KIm Fahlbusch Masterarbeit - Gleichheit im

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Carl von Ossietzky
Universität Oldenburg
Master of Education (Grund-, Haupt- und Realschule)
1. Fach: Deutsch
2. Fach: Sachunterricht
MASTERARBEIT
Gleichheit im Allgemeinen – Unterschiede im Besonderen – Perspektiven von
Grundschülern auf Kinderrechte: Eine Interventionsstudie im Sachunterricht
vorgelegt von:
Kim Fahlbusch
Betreuende Gutachterin:
Julia Lüpkes
Zweite Gutachterin:
Dr. Claudia Schomaker
Oldenburg, 12.11.2008
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG ......................................................................................................................... 4
2. THEORETISCHER HINTERGRUND ................................................................................ 5
2.1 DIE KINDERRECHTE............................................................................................................. 5
2.1.1 Grundlegende Informationen zu den Kinderrechten.................................................... 6
2.1.2 Exkurs zum Recht auf Gleichheit.................................................................................. 9
2.2. ASPEKTE DER EMOTIONALEN UND SOZIALEN ENTWICKLUNG DES MENSCHEN ............... 12
2.2.1 Die moralische Entwicklung (nach Kohlberg)........................................................... 12
2.2.1.1 Hinführende Erläuterungen zur moralischen Entwicklung ................................. 12
2.2.1.2 Das Modell der moralischen Entwicklung (nach Kohlberg) ............................... 14
2.2.1.3 Kritik an Kohlbergs Theorie................................................................................ 18
2.2.2 Die Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme (nach Selman)......................... 19
2.2.2.1 Hinführende Erläuterungen zur Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme
......................................................................................................................................... 19
2.2.2.2 Das Modell der sozialen Perspektivübernahme (nach Selman) .......................... 20
2.2.2.3 Kritik an Selmans Theorie................................................................................... 22
2.2.3 Die Entwicklung von Empathie (nach Hoffman)........................................................ 23
2.2.3.1 Hinführende Erläuterungen zur Entwicklung von Empathie .............................. 23
2.2.3.2 Das Modell der Entwicklung von Empathie (nach Hoffman)............................. 24
2.2.3.3 Kritik an Hoffmans Theorie der Empathieentwicklung ...................................... 27
2.2.4 Die emotional-soziale Entwicklung während der mittleren Kindheit ........................ 27
3. DAS FORSCHUNGSTHEMA ............................................................................................. 29
4. FORSCHUNGSDESIGN...................................................................................................... 31
4.1 EXKURS ZU PRÄ-/POST-UNTERSUCHUNGEN ..................................................................... 31
4.2 INFORMATION ZU DEN UNTERSUCHUNGSTEILNEHMERN .................................................. 34
4.3 AUSWAHL DER FORSCHUNGSMETHODEN .......................................................................... 35
4.4 ENTWICKLUNG DER FORSCHUNGSMETHODEN .................................................................. 37
4.4.1 Der Fragebogen ......................................................................................................... 37
4.4.2 Das Interview ............................................................................................................. 39
5. DARSTELLUNG DER INTERVENTION......................................................................... 41
5.1 UNTERRICHTSDIDAKTISCHE PERSPEKTIVE ....................................................................... 41
5.2 AKTIONSWOCHE ZU DEN KINDERRECHTEN - RECHT AUF GLEICHHEIT- ........................... 43
5.2.1 Ausgangslage der Klasse ........................................................................................... 43
5.2.2 Planung der Aktionswoche......................................................................................... 44
5.2.3 Kurzes Resümee zum Verlauf der Aktionswoche........................................................ 47
6. DURCHFÜHRUNG DER UNTERSUCHUNG.................................................................. 48
6.1 DURCHFÜHRUNG DER FRAGEBÖGEN ................................................................................. 48
6.2 DURCHFÜHRUNG DER INTERVIEWS ................................................................................... 50
6.3 KURZES FAZIT ZUM FORSCHUNGSDESIGN ........................................................................ 51
7. AUSWERTUNG DER ERGEBNISSE................................................................................ 53
7.1 AUSWERTUNGSMETHODEN ............................................................................................... 53
7.2 AUSWERTUNGSLEITFADEN ................................................................................................ 54
2
8. INTERPRETATION DER ERGEBNISSE......................................................................... 63
8.1 DARSTELLUNG UND INTERPRETATION DER AUSWAHLERHEBUNG ................................... 63
8.2 INTERPRETATION DER ERGEBNISSE DER PROBANDEN ...................................................... 64
8.2.1 Neuere Erkenntnisse für die Interpretation................................................................ 64
8.2.2 Schüler “Jo“ .............................................................................................................. 65
8.2.3 Schüler “Fa“.............................................................................................................. 68
8.2.4 Schüler “Pa“.............................................................................................................. 70
8.2.5 Schülerin “Cr“........................................................................................................... 73
8.2.6 Schülerin “Ju “ .......................................................................................................... 75
8.2.7 Schülerin “Ch“ .......................................................................................................... 78
8.2.8 Fazit zu den Ergebnissen der Probanden................................................................... 80
8.3 WEITERE SCHLUSSFOLGERUNGEN .................................................................................... 82
9. SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR DIE SCHULPRAXIS ................................................ 83
LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................................. 87
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG.................................................................................... 90
ANHANG……………………………………………………………………………...A
I.
FRAGEBOGEN DER AUSWAHLERHEBUNG……………………………………… B
II.
ERGEBNIS DER AUSWAHLERHEBUNG…………………………………………... C
III.
FRAGEBOGEN FÜR DIE UNTERSUCHUNGSTEILNEHMER…………………….. D
IV.
INTERVIEW-LEITFÄDEN PRÄ-ERHEBUNG…………………………………......... G
V.
INTERVIEW-LEITFÄDEN POST-ERHEBUNG………………………………........... O
VI.
TRANSKRIPTIONSSYMBOLE………………………………………………………. AA
VII.
AUSWERTUNGSLEITFADEN……………………………………………………….. BB
VIII. TRANSKRIBIERTE UND KATEGORISIERTE DATENSÄTZE……………………. CC
IX.
FORSCHERNOTIZBUCH…………………………………………………………….. RRRRR
X.
PLANUNG DER AKTIONSWOCHE…………………………………………………. BBBBBB
XI.
DARSTELLUNG AUSGEWÄHLTER PASSAGEN AUS DEN ERHEBUNGEN........GGGGGG
3
1. Einleitung
Die Menschenrechte sind die Rechte jedes Menschen, die ihm aufgrund seines
Menschseins von Geburt an zustehen. Ihre Grundlage ist die Anerkennung sowie
Achtung der Menschenwürde. Damit bilden sie in zivilisierten Gesellschaften das
Fundament für ein gemeinschaftliches Zusammenleben. Betrachtet man jedoch die
momentane Situation in der Welt, so stellt man fest, dass die Menschenrechte verstärkt
verletzt werden. Fast täglich wird von Kriegshandlungen, gewalttätigen Übergriffen
oder benachteiligten Menschen berichtet. Diesbezüglich stellt sich mir die Frage,
welches Vorbild wir für die heranwachsende Generation sind und welches Bild wir
ihnen von unserer Gesellschaft vermitteln? Das deutsche Schulsystem hat bereits auf
diese Entwicklungstendenzen reagiert. Beispielsweise fordert die Kultusministerkonferenz (KMK), dass die Menschenrechtsbildung verstärkt in allen Schulstufen
stattfinden muss. Von Beginn an sollen die Schüler an den Gedanken der
Menschenrechte herangeführt werden, denn „wer seine Rechte nicht kennt, kann auch
nicht für diese und die der anderen eintreten.“ (Meedermann; Daniel 2005, 2) Vor dem
Hintergrund
des
schulischen
Bildungsauftrages
sowie
der
gesellschaftlichen
Entwicklung sehe ich verstärkt meine Aufgabe darin den Schülern die Menschenrechte
und insbesondere die Kinderrechte zu vermitteln und diese im Schulalltag zu leben. Aus
diesem Grund habe ich die Kinderrechte zum Thema meiner Forschungsarbeit gemacht,
wobei ich den Schwerpunkt auf das Recht auf Gleichheit lege, da dieses Recht meiner
Meinung nach die Grundlage bildet, um auch die weiteren Rechte verstehen und
verinnerlichen zu können. Bedingt durch die gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen
sowie den Besuch eines Seminars zur Moralentwicklung, dass mein Interesse auf die
emotional-soziale Entwicklung von Grundschülern gelenkt hat, werde ich das Thema
Kinderrechte von der sozialwissenschaftlichen Perspektive aus betrachten. Meine
Forschungsarbeit ist als Interventionsstudie angelegt, bei der ich feststellen möchte, ob
durch eine Interventionsphase in Form einer Aktionswoche zum Recht auf Gleichheit in
einer vierten Klasse eine Erweiterung der Prä-Konzepte der Schüler zu Post-Konzepten
erzielt werden kann. Letztendlich hat sich aus diesen Überlegungen das folgende Thema
meiner Forschungsarbeit entwickelt: Gleichheit im Allgemeinen – Unterschiede im
Besonderen
–
Perspektiven
von
Grundschülern
auf
Kinderrechte:
Eine
Interventionsstudie im Sachunterricht.
Im Folgenden möchte ich noch einen kurzen Überblick über die Gliederung dieser
Arbeit geben. Im Anschluss an die Einleitung wird der theoretische Hintergrund meiner
Arbeit erläutert (2.). Dabei setze ich zunächst den Schwerpunkt auf die Kinderrechte
4
sowie das Recht auf Gleichheit und anschließend auf die emotional-soziale Entwicklung
während der mittleren Kindheit. Danach folgen die Darlegung meines Forschungsthemas (3.) sowie die Beschreibung des Forschungsdesigns (4.). In den darauf
folgenden zwei Punkten Darstellung der Interventionsphase (5.) und Untersuchungsschritte (6.) wird Bezug auf den Umsetzungsprozess in der Schule genommen. Im
Anschluss daran wird das Vorgehen bei der Auswertung (7.) erläutert, deren Ergebnisse
sich im Anhang befinden. Im Punkt 8 erfolgt die Interpretation der Ergebnisse in Bezug
auf die Probanden sowie eine allgemeine Betrachtung der Ergebnisse. Der Punkt
Darstellung ausgewählter Passagen aus den Erhebungen ist aufgrund des großen
Datenmaterials und im Sinne einer besseren Übersichtlichkeit als herausnehmbares
Exemplar im Anhang zu finden (XI.). Damit kann die Darstellung der Ergebnisse
parallel zur Interpretation gelesen werden. Den Abschluss der Arbeit bildet der Punkt 9,
in dem Schlussfolgerungen für die Praxis gezogen werden.
2. Theoretischer Hintergrund
Der theoretische Hintergrund ist die Grundlage für die Entwicklung meiner Erhebungsinstrumente sowie für die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse. Im ersten Teil
dieses Punktes möchte ich kurz die Entstehung, den Aufbau sowie die Ziele der Kinderrechtskonvention erläutern. Da ich den Schwerpunkt der Aktionswoche auf das Recht
auf Gleichheit setze, werde ich mich anschließend mit den Begriffen Gleichheit und
Gleichberechtigung intensiver beschäftigen. Im darauf folgenden zweiten Teil wird die
emotional-soziale Entwicklung des Menschen mit den Schwerpunkten Moral, soziale
Perspektivübernahme und Empathie betrachtet. Im Anschluss daran folgt eine kurze
Zusammenfassung der emotional-sozialen Entwicklung während der mittleren Kindheit,
womit ein direkter Bezug zur Altersgruppe meiner Erhebung hergestellt werden soll.
2.1 Die Kinderrechte
Die Menschenrechte gründen sich auf der Anerkennung und Achtung der
Menschenwürde jedes Einzelnen und sind die Grundlage einer zivilisierten Gesellschaft.
Jeder Mensch hat von seiner Geburt an grundlegende Rechte, die ihm unabhängig von
seiner Nationalität oder seinem Geschlecht alleine aufgrund seines Menschseins
zustehen. Die Menschenrechte sollen den Menschen schützen, wenn ihm durch andere
Menschen Unrecht und Schaden zugefügt wird. Ihre Festlegung ist unabhängig vom
Staat, der diese lediglich deklarieren kann und für ihre Einhaltung sorgen muss. Der
5
internationale Vertreter, der für den Inhalt sowie Bestand verantwortlich ist, sind die
Vereinten Nationen. Fast alle Staaten der Welt haben die Menschenrechte anerkannt,
was keinesfalls damit gleichzusetzen ist, dass diese auch eingehalten werden. Die
Rechte des Menschen sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem
Jahr 1948 festgehalten. Aus dieser Erklärung sind weitere Konventionen entstanden, um
schwächere Menschengruppen, wie beispielsweise Frauen und Kinder, besser schützen
zu können. (vgl. Fritzsche 2004, 15f.) In Anlehnung an mein Forschungsthema soll
deshalb im Folgenden vertiefend auf die Kinderrechte eingegangen werden.
2.1.1 Grundlegende Informationen zu den Kinderrechten
Die Rechte des Kindes sind in der Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1989
festgelegt. Die beiden obersten Ziele der Kinderrechtskonvention sind der weltweite
Schutz von Kindern sowie die Stärkung ihrer Partizipation. Dabei werden Kinder nicht
als unmündige und unfertige Wesen betrachtet, die unter der Verfügungsgewalt ihrer
Eltern stehen, sondern als autonome Persönlichkeiten und Rechtssubjekte, die
entsprechend ihres Entwicklungsstandes individuelle Rechte (z.B. Meinungsfreiheit,
Versammlungsfreiheit etc.) haben. Diese Grundrechte des Kindes sind für die Staaten,
die die Kinderrechtskonvention ratifiziert haben, verbindlich. Sie stehen in der Pflicht
das Abkommen in ihren nationalen Gesetzen zu verwirklichen und für ihre Einhaltung
Sorge zu tragen.1
Die Kinderrechtskonvention ist aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
entstanden. Erste Ansätze gab es schon 1924 in der Genfer Erklärung des Völkerbundes
sowie 1959 in der UN-Deklaration über die Rechte des Kindes, die jedoch
unverbindlich gewesen sind. Erst im Jahr 1979, dem internationalen Jahr des Kindes,
kam, durch den Vorschlag der polnischen Regierung eine Kinderrechtskonvention zu
beschließen, Bewegung in die Debatte um die Rechte des Kindes. Über zehn Jahre
arbeitete eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen an einem Entwurf. Die Erstellung
des Entwurfs war nicht einfach, denn es galt das Konsensprinzip. Jedes Land konnte die
Konvention durch sein Vetorecht blockieren. Es mussten viele Kompromisse
geschlossen werden, da in den Ländern unterschiedliche Vorstellungen von Kindheit,
Familie, Erwachsensein oder Ethik bestehen. Zum Beispiel war ein Streitpunkt die
Altersgrenze des Kindseins, die von den Staaten unterschiedlich ausgelegt wurde.
Letztendlich einigte man sich darauf Kinder als Menschen zu definieren, die das
18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Kinderrechtskonvention wurde am
1
vgl. www.unicef.de/fileadmin/content_media/projekte/themen/PDF/D0011.pdf (15.05. 08, 21 Uhr), 7ff.
6
20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig
verabschiedet. Das Abkommen enthält insgesamt 54 Artikel, in denen die Rechte
festgelegt worden sind, und die sich zu den 10 wichtigsten Kinderrechten
zusammenfassen lassen.2
Innerhalb kurzer Zeit kam es zur Ratifizierung des Abkommens in fast allen Ländern
der Welt. Lediglich die USA und Somalia haben noch nicht ihre Zustimmung gegeben.
Die schnelle Ratifizierung ist damit zu erklären, dass viele Länder das Abkommen nicht
ernst nahmen und besonders rückständige Länder glaubten ihr Image in der Welt
aufbessern zu können, um damit eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung der
Industriestaaten zu erzielen. Diese Tatsache hat dazu geführt, dass eine Ratifizierung
nicht gleichzeitig auch die Umsetzung der Kinderrechtskonvention bedeutet. Das
wichtigste Druckmittel für die Umsetzung und Einhaltung des Abkommens ist der
Artikel 44 der Kinderrechtskonvention, in dem sich alle Länder dazu verpflichten zwei
Jahre nach der Ratifizierung und danach in einem Abstand von fünf Jahren einen
Rechenschaftsbericht beim UN-Komitee in Genf abzugeben. In diesem Rechenschaftsbericht soll erläutert werden, inwieweit die Kinderrechte bisher im Land umgesetzt
werden und welche Fortschritte seit dem letzten Bericht zu verzeichnen sind. Ein
Ausschuss, bestehend aus zehn unabhängigen Sachverständigen mit anerkannten
Sachkenntnissen aus mehreren Ländern, überprüft mit Unterstützung von UNICEF den
Rechenschaftsbericht. Dabei hat der Ausschuss das Recht weitere Informationen vom
Land einzufordern und Empfehlungen auszusprechen. Außerdem gibt es in vielen
Ländern Organisationen, die darauf achten, dass die Kinderrechtskonvention in ihrem
Staat eingehalten wird. Jedoch besteht die einzige Möglichkeit wirklich Druck auf die
Länder auszuüben in der Aufklärung der Öffentlichkeit, damit sich die Länder gegenüber ihren Wählern sowie (inter-)nationalen Organisationen und Institutionen
rechtfertigen müssen.3 „Die Menschenrechte werden nicht nur durch staatliches
Handeln verwirklicht, sondern maßgeblich durch die Haltung und das Engagement
jedes Einzelnen.“4
Deutschland ratifizierte am 5. April 1990 als eines der ersten Länder die Kinderrechtskonvention. Viele Forderungen des Abkommens waren schon von Beginn an in der
2
1) Recht auf Gleichheit, 2) Recht auf Gesundheit, 3) Recht auf Bildung, 4) Recht auf elterliche
Fürsorge, 5) Recht auf eine Privatsphäre, 6) Recht auf freie Meinungsäußerung und Beteiligung, 7) Recht
auf Schutz im Krieg und auf der Flucht, 8) Recht auf Schutz vor Ausbeutung und Gewalt, 9) Recht auf
Spiel, Freizeit und Ruhe, 10) Recht auf besondere Fürsorge und Förderung bei Behinderung.
Eine nähere Erläuterung der 10 wichtigsten Kinderrechte mit vielen Beispielen für die praktische
Umsetzung findet sich im Buch von Rosemarie Portmann – Kinder haben ihre Rechte.
3
vgl. www.unicef.de/fileadmin/content_media/projekte/themen/PDF/D0011.pdf (15.05. 08, 21 Uhr), 7ff.
4
www.kmk.org/doc/veschl/menschr.pdf (15.05.2008, 13:33 Uhr), 3
7
BRD umgesetzt. Jedoch machte die Bundesregierung bei der Ratifizierung nach Artikel
51 insgesamt fünf Vorbehalte geltend. Einige dieser Vorbehalte sind meiner Meinung
nach sinnvoll. Zum Beispiel bedauert Deutschland es, dass bereits Fünfzehnjährige als
Soldaten eingesetzt werden können und lehnt den Gebrauch dieses Rechtes ab. Jedoch
sind einige Vorbehalte auch umstritten, wie beispielsweise die Anwendung des Asylund Ausländerrechts auf Kinder, was nicht vereinbar ist mit den Vorgaben der
Kinderrechtskonvention. So müssen sich Kinder unnötigerweise einem Asylverfahren
unterziehen und Familien können bei einer Abschiebung auseinandergerissen werden.
Bisher hat die Bundesregierung noch keine Änderungen diesbezüglich vorgenommen,
obwohl sogar der Bundestag dazu aufgefordert hat. Weiterhin muss kritisiert werden,
dass die Kinderrechte bisher noch nicht ins deutsche Grundgesetz aufgenommen
worden sind.5 Trotz dieser zu kritisierenden Vorbehalte sind schon einige positive
Veränderungen eingetreten. Zum Beispiel wurde das Recht auf einen Kindergartenplatz
verabschiedet und es gibt eine Kinderkommission des Deutschen Bundestages. Diese
positiven Schritte sollen weiter fortgeführt werden, weshalb Deutschland einen eigenen
Aktionsplan6 aufgestellt hat, in dem die zu erreichenden Ziele für den Zeitraum von
2005 bis 2010 festgelegt sind.
Die Verabschiedung der Kinderrechtskonvention hat dem internationalen Engagement
zum Schutz und der Partizipation von Kindern großen Auftrieb gegeben. Fast jedes
Land der Welt hat das Abkommen angenommen und erste Schritte zu dessen
Verwirklichung eingeleitet. Diese vorgenommenen Veränderungen sind in den
einzelnen Ländern sehr unterschiedlich, da verschiedene Auffassungen und Voraussetzungen bestehen. Des Weiteren hatte die Konvention großen Einfluss auf die
internationale Entwicklung von Rechten sowie dem Verlauf von internationalen
Konferenzen. Weltweit besteht aber weiterhin noch ein großer Handlungsbedarf, wie
uns die Medien täglich vor Augen führen. Es muss noch viel Initiative von jedem Staat
gezeigt werden, damit irgendwann die Kinderrechtskonvention ausnahmslos in allen
Ländern der Welt umgesetzt wird. Dabei sollten besonders die Industriestaaten als
Vorbilder vorangehen und den Entwicklungs- und Schwellenländern unterstützend zur
Seite stehen. Außerdem ist es wichtig, dass noch mehr Öffentlichkeitsarbeit geleistet
wird, denn nur wenn die Öffentlichkeit informiert ist, kann sie Druck auf die
Regierungen ausüben.
5
6
vgl. www.kinderrechte -ins-grundgesetz.de (10.05.2008, 13:55 Uhr)
vgl. www.unicef.de/fileadmin/content_media/projekte/themen/PDF/D0011.pdf (15.05.08, 21 Uhr), 25f.
8
2.1.2 Exkurs zum Recht auf Gleichheit
„Kein Kind darf wegen seines Geschlechts, seiner Herkunft und Abstammung, seiner
Staatsbürgerschaft, seiner Sprache oder Religion, seiner Hautfarbe, aufgrund einer
Behinderung, wegen seiner politischen Ansichten oder seines Vermögens benachteiligt
werden (Artikel 2).“7 Das Recht auf Gleichheit zählt zu den zehn wichtigsten
Kinderrechten. In der Kinderrechtskonvention wird dieses Recht lediglich explizit im
2.Artikel benannt, wobei dieser meiner Meinung nach die Grundlage für die folgenden
Artikel ist und somit eine wichtige Stellung innerhalb des Abkommens einnimmt. Der
zweite Artikel vermittelt uns einen ersten Eindruck von der Bedeutung des Wortes
Gleichheit. Viele Fragen bleiben diesbezüglich jedoch offen, z.B. wie wird Gleichheit
definiert oder in welchem Zusammenhang stehen Gleichheit und Verschiedenheit? Die
Erziehungswissenschaftlerin und Grundschulpädagogin Prof. Dr. Annedore Prengel hat
sich unter anderem mit dem Thema Gleichheit und Verschiedenheit in unserer
Gesellschaft beschäftigt. In Anlehnung an Wilhelm Windelbrand, der 1910 Gleichheit
als ein Verhältnis beschreibt, worin Verschiedenes zueinander steht, definiert sie
Gleichheit als „eine Form der Übereinstimmung zwischen Verschiedenen.“ (Prengel
1995, 30) Aus beiden Definitionen geht eindeutig hervor, dass die beiden Begriffe
Gleichheit und Verschiedenheit in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinanderstehen und
immer in Abgrenzung zueinander betrachtet werden müssen. Der Begriff Gleichheit
bezieht sich nicht auf Gegenstände und Sachverhalte, sondern auf Beziehungen
zwischen mehreren Gegenständen, die sich in einigen Merkmalen voneinander
unterscheiden
und
wiederum
gleiche
Merkmale
aufweisen.
Daraus
kann
geschlussfolgert werden, dass es keine völlige Gleichheit geben kann. Der Begriff
Verschiedenheit bezieht sich auf die Vielfalt der Welt und ihrer unaufhörlichen
Veränderbarkeit. Diese Mannigfaltigkeit können die Menschen lediglich eingeschränkt
erfassen. Um trotzdem eine begriffliche Bestimmung vornehmen zu können, wird
ebenfalls von Beziehungen zwischen Personen, Gegenständen und Sachverhalten
ausgegangen. Die Feststellung von Verschiedenheit erfolgt durch die Eingrenzung auf
ein
gemeinsames
Merkmal,
bei
dessen
vergleichender
Betrachtung
keine
Gemeinsamkeiten festgestellt werden. Es werden also qualitative Differenzen
begutachtet. Diese so genannte Inkommensurabilität bedeutet jedoch nicht, dass es
keine Übereinstimmungen zwischen den betrachteten Phänomenen geben kann. In
anderen Merkmalen können etliche Gemeinsamkeiten vorhanden sein. Daraus ergibt
sich die Schlussfolgerung, dass sich Verschiedenheit auch nur in Zusammenhang mit
7
www.unicef.de/fileadmin/content_media/projekte/themen/PDF/D0011.pdf (15.05.2008, 21:02 Uhr), 8
9
Gleichheit bestimmen lässt. Mit dieser Definition von Verschiedenheit grenzt sich der
Begriff von anderen Begriffsbestimmungen ab. Beispielsweise lässt sich eine
Abgrenzung zum Monismus (Einheitslehre) herstellen, der von einer Grundbeschaffenheit ausgeht, womit die Einheitlichkeit von unterschiedlichen Phänomenen
erzeugt werden kann. (vgl. Prengel 1995, 29ff.) Zusammenfassend kann gesagt werden,
dass „sowohl Gleichheit als auch Verschiedenheit ausschließlich in der Lage sind,
Aussagen über ein partielles Verhältnis, nie die generelle Beziehung mit allen Aspekten
zu machen.“ (Prengel 1995, 33)
Die Begriffe Gleichheit und Verschiedenheit spielen eine tragende Rolle bei der
Legitimation von gesellschaftlicher Ungleichheit. Beispielsweise wurden im Verlauf
unserer Geschichte immer wieder bestimmte Gruppen – Frauen, sozial Schwache,
bestimmte Ethnien, Behinderte etc. – aus der Gesellschaft ausgeschlossen, indem ihnen
ihre Rechte, Bildungsprivilegien und ihr Besitz aberkannt wurde. Dieses Vorgehen
wurde mit den unterschiedlichen Voraussetzungen der Menschen von Geburt an
gerechtfertigt. Aus den Unterschieden zwischen den Menschen ergeben sich Über- und
Unterordnungen, aus denen sich eine Hierarchisierung der Gesellschaft herausbildet.
Diese Hierarchisierung ist die Grundlage einer undemokratischen Denkstruktur. In den
letzten Jahrzehnten kam es durch die Vermischung von Vielfalt und den
vorherrschenden Rangordnungen zu einem monistischen Gesellschaftssystem, dessen
Grundlage die Einheitslehre ist. In der heutigen Zeit verstärken sich die Forderungen
nach einer demokratischen Auffassung von Verschiedenheit. Diese Entwicklung
spiegelt sich beispielsweise im Begriff der Gleichberechtigung wider. Die Grundlage
für eine Gleichberechtigung aller Menschen ist die Betrachtung der Menschheit aus
zwei Perspektiven. Die erste Perspektive nimmt die gesamte Menschheit wahr, der
aufgrund des gemeinsamen Merkmals «Menschsein» Gleichheit zugesprochen wird
(universelle Gleichheit). Dieses Denken würde eine Hierarchisierung der Gesellschaft
nicht zulassen. Im Gegensatz dazu betrachtet die zweite Perspektive die Individualität
jedes Menschen. Jeder Mensch hat einerseits seine Grenzen und besitzt andererseits
vielfältige Potenziale, wodurch sich die Heterogenität der Menschheit erklären lässt.
Beide Perspektiven müssen im Zusammenhang miteinander betrachtet werden, wenn
Gleichberechtigung hergestellt werden soll. Zum einen stehen allen Menschen aufgrund
ihres Menschseins die gleichen Rechte zu. Zum anderen hat jeder Mensch
unterschiedliche Voraussetzungen, die eine gleiche Behandlung gar nicht zulassen,
wenn allen die gleichen Rechte zustehen sollen. Erst wenn akzeptiert wird, dass das
Verschiedene als gleichwertig angesehen werden muss und eine individuelle
10
Unterstützung der Stärken sowie Schwächen die Grundlage für Gleichberechtigung ist,
kann von einer demokratischen Denkweise gesprochen werden. (vgl. Prengel 1995,
37ff.) „Gleichheitsvorstellungen ohne Ausgrenzung implizieren die Akzeptanz
gleichwertiger Differenzen und gehen damit über die Gleichheitsvorstellungen, die nur
für Gleichartiges gelten und Abweichendes ausgrenzen, qualitativ hinaus.“ (Prengel
1995, 47) Diesen Grundsatz sollte jeder Mensch beachten, wenn er im Sinne der
Gesellschaft sozial Denken und Handeln möchte. Jedoch gibt es auch bestimmte
Situationen, in denen eine gerechte Behandlung nur stattfindet, wenn alle Beteiligten
gleich behandelt werden und es zu keiner Benachteiligung kommt. Zum Beispiel
müssten Männer und Frauen prinzipiell für die gleichen beruflichen Tätigkeiten auch
dieselbe Vergütung bekommen. Diese so genannte demokratische Differenztheorie ist
bisher noch selten vertreten, da die meisten Menschen entweder ausschließlich die erste
oder die zweite Perspektive vertreten. So kommt es oft dazu, dass sich eine Gruppe für
die Gleichheitsrechte einsetzt (z.B. Emanzipationsbewegungen), wobei sich die Forderungen zumeist nur auf eine bestimmte Gruppe und nicht auf alle Menschen beziehen.
Nachdem ich den Begriff Gleichheit näher definiert habe, möchte ich an dieser Stelle
noch einmal auf den 2.Artikel der Kinderrechtskonvention (Recht auf Gleichheit)
zurückkommen. Die Kernaussage dieses Artikels ist, dass kein Kind benachteiligt
werden darf und dass gleiches Recht für alle besteht. Keineswegs ist mit dieser Aussage
gemeint, dass alle Kinder gleich behandelt werden sollen. Vielmehr geht es um „die
Berücksichtigung spezifischer Umstände auf der Basis einer grundlegenden Gleichheit.“
(Faust-Siehl; Speck-Hamdan 1998, 118) Jedes Kind benötigt eine andere Unterstützung
und Förderung, damit verschiedene Kinder die gleichen Rechten erlangen können. (vgl.
Brüning 2006, 21f.) Beispielsweise benötigt ein körperlich beeinträchtigtes Kind eine
ganz andere Unterstützung als ein nicht-beeinträchtigtes Kind, damit es die gleichen
Rechte in Anspruch nehmen kann. Aber auch ein nicht-beeinträchtigtes Kind benötigt
Unterstützung, denn jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen. Ein weiteres
Beispiel sind Kinder, die aus einem anderen Land nach Deutschland kommen. Damit
auch ihnen die gleichen Rechte zuteil werden, wie den deutschen Kindern, müssen sie
eine spezielle Unterstützung erhalten, wie z.B. Sprachförderung und Integrationshilfen.
Alle Kinder dieser Welt haben eine grundlegende Gemeinsamkeit. Sie sind trotz aller
Unterschiede alle Menschen und haben deshalb auch einen gleichberechtigten Anspruch
auf die Kinder- und Menschenrechte, der unter Berücksichtigung der unterschiedlichen
Voraussetzungen hergestellt werden muss.
11
Nachdem ich mich intensiv mit den erläuterten Begrifflichkeiten beschäftigt habe, bin
ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass der Begriff Gleichheit irreführend sein
kann. Aus diesem Grund bin ich der Auffassung, dass der 2.Artikel der Kinderrechtskonvention umbenannt werden sollte in das Recht auf Gleichberechtigung. Meiner
Meinung nach initiiert der Begriff Gleichberechtigung eher als das Wort Gleichheit den
wahren Gehalt dieses Rechts.8
2.2. Aspekte der emotionalen und sozialen Entwicklung des Menschen
Die emotionale und soziale Entwicklung des Menschen stehen in einem engen
Zusammenhang, weshalb oft von der emotional-sozialen Entwicklung gesprochen wird.
