Das Bärensteiner Kanzelwort

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Das Bärensteiner Kanzelwort
Predigt zum Sonntag Sexagesimae (=„60 Tage vor Ostern“), 27. Februar 2011,
über Markus 4, 26-29
von Pfarrer Frank Bohne
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen
Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde!
„Wachsen gegen den Trend…“ dieses hehre Ziel möchte die Evangelische Kirche in Deutschland in
den nächsten 20 Jahren erreichen. So steht es zumindest im Vorwort zum berühmt gewordenen
Positionspapier, mit seinen insgesamt 12 Leuchtfeuern.
(die Druckausgabe „Kirche der Freiheit“ wird dazu gezeigt)
Die Leuchtfeuer sind dabei die Kapitelüberschriften. Sie beschreiben, wie solches „Wachsen gegen den
Trend“ erreicht werden soll. Inzwischen hat sich jede Synode, jeder Pfarrkonvent und auch jeder
Kirchenvorstand zumindest mit Auszügen daraus befasst. Zuletzt unser neu gewählter Superintendent
in seinem Antrittsreferat.
Und tatsächlich müssen wir uns mit der eigenen Zukunft als Kirche befassen. Weiter wurschteln wie
immer ist gefährlich: Bis 2030 wird sich, so die nüchterne Schätzung, die Zahl unserer
Gemeindeglieder um ein Drittel verringern. Nicht, weil so viele austreten wollen, sondern weil sowenig
Kinder geboren werden. Von den Geborenen werden - trotz evangelischer Eltern - immer weniger
getauft, noch weniger davon gehen zur Konfirmation, und wiederum nur ein Teil davon bleibt über ein
Leben mit der Kirche verbunden.
Parallel zum Mitgliederschwund um ein Drittel werden sich die Einnahmen der Kirche in der gleichen
Zeit um die Hälfte reduzieren. Weil alle älter werden und Rentner keine Steuern zahlen. Weil gefeierte
Steuerentlastungen immer auch die Kirche treffen. Weil Reiche eher austreten als arme Schlucker …
Deshalb ein Sinken der Einnahmen um die Hälfte, in nur 19 Jahren.
Spätestens da wird jeder in Leitungsverantwortung, jeder Kirchvorsteher wohl aufwachen. Da werden
wir also nicht einfach abwarten können, bis es soweit ist. Frei nach der Strophe aus dem
„Vugelbeerbaam“: „Mir wärn‘s net erlab’n…“ Da wird‘s schon vorher ans Eingemachte gehen, auch bei
uns. Und dann bitte nicht auf „die da oben“ geschimpft. Sie können die fehlenden Gemeindeglieder
auch nicht backen. Und Geld im Keller drucken können sie auch nicht.
Das Schrumpfen haben wir ja ständig vor Augen und Ohren. Zwar halten wir unsere Kirchgeldsumme
gerade noch aufrecht. Aber das Sinken der Kollekten – begründet im schwachen Gottesdienstbesuch
– das hören und sehen wir jede Woche.
Also wie da heraus kommen – wenn nicht alles gestrichen und verhökert werden soll? „Wachsen gegen
den Trend“ – sagt das Kirchenpapier!
Besser werden in der Qualität unserer Gottesdienste und Veranstaltungen. Ästhetisch ansprechend,
schön. – Ja, das kann man sich ruhig hinter die Ohren schreiben! Damit es bei uns nicht erst so weit
kommt wie es anderswo leider schon ist: im Leipziger Tiefland oder in Brandenburgs Weiten.
Gottesdienste wie in der Murkelei …
Verständlicher sollen wir werden auch in der Verkündigung. Die Sprache der Menschen sprechen.
Ohne sich unbedingt auf das allgemeine Niveau zu begeben.
Neuansätze wagen auch in bisher fremden Bereichen. Dazu lernen: in Kindergärten etwa, in der
Ganztagsschule, moderne offene Citykirchen.
