, Wolfs und Pfitzners, Würzburg 1975.
Dannenberg, Peter, Das kleine Schumann-Buch, Reinbek bei Hamburg 1983.
Gerstmeier, August u. Göllner, Theodor (Hgg.), Die Lieder Schumanns – Zur Musik des
frühen 19. Jahrhunderts, Tutzing 1982.
Grenzmann, Ludger, Romantik, in: Bark, Joachim u. Steinbach, Dietrich (Hgg.), Geschichte
der deutschen Literatur, Leipzig 2002.
Hoffmann, E.T.A., Kreisleriana, in: ders., Fantasiestücke in Callots Manier, Poetische Werke
in sechs Bänden, Berlin 1963, Bd.1.
Knaus, Herwig, Musiksprache und Werkstruktur in Robert Schumanns „Liederkreis“,
München – Salzburg, 1974.
17
Nägeli, Hans Georg, Die Liederkunst, in: Allgemeine Musikalische Zeitung, Leipzig 1817,
Nr.45.
Novalis, Das theoretische Werk, in: Schulz, G. (Hrsg.), Novalis Werke, München 1969.
Platinga, L. Theorie und Praxis bei der Liedkomposition bei Robert Schumann, in: Scher,
Steven Paul (Hrsg.), Literatur und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines
komparatistischen Grenzgebietes, Berlin 1984, S. 117-137.
Schmierer, Elisabeth, Geschichte des Liedes, Laaber 2007.
Schumann, Robert. (Hrsg.), Neue Zeitschrift für Musik, Leipzig 1840-1843, Bd. 13, 16, 18.
Uerlings, Herbert (Hrsg.), Theorie der Romantik, Stuttgart 2000.
18
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