In vielen wissenschaftlichen Studien ist festgestellt worden, dass für die Entwicklung
eines angemessenen Sozialverhaltens zunächst bestimmte emotionale Fähigkeiten
ausgebildet sein müssen. Je besser die emotionale Kompetenz ausgebildet ist, desto
höher ist auch die soziale Kompetenz des Menschen. Smith (2001) kam in seiner Studie
über den Zusammenhang von emotionaler und sozialer Kompetenz zu dem Ergebnis,
dass eine hohe soziale Kompetenz einhergeht mit einem höheren sozialen Status in der
Gesellschaft und einer erhöhten Akzeptanz innerhalb der Altersgruppe. Zum Beispiel
beeinflussen die Fähigkeiten eines Kindes zur Emotionsregulation sowie zum
Emotionsausdruck seine Wahrnehmung in der peer-group und rufen dementsprechende
soziale Reaktionen der anderen hervor. Eine positive Resonanz der peer-group ist
besonders für Kinder und Jugendliche bedeutsam, da der Kontakt mit Gleichaltrigen
eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt. (vgl. Petermann; Wiedebusch 2003, 20ff.)
In den folgenden Unterpunkten möchte ich mich intensiver mit drei wichtigen
Bereichen der emotional-sozialen Entwicklung – Moral, soziale Perspektivübernahme
und Empathie – beschäftigen. Ich werde die Entwicklungsmodelle von Kohlberg
(moralische Entwicklung), Selman (Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme)
und Hoffman (Entwicklung von Empathie) betrachten, die ich für die Auswertung
meiner Ergebnisse verwenden werde. Abschließend werden die wichtigsten Aussagen
dieser drei Ansätze in Bezug auf die mittlere Kindheit zusammengefasst.
2.2.1 Die moralische Entwicklung (nach Kohlberg)
2.2.1.1 Hinführende Erläuterungen zur moralischen Entwicklung
Die Menschen leben in sozialen Systemen, wie z.B. Freundschaften, Familien, sozialen
Gruppen, Organisationen, Staaten etc. Die sozialen Systeme haben eine Kultur, die
8
Im Folgenden werden die Begriffe Gleichheit und Gleichberechtigung synonym verwendet.
12
durch Normen (Vorschriften, Gesetze, Verbote sowie stillschweigende Übereinkünfte)
geregelt werden, damit das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen soweit wie
möglich harmonisch verläuft. Normen bestimmen unser Verhalten und unsere Handlung
gegenüber anderen Personen. Sie werden durch Autoritäten und durch einen
gesellschaftlichen Konsens festgelegt, weshalb sie zum einen in den einzelnen
Gesellschaften unterschiedlich ausfallen und zum anderen einem Wandel unterworfen
sein können. Es gibt unterschiedliche Arten von Normen, wie z.B. Konventionsnormen,
moralische Normen oder ästhetische Normen. Moralische Normen sind die Grundlage
eines guten Zusammenlebens der Menschen, da sie Richtlinien für unser Handeln im
sozialen System sind. Aus diesem Grund lassen sie sich auch nicht so einfach
verändern. Der Begriff der Moral wird in der Psychologie definiert als „ein System von
Glaubenszuständen und Werthaltungen, dem das Urteilen über richtige und falsche
Handlungen zugrunde gelegt wird. Sie stellt sicher, daß Menschen ihre Verpflichtungen
anderen Mitgliedern der Gesellschaft gegenüber einhalten und so handeln, dass sie die
Rechte und Interessen der anderen nicht verletzen.“ (Zimbardo 1995, 86) Die
moralische Entwicklung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Sozialisation, wobei
nicht ausschließlich von einem Anpassungsprozess gesprochen werden darf, da es auch
zur Internalisierung von grundlegenden Normen und Regeln kommt. Das Kind lernt die
moralischen Normen kennen und wenn es diese als richtig akzeptiert, werden sie
verinnerlicht und damit Teil der persönlichen Wertvorstellungen. (vgl. Murray Thomas;
Feldmann 2002, 237f.)
Der bekannteste Ansatz zur moralischen Entwicklung stammt vom Harvardprofessor
Lawrence Kohlberg. Seine Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit den einzelnen
Schritten, die das Kind auf dem Weg zur moralischen Urteilsbildung zurücklegt.
Kohlberg legte seinen Forschungsschwerpunkt auf die kognitive Basis des moralischen
Urteilens. Das moralische Urteil sowie Argumentations- und Begründungsstrukturen
der Kinder und Jugendlichen geben Aufschluss über den moralischen Entwicklungsstand. Kohlberg legte seinen Versuchsteilnehmern moralische Dilemmata vor, in denen
mindestens zwei Normen in Widerspruch zueinanderstanden. (vgl. Montada 2008, 576)
Der Betroffene steht vor einem moralischen Problem, das sehr unterschiedlich
interpretiert werden kann und somit subjektiv ist. Das Problem kann meistens aus
unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden und hat daher mehrere Lösungsmöglichkeiten, die jedoch alle problematisch sein können. Kohlberg geht davon aus,
dass einer moralischen Handlung auch ein moralisches Urteil vorausgeht. Für ihn ist es
13
von Interesse, wie Kinder und Jugendliche in moralischen Problemsituationen urteilen
und argumentieren.
2.2.1.2 Das Modell der moralischen Entwicklung (nach Kohlberg)
Unter Einbezug der Forschung zur moralischen Entwicklung von Piaget und auf der
Grundlage seiner eigenen Forschungsergebnisse stellte Kohlberg ein differenziertes
Sechs-Stufenmodell der moralischen Entwicklung auf, das in drei Ebenen gegliedert ist.
Die Unterschiede zwischen den Stufen kommen durch die qualitativen Erweiterungen
der Denkweisen über das moralische Problem zustande. Jede Stufe ist die Grundlage der
folgenden Stufe, weshalb diese in der angegebenen Reihenfolge durchlaufen werden.
Eine Stufenregression schließt Kohlberg aus. Wie schnell die Entwicklung
voranschreitet ist individuell unterschiedlich, da diese von mehreren Faktoren9 abhängig
ist. Daher gelten die Altersangaben auch nur als Anhaltspunkte. (vgl. Heidbrink 1996,
62) Ein Stufenwechsel erfolgt aufgrund von Unzufriedenheit und Verwirrung, da das
Kind
spürt,
„dass
seine bestehenden
Schemata nicht
mehr mit
der neu
wahrgenommenen Realität übereinstimmt“ (Thomas; Feldmann 2002, 254), was sein
kognitives Gleichgewicht durcheinanderbringt und gleichzeitig die Motivation für
Meinungsänderungen schafft. Zum besseren Verständnis sollen die sechs Stufen des
moralischen Urteilens nach Kohlberg im Folgenden kurz erläutert werden.
I. Präkonventionelle Ebene (prämoralische Ebene)
Auf der ersten Ebene werden gesellschaftliche Regeln, die Aussagen über richtig und
falsch treffen, befolgt. Moralische Urteile werden unter Beachtung möglicher Folgen
vom Kind getroffen, wobei es nur konkrete interindividuelle Beziehungen wahrnehmen
kann. Des Weiteren können machtausübende Autoritäten und die eigenen Interessen das
Urteilen beeinflussen.
Stufe 1: Orientierung an Bestrafung und Belohnung (ab ca. 2 Jahren10)
Auf der ersten Stufe ist das kindliche Handeln situationsgebunden und abhängig von
den möglichen Konsequenzen. Die Handlung wird vom Kind ausgeführt, wenn eine
Belohnung in Aussicht steht oder wenn keine Bestrafung erfolgt. Dieses Verhalten
wird ab diesem Zeitpunkt, unabhängig vom wahren Wert der Handlung oder ihrer
9
Auf die Faktoren für die Ausbildung der Moral werde ich im Verlauf der Arbeit nicht weiter eingehen.
Bei Interesse sind diese dem Buch von Murray Thomas und Feldmann (2002, 247ff.) zu entnehmen.
10
Die folgenden Altersangaben sind Richtwerte nach Fowler, die ich dem Buch von Murray Thomas und
Feldmann (2002, 246) entnommen habe.
14
Bedeutung, als richtig eingestuft. Das kindliche Handeln kann auf dieser Stufe als
egozentrisch bezeichnet werden. (vgl. Heidbrink 1996, 65f.)
Stufe 2: Naiv-instrumentelle oder egoistische Orientierung (ab ca. 6 Jahren)
Das Erreichen der zweiten Stufe verändert das moralische Denken in Richtung eines
angemesseneren Handelns mit dem Ziel der Befriedigung der eigenen Interessen und
Bedürfnisse. Die menschlichen Beziehungen sind nach dem Motto «Eine Hand
wäscht die andere» auf Gewinn ausgerichtet. Des Weiteren entwickelt das Kind
langsam die Fähigkeit der Perspektivübernahme. Es ist in der Lage sich in eine
andere Person hineinzuversetzen, jedoch kann es in einem Konflikt nicht die Position
eines Dritten einnehmen. Das Kind kann erkennen, dass die Interessen der Menschen
nicht übereinstimmen müssen und dass sich die dahinter stehenden Motive
unterscheiden können. Bis zu einem gewissen Punkt können sie diese unterschiedlichen Motive akzeptieren. Ein Kennzeichen dieser Stufe ist das besonders starke
Gerechtigkeitsgefühl der Kinder («Wie du mir, so ich dir»). Ihr Bewusstsein von
Gleichheit hat zur Folge, dass für sie eine gerechte Behandlung eine absolut gleiche
Behandlung ist. Beispielsweise wollen ältere Kinder die gleiche Behandlung wie ihre
kleinen Geschwister. Sie können nicht verstehen, dass die Eltern ihr Handeln im Sinne
einer Gleichberechtigung auf die individuellen Voraussetzungen ihrer Kinder
ausrichten. (vgl. Heidbrink 1996, 67f.)
II. Konventionelle Ebene
Auf der konventionellen Ebene hat das Kind das Bestreben wichtige soziale
Beziehungen zu erhalten, indem es die soziale Ordnung aktiv unterstützt und verteidigt.
Außerdem erfüllt es die Erwartungen seiner Familie, von Gruppen und vom Staat.
Stufe 3: «Guter Junge, liebes Mädchen»-Orientierung (ab ca. 10 Jahren)
Auf der dritten Stufe beschränkt sich die Orientierung noch auf nahestehende
Menschen (Familie oder andere Primärgruppen wie Freunde, Bekannte etc.) deren
Bedürfnisse und Wünsche das Kind erfüllen und von denen es Bestätigung erhalten
möchte. Aus diesem Grund übernimmt es die Normen seiner Bezugsgruppe(n). Das
Kind hat das Bestreben als «guter Mensch» angesehen zu werden. In dieser Stufe
kann es aber auch zu Konflikten kommen, wenn sich die Vorstellungen der
Primärgruppe stark von denen der Familie unterscheiden. In diesen Fällen bricht dann
die heile Welt zusammen, da die Rollenerwartungen und Wertvorstellungen dieser
beiden Gruppen nicht mehr übereinstimmen. Es entsteht ein hohes Konfliktpotenzial.
15
Die moralische Entwicklung auf dieser Stufe setzt die Fähigkeit zur Perspektivübernahme einer dritten Person voraus (siehe 2.2.2). Die Interessen und Sichtweisen
der dritten Person werden vom Kind erkannt und meist zu den eigenen gemacht. Da es
noch nicht in der Lage ist einen von der Gruppe unabhängigen Standpunkt zu
vertreten, kann es mögliche Ungerechtigkeiten seiner Gruppe nicht erkennen. (vgl.
Heidbrink 1996, 67f.) Der Leitspruch dieser Moralstufe ist: „Richtig ist, was auch die
anderen für richtig halten.“ (Heidbrink 1996, 69)
Stufe 4: «Gesetz und Ordnung»-Orientierung (ab ca. 12 Jahren)
Im Unterschied zu Stufe 3 wird auf der Stufe 4 neben den persönlichen
Sozialbeziehungen auch das System bestehend aus der Gesellschaft, Institutionen und
Gruppen unterstützt. Dieses System besteht aus Rechten aber auch aus Pflichten, die
an alle Mitglieder gestellt werden. Das Kind sieht es als seine oberste Aufgabe die
Gesetze zu befolgen, wenn diese nicht mit anderen sozialen Aufgaben im
Widerspruch stehen. Die Grundlage dafür ist die Erkenntnis, dass es anerkannte
Regeln und Gesetze gibt, die ein Zusammenleben der Menschen trotz der
unterschiedlichen Interessen, Sichtweisen und Normen ermöglichen sollen. Ein
unmoralisches Verhalten ist auch auf dieser Stufe möglich, wenn beispielsweise die
Gesetze nicht human sind. (vgl. Oser; Althof 2001, 58f.)
III. Postkonventionelle Ebene (prinzipiengeleitete Ebene)
Auf der letzten Ebene erkennt der junge Erwachsene, dass das System nicht unfehlbar
ist. Es wird nicht mehr alles, was vom System vorgegeben wird, als richtig
angenommen. Stattdessen wird die bestehende Ordnung kritisch hinterfragt. Es wird
versucht Prinzipien und Werte, die unabhängig der Macht von Gruppen und Personen
sind, zu finden. Auf dieser Grundlage soll eine Weiterentwicklung des Systems erzielt
werden.
Stufe 5: Sozialverträgliche Orientierung (ab ca. 21 Jahren)
Die Grundlage dieser Stufe ist die Erkenntnis, dass die Einhaltung von Gesetzen zum
Schutz der Menschenrechte da ist. Prinzipiell werden die Rechte anerkannt, weil sie
die Grundlage des sozialen Kontrakts sind und durch sie ein Höchstmaß an
Gerechtigkeit entstehen soll. Jedoch gelten die Menschenrechte als unveräußerlich,
weshalb sie eine höhere Stellung als die Grundrechte einnehmen. Sollte ein Recht zu
Unrecht führen, dann können Gesetze zum Wohle aller geändert werden. Dabei
werden auch Sanktionen in Kauf genommen. Der junge Erwachsene richtet sein
16
Denken und Handeln somit auf einen größtmöglichen Nutzen für alle Menschen aus.
Dabei ist ihm bewusst, dass die Menschen oft unterschiedliche Werte und Meinungen
vertreten, die alle berechtigt sein können, und ihnen trotz aller Unterschiede allein
aufgrund ihres Menschseins die gleichen Rechte zu stehen. Der junge Erwachsene
urteilt somit im Sinne von Gleichberechtigung. Die Voraussetzung für dieses Denken
ist die Übernahme einer übergeordneten Perspektive auf das Gesetz und die
Gesellschaft sowie die Auffassung des Systems als Gesellschaftsvertrag, der von den
Beteiligten vereinbart worden ist und deshalb auch von ihnen geändert werden kann.
Laut Kohlberg ist die fünfte Stufe die Basis einer freiheitlich-demokratischen
Verfassung. (vgl. Oser; Althof 2001, 59ff.)
Durch weitere Forschungsergebnisse und Kritik von Kollegen überarbeitete Kohlberg
immer wieder seine Stufenhierarchie. So ergänzte er beispielsweise die Stufen 2 bis 5
um A- und B-Unterstufen, die eine weitere Differenzierung ermöglichen sollten. Auf der
Unterstufe A orientiert sich die Person noch stärker an Vorgaben und Nutzungskonsequenzen. Im Vergleich dazu treten auf der Unterstufe B mehr die Prinzipien
Gerechtigkeit, Fairness und das ideale Selbst in den Vordergrund. Diese
Weiterentwicklung innerhalb einer Stufe reicht nicht für einen Aufstieg zur nächst
höheren Stufe aus, lässt aber eine steigende Tendenz erkennen, die mit der Unterstufe B
gekennzeichnet werden kann. (vgl. Heidbrink 1996, 81ff.)
Kohlberg konnte nachweisen, dass seine
Theorie in allen Kulturen zutreffend ist und
somit als universell gelten kann. Die
moralischen Urteile können sich zwar auf
der
inhaltlichen
jedoch
identisch.
ist
Ebene
die
Bei
der
unterscheiden,
grundsätzliche
Form
Anwendung
seiner
Theorie ist dennoch zu beachten, dass es
zu Schwankungen bezüglich des Alters, in
Altersstufen der moralischen Entwicklung (Montada 2008, 596)
dem der Mensch ein bestimmtes Entwicklungs-
stadium erreicht, kommen kann. Im Verlauf ihrer Entwicklung erreichen die meisten
Menschen die vierte moralische Stufe. Auf Stufe 5 urteilt nur ein geringer Prozentsatz.
Der individuelle Endpunkt der moralischen Entwicklung liegt oftmals im frühen
Erwachsenenalter. So können sich Erwachsene durchaus auf den ersten Stufen befinden
17
und niemals die fünfte Stufe erreichen. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass ein Kind
relativ früh auf der vierten Stufe sein moralisches Urteil fällt. (vgl. Montada 2008, 596)
2.2.1.3 Kritik an Kohlbergs Theorie
Kohlbergs Theorie der moralischen Entwicklung wurde in den letzten Jahrzehnten
immer wieder durch Querschnittsuntersuchungen bestätigt. Aus diesem Grund nehmen
auch heute noch viele Wissenschaftler auf diesem Gebiet Bezug auf seine Theorie.
Jedoch wurden auch Ergebnisse veröffentlicht, die Zweifel an den Stufen der
moralischen Entwicklung, der Universalität und Unveränderlichkeit aufkommen lassen.
An dieser Stelle sollen die wichtigsten Kritikpunkte kurz erläutert werden. Am
häufigsten wurde die sechste Stufe hinterfragt. Das moralische Urteil auf der sechsten
Stufe beruht auf universellen Gerechtigkeitsprinzipien, Wechselseitigkeit und auf der
Achtung der Menschenwürde sowie der Gleichheit der Menschenrechte. Ausschließlich
aus dieser Perspektive wird das Handeln des Systems betrachtet. Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Walter Herzog kritisierte, dass die letzte Stufe den Menschen
auf die moralische Ebene reduzieren würde, wodurch dieser sich von der Realität
entferne. Auch der Pädagoge Puka empfahl Kohlberg nach einer ausführlichen
Beschäftigung mit der sechsten Stufe eine Streichung. (vgl. Heidbrink 1996, 74f.) Die
Kritik seiner Kollegen sowie neuere Untersuchungen Kohlbergs in den 80er Jahren
führten letztendlich zur Streichung der sechsten Stufe. Diese überarbeitete Fassung der
moralischen Entwicklung gilt als bestätigt. Ein weiterer Kritikpunkt geht aus neueren
Untersuchungen zur präkonventionellen Ebene hervor. In der Altruismusforschung
wurde festgestellt, dass Kinder schon früher als gedacht in der Lage sind zu teilen, zu
trösten und zu helfen. Außerdem können Kinder schon früh ein an individuellen
Rechten und Pflichten orientiertes Normverständnis haben, dass unabhängig von
Strafandrohungen und Autoritäten ist. (vgl. Michalik 2006, 12) Ebenfalls ist anzunehmen, dass das Wohl des anderen als Richtgröße für das eigene Handeln früher an
Bedeutung gewinnt. Viele Wissenschaftler halten insbesondere das soziale Umfeld (z.B.
Elternhaus, peer-group), in dem wichtige soziale Fähigkeiten, wie die Perspektivübernahme, Empathie oder Achtung, vermittelt werden für einen wichtigen Einflussfaktor einer frühen moralische Entwicklung. (vgl. Faust-Siehl; Speck-Hamdan 1998,
119) Diese Ergebnisse widersprechen Kohlbergs Modell der moralischen Entwicklung.
Ebenfalls kritisiert wird Kohlbergs Aussage, dass vor einer moralischen Handlung ein
moralisches Urteil getroffen wird. Diese Aussage ist nicht unbedingt zutreffend, denn
viele Menschen handeln erst und treffen im Anschluss daran ihr Urteil. Auch hat ein
18
moralisches Urteil nicht gleichzeitig ein moralisches Handeln zur Folge. Des Weiteren
werden Urteile oftmals situationsabhängig getroffen. Dieser Tatsache wird ebenfalls
nicht Rechnung getragen.11 Die Darstellung der Kritikpunkte zeigt eindeutig, dass es
noch einige offene Fragen zu Kohlbergs Arbeiten gibt, die weiterhin auf eine
Beantwortung warten. Trotz aller Kritik gilt seine Theorie zur moralischen Entwicklung
weiterhin als richtungweisend auf diesem Gebiet. Besonders im Zusammenhang mit den
folgenden Modellen kann seine Theorie betrachtet werden.
2.2.2 Die Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme (nach Selman)
2.2.2.1 Hinführende Erläuterungen zur Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme
Die Fähigkeit eines Menschen die Sichtweise einer anderen Person wahrzunehmen,
wird als soziale Perspektivübernahme bezeichnet. Sie gehört neben der Empathie zu den
basalen Fähigkeiten des sozialen Verstehens. Die soziale Perspektivübernahme ist eine
wichtige Voraussetzung, wenn sich das Kind in seiner sozialen Umwelt zurechtfinden
möchte. Zum Beispiel wird diese Fähigkeit zur Konfliktlösung, für die Kommunikation
mit anderen sowie für die moralische Argumentation und die Fähigkeit zur Empathie
benötigt. Ein Mensch kann sich selbst und die anderen subjektiv wahrnehmen und nach
einer Einschätzung der Situation sein Handeln danach ausrichten. Dabei ist es vor allem
wichtig, dass er die soziale Wahrnehmung richtig interpretieren kann. Die Fähigkeit der
sozialen Perspektivübernahme ist nicht angeboren, sondern muss von jedem Menschen
erst entwickelt werden. (vgl. Faust-Siehl; Speck-Hamdan 1998, 115f.)
R. L. Selman stellte eine Entwicklungstheorie zur sozialen Perspektivübernahme auf, die
von mehreren Untersuchungen und Theorien beeinflusst wurde. Zum Beispiel nahm er
Bezug auf die theoretischen Positionen von Baldwin und Mead, die in der Fähigkeit zur
Übernahme von anderen Perspektiven den zentralen Ausgangspunkt für soziale
Erkenntnis und Bewertung sahen. Eine weitere Grundlage waren Piagets Grundkonzepte von Egozentrismus und Dezentrierung, die Selman jedoch nicht auf die
Objektwelt, sondern auf interpersonale Beziehungen anwendete. So legte Selman, in
Anlehnung an Piagets Stufenfolge des logischen Denkens, eine ontogenetische
Stufenhierarchie fest. Bezüglich seiner methodischen Umsetzung orientierte sich
Selman wiederum an Kohlbergs Untersuchungen zur moralischen Entwicklung. Anhand
von angenommenen oder wirklichen interpersonalen Situationen, die den Kindern in
Interviews vorgelegt wurden, versuchte er die Niveaus der sozialen Perspektiv11
vgl. http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/MORALISCHEENTWICKLUNG/Batisweiler.shtml
(24.06.2008, 20:04 Uhr)
19
übernahme zu bestimmen. Im Unterschied zu Kohlberg waren die Geschichten jedoch
komplexer, um zusätzlich die Ebene der Empathie erfassen zu können. (vgl. Heidbrink
1991, 44)
2.2.2.2 Das Modell der sozialen Perspektivübernahme (nach Selman)
Auf der Grundlage seiner Untersuchungen stellte Selman fest, dass sich das Kind von
einer
zu
Beginn
egozentrischen
Sichtweise
seiner
Umwelt
hin
zu
einer
Betrachtungsweise entwickelt, die nicht nur die eigene sondern auch die Perspektive der
anderen mit einbezieht. Während der Entwicklung durchläuft das Kind laut Selman fünf
Niveaustufen. Dabei handelt es sich um einen dynamischen Prozess, den er zwar nicht
direkt benennt, der aber durch den Bezug zu Piaget geschlussfolgert werden kann. Das
Kind nimmt aufgrund seiner kognitiven Weiterentwicklung seine Umwelt anders wahr,
wodurch es sich gezwungen sieht einen Wechsel seines derzeitigen Konzeptes
vorzunehmen. Die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus folgen aufeinander, wobei
das Erreichen einer höheren Stufe zur Erweiterung sowie Neukoordinierung der
Tiefenstruktur der vorangegangenen Stufe führt. Weil die niedrige Stufe die
Voraussetzung für das Erreichen der höheren Stufe ist, ist sie immer zugleich Teil der
folgenden Stufe. Die einzelnen Stufen werden Altersstufen zugeordnet, die sich nicht
deutlich voneinander abgrenzen lassen, weshalb nur eine Altersspanne angegeben
werden kann. (vgl. Herdegen 1999, 27) Zum besseren Verständnis werden die fünf
Niveaustufen nach Selman im Folgenden kurz erläutert.
Niveau 0: Egozentrische oder undifferenzierte Perspektiven (3.-7.Lebensjahr12)
Die Entwicklung beginnt auf der Niveaustufe 0, auf der das Kind seine eigene
subjektive Perspektive (z.B. Gedanken und Gefühle) wahrnehmen kann. Es ist jedoch
noch nicht in der Lage zu erkennen, dass die Interpretation ähnlich wahrgenommener
sozialer Situation bei den betroffenen Personen unterschiedlich ausfallen kann. Die
Möglichkeit, dass Unterschiede zwischen der eigenen Perspektive und der von einer
zweiten Person auftreten können, ist dem Kind noch nicht bewusst, da es die
Perspektiven nicht deutlich genug voneinander unterscheiden kann. Es kommt
sozusagen zu einer Verschmelzung vom Selbst und dem anderen. Des Weiteren kommt
es zur Vermischung der subjektiven und objektiven Aspekte in der sozialen Welt.
Beispielsweise kann das Kind Gefühle und beobachtbare Handlungen oftmals nicht
voneinander trennen. (vgl. Heidbrink 1991, 46)
12
Die folgenden Altersangaben sind dem Buch von Peter Herdegen (1999, 27f.) entnommen worden.
20
Niveau 1: Subjektive oder differenzierte Perspektiven (5.-9.Lebensjahr)
Auf dem Niveau 1 kommt es zur Trennung zwischen dem Selbst und dem anderen. Das
andere wird als eigenständige Person mit eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen
erkannt. Das Kind begreift erstmals, dass es in ähnlich wahrgenommenen sozialen
Situationen Übereinstimmungen oder Unterschiede in den Perspektiven von anderen
und einem Selbst geben kann. Das Kind differenziert dabei die subjektiven Perspektiven
voneinander, die aufgrund einer unterschiedlichen Reflexion verschiedener Einzelgründe oder –motive entstehen können. Außerdem ist es in der Lage sich mit den
verdeckten, individuell-psychischen Gegebenheiten jeder Person zu befassen.
Niveau 2: Selbstreflexive oder reziproke Perspektiven (7.-12.Lebensjahr)
Die zweite Stufe setzt voraus, dass das Kind sich selbst gegenüber dem anderen als
Subjekt begreift. Erst jetzt kann das Kind aus sich heraustreten, um sich in eine andere
Person gedanklich hineinzuversetzen. In diesem Zusammenhang spricht man von der
Koordination zwischen dem Selbst und dem anderen. Dieses Bewusstsein ermöglicht es
dem Kind in sozialen Situationen die Unterschiede in seiner eigenen Perspektive im
Vergleich zur Perspektive des anderen wahrzunehmen sowie zu reflektieren. Dabei
nimmt es nicht mehr nur Bezug auf Handlungen, sondern es besteht auch eine
Reziprozität von Gedanken und Gefühlen. Außerdem kann das Kind aus der Sichtweise
eines anderen auf die eigene Perspektive blicken. Mit dem Erreichen des zweiten
Niveaus geht das Wissen einher, dass die andere Person auch die Fähigkeit zur
Perspektivübernahme besitzt. (vgl. Heidbrink 1996, 85f.)
Niveau 3: Wechselseitige Perspektiven/ Perspektiven der dritten Person (10.-15.Jahr)
Mit der Erweiterung des Bewusstseins um die reziproken Beziehungen erreicht das
Kind das dritte Niveau. Im Vergleich zur zweiten Stufe erweitert sich das Bewusstsein
um die Erkenntnis, dass eine Reziprozität zwischen einem Selbst und zwei weiteren
Personen besteht. „Es entsteht das Bewusstsein einer Beziehung zwischen dem Selbst
und dem anderen, die von einem externen Standpunkt aus betrachtet werden kann
(„Integration von Selbst und anderen“).“ (Heidbrink 1991, 47) Das Kind hat nun die
Erkenntnis, dass zwischen den wechselseitigen Perspektiven eine unendliche Reihe von
denkbaren Verkettungen besteht. Es hat die Fähigkeit entwickelt gedanklich aus einer
interpersonalen Situation herauszutreten und die Perspektiven der beiden anderen
Interaktionspartner gleichzeitig miteinander zu koordinieren. Außerdem erkennt das
Kind die anderen als unmittelbar handelnd an und reflektiert die Auswirkungen der
Handlungen in Bezug auf sich selbst.
21
Niveau 4: Gesellschaftliche Perspektive oder Tiefenperspektive (ab 12 Jahren)
Auf der vierten Stufe erkennt der Heranwachsende, dass sich die wechselseitigen,
subjektiven Perspektiven nicht nur in Bezug auf gemeinsame Erwartungen gegenüberstehen,
sondern
dass
es
weitere
Kommunikationsebenen
gibt.
Diese
Kommunikationsebenen können vielschichtig und tiefgehend sein. Zum Beispiel kann
es sein, dass Personen oberflächlich miteinander sprechen oder dass sie intensive,
tiefgehende Gespräche über Gefühle und Gedanken führen. Des Weiteren ist der
Heranwachsende in der Lage die zwischenmenschlichen Perspektiven als Netzwerk
unterschiedlicher Interaktions- und Kommunikationsebenen zu betrachten. Diese neue
Erkenntnis setzt eine Generalisierung der Perspektiven zu höheren Konzepten voraus.
Dabei entstehen Konzepte der gesellschaftlichen, rechtlichen und moralischen
Perspektive, die alle Personen miteinander teilen können. Es ist jedoch zu beachten,
dass diese Perspektiven bei jedem Menschen aufgrund einer differierenden Sozialisation
unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. (vgl. Heidbrink 1996, 85f.)
Die folgende Abbildung soll die unterschiedlichen Beziehungen zwischen dem Selbst
und dem anderen auf den einzelnen Niveaustufen stark vereinfacht verdeutlichen.
Graphische Darstellung der Entwicklung der sozialen Perspektive nach Selman (Heidbrink 1991, 46)
2.2.2.3 Kritik an Selmans Theorie
An dieser Stelle sollen lediglich die zwei wichtigsten Kritikpunkte an Selmans Theorie
kurz erläutert werden. Der erste Kritikpunkt betrifft die stufenweise Entwicklung des
Kindes. Als bestätigt gilt die Entwicklung von einer einfachen zu einer ausdifferenzierten Perspektive. Hingegen wird Selmans Feststellung kritisiert, dass sich die
Entwicklung von einer konkreten zu einer abstrakten Perspektive vollzieht. Im Gegensatz dazu gehen wissenssoziologische Ansätze davon aus, dass sich schon 3-jährige
Kinder soweit entwickeln können, dass sie eindeutig zwischen mentalen Zuständen und
physischen Gegebenheiten unterscheiden können. Des Weiteren haben neuere
Untersuchungen gezeigt, dass die Entwicklung durch mehrere Faktoren (physisch und
psychisch Entwicklung, soziale Einbindung etc.) beeinflusst werden kann. Beispiels22
weise kann die Übernahme von sozialen Rollen gefördert werden, indem man die
Kinder an Entscheidungsprozessen beteiligt, ihnen Verantwortung überträgt und ihnen
Nähe sowie Liebe entgegenbringt. Diesen Entwicklungsstand können nach Selman
normalerweise Kinder erst in einem Alter von fünf bis neun Jahren erreichen. Er scheint
also die Fähigkeiten von jüngeren Kindern zu unterschätzen, die abhängig von den oben
genannten Faktoren schon früh neben einer konkreten auch eine abstrakte Perspektive
einnehmen können. (vgl. Faust-Siehl; Speck-Hamdan 1998, 117) In Bezug auf die
Stufenhierarchie wurde weitere Kritik an Selmans Theorie geübt. Seine Feststellung,
dass sich die Entwicklung von einer engen zu einer weiteren Perspektive vollzieht,
wurde mittlerweile aufgrund neuerer Ergebnisse erweitert. Es wird davon ausgegangen,
dass das Erreichen einer höheren Niveaustufe nicht ausschließt, dass sich die Person in
bestimmten Situationen auch wieder auf eine niedrigere Stufe begeben kann. Wenn das
Problem beispielsweise ein privater Konflikt zwischen zwei Personen ist, dann
entspricht das der zweiten Niveaustufe. Sollte der Konflikt jedoch den privaten Bereich
überschreiten, dann wird die vierte Stufe erreicht und eine gesellschaftliche Perspektive
kommt hinzu. Einzelne spezifische Problemsituationen lassen sich somit gut einzelnen
Niveaustufen zuordnen, wenn ihre Reichweite zuvor bekannt ist. Jedoch kann es auch
dazu kommen, dass sich die beiden Perspektiven der Interaktionspartner voneinander
unterscheiden. Beispielsweise neigen Frauen dazu eine soziale Situation aus einer
gruppenbezogenen familiären Perspektive (3.Niveau) zu betrachten, wohingegen
Männer die gesellschaftliche Perspektive (4.Niveau) bevorzugen. Daraus kann
geschlussfolgert werden, dass Selmans Konzeption einerseits ein strukturelles Merkmal
für die individuellen Urteile einer Person sein kann und dass sie andererseits einen
Beitrag zu einer objektiven Interpretation einer Problemsituation leisten kann. In Bezug
auf eine soziale Situation kann es also eine Urteilsperspektive und eine
Problemperspektive geben. (vgl. Heidbrink 1996, 88ff.)