Und mit den Pfunden wuchern, die wir haben. Der Kirchenmusik, den schönen Baudenkmalen…
Das alles müsste doch helfen, damit wir nicht so stark abbauen wie die anderen: wie Vereine,
Gewerkschaften, Parteien. Stattdessen mehr Leute erreichen! Kirche – nicht Auslauf-, sondern
Zukunftsmodell! Mit ein bisschen gutem Willen, und wenn alle mitziehen, müsste das doch gelingen:
Wachsen gegen den Trend!?
Hören wir auf das heutige Predigtwort, dann wirkt das auf solche Überlegungen und Strategien wie eine
Provokation, ja wie ein Schlag ins Gesicht derer, die sich wirklich bemühen.
Wir lesen bei Markus im 4. Kapitel: (Lesung Mk 4, 26-29)
„Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft
und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht, wie.
Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen
in der Ähre. Wenn sie aber Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist
da.“
Ein Gleichnis, in dem von Ruhe und vom Nichtstun die Rede ist. Vom Abwarten, ja vom Schlafen …
Man möchte meinen, da liegt eine ganze Welt zwischen Jesus, der diese Zeilen spricht, und uns mit
unseren heutigen Zwängen.
Und ich höre auch schon die Fragen, die man als engagiertes Gemeindeglied, als jemand, dem Kirche
am Herzen liegt und dafür auch etwas tut, am liebsten stellen möchte:
Jesus, der Bauer in deiner Geschichte, hat der noch nie etwas vom Nachschauen, vom Unkraut jäten,
vom Düngen und Bewässern gehört? Was ist das für einer, der so mit seinem Acker umgeht?
Wenn wir so an unsere Zukunft herangingen, derart passiv, abwartend, dann verschlafen wir auch noch
die letzte Chance, die sich für uns bietet. Da können wir auch gleich einpacken…
Und Jesus? Wir würde er auf solche Fragen reagieren?
Ich denke, ER würde eine Weile schweigen und dann zu uns sagen:
„Ihr habt anscheinend nicht richtig zugehört. Meine Geschichte von der selbstwachsenden Saat, die
habe ich meinen Jüngern erzählt. Denn auch sie haben damals – als erste Christen – vermutlich schon
gedacht, sie würden für mich nicht genügend tun. Es ist anscheinend immer dasselbe mit euch.
Als erstes müsstet ihr verstehen, wer ihr selber seid, und wo ihr in der Geschichte vorkommt. Ich habe
das flaue Gefühl, ihr haltet euch für den Sämann, und entdeckt euch in ihm wieder. Doch der Sämann,
das ist noch immer Gott. Ihr seid nicht Gott. Ihr seid der Acker!“
----Kommen wir so vielleicht näher an unser sperriges Bibelwort heran? Gott nicht unnahbar fern, sondern
als umsichtiger, auch angreifbarer Bauer, der sein Feld lieb hat, der den Acker bestellt und ihn nicht
wüste liegen läßt.
Mit Saatgut ist dieser Bauer nicht geizig. Er streut reichlich, damit etwas aufgehen und wachsen kann.
Der Same – das ist wie in anderen Gleichnissen im selben Kapitel – Gottes Wort. Das ist die Gute
Botschaft seiner Liebe.
Nach den Worten Jesu verhält sich dieser Bauer erstaunlich passiv: Er sät aus. Dann wartet er. ER ruht
sogar und schläft. Man könnte auch sagen. Er ist geduldig. Der Acker hat Vorrang, gibt das Tempo vor.
Erst zur Ernte wird er wieder kommen. Wird die Sichel schicken. Wohlgemerkt: die Sichel, nicht den
Sensenmann. Dann wird er ernten und heimholen, was sein ist, was gewachsen ist.
Eigentlich ein tröstliches Bild! Wäre uns denn ein Gott lieber, der beständig nachschaut, überprüft und
umwühlt, wie weit der Same schon gediehen ist?
Dass der Bauer in unserm Gleichnis ruht und schläft, heißt ja nicht, er sei nicht da und kümmere sich
nicht. So wie wenige Zeilen später bei Markus, in der Geschichte von der Sturmstillung, der schlafende
Jesus nicht etwa verschwunden ist und die Seinen im Stich ließe.
