Exegese Mt 14,22-33

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Stefan Inniger
Exegese zu Matthäus 14, 22-33
INHALTSVERZEICHNIS
1.
ERFASSUNG DES TEXTES.................................................................... 1
1. 1.
Eigene Übersetzung aus dem Grundtext ........................................................... 1
1. 2.
Textkritik........................................................................................................... 1
2.
ANALYSE DES TEXTES......................................................................... 3
2. 1.
Literarische Eigenart ......................................................................................... 3
2. 2.
Literarischer Kontext......................................................................................... 4
2. 3.
Historischer Kontext ......................................................................................... 5
2. 4.
Grammatisch-stilistische Analyse ..................................................................... 7
2. 5.
Gliederung des Textes..................................................................................... 10
2. 6.
Synoptischer Vergleich ................................................................................... 11
2. 7.
Vermutete Hauptintention ............................................................................... 12
2. 8.
Begriffsanalyse................................................................................................ 12
2. 8. 1.
Wortstatistik ................................................................................................ 12
2. 8. 2.
Paralleltexte................................................................................................. 13
2. 8. 3.
Begriffserklärung ........................................................................................ 15
2. 9.
3.
Klärung des Interpretationsrahmens................................................................ 19
INTERPRETATION DES TEXTES ..................................................... 20
3. 1.
Historisch-theologische Interpretation ............................................................ 20
3. 2.
systematisch-theologische Interpretation ........................................................ 26
LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................ 28
1.
1. 1.
ERFASSUNG DES TEXTES
EIGENE ÜBERSETZUNG AUS DEM GRUNDTEXT
(Mt 12,22) Und sogleich nötigte er die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm vorauszugehen an das jenseitige Ufer, währenddem er sich vom Volk verabschiedete.
(23) Und nachdem er das Volk verabschiedet hatte, ging er für sich alleine hinauf auf
den Berg, um zu beten. Nachdem es aber Abend geworden war, war er alleine. (24)
Das Schiff aber war schon viele Stadien1 vom Ufer entfernt und wurde bedrängt von
den Wellen, denn der Wind war ihnen entgegen. (25) Aber in der vierten Nachtwache kam er zu ihnen, indem er auf dem Meer wandelte. (26) Als aber die Jünger ihn
auf dem Meer wandeln sahen, gerieten sie in Aufregung und sagten: dies ist ein Gespenst und aus Furcht schrien sie. (27) Sogleich aber redete Jesus zu ihnen und sagte:
seid guten Mutes, ich bin es! Fürchtet euch nicht. (28) Petrus aber antwortet ihm und
sagte: Herr, wenn du es bist, befiehl mir zu dir zu kommen auf dem Wasser. (29) Er
aber sagte: komm. Und nachdem Petrus aus dem Schiff gestiegen war, wandelte er
auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. (30) Als er aber den (starken) Wind sah,
fürchtete er sich und als er zu sinken begann schrie er und sagte: Herr, rette mich.
(31) Sogleich aber streckte Jesus die Hand aus und fasste ihn und sagt zu ihm: Kleingläubiger, warum zweifelst du? (32) Und als sie in das Schiff gestiegen waren, liess
der Wind nach. (33) Aber die, die in dem Schiff waren, beteten ihn an und sagten:
wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.
1. 2.
TEXTKRITIK
In Vers 22 wird von verschiedenen Textzeugen, darunter im Codex Sinaiticus (4.
Jh.), in der ursprünglichen Leseart das Adverb εθéω̋ weggelassen. In 22b wird im
Codex Vaticanus (4. Jh.) und anderen Zeugen hinter µαθητà̋ ein ατο eingefügt.
Vor πλοον fehlt im Codex Vaticanus und anderen Textzeugen der Artikel τò. Der
Codex Bezae Cantabrigiensis (5. Jh.) und mehrere lateinische Handschriften lassen
hinter προáγεν das Pronomen ατòν aus.
1
σταδíο̋ ist ein griechisches Längenmass von 600 griech. Fuß, entspricht ca. 190m.
-1-
Vers 24 stellt das größte textkritische Problem dieser Perikope dar. Zu Beginn des
Verses wird das Wort δη im Codex Bezae Cantabrigiensis und ein paar weiteren
Zeugen weggelassen. Anstelle von σταδíο̋ πολλοù̋ πò τ̋ γ̋ πεχεν (Codex Vaticanus u.a.) steht im Codex Koridethi (9. Jh.) und anderen Zeugen die Variante πεχεν πò τ̋ γ̋ σταδíο̋ !κανοù̋. Im Codex Sinaiticus, Codex Ephraemi (5. Jh.) u.a. (mit ein paar kleinen Abweichungen auch im Codex Bezae Cantabrigiensis) findet sich die Variante µéσον τ#̋ θáλασσα̋ $ν. Während in NestleAland die Variante des Codex Vaticanus erscheint, findet sich im Textus Receptus
die Variante des Codex Sinaiticus.2
In Vers 25 steht an Stelle von $λθεν (Sinaiticus, Vaticanus u.a.) im Codex Ephraemi,
Mehrheitstext u.a. πλθεν. Ende des Verses wird an Stelle des Akkusativs
τ#ν θáλασσαν im Codex Ephraemi und auch im Mehrheitstext der Genitiv
τ#̋ θáλασσα̋ verwendet.
Der 26. Vers beginnt in der ursprünglichen Leseart des Sinaiticus, im Codex Koridethi u.a. mit &δóντε̋ δè ατòν. Einige Minuskeln verwenden die Variante
κα δοντε̋ ατον, Ephraemi und einige weitere Majuskeln beinhalten die Variante
κα &δóντε̋ ατòν ο! δè µαθητà. Der erste Korrektor des Sinaiticus verwendet
die Variante ο! δè µαθητà &δóντε̋ ατòν, welche in Nestle-Aland erscheint.
Anstatt επì τ̋ θαλáσση̋ περπατοντα, bezeugt durch Sinaiticus, Vaticanus,
Ephraimi und weiteren wichtigen Zeugen verwenden einige Majuskeln und der
Mehrheitstext den Akkusativ +πì τ#ν θáλασσαν.
In Vers 27 wird im Codex Vaticanus und einer Korrektur des Sinaiticus
, Ιησο̋ ατο̋ verwendet. Im Codex Ephraemi, Regius und im Mehrheitstext
finden wir die Variante ατο̋ , Ιησο̋ und im Sinaiticus in der ursprünglichen
Leseart fehlt , Ιησο̋.
2
Je nach Bibelübersetzung wird dieser Vers unterschiedlich übersetzt. Der Textus Receptus, der die
Grundlage für die Übersetzungsarbeit der Reformatoren bildete, ist zwar heute in den Hintergrund
geraten und mehrheitlich durch Nestle-Aland abgelöst worden, aber es gibt nach wie vor Übersetzer, die ihn als Grundlage für ihre Arbeit verwenden (Schlachter 2000; New King James Version).
-2-
In Vers 28 gibt es ebenfalls verschiedene Varianten der Wortreihenfolge von
ατ/ , Πéτρο̋ ε1πεν. Ebenfalls geändert wird die Wortstellung in einigen Handschriften in der Aussage +λθεν πρò̋ σè.
Im 29. Vers wird vor Πéτρο̋ der Artikel , im Codex Sinaiticus, Vaticanus u.a.
weggelassen. Anstelle von καì $λθεν (Vaticanus und ursprüngliche Leseart des Codex Ephraemi) wird in den korrigierten Codex Sinaiticus und Ephraemi, im Mehrheitstext und anderen Zeugen der Infinitiv +λθεν verwendet. In der ursprünglichen
Leseart des Sinaiticus findet sich die Variante +λθεν $λθεν ο2ν.
In Vers 30 wird vom Sinaiticus, Vaticanus in der ursprünglichen Leseart und einigen
Minuskeln &σχρòν ausgelassen. &σχρòν findet sich im Vaticanus, Ephraemi u.a.
und im Codex Washingtonianus findet sich der Zusatz σφóδρα.
Vers 32 beginnt im Sinaiticus u.a. mit καì ναβáντων ατ5ν. Ephraemi, Mehrheitstext u.a. schreiben an dieser Stelle καì εµβáντων ατ5ν, während einige Minuskeln und Übersetzungen die Variante +µβáντ ατ/ enthalten.
In Vers 33 wird in einigen Handschriften eine Einfügung nach πλοí6 gemacht. Bezae Cantabrigiensis, Regius, Mehrheitstext u.a. fügen hier +λθóντε̋ ein. Codex Koridethi und einige Übersetzungen schreiben hier προσ+λθóντε̋ und einige Handschriften verwenden 7ντε̋. Keine Einfügung findet sich im Codex Sinaiticus, Vaticanus, Ephraemi u.a..
2.
2. 1.
ANALYSE DES TEXTES
LITERARISCHE EIGENART
Bei dieser Perikope Mt 14,22-33 handelt es sich um einen narrativen Evangelientext.
Im Mittelpunkt steht ein Wunder Jesu, doch ist diese Erzählung mehr als eine Wundergeschichte, sie ist auch Erscheinungs- und Offenbarungsgeschichte. Sie zielt ab
auf die Offenbarung Jesu Göttlichkeit und endet mit dem grossen Bekenntnis der
Jünger: „du bist wahrhaftig Gottes Sohn“ (Mt 14,33).
-3-
2. 2.