2.2.3 Die Entwicklung von Empathie (nach Hoffman)
2.2.3.1 Hinführende Erläuterungen zur Entwicklung von Empathie
Eine bedeutende Entwicklungsaufgabe der frühen Kindheit ist der Umgang mit
Gefühlen. Die Fähigkeit die eigenen und die Gefühle anderer Personen zu erkennen, ist
die Grundlage für die Entwicklung weiterer emotionaler Fertigkeiten und letztendlich
für den Erwerb einer emotionalen Kompetenz. Um die Gefühle zu erkennen, muss man
sich zunächst seiner selbst bewusst sein. Erst im Anschluss daran ist man in der Lage
sich gefühlsmäßig auch in eine andere Person hineinzuversetzen und deren
23
Gefühlszustand selber zu durchleben (Empathie). In der Entwicklungspsychologie wird
Empathie definiert als „Fähigkeit den emotionalen Zustand eines anderen Menschen zu
verstehen und mit ihm mitzufühlen oder emotional auf ähnliche Weise zu reagieren.“
(Berk 2005, 909) Welche wichtige Rolle die Empathie bei der Ausbildung einer
emotionalen Kompetenz ist, zeigen die Modelle nach Saarni (1999), die die Empathie
zu den 8 emotionalen Schlüsselfertigkeiten zählt, und Denham (1998), der das
Einfühlungsvermögen zu den Komponenten emotionaler Kompetenz zuordnet. (vgl.
Petermann; Wiedebusch 2003, 11ff.)
M. L. Hoffman hat eine ontogenetische Theorie der Empathieentwicklung aufgestellt. Er
geht davon aus, dass die Fähigkeit zur Empathie im Menschen genetisch angelegt ist
und durch bestimmte Erfahrungen im Sozialisationsprozess (z.B. durch die Eltern und
die Kindertagesstätte) gefördert werden kann. Seine Theorie weist, wie schon die
vorangegangenen Theorien, eine Stufenhierarchie auf. Außerdem besteht ein enger
Zusammenhang zwischen empathischer und kognitiver Entwicklung. Das Erreichen
eines bestimmten Niveaus ist abhängig vom kognitiven Entwicklungsstand des Kindes.
Zum Beispiel muss das Kind zunächst gelernt haben, dass die beobachtbare Emotion
nicht mit dem tatsächlichen Emotionserleben übereinstimmen muss. Laut Hoffmann ist
die Fähigkeit zur Empathie eine grundlegende Voraussetzung für die Ausbildung von
sozialen Kompetenzen und Verhaltensweisen. Eisenberg kam auf der Grundlage der
Ergebnisse seiner Langzeitstudie zur Schlussfolgerung, dass ein enger Zusammenhang
zwischen dem empathischen und moralischen Entwicklungsstand eines Kindes besteht.
Diese beiden Aussagen werden in Untersuchungen zum sozialen Verhalten bestätigt.13
2.2.3.2 Das Modell der Entwicklung von Empathie (nach Hoffman)
Hoffmans Theorie geht bei der Empathieentwicklung von einem Prozess aus, der sich
hauptsächlich während der frühen Kindheit vollzieht und in den meisten Fällen mit
Beginn der späten Kindheit abgeschlossen ist. Wie schon in den anderen
Entwicklungstheorien können auch hier keine expliziten Altersangaben gemacht
werden, da die Entwicklung von mehreren Faktoren (z.B. Sozialisation, genetische
Voraussetzungen etc.) beeinflusst werden kann. Aus diesem Grund sind die folgenden
Altersangaben lediglich als Richtwerte zu verstehen. Während des Entwicklungsprozesses durchläuft das Kind mehrere Stufen. Hat es zu Beginn noch eine
selbstbezogene Sichtweise, so hat es am Ende eine kontextbezogene Empathie
13
vgl. http://psychologie.fernuni-hagen.de/pdf/Purrmann.pdf (24.05.2008, 12:54 Uhr), 65ff.
24
entwickelt. Hoffman unterscheidet in seiner Theorie zwischen affektiven Komponenten
(Typen) und kognitiven Komponenten (Niveaus).
I. affektive Komponenten
Die affektiven Komponenten sind emotionale Reaktionen bzw. Gemütsregungen eines
Menschen, die zurückzuführen sind auf eine beobachtbare Situation, die ein anderer
Mensch erlebt. Diese Situation wird dem Beobachter beispielsweise durch
ausdrucksvolle Zeichen (z.B. weinen), die den momentanen Gefühlszustand des
Betroffenen widerspiegeln, mitgeteilt. Laut Eisenberg wirken sich affektive Emotionen
positiv auf die Entwicklung eines prosozialen Verhaltens aus. Hoffman unterscheidet
zwischen 6 affektiven Reaktionen der empathischen Erregung, die beim Beobachter
hervorgerufen
werden
können:
reaktives
Neugeborenenschreien,
klassische
Konditionierung, direkte Assoziation, Mimicry, symbolische Assoziation, Rollenübernahme.14 Diese Typen sollen im Folgenden nicht näher erläutert werden, da ich
mich bei der Auswertung auf die kognitiven Komponenten beziehen werden.
II. kognitive Komponenten
Die kognitiven Komponenten sind nach Eisenberg die wesentlichen Faktoren die ein
prosoziales Verhalten begünstigen. Die Grundlage dafür bildet die Fähigkeit sich in eine
andere Person einfühlen zu können, um dessen Emotionen wahrnehmen sowie
interpretieren und bei Bedarf prosozial handeln zu können. Hoffman unterscheidet
zwischen vier Entwicklungsniveaus der Empathie, die abhängig vom kognitiven
Entwicklungsstand und dem Auftreten der affektiven Komponenten sind.15
1. Globale Empathie (bis zum 12.Monat)
Zu Beginn der Entwicklung kann das Kind noch nicht zwischen sich und den anderen
unterscheiden. Aus diesem Grund erlebt es die beobachtbare Emotion einer anderen
Person als seine eigene. Die Reaktion folgt durch das Neugeborenenschreien oder die
klassische Konditionierung und wird als global empathisch bezeichnet. Im Gegensatz
zu Selman nimmt Hoffman an, dass das Kind schon im Verlauf des ersten Lebensjahres lernt, dass es sich von einer anderen Person unterscheidet. Die Wahrnehmung
der eigenen Persönlichkeit ist zunächst vage und der Zeitraum ist begrenzt, aber mit
zunehmendem Alter festigt sich die Persönlichkeit immer mehr.
14
15
vgl. http://psychologie.fernuni-hagen.de/pdf/Purrmann.pdf (24.05.2008, 12:54 Uhr), 24f.
vgl. http://psychologie.fernuni-hagen.de/pdf/Purrmann.pdf (24.05.2008, 12:54 Uhr), 27f.
25
2. Egozentrische Empathie (1.- 2.Lebensjahr)
Ab dem ersten Lebensjahr nimmt sich das Kind als eine eigene Persönlichkeit wahr.
Es kann eine beobachtbare Emotion selbst empfinden und gleichzeitig zwischen der
eigenen Beobachterposition und der Person, die die Emotion erlebt, unterscheiden.
Diese Unterscheidung ist noch nicht eindeutig, weshalb es ab und an noch zu
Vermischungen kommen kann. Außerdem ist das Kind noch nicht in der Lage sich in
einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Das Kind reagiert mit einem passenden
empathischen Affekt (z.B. Mimicry). Oftmals werden auch Reaktionen ausgeführt, die
dem Kind, nicht aber unbedingt dem Betroffenen in einer solchen Situation helfen.
3. Empathie für die Gefühle anderer (2.-3.Lebensjahr)
Im Alter von 2 – 3 Jahren kann das Kind zwischen der realen Welt und der eigenen
Wahrnehmung der Welt unterscheiden. Ab diesem Zeitpunkt kann es die Unterschiede
in den Gefühlen von sich selbst und einer anderen Person wahrnehmen. Im Gegensatz
zu Hoffman erreicht das Kind in Selmans Theorie dieses Niveau erst in einem Alter
von fünf bis neun Jahren. Des Weiteren entwickelt sich in diesem Alter die Sprache,
durch die das Kind die Bedeutung von Gefühlszuständen nach und nach ableiten
kann. Dadurch kann es mit einer neuen Vielfalt an emphatischen Reaktionen agieren,
auch wenn die betroffene Person gar nicht anwesend ist und die Situation lediglich
dem Kind geschildert wird.
4. Empathie für das allgemeine Leid anderer (ab ca. 10.Lebensjahr)
Zu Beginn der späten Kindheit kann das Kind eindeutig zwischen dem Selbst und
dem anderen unterscheiden (siehe auch Selman). Außerdem erkennt es, dass jeder
Mensch eine eigene Identität und somit auch eine eigene Biographie hat. Wenn dieses
Niveau erreicht ist, kann sogar eine empathische Reaktion erfolgen, obwohl nicht
eindeutig ist, welchen Zustand gerade die andere Person erlebt. Das Kind ist in der
Lage vielfältige Informationen zu verarbeiten, die es aus der Situation, den eigenen
affektiven Reaktionen, und seinem Wissen über das Leben gewinnt. Aufgrund der
kognitiven Entwicklung und den Erfahrungen durch die affektiven Komponenten
kann das Kind eine allgemeine Fähigkeit der Empathie entwickeln. Auf diesem
Niveau entwickelt sich ebenfalls ein Gespür für Menschen und Gruppen, die sich in
Not befinden (z.B. Arme, soziale Randgruppen etc.) und deren Situation eine
emphatische Reaktion hervorrufen kann.
26
Die Entwicklung der Empathiefähigkeit vollzieht sich, ähnlich wie in den
vorangegangenen Modellen, von einem egozentrischen Niveau hin zu einer allgemeinen
sowie gesellschaftlichen Sichtweise auf dem letzten Niveau. Diese Veränderung steht
im engen Zusammenhang mit der kognitiven Entwicklung des Kindes und der Fähigkeit
zur Perspektivübernahme.16
2.2.3.3 Kritik an Hoffmans Theorie der Empathieentwicklung
Hoffmans Theorie zur Entwicklung der Empathiefähigkeit ist bisher kaum empirisch
überprüft worden, weshalb sie noch nicht als bestätigt gelten kann. Die Stufenhierarchie
bedarf noch einer genaueren Überprüfung durch Langzeitstudien und einer größeren
Anzahl an Probanden. Beispielsweise ist anzumerken, dass Hoffman anscheinend davon
ausgeht, dass die Kinder die egozentrische Phase viel früher überwinden als es
Kohlberg und Selman in ihren Theorien festgelegt haben (siehe 2.2.2.3). Mit dieser
Auffassung stimmt er mit neueren Untersuchungen sowie den wissenssoziologischen
Ansätzen überein (vgl. Faust-Siehl; Speck-Hamdan 1998, 119). Einig ist man sich, dass
die Entwicklung des Kindes durch positive Sozialisationserfahrungen in der frühen
Kindheit und eine anregende Umgebung gefördert werden kann.
2.2.4 Die emotional-soziale Entwicklung während der mittleren Kindheit
In der mittleren Kindheit (ca. 7.-10.Lebensjahr) machen die Kinder, bedingt durch ihre
voranschreitende kognitive Entwicklung, große Fortschritte in ihrer emotional-sozialen
Entwicklung. Das Kind ist in der Lage zunehmend mehr Informationen (z.B. Wissen
und Erfahrungen) zu verarbeiten und im Langzeitgedächtnis zu speichern. Aus diesen
Informationen hat es durch Reflexion und Erprobung Regeln für ein soziales Verhalten
verinnerlicht. Nach dem Modell von Kohlberg befinden sich die Kinder in diesem Alter
auf der 2.Stufe (Naiv-instrumentelle bzw. egoistische Orientierung) oder auf der 3.Stufe
(«Braves-Kind»-Orientierung) der moralischen Entwicklung. Auf der 2.Stufe lässt sich
das Kind noch von Autoritäten beeinflussen und richtet sein Handeln auf die
Befriedigung der eigenen Interessen und Bedürfnisse aus. Außerdem ist es der Überzeugung, dass nur eine absolut gleiche Behandlung eine faire Behandlung ist. „Die
Überlegungen der Billigkeit, das heißt, die Berücksichtigung spezifischer Umstände auf
der Basis einer grundlegenden Gleichheit, kommt bevorzugt bei älteren Personen vor.“
(Faust-Siehl; Speck-Hamdan 1998, 118) und ist laut Kohlberg der 5.Stufe zuzuordnen,
die von vielen Menschen nicht erreicht wird. Da jedoch neuere Untersuchungen
16
vgl. http://psychologie.fernuni-hagen.de/pdf/Purrmann.pdf (24.05.2008, 12:54 Uhr), 59ff.
27
herausgefunden haben, dass bedingt durch das soziale Umfeld Kinder schon deutlich
früher das Wohl des anderen bei ihrem Handeln berücksichtigen und schon früh ein
individuelles, an Rechten und Pflichten, orientiertes Normverständnis entwickeln
können (siehe 2.2.1.3), kann angezweifelt werden, ob sich dieses Gleichberechtigungsdenken erst auf der 5.Stufe ausbildet. Auf der 3.Stufe richtet das Kind sein Handeln auf
die Bedürfnisbefriedigung nahestehender Menschen aus. Es orientiert sich an den
Normen seiner Bezugsgruppe und will dadurch als «guter Mensch» angesehen werden.
Aus diesem Grund ist es auf dieser Stufe leicht zu beeinflussen. Trotzdem kann ihm im
Gegensatz zur zweiten Stufe mehr Vertrauen geschenkt und Verantwortung übertragen
werden, wodurch das Kind immer selbstständiger wird. Neben der kognitiven
Entwicklung wird das sich entwickelnde moralische Verständnis von der Fähigkeit zur
sozialen Perspektivübernahme beeinflusst. Nach Selmans Modell kann sich ein Kind in
diesem Alter auf dem Niveau 1 bis 3 befinden, weshalb große Entwicklungsunterschiede festzustellen sind. Zunächst lernt das Kind eine Trennung zwischen dem
Selbst und dem anderen zu machen (Niveau 1). Im Anschluss daran ist es in der Lage
sich als Subjekt gegenüber dem anderen zu begreifen (Niveau 2). Erst dann kann es sich
gedanklich in eine andere Person hineinversetzen und aus deren Perspektive auf sich
selbst schauen. Auf dem dritten Niveau kann zusätzlich die Perspektive einer dritten
Person übernommen werden und das Kind erkennt die Wechselseitigkeit der einzelnen
Perspektiven. (vgl. Berk 2005, 440f.) Im Zusammenhang mit der sozialen Perspektivübernahme steht wiederum die Entwicklung der Empathiefähigkeit. Um sich in einen
Mitmenschen einfühlen zu können, muss man in der Lage sein, die Perspektive dieser
Person übernehmen zu können. Während der mittleren Kindheit können sich die Kinder
zum einen auf dem 3.Niveau befinden, das bis zu Beginn der späten Kindheit anhält. Sie
können die Unterschiede in den Gefühlen von sich selbst und einer anderen Person
wahrnehmen. Außerdem kann das Kind die Gefühle einer betroffenen Person selbst
durchleben, auch wenn diese nicht anwesend ist und die Situation dem Kind lediglich
geschildert wird. Zum anderen können sie das 4.Niveau erreichen, auf dem sie in der
Lage sind mitfühlend zu reagieren, ohne genau zu wissen, welchen Zustand der
Betroffene hat. Es entwickelt eine allgemeine Fähigkeit der Empathie und ein Gespür
für Menschen und Gruppen in Not.
Die drei Modelle können aufgrund ihrer Stufenstruktur sowie ihrem jeweiligen Bezug
zur kognitiven Entwicklung des Kindes gut im Zusammenhang miteinander betrachtet
werden. Die Abweichungen in den Altersangaben müssen jedoch beachtet werden.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass das Erreichen eines Niveaus bzw. einer Stufe
28
in einem Bereich die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung in einem anderen
Bereich ist. Deshalb ziehen Entwicklungsdefizite auch immer Beeinträchtigungen in
den anderen Bereichen nach sich. In zahlreichen Studien (z.B. Briggs-Gowan, Carter,
Skuban & McCue-Horwitz 2001) ist bewiesen worden, dass Defizite in der emotionalen
Entwicklung eines Kindes die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von psychischen
Störungen erhöht. Diese können wiederum Schwierigkeiten in den sozialen
Interaktionen mit anderen Personen zur Folge haben, sodass tragfähige und dauerhafte
soziale Beziehungen kaum zustande kommen können. (vgl. Petermann; Wiedebusch
2003, 17ff.) Beispielsweise haben Kinder, die zu aggressivem Verhalten neigen,
Schwierigkeiten sich in die Gedanken und Gefühle einer anderen Person
hineinzuversetzen. Sie verhalten sich gegenüber anderen Personen aggressiv und haben
dabei keine Schuldgefühle, weshalb sie auch keine Wiedergutmachung in Erwägung
ziehen. Diese fehlende Perspektivübernahme wirkt sich wiederum negativ auf die
moralische Entwicklung des Kindes aus. (vgl. Berk 2005, 440) Bei der Bestimmung des
Entwicklungsstandes mit Hilfe der Entwicklungsmodelle von Kohlberg, Selman und
Hoffman muss beachtet werden, dass man umfangreiche Kenntnisse auf der
theoretischen und praktischen Ebene benötigt, um eine eindeutige Zuordnung
vornehmen zu können, da die Ergebnisse oftmals nicht leicht zu interpretieren sind. Des
Weiteren muss man sich darüber im Klaren sein, dass kurzzeitige Interventionen kaum
zu sichtbaren Ergebnissen führen. „Förderkurse müssen sich über viele Wochen und
viele Problembearbeitungen erstrecken.“ (Montada 2008, 297)
3. Das Forschungsthema
Das Thema meiner Forschungsarbeit lautet Gleichheit im Allgemeinen – Unterschiede
im Besonderen – Perspektiven von Grundschülern auf Kinderrechte: Eine
Interventionsstudie im Sachunterricht. Wie schon aus dem Titel erkennbar ist, handelt
es sich dabei um eine Interventionsstudie. Es soll überprüft werden, ob mit Hilfe einer
Intervention in Form einer Aktionswoche zum Thema Kinderrechte (Schwerpunkt:
Recht auf Gleichheit) ein Verständniszuwachs bei den Probanden zu verzeichnen ist.
Dieser Verständniszuwachs soll auf der Wissensebene und aufgrund der sozialwissenschaftlichen Ausrichtung auf der emotional-sozialen Ebene überprüft werden.
Besonders in Bezug auf die sozialwissenschaftliche Ausrichtung wird interessant zu
sehen sein, ob sichtbare Ergebnisse zu verzeichnen sind, denn eine emotional-soziale
Weiterentwicklung vollzieht sich eigentlich in einem langfristigen Prozess (siehe 2.2.4).
29
Des Weiteren verläuft die Umstrukturierung der Prä-Konzepte zu wissenschaftlicheren
Post-Konzepten ebenfalls zumeist in einem längeren Prozess (siehe 4.1). Aus diesem
Grund vermute ich, dass die Fortschritte gering sein und sich sehr wahrscheinlich
innerhalb des Niveaus/ der Stufe vollziehen werden. Möglicherweise werden sich die
Fortschritte in Form von gefestigteren Niveaus/ Stufen äußern. Außerdem werden die
Ergebnisse zeigen, ob die Thematisierung der Kinderrechte überhaupt einen Beitrag zur
emotional-sozialen Entwicklung von Grundschülern leisten kann. Im Zusammenhang
mit den Untersuchungsergebnissen wird sich ebenfalls herausstellen, ob sich die
Gestaltung meiner Aktionswoche als förderlich für den Verständniszuwachs erwiesen
hat und an welchen Stellen möglicherweise Verbesserungsbedarf besteht.
Zusätzlich zum Interesse am Verständniszuwachs der einzelnen Probanden ergeben sich
in den Bereichen emotional-soziale Entwicklung sowie Kinderrechte weitere Fragen.
Zum einen wird sich in Bezug auf die Feststellung des emotional-sozialen
Entwicklungsstandes zeigen, ob sich die Verwendung der Modelle von Kohlberg,
Selman und Hoffman trotz der Kritik bewähren wird (siehe 2.2). Im Hinblick auf
Kohlbergs Zuordnung des Gleichberechtigungsdenkens zu Stufe 5 sind begründete
Zweifel anzumerken. Aufgrund der Kritik anderer Wissenschaftler sowie meiner
eigenen Beobachtungen während meiner Schulpraktika und der Leitung einer Kinderund Jugendgruppe stelle ich die Vermutung auf, dass auch Kinder in der Lage sind ein
Gespür für das Urteilen im Sinne von Gleichberechtigung zu entwickeln, was infolge
ihrer kognitiven Möglichkeiten sowie ihrer Erfahrungen aber unabhängig von Gesetzen
und gesellschaftlichen Zusammenhängen gesehen werden muss. Ich vermute, dass sich
dieses Denken in Situationen zeigt, in denen sie sich gut hineinversetzen können oder
ihre Bezugsgruppe betroffen ist, da beides wichtige Einflussfaktoren bei der
moralischen Entwicklung sind. Deshalb stelle ich die Hypothese auf, dass einige Kinder
möglicherweise auch schon auf Stufe 3 in der Lage sind im Sinne von Gleichberechtigung zu urteilen. In diesem Zusammenhang stellt sich mir ebenfalls die Frage,
ob die Probanden bewusst den Begriff Gleichberechtigung in ihren Argumentationen
verwenden oder ob sie, wie das Wort Gespür schon andeutet, unbewusst danach urteilen
werden. Aufgrund der zwei Perspektiven, die beim Begriff Gleichberechtigung beachtet
werden müssen (siehe 2.1.2) vermute ich, dass dieser Begriff möglicherweise für einige
Viertklässler noch zu komplex ist, sodass eine direkte Argumentation nicht unbedingt
anzunehmen ist. Zum anderen möchte ich herausfinden, ob sich die Thematisierung
eines Kinderrechtes förderlich auf das Verständnis der weiteren Kinderrechte auswirkt.
Da das Kinderrecht Gleichheit meiner Meinung nach grundlegend für die weiteren
30
Kinderrechte ist und die Kinderrechtskonvention am ersten Tag der Aktionswoche
besprochen wird, vermute ich, dass sich diesbezüglich ein Verständniszuwachs zeigen
wird. Möglicherweise argumentieren die Probanden in den Dilemmasituation mit
weiteren Kinderrechten.
Neben dem erläuterten Forschungsinteresse wird meiner Meinung nach interessant zu
sehen sein, welche weiteren Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen gezogen werden
können.
4. Forschungsdesign
Das Forschungsdesign ist ein wichtiger Bestandteil der empirischen Forschung, da es
die Grundlage für den weiteren Forschungsprozess darstellt. Aus der großen Anzahl an
unterschiedlichen Forschungsmethoden müssen nach einer intensiven Prüfung im
Hinblick auf das Forschungsvorhaben die richtigen Methoden ausgewählt werden.
Dabei muss beachtet werden, dass viele Faktoren Einfluss auf die Durchführung sowie
Auswertung und somit auch auf die Interpretation der Ergebnisse nehmen können. Aus
diesem Grund hat der Forscher die Aufgabe sein Forschungsdesign ständig zu
reflektieren und von kompetenten Kollegen objektivieren zu lassen.
Im Folgenden möchte ich die Entwicklung meines Forschungsdesigns erläutern.
Beginnen werde ich mit einem Exkurs zu Prä-/Post-Untersuchungen als Grundlage
meiner Interventionsstudie. Daraufhin werden die Untersuchungsteilnehmer kurz
beschrieben. Anschließend soll die Auswahl und Entwicklung meiner Forschungsmethoden dargestellt werden.
4.1 Exkurs zu Prä-/Post-Untersuchungen
Jeder Mensch besitzt Konzepte, die auch als gedankliche Werkzeuge bezeichnet werden
und die ein sinnvolles Handeln in der Welt ermöglichen sollen. Diese Konzepte können
sich mit voranschreitender kognitiver Entwicklung verändern. „Grundvoraussetzung der
Konzeptwechsel-Modelle ist der Gedanke, dass kindliches Denken von einfachen
Konzepten hin zu differenzierten sinnstiftenden führen kann.“ (Kaiser 2004, 127) Die
eigenen Begriffsstrukturen werden aufgrund der sich neu erschließenden Kontexte
erweitert, eingeschränkt oder umstrukturiert. Dieser Vorgang wird als Lernprozess
bezeichnet, der lebenslang andauert. (vgl. Kaiser 2004, 126f.) Als aneignungstheoretische Grundauffassung wird der moderate (pragmatische) Konstruktivismus
angesehen. Diese Ausprägung des Konstruktivismus lässt neben der Konstruktion
31
(Selbstlernprozess) auch die Instruktion zu, wodurch didaktisch geplante LehrLernprozesse überhaupt erst legitimiert werden. Das Verhältnis von Instruktion und
Konstruktion sollte sich mit zunehmendem Alter verschieben. Bei Grundschülern wird
davon ausgegangen, dass sie aufgrund ihrer kognitiven Entwicklung noch verstärkt
instruktive Teile für den Lernprozess benötigen. Die Erweiterung oder Ablösung
bestehender Konzepte durch tauglichere ist nur mit Hilfe von Erwachsenen möglich.
Trotzdem sollten sie an das konstruktive Lernen herangeführt werden, zu dem sie mit
voranschreitender kognitiver Entwicklung verstärkt in der Lage sind. Je älter die
Schüler werden, desto größer sollte der Anteil an konstruktivem Lernen sein. Das Ziel
ist, dass die Schüler möglichst in der Gemeinschaft aktiv, selbständig, entdeckend,
erfindend und problemlösend lernen, was eine wichtige Voraussetzung für ein
lebenslanges Lernen ist. (vgl. Feige 2007, 122ff.)
Aus konstruktivistischer Sicht werden die Alltagsvorstellungen der Kinder (PräKonzepte) aufgrund einer Lehr-Lernsituation (Intervention) durch konkrete, wissenschaftliche Vorstellungen (Post-Konzepte) erweitert, umstrukturiert oder ersetzt. Die
neuentwickelten, adäquateren Post-Konzepte können in weiteren Lernprozessen wieder
als Prä-Konzepte fungieren, aus denen wiederum Post-Konzepte hervorgehen können.
Es wird unterschieden zwischen weichen Umstrukturierungen, die zu einer Wissensausdifferenzierung führen, und radikalen Umstrukturierungen, die einen kompletten
Konzeptwechsel (conceptual change) zur Folge haben. Besonders in der Grundschule ist
ein «conceptual change» eher selten zu erwarten. Aus diesem Grund sollte das Ziel in
der Grundschule sein, dass die Schüler im Verlauf ihres Lernprozesses den wissenschaftlichen Vorstellungen eine vorrangige Stellung gegenüber den Alltagsvorstellungen zu sprechen. Dabei sollten die Alltagsvorstellungen ihre Bedeutung in
bestimmten Kontexten nicht verlieren. Während des Lernprozesses entstehen oft
Zwischenvorstellungen, die kleine Lernfortschritte aufzeigen. (vgl. Möller 1999, 139ff.)
Durch Wissenszuwachs, Umstrukturierung oder Feinabstimmung adäquatere Konzepte
liegen nach Cornelia Möller vor,
-
„wenn das Wissen weniger aus episodischen Repräsentationen (Einzelfällen) als aus
kategorischen Repräsentationen (mit zunehmender Verallgemeinerung) und
hypothetischen Repräsentationen (allgemeinen Aussagen in Wenn-Dann-Form)
besteht,
-
wenn der Grad der Differenzierung und Integration, der Grad der Hierarchisierung
und das Ausmaß der semantischen Netzwerke zunimmt,
32
-
wenn die aufgebauten bzw. angewendeten Strukturen konsistenter und robuster
werden.“ (Möller 1999, 143f.)
Wie schnell sich Prä-Konzepte verändern lassen, wird neben der Gestaltung der LehrLernsituation auch von ihrer Struktur bestimmt. Einerseits können Prä-Konzepte tief
verankert vorliegen (deep structures) und aufgrund ihrer hohen Glaubwürdigkeit für die
Kinder sehr resistent gegen Veränderungen sein. Andererseits können Prä-Konzepte
oberflächliche Konstruktionen sein (current structures), die beispielsweise auch durch
die Erhebungssituation entstehen können. Um die Schüler von den wissenschaftlicheren
Konzepten zu überzeugen, werden oftmals kognitive Konflikte eingesetzt, die einen
Lernprozess auslösen soll. Ob diese sog. Konfliktstrategien jedoch zum Erfolg führen,
ist von der Fähigkeit der Schüler, den Konflikt wahrzunehmen, abhängig. Die Schüler
benötigen metakognitive Fähigkeiten, die in diesem Alter erst noch ausgebildet werden
müssen, und die emotionale Bereitschaft die sicher geglaubten Prä-Konzepte
aufzugeben. Damit es dabei aber nicht zu einem Verlust an Selbstvertrauen kommt, aus
denen Motivationsverlust und Lernblockaden resultieren können, sollte die erzeugte
Unsicherheit durch eine neu gewonnene Sicherheit kompensiert werden. (vgl. Möller
1999, 140f.) Begünstigt wird ein Konzeptwechsel durch einen handlungsorientierten
Unterricht, der sich am Vorwissen der Kinder orientiert, einen Bezug zur Lebenswelt
der Schüler herstellt und ihnen viele authentische Situationen zur intensiven
Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht. Einsiedler empfiehlt beispielsweise die
Projektmethode. (vgl. Kaiser 2004, 130) Die Feststellung der Prä-Konzepte ist
schwierig, da diese nicht nur als deklaratives Wissen, sondern auch als Handlungswissen vorliegen können. Ebenso sind einige Prä-Konzepte erst in einem direkten
Kontext durch sprachliche Äußerungen und Handlungen zu erfassen. Bei der Erhebung
der Post-Konzepte nach einer Lehr-Lernsituation muss beachtet werden, dass die
Schüler trotz ihrer Lernfortschritte auf ihre Prä-Konzepte zurückgreifen können. Aus
diesem Grund muss ihnen in der Post-Erhebung oftmals ein Anstoß gegeben werden,
damit sie ihr neues Wissen anwenden. (vgl. Möller 1999, 140f.)
Der Konzeptwechsel im Bereich des naturwissenschaftlichen Sachunterrichts ist schon
in vielen Forschungsarbeiten betrachtet worden. Im Gegensatz dazu liegen diesbezügliche Erkenntnisse zum sozialwissenschaftlichen Sachunterricht bisher kaum vor.
Die empirischen Untersuchungen zeigen lediglich, dass ein Konzeptwechsel möglich
ist, wenn die Schüler adäquate fachliche Anregungen bekommen und ein förderliches
Lernklima geschaffen wird. (vgl. Kaiser 2004, 132)
33
4.2 Information zu den Untersuchungsteilnehmern
Für die Interventionsstudie wählte ich auf der Grundlage einer Vorerhebung sechs
Schüler17 – drei Mädchen und drei Jungen – aus, die im Folgenden kurz vorgestellt
werden sollen.18 Die Informationen habe ich in einem Gespräch mit der Klassenlehrerin
erhalten und durch eigene Beobachtungen, die ich während der Aktionswoche zu den
Kinderrechten und den Erhebungen machen konnte, ergänzt. Diese Informationen sind
in einem Forschernotizbuch (IX 3.) festgehalten worden.19 Generell zeigte sich, dass
sich die Heterogenität der Klasse deutlich in den ausgewählten Schülern widerspiegelt.
