Nr. 18 | Donnerstag, 3. Mai 2012 Die tote Sprache lebt LATEIN Vom 19. bis am 23. April waren die Lateinschülerinnen und -schüler mit ihren Lehrpersonen in Rom unterwegs. Wieso erlernen junge Leute eine tote Sprache? «Latein ist wie die Rose im Gemüsegarten», sagt die Lehrerin Petra Haldemann. JENNIFER PFISTIR D as mächtigste antike Bauwerk Roms ist das Kolosseum. Auf dem Gelände zwischen Palatin und Esquilin hatte Kaiser Nero nach dem Brande Roms 64. n. Christus eine Palastanlage mit Parks und Teichen errichtet, die «domus aurea». Am tiefsten Punkt des Areals erbauten die Römer nach Neros Tod dort das Kolosseum, genannt Amphitheater «Flavium». Die ellipsenförmige Arena weist eine Länge von 78 Metern und eine Breite von 46 Metern auf. Die 23 Kantonsschülerinnen und -schüler, die das Wahlfach Latein belegen, kennen die Geschichte sowie die Sagen und Mythen des Römischen Reiches bestens aus ihren Lehrbüchern. Es sei deshalb für die Schüler «Die Wirkung, die diese monumentalen Bauten auf mich hatten, erschloss sich mir erst bei ihrem Anblick» FUUN KREUZER KANTONSSCHÜLER sehr eindrücklich die Baudenkmäler vor Ort zu besichtigen, erklärt die Lateinlehrerin Petra Haldemann. Vom 19. bis am 23. April bereiste die Lateinschülerinnen und -schüler der Oltner Kantonsschule die Hauptstadt ihrer geliebten, toten Sprache, welche ; • iH weisungen verfasst der Papst in der einstigen Weltsprache. Doch wieso lernt man eine Sprache, die nicht mehr gesprochen wird? Die Lateinlehrerin Petra Haldemann beginnt zu strahlen: «Dies ist schwierig zu erklären», beginnt sie, «ich finde man sollte vom reinen Nutzengedanken wegkommen. Gärtner pflanzen auch nicht nur nahrhafte Kartoffeln an, sondern auch blühende Rosen.» Das älteste Schulfach: Latein Die Zukunft brauche immer auch die Herkunft, ist sich Haldemann sicher. Latein ist der Ursprung vieler Sprachen. Verträge, Gesetze, literarische Werke wurden über Jahrhunderte in Latein aufgeschrieben. «Den Originaltext der Gründungssage «Romulus und Remus» lesen zu können, bedeutet mir viel - dies ist etwas sehr Die Fachschaft Latein vor dem Kolosseum, Thomas Schär (1. mittlere Reihe v. L.) Besonderes», strahlt Haldemann, und Petra Haldemann (4. mittlere Reihe v. L.). Es fehlt Peter HitZ. (Bild: Peter Hitz) «und nicht vergleichbar mit der deutschen Übersetzung.» in der Wissenschaft und in literari- Lebensgefühl der 2000 Jahre alten Wer Latein als Basissprache erlernt, Kleinstadt Pompeji einfangen, doch dem stehen viele Wege offen: «Sobald schen Werken bis heute weiterlebt. an diesem Tag streikte die Bahn», er- die Sprecherin die Brücke zu anderen zählt Haldemann. Doch in Rom habe Sprachen schlagen kann, erlernt sie Rom - eine sagenumwobene Stadt Die Lateinlehrerin Petra Halde- es als Alternative genügend Sehens- andere Sprachen schneller. Auch mann besuchte die Heilige Stadt be- würdigkeiten zu besichtigen gegeben. praktisch alle Fremdwörter und wissenschaftlichen Begriffe verstehen die reits zum vierten Mal: «Ich würde sie Lateininteressierten dank ihres auch gerne ein fünftes und sechstes Rom hat Geburtstag sprachlichen Mal besuchen. Bestaunt wurIm Vorfeld der Romexkursion erar- de unter andeHintergrunds. beiteten die Lateinschülerinnen und rem das antike &£< Zudem fördert Latein das lö-schüler Vorträge über verschiedene Zentrum Roms: sungsorientierte lokalhistorische Texte. Die Themen- Kapital, Palatin, Denken», ist sich wahl war breit gefachert: Berichtet Kolosseum, CaeHaldemann wurde über kaiserliche Helden wie sar- und Trajanssicher. «Augustus», über Mythen und Sagen forum. Nach Die Poesie der bis hin zu Fragen aus der Kunstge- einem Spazierlateinischen schichte wie «Was wäre Rom ohne Gi- gang durch enge, Sprache sei Halanlorenzo Bernini (Star des Barock)?». historische Gassen, ruhten sich demann zufolge die Reisenden etwas EinzigartiLehrer wurden zu Reiseführern ges, zudem erlerVor Ort spielte hingegen die Lehrer- zwischenzeitlich ne man beischaft Reiseführer: Thomas Schär und auf den schönen «Ich will Sprachen studieren spielsweise späPeter Hitz kennen Rom wie ihre eige- Plätzen aus. Am 21. April - an vielen Universitäten muss ter im Jurisprune Hosentasche. Beide besuchten die denz Studium als Stadt Haldemann zufolge bereits 753 v. Chr. ist der ich Latein vorlegen» Erstes wiederum mehrmals und konnten somit aus offizielle GeOANIEU KOPP KANTONSSCHÜLERIN dem Nähkästchen plaudern. «Ich burtstag Roms. das Römische Recht. musste mich zuerst noch ein wenig Die Oltner KanDenn obwohl die einlesen», sagt Haldemann, die sich tonsschüler stanauf Latein und Altgriechisch speziali- den an diesem Tag besonders früh römische Sprache als tot gilt, ist sie auch heutzutage überall anzutreffen. siert hat. Die literarischen Werke hat auf, um das Kolosseum zu besuchen. Auch Tempel, Theater, Thermen, Brüsie alle in Originalsprache gelesen: in cken, Strassen sind wie FussballstadiLatein. Spuren der Vergangenheit lesen «Die 23 Schülerinnen und Schüler Das Entziffern der alten Inschriften en nach dem römischen Prinzip hörten den historischen Geschichten in Kirchen oder Baudenkmälern war gebaut. Die Lieblingsredewendung gespannt zu, obwohl sie bereits selber für die sprachgewandten Reisenden von der Lateinlehrerin Petra Haldeüber ein grosses Vorwissen verfügen», besonders eindrücklich. In Messen in mann «Carpe diem» (geniesse den sagt Haldemann sichtlich erfreut. katholischen Kirchen wird bis heute Tag), dürfte ebenfalls jedem ein Be«Ursprünglich wollten wir auch das Latein gesprochen, auch wichtige An- griffsein.