So ist auch der Bauer in der Geschichte da: In Ruf-und Hörweite. Er kennt sein Feld und weiß, dass es
gedeiht.
Ein Schlüsselwort in unserem Abschnitt ist für mich jenes „von selbst“. Im Griechischen steht da
αυτοµατη (automaté) – automatisch. „Automatisch“ bringt die Erde Frucht. Da wächst etwas –
automatisch – aus sich selbst heraus. Also gerade nicht unerwartet, nicht völlig überraschend oder gar
„gegen den Trend“. Sondern genau so, wie es der Schöpfer von Anbeginn bestimmt hat. Wie es in der
Natur der Sache liegt. Saat wird wachsen. So liegt es bei Gott im Trend.
Das Aktive, das wir in der Geschichte so vermissen, es liegt also wo ganz anders: es liegt in dem, wie
der Acker beschrieben wird. Denn der bleibt ganz und gar nicht ruhig oder passiv liegen. Da gärt es im
Felde, da rumort es, da treibt es aus und sprosst und wächst! Ganz so, wie wir es von gutem Gartenoder Ackerboden kennen. Nur Unwissende halten ihn für leblos oder tot.
Gesunder Acker regt sich, ist locker und lebendig und gibt dem ausgestreuten Samen Nahrung, gibt
ihm eine Chance zum Wachsen.
Hier haben wir als engagierte Christen, die ihrem Herrn vertrauen, unsern Ort. Hier können wir uns
wiederfinden, oder eben auch: uns ändern. Wenn wir merken, dass wir ganz und gar kein guter Boden
mehr für Gottes Samen sind.
Hat Gottes Wort, ganz gleich in welcher Form es uns erreicht, hat die Liebe Christi bei uns noch eine
Chance, um aufzugehen, um Wurzel zu treiben und zu wachsen?
Und wenn nicht, woran mag es liegen? An Dingen und Zuständen, die wir selbst zu verantworten
haben und deshalb endlich ändern müssen?
Lieblose und unverständige Gottesdienste etwa, die keinen mehr erreichen? Dann weg damit!
Kirchenruinen, die nur noch für sich selber stehen und die schon lange keinem mehr das Herz
erwärmen für die Liebe Gottes? Dann auch weg mit ihnen!
Gemeinden mit hunderten Mitgliedern, denen im Grunde egal ist, was in ihrer Mitte abgeht? Die keinen
Schritt aus ihrer Behäbigkeit heraus wollen, wo ein erkalteter Stein neben dem andern liegt? Dann
braucht die Welt sie nicht! Dann kann sie getrost von der Karte verschwinden! Schade um den Samen,
der auf sie fiele.
Das alles sind Fragen an den Acker – an die „Bodenwertzahl“, würden Agrar-Ökonomen heute sagen.
Frei nach unserem Gleichnis…
In Zukunft – und da hat das Positionspapier der EKD auch Recht – werden wir um solche
Bodenbestimmungen nicht herum kommen. Denn der Dünger und die Kräfte zum Lockern werden
tatsächlich immer knapper werden.
Aufrechte Christenmenschen, engagierte Leute in den Gemeinden aber sind ausdrücklich gefragt! Sie
können und sollen den Boden verbessern. Ihn aufbereiten, lockern, manchmal auch mit den Tränen
ihrer Gebete aufweichen, damit endlich etwas aufgehen kann von Gottes Wort.
Sie dürfen sich auch von „Leuchtfeuern“ den Weg bescheinen lassen, wenn es dunkel wird und
schlauen Leuten aus den eigenen Reihen ein Licht aufgegangen ist. Denn all dies, was in dem Papier
steht, abprallen oder an sich ablaufen zu lassen, das passt vielleicht für gut verlegte Pflastersteine,
aber nicht für einen Acker, in dem es lebt und sprosst und wächst.