Der Junge “Jo“20 ist 9 Jahre alt. Er ist einer der besten Schüler der Klasse und hat eine
schnelle Auffassungsgabe. Zudem ist er sehr hilfsbereit und übernimmt gerne freiwillig
Dienste. “Jo“ ist bei seinen Klassenkameraden beliebt und bisher kaum in Streitigkeiten
verwickelt gewesen. Der Schüler “Fa“ ist 9 Jahre alt. Seine schulischen Leistungen
sind im mittleren Bereich mit steigender Tendenz einzuordnen. Während meines
Unterrichts und der Erhebungsphasen ist mir aufgefallen, dass der Schüler seine
Meinung gut artikulieren kann. “Fa“ kommt gut mit seinen Mitschülern zu Recht. In
manchen Situationen hat er jedoch Probleme eine bestimmte Sachlage einzusehen. Er
besteht dann auf seinen Standpunkt und verweilt oftmals lange in einer beleidigten und
missmutigen Stimmung dem Betroffenen gegenüber. Die Lehrerin schilderte diesbezüglich eine Situation im Sportunterricht, in der sich “Fa“ ungerecht behandelt
gefühlt hat. “Pa“ ist 10 Jahre alt. Seine schulischen Leistungen sind sehr schlecht, was
darauf zurückzuführen ist, dass er Probleme hat Wissensinhalte ins Langzeitgedächtnis
zu übertragen. Außerdem hat er nur eine geringe Auffassungsgabe. Trotz des
Förderunterrichts und der Nachhilfe ist keine Besserung in Sicht. Zu Hause erhält “Pa“
keine Unterstützung, da seine Eltern nur polnisch sprechen können. Mittlerweile hat
sich eine gewisse Schulunlust bei ihm eingestellt. Das zeigt sich beispielsweise darin,
dass er seine Hausaufgaben oft nicht erledigt. Sein Sozialverhalten ist ebenfalls nur
mittelmäßig. Ich konnte beobachten, dass “Pa“ Probleme hat sich an Gruppenarbeiten
zu beteiligen. Er grenzt sich selbst aus und beschwert sich gleichzeitig, dass die anderen
Schüler ihn nicht mitmachen lassen. Außerdem kommt es des Öfteren zu Streitigkeiten
17
Im Verlauf der Arbeit werden mit der maskulinen Form beide Geschlechter bezeichnet.
Die Auswahl der Kinder wird im Verlauf dieser Forschungsarbeit noch konkreter erläutert.
19
Das Forschernotizbuch (IX.) befindet sich im Anhang und soll bei Bedarf zur Interpretation der
Ergebnisse hinzugezogen werden. Es enthält neben den Informationen der Klassenlehrerin auch
Beobachtungen und Erfahrungen, die ich während der Erhebungen und der Aktionswoche gemacht
habe sowie die Beschreibung von wichtigen Vorkommnissen. Das Forschernotizbuch ist in diesem Fall
jedoch keine weitere Forschungsmethode, sondern dient lediglich als Informationsgrundlage für den
Forscher und als weitere Informationsquelle für den Leser.
20
Die Namen der Kinder wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen mit Kürzeln versehen.
18
34
zwischen ihm und anderen Schülern, in denen er durchaus gewaltbereites Verhalten
gezeigt hat (z.B. Mitschüler kneifen).
“Cr“ ist 10 Jahre alt und eine der besten Schülerin der Klasse. Laut Aussage der
Klassenlehrerin ist “Cr“ sozial sehr engagiert. Sie ist sehr hilfsbereit und hat ein Gespür
dafür, wenn jemand Hilfe braucht. Bei ihren Mitschülern ist sie beliebt. Ich habe den
Eindruck erhalten, dass “Cr“ eine ruhige Schülerin ist, die manchmal ihr Potenzial
durch ihr zurückhaltendes Verhalten nicht ganz zeigen kann. Die Schülerin “Ju“ ist 10
Jahre alt und wirkt in ihrem Auftreten und Erscheinungsbild wie ein Junge. Das zeigt
sich auch in ihrem Verhalten. An Aufgaben, wie beispielsweise singen, klatschen und
turnen, beteiligt sie sich eher weniger, sie spielt Fußball sowie Handball und ihr bester
Freund ist ihr Sitznachbar “Jas“. Ihre schulischen Leistungen sind gut und ihr
Sozialverhalten schätzt die Klassenlehrerin als sehr gut ein. In meinem Unterricht war
“Ju“ sehr zurückhaltend, jedoch beteiligte sie sich gut an der Gruppenarbeit. Während
der Erhebungen hat sie kaum etwas gesagt und sie konnte kaum auf meine Fragen
antworten. Die dritte Schülerin ist 10 Jahre alt und heißt “Ch“. Ihre schulischen
Leistungen sind im mittleren bis unteren Bereich einzuordnen. Jedoch ist sie sehr
bemüht. Genauso wie “Pa“ sind ihre Probleme zum Teil auf das Elternhaus
zurückzuführen, denn ihre Eltern sprechen hauptsächlich polnisch. Außerdem fällt es ihr
schwer logische Zusammenhänge zu begreifen. Ihr Sozialverhalten ist laut der
Klassenlehrerin in Ordnung. In manchen Situationen neigt die Schülerin dazu zickig
gegenüber anderen Schülern zu werden. Es soll auch schon dazu gekommen sein, dass
“Ch“ andere Schüler ausgegrenzt hat. Bei ihren Mitschülern ist sie jedoch beliebt.
4.3 Auswahl der Forschungsmethoden
Die Auswahl der Forschungsmethoden muss im Hinblick auf die Forschungsfrage,
Umsetzungsmöglichkeiten sowie Ziele erfolgen. Die ausgewählten Erhebungsinstrumente haben weit reichende Konsequenzen auf die erhobenen Daten, deren
Interpretation
und
somit
auch
Auswirkungen
auf
die
Beantwortung
der
Forschungsfrage. Wie effektiv die ausgewählten Methoden letztendlich sind, zeigt erst
die Erhebung und Auswertung der Ergebnisse. Aus diesem Grund wählte ich meine
Forschungsmethoden nach einer ausführlichen Sichtung der Literatur aus. In der
empirischen Forschung wird unterschieden zwischen quantitativen und qualitativen
Erhebungsmethoden.
Quantitative
Methoden
(z.B.
Fragebögen,
standardisierte
Beobachtungen) ermöglichen eine hohe Standardisierung der Ergebnisse. Aufgrund
dessen kann eine größere Personenanzahl und somit eine große Menge an Daten erfasst
35
werden. Die Interpretation der quantitativen Ergebnisse ist aufgrund der graphischen
Darstellung in Diagrammen einfacher als bei qualitativen Ergebnissen. Nach der
Auswertung der Ergebnisse sollen, wenn möglich, generalisierende Aussagen abgeleitet
werden. (vgl. Fichten/ Wagner u.a. 2005, 4ff.) Im Gegensatz dazu hat die Qualitative
Forschung den Anspruch, „Lebenswelten «von innen heraus» aus der Sicht der
handelnden Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis
sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen.“ (Flick; Kardorff; Steinke 2007, 14). Auf eine
Standardisierung wird verzichtet, weil sehr detaillierte und umfangreiche Ergebnisse
über Einzelfälle erhoben werden sollen. Aus diesem Grund sollte die Anzahl der
Probanden auf einen kleinen Kreis begrenzt sein. Zu den qualitativen Methoden zählen
u.a. freie Texte, Bilder und qualitative Interviews. Aufgrund der offenen und sehr
individuellen Ergebnisse ist die Auswertung sowie Interpretation schwierig und
aufwendig. (vgl. Fichten/ Wagner u.a. 2005, 4ff.) Quantitative und qualitative
Methoden lassen sich in einer Forschungsfrage miteinander kombinieren. Diese
Kombination wird als (Methoden-)Triangulation bezeichnet. Der Vorteil daran ist, dass
der Ergebnisanalyse mehr Breite und Tiefe gegeben wird, indem unterschiedliche
Perspektiven auf denselben Forschungsgegenstand ermöglicht werden. Außerdem wird
dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Fehlinterpretation der Ergebnisse verringert sowie
die Validität der Erhebung erhöht. Es wird unterschieden zwischen verschiedenen Arten
von Triangulation, die im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht weiter erläutert werden
sollen. (vgl. Schründer-Lenzen 2003, 107f.)
Für die Auswahlerhebung meiner Untersuchungsteilnehmer entschied ich mich für den
geschlossenen Fragebogen als quantitative Methode, um möglichst schnell auswertbare
und aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Im Anschluss daran wählte ich im Hinblick
auf meine Forschungsfrage und die Untersuchungsteilnehmer qualitative Erhebungsmethoden aus. Nachdem ich alle Möglichkeiten dahingehend geprüft hatte (z.B.
Strukturlegeverfahren, Gruppendiskussion), fiel meine Entscheidung auf die beiden
Erhebungsinstrumente offener Fragebogen und Interview, die sich im Sinne einer
Methodentriangulation gegenseitig ergänzen sollen. Der Fragebogen soll erste
aufschlussreiche Informationen liefern. In diesen Antworten steckt zumeist weiteres
Potenzial für vertiefende und ergänzende Fragen, da es Grundschülern leichter fällt sich
auf der verbalen Ebene zu äußern. Des Weiteren können im Interview Unklarheiten
direkt mit den Probanden geklärt werden. Aus diesem Grund bietet sich ein Interview
als ergänzende und vertiefende Erhebungsmethode an.
36
4.4 Entwicklung der Forschungsmethoden
4.4.1 Der Fragebogen
Der Fragebogen als Erhebungsmethode21 eignet sich besonders gut, um Personen
bezüglich ihrer Einstellungen, Meinungen und Sichtweisen zu einem bestimmten
Thema zu befragen. Die Ergebnisse, die sich aus einer solchen Befragung ergeben, sind
abhängig von der Gestaltung des Fragebogens und den Formulierungen der Fragen. Bei
der Entwicklung des Fragebogens ist es besonders wichtig, dass die Fragen an die
Zielgruppe der Erhebung angepasst werden. Auch Kinder sind schon in der Lage einen
Fragebogen auszufüllen, wenn dieser kindgerecht gestaltet ist. Das bedeutet, der
Fragebogen sollte übersichtlich, nicht zu lang und an der Lebenswelt der Kinder
orientiert sein. Die Forschung unterscheidet zwischen geschlossenen und offenen
Fragebögen. In geschlossenen Fragebögen (quantitative Methode) werden die
Antwortmöglichkeiten vorgegeben (z.B. Schätzskala, mehrere Antwortmöglichkeiten,
Ja-/Nein-Antworten etc.). Durch die große Anzahl an Personen, die befragt werden
können, lassen sich in kurzer Zeit eine große Menge an Daten sammeln. Die große
Datenmenge bedeutet jedoch einen hohen Aufwand bei der Auswertung und
Interpretation. Beim Einsatz von geschlossen Fragebögen muss beachtet werden, dass
die Antwortmöglichkeiten meistens eingeschränkt sind, die Befragten die Fragen falsch
verstehen könnten oder bestimmte Fragen sozial erwünscht beantworten. Im Gegensatz
dazu sind offene Fragebögen (qualitative Methode) für eine geringe Anzahl an
Probanden konzipiert. Die offen gestellten Fragen sollen den Befragten dazu anregen
eigenständig Antworten zu formulieren und ausführlich die Fragen zu beantworten. Der
Nachteil ist, dass die Auswertung aufgrund der individuellen Antworten schwierig und
zeitintensiv ist. (vgl. Fichten/ Wagner u.a. 2005, 38f.)
In meinem Forschungsdesign ist zunächst eine Auswahlerhebung vorgesehen, die mir
eine erste Einschätzung über den moralischen Entwicklungsstand jedes Schülers der
Klasse geben soll. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse werde ich die sechs
Untersuchungsteilnehmer für die Prä-/ Post-Erhebung auswählen, da ich mich nicht auf
die teilweise subjektive Einschätzung der Klassenlehrerin stützen möchte. Als Auswahlinstrument verwende ich einen geschlossenen Fragebogen (siehe I.), in dem die Schüler
eine moralische Dilemmasituation einschätzen sollen, die ihnen aus ihrer direkten
Lebensumwelt bekannt ist (das Abschreiben in einer Klassenarbeit). Mit moralischen
Dilemmata kann der moralische Entwicklungsstand eines Menschen bestimmt werden
(siehe 2.2.1). Die vier vorgegebenen Antwortmöglichkeiten spiegeln die ersten vier
21
Die Erhebungsinstrumente befinden sich im Anhang.
37
moralischen Stufen nach Kohlberg wider, auf denen sich Kinder im Alter von 9-10
Jahren befinden können. Da die Schüler nur eine Antwort ankreuzen dürfen, kann ich
eine erste Zuordnung zu den moralischen Stufen vornehmen. Aus jeder Stufe soll dann
mit Hilfe eines Losverfahrens ein Schüler ausgewählt werden. Zusätzlich werde ich
noch jeweils einen zweiten Schüler aus der ersten und vierten Stufe auslosen, da sich
statistisch gesehen auf diesen beiden Stufen die wenigsten Kinder in diesem Alter
befinden. Somit ergeben sich aus der Auswahlerhebung sechs Probanden für meine
Interventionsstudie.
Nachdem ich die Auswahl der Untersuchungsteilnehmer getroffen habe, folgt ein
offener Fragebogen, der die emotional-soziale Entwicklung (Moral, Perspektivübernahme, Empathie) sowie den Wissensstand der Untersuchungsteilnehmer vor und
nach der Aktionswoche zu den Kinderrechten erfassen soll (siehe III.). Aus diesem
Grund werden die Kinderrechte indirekt im Fragebogen thematisiert, wobei der
Schwerpunkt auf dem Recht auf Gleichheit liegt. Der Fragebogen besteht aus zwei
geschlossenen Fragen und einer offenen Frage, die vor allem das Wissen der Schüler
erfassen sollen. Dann folgen vier offene Fragen die jeweils mit einer Dilemmasituation
eingeleitet werden. Die Dilemmata formulierte ich in Anlehnung an die Kinderrechte
und unter Beachtung des Lebensweltbezugs (z.B. Wettkampfsituation, Notengebung
etc.), damit sich die Kinder gut in die Situation hineinversetzen können. Weiterhin
kommt eine Abbildung zum Einsatz, auf der sieben Kinder zu sehen sind, die ganz
unterschiedliche Voraussetzungen haben auf den abgebildeten Baum zu klettern. Das
Bild wählte ich aus, weil ich wissen wollte, wie die Schüler die Aufgabe des Lehrers
bewerten und ob sie erkennen können, welche Kinder nicht auf den Baum klettern
können. Die Offenheit der Fragen soll den Schülern die Möglichkeit geben ihre
individuellen Sichtweisen darzulegen und diese zu begründen, ohne dass sie durch
vorgegebene Antwortmöglichkeiten gelenkt werden. Außerdem sind die Situationen
nicht eindeutig, damit die Kinder vor eine Denkleistung gestellt sind und sie auf dieser
Basis ihre Entscheidung begründen können. Bei der Gestaltung der Fragebögen habe
ich auf ein kindgerechtes Layout (ansprechende Schrift, genügend Platz zum
Antworten, Bilder als Auflockerung) geachtet. Auf ein Deckblatt mit Anweisungen
habe ich verzichtet, da ich mich persönlich bei den Kindern vorstellen werde und ihnen
dabei noch einige kurze Erläuterungen geben möchte.
Während der Entwicklungsphase stellte ich die Fragebögen meinen Kommilitonen und
meiner Lehrenden vor. Ich erhielt dabei viele gute Ratschläge und Ideen bezüglich der
Formulierungen der Fragen und Dilemmasituationen, die ich in den Fragebögen mit
38
einarbeitete. Zusätzlich holte ich mir die Meinung von einer befreundeten Grundschullehrerin ein, die mir ebenfalls hilfreiche Tipps geben konnte.
4.4.2 Das Interview
Das Interview ist eine qualitative Forschungsmethode, bei der durch verbale
Kommunikation Einstellungen, Erfahrungen, Sichtweisen und das Wissen des
Befragten zum Interviewthema erfasst werden soll. Das Interview ist in eine soziale
Situation eingebettet, weshalb es wichtig ist, dass der Interviewer eine Vertrauensbasis
schafft, auf deren Grundlage der Befragte offen sowie ehrlich antworten kann. Dadurch
wird die Gefahr verringert sozial erwünschte Antworten zu erhalten. Zudem werden
Interaktionsbarrieren abgebaut. Die Grundlage dafür ist die Einhaltung alltäglicher
Kommunikationsregeln
trotz
der
asymmetrischen
Kommunikationsform.
Der
Interviewer muss freundlich und interessiert auf den Befragten wirken und darf
keinerlei eigene Wertungen während des Interviews durchblicken lassen. Außerdem
sollten keine Suggestivfragen gestellt werden und die Fragen müssen möglichst
eindeutig sowie kurz formuliert sein. Vor dem Interview sollte der Forscher einen
Leitfaden zusammenstellen, der ihm als Orientierungshilfe dient und gleichzeitig
genügend Spielräume für die Entwicklung der eigentlichen Struktur gibt. Am Schluss
sollte der Befragte die Möglichkeit bekommen das Interview zu ergänzen und ihm als
wichtig erscheinende Punkte anzusprechen. (vgl. Fichten/ Wagner u.a. 2005, 47ff.) Die
Planung, Durchführung und Auswertung eines Interviews bedeutet einen hohen Arbeitsund Zeitaufwand. Aus diesem Grund kann nur eine geringe Anzahl an Probanden
interviewt werden. Der Vorteil ist jedoch, dass der Forscher Nachfragen in Bezug auf
eine vorangegangene Erhebung bzw. einen Inhalt im Interview stellen und somit die
Erhebung vertiefen kann. Es können gezielte und detaillierte Informationen erfasst
werden. Ebenso können Verständnisfragen beiderseits direkt geklärt werden. (vgl.
Burkard/ Eikenbusch 2000, 114).
Die Form eines Interviews ist abhängig von der Forschungsfrage und den zu
interviewenden Personen. Die einzelnen Interviewformen sollen an dieser Stelle nicht
weiter erläutert werden. Aufgrund meiner Forschungsfrage entschied ich mich dafür
qualitative Interviews mit Kindern zu führen, die auf der zuvor durchgeführten
Fragebogenerhebung aufbauen sollen. Wie schon beim Fragebogen gilt auch beim
Interview, dass die Fragen sowie die Interviewsituation dem Alter der Probanden
angepasst werden muss. Als geeignet für die Durchführung von qualitativen Kinderinterviews hat sich der Typ der teilstandardisierten bzw. leitfadengestützten Interviews
39
erwiesen, zu denen die Variante der Struktur- und Dilemmainterviews zählt. (vgl.
Heinzel 2003, 402f.) Diese „entwickelten sich als Interview-Variante in der PiagetKohlberg-Tradition und dienen insbesondere der Erfassung unterschiedlicher Stufen
moralischen Urteilens.“ (Hopf 2007, 352) Im Hinblick auf mein Forschungsvorhaben
hat es sich somit angeboten diesen Interviewtyp zu verwenden. In meinen Interviews
werde ich Schwerpunkte setzen, die ich nach einer ausführlichen Sichtung der
Ergebnisse aus der Fragebogenerhebung festlege. Für jeden Untersuchungsteilnehmer
wird jeweils ein Leitfaden zusammengestellt (siehe V.). Die Struktur und der Inhalt der
Leitfäden ähnelt sich, um die Vergleichbarkeit gewährleisten zu können. Bei Bedarf
wird auch auf spezifische Inhalte der qualitativen Fragebogenerhebung eingegangen. In
Anlehnung an den offenen Fragebogen sind die Leitfäden in Punkte untergliedert, die
jeweils mit der Antwort des Kindes aus der Fragebogenerhebung als Impuls beginnen.
Ich möchte die Kinder mit ihrer Antwort konfrontieren und sie dadurch zum lauten
Denken über ihre Antwort anregen. Beim lauten Denken werden die Probanden dazu
aufgefordert, die Gedanken, die ihnen in diesem Moment durch den Kopf gehen, laut
auszusprechen. (vgl. Fichten/ Wagner u.a. 2005, 15) Damit soll erreicht werden, dass
sie ihre eigenen Antworten noch einmal kommentieren und diese zum Beispiel
erweitern, revidieren oder bestätigen. Im Anschluss daran folgen jeweils Fragen die die
Antworten der Kinder hinterfragen und ergänzen sollen. Bei Bedarf werden
Unklarheiten durch gezieltes Nachfragen geklärt. Die Aufgabe 3 wird in der PräErhebung nicht thematisiert, da sich vor der Zusammenstellung der Leitfäden durch die
Auswertung der Fragebögen gezeigt hat, dass kein Proband sich in Bezug auf die
Kinderrechte zum Begriff Gleichheit äußern konnte. Somit bin ich davon ausgegangen,
dass diesbezüglich kein Wissen vorhanden ist. Dies ist auch zu Beginn der
Aktionswoche bestätigt worden (siehe Forschertagebuch IX 2.), bei der sich die Klasse
nicht annähernd dazu äußern konnte. Aus diesem Grund wird die Aufgabe 3 erst in der
Post-Erhebung in die Leitfäden aufgenommen. Den letzten Teil des Interviews möchte
ich dafür nutzen, um auf persönliche Ereignisse der Kinder einzugehen, da diese oftmals
aufschlussreiche Informationen zur emotional-sozialen Entwicklung geben können. In
der Prä-Erhebung frage ich nach einer Situation, in der sich das befragte Kind ungerecht
behandelt gefühlt hat. In der Post-Erhebung gehe ich auf ein Thema ein, das von einem
Jungen schon im ersten Interview angesprochen worden ist und das im Verlaufe der
Aktionswoche immer wieder zur Sprache gekommen ist. Es handelt sich dabei um die
angespannte Lage zwischen den Schülern und der Klassenlehrerin. Die Schüler fühlen
sich ungerecht behandelt von ihrer Klassenlehrerin und geben dafür mehrere Ereignisse
40
als Beispiele an, die sich während der gemeinsamen Schulzeit ergeben haben. In der
abschließenden Frage sollen die befragten Schüler noch erzählen, was sie während der
Kinderrechtewoche gelernt haben. Hier wird interessant zu sehen sein, welche Inhalte
ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind. In der Post-Erhebung soll bei Bedarf
ebenfalls auf die Prä-Erhebung Bezug genommen werden, beispielsweise wenn sich
neue Antworten seitens der Schüler ergeben. Für die Prä-Erhebung plane ich ca. 10-15
Minuten pro Interview ein. Da sich der Interviewleitfaden für die Post-Erhebung ein
wenig verlängert hat, sehe ich für diese Interviews 15-20 Minuten vor. Diese
großzügige Zeitkalkulation soll den Kindern ausreichend Zeit zum Nachdenken
ermöglichen. Um diese Zeitvorgaben jedoch nicht zu überschreiten, sind die wichtigsten
Fragen in rot und zusätzliche Fragen in blau gekennzeichnet, denn 20 Minuten sind
ohne Pause und in Anbetracht der Reflexionsleistung der Antworten im Fragebogen
sowie dem Schwierigkeitsgrad durch die Dilemmasituationen sehr lang für ein Kind.
Nachdem ich jeweils im Anschluss an meine Prä- und Post-Fragebogenerhebung meine
Interviewleitfäden entwickelt hatte, stellte ich diese meiner Lehrenden vor. Abgesehen
von kleineren Tipps bezüglich der Formulierung der Fragen hatte sie nichts an meinen
Leitfäden anzumerken. Dementsprechend überarbeitete ich die Leitfäden nur
geringfügig.
5. Darstellung der Intervention
In meiner Forschungsarbeit möchte ich herausfinden, ob es aufgrund einer Intervention
in Form einer Aktionswoche zum Thema Recht auf Gleichheit zu Fortschritten auf der
Wissensebene sowie der emotional-sozialen Ebene kommt. Damit die Ergebnisse der
Prä-/Post-Erhebung besser interpretiert werden können, soll im Folgenden zunächst
erläutert werden, wie das Thema Kinderrechte unterrichtsdidaktisch einzuordnen ist. Im
Anschluss daran werde ich kurz einige Informationen zur Klasse geben und die
wichtigsten Inhalte der Aktionswoche schildern. Abschließend folgt ein kurzes
Resümee zur Aktionswoche.
5.1 Unterrichtsdidaktische Perspektive
Das
Thema
Kinderrechte
ist
dem
sozialwissenschaftlichen
und
politischen
Sachunterricht zuzuordnen. Das soziale und politische Lernen spielt eine wichtige Rolle
im Unterricht aber auch im schulischen Alltag. Das Ziel ist die Vorbereitung der Kinder
und Jugendlichen auf ihr gesellschaftliches Leben. Dabei wird beim sozialen Lernen der
41
Schwerpunkt auf den Erwerb von Verhaltensweisen gelegt, damit sie in der Lage sind
möglichst kompetent soziale Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu halten. In diesem
Zusammenhang ist es wichtig, dass die Schüler Fähigkeiten, wie beispielsweise
Perspektivübernahme, Empathie sowie moralisches Urteilen (siehe 2.2), entwickeln.
(vgl. Herdegen 1999, 19f.) Die Grundlage des politischen Lernens sind Fragen zum
Gemeinwesen und Staat sowie zur Machtausübung auf der nationalen und
internationalen Ebene. Die Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft ist der
mündige Bürger, der sich sinnvoll an politischen Entscheidungen beteiligen kann. Die
Bürger sollen gesellschaftlich vorherrschende Werte nicht unreflektiert übernehmen,
sondern diese hinterfragen, bewerten und eigene Gedanken einbringen (Autonomie).
Außerdem sollen sie dazu befähigt werden, sich in die Gesellschaft zu integrieren und
sich aktiv an ihrer Gestaltung zu beteiligen (Partizipation). Soziales und politisches
Lernen steht in einem engen Zusammenhang zueinander. Zum einen sind soziale
Fähigkeiten die Voraussetzung für politische Teilhabe. Beispielsweise muss ein Schüler
lernen seine eigene Meinung zu vertreten und gleichzeitig sollte er auch die Meinung
anderer wahrnehmen können. Zum anderen bedingt politisches Lernen auch das soziale
Lernen, indem die Erprobung von politischen Fähigkeiten die Ausbildung bestimmter
sozialer Fähigkeiten voraussetzt, die wiederum dadurch weiterentwickelt werden
können. (vgl. von Reeken 2005, 187f.)
Soziale und politische Fähigkeiten können nur ansatzweise in der Familie vermittelt
werden, weshalb der Institution Schule hier eine wichtige Vermittlungsfunktion
zukommt. Die Aufgabe der Grundschule ist es erste grundlegende Kenntnisse zu
vermitteln, wobei an die bis dato entwickelten Fähigkeiten durch Familie und
Kindergarten angeknüpft werden muss. Die zum Teil komplexen Zusammenhänge
sollten den Schülern möglichst praxisnah vermittelt (z.B. in spielerischen Situationen)
und im schulischen Alltag erprobt werden (z.B. Schülerparlament), denn oftmals
können sich Kinder durch eigene Erfahrungen am besten ein Verständnis der Welt
erarbeiten. Aus diesem Grund muss der Lehrer nicht nur im Unterricht, sondern auch im
schulischen Alltag möglichst eine große Anzahl an vielfältigen sozialen Situationen
schaffen bzw. alltägliche Situationen nutzen, in denen die Schüler Gelegenheit zur
Problembearbeitung, aktiven Beteiligung und Perspektivübernahme bekommen.
Für die Unterrichtsplanung kann sich der Lehrer am Rahmenplan für das Fach
Sachunterricht im Land Bremen orientieren. Die Thematisierung der Kinderrechte ist in
den Jahrgängen 3 und 4 im Lernfeld Gesellschaft und Individuum vorgesehen. Die
Schüler sollen die Menschenrechte und Kinderrechte als weltweit geltende
42
Vereinbarungen kennen lernen und im alltäglichen umsetzen. Des Weiteren sollen sie
die
Möglichkeit
bekommen
demokratische
Strukturen
(z.B.
Klassensprecher,
Schülerparlament etc.) innerhalb der Schule erproben zu können. Wer sich mit den
Kinderrechten jedoch beschäftigt und sich mit den Vorgaben des Rahmenplans
auskennt, stellt schnell fest, dass die Kinderrechte in allen Jahrgangsstufen und in fast
allen Themen direkt sowie indirekt manifestiert sind. Zum Beispiel soll im Lernfeld
Entwicklung und Persönlichkeit die Wahrnehmung für die eigene Person sowie für
andere geschult werden. In diesem Zusammenhang soll auch das Thema Behinderungen
thematisiert werden. In das Lernfeld Region, Raum und Mobilität kann das Recht auf
freie Meinungsäußerung und Beteiligung integriert werden. So können sich die Schüler
beispielsweise an der Gestaltung ihrer Schule und ihres Stadtteils in Bezug auf
Freizeitgelegenheiten, Verkehrsplanung, soziales Leben etc. beteiligen. (vgl. Senator für
Bildung und Wissenschaft 2007, 7ff.) Weitere Hinweise auf die Umsetzung der
Kinderrechte im Unterricht sowie im schulischen Alltag geben die Standards der
Menschenrechtsbildung in Schulen und die Empfehlungen der KMK zur Förderung der
Menschenrechtserziehung in der Schule. Zum Beispiel wird in den Standards für die
Menschenrechtsbildung darauf hingewiesen, dass schon in der Grundschule die
Thematisierung der Menschenrechte darauf ausgerichtet sein sollte, „ein Verständnis
über die unveräußerliche Würde des Menschen zu vermitteln sowie die positiven
Eigenschaften des Individuums zu fördern, wie die persönliche Anerkennung,
Selbstrespekt, Selbstvertrauen, Verantwortung und Offenheit gegenüber der Welt.“
(Arbeitsgruppe Menschenrechtsbildung im Forum Menschenrechte 2005, 20) Auch die
KMK betont, dass die Menschenrechtserziehung ein Kernbereich des Bildungs- und
Erziehungsauftrages von Schule ist. Angesichts der vielen Hinweise sowie der
vielfältigen Umsetzungsmöglichkeiten und insbesondere im Hinblick auf ihre Wichtigkeit ist es kaum zu glauben, dass die Menschenrechtsbildung an vielen deutschen
Schulen nur eine nebensächliche Rolle spielt. Diese Tatsache ist besonders kritisch zu
hinterfragen, da das Recht auf Bildung eines der 10 wichtigsten Kinderrechte ist.
5.2 Aktionswoche zu den Kinderrechten - Recht auf Gleichheit5.2.1 Ausgangslage der Klasse
Die Schülerschaft an der Bremerhavener Grundschule XXX ist sehr heterogen, da die
Schule aufgrund ihrer konfessionellen Ausrichtung ein großes Einzugsgebiet hat, in
dem eine sehr unterschiedliche Wohnqualität vorhanden ist. Zum einen ist dieser
Stadtteil geprägt von vielen Hochhäusern und Wohnblöcken, in denen viele Menschen
43
mit unterschiedlichen Nationalitäten leben. Die zum Teil schwierige finanzielle Lage
vieler Familien und das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Kulturen haben dazu
geführt, dass sich hier ein sozialer Brennpunkt entwickelt hat. Besonders hier zeigt sich
die hohe Quote an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Zum anderen besuchen
Schüler anderer Stadtteile die Schule, da sich die Eltern eine auf den katholischen
Glauben ausgerichtete Erziehung und Bildung wünschen. Diese Stadtteile weisen viele
Ein- und Mehrfamilienhäuser auf, die den Mittelstand repräsentieren. Die Schülerschaft
kommt somit aus allen sozialen Schichten, wobei anzumerken ist, dass hauptsächlich
deutsche und polnische (Migranten-)Kinder die Schule besuchen. Aufgrund der
konfessionellen Ausrichtung engagiert sich die Schule stark im sozialen Bereich.
Beispielsweise werden zur Fastenzeit Sammelaktionen gestartet, die an benachteiligte
Familien in Bremerhaven oder ins Ausland gehen. In diesem Zusammenhang werden
immer wieder diesbezügliche Themen im Unterricht angesprochen. Des Weiteren gibt
es ein Streitschlichterprogramm an der Schule.