LITERARISCHER KONTEXT
Das Matthäusevangelium fällt auf durch eine klare Ordnung und Struktur. Matthäus
hat in seinem Evangelium fünf Reden Jesu3 niedergeschrieben, dazwischen fügt er
Berichte und Erzählungen. Die Perikope Mt 14,22-33 ist Teil eines längeren Erzählblockes und ist eingebettet zwischen der Gleichnisrede (Mt 13) und der Gemeinderede, in der Jesus Anweisungen an seine Jünger gibt (Mt 18).
Mt 13 ist die dritte Redeeinheit Jesu, in der er über das Himmelreich in Gleichnissen
lehrt. Diese Rede besteht aus sieben Gleichnissen4 und zwei Deutungen. In den ersten vier Gleichnissen wendet sich Jesus an das Volk, während die Erklärung der
Gleichnisrede und die drei letzten Gleichnisse nur an die Jünger gerichtet sind. Themen dieser Gleichnisse sind das Hören auf das Wort, das noch verborgene Himmelreich und das Endgericht. Als Reaktion auf diese Gleichnisrede finden wir Ende des
13. Kapitels die Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt Nazareth (Mt 13,53-58). Jesus
wird mit seiner Botschaft in der eigenen Heimat abgelehnt. Er wird nur als Sohn des
Zimmermanns und der Maria wahrgenommen. Und als so ein „Gewöhnlicher“ konnte er unmöglich der Messias sein. Folglich wird Jesus abgelehnt, ja die Menschen
ärgerten sich sogar an ihm (Mt 13,57). Welch ein Gegensatz zum Bekenntnis der
Jünger: „wahrhaftig du bist Gottes Sohn“ (Mt 14,33).
Die Ablehnung Jesu und seiner Botschaft zeigt sich auch in den folgenden Kapiteln.
Mt 14,1-12 berichtet von der Gefangennahme und dem Tod Johannes des Täufers,
des „Vorläufers“ Jesu, der somit zum ersten Märtyrer wird. Der Mord Herodes an
Johannes kann durchaus als Drohung an Jesus verstanden werden, denn Herodes
lehnte „mit dem Wegbereiter des Königs zugleich auch den König, der ihm folgte,
ab“5. Doch trotz dieser Ablehnung nimmt sich Jesus dem Volk an. Er predigt, heilt
und speist die Menschen. Im Wunder der Brot- und Fischvermehrung (Mt 14,13-21)
stellt Jesus einmal mehr unter Beweis, dass er mehr ist als „nur“ der Sohn des Zim-
3
Jede dieser fünf Reden beendet Matthäus mit fast identischen Redewendungen:
„Καì +γéνετο 9τε +τéλεσεν , Ιησο̋ τοù̋ λóγο̋ τοúτο̋¨ <Mt 7,28= vgl. Mt 11,1; 13,53;
19,1; 26,1).
4
Je nach Ausleger wird Mt 13,51-52 als eigenständiges Gleichnis betrachtet. In diesem Falle ergeben
sich acht Gleichnisse.
5
Walvoord, Das Neue Testament Bd. 4, 55.
-4-
mermanns. Im Anschluss an die Perikope der Jünger auf dem See folgt ein weiterer
kurzer Bericht über Jesu Tätigkeit in der Region des Sees Genezareth (Mt 14,36-36).
In Mt 15 richtet Matthäus den Fokus dann wieder auf die Ablehnung Jesu. Im Zentrum stehen die Pharisäer und Schriftgelehrten (Mt 15,1-20), die schon früher verschiedene Auseinandersetzungen mit Jesus hatten (z.B. Mt 9,34; 12,2; 12,14). Nach
dieser Auseinandersetzung zieht sich Jesus zurück ins Land der Kanaaniter (Mt
14,21ff). Jesus bringt Heil(ung) den Heiden. Es folgen weitere Wundergeschichten
im Land Galiläa.
Im 16. Kapitel beschreibt Matthäus noch einmal eine Auseinandersetzung Jesu mit
den Pharisäern und Schriftgelehrten und als Höhepunkt dieses Erzählbockes (Mt 1417) finden wir das Bekenntnis von Petrus: „du bist Christus, des lebendigen Gottes
Sohn“ (Mt 16,16), welches zugleich zur anschliessenden Belehrung der Jünger überleitet.
2. 3.
HISTORISCHER KONTEXT
Die Verfasserschaft des Matthäusevangeliums ist umstritten. Eines der Hauptprobleme ist, dass im Evangelium keine direkten Angaben über Autor und Entstehungssituation gemacht werden. Historisch-kritische Ausleger identifizieren als Autor eine
namentlich nicht bekannte Person, die im 2. Jahrhundert n.Chr. mit Matthäus identifiziert wurde. Evangelikale Ausleger sehen als Autor Matthäus Levi, einer der zwölf
Jünger. Ein wichtiges Argument für diese Annahme ist die altkirchliche Überlieferung. Eusebius (um 325 n.Chr.) zitiert Papias von Hierapolis (um 100 n.Chr.) mit den
Worten: „Matthäus schrieb in hebräischer Sprache (in hebräischem Dialekt) die Reden auf; es übersetzte sie aber ein jeder, so gut er es vermochte“6. Ausser dem Namen und dem Beruf als Zöllner ist sehr wenig bekannt über Matthäus. Ort der Abfassung könnte Antiochia gewesen sein irgendwann zwischen 50-70 n.Chr7. Was die
Empfänger betrifft ist davon auszugehen, dass Matthäus an Christen mit einem jüdischen Hintergrund geschrieben hat. Matthäus erwähnt jüdische Bräuche und Gesetze,
6
7
Eusebius KG III, 39.16, zitiert nach Mauerhofer, Einleitung in die Schriften des NT 1, 54.
Auch hier sind die Angaben sehr unterschiedlich. Einige Ausleger datieren das Evangelium nach
70 n.Chr., andere vorher.
-5-
ohne diese näher zu erklären. Das Evangelium enthält viele alttestamentliche Zitate
und 13-mal schreibt Matthäus „damit erfüllt würde…“ und fügt dann eine alttestamentliche Prophezeiung hinzu. Es geht Matthäus scheinbar darum, anhand der
Schrift zu beweisen, dass sich in Christus die Prophezeiungen erfüllt haben und er
somit der Messias sein muss.
Der geografische Rahmen der Perikope Mt 14,22-33 bildet die Gegend um den See
Genezareth. Diese Gegend spielt in den Evangelien eine bedeutende Rolle. Nachdem
Jesus Nazareth verlassen hatte (Mt 4,13), wohnte er einige Zeit in Kapernaum am
See Genezareth, wirkte dort und berief dort auch seine ersten Jünger, die Fischer
Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes (Mt 4,18). Der See Genezareth, schon im
Alten Testament erwähnt8 und bei Matthäus und Markus auch als „Meer von Galiläa“ oder einfach als „Meer“ bezeichnet, ist der tiefstgelegene Süsswassersee der
Welt. Er ist 21 km lang und an seiner breitesten Stelle 12 km breit. Der See war zur
Zeit des Neuen Testamentes bekannt für seinen Fischreichtum und es existierte sogar
eine Exportindustrie. Rund um den See gab es mehrere Fischerdörfer, Kapernaum
galt als wichtiges Zentrum mit etwas über 1000 geschätzten Einwohnern. Die in dieser Gegend lebende Bevölkerung ist vor allem der Unter- und Mittelschicht zuzuordnen. Wie viele Bewohner Kapernaums waren auch einige der Jünger Fischer und
waren somit gewohnt im Umgang mit Booten. So erstaunt es nicht, dass Jesus seine
Jünger mit einem Schiff auf dem See vorgeschickt hat (Mt 14,22). Wo genau die
Speisung der Fünftausend stattgefunden und Jesus seine Jünger entlassen hat, beschreibt Matthäus nicht. Lukas aber erwähnt die Gegend um Betsaida (Lk 9,10), welches am nordöstlichen Ufer des Sees Genezareth liegt9. Das Ziel der Schiffsreise der
Jünger war das ca. 8 km entfernte Genezareth, welches südwestlich von Kapernaum
liegt (Mt 14,34). Starke Winde, wie sie Matthäus beschreibt, sind auf dem See Genezareth keine Seltenheit. Durch die Sonneneinstrahlung entsteht eine starke Thermik,
die heute noch Surfer auf dem See Genezareth sich zum Nutzen machen. Die dabei
entstehenden Fallwinde können grosse Wellen hervorbringen; für kleinere Boote
können solche Wellen durchaus zur Gefahr werden.
8
9
Bezeichnet als See Kinneret (Num 34,11).
Einige Ausleger identifizieren Betsaida mit dem heutigen Tabgha, das südlich von Kapernaum liegt.
-6-
2. 4.
GRAMMATISCH-STILISTISCHE ANALYSE
Wie in einem narrativen Evangelientext üblich ist der vorherrschende Tempus der
Perikope Mt 14,22-33 der historische Aorist. Insgesamt 16-mal verwendet Matthäus
den Indikativ Aorist. Ebenfalls 16-mal werden Partizipien verwendet, je 8-mal ein
Partizip Aorist und 8-mal ein Partizip Präsens.
Die Perikope beginnt in Vers 22a mit der Konjunktion καì und dem Adverb εθéω̋.
Diese Wendung ist häufig bei Markus10 zu finden, Matthäus verwendet sie 8-mal.
Das Subjekt des Satzes, Jesus, ist im konjugierten Verb >νáγκασεν enthalten. In
Vers 22b befinden sich zwei Infinitive Aorist, welche den punktuellen Aspekt der
Handlungen hervorheben. Der Nebensatz in Vers 22c wird eingeleitet durch die temporale Konjunktion ?ω̋ ο@, welcher der Konjunktiv Aorist πολúσA folgt. Auffallend in diesem Vers ist die zweifache Verwendung der Präposition ε&̋ τò.
