Diffusion Diffusion Dr. H.–J. Weiss Die Kenntnis verschiedenster Diffusionserscheinungen gehört seit jeher zum praktischen Allgemeinwissen. In mathematischer Formulierung wurde die Diffusion erstmalig 1855 von A. F ICK beschrieben. Sachverhalt Alle Vorgänge, bei denen ein Strom“ einer physika” lischen Größe sich in der Weise ausbildet, dass die Stromdichte“ v proportional zum Gradienten dieser ” Größe, grad , ist, kann als Diffusion im weiteren Sinne betrachtet werden: v = −D · grad . (1) Die hier als bezeichnete Größe kann dabei unterschiedliche Bedeutung haben, z.B. Konzentration eines Fremdstoffes (Diffusion im engeren Sinne), Konzentration von Leerstellen (Leerstellendiffusion), Temperatur (Wärmeleitung), Impulsdichte (Zähigkeit von Flüssigkeiten und Gasen) und andere. In abgeschlossenen Systemen bewirkt die Diffusion, dass Unterschiede in der räumlichen Verteilung der Größe im Laufe der Zeit sich ausgleichen und damit der Diffusionsstrom verschwindet. Nimmt man eine Bilanzgleichung der diffundierenden Größe hinzu d + div v = 0, (2) dt erhält man die Diffusionsgleichung in der Form d − D Δ = 0, dt Δ≡ d2 d2 d2 + 2+ 2. 2 dx dy dz (3) Wenn die Gesamtmenge der diffundierenden Sub” stanz“ nicht erhalten bleibt, sondern im Zeitablauf zu– oder abnimmt, ist in (3) statt 0 ein Quellterm“ zu set” zen. Da die Diffusionsgleichung (3) linear ist, überlagern sich ihre Lösungen, ohne sich zu stören. So lässt sich die zeitliche Entwicklung einer beliebigen Anfangsverteilung (x, y, z) berechnen, indem man die Diffusion der in jedem Volumenelement enthaltenen Substanzmenge dxdydz einzeln betrachtet und die Lösungen überlagert. Eine anfangs punktförmig vorgegebene Konzentration fließt gemäß einer sich verbreiternden G AUSSschen Glockenkurve auseinander. Die Ausbreitung erfolgt dabei mit einer charakteri stischen Geschwindigkeit D/t, sodass eine anfangs punktförmige Verteilung etwa nach der Zeit s2 /D auf die Breite s zerlaufen ist. Somit unterscheidet sich die Ausbreitung einer Substanz durch Diffusion wesentlich von anderen Ausbreitungsvorgängen wie Strömung oder Wellenausbreitung: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit ist proportional zu D/s, also umgekehrt proportional zur Entfernung. Deshalb ist die Diffusion innerhalb kleiner Raumbereiche ein sehr schneller und wirksamer Transportmechanismus, während sie im makroskopischen Erfahrungsbereich des Menschen als ein sehr langsamer Vorgang empfunden wird. Dementsprechend werden Transportvorgänge innerhalb von Mikroorganismen oder zwischen sinternden Pulverteilchen fast ausschließlich durch Diffusion bewirkt. Dagegen sind in größeren Lebewesen oder beim Mischen von Flüssigkeiten in Behältern Konvektionsströme erforderlich, damit die entsprechenden Zeiten nicht zu groß werden. In Gasen erfolgt die Diffusion durch die ungeordnete thermische Bewegung der Gasmoleküle. Im Vergleich zur thermischen Geschwindigkeit ist die Diffusionsgeschwindigkeit bei Normaldruck sehr klein infolge der häufigen Zusammenstöße der Gasmoleküle nach kurzer freier Weglänge. Im Festkörper erfolgt die Diffusion durch schrittweise Ortsveränderung von Atomen. Dazu muss eine Energieschwelle, die so genannte Aktivierungsenergie, durch thermische Fluktuationen überwunden werden. Deshalb ist die Diffusion stark temperaturabhängig: −U D = D0 exp . (4) kT In Tabellen wird der temperaturabhängige Diffusionskoeffizient D zweckmäßig in Form der beiden Materialwerte D0 und U angegeben. Dabei ist erforderlich, auch den Temperaturbereich anzugeben, in dem diese Werte gelten, denn in realen Werkstoffen können mehrere Diffusionsmechanismen zugleich wirken, sodass D nicht für beliebige Temperaturen durch ein einheitliches Gesetz (4) mit konstantem D0 und U dargestellt werden kann. Auch ist zu beachten, dass D0 und U von der Richtung im Kristallgitter abhängen. Für die Diffusion von Substanz in Kristallen kommen folgende Mechanismen in Betracht: Wandern von Leerstellen und Zwischengitteratomen, Platzwechsel von zwei oder mehreren Gitteratomen. Entlang der Versetzungen und Korngrenzen sind diese Mechanismen und damit die Diffusion um einige Zehnerpotenzen schneller als im ungestörten Gitter. Infolgedessen hängt die effektive, d.h. räumlich gemittelte Diffusion im Festkörper stark von dessen Realstruktur ab. Oft werden weitere molekulare Transportphänomene als Diffusion bezeichnet: Thermodiffusion, Elektrodiffusion, Berg–auf–Diffusion und andere. Sie haben mit der Diffusion von Substanz im Sinne von (1) und (3) nur gemeinsam, dass die thermische Molekularbewegung wesentlicher Bestandteil des Phänomens ist. Zwecks 307 Effekte der Festkörperphysik größerer begrifflicher Klarheit werden neuerdings dafür Anwendungen andere Bezeichnungen bevorzugt, wie Thermotransport, Diffusion ist eine Erscheinung, die überall abläuft, auch Elektrotransport, Entmischung u.a.. ohne angewandt“ zu werden. Als Anwendungen wer” den hier deshalb nur solche Beispiele genannt, wo die Tabelle 1 Stofftransport durch Diffusion. Kenntnis der Diffusionsgesetze für die Beherrschung Die Diffusionskonstante D gilt für die in der folgenden Spalte angegebene Temperatur und für Normaldruck. D0 und U beschreiben des Prozesses wesentlich ist. die Temperaturabhängigkeit von D gemäß Gl. (4). In der letzten Dekorieren von Kristallbaufehlern Da Fremdatome in Spalte ist der Temperaturbereich angegeben, in welchem diese Kristallen bevorzugt längs Versetzungen und KorngrenWerte gelten. T D0 U T D zen diffundieren, reichern sie sich dort an und lassen ◦ C cm2 /s kJ/mol ◦C cm2 /s sich sichtbar machen. Gase 0,1. . . 1 20 Wärmebehandlung von Metallen Gezielte Gefügeän20 Flüssigkeiten 10−5 −5 derungen in Metalllegierungen können dadurch erreicht 20 1,1 · 10−4 4,8 0. . . 100 Hg in Hg 3 · 10 Metalle in Hg 8 · 10−6 . . . 20 werden, dass man die Diffusion mittels eines Tempera−5 7 · 10 turregimes so steuert, dass die erforderlichen Transport−5 C in Fe flüss. 9 · 10 1550 vorgänge in technologisch annehmbaren Zeiten ablauNa+ in NaCl 5 · 10−9 700 fen (Diffusionsglühen). Cl− in NaCl 7 · 10−10 700 4 · 10−9 700 J− in NaCl Verfestigung von Gläsern In einer dünnen Ober+ −7 Na in 3 · 10 700 0,013 84 635. . . 780 flächenschicht können Metallionen des Glases in einem Na–Ca–Glas Diffusionsprozess durch größere ersetzt werden. Der dadurch erzeugte Druckspannungszustand vermindert die D bruchauslösende Wirkung von Oberflächendefekten. cm2 /s Tabelle 2 Pulvermetallurgie Das Sintern von Pulver zu einem Luft 0,21 Temperaturleitfähigkeit bei Wasserstoff 1,5 kompakten Werkstoff wird wesentlich durch die Diffusi20 ◦C und Normaldruck Wasser 0,0013 (D = λ/c, λ – Wärme- on von Atomen längs der Oberfläche der Pulverteilchen Kupfer 1,15 leitfähigkeit, – Dichte, c – und durch die Diffusion von Leerstellen im Volumen beCr–Ni–Stahl 0,04 spezifische Wärme). stimmt. Beton 0,005 Halbleitertechnologie Bei der Herstellung von HalbJenaer Glas 0,005 leiter–Bauelementen wird die erforderliche KonzentraD cm2 /s tionsverteilung der Dotierungssubstanz durch Diffusion Tabelle 3 Luft 0,15 Kinematische Viskosität eingestellt. Wasserstoff 0,98 bei 20 ◦C und Normaldruck Oberflächenveredlung von Metallen Der zu veredelnWasser 0,01 (D = η/, de Gegenstand wird in Pulver eingebettet und erhitzt. Äther 0,003 η = dynamische Viskosität, Quecksilber 0,0015 Die Temperatur ist so zu wählen, dass die Pulversub = Dichte. Cyclohexanol 1 In diesem Zusammenhang stanz in die Oberfläche des Gegenstandes diffundiert, Getriebeöl 10. . . 100 wird D oft als γ bezeichnet ohne dass das Pulver sintert. 7 Pech turbulente Luft bei Re = 104 3 · 10 3 und cm2 /s als Stokes). Kennwerte, Funktionen Beim Vergleich der Werte D für Gase in Tab. 1 bis 3 fällt auf, dass sie von ungefähr gleicher Größe sind. Das ist darin begründet, dass die Gasmoleküle Träger von Substanz, Energie und Impuls sind und daher die Diffusion dieser Größen durch den gleichen Mechanismus erfolgt, nämlich durch Stöße der sich mit thermischer Geschwindigkeit bewegenden Moleküle. Die großen Unterschiede zwischen den Tab. 1 bis 3 bei den Werten für Flüssigkeiten und Festkörper weisen darauf hin, dass völlig andere Mechanismen wirksam sind, z.B. Ausbreitung und Stoß von Phononen. 308 Literatur [1] L ANDAU , L.D.; L IFSCHITZ , E.M.: Lehrbuch der Theoretischen Physik, Bd. X Physikalische Kinetik. – Berlin: Akademie-Verlag 1983. [2] S CHULZE , G.E.R.: Metallphysik. 2. Aufl. – Wien/New York: Springer-Verlag 1974. – Berlin: Akademie-Verlag 1974. [3] L ANDOLT–B ÖRNSTEIN: Numerical Data and Functional Relationships in Science and Technology, Group III, Vol. 26: Diffusion in Solid. Metals and Alloys. – Berlin: Springer-Verlag 1990; Vol. 33: Diffusion in Semiconductors and Non–Metallic Solids. – Berlin: Springer-Verlag 1998.