Meine Erhebung führte ich in einer vierten Klasse durch, die von 25 Kindern (13
Mädchen und 12 Jungen) im Alter von 9 bis 10 Jahren besucht wird. Die Klasse setzt
sich aus einigen polnischen Migrantenkindern, einem deutsch-türkischen und einem
portugiesischen Mädchen, einem deutsch-philippinischen Jungen sowie deutschen
Kindern zusammen. Das Leistungsniveau der Kinder ist nach Einschätzung der
Klassenlehrerin hoch aber auch sehr heterogen. Besonders einige Migrantenkinder
haben Probleme in der Schule, weil ihre Eltern kaum Deutsch sprechen und ihnen in
schulischen Angelegenheiten nicht helfen können. Das Sozialverhalten der Klasse wird
von der Klassenlehrerin als gut eingeschätzt. Die Klasse hat sich im Verlauf der vier
Schuljahre öfter mit sozialwissenschaftlichen Themen beschäftigt, jedoch sind die
Kinderrechte bisher noch nicht direkt angesprochen worden. Aus diesem Grund kann
davon ausgegangen werden, dass die wenigstens Schüler etwas über die Kinderrechte
wissen. (siehe Forschernotizbuch IX 3.)
5.2.2 Planung der Aktionswoche
Die Aktionswoche zu den Kinderrechten findet im Zeitraum von einer Schulwoche mit
einem Umfang von 23 Schulstunden statt. Für die Umsetzung innerhalb einer
Aktionswoche habe ich mich aufgrund des zeitlich begrenzten Zeitrahmens entschieden.
Eine Projektmethode, die einen Konzeptwechsel laut Einsiedler begünstigen würde, hat
sich innerhalb dieser kurzen Zeit nicht umsetzen lassen. Die Planung ist in Abstimmung
mit der Klassenlehrerin entstanden, da ich mir zuvor bei zwei Unterrichtsbesuchen
44
lediglich einen sehr oberflächlichen Eindruck von der Klasse verschaffen konnte. Leider
konnte ich die Schüler nicht in die Planung mit einbeziehen. Jedoch habe ich darauf
geachtet einen handlungsorientierten Unterricht zu planen, der methodisch vielfältig ist
und einen Bezug zur Lebenswelt der Kinder herstellt. Die Klassenlehrerin konnte mir
hilfreiche Tipps für die methodische Umsetzung sowie den Schwierigkeitsgrad der
Aufgaben geben. Im Folgenden sollen die wichtigsten Inhalte der Aktionswoche
beschrieben werden. Ein kurzer Verlaufsplan befindet sich ebenfalls im Anhang
(siehe X.).
Am ersten Tag der Aktionswoche steht die Kinderrechtskonvention im Vordergrund.
Die Schüler sollen die wichtigsten Informationen zur Kinderrechtskonvention erhalten,
um eine Grundlage für die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Recht auf
Gleichheit zu haben. Beispielsweise werden der Rechtsbegriff, die Entstehung und der
Aufbau des Übereinkommens erklärt. Darüber hinaus sollen sich die Schüler in einer
Übung mit den 10 wichtigsten Kinderrechten beschäftigen, indem sie die passenden
Artikel zuordnen. Auf dieser Wissensgrundlage setze ich den Schwerpunkt auf das
Recht auf Gleichheit, da sich die Kinder intensiv mit einem Recht auseinandersetzen
sollen. Die Vorstellungen der Kinder zum Begriff Gleichheit werden an die Tafel
geklebt und diskutiert. Das Tafelbild soll am Ende der Aktionswoche noch einmal
betrachtet und ergänzt werden. Im Anschluss daran malt sich jeder Schüler selbst und
schreibt dazu 1-2 Stärken von sich auf. Anhand der Bilder soll im Stuhlkreis erarbeitet
werden, was die Schüler gemeinsam haben und was sie voneinander unterscheidet.
Außerdem soll über die Bedeutung des Rechts auf Gleichheit gesprochen werden.
Am Dienstag und Mittwoch werden die Gruppenarbeiten, die unterschiedliche
Schwerpunkte haben, durchgeführt (Kinder aus anderen Ländern, Kinder mit einer
Behinderung und Kinder, die anders sind als ich). Alle Schwerpunkte beschäftigen sich
indirekt mit der Frage, ob wir alle gleich sind und deshalb gleich behandelt werden
müssen oder ob das Recht auf Gleichheit noch eine weitere Aussage vermitteln möchte.
Anhand von Geschichten und Übungen sollen sich die Gruppen mit dem Gleichheitsbegriff auseinandersetzen. Die Aufgaben der Gruppen weisen eine ähnliche Struktur
auf, damit kein Neid zwischen den Gruppen aufkommt. Die Gruppen sollen möglichst
selbständig arbeiten, weshalb ich mich im Hintergrund halten werde. Die Aufgaben sind
teilweise offen gestellt, um die Phantasie und Kreativität der Kinder anzuregen. Zum
Einstieg beschäftigt sich jede Gruppe mit einer Geschichte, die zur Perspektivübernahme sowie Empathie anregen soll und bei der sie moralisch urteilen müssen. Zur
Bearbeitung der Geschichte erhalten sie Aufgaben und Übungen (z.B. Rollenspiel, Bild
45
malen, Text schreiben, Außenseiter-Übung etc.). Im zweiten Teil der Gruppenarbeit soll
ein spezifischer Bereich des Schwerpunktes thematisiert werden (Migration,
Behinderung, Mobbing). Als Grundlage dienen kurze Informationstexte, zu denen
Fragen und Übungen bearbeitet werden sollen. Der letzte Teil der Gruppenarbeit sieht
für zwei Gruppen eine kleine Exkursion vor und die dritte Gruppe soll eine Umfrage
zum Schulleben durchführen. Bei den Exkursionen sollen die Schüler noch einmal
Gelegenheit bekommen sich in die Situation von ausländischen oder behinderten
Kindern hineinzuversetzen. Die Umfragegruppe soll zusätzlich überlegen, welche
Regeln sich positiv auf das Schulleben auswirken und diese auf einem Plakat festhalten,
das den anderen Klassen präsentiert und von allen unterschrieben werden soll. Für die
Umsetzung müssen sie noch einmal die vorangegangenen Aufgaben und Übungen
reflektieren und über ihr eigenes Schulleben nachdenken. Während der gesamten
Gruppenarbeit sollen die Schüler sich darüber Gedanken machen, was sie den anderen
Gruppen am letzten Tag der Aktionswoche präsentieren wollen. Erste Vorbereitungen
dafür können schon während der Gruppenarbeit getroffen werden. Des Weiteren stehen
ihnen am Donnerstag drei Schulstunden zur Verfügung.
Am Freitag können in der ersten Stunde letzte Vorbereitungen getroffen werden. In der
zweiten und dritten Stunde werden die Ergebnisse präsentiert. Die vierte Stunde soll
noch einmal dazu genutzt werden das Tafelbild mit den Vorstellungen der Kinder zum
Begriff Gleichheit zu betrachten. Zunächst soll geklärt werden, ob das Tafelbild ergänzt
werden muss. Im Anschluss daran möchte ich mit den Schülern über den zweiten
Artikel der Kinderrechtskonvention diskutieren. Dabei soll ein Bezug zum Tafelbild
und zu den Gruppenarbeiten hergestellt werden. Die fünfte Stunde möchte ich für eine
Feedbackrunde und für die Ausstellung der Ergebnisse im Flur der Schule nutzen, damit
sich Schüler, Eltern und Lehrer über die Aktionswoche informieren können.
Das Ziel der Aktionswoche ist, dass die Schüler erkennen, dass uns allen die gleichen
Rechte aufgrund des Menschseins zu stehen. Gleichzeitig sollen sie die Unterschiede
zwischen den Menschen erkennen, weshalb nicht dieselben Voraussetzungen für die
Wahrnehmung der Rechte bestehen. Aus diesem Grund können wir nicht gleich
behandelt werden, sondern müssen eine individuelle Unterstützung bekommen, wenn
allen die gleichen Rechte zustehen sollen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass es für
einige Schüler schwierig sein wird, diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen.
Trotzdem möchte ich versuchen bei ihnen ein erstes Verständnis für den Gleichheitsbegriff zu entwickeln. Dafür setze ich viele konkrete Beispiele ein, die die Schüler zur
Perspektivübernahme, Empathie sowie zu moralischen Entscheidungen anregen, und es
46
ihnen erleichtern soll sich mit dem Begriff der Gleichberechtigung auseinanderzusetzen.
Gleichzeitig sollen sie diese Fähigkeiten weiterentwickeln. Weitere Lernziele sind die
Fähigkeit und Bereitschaft zur Kommunikation, zum Kontakt mit anderen und zur
Kooperation, die im Zusammenhang mit den Aufgaben aber auch durch die Gruppenarbeit geschult werden sollen. Außerdem soll eine positive Einstellung zu Neuem sowie
eine Haltung des Respekts und der Toleranz gegenüber Ungewohntem und Fremdem
angebahnt werden. Diese genannten Lernziele sind wichtige Inhalte des sozialen und
politischen Lernens.
5.2.3 Kurzes Resümee zum Verlauf der Aktionswoche
Die Durchführung der Aktionswoche22 verlief abgesehen von kleineren Problemen sehr
positiv. Die meiste Zeit führte ich den Unterricht eigenständig durch. Bei den
Exkursionen erhielt ich die Unterstützung der Klassenlehrerin Frau K. und einer
Praktikantin, damit diese parallel stattfinden konnten. Insgesamt wurde die Zeitplanung
trotz ein paar kleinerer Verschiebungen eingehalten. An der Aktionswoche beteiligten
sich alle Schüler gewissenhaft. Die Gruppenarbeiten verliefen ruhig und es kam nur zu
wenigen Streitereien, die meistens ohne meine Hilfe beigelegt werden konnten. Mir
gegenüber begegneten alle Schüler mit Respekt. Zwar war der Montag sehr unruhig,
weil besonders die Jungen die Grenzen austesteten und es mir noch etwas schwer fiel
bei Unruhe durchzugreifen, da ich die Schüler noch nicht kannte. Die folgenden Tage
verliefen jedoch deutlich ruhiger, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass
die Kinder mich besser kennen gelernt hatten und die handlungsorientierte
Gruppenarbeit ihren Arbeitsgewohnheiten entgegenkam. Die Kinder arbeiteten sehr
selbständig und kreativ. Beispielsweise entwickelte eine Gruppe aus ihrer Geschichte
ein Rollenspiel mit einem selbst geschriebenen Ende, das sie am letzten Tag den
anderen Schülern präsentierten. Die Gruppe erfand sogar noch weitere Personen, damit
alle Gruppenmitgliedern bei dem Rollenspiel mitspielen konnten. Eine weitere Gruppe
hatte Probleme bei der Umfrage zum Schulleben, da sich zwei Lehrer von der Gruppe
gestört fühlten. Dieses Problem konnte die Gruppe aber eigenständig lösen, indem sie
einen Zeitpunkt für die Umfrage mit den Lehrern ausmachten. Während der
Aktionswoche hatten die Schüler ein großes Bedürfnis über die schwierige Situation mit
der Klassenlehrerein zu diskutieren. Die meisten Kinder fühlen sich gegenüber anderen
Schülern und der Parallelklasse benachteiligt. Außerdem gaben sie an, dass Frau K.
Lieblingsschüler hat und sehr streng ist. Für mich war die Situation sehr schwierig, weil
22
Detailliertere Informationen zum Verlauf der Aktionswoche befinden sich im Forschernotizbuch (IX.).
47
ich zum Teil nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte. Ich versuchte die Diskussion
mit in die Thematisierung des Gleichheitsbegriffes einzubinden, da sich diesbezüglich
eine Verknüpfung an die Lebenswelt der Kinder anbot. Die Präsentationen am Ende der
Aktionswoche verliefen ein wenig unruhig. Ich vermute, dass sich die Kinder schon auf
das Wochenende freuten und die Präsentationen nicht so ernst nahmen. Vielleicht hätte
ich den Schülern auch mehr Vorgaben machen sollen, denn ich hatte ihnen freie Hand
bei der Gestaltung der Präsentationen gelassen. Auch die Abschlussdiskussion verlief
ein wenig zäh. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass bei einigen Kindern ein
Kompetenz- und Wissenszuwachs stattgefunden hat. Dementsprechend gespannt bin ich
auf die Ergebnisse der Post-Erhebung. Von den Schülern und der Klassenlehrerin habe
ich ein positives Feedback erhalten. An dieser Stelle richtet sich mein Dank an die
Schule und die Klassenlehrerin, die mir die Durchführung dieser Forschungsarbeit
ermöglicht haben.
6. Durchführung der Untersuchung
Die Art, wie eine Erhebung durchgeführt wird, kann Auswirkungen auf die Ergebnisse
haben. Außerdem nehmen der Ort, die Umsetzung des Forschers sowie das Verhältnis
zwischen Forscher und Proband Einfluss auf die Ergebnisse. Besonders wichtig ist eine
vertrauensvolle Basis, damit die Befragten möglichst offen, aussagekräftig und ehrlich
antworten. Ebenso muss für die Probanden ein vorbereitetes und reflektiertes Konzept
sichtbar sein, dass die Professionalität des Forschers erkennen lässt.
Im Folgenden möchte ich die Durchführungen meiner Erhebungen beschreiben und
meine Beobachtungen schildern. Am Ende werde ich ein kurzes Fazit ziehen, ob mein
Forschungsdesign bis zu diesem Zeitpunkt zu verwertbaren Ergebnissen geführt hat.
6.1 Durchführung der Fragebögen
Die Auswahlerhebung wurde an einem Schulvormittag (06.06.2008) mit der gesamten
Klasse von mir durchgeführt. Ich hatte mich im Vorfeld den Kindern bereits vorgestellt
und gab aus diesem Grund nur noch kurze Erläuterungen, wie z.B. dass nur eine
Antwort angekreuzt werden darf. Damit die Schüler nicht voneinander abgucken
konnten, schickte ich die Hälfte mit der Klassenlehrerin in den Nebenraum, sodass jedes
Kind an einem einzelnen Tisch sitzen konnte. Während des Ausfüllens kam es zu
keinen Vorkommnissen und es wurden auch keine Fragen seitens der Schüler gestellt.
48
Die Erhebung des offenen Fragebogens führte ich mit den sechs Untersuchungsteilnehmern gemeinsam in einem Nebenraum durch, damit sie sich jeweils alleine an
einen Tisch setzen und die Fragen ungestört beantworten konnten. Als erstes erklärte
ich den sechs Schülern, dass ich ihre Hilfe für eine wichtige Hausarbeit benötigen
würde. Dadurch wollte ich die Kinder motivieren, damit sie einen Sinn im Ausfüllen
des Fragebogens sehen und gleichzeitig erkennen, dass ihre Antworten für mich wichtig
sind und dass ich in einigen Tagen wieder kommen würde, um mit ihnen darüber
Interviews zu führen. Damit die Kinder sich nicht in eine Testsituation versetzt fühlten,
betonte ich, dass es keine Noten geben würde, dass ich gerne ihre Meinung wissen
möchte und dass nur ich die Fragebögen lesen werde. Nachdem ich meine
Erläuterungen beendet hatte, fragte ich die Schüler, ob sie bereit wären mir bei meiner
Forschung zu helfen. Alle waren bereit sich an den Erhebungen zu beteiligen. Die
Seiten des Fragebogens wurden seitenweise besprochen und direkt ausgefüllt. Mit
diesem Vorgehen wollte ich Unklarheiten sofort klären und durch die kleinen Pausen
sollte die Konzentration der Kinder besser aufrechterhalten werden. Außerdem sollte für
sie nicht der Eindruck einer Testsituation entstehen. Die Aufgabe auf der zweiten Seite
enthielt drei Fragen, die sich sehr ähnlich waren, weshalb ich jede Fragen mit den
Kindern besprach und diese direkt im Anschluss ausfüllen ließ. Am Ende gab ich ihnen
noch einmal Zeit sich die Antworten durchzulesen und bei Bedarf zu ergänzen. Dieses
Angebot nahmen auch alle Kinder wahr. Während des Ausfüllens herrschte eine ruhige
Arbeitsatmosphäre, in der alle sechs Untersuchungsteilnehmer konzentriert die Fragebögen ausfüllten. Insgesamt gab es zwei Nachfragen seitens der Schüler. Fünf Kinder
kannten die Kinderrechte nicht. Damit ich nicht zu viel vorweg nahm, gab ich die Frage
an “Fa“ weiter, der schon einmal etwas von den Kinderrechten gehört hatte und diese
anhand des Beispiels «keine Gewalt gegen Kinder» kurz erklärte. Eine zweite Frage
betraf den Begriff Privatsphäre, den eine Schülerin nicht kannte. Da ich mir nicht sicher
war, ob den anderen dieser Begriff bekannt war, erklärte ich allen dessen Bedeutung.
Die Prä-Erhebung führte ich am 09.06.2008 durch. Im Anschluss an die Unterrichtseinheit fand am 24.06.2008 die Post-Erhebung statt. Beide Durchführungen verliefen
identisch, damit eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse gegeben ist. Lediglich der
Zeitfaktor unterschied sich. Da bei der ersten Erhebung noch ein paar Fragen geklärt
werden mussten und der Inhalt des Fragebogens noch unbekannt war, dauerte die PräErhebung 40 Minuten und die Post-Erhebung nur 30 Minuten. Zu Beginn der zweiten
Erhebung ergänzte ich meine Erläuterungen mit dem kurzen Hinweis, dass ich wissen
49
möchte, ob sie die Fragen nach der KinderrechteWoche anders beantworten würden.
Bei der Post-Erhebung gab es keinen weiteren Klärungsbedarf.
6.2 Durchführung der Interviews
Die Interviews führte ich einige Tage nach der Fragebogenerhebung in einem ruhigen
Nebenraum durch, der den Kindern als Spielraum zur Verfügung steht und somit als
angstfreier Raum anzusehen ist. Ich bereitete den Raum vor und versuchte eine
angenehme und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, damit die Kinder während des
Interviews offen antworten konnten. Ich rief die Kinder einzeln zu mir in den
Nebenraum und fragte sie, ob sie weiterhin bereit wären mich bei meiner Hausarbeit zu
unterstützen. Auch an den Interviews wollten sich alle sechs Schüler beteiligen. Zu
Beginn erklärte ich ihnen, wie schon bei der Fragebogenerhebung, dass sie ihre
Meinung sagen sollten und es deshalb auch keine falschen Antworten geben würde.
Außerdem betonte ich, dass es keine Noten geben und nur ich die Aufnahme hören
würde. Damit wollte ich erreichen, dass sie sich nicht in eine Prüfungssituation versetzt
fühlen und unter Druck geraten bzw. erwünscht antworten. Außerdem fragte ich die
Kinder, ob sie einverstanden damit wären, wenn ich das Interview aufnehme würde.
Die Interviews verliefen aufgrund der annähernd gleichen Interviewleitfäden sehr
ähnlich. Da jedes Kind natürlich individuell antwortet und ich zum Teil auf diese
Antworten eingegangen bin, kam es teilweise zu Abweichungen, die jedoch für ein
Interview ganz normal sind. An dieser Stelle möchte ich nicht weiter auf die
Abweichungen eingehen, da diese den transkribierten Interviews im Anhang zu
entnehmen sind. Stattdessen möchte ich kurz meine Beobachtungen zu den einzelnen
Kindern schildern, die ich während der Interviews machen konnte (siehe
Forschernotizbuch IX 1.). Vorweg soll schon einmal erwähnt werden, dass alle sechs
Kinder in den Prä-Interviews ruhiger und zurückhaltender waren. Ich hatte den
Eindruck, dass die ungewohnte Situation und ich selbst als noch relativ unbekannte
Person auf die Kinder befremdend wirkten. In der Post-Erhebung waren, abgesehen von
der Schülerin “Ju“, alle an der Erhebung teilnehmenden Schüler deutlich aufgeschlossener. Ich vermute, dass die Kinder mich durch den Unterricht in der
Aktionswoche besser kennen gelernt und dadurch Vertrauen zu mir gefasst hatten.
Der Schüler “Jo“ wirkte in beiden Interviews zurückhaltend. Seine Stimme klang leise
und seine Antworten waren kurz, jedoch auf den ersten Blick teilweise sehr
aussagekräftig. Im Unterricht wirkte er ein wenig aufgeschlossener und beteiligte sich
gut. “Fa“ war im Gegensatz zu “Jo“ in beiden Interviews aufgeschlossen. Seine
50
Antworten waren sehr deutlich und wirkten auf mich gut durchdacht, wobei
anzumerken ist, dass er wenig Zeit zum Überlegen benötigte. Er hatte im Vergleich zu
den anderen mit der Interview-Situation die wenigsten Probleme. Nach meinen
Beobachtungen zu urteilen, hat sich das Verhalten des Schülers “Pa“ am stärksten
zwischen den beiden Interviews geändert. In der Prä-Erhebung wirkte er auf mich
gelangweilt. Seine Antworten waren kurz und machten zum Teil einen unüberlegten
Eindruck. Auch während der Aktionswoche zeigte er manchmal ein desinteressiertes
Verhalten. Hingegen war er in der Post-Erhebung ein wenig aufgeschlossener und
interessierter. “Pa“ antwortete meiner Meinung nach überlegter, aber weiterhin relativ
kurz. Seine Antworten waren lediglich ausführlicher im letzten Teil der Interviews, wo
er eine persönlich erlebte Situation schildern durfte. Ich hatte den Eindruck, dass ihn die
Situation sehr beschäftigte und er froh war mit mir darüber zu reden.
Die Schülerin “Cr“ wirkte zurückhaltend und ruhig. Diesen Eindruck vermittelte sie
mir auch in der Kinderrechtewoche, weshalb ich davon ausgehe, dass sie eher eine
introvertierte Person ist. Während des Prä-Interviews spielte “Cr“ mit ihren Fingern,
woraus ich schließe, dass sie ein wenig nervös war. Ihre Antworten waren aber deutlich
und wirkten meistens durchdacht. Im Gegensatz zu “Cr“ war die Schülerin “Ju“ in
beiden Interviews sehr unsicher und nervös. Dieses Verhalten äußerte sich darin, dass
sie ihre Lippe knetete, mit den Händen spielte, oft auf den Tisch schaute und sehr leise
antwortete. Außerdem benötigte sie viele, zum Teil lange Denkpausen auf denen kurze
bzw. gar keine Antworten folgten. Am Ende des Prä-Interviews konnte sie keine eigene
Situation schildern. Während der Aktionswoche war sie ebenfalls zurückhaltend zu mir.
Meine Beobachtungen während der Gruppenarbeitsphasen zeigten jedoch, dass sie in
ihrer gewohnten Umgebung eine aufgeschlossene und teilnehmende Rolle einnimmt. Im
Post-Interview wirkte “Ju“ hingegen noch ein wenig verschlossener. Die Denkpausen
waren länger und oftmals wusste sie keine Antwort. Die Klassenlehrerin erklärte mir in
einem Gespräch, dass “Ju“ bei fremden Personen sehr skeptisch ist und eine
zurückgezogene Position einnimmt. Die Schülerin “Ch“ war in beiden Interviews
ruhig, aber im Vergleich zu den anderen beiden Schülerinnen aufgeschlossener. Ihre
Sprache war trotz des polnischen Akzents gut zu verstehen. “Ch“ machte auf mich einen
interessierten Eindruck.
6.3 Kurzes Fazit zum Forschungsdesign
Die Ergebnisse der Fragebogenerhebung waren auf den ersten Blick gut, wobei ich vor
der Durchführung davon ausgegangen war, dass die sechs Untersuchungsteilnehmer die
51
Fragen ausführlicher beantworten würden. Ich vermute, dass die kurzen Antworten auf
die ungewohnte Situation zurückzuführen sind, die eine gewisse Unsicherheit hervorgerufen hat. Trotzdem waren die Ergebnisse der Fragebögen ergiebig, da sie eine gute
Grundlage für die darauf folgenden Interviews waren, in denen ich Unklarheiten klären,
die Kinder zu weiteren Denkprozessen über ihre Antworten anregen und einige Aspekte
noch vertiefen konnte. Bei der Durchführung der Fragebögen gab es keine nennenswerten Probleme. Das abschnittsweise Vorgehen mit kleineren Pausen bewährte sich,
denn es gab kaum Unklarheiten und die Kinder arbeiteten die 30-40 Minuten
konzentriert durch. Bei der Geschichte in Aufgabe 6 würde ich für die nächste
Durchführung eindeutiger erklären, wie sich die Behinderung des Jungen äußert. Einige
Kinder dachten, die Behinderung wäre lediglich eine Verletzung. Dadurch waren sie bei
der Beantwortung der Fragen von einer falschen Sachlage ausgegangen, die sich jedoch
im Verlauf der Interviews klären ließ.
Das Forschungsdesign meiner Interviews hat sich ebenfalls bewährt. Die Antworten der
sechs Untersuchungsteilnehmer waren interessant und scheinen auf den ersten Blick
ergiebig zu sein. Die zeitlichen Vorgaben waren zutreffend und die Kennzeichnung von
wichtigen Fragen hat dazu geführt, dass manche Interviews nicht zu lang geworden
sind. Auch die Thematisierung von persönlichen Situationen hat sich bewährt, da die
Probanden aufschlussreiche Antworten gegeben haben. Aus diesem Grund würde ich an
den Leitfäden keine Veränderungen vornehmen. Kritik möchte ich jedoch an meiner
eigenen Interviewtechnik üben. Meiner Meinung nach habe ich zu oft «ähm», «äh» und
«mhm» gesagt. Außerdem habe ich des Öfteren die Antworten der Befragten
wiederholt, bevor ich mit der eigentlichen Frage weitergemacht habe. Diese
Kritikpunkte sind mir schon bei der Transkription der Prä-Interviews aufgefallen,
weshalb ich mir damals vorgenommen habe bei der Durchführung der Post-Interviews
darauf zu achten. Bei der Transkription der Post-Interviews hat sich gezeigt, dass ich
mich ein wenig verbessert habe im Vergleich zu den Prä-Interviews. Des Weiteren
stellte ich bei der Auswertung fest, dass ich in einigen Interviewsituationen nochmal mit
Nachfragen auf die Antworten hätte reagieren müssen. Diese Unsicherheiten sind auf
die fehlenden Erfahrungen bei der Durchführung von Interviews zurückzuführen.
Außerdem muss man sich während eines Interviews sehr konzentrieren, weshalb es
schwierig ist parallel auf solche Kritikpunkte zu achten. Ich denke aber, je mehr
Erfahrung man mit der Interviewdurchführung hat, desto weniger unterlaufen einem
diese eher «unschönen» Formulierungen.
52
Nach der Durchführung der Erhebungen und einer ersten Betrachtung der Ergebnisse
habe ich den Eindruck, dass sich mein Forschungsdesign bewährt und zu interessanten
Ergebnissen geführt hat. Wie gut mein Konzept letztendlich wirklich ist, wird sich erst
mit der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse zeigen.
7. Auswertung der Ergebnisse
Die Auswertungskategorien und –instrumente sind die Grundlage für die anschließende
Darstellung und Interpretation der Ergebnisse. Das Vorgehen bei der Auswertung ist
abhängig von der Zielsetzung, der Fragestellung und dem methodischen Ansatz. Im
folgenden Abschnitt soll die Auswertung meiner Forschungsergebnisse erklärt werden.
Zunächst werde ich mein methodisches Vorgehen beschreiben und erläutern. Im
Anschluss daran folgt die Darlegung meines Auswertungsleitfadens.
7.1 Auswertungsmethoden
In der qualitativen Forschung bietet sich bei der Erstellung von Auswertungskategorien
neben dem theoriegeleiteten Vorgehen, bei dem die Kategorien aus vorfixierten
Themenkatalogen und der Theorie abgeleitet werden, auch eine offene Zugangsweise
an. Bei der offenen Zugangsweise entstehen die Kategorien in der Auseinandersetzung
mit dem erhobenen Material. Die beiden genannten Auswertungsstrategien lassen sich
ebenfalls miteinander verbinden, indem eine theoretische Grundlage bei der Sichtung
des Materials hinzugezogen wird, die die Aufmerksamkeit des Forschers bis zu einem
gewissen Grad lenkt, und gleichzeitig auf explizite Vorannahmen verzichtet wird,
wodurch eine gewisse Offenheit bestehen bleibt. (vgl. Schmidt 2007, 447f.) Für die
Auswertung meiner erhobenen Daten entschied ich mich für die Kombination der
beiden Auswertungsstrategien, da es zum einen nur wenig Theorie diesbezüglich gibt
und zum anderen wollte ich den Antworten der Kinder mit der Entwicklung eigener
Kategorien gerecht werden. Zunächst setzte ich mich intensiv mit den Datensätzen
(Fragebögen und Interviews) der einzelnen Untersuchungsteilnehmer auseinander und
bildete offene, umgangssprachliche Codes. Dadurch erhielt ich einen groben Überblick
über das gesamte Datenmaterial. Im zweiten Schritt, dem axialen Codieren, setzte ich
mich ein weiteres Mal mit den erhobenen Daten, diesmal aber im Hinblick auf die
Kategoriebildung, auseinander. Die offenen Codes wurden zusammengefasst, vertieft
sowie differenziert und einige Codes wurden bei dieser Überarbeitung aussortiert. Beim
53
offenen sowie axialen Codieren betrachtete ich zunächst kurze Textsegmente, dann
größere Textabschnitte und abschließend das gesamte Datenmaterial, um zu überprüfen,
ob sich die Kategorien auf den gesamten Text übertragen lassen, damit die
Untersuchungsteilnehmer in einem Schlussfazit aufgrund einer ähnlichen Auswertung
miteinander vergleichbar sind. (vgl. Böhm 2007, 477ff.) Im Anschluss an die Kategoriebildung stellte ich einen eigenen Auswertungsleitfaden zusammen (siehe 7.2.), in dem
die Kategorien sowie deren Ausprägungen erläutert werden.
Für die Darstellung der Ergebnisse verwendete ich das Programm MAXQDA 2007, das
speziell für die Analyse von qualitativen Textdaten konzipiert ist. Mit dem Programm
und
meinem
Auswertungsleitfaden
kategorisierte
ich
die
Daten
aus
den
Fragebogenerhebungen und den Interviews für jeden einzelnen Probanden.23 Die
kategorisierten Daten sind die Grundlage, um eine begründete Auswahl geeigneter
Abschnitte für die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse treffen zu können.
Mein Hauptanliegen ist somit die Bestimmung der Aussagekraft bestimmter Abschnitte
des Datenmaterials. Mit Hilfe der Kategorisierung sollen Passagen aus den Fragebögen
und Interviews der jeweiligen Untersuchungsteilnehmer ausgewählt werden, die sich als
besonders interessant sowie ergiebig erweisen und stellvertretend für die gesamten
Ergebnisse des Probanden stehen können. Auf eine quantitative Auszählung der
verwendeten Kategorien wird im Hinblick auf mein Forschungsanliegen verzichtet.
7.2 Auswertungsleitfaden
Eine Aufstellung von Kategorien anhand des Datenmaterials ist immer sehr subjektiv.
Aus diesem Grund sollte der Forscher sein Erhebungskonzept immer wieder selbst
reflektieren und von Kollegen objektivieren lassen. Die Objektivität ist ein
grundlegendes Gütekriterium für die Bewertung der Forschungsarbeit, da sie
sicherstellt, dass die Ergebnisse unabhängig vom Forscher sind. (vgl. Rost 2007, 153f.)
Nach der Fertigstellung meines Auswertungsleitfadens24 hielt ich Rücksprache mit
meiner Lehrenden und ließ diesen von zwei Kommilitonen aus dem Masterabschlussmodul sowie einer befreundeten Grundschullehrerin objektivieren. Ich erhielt
von allen eine positive Rückmeldung. In den meisten Kategorien wurde mir
zugestimmt. Außerdem erhielt ich noch Tipps für die Bildung einer weiteren Kategorie
sowie Formulierungsvorschläge für zwei von mir aufgestellte Kategorien. Nach einer
Prüfung der Vorschläge im Hinblick auf mein Datenmaterial nahm ich noch ein paar
23
Die, nach Bergmann (VI.), transkribierten sowie mit MAXQDA 2007 kategorisierten Interviews und
Fragebogenergebnisse befinden sich im Anhang. (VIII.)
24
Ein Auswertungsleidfaden in komprimierter Darstellung befindet sich im Anhang (VII.)
54
kleinere Veränderungen vor. Die Kategorisierung soll immer mit Blick auf jeweils einen
Probanden und hauptsächlich im Vergleich von Prä- und Post-Erhebung erfolgen.
Fragebogen und Interview werden jeweils einzeln kategorisiert, weshalb auf eine
weitere Kategorisierung der Antworten aus dem Fragebogen, die im Interview ebenfalls
genannt werden, verzichtet wird. Aus welchen Kategorien sich mein Auswertungsleitfaden letztendlich zusammensetzt und wie diese zu definieren sind, soll im
Folgenden erläutert werden.