Vers 23a wird ebenfalls durch die Konjunktion καì eingeleitet. Es folgt das Partizip
Aorist πολúσα̋, welches im Verhältnis zum finiten Verb νéβη, ein Indikativ Aorist, auf ein vorzeitig in der Vergangenheit liegendes Ereignis hinweist und den näheren Umstand beschreibt. Die Sinnrichtung dieses Partizips ist temporal. Der Infinitiv
Aorist Medium προσεúξασθα weist auf den punktuellen Aspekt der Handlung des
Betens hin.
Der Partikel δè zu Beginn des 24. Verses hebt den Übergang der Erzählung hervor
und das Substantiv τò πλοον zeigt den Subjektwechsel an. Das finite Verb πεχε
in Vers 24a steht im Imperfekt und weist auf den durativen Aspekt hin. Das Partizip
Präsens im Passiv βασανζóµενον in 24b betont die Gleichzeitigkeit des „bedrängtwerden“ des Schiffes mit dem Wind, der dem Schiff gegenüberstand.
In Vers 25 findet ein Subjektwechsel statt. Das Subjekt, wieder Jesus, ist im finiten
Verb $λθεν enthalten. Die Präposition πρò̋ zeigt an, wohin Jesus ging – zu den
Jüngern - und das Partizip Präsens περπατ5ν beschreibt den näheren Umstand des
Gehens Jesu. Zudem betont das Partizip Präsens die Gleichzeitigkeit der Tätigkeiten
10
Die Wendung καì εθù̋ findet sich bei Markus 26-mal.
-7-
Jesu. Da das Partizip das Geschehen genauer beschreibt, ist hier eine modale Sinnrichtung
nahe
liegend.
Die
Präposition
+πì
mit
dem
Akkusativ
τ#ν θáλασσαν könnte übersetzt werden mit „auf dem Meer“ oder auch „gegen das
Meer zu“11. Erst der folgende Vers, in dem die Präposition mit einem Genitiv verwendet wird, schafft Klarheit, dass Jesus tatsächlich auf dem Meer gewandelt ist.
Das Substantiv mit dem Artikel ο! µαθηταì im Nominativ in Vers 26a zeigt wieder
den Subjektwechsel an. Das Partizip Aorist &δóντε̋ steht in Beziehung zum finiten
Verb im Aorist Passiv +ταρáχθησαν und betont den vorzeitig in der Vergangenheit
liegenden Aspekt: die Jünger sahen Jesus und erschraken auf Grund dessen, was sie
gesehen hatten. Beim Partizip Präsens περπατοντα handelt es sich um ein prädikatives Partizip (AcP), welches das Akkusativobjekt ατòν ergänzt, indem es genauer beschreibt, was die Jünger sahen: Sie sahen ihn (Jesus), wie er auf dem Wasser
wandelte. In Vers 26b befindet sich ebenfalls ein Partizip, λéγοντε̋, und ein Verb,
Dκραξαν. Hier steht das Partizip nun im Präsens und im Verhältnis zum Indikativ
Aorist des Verbs betont es die Gleichzeitigkeit des Redens und Schreiens, was die
Dramatik der Situation besonders herausstreicht. Das 9τ recitativum in Vers 26b
leitet eine direkte Rede ein.
In Vers 27a wechselt das Subjekt wieder zu Jesus. Dieses befindet sich im finiten
Verb +λáλησεν. Das Partizip Präsens λéγων könnte in Beziehung zum Verb
+λáλησεν als pleonastisches Partizip12 bezeichnet werden. Die Antwort Jesu auf die
Situation folgt bestimmend: beide Verben in 26b stehen im Imperativ Präsens. Das
Präsens hebt den durativen Aspekt des guten Mutes sein und des sich nicht Fürchtens
hervor. Die Negation µ# φοβεσθε verstärkt diese Aussage noch einmal: fürchtet
euch niemals! Auffallend ist auch das Personalpronomen +γẃ vor dem Verb
ε&µ. Das „Ich bin“ wird dadurch besonders hervorgehoben.
In Vers 28a wird nun der Jünger Petrus zum Subjekt. Auch in diesem Vers befindet
sich ein pleonastisches Partizip: das Partizip Aorist ποκρθεì̋, welches im Ver-
11
12
Stoy,/Haag, Bibelgriechisch leichtgemacht, 51.
Hofmann, Kurzgrammatik, 129.
-8-
hältnis zum finiten Verb ε1πεν, ein Aorist Indikativ, steht. Die Anrede Jesu als
Κúρε steht hier im Vokativ. Der folgende Konditional-Nebensatz, Vers 28b, wird
eingeleitet durch den Partikel ε&. Das finite Verb κéλεσóν steht im Imperativ Aorist, welcher als normale Befehlsform gebraucht wird. Der Infinitiv Aorist betont den
punktuellen Aspekt der Handlung. Die Wendung +πì τà Fδατα findet sich nur in
dieser Perikope im NT. Auch hier wird die Präposition +πì mit Akkusativ
verwendet13. Auffallend ist, dass der Begriff Wasser im Plural verwendet wird; vermutlich eine Anlehnung an die hebräische Sprache.
Vers 29a wird durch den Artikel , eingeleitet, der hier pronominal verwendet wird.
Er zeigt zugleich den Subjektwechsel zu Jesus an. Die Aufforderung Jesu, Ελθé ist
wiederum ein Imperativ Aorist. In 29b wechselt das Subjekt zu Petrus und das Partizip Aorist καταβà̋ beschreibt den nähern Umstand der Szene. Der Kontext und das
finite Verb περεπáτησεν im Aorist Indikativ lässt auf eine temporale Sinnrichtung
des Partizips schliessen: nachdem Petrus aus dem Schiff gestiegen ist, wandelte er
auf dem Wasser. Vers 29c beschreibt das Ziel von Petrus: $λθεν πρò̋ τòν Ιησον.
Die Präposition πρò̋ wird hier mit einem Akkusativ verwendet, welcher die Frage
des „wohin“ beantwortet.
Der 30. Vers beginnt mit einer Partizipialkonstruktion, welche den genaueren Umstand beschreibt. Das Partizip βλéπων in Vers 30a steht im Präsens und das finite
Verb φοβHθη ist ein Indikativ Aorist Passiv. Hier wird wiederum die Gleichzeitigkeit betont: als (oder während) Petrus die Wellen sah, fürchtete er sich. Vers 30b
beinhaltet ebenfalls eine Partizipialkonstruktion mit mehreren Partizipien. Das finite
Verb Dκραξεν steht im Indikativ Aorist. Das Partizip Aorist Medium ρξáµενο̋
wird normalerweise temporal übersetzt, an dieser Stelle wäre aber auch eine kausale
Sinnrichtung möglich und der Infinitiv καταποντíζεσθα steht hier ergänzend zum
Partizip ρξáµενο̋. Der Imperativ Aorist σ5σóν zeigt die Not, in der sich Petrus
befunden hat und betont hier vermutlich den ingressiven Aspekt, den Beginn der
Handlung des Rettens.
13
Siehe Anmerkungen zu Vers 25.
-9-
Im 31. Vers findet wieder ein Subjektwechsel statt, erkennbar im Nomen
, Ιησο̋ im Nominativ. 31a beinhaltet das Partizip Aorist +κτεíνα̋. Da das finite
Verb +πελáβετο ebenfalls im Aorist steht, wird die Vorzeitigkeit des Ausstreckens
der Hand Jesu vor dem Erfassen des Petrus herausgestrichen. Beim Verb λéγε handelt es sich um ein historisches Präsens. In 31b spricht Jesus Petrus mit dem Vokativ
Ολγóπστε an. Beim Verb +δíστασα̋ handelt es sich um einen Aorist Indikativ.
In Vers 32 befindet sich ein Genitivus Absolutus, ναβáντων ατ5ν. Im Zusammenhang mit dem Verb +κóπασενε, ein Indikativ Aorist, ist hier eine temporale
Sinnrichtung anzunehmen.
Vers 33 beginnt mit dem pronominal gebrauchten Artikel ο!, welcher den Subjektwechsel von Jesus zu den Jüngern anzeigt. Das finite Verb προσεκúνησαν zusammen mit dem Partizip Präsens λéγοντε̋ zeigt die Gleichzeitigkeit des Anbetens und
Sagens des grossen Bekenntnisses: Αληθ5̋ θεο !ò̋ ε1. Auch hier haben wir noch
einmal ein Verb im Präsens: ε1.
2. 5.
GLIEDERUNG DES TEXTES
1. Überleitung vom Wunder der Speisung der Fünftausend
22-23
1.1. Jesus entlässt die Jünger und verabschiedet das Volk
22
1.2. Jesus geht auf einen Berg um zu beten
23
2. Die Jünger im Schiff
24-27
2.1. Die Jünger geraten in einen Sturm
24
2.2. Jesus begegnet den Jüngern in ihrer Not
25
2.3. Die Reaktion der Jünger: Bestürzung und Furcht
26
2.4. Jesu Antwort: ich bin es, fürchtet euch nicht
27
3. Petrus´ wandelt auf dem Wasser
28-32
3.1. Mutiger Glaube: Petrus wandelt auf dem Wasser
28-29
3.2. ängstlicher Kleinglaube: Petrus versinkt im Wasser
30
3.3. Jesus bietet Petrus Hand und wird zum Retter
31
3.4. Stillung des Sturms
32
- 10 -
4. Anbetung und Bekenntnis der Jünger
2. 6.