Solange wir nur nicht verwechseln, wer wir selber sind: Wir gehören zum Acker, zum guten Boden von
Gottes Feld. Wir müssen den Samen nicht erfinden und hervorbringen. Denn Gott ist ja auch noch da,
und Gott gibt reichlich. Sein Wort bleibt gültig für alle Zeit, in was für Wetterlagen Kirche in unseren
Breiten auch kommen mag.
Gottes Reich wird wachsen – αυτοµατη (automaté) – automatisch, aus sich selbst heraus. Weil das in
der Natur von Gottes Worte liegt.
„Es wird nicht leer zurückkehren“, sondern Frucht bringen – wie wir es in der alttestamentlichen Lesung
vorhin gehört haben Hier bei uns, oder eben anderswo. Die Ernte ist sicher – dafür steht Gott ein.
So lädt uns das Gleichnis von Jesus ein, gelassen zu bleiben. Oder es wieder zu werden. Vertrauen zu
wagen, auch wenn manches zu unsern Zeiten angespannt erscheint. Gott hat sein Ackerfeld nicht
vergessen. Er wartet geduldig, bis der Tag der Ernte kommt. Auch weht sein Geist über das Feld und
bringt so manches in Bewegung.
--Vincent van Gogh hat 1888 ein Bild gemalt, das viel von unserem heutigen Gleichnis in sich birgt. Es
trägt den Titel „Sämann bei untergehender Sonne“.
(es wurde hier kurz gezeigt)
Van Gogh war als junger Mensch selber Prediger, und er blieb Zeit seines Lebens ein tief gläubiger
Mensch.
Auf seinem Bild geht ein Sämann über ein Feld. Er geht weit hinunter gebeugt. Seine Hand ist
übergroß dargestellt. Mit dieser Hand streift er fast den Ackerboden. Dabei öffnet sie sich behutsam
und läßt die Körner in den Boden fallen. Großzügig, freigiebig und entschlossen. Die große Hand ist für
mich Symbol der Güte Gottes, für Gottes Nahbarkeit und Großzügigkeit.
Der Ackerboden ist Symbol für das Leben, für das Wachsen und Gedeihen. Für Kräfte, die nicht immer
zu sehen sind.
Im Hintergrund malt van Gogh einen großen hellen Sonnenball. Damit wirkt er zugleich wie ein
einzigartiger großer Heiligenschein, der das Haupt des Bauern umgibt.
Da sät einer…, und sät und sät…, und der Tag vergeht.
Was hier geschieht, ist keine veraltete Geschichte. Es ist die aktuelle Gottesgeschichte, auch mit uns.
Eine Geschichte, die sagt, wie Gott bei uns Menschen bis heute am Wirken ist.
Im Acker geschieht dabei manches Sichtbare, aber auch viel Unsichtbares. Da sind öffentliche Worte
und Aktionen, die aufmerken lassen. Aber auch jede Menge leise Worte. Solche, die still gesprochen
werden am Krankenbett. Manchmal zwischen Tür und Angel beim Austragen vom Gemeindebrief.
Auf Gottes Acker gibt es große Aufbrüche, und ganz viel kleines, stilles Sprossen und Gedeihen. All
das ist möglich, weil Gott den Samen reichlich ausgestreut hat. Same, der wächst.
Es ist Bewegung im Boden auch unserer Gemeinde, auch unserer Kirche. Und wir dürfen darauf
vertrauen, dass Gott das Seine dazu tun wird. Dass ER den Segen dazu schenken wird.
Das Gottesreich wird wachsen. Das steht fest. Das liegt „im Trend“. Denn es wächst αυτοµατη
(automaté). Dafür steht Gott.
Ob wir dabei Schritt halten und auch bei uns in Bärenstein den Boden bereiten können, wird sich
zeigen. Manchmal werden wir kämpfen müssen, „gegen einen Trend“, der sich bei uns eingeschlichen
hat.
Und der Friede Gottes, der mehr umfasst, als wir verstehen können, bewahre unser Herzen und Sinne
in Christus Jesus. Amen
Predigtlied: EG 457 „Der Tag ist seiner Höhe nah…“ Strophen 1, 4, 6-9
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