In meiner Forschungsarbeit soll überprüft werden, ob es im Zuge der Aktionswoche zu
den Kinderrechten zu einer Weiterentwicklung auf der Wissensebene sowie der
emotional-sozialen Ebene gekommen ist, weshalb der Auswertungsleitfaden aus diesen
zwei Kernkategorien besteht. Zum einen soll damit das Datenmaterial auf diesen beiden
Ebenen vorstrukturiert werden und zum anderen gliedern diese beiden Kernkategorien
meine Interpretation.
Emotional-soziale Ebene:
Die moralische Entwicklung sowie die Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme
und Empathie leisten einen Beitrag zur emotional-sozialen Entwicklung eines
Menschen. Der moralische Entwicklungsstand zeigt auf, welche Glaubenszustände und
Werthaltungen ein Mensch beim Urteilen über richtige oder falsche Handlungen
zugrunde legt. Bei der Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme handelt es sich
um die Fähigkeit sein eigenes Verhalten und das von anderen Menschen richtig zu
erfassen und zu deuten, um darauf angemessen reagieren zu können. Die Fähigkeit den
emotionalen Zustand eines Menschen zu verstehen und mit ihm mitfühlen zu können,
wird als Empathie bezeichnet. Alle drei Bereiche stehen in einem engen Zusammenhang, weshalb ich diese zur Kernkategorie emotional-soziale Ebene zusammenfasse.
Beispielsweise ist die Übernahme einer selbstreflexiven bzw. reziproken Perspektive
(2.Niveau) nötig, um die Gefühle anderer wahrzunehmen und für diese Menschen
Empathie zu empfinden (3.Niveau). Ebenso muss dieses Niveau für die soziale
Perspektivübernahme entwickelt sein, um die naiv-instrumentelle bzw. egoistische
Orientierung der moralischen Entwicklung (2.Stufe) erreichen zu können. Die einzelnen
Wissenschaftler (z.B. Selman auf Kohlberg) beziehen sich zum Teil in ihren Modellen
aufeinander (siehe 2.2). Diese drei Entwicklungsbereiche zeigen sich in den Antworten
zu den Dilemmasituationen in den Fragebögen und Interviews. Mit der Kernkategorie
sollen diese Abschnitte gekennzeichnet werden, um eine Vorstrukturierung für die
folgenden Unterkategorien zu erhalten. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle noch
55
auf eine inhaltliche Bewertung verzichtet. Die Bewertung der Ergebnisse im Hinblick
auf die Entwicklungsniveaus in den einzelnen Bereichen soll zu einem späteren
Zeitpunkt erfolgen. Dementsprechende Erläuterungen folgen am Ende dieses
Gliederungspunktes.
Wissensebene:
Im Langzeitgedächtnis sind Informationen abgespeichert, die wieder abgerufen werden
können, wenn diese im Einklang mit den schon vorhandenen Strukturen verarbeitet
werden. Es wird unterschieden zwischen mehreren Speichern des Langzeitgedächtnisses, wobei für die Auswertung der Ergebnisse das explizite (deklarative)
Gedächtnis von Interesse ist. Im deklarativen Gedächtnis werden alle Informationen
gespeichert, an die sich der Mensch bewusst erinnern kann, wodurch sie im
Kurzzeitgedächtnis abgerufen und weiterverarbeitet werden können. Es handelt sich
dabei um faktisches Wissen (Daten, Definitionen, Begriffe etc.), das deklariert werden
kann. Dabei wird unterschieden zwischen allgemeinem Wissen (semantisches Wissen)
und Erlebniswissen. Für die Auswertung beziehe ich mich auf das semantische Wissen,
bei dem allgemeine Informationen erhalten bleiben, aber Zeit und Ort des Erlernens
verloren gehen. (vgl. Mietzel 2005, 278ff.)
Bei der Auswertung bezieht sich die Wissensebene einerseits auf die zehn wichtigsten
Kinderrechte (siehe 2.1.1) und andererseits auf den Begriff Gleichheit bzw.
Gleichberechtigung, der in diesem Zusammenhang zwei Bedeutungen hat. Zum einen
muss allen Menschen aufgrund des gemeinsamen Merkmals «Menschsein» Gleichheit
zugesprochen werden. Zum anderen ist jeder Mensch durch seine Stärken und
Schwächen individuell, weshalb auch eine individuelle Unterstützung stattfinden muss,
wenn ein gleichberechtigter Anspruch auf die Rechte hergestellt werden soll. Somit
muss Verschiedenes als gleichwertig angesehen werden. Das schließt natürlich nicht
aus, dass in bestimmten Situationen eine gerechte Behandlung nur stattfindet, wenn alle
Beteiligten gleich behandelt werden und es zu keiner Benachteiligung kommt (siehe
2.1.2). Da mir beim offenen Codieren aufgefallen ist, dass die Kinder ein
unterschiedliches Verständnis von Gleichheit in Bezug auf das Thema haben, führe ich
für die Bewertung die Unterscheidung im Sinne der Definition und nicht im Sinne der
Definition ein. Außerdem wird unterschieden in annähernd im Sinne der Definition,
womit gemeint ist, dass ein Teil der Definition benannt worden ist. Wenn im Verlauf
des Interviews der zweite Teil der Definition genannt wird, dann gilt für die weiteren,
richtigen Antworten/ Argumentationen im Sinne der Definition, auch wenn nicht die
56
vollständige Definition genannt wird. Für dieses Auswertungsvorgehen habe ich mich
entschieden, nachdem ich festgestellt hatte, dass alle Probanden zumeist nicht in der
Lage waren beide Teile der Definition im Zusammenhang zu benennen.
Die Antworten/ Argumente der Untersuchungsteilnehmer, die mit den beiden
Kernkategorien vorstrukturiert worden sind, sollen nach ihrer Quantität und Qualität
bewertet werden. Auf dieser Grundlage soll die Aussagekraft bestimmter Abschnitte des
Datenmaterials aufgezeigt und eine begründete Auswahl getroffen werden.
Quantität der Antwort/ Argumentation
Die Kategorie Quantität der Antwort/ Argumentation soll aufzeigen, an welchen Stellen
die Untersuchungsteilnehmer in den Post-Erhebungen gleiche (gleicher Inhalt, ähnlicher
Wortlaut) oder neue Antworten/ Argumente gebracht haben und wo möglicherweise
Antworten/ Argumente aus der Prä-Erhebung fehlen. Mit Hilfe dieser Kategorie wird ein
direkter Vergleich zwischen Prä- und Post-Erhebung angestrebt. Aus diesem Grund
kann die Kategorisierung auch nur am Datenmaterial der Post-Erhebung vorgenommen
werden, wobei der Aussagewert für beide Erhebungen gilt. An dieser Stelle soll der
Inhalt der Antwort noch nicht qualitativ bewertet werden.
Qualität der Antwort/ Argumentation
Die Qualität der Antwort/ Argumentation bezieht sich in der Auswertung auf die
Beschaffenheit und den Wert der Antwort/ Argumentation der Probanden in den Präund Post-Erhebungen. Der qualitative Wert einer Aussage lässt sich aus mehreren
Perspektiven bestimmen. Die Bestimmung der Unterkategorien für meine Auswertung
ist im Zuge des axialen Kategorisierens erfolgt. Die daraus hervorgegangenen
Unterkategorien mit ihren jeweiligen Ausprägungen stehen zum Teil im engen
Zusammenhang miteinander, weshalb ein Abschnitt mehrfach kodiert werden kann.
Inhalt der Antwort
Mit Hilfe der Unterkategorie Inhalt einer Antwort soll die fachliche Korrektheit der
Antwort in Bezug auf das Thema der Aktionswoche bestimmt werden. Für die
Auswertung ergeben sich drei Ausprägungen – falsch, teilweise richtig, richtig. Eine
Antwort kann falsch oder richtig sein, aber es besteht auch die Möglichkeit, dass diese
nur zum Teil fachlich korrekt ist, was mit der Ausprägung teilweise richtig
beschrieben werden soll. Da ein moralisches Urteil aber auch empathische
Empfindungen oder die Perspektivübernahme nicht in Bezug auf fachliche Korrektheit
57
bewertet, sondern nur mit dem Entwicklungsniveau beschrieben werden können,
bezieht sich diese Unterkategorie ausschließlich auf den Wissensbereich.
Charakteristika der Antwort/ Argumentation
Die Unterkategorie Charakteristika der Antwort/ Argumentation bezieht sich einerseits
auf
strukturelle
und
andererseits
auf
inhaltliche
Merkmale
der
Antwort/
Argumentation des Probanden. Nach dem axialen Kategorisieren ergaben sich
insgesamt drei Ausprägungen, die für die Bewertung jeweils ein gegensätzliches
Begriffspaar beinhalten. Der Inhalt einer Antwort/ Argumentation lässt sich zum einen
anhand der Realität bewerten, indem die Untersuchungsteilnehmer unrealistisch oder
realistisch antworten/ argumentieren können. Zum anderen lässt sich der Inhalt mit der
Ausprägung Begründung bewerten. Die Antwort/ Argumentation kann unbegründet
oder begründet sein, wobei eine begründete Antwort/ Argumentation deutlich höher
zu bewerten ist. Die dritte Ausprägung bezieht sich auf die Struktur, die einerseits
ausführlich und andererseits nicht ausführlich sein kann. Als ausführlich soll eine
Antwort/ Argumentation bezeichnet werden, wenn eine Aussage detailliert
beschrieben oder mit einem Beispiel erläutert wird. Eine nicht ausführliche Antwort/
Argumentation liegt vor, wenn eine Aussage keine detaillierte Beschreibung enthält
und wenn kein Beispiel zur Erläuterung gegeben wird. Die letzte Ausprägung wird
immer im Hinblick auf die Fragestellung betrachtet.
Zeitlicher Bezug
In den Fragebogenerhebungen sowie Interviews erhalten die Untersuchungsteilnehmer
als Impuls moralische Dilemmasituationen, auf die sie sich bei der Beantwortung der
Fragen beziehen sollen. In den Antworten können die Probanden aus unterschiedlichen zeitlichen Bezugspunkten die Dilemmata betrachten. Je nachdem wie gut sie
sich in die Perspektive der Person(en) hineinversetzen und diese reflektieren können,
sind sie in der Lage, einen bzw. mehrere zeitliche Bezugspunkt(e) aufzugreifen. Für
die Auswertung stehen drei Ausprägungen dieser Kategorie zur Verfügung. In der
Ausprägung Gegenwartsbezug nimmt das befragte Kind in seiner Antwort direkten
Bezug auf die Dilemmasituation und argumentiert mit gegenwärtigen Begründungen.
Beim Vergangenheitsbezug stellt der Proband Überlegungen an, wie es möglicherweise zu einer bestimmten Situation gekommen sein könnte. Dafür muss das Kind in
der Lage sein aus der Gegenwart bewusst in die Vergangenheit zu schauen, was eine
höhere Leistung ist als die Situation nur in der Gegenwart zu reflektieren. Die
58
Ausprägung Zukunftsbezug bedeutet eine bewusste Betrachtung der Situation von der
Gegenwart aus in die Zukunft. Das befragte Kind stellt Überlegungen über die Folgen
des Handelns bestimmter Personen an. Dabei muss es sich oftmals nicht nur in eine,
sondern in mehrere, möglicherweise auch noch unbeteiligte Personen hineinversetzen.
Diese Leistung ist deutlich höher als der Gegenwartsbezug einzuschätzen.
Nennung von Beispielen
Das Nennen von Beispielen kann die Qualität einer Antwort/ Argumentation anheben.
Aus diesem Grund besteht die Unterkategorie Nennung von Beispielen, zu der zum
einen Erklärungsbeispiele und zum anderen Umsetzungsideen sowie Verbesserungsvorschläge zählen. Mit der Ausprägung Erklärungsbeispiel ist einerseits die
Verwendung eines Beispiels als direkte Beantwortung der Frage und andererseits der
Einsatz eines Beispiels zur näheren Erläuterung der Antwort/Argumentation gemeint.
Eine Umsetzungsidee oder ein Verbesserungsvorschlag bezieht sich auf die
Dilemmasituation und macht eine Aussage, wie der weitere Verlauf der Situation oder
die nähere Zukunft beeinflusst werden könnten. Auf eine Ausprägung «keine
Beispiele» verzichte ich, da die Probanden nicht dazu verpflichtet sind Beispiele zu
nennen.
Meinungswechsel
Die Unterkategorie Meinungswechsel kann nur auf die Kategorisierung der PostErhebungen angewendet werden, da eine Bewertung dessen lediglich im
Zusammenhang mit den Prä-Erhebungen möglich ist. Der Aussagewert gilt jedoch für
beide Erhebungen. Der Meinungswechsel kann sich einerseits auf der fachlichen und
andererseits auf der moralischen Ebene vollziehen. Die Ausprägung fachliche Ebene
kann untergliedert werden nach falsch, teilweise richtig und richtig. Ein Meinungswechsel auf der moralischen Ebene kann sich
auf
eine nächsthöhere oder
-niedrigere moralische Stufe bzw. auf den Unterstufen vollziehen. Als Grundlage dient
hier das Stufenmodell der moralischen Entwicklung nach Kohlberg (siehe 2.2.1).
Unsicherheiten:
Die Antworten/ Argumentation der Probanden wirkten teilweise unsicher, was sich
zum Beispiel im zögerlichen und ausbleibendem Antworten, dem Anheben der
Stimme am Satzende oder durch bestimmte Wörter wie oder, vielleicht etc. äußert.
Diese Unsicherheiten können verschiedene Ursachen haben. Einerseits können sie
darauf zurückgeführt werden, dass das befragte Kind sich nicht sicher ist, ob es die
59
richtige Antwort gegeben hat. Andererseits kann es sein, dass der Proband durch die
ungewohnte Situation und die fremde Person verunsichert ist. Was letztendlich zur
Unsicherheit
des
Untersuchungsteilnehmers
geführt
hat,
kann
in
dieser
Forschungsarbeit nur subjektiv beurteilt und interpretiert werden. Um die Unsicherheiten bewerten zu können, falls welche vorhanden sein sollten, führe ich die
Unterscheidung stark sowie etwas unsicher ein.
Hilfestellungen:
Während der Interviews musste ich einigen Probanden kleinere Denkanstöße geben,
indem ich eine Frage anders formulierte oder ich sie auf die Thematisierung während
der Aktionswoche hinwies. Einige Untersuchungsteilnehmer benötigten jedoch
konkretere Hilfestellungen, die sich beispielsweise darin äußerten, dass ich ihnen
direkte Hinweise gab. Die Hilfestellungen stehen oftmals im Zusammenhang mit dem
Kriterium Unsicherheit. Inwieweit sich die Hilfestellungen auf die Antwort/
Argumentation des Probanden ausgewirkt haben und in welchem Zusammenhang
diese möglicherweise mit Unsicherheiten stehen, soll direkt bei der Interpretation
erläutert werden. Falls ich Hilfestellungen gegeben habe, sollen diese mit der
Unterscheidung viel und wenig differenziert bewertet werden.
Sonstiges:
Bei der offenen Codierung des Datenmaterials stellte ich fest, dass sich an einigen
Stellen in den Fragebögen und Interviews nicht mit den angegebenen Kategorien
codieren lassen. Aus diesem Grund führe ich die Kategorie sonstiges ein.
Im Fazit zum jeweiligen Untersuchungsteilnehmer soll eine kurze Einschätzung des
Entwicklungsverlaufs zwischen Prä- und Post-Erhebung gegeben werden. Dabei soll
noch einmal zusammenfassend erläutert werden, ob es zu einem Zuwachs auf der
Wissensebene sowie auf der emotional-sozialen Ebene gekommen ist. In Bezug auf die
emotional-soziale Entwicklung sollen zur Bewertung die Modelle von Kohlberg,
Selman und Hoffman hinzugezogen werden. Eine ausführliche Beschreibung der
Modelle befindet sich im Punkt 2.2, weshalb im Folgenden lediglich eine kurze,
stichpunktartige Darstellung erfolgt.
60
Moralische Entwicklung
Inhalt der Stufen
Stufe 1:
Orientierung an Bestrafung
und Belohnung
(ca. 2 Jahren)
- situationsgebundenes Handeln
- Abhängigkeit von den Konsequenzen (Belohnung,
Bestrafung)
- egozentrisches Handeln
Stufe 2:
naiv-instrumentelle oder
egoistische Orientierung
(ca. 6 Jahren)
- Befriedigung der eigenen Interessen und Bedürfnisse
- starkes Gerechtigkeitsgefühl der Kinder
faire Behandlung = gleiche Behandlung
- Motto: Eine Hand wäscht die andere.
Stufe 3:
«Guter Junge, liebes
Mädchen»-Orientierung
(ca. 10 Jahren)
- Orientierung an der Bedürfnisbefriedigung nahestehender Menschen (Familie, Freunde etc.)
- Bestreben als guter Mensch angesehen zu werden
- Kind übernimmt die Normen der Bezugsgruppe (kein
unabhängiger Standpunkt von der Gruppe)
- Interessen und Sichtweisen einer dritten Person werden
zu den eigenen gemacht
- Motto: Richtig ist, was die anderen für richtig halten.
Stufe 4:
«Gesetz und Ordnung»Orientierung
(ca. 12 Jahren)
- Unterstützung nahestehender Menschen, aber auch des
Systems (Gesellschaft, Institutionen, Gruppen)
- Rechte und Pflichten als Grundlage des Zusammenlebens der Menschen anerkennen
- oberste Aufgabe = Befolgung von Gesetzen (wenn kein
Widerspruch zu anderen sozialen Aufgaben besteht)
Stufe 5:
- Menschenrechte anerkennen
Sozialverträgliche
- größtmöglicher Nutzen für alle Menschen
Orientierung (ca. 21 Jahren) - Denken und Handeln im Sinne von Gleichberechtigung
Entwicklung der sozialen
Perspektivübernahme
Inhalt der Niveaus
Niveau 0:
- Wahrnehmung der eigenen subjektiven Perspektive
egozentrische oder
- keine Wahrnehmung von Unterschieden in den
undifferenzierte Perspektive Perspektiven anderer Personen zu sich selbst
(ca. 3.-7.Lebensjahr)
- Verschmelzung des Selbst und des anderen
Niveau 1:
subjektive oder
differenzierte Perspektive
(ca. 5.-9.Lebensjahr)
- Trennung zwischen dem Selbst und dem anderen
- Erkennen erster Unterschiede in den Motiven, die
hinter den Perspektiven stehen
Differenzierung der subjektiven Perspektiven
- keine Übernahme der Position einer dritten Person
Niveau 2:
selbstreflexive oder
reziproke Perspektiven
(ca. 7.-12.Lebensjahr)
- sich selbst gegenüber dem anderen als Subjekt
begreifen
- sich in eine andere Person gedanklich hineinversetzen
- aus der Perspektive eines anderen auf sich selbst
blicken
Niveau 3:
wechselseitige Perspektiven
oder Perspektiven der
- Perspektivübernahme einer dritten Person
- wechselseitige Beziehungen zwischen einem Selbst
und zwei weiteren Personen
61
dritten Person
(ca. 10.-15.Lebensjahr)
- Erkenntnis, dass durch die Wechselseitigkeit eine
unendliche Reihe von denkbaren Verkettungen besteht
- Perspektiven der beiden anderen gleichzeitig
miteinander koordinieren
- Handlungen der anderen in Bezug auf sich selbst
reflektieren
Niveau 4:
gesellschaftliche
Perspektive oder Tiefenperspektive
(ab 12.Lebensjahr)
- ideale wechselseitige Perspektivübernahme
jeweiligen Standpunkt und die Beziehungen aller
untereinander erkennen
- Netzwerk unterschiedlicher Interaktions- und
Kommunikationsebenen erkennen
- Entstehung von Konzepten gesellschaftlicher,
rechtlicher und moralischer Perspektiven
Entwicklung von Empathie
Inhalt der Niveaus
1. Niveau:
globale Empathie
(bis 12.Monat)
- beobachtbare Emotion einer anderen Person als die
eigene erleben
- Reaktion: Neugeborenenschreien
2. Niveau:
Egozentrische Empathie
(1.-2.Lebnsjahr)
- beobachtbare Emotion einer anderen Person als die
eigene erleben und zwischen Beobachter und
Betroffenen unterscheiden können
aber noch nicht immer eindeutig
- Reaktion: empathischer Effekt
3. Niveau:
Empathie für die Gefühle
anderer
(2.-3.Lebensjahr)
- Unterschiede in den Gefühlen von sich selbst und einer
anderen Person wahrnehmen
- über Sprache mitgeteilte Situationen verstehen und mit
Betroffenen mitfühlen
4. Niveau:
Empathie für das
allgemeine Leid anderer
(ab ca. 10.Lebensjahr)
- Erkennen, dass jeder Mensch eine eigene Identität hat
- empathische Reaktion ohne genau zu wissen, welchen
Zustand der Betroffene in Wirklichkeit hat
- empathische Reaktionen vor dem Hintergrund eigener
Erfahrungen und Informationen
- Gespür für Menschen und Gruppen in Not
Bei der Interpretation des Entwicklungsverlaufes zwischen Prä- und Post-Erhebung
kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kinder innerhalb eines so kurzen
Zeitraumes die nächste Stufe bzw. das nächste Niveau erreichen. Deshalb werde ich in
Anlehnung an Kohlberg für die Bewertung A- und B-Unterstufen einführen. (siehe
2.2.1.2) Auf der Unterstufe A hat sich die Stufe/ das Niveau noch nicht vollkommen
ausgebildet. Damit ist gemeint, dass Schwankungen zwischen zwei Stufen/ Niveaus
auftreten oder sich nicht in allen Antworten die/das genannte Stufe/Niveau zeigt. Im
Vergleich dazu treten auf der Unterstufe B keine nennenswerten Abweichungen auf und
es ist eine erste Tendenz zur nächsten Stufe/ zum nächsten Niveau erkennbar.
62
8. Interpretation der Ergebnisse
Zu Beginn dieses Abschnittes erfolgt eine kurze Darstellung und Interpretation der
Auswahlerhebung. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse der einzelnen Probanden
interpretiert. Dabei werden die Datensätze der Fragebögen und Interviews zusammenhängend betrachtet, da beide Erhebungsmethoden in einem engen Zusammenhang
miteinander stehen (siehe 4.3/ 4.4). Als Grundlage dienen die aus den Prä-/PostErhebungen hervorgegangenen Datensätze, die kategorisiert worden sind (siehe 7.) und
sich im Anhang (VIII.) befinden. Um eine bessere Übersichtlichkeit zu erzielen, werden
die ausgewählten Passagen aus den Fragebögen und Interviews in einem ExtraDokument dargestellt, auf die das Zeichen *Zahl verweist. Außerdem wird jeweils ein
Verweis zu den entsprechenden Zeilen in den kategorisierten Datensätzen gegeben.
Dieses Extra-Dokument kann dem Anhang (XI.) entnommen und dadurch parallel zur
Interpretation gelesen werden. Des Weiteren werde ich immer wieder Bezug auf das
Forschernotizbuch (IX.) nehmen, das sich ebenfalls im Anhang befindet. Abschließend
sollen im Punkt 8.3 weitere Schlussfolgerungen gezogen werden, die sich ebenfalls aus
den Datensätzen ergeben haben.
8.1 Darstellung und Interpretation der Auswahlerhebung
Insgesamt nahmen 21 Schüler
an der Auswahlerhebung teil.
Nach
Auswertung
Fragenbögen
folgendes
der
ergab
sich
Ergebnis.
Drei
Kinder befinden sich auf der
ersten
moralischen
Insgesamt
sechs
Stufe.
Schüler
kreuzten die Antwortmöglichkeit der zweiten moralischen Stufe an. Auf der dritten
moralischen Stufe befinden sich insgesamt zwei Kinder. Zehn Schüler wählten die letzte
Antwortmöglichkeit, die der vierten moralischen Stufe entspricht. Aus dem
Losverfahren ergaben sich die Untersuchungsteilnehmer “Pa“ und “Ch“ (Stufe 1),
“Fa“ (Stufe 2), “Ju“ (Stufe 3) sowie “Cr“ und “Jo“ (Stufe 4). Die
gleichgeschlechtliche
Verteilung
ist
zufällig
entstanden.
Ob
ich
mit
der
Auswahlerhebung die tatsächlichen moralischen Entwicklungsstufen der Schüler erfasst
habe und ob die Untersuchungsteilnehmer wirklich das mögliche moralische
63
Entwicklungsspektrum eines Viertklässlers widerspiegeln, wird sich bei der
Auswertung und Interpretation der Ergebnisse zeigen.
8.2 Interpretation der Ergebnisse der Probanden
8.2.1 Neuere Erkenntnisse für die Interpretation
Bevor ich im folgenden Abschnitt die Ergebnisse der Probanden interpretieren und eine
Einschätzung ihres emotional-sozialen Entwicklungsstandes vornehmen werde, soll an
dieser Stelle auf ein wichtiges Ergebnis meiner Forschungsarbeit eingegangen werden,
das Auswirkungen auf die Interpretation hat. In Bezug auf Kohlbergs Modell der
moralischen Entwicklung (siehe 2.2.1.3) habe ich im Punkt Forschungsthema (3.)
aufgrund der Kritik anderer Wissenschaftler an seinem Modell sowie meinen eigenen
Beobachtungen die Vermutung aufgestellt, dass sich ein Denken im Sinne von
Gleichberechtigung nicht erst auf der 5.Stufe einstellt. In diesem Zusammenhang habe
ich die Hypothese aufgestellt, dass auch Kinder in der Lage sind ein Gespür für das
Urteilen im Sinne von Gleichberechtigung zu entwickeln. Bei meiner Hypothese habe
ich das soziale Umfeld in den Vordergrund gestellt und den gesellschaftlichen sowie
gesetzlichen Aspekt aufgrund der kognitiven Entwicklung und ihrer Erfahrungen in den
Hintergrund gerückt, womit ich meine Vermutung erklären konnte, dass einige Kinder
möglicherweise auch schon auf Stufe 3 in der Lage sind im Sinne von Gleichberechtigung zu urteilen. Meine Hypothese hat sich, wie sich im Folgenden bei der
Interpretation der Ergebnisse zeigen wird, in Bezug auf diese Forschungsarbeit als
richtig herausgestellt. Die meisten Kinder haben schon in der Prä-Erhebung mindestens
zwei Dilemmasituationen im Sinne von Gleichberechtigung beurteilen können. Im
Verlauf der Post-Erhebung hat sich dann gezeigt, dass es diesbezüglich durch die
Aktionswoche zu einem Fortschritt gekommen ist. Die meisten Probanden haben
mindestens noch ein weiteres Dilemmata im Sinne von Gleichberechtigung beantworten
können. Mit Ausnahme von zwei Schülerinnen, die sich konkreter zu den Kinderrechten
äußern konnten, haben die anderen in beiden Erhebungen keinen bzw. kaum einen
Bezug zu den Kinderrechten herstellen können. Auch eine Betrachtung aus einer
gesellschaftlichen Perspektive auf die Dilemmata ist nicht zu erkennen gewesen.
Ebenfalls
ist
eine
bewusste
Verwendung
der
Begriffe
Gleichheit
bzw.
Gleichberechtigung in den Dilemmasituationen nicht erfolgt. Diese Ergebnisse
beweisen, dass Kinder anscheinend schon in der Lage sind im Sinne von
Gleichberechtigung zu urteilen. Da sie dies jedoch zumeist unbewusst tun, kann meiner
Meinung nach in diesem Zusammenhang von einem Gespür für dieses Urteilen
64
gesprochen werden. Des Weiteren hat sich herausgestellt, dass sie scheinbar in diesem
Alter meistes noch keinen Bezug zu Gesetzen und gesellschaftlichen Zusammenhängen
herstellen können. Aufgrund dieser Ergebnisse nehme ich für die Einschätzung der
Probanden im Bereich der moralischen Entwicklung für diese Forschungsarbeit
folgende Erweiterung des Modells nach Kohlberg vor. Die Untersuchungsteilnehmer,
die fast immer im Sinne von Gleichberechtigung urteilen und dabei einen Bezug zur
konkreten Situation, aber gar nicht bzw. sehr selten zu Gesetzen und der Gesellschaft
herstellen, sind der moralischen Stufe 3 zuzuordnen. Ob meine Ergebnisse letztendlich
zutreffend oder durch mein Forschungsdesign stark beeinflusst worden sind, muss in
weiteren Untersuchungen überprüft werden. Insgesamt kann jedoch bezüglich des
Modells zur moralischen Entwicklung nach Kohlberg festgehalten werden, dass die
Kritik vieler Wissenschaftler anscheinend zutreffend ist und es möglicherweise einer
Überarbeitung des Modells durch weitere Forschungsarbeiten bedarf. Im Gegensatz
dazu hat sich die Feststellung der Entwicklungsstände in den Bereichen soziale
Perspektivübernahme sowie Empathie mit Hilfe der Modelle von Selman und Hoffman
in meiner Untersuchung als umsetzbar erwiesen. Daraus kann geschlussfolgert werden,
dass diese Modelle in Bezug auf diese Untersuchung trotz der Kritik immer noch als
zutreffend angesehen werden können. Ihre Verwendung sollte aber nur nach ausgiebiger
Prüfung im Hinblick auf die Forschungsarbeit und unter Beachtung der Kritikpunkte
stattfinden. Auch bei diesen Modellen wird abzuwarten sein, was die neuere Forschung
auf diesem Gebiet herausfinden wird.
8.2.2 Schüler “Jo“
Zu Beginn der Prä-Erhebung hat sich herausgestellt, dass “Jo“ die Kinderrechte nicht
kennt. Er gehört zu den fünf Probanden, die mich gleich zu Beginn nach der Bedeutung
der Kinderrechte gefragt haben. In der Post-Erhebung zeigt sich jedoch diesbezüglich
ein Wissenszuwachs. “Jo“ ist in der Lage auf Nachfrage das Recht auf elterliche
Fürsorge als Grund gegen das Schlagen zu nennen.*1 Sein zögerliches Antworten dabei
ist höchstwahrscheinlich auf die ungewohnte Interviewsituation zurückzuführen. Des
Weiteren kann beim Begriff Gleichheit ein Wissenszuwachs verzeichnet werden. Im
Gegensatz zur Prä-Erhebung betrachtet er in der Post-Erhebung den Begriff Gleichheit
von einer menschlichen Ebene aus. Im Post-Fragebogen in Aufgabe 3*2 orientiert er
sich dabei zwar zunächst stark am Vergleich zwischen zwei Kindern, jedoch bringt er
am Ende noch den Aspekt gleiche Behandlung mit hinein. Im Interview*3 erweitert er
diese Aussage um den Aspekt Verschiedenheit und begründet seine Antwort mit dem
65
gemeinsamen Merkmal Menschsein. Mit diesen Aussagen benennt er den ersten Teil der
Definition von Gleichberechtigung. Im Folgenden kann “Jo“ mit ein wenig Hilfe auch
den zweiten Teil der Definition nennen. Er stellt fest, dass Behinderte und Lernbeeinträchtigte anders behandelt werden müssen und trifft somit die Aussage, dass eine
gleiche Behandlung nicht möglich ist. Seine Antwort ist in diesem Zusammenhang
wenig ausführlich. Dass er jedoch grundsätzlich beide Teile der Definition verstanden
hat, zeigt sich in seinen Aussagen im abschließenden Extra-Teil*4 des Post-Interviews.
Zum Beispiel gibt er an, dass Frau K. kein Recht dazu hat ihre Lieblingskinder
bevorzugt zu behandeln oder den guten Schülern beim Vergessen der Hausaufgaben
keinen Strich zu geben (siehe Forschernotizbuch IX 2.). In diesen Fällen sollen alle
Schüler gleich behandelt werden, wobei er nach einem konkreten Beispiel meinerseits
zugibt, dass in bestimmten Situationen Ausnahmen erlaubt sind. Somit erfasst “Jo“
wieder beide Aspekte von Gleichheit, wobei er für den zweiten Teil der Definition
wieder ein Beispiel benötigt hat. Aufgrund der Prä- sowie Post-Ergebnisse in den
Dilemmasituationen, bei denen er 3 von 5 (in Prä) und 4 von 5 (in Post) Dilemmata im
Sinne von Gleichberechtigung aber ohne Bezug zum Recht auf Gleichheit beantwortet
hat, kann trotzdem geschlussfolgert werden, dass “Jo“ beide Teile der Definition
verstanden hat und anwenden kann.