33
4.1. Die Anbetung der Jünger
33a
4.2. Das Bekenntnis der Jünger
33b
SYNOPTISCHER VERGLEICH14
Synoptische Texte zum Seewandel Jesu finden wir bei Markus (Mk 6,45-52) und bei
Johannes (Joh 6,16-21). Interessanterweise erwähnt Lukas diese Begebenheit nicht.
In allen Evangelien schliesst die Perikope an an das Wunder der Speisung der 5000.
Matthäus und Markus sind sich in einzelnen Versen im Wortlaut sehr ähnlich – ein
Indiz dafür, dass Matthäus das Markusevangelium als Grundlage hatte. Johannes
unterscheidet sich deutlicher von den beiden Synoptikern; nicht nur im Wortlaut Johannes fasst sich in seiner Erzählung am kürzesten, während Matthäus am ausführlichsten ist.
Bei Johannes fehlen die detaillierten Angaben zum Übergang vom Wunder der Speisung der 5000 zum Seewandel. Matthäus und Markus beschreiben, dass Jesus sich
zurückgezogen hat, um zu beten. Auffallend ist, dass Matthäus keine geografischen
Angaben macht. Markus erwähnt Betsaida15 und Johannes Kapernaum als Ziel der
Schifffahrt. Was die Streckenangabe betrifft verwenden alle drei Evangelisten verschiedene Ausdrücke: Matthäus schreibt, dass das Schiff viele Stadien vom Land
entfernt war (V. 24), bei Markus ist das Schiff mitten auf dem See (V. 47) und Johannes schreibt, dass sie etwa eine Stunde gerudert hatten (V. 19). Das Erschrecken
der Jünger über die Epiphanie Jesu wird von allen drei Evangelisten erwähnt, das
Gespenst kommt nur bei Matthäus und Markus vor. Der Höhepunkt der Erzählung,
die Offenbarung Jesu, erwähnen alle drei Evangelisten mit dem gleichen Wortlaut:
„+γẃ ε&µ? µ# φοβεσθε¨ (Mt 14,27; Mk 6,50; Joh 6,20).
14
15
Für den synoptischen Vergleich wurde die Luther-Evangelien-Synopse benutzt.
Falls hier mit Betsaida die Stadt am nordöstlichen Ufer des Sees Genezareth gemeint ist, ergibt sich
ein Problem mit Lk 9,10: Ausgangspunkt und Ziel der Schifffahrt wären der gleiche Ort. Walvoord löst dieses Problem mit der Erklärung, dass Betsaida Julias (östlich des Jordans gelegen)
sich bis auf die westliche Seite des Jordans ausbreitete und dort „Betsaida in Galiläa“ genannt
wurde, eine Vorstadt von Kapernaum“ (Walvoord, das Neue Testament Band 4, 158). Diese These
würde bestätigt durch Johannes, der als Ziel der Schifffahrt Kapernaum nennt.
- 11 -
Was zum Sondergut von Matthäus gehört sind die Verse 28-31, der Wandel des Petrus auf dem Wasser. Die Stillung des Sturms wird nur von Matthäus und Markus
erwählt. Die Reaktion der Jünger auf das Erlebte fällt in den drei Evangelien unterschiedlich aus: bei Matthäus kommt es zur Anbetung (Mt 14.33), Markus schreibt
vom Entsetzen der Jünger (Mk 6,51) und Johannes beschreibt, dass die Jünger Jesus
in das Schiff nehmen wollten (Joh 6,21).
Auffallend beim synoptischen Vergleich ist, dass der Schluss der Perikope unterschiedlich erzählt wird. Dass Matthäus mit der Proskynese endet zeigt, dass es ihm
darum geht, Jesus als Messias darzustellen. Eine erste Proykynese finden wir schon
ganz früh im Evangelium: die Anbetung der Magoi (Mt 2,11). Mt 14,33 ist ein weiterer Schritt Richtung des grossen Bekenntnisses von Petrus in Mt 16,16: „du bist
Christus“. Interessanterweise fehlt die Anbetung bei Markus, obwohl sich Jesus genau gleich offenbart durch das +γẃ ε&µ. Stattdessen schreibt Markus, dass die Jünger sich entsetzten, nichts verstanden und ihr Herz verhärteten. Hier kommt vermutlich das für Markus typische Messiasgeheimnis (Mk 5,43) zum Ausdruck, den Messias unerkannt zu lassen.
2. 7.
VERMUTETE HAUPTINTENTION
Diese Perikope ist in erster Linie ist eine Offenbarung der Göttlichkeit Jesu vor seinen Jüngern. Durch das, was Jesus tut (Wunder des Seewandels, Rettung in Not) und
sagt (+γẃ ε&µ) erkennen die Jünger: „du bist wahrhaftig Gottes Sohn“.
2. 8.
2. 8. 1.
BEGRIFFSANALYSE
Wortstatistik16
Das am häufigsten vorkommende Substantiv in dieser Perikope ist πλοον. Es wird
5-mal verwendet. Im Matthäusevangelium kommt der Begriff insgesamt 13-mal vor,
2-mal davon beim Wunder der Sturmstillung (Mt 8,23-27). Im gesamten NT erscheint der Begriff 66-mal. Das Substantiv Lνεµο̋ wird 3-mal verwendet. Im Evan-
- 12 -
gelium kommt es 9-mal vor, davon je 2-mal im Gleichnis vom Hausbau und bei der
Sturmstillung. Im NT wird der Begriff 31-mal verwendet mit dem häufigsten Vorkommen bei Matthäus. 7χλο̋ ist ein häufig vorkommender Begriff. Im NT erscheint
er 174-mal, in den Briefen wird der Begriff nicht gebraucht. In Matthäus erscheint
dieses Substantiv am häufigsten mit 49 Vorkommen; in der Perikope wird es 2-mal
verwendet. Ebenfalls ein häufiger Begriff ist µαθητà̋. In der Perikope wird er 2mal gebraucht, bei Matthäus 73-mal, im Neuen Testament 262-mal, wobei auffallend
ist, dass der Begriff vor allem ein evangeliumspezifischer Begriff ist, der in der Apostelgeschichte nur 28-mal und in den Briefen überhaupt nicht verwendet wird. Das
Substantiv θáλασσα verwendet Matthäus in der Perikope ebenfalls 2-mal. Im Evangelium erscheint der Begriff 16-mal und im NT 91-mal, am häufigsten in den Evangelien und der Offenbarung. Den Vokativ Κúρε, der in der Perikope 2-mal erscheint, verwendet Matthäus 31-mal im Evangelium. κúρο̋ e rscheint bei Matthäus
80-mal und 718-mal im NT.
Bei den Verben erscheint λéγω mit 5 Verwendungen am häufigsten in der Perikope.
Im Evangelium kommt das Verb 289-mal vor und 1318-mal im NT. Das seltenere
λαλéω, welches im NT 298-mal verwendet wird, erscheint im Evangelium 26-mal
und 1-mal in dieser Perikope. Das ebenfalls häufig vorkommende Verb
Dρχοµα erscheint in diesem Abschnitt 3-mal, bei Matthäus 111-mal und im NT
631-mal. περπáτω wird 2-mal verwendet, erscheint bei Matthäus 7-mal und im NT
95-mal. Das Verb κρáξω erscheint im NT 55-mal, bei Matthäus kommt das Verb
mit 12 Verwendungen am häufigsten vor und in der Perikope braucht Matthäus den
Begriff 2-mal.
2. 8. 2.
Paralleltexte
Mit der Offenbarung Jesu +γẃ ε&µ (Mt 14,27) macht er aller Wahrscheinlichkeit
nach eine Anspielung auf den Gottesnamen in Ex 3,14. Hier offenbart sich Gott mit
seinem Eigennamen in der LXX mit „+γẃ ε&µ , Mν¨. Bei Matthäus kommt dieses
+γẃ ε&µ 2-mal vor: in der Auseinandersetzung Jesu mit den Sadduzäern (Mt 22,32),
wo er Ex 3,6 zitiert und in den Endzeitreden, wo er über das Kommen der falschen
Messiasse spricht (Mt 24,5). Bei Markus erscheint diese Wendung ebenfalls 3-mal:
16
Die statistischen Angaben stammen aus: Morgenthaler, Statistik.
- 13 -
beim Seewandel (Mk 6,50), in den Endzeitreden (Mk 13,6) und als Krönung in der
Antwort Jesu auf die Frage des Hohepriesters bei der Gefangennahme, ob er der
Messias sei: +γẃ ε&µ (Mk 14,62). Dieses Bekenntnis finden wir ebenfalls bei Lukas
(Lk 22,70). Als Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern begegnet, spricht er zu
ihnen: +γẃ ε&µ (Lk 24,39). Bei Johannes erscheint das +γẃ ε&µ am häufigsten: im
Evangelium 29-mal und in der Apokalypse 5-mal. Erwähnenswert sind vor allem
auch die 7 Ich-Bin-Worte (Joh 6,35; 8,12; 10,9; 10,11; 11,25; 14,6; 15,5), wo Jesus
bildliche Ausdrücke als Prädikate verwendet. Darin offenbart er auf eindrückliche
Weise, wer dieser „ich bin“ Gott ist. Und als der +γẃ ε&µ kann Jesus Christus auch
sagen: µ# φοβεσθε (Mt 14,27). Diese Aussage finden wir in den Evangelien 20mal, 8-mal bei Matthäus. Im übrigen NT kommt sie 5-mal vor. Häufig ist das
„Fürchtet euch nicht“ im AT, es erscheint 96-mal, am häufigsten beim Propheten
Jesaja. Dieses „Fürchtet euch nicht“ erscheint in Situationen, in denen Menschen sich
ängstigen. Die Situation der Jünger im Sturm ist dafür beispielhaft. Sie befanden sich
in Not und wurden bedrängt Nπò τ5ν κµáτων. Diese Wendung braucht Matthäus
auch in der Perikope der Sturmstillung (Mt 8,24ff). Auch hier geraten die Jünger in
Not, fürchten sich und machen in dieser Situation ein tief greifendes Erlebnis, indem
Jesus als allmächtiger Sohn Gottes den Sturm stillte.