Bei der emotional-sozialen Entwicklung von “Jo“ konnten ebenfalls Fortschritte
zwischen der Prä- und Post-Erhebung festgestellt werden. In Aufgabe 4*5 kam “Jo“ in
beiden Erhebungen zu dem Entschluss, dass der Vater seinen Sohn nicht schlagen,
sondern nur schimpfen darf, weil er sonst noch trauriger wird, als er ohnehin schon
wegen der schlechten Zensur ist. Diese Antwort setzt voraus, dass er die Perspektive des
Sohnes eingenommen und für ihn Empathie entwickelt hat. Die Perspektive des Vaters
bezieht er in seine Argumentation nicht mit ein. In der Post-Erhebung erweitert er seine
Antwort um die Gründe schlagen tut weh und schimpfen tut innerlich weh nur nicht so
doll, womit er gleichzeitig seinen Vorschlag zu schimpfen in Frage stellt. Bei seinen
Aussagen wirkt “Jo“ deutlich sicherer und überzeugter als in der Prä-Erhebung. Diese
erweiterte Argumentation zeigt, dass er sich noch einmal reflektierter mit der Situation
des Jungen auseinandergesetzt hat. Ebenfalls werden seine Fortschritte auf der
emotional-sozialen Ebene in Aufgabe 7*6 deutlich. In der Prä-Erhebung ist die Aufgabe
des Lehrers für ihn in Ordnung, obwohl er vier Kinder begründet nennt, die nicht auf
den Baum klettern können. Mit dieser Antwort urteilt er auf der 2. moralischen Stufe.
Anscheinend empfindet er es nicht als ungerecht, wenn nur ein Teil der Kinder die
Chance hat die Aufgabe lösen zu können. Dass aufgrund der Heterogenität eine
66
individuelle Aufgabenstellung nötig ist, damit gleiche Chancen zur Aufgabenlösung
bestehen, zieht “Jo“ nicht in Betracht. Im Gegensatz dazu lehnt er in der Post-Erhebung
die Aufgabe des Lehrers ab, da viele Kinder nicht klettern können, und fällt damit sein
moralisches Urteil auf der 3. moralischen Stufe. Dabei betrachtet er das Bild
anscheinend ausführlicher als in der Prä-Erhebung, denn er begründet seine Antwort,
indem er sich auf jedes Kind bezieht. Ich vermute, dass die genauere Betrachtung der
Kinder auf die Aktionswoche zurückzuführen ist, in der die Schüler dazu angeregt
worden sind sich mit den Situationen unterschiedlicher Kinder intensiv auseinanderzusetzen. “Jo“ urteilt jedoch nicht in allen vorgegebenen Dilemmasituationen moralisch
einwandfrei. In Aufgabe 6*7 ist es zwischen der Prä- und Post-Erhebung sogar zu einem
kleinen Rückschritt gekommen. “Jo“ ist der Meinung, dass der beeinträchtigte Junge
zwar mitgenommen werden sollte, da das sonst fies und ungerecht wäre, aber er soll nur
als Auswechselspieler zum Einsatz kommen. Wie sich auch im Verlauf der Interviews
zeigt, bezieht er in seine Entscheidung einerseits die Perspektive des Jungen und
andererseits die Perspektive des Teams ein, indem er zwischen beiden Perspektiven
abwägt und versucht einen Kompromiss zu schließen. Bei diesem Kompromiss schließt
er jedoch aus, dass der Junge, wie die anderen Teammitglieder, die gleiche Chance
bekommt mitzuspielen. Somit urteilt “Jo“ auf der 2. moralischen Stufe mit Tendenz zu
Stufe 3 (also 2B), da er grundsätzlich den Jungen spielen lassen würde. In der PostErhebung minimiert sich die Spielzeit des Jungen auf ein paar “(Gnaden-)Minuten“ und
der Sieg steht nun im Vordergrund. Dieses Ergebnis steht möglicherweise im
Zusammenhang mit einer verringerten Perspektivübernahme und Empathie für den
Jungen. Im Vergleich zur Prä-Erhebung sagt “Jo“ deutlich weniger zu den beiden
Perspektiven und kann sich nur mit Hilfe zur Gefühlslage des Jungen äußern.
Nach intensiver Betrachtung der Ergebnisse komme ich zu zwei Schlussfolgerungen.
Zum einen hat “Jo“ sich auf der Wissensebene weiterentwickelt, was meine
Erläuterungen eindeutig gezeigt habe. Zum anderen hat er einen kleinen Fortschritt auf
der emotional-sozialen Ebene gemacht. Wie schon in der Prä-Erhebung urteilt er,
diesmal jedoch nur mit einer Ausnahme, im Sinne von Gleichberechtigung, weshalb er
auf der moralischen Stufe 3A eingestuft werden kann. Im Bereich der Empathie schätze
ich ihn weiterhin auf Niveau 4A ein, da er mitfühlend reagieren kann ohne genau zu
wissen, welchen Zustand der Betroffene in Wirklichkeit hat, denn darüber wird in den
Dilemmata keine Aussage gemacht. Auf die Unterstufe A ordne ich ihn zu, weil er sich
relativ wenig diesbezüglich geäußert hat. Bei der Perspektivübernahme befindet er sich
weiterhin auf Niveau 3A, da er nicht in allen Aufgaben wechselseitig die Perspektiven
67
übernommen hat. Im Vergleich zur Prä-Erhebung sind jedoch alle drei Entwicklungsstufen gefestigter und lassen durch die zumeist höhere Reflektiertheit und Komplexität
eine steigende Tendenz vermuten.
8.2.3 Schüler “Fa“
Dem Proband “Fa“ ist als einzigem Teilnehmer zu Beginn der Erhebung der Begriff
Kinderrecht bekannt gewesen. Er hat den anderen am Anfang der Prä-Erhebung kurz
die Bedeutung erklären können, jedoch ohne dabei Bezug auf die Bestandteile der
Kinderrechtskonvention zu nehmen. Da er auch in der Prä-Erhebung keinen Bezug auf
die 10 wichtigsten Kinderrechte nimmt, ist anzunehmen, dass ihm diese nicht bekannt
sind. Dementsprechend kann die Nennung und Erläuterung des Rechts auf elterliche
Fürsorge im Post-Interview bei Aufgabe 4*8 als Wissenszuwachs interpretiert werden,
auch wenn er dafür einen kleinen Tipp benötigt hat. Außerdem hat er noch ein weiteres
Kinderrecht benennen können. Ebenso ist ein Wissenszuwachs beim Begriff Gleichheit
(Aufgabe 3)*9 zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass sich
“Fa“ schon in der Prä-Erhebung bei seiner Erklärung auf die menschliche Ebene
bezieht. Dabei vergisst er jedoch, dass Kindern zwar grundsätzlich die gleichen Rechte
wie Erwachsenen zustehen, dass sie aber aufgrund ihres Alters bestimmte Rechte nicht
wahrnehmen können und zusätzliche Rechte benötigen. Somit erfasst er ansatzweise
den ersten aber nicht den zweiten Teil der Definition von Gleichheit. Hingegen bringt er
im Post-Fragebogen den Aspekt Verschiedenheit mit ein, den er im Interview weiter
ausführt, indem er betont, dass wir trotz der Unterschiede alle gleich behandelt werden
müssen, weil wir alle Menschen sind. Im Verlauf des Interviews kann er anhand eines
Beispiels auch den zweiten Teil der Definition erfassen. Er stellt fest, dass bestimmte
Kinder unterstützt werden müssen und dass man unter bestimmten Bedingungen auch
Unterschiede machen muss. Im Extra-Teil des Post-Interviews*10 wird ebenfalls noch
einmal deutlich, dass er beide Teile des Rechts auf Gleichheit verstanden hat. Am
Beispiel der Klassensituation erläutert “Fa“, dass Frau K. kein Recht hat ihre
Lieblingskinder bei der Hausaufgabenkontrolle zu bevorzugen und dass alle Schüler
gleich behandelt werden sollten. Er betont jedoch auch, dass es in Ordnung ist, wenn
Frau K. zum Beispiel im Sportunterricht aufgrund der unterschiedlichen Fähigkeiten
Unterschiede zwischen den Schülern macht. “Fa“ hat in den Dilemmasituationen der
Prä- und Post-Erhebungen größtenteils im Sinne von Gleichberechtigung geurteilt,
weshalb anzunehmen ist, dass ihm dieser Grundsatz unbewusst schon vor der
Aktionswoche bekannt gewesen ist. Da er in der Post-Erhebung Bestandteile der
68
Definition in seine Erläuterungen direkt mit einbezieht und es in Aufgabe 7 zu einem
Meinungswechsel im Sinne von Gleichberechtigung gekommen ist, kann geschlussfolgert werden, dass ein Wissenszuwachs stattgefunden hat.
Auf der emotional-sozialen Ebene können bei “Fa“ zwischen den beiden Erhebungen
ebenfalls kleine Fortschritte festgestellt werden. Zum Beispiel steht der moralische
Meinungswechsel in Aufgabe 7*11 im engen Zusammenhang mit der Perspektivübernahme der einzelnen Kinder, die in der Post-Erhebung deutlich ausführlicher und
reflektierter ausfällt. In der Prä-Erhebung nimmt er lediglich auf drei Kinder Bezug,
wobei er betont, dass die Aufgabe noch OK ist, wenn man sich gegenseitig hilft. Im
Gegensatz dazu betrachtet er in der Post-Erhebung fast alle Kinder und stellt zusätzlich
Überlegungen an, wie alle auf den Baum kommen könnten - vielleicht gibt es so was (-)
so ne womit man dann hochfahren kann (eine Rampe). Dabei betont er, dass man sich
gegenseitig helfen muss und dass es dann nicht so schlimm ist, wenn die Aufgabe nicht
alle lösen, da es eine schwere Aufgabe ist. Die Perspektivübernahme des Rollstuhlfahrers bereitet “Fa“ trotz der Thematisierung während der Aktionswoche ein wenig
Schwierigkeiten. Es fällt ihm schwer zu verstehen, dass der Rollstuhlfahrer nicht in der
Lage ist aufzustehen. Aufgrund seiner Ausführungen kann trotzdem davon ausgegangen
werden, dass er die Situation, im Gegensatz zur Prä-Erhebung wechselseitig betrachtet.
Moralisch trifft er seine Entscheidung auf der 3.Stufe, da er im Sinne von Gleichberechtigung urteilt, was sich in der Prä-Erhebung lediglich angedeutet hat (Stufe 2B).
Im Gegensatz zu Aufgabe 7 hat in Aufgabe 6*12 kein Meinungswechsel, sondern ein
kleiner Rückschritt stattgefunden. In beiden Erhebungen urteilt “Fa“ im oberen Bereich
der 2. moralischen Stufe (2B), wobei seine Antworten eine starke Tendenz zu Stufe 3
erkennen lassen. In beiden Erhebungen würde er grundsätzlich den Jungen spielen
lassen, jedoch wäre es seiner Meinung nach besser, wenn dieser das Bein schonen
würde. Aufgrund meiner Informationen zu “Fa“ (siehe Forschernotizbuch IX 3.) gehe
ich bei dieser Antwort davon aus, dass für ihn das Wohl des Jungen im Vordergrund
steht. Nachdem ich ihn aufgeklärt habe, dass sich an dem Bein des Jungen keine
Besserung mehr einstellt, macht er den Vorschlag die Sportart zu wechseln. Im
Gegensatz zur Post-Erhebung kommt er in der Prä-Erhebung letztendlich dennoch zu
dem Entschluss, dass der Junge mitspielen und selbst entscheiden soll, wie lange er mit
seinem Bein spielen kann, was moralisch höher einzuschätzen ist. Hingegen zeigt sich
in Bezug auf die Perspektivübernahme in der Post-Erhebung ein Fortschritt, da er beide
Perspektiven (Junge, Team) deutlich voneinander unterscheidet (Niveau 3). Dies
geschieht jedoch auf Kosten der intensiven Betrachtung des Jungen aus der Prä69
Erhebung (Niveau 2), bei der sich “Fa“ besonders gut in die Situation des Jungen
einfühlen konnte, weil er einen Bezug zu seinen eigenen Erfahrungen hergestellt hat.
Damit kann erklärt werden, warum er in der Post-Erhebung letztlich nur einen Wechsel
der Sportart oder das Aufhören mit Sport als Ausweg ansieht. Grundsätzlich hat sich im
Verlauf der Erhebungen jedoch gezeigt, dass “Fa“ in der Lage ist Mitgefühl für einen
anderen Menschen zu zeigen, ohne genau zu wissen, wie der emotionale Zustand dieser
Person ist. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Aufgabe 4*13, bei der er in
beiden Erhebungen Partei für den Jungen ergreift und dadurch Mitgefühl für ihn zeigt.
Besonders in der Post-Erhebung nimmt er dabei noch stärker Bezug auf den Jungen,
indem er zusätzlich seine Antwort mit den Gründen es tut weh und das Kind weint
belegt.
Nach intensiver Betrachtung der Ergebnisse komme ich zu zwei Schlussfolgerungen.
Auf der Wissensebene hat “Fa“ sich in Bezug auf die Kinderrechte und dem
Verständnis von Gleichberechtigung weiterentwickelt. Des Weiteren ist ein kleiner
Fortschritt bei der emotional-sozialen Entwicklung zu verzeichnen. Moralisch urteilt er
im Sinne von Gleichberechtigung und somit auf der 3. moralischen Stufe, wobei ich ihn
aufgrund der Antwort in Aufgabe 6 der Unterstufe A zuordne. Außerdem kann er, wie
schon in der Prä-Erhebung, mitfühlend reagieren, ohne genau zu wissen, welchen
Zustand der Betroffene in Wirklichkeit hat (Niveau 4A), und wechselseitig Perspektiven
übernehmen, wobei er diese Fähigkeit nicht immer, aber mit steigender Tendenz,
einsetzt. Deshalb schätze ich ihn im Bereich der Perspektivübernahme auf dem Niveau
3A ein. Im Vergleich zur Prä-Erhebung sind die Entwicklungsstände in allen drei
Bereichen durch die Aktionswoche gefestigt worden und es ist eine steigende Tendenz
zu verzeichnen, da die meisten Antworten in der Post-Erhebung reflektierter und
komplexer gewesen sind.
8.2.4 Schüler “Pa“
Dem Untersuchungsteilnehmer “Pa“ sind in der Prä-Erhebung die Kinderrechte nicht
bekannt und er kann auch den Begriff Gleichheit nicht erklären. Außerdem beantwortet
er lediglich eine von fünf Dilemmasituation im Sinne von Gleichberechtigung. Im
Vergleich dazu ist in der Post-Erhebung ein deutlicher Fortschritt auf der Wissensebene
zu erkennen. Zum einen kann er in Aufgabe 4*14 mit relativ wenig Hilfe meinerseits das
Recht auf elterliche Fürsorge nennen und zum anderen beantwortet er die Aufgabe 2*15
richtig. Des Weiteren ist er in der Post-Erhebung in der Lage im Fragebogen den
Begriff Gleichheit (Aufgabe 3)*16 in Bezug auf die menschliche Ebene zu erläutern und
70
dabei zur Aussage Gleichheit trotz Verschiedenheit zu kommen. Diese Aussage führt er
im Verlauf des Interviews*17 weiter aus und kann anhand eines eigenen Beispiels auch
den zweiten Teil der Definition von alleine erläutern. Auch auf Fragen in Bezug auf
behinderte und ausländische Kinder kommt er ohne weitere Hilfe zu klaren Aussagen
im Sinne von Gleichberechtigung - also gleich behandelt werden wie ich ihm immer
helfe. Dieses Verständnis wird auch im Extra-Teil des Post-Interviews bestätigt.*18 “Pa“
nennt mehrere Situationen, in denen Schüler der Klasse von Frau K. benachteiligt
worden sind. Dabei hebt er besonders die Bevorzugung der Mädchen gegenüber den
Jungen hervor. Seiner Meinung nach sollte Frau K. die Mädchen und Jungen
grundsätzlich gleich behandeln. Nach einem konkreten Beispiel meinerseits gibt er
jedoch zu, dass in bestimmten Situationen auch Ausnahmen gemacht werden dürfen
(nee dann ist es gut). Mit diesem Verständnis von Gleichberechtigung urteilt er auf der
3. moralischen Stufe.
Auf der emotional-sozialen Ebene hat “Pa“ ebenfalls einen Fortschritt gemacht. In zwei
weiteren Dilemmasituationen (Aufgabe 6 und 7) urteilt er, im Gegensatz zur PräErhebung, auf einer höheren moralischen Ebene. Im Folgenden soll stellvertretend für
diesen Fortschritt die Aufgabe 6 näher betrachtet werden. Zunächst lehnt er es im PräFragebogen*19 ab den Jungen mitspielen zu lassen, weil dieser nicht laufen kann. Im
Verlauf des Post-Interviews zeigt sich jedoch, dass er sich seiner Entscheidung nicht
sicher ist (hm mitspielen lassen? schlechter spielen?). Letztendlich kommt er dennoch
zu dem Entschluss, dass der Junge nicht spielen, sondern nur zuschauen darf. Diese
Antwort ist möglicherweise damit zu erklären, dass “Pa“ Schwierigkeiten hat sich in die
Situation des Jungen hineinzuversetzen. Er ist der Meinung, dass sich der Junge als
Zuschauer normal fühlen würde, auch wenn er gerne mitspielen möchte. Dabei bezieht
er sich auf seine eigene Gefühlslage, wenn er im Sportunterricht aus Krankheitsgründen
nicht mitmachen darf. Dass der Junge nicht nur eine Krankheit, sondern eine
Behinderung hat, scheint er nicht zu verstehen, womit zu erklären ist, dass er die
Gefühlslage des Jungen in dieser Situation als normal bezeichnet. Des Weiteren kann er
sich anscheinend nicht in die Turniersituation hineinversetzen, denn normalerweise ist
man verärgert und wütend, wenn man aus dem Team ausgeschlossen wird. Diese
Gefühle zieht “Pa“ jedoch nicht in Betracht. In der Post-Erhebung kommt es dann zu
einem Meinungswechsel auf die 3. moralische Stufe. Der Junge darf mitspielen, denn es
ist egal wer gewinnt oder verliert und die Hauptsache ist, dass alle spielen. Besonders
hervorzuheben ist, dass er bei seinen Überlegungen davon ausgeht, dass der Junge im
Rollstuhl sitzt. Außerdem stellt er Überlegungen an, wie dem Jungen am besten
71
geholfen werden könnte (vorsprung kriegen, ein turnier für rollstuhlfahrer). Auch auf
mehrmaliges Nachfragen besteht er auf diese Entscheidung. Am Ende ist er jedoch
durch mein Fragen so verunsichert, dass er es für möglich hält den Jungen doch nicht
spielen zu lassen. Letztlich findet er keine klare Antwort, weshalb ich seine Kernaussagen für ihn noch einmal zusammenfasse. Dabei stimmt er mir zu, dass er den
Jungen eigentlich mitspielen lassen würde. In der Post-Erhebung zeigt sich, dass “Pa“
sich viel besser in die Situation des Jungen hineinversetzen und mit ihm mitfühlen kann.
Dieses Ergebnis wird auch in Aufgabe 7*20 bestätigt, bei der er sich, im Vergleich zur
Prä-Erhebung, ein wenig intensiver mit den einzelnen Kindern auseinandersetzt. In der
Post-Erhebung sind aber nicht in allen Aufgaben Fortschritte erkennbar. Zum einen hält
er es in Aufgabe 4*21 in Ausnahmesituation (das er nicht gehorcht) für angemessen,
dass der Vater seinen Sohn schlägt, was er in der Prä-Erhebung abgelehnt hat. Zum
anderen gibt er in Aufgabe 5*22 Matthias eine 6, obwohl dieser einen großen Fortschritt
gemacht hat. Es wird deutlich, dass er das Notensystem für unveränderbar und
Ausnahmen für unmöglich hält. Lediglich in der Prä-Erhebung zweifelt er diese
Tatsache kurz an und zieht eine einmalige Ausnahme in Betracht, aber letztendlich
bleibt er bei seinem ersten Entschluss. Aufgrund meiner Informationen zu “Pa“ und zur
Klassenlehrerin Frau K. (siehe Forschernotizbuch IX.), gehe ich bei dieser Antwort
davon aus, dass er sich auf seine eigenen Erfahrungen bezieht. Es ist anzunehmen, dass
“Pa“ von Frau K. noch nie für seine Fortschritte belohnt worden ist. Dementsprechend
kann er es sich auch nicht vorstellen, dass diesbezüglich Ausnahmen möglich sind.
Hervorgehoben werden muss jedoch, dass er in den allen 3 angegebenen Situationen für
eine gleiche Behandlung von Matthias plädiert, womit er im Sinne von Gleichberechtigung urteilt (3. moralische Stufe).
“Pa“ ist der Untersuchungsteilnehmer, der im Vergleich zu den anderen, die größten
und überraschendsten Fortschritte gemacht hat. Nach den Informationen der Lehrerin zu
“Pa“ ist nicht anzunehmen gewesen, dass er viel bei der Aktionswoche lernen würde.
Diese Aussage kann eindeutig widerlegt werden. Seine Ausführungen sind oftmals
ausführlicher sowie reflektierter gewesen. Besonders beim Gleichheitsbegriff ist ein
Wissenszuwachs zu verzeichnen, was sein Urteilen in den Dilemmasituationen zumeist
positiv beeinflusst hat. Er ist einer derjenigen gewesen, die sich dazu am deutlichsten
und ohne große Hilfe geäußert hat. Ebenfalls sind im emotional-sozialen Bereich
Fortschritte zu verzeichnen. In der Post-Erhebung hat sich “Pa“ deutlich besser in die
Situationen und Personen hineinversetzen können. Da er dabei die Perspektiven nicht
wechselseitig übernommen hat, stufe ich ihn weiterhin auf Niveau 2 ein, aber diesmal
72
mit starker Tendenz nach oben (deshalb 2B). Aufgrund der Ergebnisse gehe ich im
Bereich der Empathie davon aus, dass er in der Lage ist auf Niveau 4(A) mitzufühlen.
Diese Fähigkeit hat er nicht immer gezeigt, was meiner Meinung nach stark bedingt ist
durch seine eigenen Erfahrungen. Im Vergleich zur Prä-Erhebung ist aber auch hier ein
Fortschritt zu verzeichnen. Moralisch hat er sich meiner Meinung nach von Stufe 2B
auf Stufe 3A verbessert, da er deutlich häufiger im Sinne von Gleichberechtigung
geurteilt hat. Diese Stufe scheint jedoch noch nicht gefestigt zu sein, da er in zwei
Aufgabe nicht eindeutig nach der Definition geurteilt hat.
8.2.5 Schülerin “Cr“
Zu Beginn der Prä-Erhebung hat sich herausgestellt, dass “Cr“ die Kinderrechte nicht
bekannt sind. Ebenso hat sie den Begriff Gleichheit nur von der grammatikalischen
Ebene, aber nicht von der menschlichen Ebene betrachten können. Im Gegensatz dazu
zeichnet sich in der Posterhebung ein deutlicher Wissenszuwachs ab. Zum einen kann
sie in Aufgabe 4*23 ohne Hilfe das Recht auf elterliche Fürsorge benennen und dazu
eine kurze Erklärung abgeben. Außerdem zeigt sie im Schlussteil des Post-Interviews*24
an einem selbstgewählten Beispiel auf, dass beeinträchtigte Menschen oftmals eine
besondere Förderung benötigen und nimmt dabei Bezug auf das gleichnamige Recht.
Zum anderen erklärt sie den Begriff Gleichheit*25 in der Post-Erhebung von der
menschlichen Ebene aus. Im Fragebogen bezieht sie sich zunächst auf den ersten Teil
der Definition - alle Menschen sind gleich, und sollen auch gleich behandelt werden,
wobei sie diese Erklärung um den Aspekt Verschiedenheit erweitert. Im weiteren
Verlauf erfasst sie auch den zweiten Teil der Definition. Sie gibt das Beispiel, dass
Kinder in manchen Situationen gefördert werden müssen. Im Extra-Teil des PostInterviews*26 wird noch einmal bestätigt, dass “Cr“ beide Aspekte des Gleichheitsbegriffs erfasst hat. Sie bezieht sich bei ihren Erläuterungen auf die Probleme bei
Hausaufgabenkontrolle, bei der Frau K. ihre Lieblingskinder bevorzugt, obwohl sie alle
Kinder gleich behandeln müsste. Mit Hilfe eines Beispiels meinerseits stellt sie jedoch
auch fest, dass in bestimmten Situationen Ausnahmen erlaubt sind. Zum Beispiel darf
ein Kind bei häuslichen Problemen durch Hausaufgabenhilfe in der Schule oder im Hort
unterstützt werden.
Auf der emotional-sozialen Ebene sind ebenfalls Fortschritte zu verzeichnen, wobei
diese nicht so deutlich ausfallen, wie bei den anderen Probanden. Zum Beispiel ist sie in
Aufgabe 4*27 bei der Prä-Erhebung der Meinung, dass die Bestrafung in ähnlichen
Situationen auch für die Geschwister gelten sollte. Diese Entscheidung trifft sie
73
eindeutig auf der 2. moralischen Stufe, weil sie nach dem Motto faire Behandlung ist
gleiche Behandlung urteilt. Hingegen lehnt sie es in der Post-Erhebung ab alle
Geschwister gleich zu behandeln. Generell betont sie aber in beiden Erhebungen, dass
ein Vater nicht das Recht hat zu schlagen. Insgesamt hat sich in der Post-Erhebung
gezeigt, dass es nicht in allen Dilemmasituationen zu einem moralischen Meinungswechsel gekommen ist. In Aufgabe 5*28 macht sie in der Prä- sowie Post-Erhebung eine
Unterscheidung zwischen Sabine. Als Freundin von “Cr“ bekommt Sabine eine 5, aber
wenn “Cr“ mit ihr Streit hat, dann bekommt sie eine 6. Diese Aussage ist moralisch
fragwürdig, denn man muss sich gegenüber einer Person gerecht verhalten, auch wenn
man wütend und enttäuscht ist. Diesbezüglich muss jedoch angemerkt werden, dass
“Cr“ betont, dass diese Unterscheidung von ihr unfair ist und dass die Lehrerin keine
Unterscheidung treffen darf. Des Weiteren ist sie generell bereit Sabine für ihren großen
Fortschritt mit einer 5 zu belohnen. Insbesondere ihre Antworten aus den Fragebögen
verdeutlichen ihre Fähigkeit eine Situation aus unterschiedlichen Perspektiven zu
betrachten und Überlegungen darüber anzustellen, welche Folgen ein bestimmtes
Ergebnis haben kann. Auch wenn sie dabei nicht direkt die Gefühle einer anderen
Person benennt, zeigen ihre Erläuterungen, dass sie diese in ihre Entscheidungen
einbezieht. In Aufgabe 6*29 ist die Entscheidung von “Cr“ prinzipiell richtig, jedoch
hätte sie nach der Aktionswoche ihre Argumentation um eine Aussage erweitern
müssen. Grundsätzlich würde sie den Jungen spielen lassen, womit sie moralisch auf
Stufe 3 antwortet, aber sie macht auch den Vorschlag ihn nur eine Halbzeit einzusetzen.
Ihre Erläuterungen zeigen zwar, dass sie dabei weniger an das Team, sondern eher an
das Wohl des Jungen denkt (z.B. dabei sein ist ja alles), dennoch wäre es moralisch
besser, wenn sie ihn selbst entscheiden lassen würde, wie lange er spielt. Darüber
hinaus verdeutlichen ihre Aussagen in Aufgabe 6, dass sie wechselseitig die
Perspektiven übernehmen und die Gefühle des Jungen wahrnehmen kann. Insgesamt
nennt sie in der Prä-Erhebung drei mögliche Gefühlszustände (sauer, traurig, wütend),
die der Junge durchleben kann, wenn er nicht mitspielen darf. Damit ist sie die Einzige,
die sich während der Erhebungen ausführlich zu Gefühlszuständen äußern konnte. Auch
wenn sie sich in der Post-Erhebung nicht weiter auf die Gefühlsebene bezieht, hat sie
somit bewiesen, dass sie Mitgefühl entwickeln kann ohne genaue Informationen über
den Zustand des Betroffenen zu haben. Im Gegensatz zu den vorangegangenen
Aufgaben urteilt sie in Aufgabe 7*30 in beiden Erhebungen ohne Einschränkungen auf
der 3. moralischen Stufe. Dabei begründet sie ihre Antwort schon im Fragebogen mit
Bezug zu den abgebildeten Kindern.
74
Nach den Informationen der Lehrerin zu urteilen, hat “Cr“ vor Beginn der Erhebungen
auf der emotional-sozialen Ebene den höchsten Entwicklungsstand von allen Probanden
gehabt. Die gesamte Betrachtung ihrer Ergebnisse mit Vergleich zu den anderen
Schülern hat jedoch gezeigt, dass “Cr“ emotional-soziale Fähigkeiten zwar als gut aber
nicht herausragend eingeschätzt werden können. Die Unterschiede zwischen meinen
Ergebnissen und den Aussagen der Lehrerin könnten mit der ungewohnten Untersuchungssituation im Zusammenhang stehen. Nach intensiver Auseinandersetzung mit
den Ergebnissen komme ich zu zwei Schlussfolgerungen. Zum einen hat “Cr“ von allen
Probanden den größten Fortschritt auf der Wissensebene gemacht, da sie sich im
Verlauf des Post-Interviews in ihren Ausführungen auf insgesamt zwei Kinderrechte
beziehen konnte und auch beide Aspekte des Gleichheitsbegriffs erfasst hat. Zum
anderen ist es auf der emotional-sozialen Ebene nur zu geringfügigen Fortschritten
gekommen. Aufgrund der Ergebnisse schätze ich ihren Entwicklungstand, wie schon in
der Prä-Erhebung im Bereich der Empathie auf dem 4.Niveau sowie bei der Perspektivübernahme auf Niveau 3A ein. Auf der moralischen Ebene sind leichte Steigerungen im
Vergleich zur Prä-Erhebung erkennbar, jedoch hat sich an ihrem Entwicklungstand
diesbezüglich ebenfalls nichts geändert. Ich ordne sie der Stufe 3A zu, wobei ich diese
noch nicht als gefestigt ansehe, da sie auch in der Post-Erhebung nicht immer im Sinne
von Gleichberechtigung geurteilt hat. Insgesamt hat sich gezeigt, dass “Cr“ sich mit
Situationen ausführlich sowie reflektiert auseinandersetzen und dabei auch Bezüge zur
Vergangenheit sowie Zukunft herstellen kann.
8.2.6 Schülerin “Ju “
Die Probandin “Ju“ hat in beiden Erhebungen große Schwierigkeiten mit der
Untersuchungssituation gehabt. Sie ist sehr unsicher gewesen und hat häufig nur
zögerlich oder gar nicht geantwortet. Dieses Verhalten hat sich in der Post-Erhebung
sogar noch etwas gesteigert. Ihre Unsicherheit ist sehr wahrscheinlich damit zu erklären,
dass sie Probleme hat Vertrauen zu fremden Personen zu fassen (siehe Forschernotizbuch IX 3.) und dass sie mit der ungewohnten Erhebungssituation überfordert
gewesen ist. Dementsprechend müssen ihre Ergebnisse vor diesem Hintergrund
interpretiert werden.
Auf der Wissensebene ist ein geringer Zuwachs zu verzeichnen, der sich jedoch nur
beim Gleichheitsbegriff zeigt, da es in Bezug auf die 10 wichtigsten Kinderrechte keine
Fortschritte gegeben hat. In der Prä-Erhebung kennt “Ju“ die Kinderrechte nicht und
auch in der Post-Erhebung kann sie trotz meiner Hilfe sich nicht auf diese beziehen.
75
Diese Tatsache wird ebenfalls durch das Ergebnis in Aufgabe 2*31 bestätigt, die sie in
beiden Erhebungen nur teilweise richtig beantwortet hat. Im Gegensatz dazu ist beim
Begriff Gleichheit*32 ein Fortschritt erkennbar. In der Prä-Erhebung betrachtet “Ju“ den
Begriff Gleichheit auf der grammatikalischen Ebene, wohingegen sie sich in der PostErhebung auf die menschliche Ebene bezieht. Sie erklärt, dass alle Menschen gleich
sind, auch wenn sie unterschiedlich aussehen. Mit dieser Aussage beruft sie sich
zunächst auf den ersten Teil der Definition von Gleichberechtigung. Den zweiten
Aspekt erfasst sie jedoch nur mit viel Hilfe und in der Extra-Aufgabe*33 wird deutlich,
dass sie auch an einem speziellen Beispiel nicht in der Lage ist den zweiten Teil der
Definition anzuwenden. Sie zeigt zwar am Beispiel der Klassensituation auf, dass
Frau K. kein Recht hat bei der Hausaufgabenkontrolle ihre Lieblingskinder zu
bevorzugen, aber auf die Frage, ob sie Ausnahmen machen darf, wenn ein Kind
Schwierigkeiten zu Hause hat, findet sie keine Antwort. Dass sie grundsätzlich das
Recht auf Gleichheit verstanden hat, zeigt sie jedoch in den Dilemmata, die sie in
beiden Erhebungen abgesehen von einer Ausnahme im Sinne von Gleichberechtigung
beurteilt hat. Ich vermute, ihre Unsicherheit besonders am Ende des Interviews ist
darauf zurückzuführen, dass sie zuvor einige Fragen nicht beantworten konnte.