Die Zeitangabe τετáρτA δè φλακO τ̋ νκτò̋ verwendet auch Markus (Mk 6,48).
Die Nächte wurden in vier Wachen eingeteilt: 18-21 Uhr, 21-24 Uhr, 24-03 Uhr, 0306 Uhr. Die letzte Wache wurde auch Morgenwache genannt und in dieser Zeit ist
Jesus seinen Jüngern begegnet. Paralleltexte finden wir auch zur Wendung
ε&̋ τò 7ρο̋. Wir lesen an mehreren Stellen in den Evangelien, dass Jesus sich auf
einen Berg begeben hat. Oft, um in die Stille zu gehen (Lk 6,12), aber auch, um zu
Lehren wie bei der Bergpredigt (Mt 5,1). Berge scheinen in der Bibel eine besondere
Rolle zu spielen. Mehrere Persönlichkeiten der Bibel haben auf einem Berg besondere Gotteserlebnisse gemacht und göttliche Offenbarungen erlebt: so z.B. Mose auf
dem Berg Sinai, als er die Zehn Gebote erhielt (Ex 19,20), Elia auf dem Berg Karmel, als er für Jahwe kämpfte (1Kö 19,19ff) und der Tempel Salomos wurde auf dem
Berg Zion erbaut (1Kö 8,1). Auf einem Berg erlebten einige Jünger die Verklärung
Jesu (Mt 17,1-13) und die letzten Worte, die Jesus an seine Jünger richtete bevor er
zum Himmel fuhr, redete Jesus von einem Berg aus (Mt 28,16).
- 14 -
Auffallend ist auch die Wendung Οψíα̋ δè γενοµéνη̋. Sie ist vermutlich eine Redewendung ohne besondere Bedeutung. Matthäus verwendet sie 7-mal, bei Markus
finden wir diese Wendung 4-mal.
2. 8. 3.
Begriffserklärung
µαθητ#̋
Der Begriff µαθητ#̋ beschreibt erst einmal einen Menschen, der sich an eine andere
Person bindet, um von ihr zu lernen (µανθανω) im Sinne einer Ausbildung wie z.B.
Lehrlinge im Handwerk oder Studenten in einer Philosophenschule. Die Verbindung
zwischen µαθητ#̋ und dem δδασκαλο̋ (Lehrer) ist sehr eng und geht über ein
Schüler-Lehrer Verhältnis hinaus. In der Zeit vor Sokrates war es üblich, dass der
µαθητ#̋ dem δδασκαλο̋ ein Honorar bezahlte – die Verbindung hatte also einen
kommerziellen Aspekt, später rückte dann das persönliche Verhältnis zwischen Jünger und Meister in den Vordergrund. Oft wurden die Philosophien der Meister von
ihren Jüngern weiterentwickelt und sie waren auch deren Verwalter und Verbreiter,
deshalb bezeichnet der Begriff auch Anhänger einer bestimmen Philosophie oder
Weltanschauung. Im AT finden wir das System des Lernens durch einen Meister
auch. So gab es z.B. Prophetenschulen, wo die „Söhne“ von den „Propheten“ lernten
(2Kö 2,3). Der Begriff des Jüngers findet sich selten (Jes 8,16; 50,4). Weiter verbreitet war der Begriff Talmid, vor allem im rabbinsichen Judentum, der einen Schüler
des Rabbis bezeichnete. Eine wichtige Rolle spielt im AT auch das Lernen von Gott
(Jes 50,4). Zu lernen gilt es vor allem, den Willen Gottes zu tun wie Mose den Priestern gebot: „Versammle das Volk … damit sie es hören und lernen und den HERRN,
euren Gott, fürchten und alle Worte dieses Gesetzes halten und tun“ (Dt 31,12).
Im NT bezeichnet der Begriff in erster Linie die Anhänger Jesu. Es ist jedoch auch
die Rede von den Jüngern des Johannes und den Jüngern der Pharisäer. Neu bei Jesus
ist die Berufung der Jünger (Mk 3,13) – im Rabbinat und bei den griechischen Phlosophenschulen musste sich ein Schüler um eine Aufnahme in den Jüngerkreis bemühen. Jesus stellt auch nicht das Wissen ins Zentrum, sondern den Glauben. Kennzeichnend dafür ist die Bitte der Jünger an Jesus: „Mehre uns den Glauben“ (Lk
17,5). Der Begriff µαθητ#̋ wird in der Apg ausgeweitet auf die Mitglieder der Urgemeinde (Apg 6,1). In den Briefen wird der Begriff nicht mehr gebraucht.
- 15 -
7χλο̋
7χλο̋ ist einer von mehreren Begriffen17, die häufig mit dem deutschen Wort Volk
übersetzt werden. Es handelt sich dabei in erster Linie um eine unorganisierte Volksmenge, man könnte auch vom Pöbel sprechen. Den Gegensatz zum 7χλο̋ bilden
die Vornehmen und Angesehenen, die führenden Kreise; diese verachteten die
Volksmenge als Ungebildete und Heruntergekommene. In der LXX geht die Verwendung des Begriffs in die gleiche Richtung im Sinne einer Volksmenge. An einigen Stellen wird 7χλο̋ im militärischen Sinne verwendet für das Heer.
Im NT wird der Begriff ebenfalls im Sinne eines „Volkshaufens“ verwendet.
7χλο̋ erscheint im NT 174-mal, dies fast ausschliesslich18 in den Evangelien und in
der Apostelgeschichte. Jesus war auffallend häufig vom 7χλο̋ umgeben – von
Menschen, die nicht zur politischen oder religiösen Elite gehörten, sondern ungebildet und verachtet waren. Auch die Jünger waren ein 7χλο̋ (Lk 6,17). Doch gerade
solchen Menschen wendet Jesus sich zu, denn er ist „gekommen, die Sünder zu rufen
und nicht die Gerechten“ (Mt 9,13).
πλοον
Der Begriff πλοον bezeichnete im antiken Griechenland im Allgemeinen ein
Schiff, speziell ein Lastschiff. Im AT wird für Schiff der hebräische Begriff onijja
verwendet. Da die Hebräer keine Seeleute waren, spielt die Schifffahrt im AT eine
unbedeutende Rolle. Schiffe werden zwar an einigen Stellen erwähnt (z.B. Ge 49,13,
1Kö 22,48 u.,a.) aber einzig in der Jonaerzählung spielt ein Schiff eine bedeutende
Rolle. Die Fischerei auf dem See Genezareth wird im AT nicht erwähnt.
Im NT meint der Begriff πλοον ein grösseres Fischerboot. Solche Boote wurden
meistens auf dem See Genezareth eingesetzt. Das NT unterscheidet zwischen dem
grossen πλοον und einem kleineren πλοáρον. Mitte der 80er Jahre wurde ein
antikes Schiff aus dem Uferschlamm des See Genezareths gehoben. Dieses Schiff
17
18
λαο̋ <Volk), δηµο̋ <Volksversammlung), εθνο̋ (Nation).
Einzig in der Offenbarung wird der Begriff 4 mal erwähnt.
- 16 -
war 8,2 m lang, 2,3 m breit und 1,2 m tief. Es besaß Ruder und Segel und wurde von
einer mehrköpfigen Mannschaft gesteuert.
θáλασσα / Fδωρ
Die Herkunft des Begriffes θáλασσα ist unklar. Im Griechischen bezeichnet der
Begriff seit Homer das Meer, die offene See. Im AT erscheint der Begriff
θáλασσα in der LXX 370-mal. Es wird nicht unterschieden zwischen den offenen
Gewässern und Binnenseen. Genannt werden das Mittelmeer, das Schilfmeer (rotes
Meer), das Salzmeer (Totes Meer) und der See Kinneret (See Genezareth). Für die
Menschen des AT war das Meer eine Sphäre des Unheils, vermutlich zurückzuführen
auf die Beziehung des Meeres zum Chaos (Ge 1,2). Sie betrachteten es als Wohnort
gottesfeindlicher Mächte wie Drachen und Dämonen (Hiob 7,12; Jes 27,1).
Im NT wird wie im AT ebenfalls nicht unterschieden zwischen offenem Meer und
Binnensee. Deshalb bezeichnet Matthäus den See Genezareth als galiläisches Meer.
Einzig Lukas bezeichnet den See als λíµνη (Lk 5,1). Wie im AT hat auch im NT das
Meer nach wie vor eine bedrohliche Seite. Petrus bekommt dies – im wörtlichen Sinne - am eigenen Leib zu spüren, indem er in den Wasserwogen unterzugehen drohte.
In der Apokalypse des Johannes ist das Meer Wohnort dämonischer Ungeheuer
(Offb 13,1).
Beim Begriff Fδωρ handelt es sich um die Bezeichnung von Wasser. Im Kontext der
Seewandel-Perikope bedeutet Wasser das Meer. Der Wandel von Petrus und Jesus
auf dem Meer ist eigentlich ein Wandel auf den Wassern (Plural!).
φαντασµα
Der Begriff φαντασµα war bei den Griechen erst einmal ein philosophischer Begriff. Schon vor Aristoteles wird er verwendet im Zusammenhang mit der Vorstellungskraft des Menschen. Ein Bild, das sich ein Mensch in Gedanken vorstellt, ist ein
φαντασµα. Diese Bedeutung ist eng verwandt mit unserem heutigen Begriff Phantasie. Es gibt jedoch auch Hinweise dafür, dass im Volk unter φαντασµα eine Geistererscheinung verstanden wurde im Sinne eines Gespenstes, wie der Begriff heute
volkstümlich verwendet wird. Im Judentum finden wir auch den Glauben an Geister-
- 17 -
erscheinungen. So geht z.B: Saul zur Totenbeschwörerin in En-Dor, um Kontakt mit
dem Geist Samuels aufzunehmen.
Der Begriff φαντασµα erscheint im NT nur im Zusammenhang mit dem Seewandel
(Mt 14,26, Mk 6,49). Aufgrund der Reaktion der Jünger auf das, was sie gesehen
hatten – ihre Furcht - ist anzunehmen, dass bei ihnen die volkstümliche Bedeutung
im Vordergrund steht. Bei φαντασµα handelt es sich nicht nur um eine imaginäre
Erscheinung, sondern um ein reales Geschehen. Diese Bedeutung wird bestätigt
durch die Verwendung des Begriffs φανταζóµενον in Hebr 12,21. Der Autor nimmt
hier Bezug auf die Erlebnisse von Mose am Berg Sinai, welche keine „Phantasie“
waren, sondern real.
κúρο̋
κúρο̋ wurde im Griechischen eine höhergestellte Person genannt und bezeichnet in
erster Linie einen Herr, einen Herrscher. Sklaven bezeichneten ihre Meister als
κúρο̋. Eine religiöse Bedeutung findet sich im älteren Griechentum kaum. Im Orient hingegen wurden Götter als Herren bezeichnet. Später hielt die religiöse Bedeutung auch im Hellenismus Einzug. Caligula war der erste römische Kaiser, der sich
als Gott anbeten liess. In einer Inschrift wird Kaiser Nero bezeichnet als κοσµο κρο̋ (Herr der ganzen Welt)19. In der LXX kommt der Begriff κúρο̋ über 9000mal (!) vor. Meistens hat der Begriff eine religiöse Bedeutung, selten bezieht er sich
auf Menschen. In der Mehrzahl der Stellen wird mit κúρο̋ der Namen Gottes
JHWH übersetzt.
Im NT kommt der Begriff κúρο̋ an 719 Stellen vor. Er ist das dritthäufigste Nomen
im NT. Verwendet wird es selten in einem profanen Sinne(Mt 18,25), meistens in
einem religiösen. Gott wird als κúρο̋ bezeichnet, häufig in den alttestamentlichen
Zitaten. Zentrale Bedeutung hat die Bezeichnung Jesu als κúρο̋. Schon vor seinem
Tod wurde Jesus von seinen Jüngern mit κúρο̋ angesprochen. Diese Anrede könnte
auf den Titel Rabbi zurückgehen. Der Begriff zeigt die Akzeptanz der Jünger der
Autorität Jesu. Sie waren bereit, ihrem κúρο̋ zu folgen und zu gehorchen, was auch
19
Theologisches Begriffslexikon, Art Herr, 926
- 18 -
deutlich sichtbar wird im Seewandel des Petrus (Mt 14,28). Nach Ostern bekam der
Begriff noch einmal eine Bedeutungssteigerung. Jesus war nicht nur Herr, wie es im
ältesten Bekenntnis κúρο̋ Ιησο̋ (Vlg. Rö 10,9) ausgedrückt wird, sondern Herr
über alle Herren: „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist“ (Phil 2,9). In seltenen Fällen wird der Begriff auch gebraucht, um heidnische Gottheiten zu bezeichnen (1Kor 8,5).
προσκνéω
Der Begriff προσκνéω geht vermutlich zurück auf das Verb κνéω, welches mit
Küssen übersetzt werden kann. Gemeint ist eine Geste der Verehrung, die sich darin
äussert, dass sich jemand zu Boden wirft, um die Füsse eines Herrschers zu küssen
oder – im religiösen Sinne – das Küssen des Bodens. Προσκνéω ist immer ein
Zeichen der Ehrbietung und Demut. Im AT erscheint der Begriff 160-mal – wir finden sowohl eine profane (Ge 37,7) als auch eine religiöse Bedeutung. Das sich Niederwerfen vor Gottheiten spielte in altorientalischen religiösen Kulten eine ganz
wichtige Rolle (1Kö 19,18). Im Dekalog wird die Proskynese fremder Gottheiten
untersagt (Ex 20,5), anbetungswürdig ist alleine JHWH (2Kö 17,36).
Im NT erscheint der Begriff 60-mal, am häufigsten in der Offenbarung. Der Begriff
προσκνéω
wird
auch
hier
verwendet
im
Sinne
einer
Huldigung.
Προσκνησ̋ gehört wie im AT alleine Gott, auch wenn im NT Satan angebetet
werden möchte (Mt 4,9). Petrus lehnt die Proskynese des Kornelius (Apg 10,25) ebenso ab wie der Engel in der Offenbarung, den Johannes anbeten wollte (Offb
19,10). In der Perikope des Seewandels ist die Proskynese nach der Sturmstillung
(Mt 14,33) ein Ausdruck des Glaubens und der Anerkennung Jesu als
κúρο̋ und !ò̋ το θεο. Das Verb προσκνéω findet sich bei Paulus zwar nur
in 1Kor 14,25, aber im Christushymnus in Phil 2,11f wird genau das beschrieben,
was mit προσκνéω gemeint ist: „daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller
derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind und alle Zungen
bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters“.
2. 9.
KLÄRUNG DES INTERPRETATIONSRAHMENS
Wenn man die Perikope mit den Paralleltexten vergleicht fällt auf, dass Jesus sich
nicht nur mit dem Gottesnamen +γẃ ε&µ offenbart, sondern das diese Worte eng
- 19 -
verknüpft sind mit den Taten, mit denen Jesus seine Aussage unter Beweis stellt. Er
beweist seine Göttlichkeit, in dem er Wunder vollbringt und zum Retter für die Jünger wird. Dies erinnert an die Geschichte des Exodus: Gott hat sich dort nicht nur als
der „ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14) offenbart, sondern dies durch Wunder (Zehn Plagen, Ex 7-12) und Rettungstaten (Ex 14,13) unter Beweis gestellt. Bei Johannes stehen die „Ich-Bin-Worte“ primär im Zusammenhang mit den Prädikaten, die ihn als
Sohn Gottes genauer beschrieben und beim Verhör vor dem Hohepriester ist es ein
Bekenntnis Jesu (Mk 13,6). Auffällig ist auch, dass Jesus sich beim Seewandel ausschliesslich den Jüngern offenbart, während die anderen Selbstoffenbarungen Jesu
z.T. auch vor dem Volk stattfanden. Die Aussage Jesu: „Fürchtet euch nicht“ (Mt
14,27) steht im Kontext der Epiphanie. Dies lässt sich z.T. auch in den Parallelstellen beobachten. Bei der Engelserscheinung bei Josef (Mt 1,20) und bei der Begegnung der Frauen am Grab mit einem Engel (Mt 28,5) finden wir diese Aussage ebenfalls. Im AT steht dieses „Fürchte dich nicht“ ebenfalls nicht selten im Zusammenhang mit einer Gottes- oder Engelserscheinung (Ge 15,1; Ge 26,24).
.
Die Perikope enthält keine speziellen Bildworte, ebenso keine direkten Zitate aus
dem Alten Testament. Auf die Anspielung Jesu auf den Gottesnamen wurde schon
eingegangen und diese wird auch in der Interpretation eine wichtige Rolle spielen,
ebenso das Wunder des Seewandels und die Rettungstat Jesu.
3.
3. 1.
INTERPRETATION DES TEXTES
HISTORISCH-THEOLOGISCHE INTERPRETATION
(22) Und sogleich nötigte er die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm vorauszugehen an das jenseitige Ufer, währenddem er sich vom Volk verabschiedete. Dieser Vers stellt uns vor eine ganz wichtige Frage: Weshalb nötigte Jesus seine Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm vorauszufahren? Die Antwort liefert uns
Joh 6,15: der 7χλο̋ wollte Jesus zum König machen. Sie wollten ihn zum Herrscher
ausrufen, der sich gegen die Macht der Römer erheben und das Volk befreien würde.
Das Volk sah in Jesus einen Retter, doch war ihre Vorstellung des Messias zutiefst
menschlich und irdisch. Jesus wusste: Sein Auftrag war ein anderer: sein Reich war
nicht von dieser Welt (Joh 18,36), er sollte zum Lamm Gottes werden, das der Welt
Sünde trägt (Joh 1,29). Zuerst das Kreuz und dann die Krone - zuerst das Leiden und
- 20 -
dann die Herrlichkeit. Doch dafür war die Zeit noch nicht reif. Deshalb schickte Jesus seine Jünger weg, die in der Gefahr standen, vom Pöbel in einen Sog gezogen zu
werden. Jesus selbst zog sich auf einen Berg zurück zum Gebet.