Auf der emotional-sozialen Ebene sind ebenfalls geringfügige Fortschritte erkennbar.
Zum Beispiel ist es in Aufgabe 5*34 zu einem moralischen Meinungswechsel
gekommen. Im Prä-Fragebogen ist “Ju“ der Meinung, dass die Lehrerin Sabine eine 6
geben soll, da das ansonsten doof für die Mitschüler ist. Im Verlauf des Interviews
zweifelt sie diese Entscheidung an und schwankt zwischen den Noten 5 und 6.
Einerseits erkennt sie Sabines Fortschritt und andererseits sind 30 Fehler viel und die
anderen Kinder würden benachteiligt werden. Anscheinend kann sie sich nicht
vorstellen, dass man bei der Notenvergabe individuelle Entscheidungen treffen kann.
Letztendlich kommt “Ju“ zu keiner endgültigen Antwort. Im Gegensatz dazu plädiert sie
in der Post-Erhebung dafür Sabine die Note 5 zu geben, weil diese einen Fortschritt
gemacht hat. Auf die Frage nach der Gerechtigkeit dieser Entscheidung, ist sie nach
langer Bedenkzeit der Meinung, dass dieser Entschluss gerecht ist, wobei sie diese
Antwort nicht begründen kann. Trotzdem kann ihr Urteil in der Post-Erhebung als
moralisch höher eingestuft werden, da sie erkannt hat, dass man Kinder in bestimmten
Situationen anders behandeln darf als den Rest der Klasse. In Bezug auf Aufgabe 5
muss noch hervorgehoben werden, dass sie in beiden Erhebungen keine Unterscheidung
zwischen den Situationen vornimmt, in denen sich Sabine befindet, womit sie
diesbezüglich auf der 3. moralischen Stufe urteilt. In Aufgabe 4*35 antwortet “Ju“
76
moralisch nicht einwandfrei. Zwar lehnt sie es ab, dass ein Vater sein Kind schlägt,
jedoch trifft sie diesbezüglich in beiden Erhebungen Einschränkungen. In der PräErhebung darf der Vater sein Kind schlagen, wenn es etwas wertvolles gestohlen hat,
und in der Post-Erhebung darf er ihm einen Klatsch auf den Po geben, weil das weniger
weh tut als im Gesicht. Moralisch gesehen darf man ein Kind in keiner Situation
schlagen und dazu zähle ich auch den Klatsch auf den Po. Dieser Grundsatz hätte “Ju“
nach der Thematisierung der Kinderrechte eigentlich bekannt sein müssen. Anscheinend
spricht sie jedoch weiterhin den Erwachsenen in Ausnahmen das Recht zu schlagen zu,
obwohl es moralisch nicht zu rechtfertigen ist. Im Gegensatz dazu werden die Dilemmasituationen in Aufgabe 6 und 7 in der Prä- sowie Post-Erhebung im Sinne von
Gleichberechtigung und somit moralisch auf der 3.Stufe beantwortet. In Aufgabe 7*36
lehnt sie die Aufgabe des Lehrers ab, weil nicht alle auf den Baum klettern können.
Außerdem betont sie in der Post-Erhebung, dass der Lehrer eine Aufgabe stellen sollte,
die alle machen können. In Aufgabe 6*37 ist sie dafür den Jungen spielen zu lassen. In
der Prä-Erhebung begründet sie diese Antwort mit den Argumenten alle sollen Spaß
haben und man muss nicht immer gewinnen. Außerdem würde eine Chance bestehen,
dass die andere Mannschaft verlieren könnte. In der Post-Erhebung bezieht sie sich
direkt auf den Jungen, der auch Spaß haben soll, und betont noch einmal, dass ein
Gewinn nicht immer das Wichtigste ist. Die Perspektive des Jungen sowie des Teams
kann “Ju“ besonders gut übernehmen, weil sie selber in einem Verein Fußball und
Handball spielt. Sie kennt die Turniersituation und weiß, dass der Zusammenhalt ein
Team ausmacht (siehe Prä-Erhebung). Aus diesem Grund kann sie mit dem Jungen
mitfühlen und entscheidet sich dafür den Jungen mitspielen zu lassen. Bezüglich der
Interviewsituation in der Post-Erhebung muss erwähnt werden, dass “Ju“ durch mein
Nachfragen sehr verunsichert gewesen ist und keine weiteren Antworten auf meine
Fragen gefunden hat. Deshalb haben wir die Aufgabe relativ schnell abgebrochen und
sind zum nächsten Teil des Interviews übergegangen.
Nach ausführlicher Betrachtung der Ergebnisse und unter Beachtung der Erhebungsvoraussetzungen komme ich zu folgender Schlussfolgerung. Auf der Wissensebene hat
ein geringer Wissenszuwachs in Bezug auf den Gleichheitsbegriff stattgefunden, wie
meine Ausführungen gezeigt haben. Die emotional-soziale Entwicklung von “Ju“ hat
sich kaum verändert. Wie sich schon in der Prä-Erhebung gezeigt hat, ist sie zumeist in
der Lage mitfühlend zu reagieren, ohne genau zu wissen, welchen Zustand der
Betroffene in Wirklichkeit hat (Niveau 4A). Bei der Perspektivübernahme schätze ich
sie ebenfalls weiterhin auf Niveau 3A ein, da sie besonders in Aufgabe 6 gezeigt hat,
77
dass sie unterschiedliche Perspektiven betrachten und miteinander koordinieren kann.
“Ju“ moralische Entwicklung ist der Stufe 3A zuzuordnen, da sie meistens im Sinne von
Gleichberechtigung urteilt. Im Vergleich zur Prä-Erhebung hat sich dieses Urteilen ein
wenig gefestigt,
da sie in einer weiteren Dilemmasituation sowie ansatzweise in
Aufgabe 3 und dem Extra-Teil dementsprechend geurteilt hat.
8.2.7 Schülerin “Ch“
Bei der Untersuchungsteilnehmerin “Ch“ ist zwischen der Prä-und Post-Erhebungen ein
Wissenszuwachs zu verzeichnen. Zu Beginn der Untersuchung sind ihr die Kinderrechte
nicht bekannt gewesen, wohingegen sie im Post-Interview in Aufgabe 4*38 insgesamt
3 Kinderrechte nennen konnte. Während ihrer Erläuterungen nennt sie die Kinderrechte
als Grund gegen das Schlagen. Des Weiteren zählt sie das Recht auf Ruhe und Spiel
sowie das Recht auf Gleichheit auf und kann mit einem kleinen Tipp einen Bezug zum
Recht auf elterliche Fürsorge herstellen, dass sie kurz erklären kann. In Aufgabe 3*39
zeigt sich beim Begriff Gleichheit ebenfalls ein Fortschritt. Zunächst hat “Ch“ den
Begriff Gleichheit lediglich mit einem Beispiel aus der Mathematik erklären können. Im
Gegensatz dazu ist sie in der Post-Erhebung in der Lage Gleichheit gewesen von der
menschlichen Ebene aus zu betrachten. Sie kommt zu dem Entschluss, dass Gleichheit
bedeutet, dass alle Menschen gleich behandelt werden. Diese Aussage erklärt sie im
Interview mit dem Argument Gleichheit trotz Verschiedenheit aufgrund des gemeinsamen Merkmals Menschsein. Damit erfasst sie vollständig den ersten Teil der
Definition von Gleichheit, den sie auch im Verlauf des Interviews stark betont. Mit
Hilfe zweier Beispiele zeigt sich jedoch, dass sie auch den zweiten Teil der Definition
verstanden hat. Beispielsweise benötigen Rollstuhlfahrer und ausländische Mitbürger
Hilfe, wenn sie etwas nicht so gut können, wie andere Menschen. Im Extra-Teil*40 des
Post-Interviews wird dieses Ergebnis ebenfalls bestätigt. Als Beispiel für ihre
Erklärungen wählte sie, wie auch schon die anderen Probanden, die Schwierigkeiten bei
der Hausaufgabenkontrolle sowie den Aspekt Lieblingskinder aus. Dabei kann sie
eindeutig sagen, welche Mitschüler von Frau K. benachteiligt bzw. bevorzugt werden.
Sie ist der Meinung, dass Frau K. nicht das Recht hat diesbezüglich Unterschiede
zwischen den Schülern zu machen. Dass aber in bestimmten Situationen auch Ausnahmen in Ordnung sind, stellt sich mit Hilfe eines konkreten Beispiels heraus.
Die Antworten in den Dilemmasituationen beweisen, dass “Ch“ insgesamt den
Gleichheitsbegriff verstanden hat. In beiden Erhebungen hat sie in allen Dilemmata
unbewusst den Gleichheitsbegriff angewendet, womit sie ihre moralischen Urteile auf
78
der 3.Stufe getroffen hat. In Aufgabe 4*41 lehnt sie es ab, dass der Vater seinen Sohn
schlagen darf. In der Prä-Erhebung bezieht sie sich dabei auf beide Perspektiven. Zum
einen betont sie, dass dem Jungen die Ohrfeige weh tun und er dann weinen würde.
Diese Begründung zeigt, dass sie sich in den Jungen einfühlt und mit ihm Mitleid hat.
Zum anderen betrachtet sie auch die Perspektive des Vaters. Sie vermutet, dass der
Vater selbst früher geschlagen worden ist und deshalb seinen Sohn schlägt, was dazu
führen könnte, dass sein Sohn später seine Kinder ebenfalls schlägt. In ihren
Überlegungen stellt “Ch“ einen Vergangenheits- und Zukunftsbezug her, wodurch noch
einmal aufgezeigt wird, wie gut sie sich in die Dilemmasituation hineinversetzen kann.
Im Gegensatz dazu argumentiert sie im Post-Interview mit den Kinderrechten und
nimmt keinen Bezug mehr zu ihren Antworten in der Prä-Erhebung. Es ist aber davon
auszugehen, dass sie sich weiterhin ihrer Prä-Argumente bewusst ist. In Aufgabe 5*42
antwortet “Ch“ in beiden Erhebungen, dass sie Sabine eine 5- geben würde. Dabei trifft
sie keine Unterscheidung zwischen den angegebenen Situationen, in denen sich Sabine
befindet. In der Prä-Erhebung begründet sie ihre Entscheidung mit Sabines Fortschritt
und der Gefahr sitzen zu bleiben. Sie möchte mit der 5- erreichen, dass Sabine nicht so
traurig ist. Mit dieser Antwort zeigt sie deutlich auf, dass sie sich in Sabines Situation
hineinversetzt hat und mit ihr mitfühlt. Darüber hinaus stellt “Ch“ Überlegungen
bezüglich des zukünftigen Vorgehens an. So soll die Lehrerin Sabine mit Förderunterricht oder Nachhilfe unterstützen und dann ein wenig abwarten, ob sich eine
weitere Verbesserung einstellt. Im Post-Interview begründet sie ihre Entscheidung
ebenfalls mit Sabines Fortschritt, dem möglichen Motivationseffekt und der Gefahr
sitzen zu bleiben. Diesmal merkt sie zusätzlich an, dass diese Betonung für die anderen
Schüler unfair ist, womit sie aufzeigt, dass sie auch die Perspektive der Mitschüler
einnehmen kann. Des Weiteren macht sie den Vorschlag in Ausnahmefällen auch bei
guten Zensuren dementsprechend vorzugehen. Zum Beispiel könnte ein Kind, das sonst
immer die Note 2+ schreibt, mit einer 1- motiviert werden. In Aufgabe 6*43 beweist
“Ch“ ein weiteres Mal, dass sie in der Lage ist im Sinne von Gleichberechtigung zu
urteilen. In beiden Erhebungen würde sie den Jungen am Turnier teilnehmen lassen,
weil es ansonsten unfair gegenüber dem Jungen wäre und weil alle Spaß haben sollen.
Außerdem betont sie, dass es nicht nur um das Gewinnen gehen sollte. In der PräErhebung kann sie zusätzlich noch etwas zur Gefühlslage des Jungen sagen und zeigt
damit noch einmal auf, dass sie mit anderen Menschen mitfühlen kann ohne zu wissen,
welchen Gefühlszustand diese Person gerade hat. Sie glaubt, dass der Junge sich
traurig, mies und nicht so gut fühlen würde, wenn ihm das Team verbietet mitzuspielen.
79
Hingegen geht sie im Post-Interview kurz auf die Perspektive des Teams ein und merkt
an, dass es für das Team unfair ist, wenn der Junge mitspielen darf. Das Wort unfair
interpretiere ich in diesem Zusammenhang als Beschreibung für eine mögliche
Gefühlslage einiger Spieler, für die der Sieg wichtiger ist als der Zusammenhalt und
Spaß im Team.
Nachdem ich intensiv die Ergebnisse in den Prä- und Post-Erhebungen betrachtet habe,
komme ich zu folgenden Schlussfolgerungen. Auf der Wissensebene sind in Bezug auf
die Kinderrechte und den Gleichheitsbegriff Fortschritte zu verzeichnen, wie meine
Ausführungen gezeigt haben. Auf der emotional-sozialen Ebene sind keine Fortschritte
erkennbar, was damit zu erklären ist, dass “Ch“ schon in der Prä-Erhebung alle
Dilemmasituationen im Sinne von Gleichberechtigung und somit auf der 3. moralischen
Stufe beantwortet hat. Dementsprechend wäre ein Zuwachs nur zu erreichen gewesen,
wenn sie sich in ihren Argumentationen bewusst auf den Gleichheitsbegriff bezogen
oder darüber hinaus gesellschaftlich, also in größeren Zusammenhängen, argumentiert
hätte. Letzteres setzt zumeist erst mit ca. 12 Jahren ein und ist somit auch nicht
vorauszusetzen. Des Weiteren hat “Ch“ in beiden Erhebungen bewiesen, dass sie
Empathie entwickelt ohne genaue Informationen über den Gefühlszustand des
Betroffenen zu haben (4. Niveau). Bezüglich der Perspektivübernahme ordne ich sie
weiterhin auf Niveau 3 ein, da sie wechselseitig die Perspektiven der Personen übernehmen und in Beziehung zueinander setzen konnte. Insgesamt schätze ich das
Sozialverhalten von „Ch“, im Gegensatz zu Frau K. (siehe Forschernotizbuch IX 3.), als
gut bis sehr gut ein, wobei zu beachten ist, dass ich nur einen kleinen Ausschnitt erfasst
habe.
8.2.8 Fazit zu den Ergebnissen der Probanden
Nach einer intensiven Betrachtung der gesamten Ergebnisse kann folgendes zu den
Probanden festgestellt werden. Bei allen Untersuchungsteilnehmern sind zwischen der
Prä- und Post-Erhebung Fortschritte im unterschiedlichen Umfang erkennbar. Auf der
Wissensebene zeigte sich in der Prä-Erhebung, dass zwar ein Schüler den Begriff
Kinderrechte erklären, aber kein Proband sich inhaltlich auf die Kinderrechtskonvention
beziehen konnte. Im Gegensatz dazu konnten in der Post-Erhebung, mit Ausnahme von
“Ju“, alle Probanden mindestens ein Kinderrecht im Zusammenhang mit einer
Dilemmasituation nennen. Im Hinblick auf die Erklärung des Gleichheitsbegriffs stellte
sich ebenfalls eine Veränderung ein. Außer “Fa“ konnte zunächst kein Untersuchsteilnehmer von der menschlichen Ebene den Begriff erklären. Hingegen konnten in der
80
Post-Erhebung, mit Ausnahme von “Ju“, die nur den ersten Teil der Definition
benannte, alle anderen Gleichheit von der menschlichen Ebene erklären und dabei beide
Teile der Definition erfassen.
Auf der emotional-sozialen Ebene sind ebenfalls Fortschritte festzustellen, wobei sich
diese fast immer innerhalb der Stufe bzw. des Niveaus vollzogen haben. Dieses
Ergebnis ist anzunehmen gewesen, da sich ein Wechsel der Stufe/ des Niveaus
vorwiegend in einem langfristigen Prozess vollzieht (siehe 2.2.4). Aus diesem Grund
müssen auch kleine Fortschritte als Erfolge angesehen werden, worauf im Schullalltag
sowie im Unterricht langsam aufgebaut werden kann. Die Ergebnisse haben gezeigt,
dass alle Schüler einen altersangemessenen emotional-sozialen Entwicklungsstand
haben, der durch die Aktionswoche gefestigt werden konnte und bei einigen eine
steigende Tendenz aufweist. Fast alle Probanden befinden sich bei der moralischen
Entwicklung auf Stufe 3A, da sie zumeist in der Lage waren im Sinne von
Gleichberechtigung zu urteilen. Einige Schüler zeigten schon in der Prä-Erhebung, dass
sie meist unbewusst nach diesem Grundsatz urteilen. Bei allen Untersuchungsteilnehmern konnte im Vergleich zur Prä-Erhebung bei den moralischen Urteilen ein
Fortschritt erzielt werden. Bei der sozialen Perspektivübernahme befinden sich die
meisten Untersuchungsteilnehmer auf Niveau 3A, da sie größtenteils wechselseitig die
Perspektiven in den Dilemmata einnehmen konnten. Die Entwicklung in Bezug auf die
Empathie ist auf Niveau 4A einzuschätzen, da die Probanden mitfühlend reagiert haben
ohne genau zu wissen, in welchem Zustand sich der Betroffene befand. Dabei ist
aufgefallen, dass einige Schüler Schwierigkeiten hatten Gefühle direkt zu benennen.
Das Benennen von Gefühlen ist aber wichtig, um einerseits mit anderen Menschen über
den eigenen emotionalen Zustand sprechen zu können sowie ihnen das Mitfühlen zu
erleichtern und andererseits um den emotionalen Zustand des anderen wahrnehmen zu
können. Deshalb müssen unterschiedliche Gefühlszustände unbedingt im Unterricht
thematisiert werden.
Im Vergleich zu den Ergebnissen der Auswahlerhebung ist festzustellen, dass sich die
ersten Einschätzungen bezüglich des moralischen Entwicklungsstandes nicht bei allen
Probanden bestätigt haben. Allerdings hat sich die Wahl meiner Untersuchungsteilnehmer bewährt, da im Vergleich alle Kinder einen sehr individuellen Beitrag zur
Untersuchung leisten konnten und die Auswahlerhebung somit ihren Zweck erfüllt hat.
Insgesamt bin ich zu sehr interessanten und aufschlussreichen Ergebnissen gekommen,
die noch einige Ansatzpunkte für weitere Interpretationen enthalten.
81
8.3 Weitere Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse meiner Erhebungen lassen unabhängig von den einzelnen Probanden
weitere Schlussfolgerungen zu. Zum einen hat sich gezeigt, dass die Thematisierung der
Kinderrechte und insbesondere des Rechts auf Gleichheit einen Beitrag zur emotionalsozialen Entwicklung der Schüler geleistet und sich somit meine Intervention
grundsätzlich bestätigt hat. Bei allen Untersuchungsteilnehmern konnten diesbezüglich
kleine Fortschritte festgestellt werden. Zum anderen konnte ich in Bezug auf den
Begriff Gleichberechtigung und das Verständnis weiterer Kinderrechte folgendes
feststellen. Der Begriff Gleichberechtigung wurde von keinem Probanden in der PostErhebung genannt, obwohl dieser im Zusammenhang mit dem Begriff Gleichheit
besprochen worden ist. Jedoch muss diesbezüglich angemerkt werden, dass sie
größtenteils den Inhalt des Begriffes wiedergeben und nach diesem Grundsatz urteilen
konnten (siehe Forschernotizbuch IX 2.). Daraus schlussfolgere ich, dass sich mein
Unterricht in Bezug auf das Verständnis von Gleichberechtigung bewährt hat, dass aber
die begriffliche Bestimmung und der Zusammenhang zum Begriff Gleichheit
anscheinend zu wenig verdeutlicht worden ist. Aus diesem Grund würde ich bei der
nächsten Thematisierung des Rechts auf Gleichheit die beiden Begriffe verstärkt in den
Unterricht mit einbinden, damit die Schüler von Beginn an mit den Begrifflichkeiten
vertraut gemacht werden und diese in ihre Argumentationen einbeziehen können.
Ein weiteres Ergebnis meiner Forschungsarbeit ist, dass nur ein geringfügiger Beitrag
des Rechts auf Gleichheit für das Verständnis weiterer Kinderrechte festgestellt werden
konnte. Zwar konnten fast alle Probanden ein Kinderrecht nennen, aber nur drei Kinder
nannten in den anderen Dilemmata weitere Kinderrechte. Dieses Ergebnis ist
möglicherweise damit zu erklären, dass die 10 wichtigsten Kinderrechte lediglich an
einem Vormittag als Orientierung für das Recht auf Gleichheit thematisiert worden
sind. Dieser Zeitraum scheint eindeutig zu kurz zu sein, um eine zusätzliche
Argumentation mit den Kinderrechten in den Dilemmasituationen zu erzielen.
Außerdem entspricht es auch nicht dem moralischen Entwicklungsstand, dass Kinder in
diesem Alter aus der Perspektive von Gesetzen und Gesellschaft urteilen. Da das Recht
auf Gleichheit eine wichtige Grundlage für die weiteren Kinderrechte ist, könnte eine
intensivere Thematisierung der anderen Kinderrechte eine gute Weiterführung des
Unterrichts darstellen. Die Weiterführung könnte gleichzeitig die Wissensebene
erweitern, das Recht auf Gleichheit festigen und die emotional-soziale Entwicklung
fördern. Um diese Vermutungen zu überprüfen, wäre eine diesbezügliche Erweiterung
meines Forschungsdesigns bei der nächsten Durchführung möglich.
82
Während der Aktionswoche hat sich gezeigt, dass in Anlehnung an das Thema viele
Denkprozesse bei den Schülern ausgelöst worden sind, die zu intensiven Diskussionen
bei den Kindern geführt haben (siehe Forschernotizbuch IX 2.). Unter anderem ist viel
über das ungerechte Handeln der Klassenlehrerin Frau K. diskutiert worden, die
beispielsweise ihre Lieblingskinder bevorzugt behandelt. Ich habe festgestellt, dass sich
bei den Kindern ein großer Diskussionsbedarf über die Grundschuljahre angestaut hat
und dass sie es als befreiend empfunden haben einmal darüber gemeinsam zu
diskutieren. In diesem Zusammenhang konnte das Recht auf Gleichheit mit in die
Diskussion eingebracht werden, womit ein direkter Bezug zur Lebenswelt der Kinder
hergestellt werden konnte. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass sich einige Schüler auch
mit anderen Problemen auseinandergesetzt haben. So hat mir die Schülerin “Me“ am
Ende der Aktionswoche in einem ruhigen Moment von einem Vorfall der sexuellen
Bedrängnis erzählt. Diese beiden Beispiele stehen stellvertretend für weitere
Denkprozesse, die bei den Schülern ausgelöst worden sind. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass sich besonders im Zusammenhang mit den Kinderrechten eine
Anknüpfung an Beispielen aus den Lebensbereichen der Kinder anbietet.
Abschließend lässt sich zu meiner Forschungsarbeit folgendes Fazit ziehen. Mein
Forschungsdesign und meine unterrichtliche Umsetzung haben sich, abgesehen von
kleineren Ausnahmen, bewährt und zu interessanten sowie aufschlussreichen
Ergebnissen geführt. Darüber hinaus besitzen das Forschungsdesign sowie die
Interventionsphase das Potenzial für Erweiterungen, die in folgenden Untersuchungen
umgesetzt werden könnten, was zu einer Vertiefung der Ergebnisse führen könnte.
9. Schlussfolgerungen für die Schulpraxis
Ein wichtiger Bildungsauftrag der Grundschule und somit auch des Sachunterrichts ist
die Vermittlung von personalen sowie sozialen Kompetenzen, die einerseits einen
wichtigen Bestandteil der Identitätsausbildung darstellen und zum anderen grundlegende Voraussetzung für gesellschaftliche Integration und Teilhabe sind. Soziales
Verstehen und moralisches Handeln gehören zu den sozialen Kompetenzen und setzen
voraus, dass Kinder über soziale Zusammenhänge sowie die Folgen ihres Handelns
bzw. Nicht-Handelns reflektieren können. Die personale Kompetenz umfasst
beispielsweise die Fähigkeit zur Mitbestimmung, die Urteilsfähigkeit, die Selbstreflexion sowie die Fähigkeit zur Empathie und Perspektivübernahme. (vgl. Richter
2005, 107ff.) Diese Kompetenzen, aber auch viele als selbstverständlich geltende
83
Normen und Werte können in einer Zeit des Individualismus, der Mediensozialisation
sowie der Erlebnisorientierung nicht mehr von Schule vorausgesetzt werden. „Werte
geraten zunehmend unter Begründungszwang und verlieren dadurch die Funktion
selbstverständlicher und unveränderlicher Orientierungsmuster. Deshalb können Kinder
und Jugendliche ihr moralisches Urteilen und Handeln immer weniger auf Sinn- und
Orientierungsmuster stützen, die durch traditionelle lebensweltliche Zusammenhänge
überliefert werden.“ (Henkenborg 1996, 52) Diese Orientierungslosigkeit vieler Kinder
und Jugendlicher zeigt sich in der gestiegenen Gewalt- und Kriminalitätsrate, aber auch
im passiven und unreflektierten Hinnehmen der vorherrschenden Verhältnisse. Unsere
Gesellschaft lebt jedoch von verantwortungsbewusst und reflektiert handelnden
Menschen. Aus diesem Grund muss Schule verstärkt die emotional-soziale Entwicklung
ihrer Schüler fördern, damit sie sich einerseits trotz aller Individualität in die
Gesellschaft einfinden und andererseits diese mit ihrer Individualität weiterentwickeln
können.
Für die praktische Umsetzung in der Schule ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen. Die Schule muss als kindgemäßer, sozialer Erfahrungsraum gestaltet sein,
indem die Schüler die Gelegenheit bekommen soziale und personale Kompetenzen in
der Gemeinschaft auszubilden und zu erproben. Die Schüler werden innerhalb «der
kleinen Gesellschaft Schule» auf die «große» Gesellschaft vorbereitet. Dementsprechend hat der Lehrer die Aufgabe sozialwissenschaftliche Themen, wie z.B. die
Kinderrechte (auch politisch) oder Freundschaften, im Unterricht aufzugreifen, um
damit die emotional-soziale Entwicklung seiner Schüler zu fördern. In erster Linie muss
der Lehrer aber soziale Situationen im Schul- und Unterrichtsalltag für Lernprozesse
nutzen, denn vor allem über vielfältige Erfahrungen werden soziale und personale
Kompetenzen ausgebildet. „Vielfältige soziale Situationen erhöhen die Chance,
vielfältige soziale Konzepte […] auszubilden, d.h. sich für verschiedene soziale
Situationen adäquate Deutungs- und Handlungsmuster anzueignen.“ (Faust-Siehl;
Speck-Hamdan 1998, 121) So konnte ich während meiner Aktionswoche beispielsweise
die Schwierigkeiten mit der Klassenlehrerin in den Unterricht einbinden, um daran
ebenfalls den Gleichheitsbegriff zu thematisieren. Die Entwicklung von moralischem
Handeln, sozialer Perspektivübernahme, Empathie und weiteren sozialen sowie
personalen Kompetenzen wird begünstigt durch gemeinsames und handlungsorientiertes
Lernen. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der gemeinsame Diskurs über moralische
Dilemmata, denn jedes Kind bildet im Sinne des Konstruktivismus subjektive
Perspektiven aus. Im Diskurs können sich die Schüler über ihre subjektiven
84
Perspektiven austauschen und diese im Vergleich zu den anderen reflektieren sowie
überprüfen, um bei Bedarf ihre eigenen Perspektiven weiterzuentwickeln. Dabei erfährt
das Kind die mögliche Vielfalt der Betrachtungsweisen und erweitert seinen
Deutungshorizont, wobei es gleichzeitig Toleranz für die Sichtweisen anderer
entwickeln soll. Aus diesem Grund sollte der Ausgangspunkt des Unterrichts auch
immer die Lebenswelt der Schüler sein, da ansonsten die Gefahr besteht an den
Vorstellungen der Kinder vorbei zu unterrichten oder ein angemessenes Verständnis zu
blockieren. (vgl. Feige 2007, 117ff.) Darüber hinaus wird im Diskurs die
Entscheidungsfähigkeit, die aktive Beteiligung und die Verantwortungsübernahme der
Schüler
gefördert.
Ein
weiterer
wichtiger
Bestandteil
beispielsweise
im
fächerübergreifenden Unterricht sollte die handlungs- und produktionsorientierte
Auseinandersetzung mit literarischen Texten sein, denn diese bieten den Schülern die
Möglichkeit sich mit moralischen Fragen auseinanderzusetzen. Dabei werden die
Fähigkeit zur Empathie und Perspektivübernahme z.B. durch Rollenspiele weiter
ausgebildet, was wiederum das Fremdverstehen und die eigene Identitätsbildung
fördert. (vgl. Spinner 2006, 8f.)
Wie meine Forschungsarbeit aufgezeigt hat, kann die Thematisierung der Kinderrechte
und insbesondere des Rechts auf Gleichheit einen Beitrag zur emotional-sozialen
Entwicklung von Grundschülern und somit auch zur Vorbereitung auf die Gesellschaft
leisten. Gleichzeitig fördert das Wissen um die Kinderrechte auch das Verständnis der
Menschenrechte, die wiederum wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft sind. Das
Recht auf Gleichheit ist meiner Meinung nach das grundlegendste Prinzip der
Menschenrechte, da „die Berücksichtigung spezifischer Umstände auf der Basis einer
grundlegenden Gleichheit“ (Faust-Siehl; Speck-Hamdan 1998, 118) in fast allen Artikel
der Menschen- sowie Kinderrechtskonvention indirekt enthalten ist. Leider zeigt sich in
Deutschland eine verstärkte Tendenz dieses Recht nicht zu beachten, was beispielsweise
im gesellschaftlichen Umgang mit Minderheiten feststellbar ist. Aus diesem Grund
nimmt die Grundschule diesbezüglich eine wichtige Stellung ein, denn die
Menschenrechte und insbesondere das Recht auf Gleichheit müssen von Beginn an
vermittelt, aber vor allem im Schulalltag gelebt werden. Je früher eine Vermittlung
stattfindet, desto größer ist die Chance, dass später nach diesen Grundsätzen gehandelt
wird. Dabei ist Schule auf die Unterstützung des Elternhauses und der Medien
angewiesen, denn was bringt es die Grundsätze der Menschenrechte zu vermitteln,
wenn sie im Alltag der Kinder nicht gelebt werden. „Menschenrechtsbildung ist
85
schulische und außerschulische Menschenrechtsbildung gleichermaßen“25, weshalb
Schule, Eltern und Medien als Vorbilder für die heranwachsende Generation fungieren
müssen. Leider spielt die Menschenrechtsbildung trotz Empfehlung der KMK noch eine
zu geringe Rolle an deutschen Schulen, wie von der Arbeitsgruppe Menschenrechtsbildung festgestellt worden ist (vgl. Forum Menschenrechte 2005, 8) und sich leider
während der Aktionswoche gezeigt hat (siehe Forschernotizbuch IX.). Vielleicht würde
die Menschenrechtsbildung an den Schulen und im Alltag der Menschen an Bedeutung
gewinnen, wenn die Bundesregierung endlich ihr Versprechen einlösen und die
Kinderrechte in die Verfassung aufnehmen würde. Dafür würde auf jeden Fall das
Recht auf Gleichheit sprechen, denn „wir sind alle Menschen und so sind wir auch alle
gleich.“ (“Fa“ Post-Interview, Z. 124)
25
www.bkl-demokratie.de/fileadmin/public/dokumente/Fritzsche.pdf (15.05.2008, 20:54 Uhr)
86
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89
Eidesstattliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als
die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Oldenburg, 12.11.2008
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Zugehörige Unterlagen
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