(23) Und nachdem er das Volk verabschiedetet hatte, ging er für sich alleine
hinauf auf den Berg, um zu beten. Nachdem es aber Abend geworden war, war
er alleine. Die Geschichte der Versuchung Jesu zeigt, dass Macht eine der grossen
Versuchungen darstellt (Mt 4,8f). Jesus erlebte auch hier eine solche Versuchung und
in dieser Situation tat er das einzig Richtige was ein Mensch in Versuchung tun
kann: er suchte die Nähe Gottes (vgl. Mk 14,38). Die hereinbrechende Nacht und die
Einsamkeit kann in einem doppelten Sinne verstanden werden. Stunden der Versuchung sind immer finstere Stunden, da Satan der Fürst der Dunkelheit ist (vgl. Kol
1,13). Der Weg Jesu zum Kreuz ist auch ein Weg der Einsamkeit. Die Menschen
konnten ihn nicht verstehen – sogar die Jünger verstanden bis zur Passion Jesu nicht,
was es mit dem Kreuz auf sich hat. Doch Jesus ging diesen Weg unbeirrt trotz Finsternis und Einsamkeit.
(24) Das Schiff aber war schon viele Stadien vom Ufer entfernt und wurde bedrängt von den Wellen, denn der Wind war ihnen entgegen. Währenddem Jesus
in der Dunkelheit und Einsamkeit war, hatten die Jünger einen anderen Kampf zu
kämpfen: Mit ihrem Schiff gerieten sie in einen Sturm. Wind und Wellen wurden zu
Chaosmächten, die das Schiff in Not brachten. Das passive Verb βασανζóµενον
könnte man auch übersetzten mit „gequält werden“. Oft wird dieser Begriff im Zusammenhang mit menschlicher Not verwendet (vgl. Mt 8,6, Offb 12,2). Das Schiff
der Jünger wird gequält von den Mächten des Chaos und wird somit zum Sinnbild
für die Situation vieler Menschen, die durch Not und Qual gehen. Eduard Schweizer20 und mit ihm auch andere Ausleger sehen das Schiff auch als Symbol für die
Gemeinde21 und wenn wir die Entwicklung der Kirche in der Geschichte betrachten,
so gab es doch so manche Situation, wo dieses Schiff in Bedrängnis geraten ist: in
20
21
Schweizer, Matthäus NTD2, 210.
Das Bild der Gemeinde als Schiff wird im Lied „Ein Schiff das sich Gemeinde nennt“ von Martin
Gotthard Schneider wunderbar verarbeitet (Liederbuch der Heilsarmee Nr. 317).
- 21 -
Dunkelheit, hohe Wellen und ein starker Wind der entgegenweht. Doch in aller Not
lässt Jesus die Seinen nicht alleine.
(25) Aber in der vierten Nachtwache kam er zu ihnen, indem er auf dem Meer
wandelte. Jesus begegnet seinen Jüngern im Morgengrauen. In der Geschichte Israels sehen wir, dass Gott mehrmals im Morgengrauen den Seinen zu Hilfe gekommen
ist. So z.B. am Schilfmeer (Ex 14,24), Sauls Sieg über die Ammoniter (1Sam
11,11.14) oder auch in den Psalmen wo es über die Stadt Gottes heisst: „Gott ist bei
ihr drinnen, darum wird sie festbleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen“ (Ps 46,6).
Matthäus beschreibt auch, wie Jesus zu den Jüngern kam: auf dem Meer gehend.
Nach dem Wunder der Speisung der 5000 ist dieses Wunder eine weitere eindrückliche Demonstration der Macht Jesu, welche seine Göttlichkeit offenbart. Er ist Herr
über Himmel und Erde. Jesu Wandel auf dem Meer und auch die Sturmstillung
könnte aber verstanden werden als Sieg über die chaotischen22 und auch dämonischen Mächte23. Auf diesen Sieg Jesu über die teuflischen Chaosmächte nimmt Paulus in Kol 2,15 Bezug.
(26) Als aber die Jünger ihn auf dem Meer wandeln sahen, gerieten sie in Aufregung und sagten: dies ist ein Gespenst und aus Furcht schrien sie. Auf das,
was die Jünger in jener Nacht gesehen hatten, waren sie nicht vorbereitet. Sie hatten
noch nie jemanden auf dem Wasser gehen sehen, auch Jesus nicht. So erstaunt es
nicht, dass sie die Gestalt, die da auf dem Wasser wandelte, für ein Gespenst hielten.
Im Zusammenhang mit der Vorstellung, dass das Meer Wohnort der Dämonen ist, ist
die Furcht der Jünger mehr als verständlich. Geschürt wurde diese durch Erzählungen darüber, „dass um Mitternacht auf dem Meer Gespenster umgingen und die
Schiffer in die Tiefe zögen“24. Die Partizipialkonstruktion im Satz, welche die
Gleichzeitigkeit des Redens und Schreiens betont, streicht die Dramatik der Situation
besonders heraus.
22
δáβολο̋, wörtl. der „Durcheinanderbringer“.
Vgl. Anmerkungen zum Begriff θáλασσα 17.
24
Rienecker, Das Evangelium des Matthäus, 206.
23
- 22 -
(27) Sogleich aber redete Jesus zu ihnen und sagte: seid guten Mutes, ich bin es!
Fürchtet euch nicht.
Die Reaktion Jesu auf die Furcht der Jünger folgt unmittelbar. εθéω̋ antwortet
Jesus auf das Schreien der Jünger, spricht zu ihnen und gibt sich zu erkennen. Epiphanien lösen bei Menschen häufig Furcht aus: von Mose lesen wir, dass er sich
bei der Begegnung mit Gott im brennenden Dornbusch das Angesicht verhüllte aus
Furcht (Ex 3,6), Jesaja schrie „Weh mir, ich vergehe!“ (Jes 6,5) als er Gott in einer
Vision sah und auch die Jünger erschraken und fürchteten sich, als ihnen der Auferstandene begegnete (Lk 24,37). Doch auf die Furcht des Menschen folgt die Antwort
Gottes: „Fürchtet euch nicht“. An diese Stelle kann dieses µ# φοβεσθε zweifach
verstanden werden: einerseits im Sinne von „Fürchtet euch nicht vor mir, denn ich
bin es, nicht ein Gespenst sondern euer Meister, Jesus“ oder aber auch „Fürchtet
euch aber auch nicht in der Situation in der ihr euch befindet. Egal wie stark der
Sturm, ich bin da“. Diese Worte haben schon so viele im Schiff der Gemeinde getröstet und aufgerichtet. Und Matthäus nennt auch den Grund, weshalb sich die Jünger nicht zu fürchten brauchen: Jesus offenbart sich als der „+γẃ ε&µ¨. Mit dieser
Aussage zeigt Jesus einerseits, dass er, Jesus von Nazareth, den Jüngern erscheint
und nicht irgend ein Gespenst. Mit dem +γẃ ε&µ offenbart sich aber Jesus auch als
Sohn dessen Gottes, der sich schon Mose mit dem Namen +γẃ ε&µ offenbart hat (Ex
3,14). In ihm, Jesus Christus, wird der lebendige Gott JAHWE sichtbar (Joh 1,18).
(28) Petrus aber antwortet ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, befiehl mir zu
dir zu kommen auf dem Wasser. Die folgenden 4 Verse sind Sondergut des Matthäus. Es ist eine Geschichte von mutigem Glaube und zweifelndem Kleinglaube.
Das, was Petrus soeben gesehen und erlebt hat, motiviert ihn zu grossen Glaubenstaten. Er greift erst einmal die Offenbarungsformel auf und sagt zu Jesus: „wenn du es
bist, befiehl mir zu dir zu kommen“. Dieses „wenn du es bist“ kann unterschiedlich
interpretiert werden. Einerseits im Sinne eines Zweifelns: Petrus ist sich nicht sicher
ob es wirklich Jesus ist und er erwartet von ihm eine weitere Bestätigung. Dagegen
spricht jedoch, dass Petrus Jesus mit κúρο̋ anspricht und das +γẃ ε&µ aufgreift.
Vermutlich ist diese Äusserung eher ein Ausspruch des Vertrauens. Oberlinner
schreibt: „Es ist deshalb m.E. verfehlt, des Petrus Worte „wenn du es bist" als „zweifelnde Feststellung" zu interpretieren, … Mit der Wiederholung der Worte Jesu und
der damit verbundenen Anerkennung von dessen gottgleicher Macht schafft Petrus
- 23 -
die Grundlage für seine Bitte, Jesus möge ihm „befehlen", zu ihm „über die Wasser
hin" zu kommen“25. Petrus springt nicht einfach ins Wasser, sondern er macht es wie
bei der Berufungsgeschichte auf das Wort Jesu hin (Lk 5,5). Glaubenstaten ohne Jesu
Ruf sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie müssen aber auch auf ein klares Ziel ausgerichtet sein: Christus. Mit seinem Wagnis hat Petrus ein klares Ziel vor
Augen: er will nicht einfach das Wunder erleben, sondern er will zu Jesus.
(29) Er aber sagte: komm. Und nachdem Petrus aus dem Schiff gestiegen war,
wandelte er auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Die Antwort von Jesus besteht aus einem Wort: komm. Für Petrus genügt dieses eine Wort: er geht das Wagnis
ein, verlässt jegliche Sicherheit, steigt aus dem Schiff und das Wunder passiert: er
wird vom Wasser getragen. Das Unmögliche wird möglich da, wo Gott seine Hand
im Spiel hat (vgl Mt 19,26). Sein Glaube trägt ihn. Der Mut des Petrus ist beachtenswert. Es bleibt aber die Frage, ob dieses aus dem Schiff steigen nicht auch als
Übermut interpretiert werden könnte. Dies würde sehr gut zur Persönlichkeit des
Petrus passen; nicht selten agierte er übermütig (vgl. Joh 18,10). Dagegen spricht
jedoch, dass Petrus erst aus dem Schiff stieg, nachdem Jesus ihm den Befehl erteilt
hat. Vermutlich hatte Petrus an dieser Stelle für einmal sein Temperament im Griff.
Er steigt aus dem Schiff, wandelt auf dem Wasser und geht auf Jesus zu.
(30) Als er aber den (starken) Wind sah, fürchtete er sich und als er zu sinken
begann schrie er und sagte: Herr, rette mich. Der Wandel auf dem Wasser geht so
lange gut, wie Petrus auf Jesus zu geht und den Blick auf ihn gerichtet hält. Als er
seinen Blick jedoch wieder dem Wind zuwandte, begann er zu sinken. Die Realität
der Chaosmächte hat Petrus wieder eingeholt. Hier zeigt sich: Sieg über die Chaosmächte gibt es nur im Zusammenhang mit Jesus. Wer den Blick von ihm abwendet,
verliert unweigerlich den Boden unter den Füssen und geht im Chaos unter. Ähnlich
erging es Israel, als sie von giftigen Schlangen umgeben wurden. Wer den Blick auf
die eherne Schlange richtete, blieb am Leben (Num 21,8-9). Dies gilt auch den Gläubigen: es ist der Blick auf den Gekreuzigten, der uns nicht im Chaos untergehen
lässt. Diese Botschaft hielt auch Paulus für die wichtigste aller Botschaften: „Denn
25
Oberlinner, Können Wunder schief gehen, 93-94.
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ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten“ (1Kor 2,2). Als Petrus untergeht kann er nur noch eines: zu seinem Herrn
schreien. Er weiss immer noch wer ihm helfen kann. Es ist also totale Verzweiflung,
sondern Kleinglaube.
(31) Sogleich aber streckte Jesus die Hand aus und fasste ihn und sagt zu ihm:
Kleingläubiger, warum zweifelst du? Die Reaktion Jesu auf die Furcht des Petrus
folgt wieder unmittelbar wie schon die Furcht der Jünger im Schiff: εθéω̋ fasste
Jesus die Hand von Petrus und er durfte erleben, wovon schon der Psalmist geschrieben hat: "rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten“ (Ps 50,50a). Jesus wird
für Petrus zum ganz persönlichen σωτ#ρ. Trotz des Abwendens seines Blickes gibt
Jesus Petrus nicht auf und steht ihm bei. Dies ist eine Botschaft, die sich wie ein roter
Faden durch das ganze AT zieht: immer wieder haben Menschen versagt, sind gescheitert und dennoch ist Gott bereit, denen Hilfe zu bieten, die ihn darum bitten.
Hier offenbart sich einmal mehr Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Eine unbequeme
Frage aber bleibt für Petrus: „Kleingläubiger, warum zweifelst du?“ Der Begriff
Kleingläubiger ist typisch für Matthäus – er verwendet ihn ausschliesslich für die
Jünger im Gegensatz zum Unglauben des Volkes. Petrus wird von Jesus nicht als
Ungläubiger bezeichnet, sonst wäre er wohl kaum aus dem Schiff gestiegen. Aber im
entscheidenden Moment minimierte sich der Glaube – und Zweifel machte sich breit.
Schweizer schreibt zum Begriff Zweifel an dieser Stelle folgendes: „… spricht das
griechische Wort vom „Treten nach zwei Seiten hin“, so dass man auf zwei Wegen
zugleich gehen möchte…“26. Und Petrus hat genau das getan: er wandte seinen Blick
von der einen Seite – Christus – hin auf die andere Seite - hin zu den Chaosmächten.
(32) Und als sie in das Schiff gestiegen waren, liess der Wind nach. Ob diese
Sturmstillung ein weiteres Wunder darstellt oder ob der Wind rein zufällig aufgehört
hat erzählt Matthäus an dieser Stelle nicht. Auch Markus und Johannes lassen uns
darüber im Unklaren. Es ist jedoch auch gar nicht so wichtig: zentral ist dass da, wo
Jesus sich befindet, Ruhe einkehrt. Wer zu Jesus kommt – oder er zu ihm, der findet
Ruhe (Mt 11,28).
26
Schweizer, Matthäus NTD2, 210.
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(33) Aber die, die in dem Schiff waren, beteten ihn an und sagten: wahrhaftig,
du bist Gottes Sohn. Die Reaktion der Jünger im Schiff auf das, was sie soeben erlebt haben ist Anbetung. Luther schreibt: „Die Wunderzeichen sollen dazu dienen,
dass wir den wahrhaften Gott erkennen“27. Das Erlebnis der Jünger führte genau zu
dem: sie fielen vor Jesus nieder als Zeichen der Ehrfurcht und auch Demut und beteten ihn an. In dem Begriff wahrhaftig kommt eine tiefe Ergriffenheit zum Vorschein.
Das Wunder des Seewandels, das +γẃ ε&µ Jesu, die Art und Weise wie Jesus Petrus
begegnet ist: all das führt die Jünger zur Erkenntnis: dieser Mann ist kein Gewöhnlicher. Und ihre Erkenntnis endet im Bekenntnis: du bist Gottes Sohn!
3. 2.
SYSTEMATISCH-THEOLOGISCHE INTERPRETATION
Obwohl es sich bei dieser Perikope um einen Erzähltext handelt, beinhaltet er doch
einige wichtige theologische Aussagen. In erster Linie handelt es sich dabei um
Christologische Aussagen. Mit dem +γẃ ε&µ offenbart sich Jesus als Sohn Gottes.
Die Wunder, die er in dieser Perikope vollbringt, unterstreichen diese Aussage auf
eindrückliche Art und Weise; ebenso das Bekenntnis der Jünger: „du bist Gottes
Sohn“. Es kommt auch ein wichtiger Wesenszug Jesu zum Vorschein: Gnade und
Barmherzigkeit. Selbst im Versagen des Menschen nimmt sich Jesus ihm gnädig an.
Implizit erscheint in dieser Perikope auch die soteriologische Lehre, dass Rettung
von Christus abhängig ist. Petrus hat später selber bestätigt: „Und in keinem andern
ist das Heil (σωτηρíα)“ (Apg 4,12a).
Die Perikope hat aber auch einen anthropologischen Aspekt. So führt sie auf eindrückliche Art und Weise die Schwachheit des Menschen vor Augen. Petrus, der in
einem Moment ein mutiger Glaubensheld war, wurde einen Augenblick später zum
kleingläubigen Zweifler. Glaube und Zweifel können manchmal ganz eng beieinander liegen. Das Besondere bei Petrus Zweifel ist, dass dieser ihn in eine engere Beziehung mit Jesus geführt hat. Er ist nicht im Glauben gescheitert – im Gegenteil: er
war der erste, der Christus als Messias erkannt hat (Mt 16,16) und später wurde er zu
einer tragenden Säule in der Gemeinde (Apg 1,15). Zweifel müssen nicht zwingend
- 26 -
in einer Glaubenskrise enden, sie können daraus auch zur Vertiefung des Glaubens
führen. Und das Wunderbare bei Jesus ist: er nimmt sich auch dem Zweifler an (vgl:
Joh 20,24ff).
Inwiefern in dieser Perikope ekklesiologische Aussagen gemacht werden hängt unter
anderem davon ab, ob Matthäus bewusst das Schiff als Symbol für die Gemeinde
gebraucht hat. In Anbetracht dessen, dass sein Evangelium an eine Gemeinde gereichtet war, könnte man diesen Gedanken durchaus in Betracht ziehen: Mit Gewissheit lässt sich diese Frage aber nicht beantworten. Was sich belegen lässt ist, dass das
Schiff schon in frühchristlicher Zeit als Bild für die Kirche betrachtet wurde. Fischer
zitiert in einer Arbeit über das Kirchenlied „es kommt ein Schiff geladen“ Augustinus der schreibt, dass die Arche „ohne Zweifel ein Bild des in dieser Weltzeit pilgernden Gottesstaates, nämlich der Kirche“ sei, „die gerettet wird durch das Holz, an
dem der Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus,
hing“28. Nicht wenige Ausleger machen zur Perikope des Seewandels ekklesiologische Aussagen und es ist durchaus vorstellbar, dass die ersten Leser dieses Textes
das Bild des Schiffes auf ihre Gemeinde übertragen haben so wie es Martin Gotthard
Schneider im Lied „Ein Schiff das sich Gemeinde nennt“ 29 ausdrückt:
Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit.
Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit.
Das Schiff, es fährt vom Sturm bedroht durch Angst, Not und Gefahr,
Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr um Jahr.
Und immer wieder fragt man sich: Wird denn das Schiff bestehn?
Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehn?
Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir
allein auf der Fahrt durch das Meer. O bleibe bei uns, Herr!
27
Martin Luther, WA. 16.103.30f, zitiert nach Peisker, Texte zur Predigt, 88.
Aurelius Augustinus: Vom Gottesstatt. Buch 11 bis 22. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme. München 1991, S. 271 zitiert bei Fischer, es kommt ein Schiff geladen, 5.
29
Liederbuch der Heilsarmee, Nr. 317.
28
- 27 -
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